Die Weiße Wölfin und der Admiral - Claire Hölig - E-Book

Die Weiße Wölfin und der Admiral E-Book

Claire Hölig

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Beschreibung

Europa 1943: Der Zweite Weltkrieg zerreißt Familien – auch die Geschwister Karl und Marie Büchner geraten zwischen die Fronten. Karl hat eine steile Karriere in der deutschen Kriegsmarine hinter sich, seine Schwester wurde britische Agentin im besetzten Frankreich. Doch die Bande zwischen ihnen sind stärker als der Krieg: Karl macht eine erschütternde Entdeckung und plötzlich braucht er seine Schwester mehr denn je. Ein ergreifendes Romandebüt über Loyalität, Mut und Widerstand.

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ISBN 978-3-7751-7148-9 (E-Book)ISBN 978-3-7751-5445-1 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:Satz & Medien Wieser, Stolberg

© der deutschen Ausgabe 2013SCM Hänssler im SCM-Verlag GmbH & Co. KG · 71088 HolzgerlingenInternet: www.scm-haenssler.de · E-Mail: [email protected]

Die Bibelverse sind, wenn nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, © 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart.

Umschlaggestaltung: Jan Henkel, www.janhenkel.comTitelbild: www.shutterstock.comSatz: Satz & Medien Wieser, Stolberg

Für meinen Bruder

Die Wahrheit geht unter,aber sie ertrinkt nicht.

Chinesisches Sprichwort

Inhalt

Prolog

1

2

3

4

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6

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9

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29

Epilog

Nachwort

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Prolog

September 1943

Konteradmiral Karl Büchner stand in seinem Arbeitszimmer und starrte aus dem Fenster. Es war ein trüber Septembertag. Der Himmel war bedeckt und ein kalter Wind fegte über das Shell-Haus am Tirpitzufer in Berlin, dem Sitz des Oberkommandos der Marine, das sich gleich neben dem Bendlerblock befand.

Ursprünglich war das markante Bürohaus als Hauptsitz der Shell-Tochter Rhenania-Ossag Mineralölwerke AG errichtet worden, doch ab 1938 belegte das OKM das Gebäude. Im Tiefenkeller des Hauses war ein Lazarett errichtet worden. In den oberen Stockwerken befanden sich die Büros und Konferenzsäle des OKM. Auf dem Hof hielten zwei Soldaten Wache. Sie hatten ihre Gewehre geschultert und trotzten mit unbewegter Miene einem feinen Sprühregen, der die Sicht erschwerte.

Karl beachtete sie nicht. Er sah auch nicht die Reichsflagge mit dem großen schwarzen Hakenkreuz, die im Wind flatterte. Seine Gedanken kreisten einzig und alleine um seine Frau und seinen Sohn. Wenn er an Helens sorgenvolles Gesicht dachte, krampfte sich sein Herz zusammen. Wie gerne hätte er sie in den Arm genommen und ihr gesagt, dass alles gut gehen würde, dass sie sich nicht zu sorgen brauchte …

Unwillkürlich musste Karl an ihren letzten Abschied denken. Er hatte seinen einjährigen Sohn Heinrich ein letztes Mal in den Arm genommen. Helen war völlig vernarrt in den Kleinen und Karl war stolz, einen männlichen Erben zu haben, der dem Namen Büchner alle Ehren machen würde. Wenn Karl daran dachte, wie klein und hilflos sein Sohn noch war, zog sich sein Herz erneut zusammen. Am liebsten wäre er sofort nach Hause gefahren, hätte seine Familie in den Arm genommen und ihr gesagt, wie sehr er sie liebte und dass er sie niemals enttäuschen würde. Und das war auch der Grund, warum er gegangen war. Er wollte nicht, dass seine Frau oder sein Sohn sich einmal für ihn schämen mussten. Doch Helen hatte das nicht verstanden.

»Ich will nicht, dass du gehst«, hatte sie am Abend seiner Abreise gesagt.

»Aber Schatz«, hatte Karl versucht, sie zu beruhigen. »Du kennst doch meine Pflicht.«

Ja, Helen kannte sie. Sie kannte das Pflichtbewusstsein ihres Mannes, seinen großen Ehrgeiz, der ihn so weit gebracht hatte. Doch zum ersten Mal wünschte sie sich, er besäße weniger von diesem Ehrgefühl, das sie stets bewundert hatte. Schließlich drehte sie sich weg. Einen Augenblick lang standen sie schweigend in der großen Eingangshalle.

Dann brachte Helen ihn zur Tür. Karl trug seine Dienstuniform mit allen Orden. Er war sehr stolz auf sie. Sie zeigten, dass er ein guter Offizier war. Der Führer persönlich hatte ihm schon seine Anerkennung ausgesprochen. Mit seinen 32 Jahren war er der jüngste Konteradmiral der deutschen Kriegsmarine und niemand zweifelte daran, dass er eines Tages General- oder gar Großadmiral werden würde.

Bis jetzt.

