die welt als entwurf - Otl Aicher - E-Book

die welt als entwurf E-Book

Otl Aicher

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Beschreibung

Otl Aichers Texte sind Erkundungen einer "Welt als Entwurf". Sie gehören substantiell zu seiner Arbeit. In der Bewegung durch die Geschichte von Denken und Gestalten, Bauen und Konstruieren versichert er sich der Möglichkeiten, die Existenz menschlich einzurichten. Nach wie vor geht es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen Zivilisationskultur herstellbar ist. Diese Voraussetzungen müssen erstritten werden gegen scheinbare Sachzwänge und geistige Ersatzangebote. Otl Aicher streitet gern. So enthält dieser Band neben Berichten aus der Praxis und historischen Exkursen zu Design und Architektur auch polemische Einlassungen zu kulturpolitischen Themen. Mit produktivem Eigen-Sinn streitet Aicher vor allem für die Erneuerung der Moderne, die sich weitgehend in ästhetischen Visionen erschöpft habe. Noch immer sei der "Kultursonntag" wichtiger als der Arbeitsalltag. Wolfgang Jean Stock

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inhalt

Cover

Title Page

Copyright

einführung

1

2

3

4

5

krise der moderne

verzicht auf symbole

ästhetische existenz

die dritte moderne

1

2

3

charles eames

hans gugelot

flugapparate von paul mc cready

bauhaus und ulm

architektur als abbild des staates

der nicht mehr brauchbare gebrauchsgegenstand

die unterschrift

intelligentes bauen

meinen arbeitsplatz gibt es noch nicht

schwierigkeiten für architekten und designer

nachbemerkung

erscheinungsbild

der freiraum des grafikers

eine neue schrift

die welt als entwurf

nachwort

nachweise

eula

Guide

Cover

Table of Contents

Chapter 1

Pages

III

IV

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otl aicher die welt als entwurf

mit einer einführung

von wolfgang jean stock

bibliografische information der deutschen nationalbibliothek

die deutsche nationalbibliothek verzeichnet diese publikation in der deutschen nationalbibliografie; detaillierte bibliografische daten sind im internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2015 wilhelm ernst & sohn, verlag für architektur und technische wissenschaften gmbH & co. kg, rotherstraße 21, 10245 berlin, germany

© 1991 otl aicher, 1992 inge aicher-scholl, 2014 florian aicher

alle rechte, insbesondere die der übersetzung in andere sprachen, vorbehalten. kein teil dieses buches darf ohne schriftliche genehmigung des verlages in irgendeiner form – durch fotokopie, mikrofilm oder irgendein anderes verfahren – reproduziert oder in eine von maschinen, insbesondere von datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare sprache übertragen oder übersetzt werden.

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2. auflage

print isbn: 978-3-433-03116-2

epdf isbn: 978-3-433-60588-2

epub isbn: 978-3-433-60587-5

emobi isbn: 978-3-433-60586-8

obook isbn: 978-3-433-60589-9

einführung

von Wolfgang Jean Stock

1

Als Hannah Arendt 1950 die junge Bundesrepublik besuchte, notierte sie: „Beobachtet man die Deutschen, wie sie geschäftig durch die Ruinen ihrer tausendjährigen Geschichte stolpern, dann begreift man, daß die Geschäftigkeit zu ihrer Hauptwaffe bei der Abwehr der Wirklichkeit geworden ist.“

Zwei Jahre nach der Währungsreform und fünf Jahre nach Kriegsende waren der Schock der Niederlage und das Entsetzen über die im deutschen Namen verübten Verbrechen weitgehend verdrängt. Angesichts der vielen Alltagsnöte hatte sich die Mehrzahl der Westdeutschen in die Normalität des Überlebens eingeübt. Die Verantwortung für Ursachen und Folgen des Nazi-Regimes wurde in dieser Zwangsrealität von Besatzung und Mangelverwaltung ausgeklammert. Emsig begann man, die Trümmerfelder zu räumen, die inneren Trümmer aber blieben liegen. Die Nürnberger Prozesse wirkten schließ-lich als eine Art Generalabsolution von außen.

Zum aktivierenden Schlagwort der Zeit wurde der „Wiederaufbau“. Wie verräterisch dieses zunehmend restau-rativ ausgelegte Wort war, darauf wies Walter Dirks schon 1948 in den Frankfurter Heften hin. Wer statt der Wiederherstellung des Alten einen sozialen und kulturellen Neuaufbau forderte, stand somit unversehens am Rand der sich früh formierenden Wirtschaftswunder-Gesellschaft. Kein Wunder, daß dabei viele kulturelle Initiativen, vor allem nonkonforme Zeitschriften und Verlage, aufgeben mußten.

2

Jene kleine Gruppe dagegen, die um 1950 in Ulm an der Donau die Gründung einer neuartigen Hochschule vorbereitete, konnte sich durchsetzen. Inge Scholl und Otl Aicher hatten bei ihrer Arbeit an der Ulmer Volkshochschule erfahren, wie groß das Bedürfnis nach einer kulturellen Neuorientierung war. Zusammen mit einigen Freunden entwarfen sie das Programm einer Schule für Gestaltung mit gesellschaftspolitischer Ausrichtung. In ihrer pädagogischen Konzeption verband sich antifaschistisch Haltung mit demokratischer Hoffnung. Graphik sollte zur sozialen Kommunikation werden, Produktgestaltung die Humanisierung des Alltags befördern.

