Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 614 - Maria Treuberg - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 614 E-Book

Maria Treuberg

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Beschreibung

Völlig durchnässt von dem überraschenden Platzregen erreicht Marion Schloss Hohenstein, wo sie heute ein Vorstellungsgespräch hat. Aber so zerrupft wie sie ausschaut, kann sie die Hoffnung auf die Stelle bestimmt vergessen.
Vor lauter Enttäuschung laufen ihr nun noch Tränen über die Wangen. Die Aussicht, ins Haus des Onkels zurückkehren zu müssen, erscheint ihr unerträglich. Keine einzige schöne Stunde hat sie dort verlebt, denn immer wieder lässt der grausame Mann sie spüren, welche Gnade er ihr Tag für Tag dadurch erweist, indem er sie, das uneheliche Kind einer verantwortungslosen und leichtsinnigen Mutter, aufgenommen hat.
Marion weiß, dass sie dieses trostlose Leben nicht mehr aushält. Sie muss die Stellung im Schloss bekommen - und dann hat sie eine Idee ...


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Inhalt

Cover

Keiner kannte ihr Geheimnis

Vorschau

Impressum

Keiner kannte ihr Geheimnis

Der Opfergang einer tapferen Frau

Völlig durchnässt von dem überraschenden Platzregen erreicht Marion Schloss Hohenstein, wo sie heute ein Vorstellungsgespräch hat. Aber so zerrupft wie sie ausschaut, kann sie die Hoffnung auf die Stelle bestimmt vergessen.

Vor lauter Enttäuschung laufen ihr nun noch Tränen über die Wangen. Die Aussicht, ins Haus des Onkels zurückkehren zu müssen, erscheint ihr unerträglich. Keine einzige schöne Stunde hat sie dort verlebt, denn immer wieder lässt der grausame Mann sie spüren, welche Gnade er ihr Tag für Tag dadurch erweist, indem er sie, das uneheliche Kind einer verantwortungslosen und leichtsinnigen Mutter, aufgenommen hat.

Marion weiß, dass sie dieses trostlose Leben nicht mehr aushält. Sie muss die Stellung im Schloss bekommen – und dann hat sie eine Idee ...

»Verzeihung«, bat Marion den alten Bauern, »können Sie mir sagen, wie ich nach Schloss Hohenstein komme?«

Der Mann erklärte ihr den Weg und streifte Marion dabei mit einem wohlgefälligen Blick. Sie war ein hübsches junges Mädchen mit kastanienbraunen Haaren, tiefblauen Augen und einer zarten Pfirsichhaut.

»Wollen Sie wegen einer Stellung aufs Schloss?«, erkundigte er sich dann freundlich.

»Ja. Ich habe mich um die Stellung einer Gutssekretärin beworben. Jetzt soll ich mich vorstellen.«

»Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg.«

Marion hielt sich genau an die Weisungen des Alten, bog am Teich links ab und ging an der Posthalterei vorbei. Von hier aus sah sie auch den schmalen Weg, der sich durch grüne Wiesen die Anhöhe hinaufschlängelte.

Schön ist es hier, dachte Marion. Überall grünte und blühte es. Nur der Frühlingswind wehte ein bisschen zu kräftig. Sie schaute zum Himmel hinauf. Da sah sie, dass sich im Westen dunkle Regenwolken zusammenzogen, die sich rasch näherten.

Unwillkürlich beschleunigte Marion ihre Schritte. Schloss Hohenstein mit seinen Türmchen und Erkern blickte majestätisch zu ihr herüber. Unter anderen Umständen hätte sie dem prächtigen Bauwerk Blicke der Bewunderung gezollt. Jetzt aber hatte sie nur einen Gedanken: So schnell es ging, ins Trockene zu kommen. Sie war in ihrem neuen blau-weiß gemusterten Kostüm so gar nicht auf Regen eingestellt.

Sie begann zu laufen und erreichte gerade das Tor des Gutshofes, als das Unwetter losbrach. Dicke Regentropfen fegten ihr ins Gesicht. Ein heftiger Windstoß riss ihr die Mütze vom Kopf. Sie griff danach, da fiel ihr die Tasche aus der Hand, und der Inhalt ergoss sich auf den Boden. Oh weh, ihre Zeugnisse! Der Wind fegte sie über den Gutshof.