»Ich habe Angst«, flüsterte Helen, als Karl seine Mütze aufzog und den Mantel überstreifte. Sie drehte sich zu ihm und Karl sah ihre weit geöffneten Augen. »Ich habe Angst.«

»Das brauchst du nicht«, antwortete er, doch er hatte einen Kloß im Hals. »Ich werde auf mich aufpassen.« Er zog sie in seine Arme und sie legte ihren Kopf an seine Schulter. »Alles wird gut. Ich verspreche es dir.« Beruhigend streichelte er ihr Haar und drückte einen Kuss auf ihre Stirn. Als sie wieder zu ihm hochsah, füllten sich ihre Augen mit Tränen.

»Lüg deine Frau nicht an, Karl, und mach ihr keine Versprechungen, deren Einhaltung nicht in deiner Macht steht. Ist dir eigentlich klar, worauf du dich einlässt? Was, wenn sie dich erwischen? Sie werden dich töten! Und was wird dann aus mir und unserem Sohn? Hast du daran schon einmal gedacht?«

Karl seufzte. »Ich muss gehen, Helen, sonst sterbe ich ganz bestimmt.«

Da wurde sie wütend. Sie löste sich aus der Umarmung und sah ihn anklagend an. »Warum?«, rief sie. »Warum musst du? Niemand zwingt dich dazu! Du machst das freiwillig, das weiß ich. Und du weißt, dass ich immer hinter dir stehen werde.« Mit dem Handrücken wischte sie sich die Tränen fort. »Aber sag mir wenigstens, warum.«

Karl sah seine bebende Frau einen Augenblick lang an und antwortete dann ruhig: »Es ist eine Frage der Verantwortung.«

»Verantwortung?«, fragte Helen verständnislos. »Verantwortung wem gegenüber? Einer Bande von Mördern?«

»Verantwortung gegenüber dem Vaterland«, antwortete Karl weniger ruhig. »Vor dieser Verantwortung darf man sich nicht drücken. Sonst ist man ein erbärmlicher Feigling.«

Helen schnaubte. »Verantwortung, von wegen. Es ist dein Stolz, der dich zu einer solchen Tat treibt! Und eben dieser Stolz wird uns noch alle umbringen!«

Diese bitteren Worte erinnerten Karl schlagartig an eine andere Frau. Eine sehr viel jüngere Frau, eigentlich noch fast ein Mädchen. Auch sie hatte einst vor ihm gestanden wie Helen jetzt. Wut, Zorn und Empörung hatten in ihren Augen geblitzt und mit Verachtung in der Stimme hatte sie gerufen: »Du bist zu stolz! Das wird dich eines Tages das Leben kosten!«

Damals hatten ihn diese Worte kaum berührt, heute schmerzten sie wie tausend Nadelstiche.

Es klopfte an der Tür. »Herein«, rief Karl und drehte sich zu seinem Schreibtisch. Ein Offizier trat ein. Er war vielleicht ein oder zwei Jahre jünger als Karl, groß, schlank und gut gebaut. Sein Gesicht war scharf geschnitten und das braune Haar war etwas länger, als die Vorschrift es erlaubte.

Er salutierte und sagte: »Kapitänleutnant Robert Schneider vom 30. Marineartillerie-Regiment, Abteilung 511, zu Ihren Diensten, Herr Admiral.«

Karl nahm hinter seinem Schreibtisch Platz. »Rühren, Kapitän«, erwiderte er. Einen Augenblick musterte er den Mann, der da aufrecht und selbstbewusst vor ihm stand. Er hatte nichts von einem unterwürfigen Karrieristen an sich, die Karl in letzter Zeit immer wieder untergekommen waren. Das war ihm nur zu recht. Das ist jemand, der seinen Willen durchsetzen kann, schoss es ihm durch den Kopf. Genau der Mann, den ich brauche.

»Ich habe Ihre Akte gelesen, Kapitän Schneider«, begann Karl. »Bemerkenswert. Sie sind ein guter Offizier.«

»Ich danke Ihnen, Herr Admiral«, erwiderte Schneider mit einem Lächeln.

»Allerdings«, Karl musterte Schneider noch einmal von oben bis unten, »sind Sie auch als Querkopf bekannt. Von Offizieren erwartet man Befehlstreue. Das gilt auch für Vorschriften.«

Schneider stand regungslos. »Vorschriften sind nützlich, aber nicht in allen Lagen.«

Karl zog die Augenbrauen zusammen. Dieser Ansicht war er ganz und gar nicht, aber er verzichtete auf eine Zurechtweisung und fuhr stattdessen fort. »Ich habe Sie aus einem ganz bestimmten Grund hierher rufen lassen.« Karl erhob sich wieder und trat an Schneider heran. »Nach allem, was mir Ihr Vorgesetzter Fregattenkapitän Mattheis erzählt hat, sind Sie ein zuverlässiger und begabter Offizier, dessen Fähigkeiten in Ihrer derzeitigen Position, wie soll ich sagen, nicht ganz zur Geltung kommen. Sie sind jetzt seit fast einem Jahr bei der Marineartillerieabteilung, Herr Kapitän. Eine recht langweilige Arbeit, nicht wahr?«

Schneider verzog keine Miene.

