Die Welt aus Katzensicht - John Bradshaw - E-Book

Die Welt aus Katzensicht E-Book

John Bradshaw

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  • Herausgeber: Kosmos
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Zwischen den wildlebenden Katzen-Vorfahren und der heutigen Partnerschaft von Katze und Mensch liegt eine wechselvolle Entwicklung, die der Verhaltensforschers Dr. John Bradshaw beschreibt. Dabei verbindet er neue und erstaunliche Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung mit eigenen Erfahrungen und einem persönlichen Appell für den artgerechten Umgang mit den Samtpfoten.

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Hunde blicken zu uns auf,

Katzen schauen auf uns herab.

Winston Churchill

Wenn ein Mensch Katzen liebt, bin ich sein Freund und Kamerad, selbst wenn ich ihn kaum kenne.

Mark Twain

Vorwort

Was ist eine Katze? Katzen haben Menschen fasziniert, seit sie sich uns erstmals anschlossen, um in unserer Gesellschaft zu leben. Eine irische Legende besagt, dass „die Augen einer Katze Fenster sind, die uns in eine andere Welt blicken lassen“ – aber was für eine rätselhafte Welt ist das! Die meisten Haustierhalter würden mir zustimmen, dass Hunde eher offen und ehrlich sind. Sie geben ihre Absichten jedem preis, der ihnen Aufmerksamkeit schenkt. Katzen dagegen sind schwer greifbar: Wir akzeptieren sie zu ihren Bedingungen, aber im Gegenzug erfahren wir nie wirklich so ganz, wie diese Bedingungen eigentlich aussehen. Von Winston Churchill, der seine Katze „Jock“ als seinen „besonderen Assistenten“ bezeichnete, stammt folgendes berühmtes Zitat über die russische Politik: „Russland ist ein Rätsel innerhalb eines Geheimnisses, umgeben von einem Mysterium, aber vielleicht gibt es eine Lösung.“ Er hätte ebensogut über Katzen sprechen können.

Gibt es eine Lösung? Ich bin sicher, dass sie existiert, und ich bin des Weiteren überzeugt, dass die Wissenschaft sie liefern wird. Ich habe mein Zuhause mit einer ganzen Reihe von Katzen geteilt – und mir ist klar geworden, dass der Begriff „Katzenbesitzer“ die falsche Wortwahl ist, um diese Beziehung zu beschreiben. Ich war bei der Geburt mehrerer Würfe von Kitten dabei und begleitete meine alten Katzen durch ihren herzzerreißend endgültigen Abstieg in Senilität und Krankheit. Ich half bei der Rettung und Umsetzung verwilderter Katzen – Tiere, die wortwörtlich die Hand beißen wollten, die sie fütterte. Doch trotz alledem habe ich nicht das Gefühl, dass mein persönlicher Umgang mit Katzen mich viel darüber gelehrt hat, wie sie wirklich sind. Stattdessen haben mir die Arbeiten von Wissenschaftlern – Feldbiologen, Archäologen, Entwicklungsbiologen, Tierpsychologen, Genetikern und Anthrozoologen, wie ich es bin – die Teile des Puzzles geliefert, die allmählich die wahre Natur der Katze enthüllen, wenn man beginnt, sie zusammenzufügen. Uns fehlen immer noch einige Teile, aber langsam entsteht dennoch ein klares Bild. Deshalb ist dies ein guter Zeitpunkt, um eine Bestandsaufnahme unseres derzeitigen Wissens vorzunehmen und, wichtiger noch, um zu überlegen, wie wir unser Wissen nutzen können, um das Leben von Katzen zu verbessern.

Dass wir eine Vorstellung davon gewinnen, was sie denken, sollte uns nicht die Freude daran nehmen, Katzen zu „besitzen“. Eine Theorie besagt, dass wir die Gesellschaft unserer Haustiere nur deshalb genießen, weil wir uns der Illusion hingeben, sie seien „kleine Menschen“. Das hieße, dass wir Tiere lediglich halten, um unsere eigenen Gedanken und Bedürfnisse auf sie zu projizieren – sicher in dem Wissen, dass sie uns nicht mitteilen können, wie weit wir danebenliegen. Führt man diese Ansicht zu ihrem logischen Schluss und zwingt uns einzugestehen, dass sie uns weder verstehen noch kümmert, was genau wir zu ihnen sagen, könnte dies unserer Liebe zu ihnen Abbruch tun. Ich bin im Übrigen kein Anhänger dieser Theorie. Der menschliche Geist ist mühelos in der Lage, zwei auf den ersten Blick unvereinbare Ansichten über Tiere zu vertreten, ohne dass eine von ihnen andere Ansichten ausschließt. Das Konzept, dass Tiere uns in einigen Hinsichten ähneln und in anderen ganz und gar nicht, zeigt der Humor zahlloser Cartoons und Grußkarten, die einfach nicht lustig wären, wenn diese beiden Konzepte einander ausschließen würden. Tatsächlich ist genau das Gegenteil der Fall: Je mehr ich über Katzen lerne, sowohl durch meine eigenen Studien als auch durch die Forschung anderer, desto mehr schätze ich es, mein Leben mit ihnen teilen zu dürfen.

Katzen faszinieren mich seit meiner Kindheit. In meiner Jugend hatten wir zu Hause keine Katzen, auch nicht in der Nachbarschaft. Die einzigen mir bekannten Katzen lebten auf einem Bauernhof am Ende der Straße, und sie waren keine Schoßtiere, sondern Mäuse jagende Nutztiere. Mein Bruder und ich erhaschten gelegentlich einen neugierigen Blick auf sie, wenn sie von der Scheune zum Schuppen hinüberliefen, aber sie waren ausgesprochen beschäftigte Tiere und nicht besonders freundlich Menschen gegenüber, insbesondere nicht kleinen Jungen gegenüber. Einmal zeigte der Bauer uns ein Nest mit Kätzchen zwischen den Heuballen, aber er unternahm keinerlei Versuche, sie zu zähmen – sie waren einfach seine Versicherung gegen Schädlinge. In jenem Alter dachte ich, Katzen seien einfach Bauernhoftiere wie die Hühner, die auf dem Hof umherpickten, oder die Kühe, die jeden Abend zum Melken in den Stall zurückgetrieben wurden.