Nach vielen Schwierigkeiten, besonders bei der Finanzierung, begann die Hochschule für Gestaltung (HfG) im Sommer 1953 mit dem Unterricht. Zwei Jahre später zog man auf den Ulmer Kuhberg in das eigene, von Max Bill entworfene Gebäude. Von dieser Höhe über dem Donau-tal wollte die HfG in der Nachfolge des Bauhauses wirken,freilich mit einem wesentlichen Unterschied. Während das Bauhaus die Ausbildung in den freien Künsten als Voraussetzung für die Gestaltung einer guten Industrieform betrachtete, propagierte die HfG das unmittelbare, sachliche Eingehen auf die gestellte Aufgabe. Deshalb gab es in Ulm weder Künstlerateliers für Maler und Bildhauer noch Werkstätten für Kunsthandwerk.

In seinem Text „bauhaus und ulm“, der den biographischen Schlüssel darstellt für die hier versammelten Aufsätze und Vorträge, hebt Otl Aicher diesen Unterschied hervor: „damals in ulm mußten wir zurück zu den sachen, zu den dingen, zu den produkten, zur straße, zum alltag, zu den menschen. wir mußten umkehren. es ging nicht etwa um eine ausweitung der kunst in die alltäglichkeit, in die anwendung. es ging um eine gegenkunst, um zivilisationsarbeit, um zivilisationskultur.“

Daraus spricht auch das Pathos des 1922 geborenen Kriegsheimkehrers, für den die „bewältigung des wirklichen“ auf der Tagesordnung stand und nicht die Beschäftigung mit zweckfreier Ästhetik. So herrschte in der HfG die Ansicht vor, Kunst sei ein Ausdruck von Flucht vor dem Leben. Vor allem aber wollte man den Bereich der Produktgestaltung von künstlerischen Ansprüchen freihalten, um Formalismen vorzubeugen.

3

Wieder wurde die deutsche Provinz zu einem Vorort von Moderne und Fortschritt. Wie beim Bauhaus in Weimar und Dessau bot der Boden einer mittelgroßen Stadt nicht nur die Möglichkeit zu konzentrierter Arbeit. Die Enge des Milieus mitsamt den lokalen Vorbehalten und Animositäten zwang die HfG ganz besonders zur Begründung und Rechtfertigung ihrer Praxis. In dieser Spannung fühlte man sich auf dem Kuhberg unabhängig – und man war es auch. Die Geschwister-Scholl-Stiftung als freie Trägerin garantierte eine relativ große Staatsferne, die eigenen Einnahmen, die häufig die Hälfte des Jahresetats der Hochschule ausmachten, stärkten das Selbst-bewußtsein.

Als Institution war die HfG ein Zwerg, ihre Ausstrahlung aber reichte weltweit. Was lockte Studenten aus 49 Nationen nach Ulm? Sicher das avancierte Lehrprogramm, bei dem die sozialen Dimensionen von Gestaltung im Mittelpunkt standen, ebenso die pädagogischen Ziele, darunter die Erziehung zur Argumentation und eine fachübergreifende statt fachspezifische Ausbildung. Wesentlich für den Erfolg der HfG war freilich, daß sich der Aufbruchs-geist der Gründer auf Dozenten und Studenten übertrug. Nicht frei von messianischen Zügen, engagierte man sich gemeinsam für den Aufbau einer neuen industriellen Kultur: von der Produktgestaltung und der visuellen Kommunikation über Informationssysteme bis zum seriellen Bauen. Technik und Wissenschaft sollten dazu dienen, diese vorausschauende Gestaltung der Alltagskultur ins Werk zu setzen.

Im konservativen Kulturklima der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft war die HfG eine kreative Insel. Sie behauptete sich bis 1968 als experimentelle Einrichtung in Zeiten, in denen mit dem Slogan „Keine Experimente“ Wahlen gewonnen wurden. Sie lehrte soziale und kulturelle Verantwortung mit Blick auf die Zukunft, während gerade in den Universitäten der bürgerlichmuseale Bildungskanon reaktiviert wurde. Gegen den „Muff von tausend Jahren“ und die plüschige Gemütlichkeit der wirtschaftlich arrivierten Republik suchte man in Ulm praktische Wege für Aufklärung, Kritik und Wahrhaftigkeit. Mitten im westdeutschen „Neon-Biedermeier“ entstanden so die Umrisse einer sachlichen, demokratischen, weltoffenen Dingkultur.

Die HfG selbst als auch die dort entwickelten Geräte, Erscheinungsbilder, Drucksachen und Bausysteme wurden im nach wie vor mißtrauischen Ausland als Zeugnisse eines „anderen Deutschlands“ wahrgenommen. Die Schnörkellosigkeit, ja Nüchternheit der Gegenstände und Entwürfe dokumentierte einen Abschied vom „deutschen Wesen“. Ähnlich wie der deutsche Pavillon von Egon Eiermann und Sep Ruf auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel überzeugten die Ulmer Leistungen durch die Einheit von Technologie, Funktionalität und Ästhetik.

Wenn einer als Lehrer und Vorbild die Entfaltung der HfG wesentlich prägen konnte, war es Otl Aicher. Er verkörperte nicht nur die personelle Kontinuität seit der Vorbereitungsphase, sondern konnte sich auch in den beiden großen Konflikten durchsetzen: Sowohl bei der negativ entschiedenen Frage, ob Kunst in das Lehrangebot aufgenommen werden solle, was 1957 zum Weggang von Max Bill führte, als auch Anfang der sechziger Jahre in der Auseinandersetzung zwischen „Theoretikern“ und „Praktikern“. Für Aicher war der Vorrang praktischer Arbeit selbstverständlich. Scharf wandte er sich 1963 gegen „die unkritische wissenschaftsgläubigkeit mit ihrem aufgeblähten trieb zur analyse und ihrer fortschreiten-den impotenz des machens“.