»Ein Mann mit Ihren Fähigkeiten kann nutzbringender eingesetzt werden. Ich benötige Ihre Dienste, Schneider. Kapitän Mattheis hat sich einverstanden erklärt, Ihre Strafversetzung für diese Zeit auszusetzen und Sie meinem Befehl zu unterstellen. Sehen Sie es als Urlaub von der Marineartillerie.«

Karl sah den Kapitän direkt an, ein wissendes Lächeln auf den Lippen. Am Funkeln in den Augen des Kapitäns sah er, dass er sein Interesse geweckt hatte. Sehr gut.

»Sie werden einen Auftrag für mich übernehmen«, fuhr Karl fort und trat an die Europakarte, die in seinem Zimmer hing. »Er wird Sie nach Frankreich führen. Sie werden morgen mit dem Zug nach Caen fahren. Das ist in der Normandie.« Er zeigte auf die Karte. »Dort wird ein Wagen auf Sie warten, der Sie nach Courseulles bringen wird, eine kleine Stadt an der Küste. Sie werden sich mit dem dortigen Kommandant in Verbindung setzen. Er wird Ihnen eine angemessene Unterkunft verschaffen.«

»Und was, Herr Admiral, soll ich in Courseulles machen?«

»Sie werden dort eine Person für mich finden.« Karl war ans Fenster getreten. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken und ließ seinen Blick über den Hof schweifen. »Eine Person von militärischer Wichtigkeit, zu der ich leider seit einiger Zeit den Kontakt verloren habe. Ich muss Ihnen allerdings sagen, dass ich nicht ganz sicher bin, ob sie sich in Courseulles befindet. Es ist lediglich eine Vermutung.« Karl drehte sich wieder zu Schneider. »Wenn Sie sie gefunden haben, überreichen sie ihr diesen Brief.« Karl reichte Schneider ein Kuvert. »Ich selbst werde in zwei Wochen zum Führungsstab des MGK West nach Paris fahren. Bis dahin müssen Sie sie gefunden haben. Ich setze mich dann mit Ihnen in Verbindung und Sie bringen sie nach Paris. Haben Sie noch irgendwelche Fragen?«

Karl sah Schneider erwartungsvoll an. Dieser setzte ein leichtes Lächeln auf. »Herr Admiral, kann nur ein Stabsoffizier diesen Auftrag ausführen?«

Karl runzelte die Stirn. »Was möchten Sie mir damit sagen, Kapitän?«

»Ich denke, ich habe meine Zeit als Fähnrich zur See hinter mir.«

»Dieser Haltung verdanken Sie Ihre Strafversetzung, Kapitän. Das sollten Sie eigentlich wissen.« Vernichtend blickte er Schneider an. Er wartete einen Augenblick und fuhr mit befehlsgewohnter Stimme fort: »Ich erwarte Ihren vollen Einsatz in dieser Sache.«

»Jawohl, Herr Admiral«, knirschte Schneider. Er konnte seinen Unmut kaum verbergen.

»Gut.« Karl schnaubte. »Mein Adjutant Breitstetter wird Ihnen die Zugfahrkarte und alles Weitere geben, was Sie für Ihren Auftrag benötigen. Sie können wegtreten.«

Schneider zögerte. »Entschuldigen Sie, Herr Admiral, aber …«

»Was ist denn noch?«, rief Karl ungeduldig.

»Herr Admiral, Breitstetter kennt die Person, die ich finden soll?«

Karl wandte sich wieder ab. Im Eifer hatte er vergessen, Schneider den Namen zu nennen, und nun wünschte er sich, jemand anderes könnte es an seiner Stelle tun.

»Marie Büchner.«

Schneider stutzte. »Büchner, Herr Admiral?«

»Ja, Büchner.« Karl drehte sich wieder zu ihm um. »Sie ist meine Schwester.«

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

1

Kapitänleutnant Robert Schneider saß im grauen Mercedes, der ihn vom Bahnhof in Caen abgeholt hatte, und dachte über Konteradmiral Büchner nach. Dieser mittelgroße Mann hatte eine Blitzkarriere hinter sich, die so manchen alternden Marineoffizier vor Neid erblassen ließ, und genoss den Ruf eines brillanten Strategen.

Den hatte er sich in den ersten Kriegsjahren erworben, als die Kriegsmarine und besonders die U-Boote noch gefürchtete Feinde der Westmächte gewesen waren. Die britische Flotte hatte bis März 1941 4,6 Millionen Bruttoregistertonnen Schiffsraum verloren, was der Marine Stolz und Anerkennung eingebracht hatte. Innerhalb von nur drei Jahren war Büchner, der 1939 nur Oberleutnant gewesen war, zum Fregattenkapitän aufgestiegen.

Doch dann mehrten sich die Krisenzeichen. Mit der Bismarck hatte die Kriegsmarine ihr größtes und modernstes Schlachtschiff verloren, und die verbesserte Luftaufklärung der Alliierten schränkte den Kampf auf See immer stärker ein. Büchner war einer der vielen Seeoffiziere, die der Meinung waren, ein Sieg im Atlantik wäre in greifbarer Nähe gewesen, hätte Hitler seine Entscheidungsschlacht nicht zu Lande im Russlandfeldzug gesucht. Insgeheim fragte sich Robert, ob es den Alliierten gelungen war, die Enigma-Maschine zu entschlüsseln, die zur Verschlüsselung des Nachrichtenverkehrs der Marine diente. So viele Misserfolge – das konnte doch kein Zufall sein!