Die erste als Schoßtier gehaltene Katze, der ich begegnete, war das genaue Gegenteil dieser Bauernhofkatzen. Kelly war ein neurotischer Burmese, der einer Freundin meiner Mutter gehörte, welche unter Krankheitsschüben litt und keine Nachbarn hatte, die bereit waren, während ihrer Krankenhausaufenthalte ihre Katze zu füttern. Kelly wurde bei uns einquartiert und durfte nicht ins Freie, da die Gefahr bestand, er könne versuchen, nach Hause zu laufen. Er jaulte unablässig, fraß ausschließlich gekochten Kabeljau und war offenkundig daran gewöhnt, die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner in ihn vernarrten Halterin zu genießen. Während seines Aufenthalts bei uns hielt er sich die meiste Zeit hinter der Couch versteckt, aber wenige Sekunden, nachdem das Telefon geklingelt hatte und er sich vergewissert hatte, dass meine Mutter ihre Aufmerksamkeit der Person am anderen Ende der Leitung schenkte, kam er heraus, um seine langen Burmesen-Fangzähne in ihre Wade zu schlagen. Regelmäßige Anrufer gewöhnten sich daran, dass das Gespräch nach zwanzig Sekunden durch einen Schrei, gefolgt von einem unterdrückten Fluch, unterbrochen wurde. Begreiflicherweise schloss niemand von uns Kelly so richtig ins Herz, und wir waren stets erleichtert, wenn er wieder nach Hause zurückkehrte.

Erst als ich selbst Haustiere halten durfte, begann ich die schönen Seiten des Zusammenlebens mit einer normalen Katze zu schätzen, das heißt einer Katze, die schnurrt, wenn man sie streichelt, und die Leute begrüßt, indem sie ihnen um die Beine streicht. Diese Eigenschaften wurden wahrscheinlich auch von den Menschen geschätzt, die vor Tausenden von Jahren als erste ihre Behausungen mit ihnen teilten. Derartige Zuneigungsbekundungen sind auch typisch für einige gezähmte afrikanische Wildkatzen, die indirekten Vorfahren unserer Hauskatzen. Diesen Eigenschaften wurde im Laufe der Jahrhunderte immer mehr Bedeutung beigemessen. Während heute die meisten Katzenhalter ihre Tiere in erster Linie wegen ihrer Zuneigung schätzen, mussten domestizierte Katzen sich im Laufe ihrer Geschichte die meiste Zeit ihren Lebensunterhalt als Vertilger von Mäusen und Ratten verdienen.

Während ich immer erfahrener im Umgang mit Hauskatzen wurde, wuchs meine Wertschätzung für ihren Ursprung als Nutztier. Splodge, das flauschige schwarzweiße Kätzchen, das wir unserer Tochter schenkten, um sie über unseren Umzug hinwegzutrösten, wuchs rasch zu einem großen, struppigen und recht übellaunigen Jäger heran. Im Gegensatz zu vielen anderen Katzen war er furchtlos in Konfrontationen mit Ratten, selbst gegenüber ausgewachsenen Exemplaren. Er begriff schnell, dass ein Rattenkadaver auf dem Küchenfußboden, den wir entdecken sollten, wenn wir morgens zum Frühstück herunterkamen, nicht auf Begeisterung stieß. Danach erklärte er seine Jagdaktivitäten zu seiner Privatangelegenheit, auch wenn ich vermute, dass die Ratten dadurch längst nicht verschont blieben.

So couragiert er einer Ratte gegenüber war, so sehr mied Splodge für gewöhnlich andere Katzen. Ab und an hörten wir die Katzenklappe scheppern, wenn er in großer Eile nach Hause kam. Ein kurzer Blick aus dem Fenster bestätigte in der Regel, dass eine der älteren Nachbarskatzen anwesend war, den funkelnden Blick grundsätzlich in Richtung unserer Hintertür gewandt. Ein bevorzugtes Jagdgebiet von Splodge lag im nahen Park, doch die Wege dorthin und wieder zurück legte er möglichst unauffällig zurück. Seine Zurückhaltung gegenüber Artgenossen, vor allem gegenüber männlichen, war nicht nur typisch für das Verhalten vieler Katzen, sondern es verwies auch auf einen Mangel an sozialen Fähigkeiten, der vielleicht den größten Unterschied zwischen Hund und Katze darstellt. Die meisten Hunde haben keinerlei Schwierigkeiten, mit ihresgleichen zurechtzukommen, während andere Katzen für eine Katze oft eine Herausforderung darstellen. Dennoch erwarten heute viele Halter von ihren Tieren, dass sie Artgenossen problemlos akzeptieren – entweder, weil sie sich selbst eine zweite Katze anschaffen möchten, oder weil sie sich zu einem Umzug entschließen und ihre nichtsahnende Katze an einen Ort verpflanzen, den eine andere Katze als ihr Revier betrachtet.