Erschrocken lief Marion hinterher. Ganz gleich, ob sie diese Stellung nun bekam oder nicht, ihre Zeugnisse waren wichtig. Doch es war zu spät. Von dem strömenden Regen aufgeweicht, lagen nur noch schmutzige Papierfetzen auf der Erde.

Hastig sammelte Marion sie ein. Sie war schon völlig durchnässt. Die Haare hingen ihr in Strähnen ins Gesicht. Sie begann zu frieren.

Plötzlich ertönte neben ihr eine tiefe, angenehme Männerstimme.

»Pech gehabt, wie?«, fragte ein hochgewachsener junger Mann.

Marion nickte.

Der junge Mann bückte sich und half ihr, die letzten Gegenstände aufzulesen. Dann nahm er sie an die Hand, und im Laufschritt ging es zum Verwalterhaus hinüber.

Sie betraten einen Büroraum, in dem eine Sekretärin an der Schreibmaschine saß. Sofort unterbrach sie ihre Arbeit und sprang diensteifrig auf.

»Mein Gott, Herr Graf!«, rief sie. »Sie sind ja patschnass!«

Marion fuhr herum. Mit einem schnellen Blick streifte sie den jungen Mann. Das war Graf von Hohenstein? Sie konnte es kaum fassen. Einen Grafen hatte sie sich ganz anders vorgestellt, würdiger und hoheitsvoller, vielleicht auch ein bisschen blasiert und hochmütig.

Die Sekretärin wollte dem Grafen beim Ablegen behilflich sein.

»Lassen Sie nur«, wehrte er ab. Er zog den Reißverschluss seiner wetterfesten Jacke herunter und deutete auf Marion. »Kümmern Sie sich lieber um diese junge Dame, Fräulein Wieprecht. Ich glaube, sie hat Ihre Hilfe nötiger als ich.«

Ratlos schaute die Sekretärin Marion an. Das Einzige, was helfen konnte, waren trockene Kleider. Aber wo sollte sie die hernehmen?

Der Graf schien die Gedanken der Sekretärin zu erraten.

»Gehen Sie mit unserem Gast hinauf zu Frau Kunze. Sie möchte so nett sein und ihr ein trockenes Kleid leihen.«

Die Augen der Sekretärin weiteten sich belustigt. Und der Graf wusste auch warum. Frau Kunze, die Verwaltersgattin, hatte recht üppige Formen. Ihre Kleider würden diesem zarten Persönchen viel zu groß sein.

Fräulein Wieprecht führte Marion in das Obergeschoss. Hier befand sich die Wohnung des Verwalterehepaares.

Wortlos und völlig verwirrt ließ sich Marion von Frau Kunze in das Bad schieben. Wenig später wurden ihr durch den Türspalt trockene Kleidungsstücke und ein Frottiertuch gereicht.

»Vielen Dank«, hauchte Marion.

Während sie sich auskleidete und ihre Haut und ihre Haare trocken rubbelte, weilten ihre Gedanken bei dem Grafen, bei diesem hochgewachsenen blonden Mann mit dem leicht gebräunten energischen Gesicht und den stahlblauen Augen. So sah der Mann aus, von dem sie manchmal träumte, ja, genauso. Und sie stellte sich vor, wie sie mit ihm Hand in Hand unter blühenden Bäumen dahinschritt.

Dann schrak sie plötzlich zusammen. Wohin verirrte sie sich? Hirngespinste waren das, Tagträume, die zu nichts führten.

In einem braunen Wollkleid von Frau Kunze, das viel zu weit und viel zu lang war, kehrte Marion in das Verwalterbüro zurück.

Die Sekretärin erhob sich und öffnete eine Tür.

»Wenn Sie bitte hineingehen wollen, Fräulein Hoffmeister? Der Herr Graf und der Herr Verwalter erwarten Sie bereits.«

Unsicher betrat Marion den Raum. Graf Hohenstein machte sie mit dem Verwalter bekannt. Er war ein vierschrötiger Mann, der sie aus unfreundlichen Augen anschaute.

Verlegen blickte Marion zu dem Grafen. Er lächelte sie aufmunternd an und machte eine einladende Handbewegung.

»Wenn Sie bitte Platz nehmen möchten, Fräulein Hoffmeister?«

Marion setzte sich. Sie war äußerst angespannt. Nur mühsam kamen ihr die Worte, mit denen sie auf die Fragen des Verwalters antwortete. Obgleich sie es in ihrer Bewerbung schon erwähnt hatte, wollte er noch einmal wissen, welche Handelsschule sie besucht hatte und wo sie bisher tätig gewesen war.