Büchner war indes die Karriereleiter unaufhörlich nach oben gestiegen. Mittlerweile gehörte er als Konteradmiral dem Stab des Marinegruppenkommandos West an, der operativen Führungsstelle für die Sicherungsstreitkräfte entlang der Kanalküste und im Atlantik, und fuhr nicht mehr zur See. Für ihn beschränkte sich der Krieg nun darauf, gemeinsam mit anderen Offizieren Schiffchen auf einer Karte hin- und herzuschieben. Seine Männer hatten ihm den Spitznamen Napoleon gegeben und Robert fand, er passte ganz gut zu ihm. Seine Karriere sprach dafür, dass er ein brillanter Offizier war. Er erfreute sich bei seinen Männern großer Beliebtheit, da er zwar streng, aber gerecht war. Nicht wenige hielten ihn allerdings für arrogant.

Warum er ihn jetzt in ein Provinznest schickte, um seine Schwester zu suchen, blieb Robert schleierhaft. Er hatte überhaupt keine Lust, die verschwundene Schwester eines Konteradmirals zu suchen. Aber er konnte es sich nicht leisten, mit Konteradmiral Büchner zu streiten.

Das ist der absolute Höhepunkt meiner Karriere, dachte er sarkastisch. Wobei, meine Karriere ist ohnehin am Boden zerstört. Also kann ich genauso gut Botengänge machen.

Ein bitterer Zug legte sich auf seine Lippen. Die Marineartillerieabteilung. Ausgerechnet!

Anscheinend war sein früherer Befehlshaber der Ansicht, er könne keinen großen Schaden anrichten, wenn er die Schiffs- und Küstenartillerie der Marine inspizierte, Mängel begutachtete, Berichte schrieb und Verbesserungsvorschläge machte. Eine Aufgabe für altersschwache Seeleute oder junge Kadetten.

Die Berichte von der Front konnten ihn auch nicht fröhlicher stimmen. Zwei Divisionen der 8. britischen Armee waren in Kalabrien gelandet. Die italienische Wehrmacht würde ihnen kaum etwas entgegenzusetzen haben. An der Ostfront sah es nicht besser aus.

Er fragte sich, wie er es wohl anstellen sollte, diese Marie Büchner zu finden. Der Konteradmiral hatte ihm kein Bild gezeigt und auch sonst nicht viel über sie erzählt. Er wusste nur, dass sie 26 Jahre alt war, brünett, etwa einssiebzig groß und eher unauffällig. Es könnte also jede beliebige junge Frau sein, die er in Courseulles traf – falls sie überhaupt noch dort war.

Robert seufzte genervt. Während der große Wagen die nasse Straße entlangraste, starrte er in die Dunkelheit hinaus. Er konnte nichts erkennen, schon alleine wegen des Wetters und der Verdunklungsvorschrift. Er begann sich zu langweilen.

»Wie lange sind Sie schon in Frankreich?«, fragte er den Gefreiten, der ihn vom Bahnhof abgeholt hatte.

»Etwa sechs Monate, Herr Kapitän.« Der junge Mann sprach einen breiten sächsischen Dialekt, den Robert nur mühsam verstand.

»Gefällt’s Ihnen?«

Der Fahrer zuckte mit den Schultern. »'s is ruhig. Die Mademoiselles interessieren sich nur für die Offiziere.« Er drehte sich zu Robert um. »Sie werden also Glück haben!« Er grinste schmierig.

Robert ging nicht darauf ein. »Erzählen Sie ein bisschen. Wie ist Courseulles so?«

»Ein kleines Nest, nichts Besonderes. Wenn die Partisanenschweine nicht gerade wieder etwas sabotieren und wir deshalb ein paar Franzmänner abknallen müssen, passiert dort eigentlich überhaupt nichts. Sie werden sich schrecklich langweilen.«

Robert verzog verächtlich das Gesicht. Die jungen Soldaten hatten eine ganz andere Auffassung von Ehre und Moral als die Offiziere aus den alten Militärfamilien. Wie viele, die noch eine Erziehung der alten Garde erlebt hatten, verabscheute Robert das »braune Geschwätz« der Nationalsozialisten.

»Wenn Sie sich langweilen«, bemerkte er ruhig, »kann ich arrangieren, dass Sie an die Ostfront verlegt werden. Dort soll ja allerhand los sein.«

Der Soldat merkte, dass er zu weit gegangen war. »Nicht nötig, Herr Kapitän«, nuschelte er. »'s gefällt mir ganz gut hier.«

Robert sah sich in der Gaststätte um. Der Raum war ziemlich groß und erstaunlich gut gefüllt. Die Tanzveranstaltung hatte viele Menschen angezogen, die ein wenig Abwechslung brauchten. Trotz des Krieges hatten die Menschen sich um elegante Abendgarderobe bemüht, auch wenn die Kleider gerade bei der ärmeren Bevölkerung eher sackartig wirkten. Stoffe und Garn waren knapp, alte Kleider wurden geflickt, Vorhänge und Bettbezüge umgearbeitet. Der Krieg ging nicht unbemerkt an Frankreich vorbei. Der Großteil der Menschen im Gasthaus war Franzosen, aber hier und da entdeckte Robert auch Offiziere der Wehrmacht.