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Kein Meister ohne Lehrjahre: Auch und gerade für die Lehrer war die HfG eine hervorragende Schule. In den programmatisch angelegten Konflikten zwischen Theorie und Praxis begründete und präzisierte Otl Aicher seine Position eines Realismus, der für die frühen sechziger Jahre nicht untypisch war. Martin Walser etwa schrieb damals: „Da dieser Realismus ja keine Erfindung der Will-kür ist, sondern eine einfach fällige Art, etwas anzuschauen und darzustellen, kann man sagen: er wird einen weiteren Schritt ermöglichen zur Überwindung ideen-hafter, idealistischer, ideologischer Betrachtungsweisen.“ Was Walser für die Literatur erhoffte, wurde Aicher zur Maxime seiner Arbeit für den richtigen Gebrauch der Dinge.

Den Optimismus, in die Welt gestaltend eingreifen zu können, der die HfG im ganzen trug, hat sich Aicher bewahrt. Zurück auf die Ulmer Erfahrungen geht aber auch seine Opposition gegen den Glauben an die Planbarkeit der Verhältnisse. Heute steht für Aicher fest, daß soziale und wirtschaftliche Großplanungen, die sich technischer Verfahren und wissenschaftlicher Erkenntnisse instrumentell bedienen, untaugliche Mittel sind, die Welt zu humanisieren. Trotz aller Effizienz in Teilbereichen beschleunigen sie sogar die Zerrüttung der gesellschaftlichen Beziehungen und die Verwüstung der Erde bis zur Gefährdung der Grundlagen menschlicher Existenz. Im gleichen Maße, wie der Mensch die Welt zu einem Artefakt gemacht hat, ist seine Unfähigkeit gewachsen, die Entwicklung zu beherrschen. Weil die Produktion der Dinge abstrakten Gesetzen folgt, unterwerfen sie die Lebenswelt.

Aicher plädiert deshalb für eine radikale Rückkehr zum Subjekt. Anstatt Regierungen, wirtschaftlichen Mächten oder geistigen Instanzen zu vertrauen, sollten die Menschen das Bedürfnis entwickeln, „nach eigenen ideen zu leben, eigene entwürfe zu machen, ihre durch eigene vorstellungen bestimmten arbeiten zu verrichten, nach eigenen konzepten zu verfahren“. Erst dann werden sie nicht mehr durch die Verhältnisse gemacht, sondern gestalten ihr Leben selbst. Ein derart reflektiertes Machen entwirft die Dinge nach dem Kriterium ihres Gebrauchs und nicht in der Erwartung eines abstrakten Tauschwerts. Die Richtigkeit des Entwurfs ergibt sich daraus, ob das Resultat der nach allen Seiten untersuchten Aufgabe entspricht. Die Frage nach dem Wozu ersetzt die Frage nach dem Warum. Zwecke müssen auf ihren Sinn geprüft werden.

Diese konkrete Utopie steht hinter Aichers über vierzigjähriger Tätigkeit als Gestalter von Plakaten, Zeichensystemen, Büchern, Ausstellungen, Erscheinungsbildern und einer eigenen Schrift. In der Auseinandersetzung mit Aufgaben aus Industrie, Dienstleistungsunternehmen und Medien hat er ein Entwurfsprinzip entwickelt, das sich von Design im populären Sinn grundsätzlich unterscheidet. Design ist für ihn gerade nicht Oberflächengestaltung oder die Produktion visueller Reize. Demnach stellt die „Postmoderne“ mit ihren Anleihen bei Kunst und Mode einen Rückfall in Beliebigkeit und Verschwendung dar. Ihr Formalismus huldigt dem Kult des Überflüssigen und gipfelt nicht umsonst im „nicht mehr brauchbaren gebrauchsgegenstand“. Der Geltungsnutzen hat den Gebrauchsnutzen verdrängt: Styling statt Design.

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Design heißt, Denken und Machen aufeinander zu beziehen. Ästhetik ohne Ethik tendiert zur Täuschung. Es geht um das Produkt als Ganzes, nicht allein um seine äußere Form. Das Kriterium des Gebrauchs schließt auch die sozialen und ökologischen Wirkungen ein: „design bezieht sich auf den kulturellen zustand einer epoche, der zeit, der welt. die heutige welt ist definiert durch ihren entwurfszustand. die heutige zivilisation ist eine vom menschen gemachte und also entworfen. die qualität der entwürfe ist die qualität der welt“.

Solches Design braucht entsprechende Partner. Weshalb nicht jeder Auftraggeber geeignet ist, dafür nennt Aicher in seinen Innenansichten des Machens auch institutionelle Gründe. Originäres Design verlangt zum einen das volle Engagement aller Beteiligten. Zum anderen setzt es die Kultur des „runden Tisches“ voraus, an dem Kaufleute, Ingenieure und Designer gemeinsam beraten. Weil kleine und mittlere Unternehmen überschaubar sind und ihre Strukturen weniger entfremdet, kann sich in ihnen originäres Design am besten entfalten. Aicher: „design ist der lebensvorgang eines unternehmens, wenn sich absichten in fakten und erscheinungen konkretisieren sollen. es ist das zentrum der unternehmenskultur, der innovativen und kreativen beschäftigung mit dem unternehmenszweck.“

Solche Orte gelungener Zusammenarbeit bezeichnet Otl Aicher als „Werkstätten“. Hier wird nicht geplant und verwaltet, sondern entwickelt und entworfen. Im Prozeß von Überprüfung und Korrektur wird der Entwurf zum richtigen Ergebnis gesteuert. Dieses Prinzip der Steuerung in Alternativen erlaubt den beispielgebenden Beginn im Bestehenden. Es entstehen Modelle einer „Welt als Ent-wurf“.

Otl Aichers Texte sind Erkundungen jener Welt. Sie gehören substantiell zu seiner Arbeit. In der Bewegung durch die Geschichte von Denken und Gestalten, Bauen und Konstruieren versichert er sich der Möglichkeiten, die Existenz menschlich einzurichten. Nach wie vor geht es ihm um die Frage, unter welchen Voraussetzungen Zivilisationskultur herstellbar ist. Diese Voraussetzungen müssen erstritten werden gegen scheinbare Sachzwänge und geistige Ersatzangebote.