Katzen reicht ein stabiles soziales Umfeld allein nicht aus; es liegt in der Verantwortung ihrer Halter, ihnen auch einen stabilen äußeren Lebensraum zu bieten. Katzen sind grundsätzlich territoriale Tiere, die sich stark an ihren Lebensraum binden. Einigen von ihnen genügt das Haus ihres Halters als Revier völlig. Lucy, eine andere meiner Katzen, zeigte kein Interesse am Jagen, obwohl sie eine Großnichte von Splodge war. Sie entfernte sich kaum jemals mehr als zehn Meter vom Haus – außer wenn sie rollig wurde. Dann entschwand sie für Stunden über den Gartenzaun. Libby, Lucys unter meinem Dach geborene Tochter, war ebenso geschickt im Jagen, wie Splodge es gewesen war, aber sie zog es vor, die Kater zu sich zu rufen, statt sie aufzusuchen. Obgleich all diese Katzen miteinander verwandt waren und alle die meiste Zeit ihres Lebens in demselben Haus wohnten, besaßen Splodge, Lucy und Libby unterschiedliche Persönlichkeiten. Wenn ich eines von ihnen lernte, dann dass es keine „ganz typische Katze“ gibt: Katzen haben ebenso Persönlichkeiten wie Menschen. Diese Beobachtung lieferte für mich den Anstoß, zu untersuchen, wie solche Unterschiede entstehen.

Die Metamorphose der Katze vom hauseigenen Kammerjäger zur tierischen Freundin und Lebensgefährtin ist noch jung und geschah schnell. Vor allem aber ist sie – besonders aus Sicht der Katze – eindeutig noch nicht abgeschlossen. Heutige Halter verlangen andere Charaktereigenschaften von ihren Katzen als die, die noch vor so kurzer Zeit wie vor einem Jahrhundert die Norm waren. In vielerlei Hinsicht tun Katzen sich mit ihrer neu entdeckten Beliebtheit schwer. Die meisten Halter fänden es besser, wenn ihre Katzen keine kleinen wehrlosen Vögel und Mäuse töten würden, während diejenigen, denen Wildtiere näher stehen als Haustiere, sich immer vehementer darüber beschweren, dass Katzen ihren Jagdtrieb ausleben. Tatsächlich sind Katzen heutzutage größerer Feindseligkeit ausgesetzt als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in den letzten zwei Jahrhunderten. Können Katzen ihr Erbe als vom Menschen erwählte Schädlingsbekämpfer ablegen, und das auch noch innerhalb weniger Generationen?

Die Katzen selbst sind sich dieser Kontroverse nicht bewusst, dafür aber umso mehr ihrer Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Katzen. Ihre Unabhängigkeit hat ihre Wurzeln wahrscheinlich in ihrer ursprünglich einzelgängerischen Lebensweise, aber diese Unabhängigkeit sorgt dafür, dass Katzen nur schlecht mit der Erwartung vieler Halter umgehen können, sie sollten die gleiche Anpassungsfähigkeit wie Hunde aufweisen. Können Katzen in Hinblick auf ihre sozialen Bedürfnisse flexibler werden, sodass ihnen die Nähe anderer Katzen nichts ausmacht, ohne dass sie hierdurch ihren einzigartigen Reiz verlieren?

Einer der Gründe, warum ich dieses Buch geschrieben habe, ist, mein Wunsch, einen Entwurf zu liefern, wie die Katze in fünfzig Jahren aussehen könnte. Ich möchte, dass die Menschen auch weiterhin die Gesellschaft eines zweifellos reizenden Tieres genießen, aber ich bin nicht sicher, ob die Katze sich als Spezies in die richtige Richtung entwickelt, um dies auch für die Zukunft zu gewährleisten. Je intensiver ich Katzen studiert habe, von der am stärksten verwilderten Katze bis hin zum verwöhntesten Siamkätzchen, desto mehr komme ich zu der Überzeugung, dass wir es uns nicht länger leisten können, Katzen einfach als Selbstverständlichkeit hinzunehmen: Eine achtsamere Herangehensweise an die Katzenhaltung und -zucht ist nötig, wenn wir ihre Zukunft sichern wollen.

Einleitung

Die Hauskatze ist heute weltweit das beliebteste Haustier. Rund um die Erde haben Hauskatzen den Hund als „besten Freund des Menschen“ überrundet: Es werden dreimal so viele Katzen wie Hunde gehalten.1 Da immer mehr von uns in Städten leben, einem nicht gerade idealen Lebensraum für Hunde, sind Katzen mittlerweile zum Haustier Nummer Eins avanciert. Mehr als ein Viertel aller Familien in Großbritannien besitzt eine oder mehrere Katzen, und wir treffen sie in einem Drittel aller Haushalte in den USA an. Sogar in Australien, wo die Hauskatze regelmäßig als herzloser Mörder unschuldiger, vom Aussterben bedrohter Beuteltiere verteufelt wird, hält ein Fünftel aller Haushalte Katzen. Überall auf der Welt werden Katzendarstellungen benutzt, um alle möglichen Konsumgüter zu bewerben, von Parfüm über Möbel bis hin zu Pralinen. Die Cartoonkatze „Hello Kitty“ ziert mehr als 50.000 verschiedene Markenprodukte in über 60 Ländern und beschert ihren Erfindern Milliarden von Dollar an Tantiemen. Obwohl eine nicht zu vernachlässigende Minderheit von Menschen – vielleicht eine von fünf Personen – keine Katzen mag, zeigt die Katzen liebende Mehrheit keinerlei Neigungen, auch nur einen Bruchteil der Zuneigung zu ihrem Lieblingstier aufzugeben.

Irgendwie schaffen Katzen es, gleichzeitig anhänglich und selbstständig zu sein. Im Vergleich zu Hunden sind sie pflegeleicht. Sie benötigen weniger Erziehung. Sie putzen sich selbst. Sie können den ganzen Tag lang alleine sein, ohne sich nach ihren Haltern zu sehnen wie Hunde es tun, aber trotzdem begrüßen sie uns liebevoll, wenn wir nach Hause kommen (nun gut, zumindest einige von ihnen). Ihre Fütterung wurde dank der Tierfutterindustrie von einer mühsamen Aufgabe in eine Kleinigkeit verwandelt. Die meiste Zeit verhalten Katzen sich unaufdringlich, während sie sich trotzdem über unsere Zuwendung freuen. In einem Wort: Sie sind praktisch.