Er gab seinen Mantel ab und steuerte auf den Tisch zu, an dem die leitenden Offiziere aus Courseulles saßen. Er trug seine blaue Gesellschaftsuniform und hob sich deutlich von den anderen Offizieren ab, die abgesehen von einem Korvettenkapitän die graue Uniform des Heeres trugen. Ihm war eigentlich überhaupt nicht nach einem Tanzabend, die lange Fahrt war anstrengend gewesen, doch Oberst Strauss, der ihn in Courseulles willkommen geheißen hatte, hatte ihn hierher eingeladen, um ihn mit dem Kommandanten bekannt zu machen.

Auf dem Weg zum Tisch bemerkte Robert eine junge Frau, die neugierig zu ihm herüberschaute. Sie durfte Mitte zwanzig sein, trug ein schlichtes, etwas altmodisches graues Kleid und hatte ihre braunen Haare zu einem Zopf geflochten. Ihre schlanke Figur machte sie sehr attraktiv und ihr hübsches Gesicht war einen Blick wert. Die dunklen Augen schienen Robert gründlich zu mustern; als er ihr deshalb ein amüsiertes Lächeln schenkte, zog sie die Augenbrauen kurz zusammen und wandte den Blick ab.

»Kapitänleutnant Robert Schneider vom 30. Marineartillerie-Regiment, Abteilung 511«, salutierte Robert, als er den Offizierstisch erreichte.

»Sieh an, sieh an!«, schnarrte einer der Offiziere, ein fetter General, der Robert an ein Schwein mit Schnurrbart erinnerte. »Es kommt nicht oft vor, dass wir einen Offizier der Kriegsmarine ohne Schiff und Besatzung begrüßen dürfen. Was ist der Anlass für diese Ehre?«

»Ein Sonderauftrag, Herr General.«

»Ein Sonderauftrag? Wer ist der Befehlshaber?«

»Konteradmiral Büchner vom MGK West.«

»Konteradmiral Büchner?« Der General drehte sich zum Korvettenkapitän. »Schnarrenberg, Sie haben mir gar nicht erzählt, dass uns das Marineartillerieamt einen Inspektor schicken würde.«

»Ich habe auch keinen erwartet«, erwiderte dieser und musterte Robert misstrauisch. »Allerdings untersteht das 30. Marineartillerie-Regiment dem MOK Ost. Weder unsere U-Boot-Werft noch unser Torpedoarsenal fallen unter Ihre Zuständigkeit, Herr Kapitänleutnant.«

»Es handelt sich nicht um eine Inspektion, Herr Kapitän«, beeilte Robert sich zu erklären. Er wandte sich an den General. »Admiral Büchner schickt mich zu Ihnen, Herr General.«

»Zu mir?« Der General hob verwundert die Augenbrauen. »Was, bitteschön, will ein Admiral von mir hier in Courseulles?«

»Tut mir leid, Herr General. Der Auftrag ist vertraulich.« Robert warf einen vielsagenden Blick in die Runde.

Der General grunzte. »Marine!«, brummte er verächtlich. »Na schön, kommen Sie morgen früh zur Kommandantur. Da können Sie mir dann erzählen, was Sie von mir wollen. Büchner, nie gehört!«

Doch Robert hörte seine abfällige Bemerkung nicht mehr. Seine Aufmerksamkeit wurde von der jungen Frau im grauen Kleid abgelenkt. Bei den letzten Worten hatte sie mit einem fast erschrockenen Gesichtsausdruck in seine Richtung geschaut, ehe sie den Blick wieder abwandte. Robert fragte sich, was der Anlass dazu war.

Er musterte sie eingehender. Irgendetwas an ihr kam ihm vertraut vor, er konnte allerdings nicht sagen, was. Sie saß an einem Tisch in der Nähe der Tanzfläche. Vor ihr stand ein Glas Rotwein, vermutlich ein sehr billiger. Gegenüber der jungen Frau saß ein Mann. Er trug die unförmige Kleidung der einfachen Arbeiter und schien ihre Begleitung zu sein. Allerdings sprachen die beiden kaum ein Wort miteinander. Die Frau schien in Gedanken versunken zu sein, während ihr Partner den Tanzenden zusah. Aus einem Schallplattenspieler ertönte das Lied »La vie en rose«. Es erinnerte Robert an die Zeit vor dem Krieg.

Jetzt meldete sich endlich Oberst Strauss zu Wort. »Kapitän, darf ich Ihnen General Rädel vorstellen? Er ist der Kommandant hier in Courseulles.«

Robert nickte dem General knapp zu.

»Korvettenkapitän Schnarrenberg ist unser Werftdirektor. Das sind Major Stieff und Hauptmann Müller. Und das hier ist Oberleutnant Meisel. Er ist General Rädels Adjutant.«

Robert sah zu dem kleinen Oberleutnant hinüber. »Ich habe gehört, Sie haben Probleme mit den Partisanen?«, erkundigte er sich, nachdem Strauss ihn aufgefordert hatte, sich zu setzen. Doch statt seiner beantwortete der General seine Frage.