Otl Aicher streitet gern. So enthält dieser Band neben Berichten aus der Praxis und historischen Exkursen zu Design und Architektur auch polemische Einlassungen zu kulturpolitischen Themen. Mit produktivem Eigen-sinn streitet Aicher vor allem für die Erneuerung der Moderne, die sich weitgehend in ästhetischen Visionen erschöpft habe. Noch immer sei der „kultursonntag“ wichtiger als der Arbeitsalltag. Ohnehin lasse sich Ästhe-tik nicht auf Kunst reduzieren: „alles konkrete, alles wirkliche hat ästhetische relationen. die kunst als reine ästhetik läuft sogar gefahr, von den ästhetischen nöten der wirklichen welt abzulenken. in keinem fall darf es verschiedene ästhetische kategorien geben, eine reine und eine alltägliche. wir können ja auch nicht in der moral unterscheiden zwischen einer der religion und einer des alltags.“

Design als Lebensweise an Stelle von Design als Kosmetik: Otl Aicher vertraut auf die Schulung der Sinne. Sein Lebenswerk bürgt dafür, daß dieses Vertrauen modern bleibt.

krise der moderne

einsichten können einen schock auslösen. einen solchen schock habe ich erfahren bei einem besuch in moskau mitte der siebziger jahre. ich war geladen worden, um dort mit den verantwortlichen fragen der olympischen spiele zu erörtern, die 1980 in moskau stattfinden sollten.

in diesem zusammenhang machte ich den vorschlag, die pionierbauten des russischen konstruktivismus zwischen 1920 und 1930 zu renovieren, weil die besucher aus dem westen ein großes interesse an dieser architek-tur hätten. diese architektur sei einer der entscheidenden impulse für die entwicklung der modernen architektur gewesen.

ich erntete unverständnis und ablehnung. es war noch die zeit des „sozialistischen realismus“, als man in der malerei darauf achtete, mit einer vordergründigen naturtreue und einem fotografischen realismus sowie einer gläubigen symbolik und gestik volksnah zu bleiben, das heißt auch verständlich für den einfachen arbeiter, für das volk. zwar hatte nikita chruschtschow schon vorher den zuckerbäckerstil stalins kritisiert, weil er schwülstig, dekorativ und unökonomisch sei. stalin hatte um den stadtkern von moskau sieben turmartige hochhäuser in einem neoklassizistischen stil bauen lassen zum zeichen des sieges über den faschismus, die wie die berühmte moskauer u-bahn mit feudalem pomp ausgestattet und von schwülstigem pathos aufgedonnert waren, im volksmund charakterisiert als zuckerbäckerstil. die turmbauten mündeten in eine spitze turmnadel mit einem roten stern obendrauf. der zuckerbäckerstil war zu spott und ironie mißraten und demonstrierte, wohin es führt, wenn der staat beginnt, sich um das kulturelle wohl und glück seiner bürger zu kümmern, was immer im gründe auf eine festigung seiner macht durch die verteilung von süβigkeiten hinausläuft.

chruschtschow brach mit der stalinära und bediente sich gerne des spotts an der großmannssucht. aber man blieb weit davon entfernt, wie ich der direktorin der tret-jakow-galerie empfohlen hatte, einen gegenstandslosen maler wie malewitsch aus dem keller zu holen oder sich eines russischen architekten wie melnikow zu erinnern, der das heute noch anregende klubhaus rusakow gebaut hatte. man gab sich naturalistisch und realistisch und blieb weiterhin volksnah. nur mit einfacheren mitteln.

ich besuchte melnikows wohnhaus, das einmal epoche gemacht hatte. melnikow war nicht nur verfemt, er war eingeschüchtert und vergessen, und man sprach von ihm hinter vorgehaltener hand. ich hätte nicht einlaß gefunden, wenn nicht ein freund von ihm mit mir vor der türe gestanden hätte.

dieser freund war in der lage, mir all die bauten zu zeigen, die ich im kopf hatte, als ich vorschlug, die konstruk-tivisten der welt zugänglich zu machen. aber das klubhaus sujew von golossow war in einem ebenso erbärmlichen zustand wie der narkomfin-wohnblock von ginsburg und milinis oder eben das klubhaus rusakow von melnikow. auch das gewerkschaftsgebäude, das le corbusier in moskau gebaut hatte, war in einem nicht ansehbaren zustand des gewollten verfalls. lediglich das prawda-gebäude von wesnin und das lenin-mausoleum von schtschussew hatten das glück, politisches wohlwollen zu genießen.

moskau war neben berlin und new york die bedeutendste stadt gewesen, was die kulturellen anstöße des 20. jahrhunderts betrifft, eine menschenfreundliche technik zu entwickeln und wissenschaft und technik als bestandteil einer neuen schöpferischen kultur zu verstehen. moskau war ein bedeutender kessel neuer ideen und vorstellungen. dieses moskau sollte auf befehl vergessen werden, die stadt verwandelte sich in eine ansammlung klassizistischer kopien in weißem stuck.

man fragt sich natürlich, wie stalin den kulturellen schwachsinn des zuckerbäckerstils per staatsdekret zur verbindlichen architekturdoktrin erklären und eine architektur verbieten konnte, die sich bewußt der technik und der industriellen fertigung verschrieb, wie der sozialismus insgesamt technik und industrie humanisieren wollte, zunächst denkt man, stalin habe dies von hitler gelernt. der neoklassizismus speers war gigantisch und pompös, die gestik der draufgesetzten figuren eines thorak und breker pathetisch aufgeblasen und gestelzt. die bauten in nürnberg gaben eine ahnung, wie die deutschen städte nach dem krieg wieder aufgebaut werden sollten, falls man den krieg gewinnen würde: monumental, überladen und überproportional.