Doch trotz ihrer scheinbar mühelosen Verwandlung in weltgewandte Städter sind Katzen mit drei von vier Pfoten noch fest in ihren Ursprüngen als Wildtiere verwurzelt. Während die Psyche des Hundes gegenüber der seines Urahns, dem Wolf, radikal verändert wurde, denken Katzen immer noch wie wilde Beutegreifer. Innerhalb einiger Generationen können sie zu der unabhängigen Lebensweise zurückkehren, die bis vor rund 10.000 Jahren das Privileg ihrer Vorfahren war. Selbst heutzutage sind viele Millionen Katzen keine Heimtiere, sondern verwilderte Nahrungsopportunisten und Jäger, die zwar in unmittelbarer Nähe von Menschen leben, ihnen jedoch nicht trauen. Dank der erstaunlichen Flexibilität, mit der Kitten lernen, Freund und Feind zu unterscheiden, können Katzen innerhalb nur einer Generation zwischen diesen extrem unterschiedlichen Lebensweisen wechseln, und der Nachwuchs verwilderter Elternteile ist dann von anderen als Schoßtier gehaltenen Hauskatzen nicht zu unterscheiden. Eine von ihrem Halter verlassene Katze, die kein neues Zuhause findet, wird sich vermutlich von Abfällen ernähren. Nach ein oder zwei Generationen verhalten ihre Nachkommen sich nicht anders als Tausende anderer verwilderter Katzen, die in unseren Städten ihr Dasein im Verborgenen fristen.

Während Katzen immer beliebter werden und ihre Zahl steigt, erheben diejenigen, die auf sie schimpfen, wieder ihre Stimmen – allerdings jetzt mit wesentlich größerer Feindseligkeit als noch vor einigen Jahrhunderten. Katzen haftete nie der Makel des „Unreinen“ an wie Hund und Schwein,2 aber trotz der oberflächlich betrachtet universellen Akzeptanz der Katze, gibt es in allen Kulturen eine Minderheit von Menschen, die Katzen nicht mögen, und etwa eine Person von 20 wird sagen, dass sie Katzen verabscheut. Fragt man Menschen aus dem westlichen Kulturkreis danach, so werden nur wenige von ihnen zugeben, dass sie keine Hunde mögen. Dabei stellt sich meistens heraus, dass diese Personen entweder überhaupt keine Tiere mögen3 oder ihre Aversion nachweislich auf einer schlechten Erfahrung, vielleicht einem Biss in der Kindheit, beruht. Die Angst vor Katzen4 sitzt tiefer, ist jedoch nicht so weit verbreitet wie die häufigen Phobien gegen Schlangen und Spinnen – Phobien, die dadurch logisch erklärbar sind, dass der Phobiker sinnvollerweise giftige Angehörige dieser Spezies meiden wird.

Nichtsdestotrotz ist die Katzenphobie nicht minder beklemmend für diejenigen, die von ihr betroffen sind. Höchstwahrscheinlich waren es primär Katzenphobiker, die deren religiös motivierte Verfolgung einläuteten, die Millionen von Katzen im mittelalterlichen Europa das Leben kostete, und die Angst vor Katzen war damals aller Wahrscheinlichkeit nach genauso verbreitet wie in unserer Zeit. Daher gibt es keine Garantie, dass die Beliebtheit der Katze andauern wird. Tatsächlich ist es möglich, dass das 20. Jahrhundert die Goldene Ära der Katzen bleiben wird, sofern wir nicht intervenieren.

Heute werden Katzen vor allem mit der Begründung angefeindet, dass sie nur aus reiner Freude daran jagen und unnötigerweise „unschuldige“ Wildtiere töten. Diese Stimmen sind am lautesten in Australien und Neuseeland, aber auch in Großbritannien und den Vereinigten Staaten gewinnen sie an Nachdruck. Die extremsten Vertreter der Anti-Katzen-Lobby verlangen, dass Katzen nicht länger jagen dürfen, dass als Haustiere gehaltenen Katzen der Freigang verwehrt wird und verwilderte Katzen getötet werden. Die Halter von Freigängern werden verunglimpft, weil sie einem Tier Obdach gewähren, das als Massenmörder der Wildtierwelt vor ihrer Haustür dargestellt wird. Tierärzte, die sich um das Wohlergehen verwilderter Katzen kümmern, indem sie diese kastrieren und impfen, um sie dann in ihren alten Revieren wieder freizulassen, wurden aus den eigenen Reihen angegriffen, wobei einige Fachleute der Ansicht sind, dass dies ein (illegales) Aussetzen sei, mit dem man weder der Katze noch der Tierwelt in ihrem Lebensraum einen Gefallen tue.5

Beide Parteien dieser Debatte geben zu, dass Katzen „von Natur aus“ Jäger sind, können sich jedoch nicht darauf einigen, wie mit diesem Verhalten umzugehen ist. In Teilen Australiens und Neuseelands gelten Katzen als „fremde“ Beutegreifer, die von der Nordhalbkugel eingeschleppt wurden. In einigen Gegenden ist ihre Haltung untersagt. In anderen existieren „Ausgangssperren“ oder die Mikrochipkennzeichnung ist vorgeschrieben. Selbst an Orten, an denen Katzen jahrhundertelang Seite an Seite mit der heimischen Tierwelt gelebt haben, wie in Großbritannien und den Vereinigten Staaten, hat ihre wachsende Popularität eine lautstarke Minderheit die gleichen Auflagen verlangen lassen. Katzenbesitzer verweisen auf fehlende wissenschaftliche Beweise dafür, dass Hauskatzen einen signifikanten Beitrag zur Dezimierung von Wildvögeln oder Säugetierarten leisten, die in erster Linie der rapiden Zunahme anderer Faktoren geschuldet ist, wie dem Verlust natürlicher Lebensräume. Deshalb dürften Restriktionen in der Hauskatzenhaltung auch kaum dazu führen, dass der Bestand der angeblich von ihnen bedrohten Spezies sich wieder erholt.