»Sie sind neunzehn Jahre alt«, stellte er, den Blick auf ihren Lebenslauf gerichtet, fest.

Marion bejahte.

»Und warum wollen Sie Ihre jetzige Stellung aufgeben?«

»Ich dachte mich zu verbessern.«

Das war nur die halbe Wahrheit. Denn der Hauptgrund, warum sie ihre Stellung in der Stadt aufgeben wollte, waren die unerquicklichen häuslichen Verhältnisse. Seit dem Tode der Mutter lebte sie im Hause des Onkels, und dort war sie keineswegs gern gesehen. Die Tante machte ihr das Leben schwer, immer wieder ließ sie durchblicken, welche Gnade man ihr dadurch erwies, dass man sie, das uneheliche Kind einer verantwortungslosen und leichtsinnigen Mutter, aufgenommen hatte.

»Wir werden Sie dann benachrichtigen, Fräulein Hoffmeister«, sagte der Verwalter abschließend. »Sie bekommen in den nächsten Tagen Bescheid.«

Mit einem schnellen scheuen Blick streifte Marion den Grafen, der während der Verhandlung nicht ein einziges Wort gesagt hatte.

»Sie können unmöglich wieder in Ihre nassen Kleider schlüpfen«, sagte er nun. »Es wird das Beste sein, wenn Sie diese Sachen anbehalten und unser Chauffeur Sie im Wagen heimbringt. Einverstanden?«

Ein dankbares Lächeln stahl sich auf Marions zartes Gesicht.

»Vielen Dank, Herr Graf.«

»Das ist doch selbstverständlich.« Zum Abschied reichte er ihr die Hand. »Ich wünsche Ihnen eine gute Heimfahrt. Auf Wiedersehen.«

Ein letztes Mal schaute Marion zu ihm auf. Wieder trafen sich ihre Blicke, und Marion fühlte sich wie verzaubert. Irgendwie hatte sich die Welt verändert an diesem Vormittag. Sie spürte es ganz deutlich. Es war etwas geschehen in ihrem Leben, das sie niemals wieder vergessen würde.

Kaum hatte Marion das Verwalterbüro verlassen, ging erneut die Tür auf. Baroness von Stegemann, sehr schlank und sehr elegant, betrat den Raum.

»Wer war denn die kleine Vogelscheuche, die mir da eben begegnet ist?«, fragte sie.

»Vogelscheuche?« Der Graf runzelte die Brauen. »Ich fürchte, Ilona, du hast nicht richtig hingeschaut. Diese kleine Vogelscheuche, wie du dich auszudrücken beliebtest, ist in Wahrheit ein ganz reizendes junges Mädchen. Hast du nicht bemerkt, welch ausgezeichnete Figur und wie schöne blaue Augen sie hat?«

Ilona wurde hellhörig. Was waren denn das für Töne?

Hatte Philipp sich etwa in dieses Gänschen verguckt? Nun, dann hatte er die Rechnung ohne Ilona von Stegemann gemacht. Seit ihr Vater das Nachbargut erworben hatte, arbeitete Ilona zielstrebig darauf hin, dem Grafen von Hohenstein näherzukommen. Das war nicht leicht gewesen. Doch jetzt zeigten sich die ersten Erfolge. Wenigstens einen Teil ihrer Freizeit konnte sie gemeinsam mit dem Grafen verbringen.

Die Baroness begann also zu hoffen, und sie war nicht gewillt, das, was sich da in ganz bescheidener Form anbahnte, von einer anderen zerstören zu lassen.

»Wer war denn diese junge Dame, von der du so begeistert bist?«, fragte Baroness Ilona neugierig.

»Sie ist unsere neue Gutssekretärin.«

»Aber Herr Graf«, schaltete sich der Verwalter ein, »das ist doch noch gar nicht entschieden. Wenn Sie mich fragen, ich halte Fräulein Hoffmeister für denkbar ungeeignet.«

»Und warum?«, fragte der Graf.