aber dann muß man die erfahrung machen, die wie ein schock wirkte, daß es nicht stalin war, der hier seinen geschmack durchsetzte, sondern die sogenannten modernen architekten selbst. es gibt von ginsburg einen theaterentwurf für nowosibirsk aus dem jahre 1931 in konstruktivistischer sachlichkeit. aber fünf jahre später wird dieses theater von ginsburg in einem höchst akademi-schen klassizismus ausgeführt.

was war geschehen? ginsburg selbst war zu der überzeugung gekommen, daß die massen die neue architektur des konstruktivismus nicht verstanden. ginsburg war nicht nur einer der erfolgreichsten architekten des konstruktivismus, er war auch sein theoretiker. der mann, der le corbusier nach moskau geholt hatte, entwickelte eine kunsttheorie, nach der alle stile einfach beginnen, daß man sie in ihrer einfachheit aber nicht erträgt; sie werden dekorativ, bis sie schließlich in einer art barocker überfrachtung untergehen. das heißt, ginsburg dachte stilistisch, formal wie die ganze bürgerliche kunsttheorie. er ging von der ästhetik aus. am ende dachte er gar nicht konstruktiv und funktional, die technik war nur ein neues formenrepertoire, verfügungsmaterial, eine neue zeichensprache, ein neuer zeitgeist, dessen man sich bediente.

ich ging ins architekturmuseum in moskau, ließ mir die zeichnungen von ginsburg zeigen und mußte beklom-men feststellen: es war die moderne selbst, die den historistischen kitsch aus der versenkung holte. und ich entdeckte, daß ginsburg bereits 1923 die moderne formalistisch interpretierte. titel seiner bücher waren: der rhythmus in der architektur, und stil und epoche.

ich selbst wohnte in einem hotel, das schtschussew gegen 1934 bereits mit den ersten klassizistischen profilen und gesimsen erbaut hatte, zunächst noch aus beton, ehe sie in naturstein ausgeführt werden mußten. es war zunächst noch ein nüchterner klassizismus, die profilierung der flächen durch pilastergesimse und fensterumrahmungen erfolgte nach den regeln des suprematismus, wie er von malewitsch in seinen raummodellen entwickelt worden war.

auch im westen gab es einzelne entwerfer, die zunächst pioniere einer neuen gestaltung waren, dann aber im dritten reich umfielen. der schöpfer der neuen typogra-phie, jan tschichold, vergaß sich selbst und himmelte schließlich den neuen klassizismus an, der sich alsbald als repräsentativ genug herausstellte, um den neuen diktatoren die angemessene Zurschaustellung der macht zu garantieren. auch mussolini hatte zunächst sympathie für den futurismus, ehe er sich in einer kopie der römischen antike besser aufgehoben fand als in einem bauwerk mit rationaler begründung.

die westlichen beispiele kannte ich, aber daß so gut wie die ganze russische avantgarde es selbst war, die ihr experiment aufgab, um sich dem staatsmonumentalismus anzubiedern, war ein schock, gab mir aber sehr zu denken.

inzwischen bin ich klüger geworden. ich sehe bei den sogenannten postmodernen architekten dieselbe flucht in den historisierenden stil, in die stil-ästhetik, in die formkomposition, in das symbol, in den ästhetischen mythos. vergessen ist der ansatz dieses jahrhunderts, die technik mit dem menschen zu versöhnen, die technik zu humanisieren, indem man sich ihr öffnet. man flieht in die stile, in die metaphysische ästhetik, in die form, in das historische vorbild, in das zitat. palladio wird der meistzitierte baumeister, auch wenn man in stahl und glas baut.

die harten jahre der russischen revolution, des bürgerkriegs, der kollektivierung und industrialisierung waren innenpolitisch offenbar so belastend, daß man dem volk die kunst offerierte, die es mag. das ist, wie man meint, die kunst der paläste, des prunks, des goldes, die kunst als selbstzweck, als dekoration für die dekoration. das ist dann zugleich die kunst des staates, mit der dieser seine existenz als macht und übermacht visualisiert. das volk braucht, glaubt man, anbetung.

in ähnlicher weise werden auch wir heute mit lebens-genuß bedient. vorbei die nachkriegszeit, vorbei die 68er-revolte, vorbei die zeit der sozialbewegungen. wir richten uns ein in der schönheit selbst, auch wenn wir bald im müll ersticken und die welt dabei ist, kaputtzugehen. vorbei die utopien einer neuen gesellschaft, einer neuen erziehung, eines neuen miteinander, neuer geschlechterbeziehungen, vorbei die bewegung um ein leben ohne chemietod, um eine nahrung ohne zusatzstoffe, um eine natürliche natur. wir sprühen wieder unsere haare ein mit FCKW und in allen farben. wir tragen, was schön macht, und die obersten dienstleistungen der dienstleistungsgeselIschaft sind die der verschönerung, des stylings und designs. wir leben inzwischen in einer designgesellschaft des putzes.

design und architektur sind in einer tiefen krise. sie laufen gefahr, zum handlanger von moden zu werden. sie sind nicht mehr aus dem argument und aus der begründung abgeleitet wie wissenschaft und technik, sondern aus der laune, dem ästhetischen zufall, je nachdem, welche kunst man gerade anbeten und ausschlachten kann.