Die Katzen selbst wissen natürlich nicht, dass wir ihr Jagdgeschick nicht länger schätzen. Aus ihrer Sicht geht die größte Bedrohung für ihr Wohlergehen nicht von Menschen, sondern anderen Katzen aus. So wie Katzen nicht mit der Fähigkeit geboren werden, Menschen zu lieben – sie müssen es als Kitten lernen –, so lieben sie auch nicht automatisch andere Katzen. Tatsächlich ist ihre Grundhaltung bestimmt von Misstrauen, sogar Furcht, gegenüber jeder Katze, der sie begegnen. Im Gegensatz zu den sehr sozialen Wölfen, den Vorfahren unserer heutigen Hunde, waren die Vorfahren unserer Katzen sowohl Einzelgänger als auch territorial. Als Katzen vor 10.000 Jahren ihre Beziehung zu Menschen eingingen, waren sie gezwungen, toleranter auf Artgenossen zu reagieren, damit sie – erst aufgrund der Umstände, dann freiwillig – in der höheren Bevölkerungsdichte leben konnten, die das menschliche Nahrungsangebot zuließ.

Katzen müssen die für Hunde typische Begeisterung für Kontakte mit Angehörigen ihrer eigenen Spezies erst noch lernen. Daher vermeiden viele Katzen ihr Leben lang den Kontakt mit ihresgleichen. Währenddessen versuchen die Halter ihnen das Zusammenleben mit anderen Katzen schmackhaft zu machen, obgleich es doch keinen Grund gibt, denen zu trauen – ob es sich nun um die Nachbarskatzen handelt oder eine Zweitkatze, die der Halter erwirbt, damit „sie nicht so allein ist“. Durch ihre gestiegene Beliebtheit erhöht sich auch die Zahl der Katzen, mit denen die einzelne Katze zwangsläufig in Kontakt kommt, was zu erhöhter Spannung führt. Da es immer schwieriger wird, soziale Konflikte zu vermeiden, können viele Katzen sich fast überhaupt nicht mehr entspannen. Der Stress, dem sie ausgesetzt sind, beeinflusst ihr Verhalten und ihre Gesundheit.

Die Lebensqualität vieler als Heimtier gehaltener Katzen ist nicht so hoch wie sie sein sollte, vielleicht weil ihr vernachlässigtes Wohlergehen nicht für so spektakuläre Schlagzeilen sorgt wie das von Hunden, oder vielleicht, weil sie in der Regel still leiden. Im Jahr 2011 schätzte eine tiermedizinische Organisation den durchschnittlichen Lebensraum und das soziale Umfeld einer Hauskatze als nur zu 64 % akzeptabel ein, während Haushalte mit mehr als einer Katze sogar noch schlechter abschnitten. Die Kenntnisse der Halter über Katzenverhalten schnitten mit 66 % nur wenig besser ab.6 Zweifellos würden viele Katzen ein wesentlich glücklicheres Leben führen, wenn die Besitzer besser verstünden, wie ihre Katzen „ticken“.

Egal, ob wir sie mögen oder nicht: Angesichts solcher Widrigkeiten brauchen Katzen nicht unsere spontane emotionale Reaktion, sondern ein besseres Verständnis dafür, was sie von uns erwarten. Hunde sind sehr ausdrucksstark; ihre wedelnden Schwänze und ihr Anspringen zur Begrüßung lassen uns nicht darüber im Zweifel, dass sie glücklich sind, und sie zögern nicht uns wissen zu lassen, wenn sie unglücklich sind. Katzen dagegen sind unaufdringlich; nach meinen Erfahrungen behalten sie ihre Gefühle für sich und lassen uns selten wissen, was sie brauchen, wenn man vom Betteln um Futter, wenn sie hungrig sind, absieht. Am meisten aber brauchen Katzen unsere Hilfe, wenn ihr Sozialleben aus dem Ruder läuft.

Katzen benötigen dringend die Art von Forschungsarbeit, von der Hunde bereits profitiert haben, aber leider hat die Erforschung der Feliden nicht die gleiche explosionsartige Zunahme erfahren, wie es in jüngerer Zeit bei der Erforschung der Kaniden der Fall war. Dennoch hat es in den letzten 20 Jahren wichtige Fortschritte gegeben, die erheblichen Einfluss darauf haben, wie Wissenschaftler die Welt aus Katzensicht interpretieren und wie sie kätzische Verhaltensweisen bewerten. Diese spannenden Entdeckungen stehen im Mittelpunkt dieses Buches und liefern uns erste Hinweise darauf, wie wir Katzen helfen können, mit den vielen Anforderungen fertig zu werden, mit denen wir sie konfrontieren.

Katzen haben sich daran angepasst, an der Seite des Menschen zu leben, während sie gleichzeitig viele ihrer ursprünglichen Verhaltensweisen beibehalten haben. Abgesehen von der Minderheit der Rassekatzen sind Katzen keine menschengemachte Schöpfung wie Hunde. Hunde entwickelten sich gemeinsam mit uns und besetzten zwei Nischen, die wir ihnen unbeabsichtigt zur Verfügung stellten. Die erste Rolle, die Katzen in menschlicher Gesellschaft innehatten, war die des Schädlingsbekämpfers: Vor etwa 10.000 Jahren stießen wilde Katzen zu uns, um von der großen Zahl an Nagern zu profitieren, die sich in unseren ersten Getreidespeichern tummelten. Sie passten sich so an, dass sie lieber dort jagten als im Umland. Als die Menschen feststellten, wie nützlich ihre Anwesenheit war – schließlich zeigen Katzen keinerlei Neigung, sich Getreide und andere pflanzliche Nahrung einzuverleiben –, werden sie begonnen haben, die Katzen zum Bleiben zu ermutigen, indem sie ihnen gelegentlich tierische Nahrungsreste wie Milch und Innereien überließen. Die zweite Rolle der Katze, die sie sicherlich schon kurz darauf spielte, deren frühgeschichtliche Ursprünge jedoch für uns verloren sind, war die des Gesellschafts- und Schoßtiers. Die ersten Nachweise für die Katze als Heimtier stammen aus dem Ägypten vor 4.000 Jahren, aber Frauen und insbesondere Kinder dürften Kätzchen schon lange vor dieser Zeit als Streicheltiere adoptiert haben.