»Sie ist viel zu jung für diese Stellung.«

»Das haben Sie schon gewusst, als sich Fräulein Hoffmeister bei uns bewarb«, gab der Graf lachend zurück. »Damit können Sie mir jetzt nicht kommen. Außerdem ist Fräulein Wieprecht auch nicht viel älter.«

»Zudem wirkte dieses Fräulein Hoffmeister sehr unsicher und gehemmt«, führte der Verwalter nun an. »Ich traue ihr nicht zu, dass sie etwas leisten kann.«

»In solchem Aufzug hätten Sie sich ebenfalls gehemmt gefühlt, Kunze. Überlegen Sie doch einmal. Ein Wolkenbruch überrascht Sie. Man leiht Ihnen Kleider, die überhaupt nicht passen. Den möchte ich sehen, der da noch seine Sicherheit behält.« Der Graf blickte zu Baroness von Stegemann hinüber. »Ist es nicht so, Ilona?«

Die junge Dame nickte, obwohl sie ein wenig verärgert feststellte, dass der Graf sich sehr eifrig für dieses Fräulein Hoffmeister einsetzte. Offenbar hatte er ihr viel zu tief in die blauen Augen geschaut.

»Wollen wir nicht zum Schloss hinübergehen, Philipp?«, fragte die Baroness.

»Natürlich, Ilona, wir gehen sofort«, erwiderte der Graf. »Über Marion Hoffmeister reden wir noch einmal«, sagte er an den Verwalter gewandt, ehe er mit der Baroness das Büro verließ.

♥♥♥

Zur gleichen Zeit saß Marion in dem großen Wagen des Grafen, der mit hoher Geschwindigkeit über die Autobahn rollte. Vorbei ging es an bewaldeten Hügelketten, an Wiesen und Feldern. Stunde um Stunde glitt der Wagen dahin. Dann wurde das Land flacher, der Horizont weiter. Die Norddeutsche Tiefebene begann. Noch etwa eine Stunde Fahrt, dann erreichten sie die Stadt, in der Marion wohnte.

Als sie vor einem großen grauen Haus hielten, schaute Marions Tante gerade aus dem Fenster. Der Chauffeur öffnete den Schlag. Marion stieg aus, versprach, ihm Frau Kunzes Kleidungsstücke sofort zurückzubringen, und eilte ins Haus. Sie stieg die Treppen hinauf. Tante Frieda, bebrillt und spitznasig, stand schon in der geöffneten Tür.

»Warum hast du dir denn ein Taxi genommen?«, fragte sie tadelnd. »Bist wohl zu fein, mit der Straßenbahn nach Hause zu kommen.«

»Es ist ein Wagen vom Schloss«, entgegnete Marion.

»Vom Schloss?« Frieda Hoffmeister blickte das junge Mädchen verständnislos an. Erst jetzt bemerkte sie die fremden Kleider.

»Ich bin in ein Unwetter geraten«, erklärte Marion. »Ich war völlig durchnässt. Darum hat man mir diese Kleider geliehen.«

Erst während des Abendessens erkundigte sich die Tante, ob Marion die Stellung bekommen habe.

»Das ist noch unbestimmt«, entgegnete das junge Mädchen. »Ich soll benachrichtigt werden.«

»Wenn das so ist«, prophezeite die Tante hämisch, »bekommst du diese Stellung bestimmt nicht.« Zustimmung heischend, wandte sie sich an ihren Mann. »Nicht wahr, Fritz? Ist es nicht so?«

Fritz Hoffmeister murmelte etwas Unverständliches. Er stand völlig unter dem Pantoffel seiner Frau und teilte um des lieben Friedens willen stets ihre Meinung.

Nach dem Abendessen äußerte Marion den Wunsch, noch auf ein Stündchen zu ihrer Freundin Hannelore zu gehen.

»Aber komm pünktlich heim«, befahl Frau Hoffmeister schroff. »Du weißt, dein Onkel und ich legen uns um zehn Uhr schlafen. Da hast auch du im Hause zu sein.«

»Selbstverständlich, Tante Frieda«, murmelte Marion. Dann streifte sie einen leichten Mantel über und eilte die Treppe hinunter. Es war nur ein kurzer Weg, und so stand sie bald vor der Wohnung ihrer Freundin.

»Marion!«, rief Hannelore Steiner erfreut, als sie die Tür öffnete. »Fein, dass du wieder da bist. Komm herein und leg ab. Sicher hast du mir eine Menge zu erzählen.«

Hannelore Steiner war eine fröhliche junge Frau. Sie war zwei Jahre älter als Marion und glücklich verheiratet. Gemeinsam mit ihrem Mann bewohnte sie eine entzückende kleine Wohnung. Marion kam gern zu der Freundin. Nur hier fühlte sie sich richtig wohl.

Die junge Frau holte aus der Küche etwas zum Knabbern. Dann führte sie Marion auf den Balkon.