das hat zu einem guten teil seine ursache darin, daß es keinen beruf gibt, der sich mit theorie und geschichte des designs beschäftigt, so wie der kunsthistoriker seinen festen platz in der heutigen kultur und wissenschaft hat. in unserem wissenschaftsbetrieb ist der industriearchäologe, der mann der technikgeschichte und der techniktheorie noch nicht angesiedelt. und also ist design und technikorientiertes bauen ohne jede intellektuelle begleitung und analytische darstellung. ein paar ausnahmen bestätigen nur den sachverhalt. zu goethes zeiten hat man neben der naturschönheit die kunstschönheit entdeckt und den kunsthistoriker zu ihrem verwalter bestellt, eine designschönheit, eine schönheit der technik, hat man noch nicht ausgemacht und also noch nicht den theoretiker der technischen artefakte bestellt.

es erweist sich als verhängnisvoll, daß design und architektur in der theorie von den kunsthistorikern verwaltet werden. design ist alles andere als kunst. design und kunst verhalten sich wie wissen und glauben. es mag wissenschaftler geben, die religiös sind. aber wissenschaft ist prinzipiell etwas anderes als religion.

design muß wie wissenschaft und technik begründet werden. es lebt aus dem argument. kunst und metaphysik stehen außerhalb des arguments. hier wird gesetzt, nicht begründet. auch wenn thomas von aquin sagt, glauben und wissen können sich nicht widersprechen, bleibt der glaube trotzdem so subjektiv, daß alles geglaubt werden kann, was keinen widerspruch darstellt. im grunde gibt es so viele religionen wie es individuen gibt.

design bezieht sich auf sachverhalte, es ist der sprache verwandt. auch die sprache ist so viel wert wie ihre fähigkeit, sachverhalte wiederzugeben. ihre leistung besteht darin, auch diejenigen sachverhalte wiedergeben zu können, die sie bislang nicht ausgesprochen hat. ihr gradmesser ist ihre treffsicherheit. versuche, mit der sprache inhaltsfrei zu hantieren wie in der abstrakten kunst, darf man als gescheitert ansehen.

design besteht darin, produkte ihrem sachverhalt entsprechend auszubilden. und das heißt vor allem, sie neuen sachverhalten anzupassen. in einer sich ändernden welt müssen auch produkte sich ändern.

aber was ist der maßstab von design, die neuen sachverhalte oder die kunst? heute ist design abgesackt und degeneriert zur angewandten kunst.

die postmoderne ist ein neuer glaube, sie ist kein design, sondern eine art religion oder, wie sie sich selbst definiert, dem mythos verpflichtet. welchem mythos? dem des 20. jahrhunderts, dem der archetypen, dem der vorgeschichtlichen sozialen strukturen? man darf wählen zwischen c.g. jung und claude lévi-strauss und muß nicht überrascht sein, wenn man bei alfred rosenberg und sei-ner art der weltgestaltung ankommt. von der architektur des postmodernismus zum neoklassizismus stalins und hitlers gibt es keine brücke der vernunft, keine brücke des arguments, wohl aber eine brücke des mythos. der rückfall mussolinis vom futurismus in die architektur des alten rom ist der weg des mythos und entspricht dem rückfall leon kriers in eine filmstadt aus antiken versatzstücken.

über mythos kann man nicht streiten. aber über design kann man streiten. so wie man streiten kann über wissenschaft, technik, über ökonomie und politik, über alles, was die heutige welt bestimmt und sie zusammenhält oder auseinandertreibt. design ist zu begründen.

ich weiß, daß man das nicht wahrhaben will. magnago lampugnani sagt, der stuhl nähere sich heute dem kunstwerk. dafür müsse man einige unbequemlichkeiten in kauf nehmen. das wäre in anderen zeiten als barer unsinn, als stuß deklariert worden, in unserer pluralistischen gesellschaft scheint auch das denken pluralistisch zu werden, unkritisch, angepaßt, ausgewogen. an die stelle des kleinen einmaleins tritt das große sowohl-als-auch.

ein stuhl, auf dem man schlecht sitzt, ist ein schlechter stuhl. er kann vielleicht zu einem kunstwerk werden, sobald man ihn an die wand hängt, wo er eigentlich nicht hingehört, zu einer psychischen requisite. gutes design wird er nie.

man sieht, die einfachsten sachverhalte sind verschoben, verstellt, verdreht, verrückt, verhunzt. es scheint dem denken, auch dem denken in einfachen sachverhalten, nicht gut zu bekommen, wenn es sich in den mythos zurückzieht und die erscheinung als symbol versteht.

es gibt heute kein homerisches lachen, keinen homerischen spott mehr, sonst würde eine solche neue philosophie allein von der puste weggefegt werden, die das lachen über ein solches programm auslösen müßte. nein, wir bleiben ernsthaft dabei, auf einem unbequemen stuhl zu hocken, wenn er nur ein angehendes kunstwerk ist.

ein stuhl, auf dem man nicht gut sitzt, ist ein schlechter stuhl, auch wenn er sich zum kunstwerk eignet. er ist schlechtes design.

eine solche aussage hat heute seltenheitswert. wer andersherum argumentiert, eben daß stühle sich heute dem kunstwerk nähern und man infolgedessen einige unbequemlichkeiten in kauf nehmen müsse, wird neuer direktor des architekturmuseums in frankfurt (wie magnago lampugnani).

der frühere direktor, der kunsthistoriker heinrich klotz, ist heute berufen, in karlsruhe ein neues zentrum für moderne medien, kunst und design zu machen. dies im auftrag von lothar späth, dem hellhörigsten ministerpräsidenten, der seinem land eine „new future“ geben wollte. lothar späth hat die zeichen der zeit erkannt. während franz josef strauß seinem land einen neuen öko-nomischen input geben wollte mit atomenergie, atomwissenschaft, atomtechnik, und eine neue industriezone von oberpfaffenhofen, ottobrunn, wackersdorf bis erlan-gen, ist lothar späth auf einer etage höher angekommen, bei der informationsgesellschaft, bei silicon valley, beim computer und bei computer-art.