In den letzten Jahrzehnten wurden diese beiden Rollen des Schädlingsbekämpfers und Gesellschaftstiers plötzlich unvereinbar. Obwohl wir Katzen noch bis vor Kurzem aufgrund ihres Jagdtalents schätzten, zeigen sich heutzutage nur noch sehr wenige Halter begeistert, wenn ihre Katze ihnen eine tote Maus auf den Küchenfußboden legt.

Katzen tragen immer noch das Erbe ihrer Wildtiervergangenheit in sich, und ein Großteil ihres Verhaltens ist Ausdruck ihrer Wildtierinstinkte. Um zu verstehen, warum eine Katze sich so verhält, wie sie es tut, müssen wir einen Blick auf ihre Ursprünge und die Einflüsse werfen, die sie zu dem geformt haben, was sie heute ist. Deshalb beleuchten die ersten drei Kapitel dieses Buches die Evolution der Katze vom wilden, einzelgängerisch lebenden Jäger bis hin zum Hochhausbewohner. Anders als bei Hunden wurde nur mit einer kleinen Zahl von Katzen bewusst gezüchtet, und wenn, dann ausschließlich auf ein bestimmtes Erscheinungsbild hin. Niemand hat jemals Katzen gezüchtet, damit diese Häuser bewachen, Herden zusammenhalten oder menschliche Jäger begleiten, geschweige denn, um ihnen zu assistieren. Stattdessen haben Katzen im Laufe ihrer Evolution eine Nische besetzt, die durch die Entwicklung der Landwirtschaft entstanden war. Diese Nische entstand mit der Ernte und Einlagerung von Getreide, und sie existierte bis zur Entstehung der technisierten Agrarindustrie.

Natürlich blieben die weiteren Talente der Katze nicht unentdeckt, als sie erstmals vor Tausenden von Jahren in unsere Siedlungen vorstieß: ihre ansprechende Erscheinung, Gesicht und Augen, die denen eines Kindes ähneln, das weiche Fell sowie ihre Fähigkeit zu lernen, sich uns gegenüber freundlich zu verhalten. Letzteres dürfte der ausschlaggebende Faktor für ihre Haustierwerdung gewesen sein. Später verlieh die Menschheit mit ihrer Leidenschaft für Symbolismus und Mystizismus der Katze den Status einer Ikone. Vorherrschende Meinungen über Katzen wurden stets stark von solchen Assoziationen geprägt: Extreme religiöse Ansichten über sie beeinflussten nicht nur, wie sie behandelt wurden, sondern auch ihre Biologie – sowohl Verhalten als auch Aussehen.

Katzen veränderten sich, um an der Seite der Menschen zu leben, aber Katzen und Menschen eignen sich Informationen über die physische Welt, die wir – oberflächlich betrachtet – teilen, auf sehr unterschiedliche Art und Weise an. Auch interpretieren sie diese ganz anders. Die Kapitel 4 bis 6 untersuchen diese Unterschiede: Sowohl Menschen als auch Katzen sind Säugetiere, aber unsere Sinne und Gehirne arbeiten vollkommen unterschiedlich. Katzenhalter unterschätzen diese Unterschiede oft: Von Natur aus neigen wir dazu, die Welt um uns so zu interpretieren, als ob diese die einzige objektive Realität sei. Selbst in der heutigen, von Rationalität und Wissenschaftlichkeit geprägten Welt behandeln wir unsere Umgebung immer noch so, als hätte sie Gefühle, indem wir dem Wetter, dem Meer und den Sternen am Himmel Absichten unterstellen. Wie leicht ist es dann, zu dem Trugschluss zu kommen, dass die mit uns kommunizierenden, freundlichen Katzen doch mehr oder weniger kleine bepelzte Menschen sein müssen!

Die Wissenschaft enthüllt uns, dass Katzen alles andere als das sind. Beginnend mit der Art und Weise, wie jedes Kitten seinen eigenen Entwurf der Welt konstruiert, und zwar mit Konsequenzen für sein ganzes Leben, beschreibt dieser Teil des Buches, wie Katzen Informationen über ihre Umwelt sammeln. Insbesondere wird untersucht, wie sie ihren überdurchschnittlichen Geruchssinn einsetzen, wie ihr Gehirn die so erhaltenen Informationen interpretiert und nutzt und wie ihre Emotionen ihnen Chancen eröffnen, sie jedoch ebenso vor Herausforderungen stellen. Unter Wissenschaftlern ist es erst vor Kurzem salonfähig geworden, über die Emotionen von Tieren zu sprechen, und es existiert immer noch eine Lehrmeinung, Emotionen seien ein Nebenprodukt des Bewusstseins, woraus abgeleitet wird, dass kein Tier außer dem Menschen und vielleicht einigen Primaten überhaupt Emotionen haben kann. Wenn allerdings ein Tier, das unsere grundlegenden Hirnfunktionen und Hormonsysteme teilt, verängstigt aussieht, lässt der gesunde Menschenverstand keinen anderen Schluss zu, als dass es tatsächlich so etwas wie Angst verspürt – vielleicht nicht auf dieselbe Art, wie wir Angst spüren, aber nichtsdestotrotz Angst.