»Das ist richtig, Herr Kapitän. Woher wissen Sie das?«

»Der Fahrer erwähnte es. Wie steht es denn so?«

Der General nippte an seinem Bierglas. »Sieht so aus, als würde sich eine Partisanengruppe hier verstecken. Es wurden schon mehrere Anschläge auf Versorgungstransporte und Nachrichtenverbindungen verübt.«

»Haben Sie denn nicht versucht, die Aufrührer zu verhaften?«, fragte Robert erstaunt.

Der General schnaubte. »Ein paar haben wir erwischt, aber eben nicht alle. Sind extrem gut organisiert, die Burschen. Und dabei werden sie von einer Frau angeführt!«

Robert hob erstaunt die Augenbrauen. »Von einer Frau?«

Der General nickte. »Wir wissen nur, dass sie unter dem Tarnnamen ›Louve blanche‹ agiert.«

Robert runzelte die Stirn. »Weiße Wölfin? Sind Sie sicher, dass es kein Scherz ist? Das klingt für mich eher wie ein Indianername.«

Meisel lächelte süffisant und meinte spöttisch: »Sie kennen die Franzosen nicht besonders gut, was, Herr Kapitän?«

»Ich weiß, dass sie existieren«, erwiderte Robert gereizt, was schallendes Gelächter hervorrief.

»Nun«, sagte Meisel, als sich alle wieder beruhigt hatten. »Dann lassen Sie sich aufklären. Die Franzosen sehen uns als Wölfe, die gierig über ihr Land herfallen. Braune oder graue Wölfe, je nachdem, wen sie meinen. Wenn sich diese Frau also Weiße Wölfin nennt, dann ist das eine Anspielung auf uns, macht aber einen Unterschied deutlich. Sie ist weiß, wir sind grau. Gut und Böse, wenn Sie wollen.«

Strauss fügte hinzu: »So interpretiert das jedenfalls die Gestapo. Sie übernimmt die Verhöre.«

»Die Folter, meinen Sie?«

»Mein lieber Schneider«, griff nun der General ein. »Wir sind über die Methoden der Gestapo genauso wenig erfreut wie Sie, aber was sollen wir machen? Immerhin tun sie ihren Job und was sie da zusammengereimt haben, klingt ziemlich plausibel. Viele Widerständler tragen Tiernamen. Deshalb heißt die französische Partisanenbewegung bei der Gestapo auch ›Arche Noah‹. Der Name ist kreativ, was? Hätte ich diesen steifärschigen Schwarzmännern gar nicht zugetraut!« Er lachte donnernd.

Während Robert ihm zuhörte, ließ er den Blick durch den Raum schweifen und bemerkte zufällig, dass die junge Frau im grauen Kleid fort war.

Marie Büchner stand in ihrer kleinen Wohnung in Courseulles und band ihre Schuhe fest zu. Draußen war es bereits dunkel. In einer Stunde war Sperrstunde. Sie würde sich beeilen müssen. Marie zog ihren leichten Herbstmantel über und verließ die Wohnung.

Fünf Minuten später saß sie auf ihrem Fahrrad und duckte sich unter einen feinen Nieselregen. Der starke Regen hatte zum Glück nachgelassen. Große Pfützen auf den vertrauten Straßen schimmerten im schwachen Licht, das zwischen den Ritzen der Fensterläden drang. Während sie durch die Dunkelheit radelte, ließ sie endlich ihren Gedanken freien Lauf, die sie die ganze Zeit unterdrückt hatte.

Karl.

Beim Klang seines Namens in der Gaststätte war sie zusammengezuckt. Jetzt war er also Konteradmiral. Seine Karriere stand anscheinend unter einem guten Stern. Marie versuchte sich einzureden, dass es ihr egal war. Sollte er doch machen, was er wollte! Was ging sie das an?

Doch Marie wusste, dass es ihr nicht so gleichgültig war, wie sie es gerne gehabt hätte. Trotz allem war er ihr Bruder. So sehr sie sich auch dagegen sträubte, ein Teil von ihr sehnte sich danach, ihn noch einmal zu sehen. Im Inneren ihres Herzen liebte sie ihn immer noch, kein Hass, keine Verachtung, kein Zorn hatte es jemals geschafft, diese Liebe zu zerstören, die in den ersten Tagen ihres Lebens geknüpft worden war.

Marie hatte bald das einzige Hotel der Stadt erreicht. Es war ein ziemlich großes Gebäude, das normalerweise hell erleuchtet war, aber nun wegen der Verdunklungsvorschrift im Schwarzen lag. Marie stellte ihr Fahrrad ab, schloss es sorgfältig ab und betrat das Baleine bleu.

Die Empfangshalle war nicht sehr groß, aber hell erleuchtet. Hinter der Theke saß Monique Martin, die Besitzerin des Hotels, die Regionalzeitung in der Hand. Wie immer lagen die ersten vier Seiten, auf die die obligatorischen Propagandatexte aus Deutschland gedruckt wurden, unberührt auf dem Tisch. Früher waren sechs Spalten über die glorreichen Siege des deutschen Heeres an der Ostfront von der Zensur vorgeschrieben worden. Doch seit Februar wurde es strengstens bestraft, wenn mehr als zwei Spalten darüber berichteten. Karten über das Operationsgebiet durften schon lange nicht mehr gedruckt werden.