beide landesherren haben dem liberalen staat mit seiner marktwirtschaft ein schnippchen geschlagen und haben wirtschaftspolitik, forschungspolitik und kulturpolitik als merkantilistisches planungs- und steuerungselement eingesetzt. zum wohl ihrer bürger. zwar beteuerte jeder, keine staatseingriffe zu dulden, und lothar späth sagte, nichts sei dümmer, als wenn ein politiker sich in die kul-tur einmischen wollte.

weder franz josef strauß noch lothar späth machten kultur-, forschungs- oder wirtschaftspolitik als solche, aber sie verteilten die mittel, die subventionen, jede mark und jeden pfennig, den die öffentlichkeit für kultur, wirtschaft, wissenschaft und forschung ausgibt. ob das nicht planung und lenkung ist?

die politik von franz josef strauß ist, ein jahr nach seinem tod, mit dem ende von wackersdorf, ein friedhof. so schnell rennt der merkantilismus gegen seine eigene wand. der nobelpreisträger mößbauer, das eingekaufte aushängeschild der neuen forschung in bayern, wollte das land ohnehin am liebsten wieder verlassen.

lothar späth residierte weiter als ein fürst, er ließ der kultur, der wirtschaft, der forschung alle freiheit, wie er sagte. geld gab es aber für den, der diejenige kultur, diejenige wirtschaft, diejenige wissenschaft betrieb, die der landesvater wollte.

damit war lothar späth der sorgende vater all dessen, was sich im lande tut. er machte die kultur, er machte die wirtschaft, er machte die forschung, so wie jedes fürstenhaus das wohl seines landes bestimmte. es waren die herzöge von württemberg sowie die kurfürsten und markgrafen von baden, die die schlösser ludwigsburg, stuttgart, solitude, mannheim, karlsruhe bauten und den gewerbefleiß förderten, der aus den alemannischen landen blühende industriestaaten machte.

das ist zwar alles historienschwindel, denn es waren die handwerker, die städte, die zünfte, die ein blühendes land hervorbrachten, ehe es der absolutismus zugrunde richtete, die fürsten haben steuern erhoben und die einkünfte verbaut und verpraßt, so daß sie ihre landeskin-der gegen geld als kanonenfutter an fremde herrscher verkaufen mußten. trotzdem steht dieses modell, sagen wir das „blühende barock“, auch für die heutige kultur in diesem land pate.

kultur in baden-württemberg ist staatskultur. zwei beispiele:

das eine ist ulm und die schließung der privaten hochschule für gestaltung durch den staat. das andere ist das neue kunst- und medienzentrum in karlsruhe, ebenfalls eine initiative des staates.

lothar späth sagte es selbst, daß er es war, der die hochschule für gestaltung in ulm geschlossen hat, allerdings im auftrag des damaligen ministerpräsidenten filbinger und seines kultusministers hahn.

unglücklicherweise erhielt diese schule im nachhinein einen bedeutenden internationalen ruf. sie konnte nicht mehr durch gewolltes vergessen zugedeckt werden. lothar späth ging sogar so weit zu sagen, daß die schließung dieser schule eine seiner größten dummheiten gewesen sei. er ging noch weiter, er wollte eine nachfolgeinstitution gründen. so jedenfalls versteht sich das in karlsruhe entstehende zentrum für kunst und medien-technologie.

der beauftragte für dieses zentrum, heinrich klotz, sagt:

„als vorbild können das bauhaus dessau und die ehe-malige hochschule für gestaltung in ulm dienen. das bauhaus hat zum erstenmal die kunst vom handwerk auf die maschine orientiert. die ulmer hochschule hat in fortsetzung des bauhauses kunst und industrieprodukt verbunden. das ZKM bezieht, den neuen möglichkeiten des ausgehenden 20. jahrhunderts entsprechend, die künste auf die digitalen techniken.“

das ist, was ulm betrifft, schlichtweg falsch. das gegenteil ist richtig. der ruf und die arbeitsresultate der hochschule für gestaltung resultieren nicht aus einer verbin-dung, sondern aus einer trennung von kunst und industrie. wir haben künstlerateliers abgelehnt. die künstler und die kunst waren schon aus einer mangelnden vorbildung heraus nicht in der lage, auf die industrielle zivilisation einfluß auszuüben. wir mußten eine neue auffassung eines neuen, technisch orientierten designs entwickeln, das aus der technik für die technik denken konnte und aus dem wissen um produktion, verfahrenstechnik, herstellungsverfahren, ökonomische organisation kompe-tent genug war, einfluß zu gewinnen auf eine humanere gestaltung von industrieprodukten, eine bessere soziale verträglichkeit und die steigerung des gebrauchswerts. hierzu kann man landauf landab die kunst befragen, sie hat keine antwort dazu bereit. sie ist am jenseits, nicht am diesseits interessiert.

heinrich klotz ist kunsthistoriker. es ist kein besonderer ausweis seiner wissenschaftlichen methode, das glatte gegenteil dessen zu behaupten, was wirklich war. es gab kein künstlerisches vorbild für die gestaltung der radios und elektrogeräte der firma braun. es gab kein künstlerisches vorbild für das visuelle erscheinungsbild der deutschen lufthansa oder der olympischen spiele in münchen. im gegenteil, wenn jemand meinte, es gebe allgemeine künstlerische kriterien für das design, mußten wir uns von ihm trennen. wir dachten dinge aus der sache heraus. viele dozenten waren ursprünglich einmal künstlerisch tätig gewesen, ihre lebenserfahrung war aber genau umgekehrt: kunst ist untauglich für zweckgerichtete entwurfsarbeit. sie stört sie nur.