Das meiste (aber nicht alles), was die Biologie über die Welt der Katzen preisgegeben hat, deckt sich mit der These, dass Katzen sich zunächst als Beutegreifer entwickelten. Katzen sind auch soziale Tiere; sonst wären sie nie über ihre Rolle als Jäger hinaus zu Haustieren geworden. Die Anforderungen der Domestikation – vor allem ihr Zusammenleben mit anderen Katzen in menschlichen Siedlungen und die Tatsache, dass sie Vorteile erlangten, wenn sie freundschaftliche Beziehungen zu Menschen eingingen – haben das soziale Repertoire unserer Katzen gegenüber dem ihrer wilden Vorfahren bis zur Unkenntlichkeit verändert. Die Kapitel 7 bis 9 widmen sich im Detail diesen sozialen Beziehungen: Wie nehmen Katzen Artgenossen wahr und interagieren mit ihnen? Und warum können zwei Katzen vollkommen unterschiedlich auf die gleiche Situation reagieren? Mit anderen Worten, wir werden die „Persönlichkeit“ der Katze wissenschaftlich untersuchen.

Dieses Buch endet mit einer Betrachtung des Platzes der Katze in der Welt und einem Ausblick, wie dieser sich in den kommenden Jahrzehnten entwickeln könnte. Katzen sind dem Druck vieler unterschiedlicher Interessen ausgesetzt – katzenfreundlichen und -feindlichen. Rassekatzen sind immer noch eine Minderheit, und ihre Züchter haben die Chance, die Fehler zu vermeiden, die das Wohlergehen reinrassiger Hunde in den vergangenen Jahrzehnten beeinträchtigt haben.7 Allerdings kann der anhaltende Modetrend zu Hybridrassen, bei denen Hauskatzen mit Wildkatzenarten verpaart werden, was zu solchen „Rassen“ wie der Bengalkatze führt, unbeabsichtigte Konsequenzen haben. Wir müssen uns auch der Frage stellen, ob Katzen nicht unvermeidlich und subtil von denjenigen verändert werden, denen ihr Schutz am meisten am Herz liegt. Paradoxerweise könnte das Bemühen, so viele Katzen wie möglich zu kastrieren mit dem löblichen Ziel, das Leid der unerwünschten Kitten zu reduzieren, dazu führen, dass gerade die Charaktereigenschaften derjenigen Katzen, die eigentlich am besten für ein harmonisches Zusammenleben mit uns Menschen geeignet sind, hierdurch allmählich verloren gehen. Viele der Katzen, die der Kastration entgehen, sind diejenigen, die das größte Misstrauen gegenüber Menschen hegen und die besten Jäger sind. Die freundlichsten und fügsamsten Katzen hingegen werden heute kastriert, bevor sie Nachwuchs produzieren können, während die am stärksten verwilderten Katzen gute Chancen haben, den Einsätzen der Katzenretter zu entwischen, um sich nach Belieben fortzupflanzen. Dadurch lenken sie die Evolution ihrer Spezies weg von einer besseren Integration in die menschliche Gesellschaft, anstatt darauf zu.

Es besteht die Gefahr, dass wir von unseren Katzen mehr erwarten, als sie leisten können. Wir erwarten, dass ein Tier, welches über Jahrtausende hinweg unser bevorzugter Schädlingsbekämpfer war, plötzlich seine bisherige Lebensweise aufgibt, weil wir deren Folgen unappetitlich oder inakzeptabel finden. Wir erwarten auch frei entscheiden zu können, mit welchen Artgenossen oder Nachbarskatzen unsere Katzen vergesellschaftet werden, ohne Rücksicht auf ihren Ursprung als allein lebende, territoriale Tiere. Weil Hunde recht flexibel in ihrer Wahl hündischer Gesellschaft sein können, scheinen wir anzunehmen, dass Katzen ebenso tolerant auf jeden potenziellen Beziehungspartner reagieren, mit dem wir sie konfrontieren, bloß weil es uns so passt.

Bis vor etwa 20 oder 30 Jahren hielten Katzen mit unseren Anforderungen Schritt, aber jetzt haben sie Probleme, unseren Erwartungen gerecht zu werden. Vor allem sollen sie nicht länger jagen und keinen Drang mehr zeigen, ihr Heim zu verlassen und umherzustreifen. Im Gegensatz zu fast jeder anderen Haustierrasse, deren Vermehrung über viele Generationen bis weit in die Vergangenheit hinein streng überwacht wurde, erfolgte die Zuchtauslese der Katze auf ihrem Weg vom Wild- zum Haustier (mit Ausnahme der Rassekatzen) ausschließlich über natürliche Selektion. Katzen haben sich grundsätzlich so entwickelt, dass sie die Chancen nutzen konnten, die wir ihnen boten. Wir überließen ihnen die Wahl ihrer Fortpflanzungspartner, und die Kätzchen, die am besten für das Zusammenleben mit Menschen geeignet waren in der jeweiligen Funktion, die gerade von ihnen gefordert wurde, hatten die besten Chancen zu gedeihen und die nächste Generation in die Welt zu setzen.

Die Evolution wird keine Katze hervorbringen, die ohne Jagdtrieb und sozial so tolerant ist wie ein Hund – jedenfalls nicht innerhalb eines Zeitraums, der den Katzengegnern ausreichen wird. Zehntausend Jahre natürlicher Selektion haben die Katze mit genug Flexibilität ausgestattet, um sich immer noch selbst durchschlagen zu können, wenn ihr Abkommen mit dem Menschen von Zeit zu Zeit aufgekündigt wird. Andererseits ist sie nicht flexibel genug, um einen quasi aus dem Nichts aufgetauchten Anspruch innerhalb weniger Jahre erfüllen zu können. Selbst bei einem so fruchtbaren Tier wie der Katze müsste die natürliche Auslese über sehr viele Generationen hinweg stattfinden, damit ein Schritt in diese Richtung überhaupt deutlich erkennbar wäre. Nur bewusste, sorgfältige Zuchtwahl kann Katzen hervorbringen, die den Ansprüchen der Halter von morgen genügen und weniger Ablehnung erfahren.