Als sie an die Theke trat, schien Monique sie schon erwartet zu haben. Wortlos schlug sie die Zeitung zusammen, legte einen Schlüssel auf die Theke und verschwand in der Küche des Hotels. Marie nahm den Schlüssel und ging die Treppe zu den Zimmern hinauf. Sie brauchte nicht mit Monique zu sprechen. Sie hatten dieses Manöver schon mehrere Male durchgemacht.

Vor Zimmer neun blieb Marie stehen. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand in der Nähe war, schloss sie die Tür auf und betrat das geräumige Hotelzimmer von Marineoffizier Robert Schneider.

Sie wartete, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, und steuerte dann auf den großen Wandschrank zu. Der Kapitänleutnant hatte bereits ausgepackt. Das erleichterte die Angelegenheit erheblich. Systematisch ging Marie seine Sachen durch. Sie hatte das schon hundertmal gemacht. Jedes Mal, wenn ein deutscher Offizier nach Courseulles kam, wurden seine Sachen durchsucht. Manchmal fand sie Marschbefehle oder andere wichtige Informationen, die sie nach London weitergeben konnte.

Seit eineinhalb Jahren kämpfte Marie schon im französischen Widerstand. Die Résistance konzentrierte sich auf die Übermittlung militärischer Informationen nach London, Sabotage von Verkehrsmitteln, die Verbreitung von Druckschriften und Fluchthilfe für abgeschossene alliierte Piloten. Im Gegenzug versorgten die Alliierten die Widerstandskämpfer mit Waffen und Munition.

Marie blieb nicht viel Zeit. Rasch und mit geübten Händen durchsuchte sie Schneiders Kleidung, konnte jedoch nichts finden. Enttäuscht wandte sie sich den restlichen Dingen zu. Doch außer Toilettenartikel hatte der Kapitän nichts eingepackt. Marie wandte sich dem Koffer zu, der auf dem Schrank lag, und nun wurde sie fündig. In einem Buch lag ein sauberer Briefumschlag, unfrankiert und ohne Adresse und Absender.

Verwundert betrachtete Marie ihn einen Augenblick. So etwas hatte sie noch nie entdeckt. Ein Pfiff schreckte sie aus den Gedanken. Pierre gab das Signal. Schneider war unterwegs zum Hotel. Marie reagierte rasch: Sie nahm ihr Taschenmesser, befeuchtete es und öffnete damit vorsichtig den Briefumschlag. Sie zog ein sauberes weißes Briefpapier heraus und entfaltete es. Fünf Zeilen waren in säuberlicher Handschrift auf das Papier geschrieben worden. Als Marie sie durchlas, blieb ihr fast das Herz stehen.

Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.

Du bist mein Fels, meine Hilfe; darum werde ich nicht wanken. Leite mich auf ebener Bahn trotz meiner Feinde. Sei bei mir.

Kleiner Bruder

Marie verstand die abgeänderten Bibelzitate. Und die Unterschrift ließ keinen Zweifel an den Empfänger – sie.

»Kleiner Bruder« – wie oft hatte sie Karl so genannt! Es war ein Kosename aus ihren Kindheitstagen. Er stammte aus einem Roman. Die Anfangsbuchstaben bildeten seine Initialen: K. B.

Marie schluckte. Es war das erste Lebenszeichen von ihm seit zehn Jahren. Zehn Jahre, in denen sie ihn weder gesehen noch gesprochen oder ihm geschrieben hatte. Und nun solch ein Brief bei einem fremden Offizier in einem kleinen Hotel. Warum?

Weil er Hilfe brauchte. Marie las die Verzweiflung zwischen den Zeilen. Ja, er brauchte sie. Und er appellierte an ihre Liebe und ihr Pflichtgefühl.

Du hast Feinde, dachte Marie. Und jetzt brauchst du meine Hilfe. Wie kannst du mir das antun?

Marie hörte einen zweiten Pfiff. Länger und drängender diesmal. Schneider war im Hotel. Marie musste verschwinden. Hastig steckte sie den Brief zurück in den Umschlag und legte ihn wieder an seinen Platz. Dieses Mal fotografierte sie das Dokument nicht. Niemand sollte wissen, was Schneider da mit sich trug. Niemand.

Sie nahm ihr Taschenmesser wieder an sich und wollte gerade das Zimmer verlassen, als sie Schritte im Gang hörte. Schneider war da! Was sollte sie tun?

Robert war froh, endlich sein Hotelzimmer erreicht zu haben. Der Tag war lang und ermüdend gewesen, und er sehnte sich nach Schlaf und Erholung. Er öffnete die Tür und tastete mit der Hand nach dem Lichtschalter. Die Glühbirne flackerte auf. Kaltes Licht erhellte das Zimmer.