man kann infolgedessen bereits heute prognostizieren, daß die maler, die jetzt die neuen digitalen techniken verwenden sollen, sehr bald ihre computer stehenlassen werden, weil sie nicht wissen, wie mit ihnen umzugehen. ich habe selbst genügend praktische erfahrung mit computern, um zu wissen, wie schwierig es ist, sie zu bedienen, wenn man ihnen kreativität abverlangt. die schwaben, keine schlechten techniker und keine schlechten arbeiter, nennen sie „blechesel“. blechesel, weil man ihnen alles sagen muß, was sie zu tun haben, und weil sie nur auf den hören, der ihre sprache spricht.

ein designer muß in den kategorien der technik und der wissenschaft zu hause sein. die lehrpläne der hochschule für gestaltung in ulm waren modelle für neue konzepte des verantwortlichen umgangs mit der technik und ihre moralische und kulturelle beherrschung. zu malen war hier entschieden zu wenig, und mit ästhetischen empfindungen konnte man kein gespräch mit einem ingenieur oder einem ökonomen anfangen. sogar die ästhetischen dimensionen waren aus gebrauch und technik zu entwickeln.

gut, diese schule existiert nicht mehr. sie wurde abgewürgt, geschlossen, so wie auch das bauhaus dreißig jähre zuvor geschlossen wurde. damals von einer dikta-tur, diesmal von einer demokratie. in keinem fall kann man sie aber, ohne eigenes unverständnis zu demonstrieren, in beschlag nehmen für ein zentrum für kunst und medientechnologie und eine darin integrierte designschule. ulm wäre eine warnung.

die moderne hat sich, vielleicht am deutlichsten ablesbar in den werken der ingenieure des letzten jahrhunderts, aus einem unbefangenen umgang mit der technik als offenem system entwickelt. mit dem glaspalast von london, erbaut 1851 von joseph paxton, ist ihr konzept vollständig ausgebreitet. die kunst selbst war daran nicht beteiligt, sie hing damals der kopie historischer vorbilder nach, ein mehr peinlicher als kreativer vorgang.

diese haltung der moderne manifestiert sich weiter im konstruktivismus, bei dem allerdings technik oft expressiv verwendbares material für kunst war. sie ist heute wieder sichtbar in bauten von rogers, foster und hopkins, die sich auf buckminster fuller, prouve und wachsmann berufen. die moderne hat technik integriert, sie läßt sich definieren als kreative äußerung der technik selbst in der verantwortung gegenüber einer menschlichen gesellschaft.

ich komme auf den stuhl zurück. ein moderner stuhl in diesem sinn kann nur ein konstruktiv intelligenter stuhl sein, ein herstellungstechnisch sauber durchdachter stuhl, dem man die kriterien wissenschaftlicher ergonomie ansieht.

dieser stuhl ist allerdings nur zu entwerfen, wenn man den technischen verstand eines charles eames hat, der für seine arbeit den kopf ebenso anstrengte wie ein arzt für eine operation. visionen reichen hier nicht aus, sie richten sogar schaden an, und seien sie noch so künstlerisch.

die krise der moderne liegt darin, daß man an die stelle des denkens und der kriterien des machens eine ästhetische vision setzt.

eine solche vision sieht dann so aus, daß man einen stuhl hat aus einer mixtur von „zeitgemäßen“ materialien, von lochblech, buchenholz und plastik, bunt bemalt, eine spektakuläre erscheinung, aber ungeeignet, darauf zu sitzen. womit wir wieder beim motto der neuen welle wären, die freilich wie jede welle eine mode ist: die gegenstände werden zur kunst, das leben wird zur kunst.

das verhältnis von kunst und technik ist irreversibel. technik hat eine eigene technische schönheit. es gilt aber nicht umgekehrt, daß kunst eine technische dimension hat. die materielle technische bedeutung eines van gogh ist gleich null gegenüber seinem kunstwert oder gar seinem kunstmarktwert, ganz abgesehen davon, daß heutige kunst schon aus protest billigmaterial, müll und schrott verwendet. wir haben es hier mit zwei welten zu tun, einer, die an technik uninteressiert ist und sie untechnisch verwendet, und einer, die funktionierende technik ästhetisch verarbeitet. ein computer, der für kunst eingesetzt wird, muß nichts leisten und erzeugt beliebige ästhetische gebilde, aber immer die, die man ihm eingibt.

eine plastik, die etwas leistet, ist kein kunstwerk mehr, sondern eine maschine oder ein gerät, und ihre ästhetik ist bezogen auf ihren gebrauch. kunst aber will außerhalb der leistung stehen.

kunst ist syntax ohne semantik. sie will nichts mitteilen. sonst wäre sie eine nachricht. sie steht dem symbol näher als der aussage. sie widmet sich der redundanz. und wer bei dieser sachlage den versuch unternimmt, kunst auf die technik zu übertragen, der landet beim zuckerguß, sei er stalinistischer art oder von postmoderner qualität.

kunst bewegt sich im bereich des symbols. ein kreis, ein quadrat wird von kandinsky symbolisch interpretiert, ebenso die farben rot, grün oder blau. außerhalb der welt der symbole wäre ein stück filz oder ein stück margarine filz und margarine. in der kunst will es etwas anderes sein. vielleicht das, was man zeitgeist zu nennen pflegt, also etwas höheres, das uns an hegels weltgeist denken läßt. nur sind wir mißtrauisch geworden gegenüber einer weltvernunft. die wahrheit liegt in der sache, nicht darüber.

die krise der moderne interpretiere ich so, daß der inge-niöse konstruktivismus des 19. jahrhunderts, dokumentiert durch namen wie paxton, eiffel oder maillart, von der kunst eingeholt und in beschlag genommen, vereinnahmt wurde. diese dominanz der kunst ist ein widerspruch. es gäbe ihn nicht, wenn nicht obrigkeiten mit dieser art ästhetischer metaphysik politik machen könnten, kulturpolitik, die aber handfeste interessenpolitik ist, staatspolitik zur absicherung des status quo.