Nicht nur durch Veränderungen ihrer Gene, sondern auch mit anderen Mitteln können wir das Dasein von Katzen in unserer heutigen Welt verbessern. Eine bessere Sozialisation der Kitten, mehr Verständnis, was für ein Lebensumfeld Katzen wirklich brauchen, sowie mehr bewusste Intervention, indem wir Katzen beibringen, wie sie mit Stresssituationen besser zurechtkommen – all diese Maßnahmen können ihnen helfen, sich an die Anforderungen anzupassen, die wir heute an sie stellen. Auch können sie dazu beitragen, die Bindung zwischen Katze und Halter zu vertiefen.

Katzen sind in vielerlei Hinsicht das ideale Haustier für das 21. Jahrhundert, aber werden sie es schaffen, sich an das 22. anzupassen? Wenn sie in unserer Gunst bleiben sollen – und die Verfolgung, die sie in der Vergangenheit erfuhren, ermahnt uns, dass diese keine Selbstverständlichkeit ist –, muss es einen Konsens zwischen Katzenschutzorganisationen, Umweltschützern und Katzenliebhabern geben, wie man einen Katzentyp schaffen könnte, der uns in allen Aspekten gerecht wird. Diese Veränderungen sollten wissenschaftlich begleitet werden. Ein erster Schritt in diese Richtung ist, dass Katzenhalter und die Öffentlichkeit besser verstehen lernen, woher Katzen kommen und warum sie sich so verhalten, wie sie es tun. Gleichzeitig können Halter den bröckelnden Ruf der Katze wieder rehabilitieren, indem sie lernen, das Verhalten ihrer Tiere in geeignete Bahnen zu lenken – nicht nur, um sie vom Jagen abzuhalten, sondern um ihr Leben insgesamt zu bereichern. Längerfristig wird uns die noch junge Forschung auf dem Gebiet der Verhaltensgenetik, die sich mit den für die Vererbung von Verhalten und „Persönlichkeit“ verantwortlichen Mechanismen befasst, gestatten, Katzen zu züchten, die sich noch besser an eine immer dichter besiedelte Welt anpassen können.

Wie die Geschichte zeigt, können Katzen in vielerlei Hinsicht für sich selbst sorgen. Allerdings können sie sich nicht ohne menschliche Hilfe den derzeitigen gesellschaftlichen Anforderungen an sie stellen. Hierfür muss unser Verständnis der Katze zu allererst in einem gesunden Respekt vor ihrem grundlegenden Wesen verankert sein.

1Die Katze am Wendepunkt

Die Katze als Heimtier ist heute ein globales Phänomen, aber wie sie sich vom Wild- in ein Haustier verwandelte, ist immer noch nicht enträtselt. Die meisten Tiere, mit denen wir uns schon früh umgaben, wurden aufgrund einer nüchternen Kosten-Nutzen-Rechnung gehalten: Kühe, Schafe und Ziegen liefern Fleisch, Milch und Felle. Schweine liefern Fleisch, Hühner Fleisch und Eier. Hunde, unsere zweitliebsten Haustiere, erfüllen immer noch sehr viele Aufgaben neben ihrer Rolle als Freund des Menschen: Sie helfen beim Jagen, Hüten, Bewachen, sie suchen Menschen und Gegenstände, um nur einige zu nennen. Katzen sind nicht annähernd so nützlich wie die hier genannten Tierarten, selbst ihr traditioneller Ruf als Vertilger von Nagetieren mag etwas übertrieben sein, wenngleich dies aus menschlicher Sicht historisch ihre eindeutige Aufgabe war. Deshalb fehlen uns – anders als beim Hund – im Fall der Katze einfache Erklärungen dafür, warum sie sich so erfolgreich in die menschliche Gesellschaft eingliederte. Um Antworten auf diese Frage zu finden, müssen wir unsere Suche vor zehn Jahrtausenden beginnen – in der Zeit, in der die Katze wahrscheinlich erstmals an unserer Türschwelle stand.

Hauskatzen der Steinzeit

Die meisten auf archäologischen und historischen Belegen basierenden Beschreibungen der Domestikation der Katze gehen davon aus, dass sie zuerst in Ägypten vor circa 3.500 Jahren in menschlichen Behausungen heimisch wurde. Diese Theorie wurde jedoch jüngst durch neue Erkenntnisse aus der Molekularbiologie infrage gestellt. Untersuchungen von Unterschieden in der DNA heutiger Hauskatzen und Wildkatzen haben die Anfänge der Haustierwerdung in eine viel frühere Zeit datiert, etwa in den Zeitraum vor 10.000 bis 15.000 Jahren (8.000 bis 13.000 v. Chr.). Wir können mit Sicherheit das früheste Datum dieser Zeitspanne verwerfen. Jeder vor 15.000 Jahren liegende Zeitpunkt ist unwahrscheinlich, da die Jäger und Sammler der Altsteinzeit weder den Bedarf noch die Ressourcen besaßen, um Katzen zu halten. Die Schätzung für den spätesten Zeitpunkt (vor 10.000 Jahren) fußt auf der These, dass domestizierte Katzen aus verschiedenen wilden Vorfahren entstanden, die von unterschiedlichen Orten im Mittleren Osten stammen. Mit anderen Worten: Die Haustierwerdung der Katze fand an mehreren, weit voneinander entfernten Orten statt, und zwar entweder mehr oder weniger gleichzeitig oder aber über einen längeren Zeitraum hinweg. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass die Domestikation der Katze ungefähr 8.000 v. Chr. begann, gibt es eine undokumentierte Zeitspanne von 6.500 Jahren, bis die ersten historischen Belege über domestizierte Katzen in Ägypten auftauchen. Bis jetzt haben nur wenige Wissenschaftler, ganz gleich welcher Disziplin, diese erste und längste Phase der Partnerschaft zwischen Mensch und Katze erforscht.

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