Robert schloss die Tür. Endlich allein, dachte er. Die Offiziere waren ihm gehörig auf die Nerven gegangen. Wie er Frankreich hasste! Überall diese Feindseligkeit, dieser Hass, diese Verachtung. Wie konnten die Franzosen so stolz und überheblich sein, wenn sie, die Deutschen, sie in so kurzer Zeit besiegt hatten? Frankreich war besetzt, und das schon seit über drei Jahren. Sie sollten sich gefälligst damit abfinden, dass ihre goldene Zeit abgelaufen war. Der Vertrag von Versailles hatte die deutsche Wirtschaft jahrelang zu Boden gedrückt. Jetzt musste Frankreich für diese Demütigung bluten.

Robert legte seinen Revolver über die Stuhllehne und drehte sich zur Tür, um abzuschließen. Er hatte gerade den Schlüssel umgedreht, als er plötzlich ein grausam vertrautes Klicken hörte. Schon wollte er sich umdrehen, doch da fauchte eine schneidende Stimme auf Französisch: »Keine Bewegung! Oder Sie bereuen es.«

Robert verstand jedes Wort. Obwohl es keine Selbstverständlichkeit war, schien die Person davon auszugehen, dass er Französisch konnte. Doch das war es nicht, was ihn so verwunderte. Es war viel mehr die Tatsache, dass die Stimme einer Frau gehörte. Wer würde es wagen, ihn zu überfallen?

Die Weiße Wölfin!, fiel ihm sofort ein. Die Résistance war sicherlich an jedem fremden Offizier interessiert. Wie hatte er nur so leichtsinnig sein können? Und warum, um alles in der Welt, hatte er die Tür abgeschlossen? Jetzt saß er in der Falle und konnte sie nicht einmal öffnen, um in Deckung zu gehen. Seine Waffe lag unerreichbar auf dem Stuhl. Robert hätte sich ohrfeigen können.

Ich muss Zeit gewinnen, dachte Robert. Vielleicht gelingt es mir irgendwie, an meine Pistole zu kommen.

»Wer sind Sie?«, fragte Robert.

»Schweig, Boche! Hände hoch!«

Robert hob wie geheißen die Hände. Die Beleidigung überging er, obwohl er es nicht gewohnt war, angepöbelt zu werden. Normalerweise verschafften ihm sein Auftreten und seine Uniform den nötigen Respekt. Doch diese Frau schien das alles wenig zu beeindrucken.

»Wer schickt Sie? London? Arbeiten Sie für die Résistance?«

Robert hörte, dass sich die Person hinter ihm bewegte. Zeit, er musste Zeit gewinnen.

»Sie können mich nicht töten und das wissen Sie. Wenn Sie schießen, wird der Lärm die Gestapo alarmieren und …«

Robert spürte einen stechenden Schmerz am Hinterkopf. Der Raum begann sich zu drehen. Das Letzte, woran er sicher erinnern konnte, bevor er ohnmächtig wurde, war das leise Murmeln der Frau. »Ich sagte Ihnen doch, Sie sollen schweigen …«

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2

Ein kalter Wind fegte über den kleinen Friedhof von Courseulles. Die Luft war leicht salzig und roch nach Meerwasser. Die kleinen Stiefmütterchen neigten sich zur Seite und versuchten, dem Wind so gut es ging zu trotzen. Tapfer reckten sie ihre Köpfe, als wollten sie allen sagen, dass nichts ihnen etwas anhaben konnte.

Genauso habe ich mich früher auch immer gefühlt, dachte Marie, während sie den farbenfrohen Blümchen zusah. Ich wollte auch unverwundbar sein, und was habe ich erreicht?

Mit düsterer Miene stand sie neben ihrer Großmutter und starrte auf den Grabstein. Auf dem grauen Stein waren drei Namen eingraviert worden.

Michel Bonnet1862–1933

Ferdinand Büchner1878–1940

Angélique Büchner, geborene Bonnet1883–1940

Ihr Großvater und ihre Eltern. Heute wäre ihre Mutter sechzig Jahre alt geworden. Doch anstatt jetzt im Familienkreis fröhlich zu feiern, zu lachen und sich zu amüsieren, lag sie unter der kalten Erde, neben ihrem Mann und ihrem Vater.

Daran war nur der Krieg schuld! Der Krieg und die Deutschen. Und Karl, ihr eigener Bruder, ihr Fleisch und Blut, kämpfte auch noch für sie. Er hatte sie im Stich gelassen und nun erwartete er, dass sie, Marie, ihm half. Warum? Warum sollte sie das tun?

Er hatte kein Recht, sie um Hilfe zu bitten. Er hatte kein Recht, gerade jetzt wieder in ihr Leben zu treten. Sollte er doch sehen, wie er aus seiner Situation wieder herauskam. Sollte er doch die Suppe auslöffeln, die er sich eingebrockt hatte. Sie war ihm in keiner Weise verpflichtet.

»Familie geht über alles und ist stets füreinander da.« Wie oft hatte sie diesen Satz von ihren Eltern gehört. Die Familie war ihnen sehr wichtig gewesen. Und es hatte sie tief geschmerzt, als Karl gegangen war. Doch schlimmer als die Trennung war der Gedanke gewesen, dass es vielleicht nie ein Wiedersehen geben würde, und dass sie sich im Zorn getrennt hatten.

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