»Ist es nicht schön hier?«, fragte sie. »Die Geranien habe ich selbst gezogen.«

Bewundernd ließ Marion ihre Blicke über die Blumenpracht gleiten.

»Es ist wirklich schön bei euch, Hannelore. Ich bin froh, dass ich so oft kommen darf.« Marion setzte sich in einen Korbsessel. »Wo ist Herbert heute Abend? Hat er wieder Dienst?«

»Ja leider«, stieß die junge Frau seufzend hervor. »Das ist die Kehrseite, wenn man mit einem Bahnbeamten verheiratet ist. Aber nun erzähle, Marion. Hast du die Stelle bekommen?«

»Ich kriege in den nächsten Tagen Bescheid.«

»Du bekommst die Stelle bestimmt«, meinte Hannelore. »Immerhin hast du die Abschlussprüfung in der Handelsschule mit Auszeichnung bestanden. Und wie war es sonst? Ist die Gegend hübsch?«

»Oh ja, sehr hübsch. Schloss Hohenstein liegt auf einer sanften Anhöhe, von der man einen weiten Blick ins Tal hat. Das Schloss selbst habe ich mir allerdings nur flüchtig anschauen können, weil mich ein Unwetter überraschte.«

»Und wie waren die Menschen, die du kennengelernt hast?«

Marion wiegte nachdenklich den Kopf.

»Teils, teils, Hannelore. Der Gutsverwalter ist mir nicht sonderlich sympathisch, und ich fürchte, das beruht auf Gegenseitigkeit. Der junge Graf hingegen ...« Ein verträumtes Lächeln umspielte ihre Lippen.

»Hast du dich etwa in ihn verliebt?«, fragte Hannelore.

»Verliebt?« Marion lauschte dem Klang ihrer eigenen Stimme nach. »Nein, das glaube ich nicht.«

Die junge Frau musterte sie skeptisch.

»Weißt du, Marion, ich will mich nicht in deine Angelegenheiten einmischen, aber vielleicht ist es doch besser, wenn du diese Stellung gar nicht antrittst. Ich fürchte, der junge Graf könnte dir gefährlich werden. Und das brächte nur Konflikte. Denn darüber bist du dir doch klar, Marion, ein Graf würde dich niemals heiraten.«

»So weit denke ich ja gar nicht«, wehrte Marion verlegen ab. »Ich bin ja noch jung. Ich will noch nicht heiraten. Ich möchte nur fort aus dem Hause meines Onkels. Man sieht mich dort nicht gern – zumindest die Tante nicht. Und darum wäre es das Beste für mich, wenn ich diese Stellung bekommen würde.«

»Und wenn nicht?«

»Dann muss ich mir etwas anderes suchen.«

Hannelore erhob sich.

»Komm, gehen wir hinein. Hier draußen wird es zu kühl.«

Sie schloss die Balkontür und zog die Vorhänge zu. Dann setzte sie sich wieder.

»Sag mal, Marion, hast du denn gar keine anderen Verwandten als deinen Onkel und deine Tante?«

»Nein. Mein Vater ist doch schon vor meiner Geburt mit dem Auto verunglückt. Ob er Geschwister hatte, weiß ich nicht.«

»Und seine Eltern?«

»Über sie ist mir nicht viel bekannt. Sie waren ja gegen die Ehe ihres Sohnes mit meiner Mutter. Selbst nach seinem Unfall und nach meiner Geburt haben sie Mutter nicht die Hand zur Versöhnung gereicht.«

Hannelore schüttelte den Kopf.

»Ich verstehe diese Menschen nicht. Sie sind doch deine Großeltern.«

»Sie haben sich aber nie um mich gekümmert«, entgegnete Marion bitter.

Hannelore seufzte tief auf.

»Ein trauriges Gespräch, das wir heute Abend führen. Aber das soll gleich anders werden.« Sie erhob sich und ging zu einem Schrank, entnahm ihm eine Flasche und zwei Weingläser. Dann stellte sie leise Musik an. »Ist das nicht eine wunderhübsche Melodie? So richtig zum Träumen.«

Marion lächelte, und als sie ein paar Takte mitsummte, war Hannelore zufrieden. Die Freundin blickte wieder zuversichtlicher in die Welt.

♥♥♥

Auf Schloss Hohenstein pflegte man das Frühstück im Gartensalon einzunehmen. In breiten Bahnen fiel der Sonnenschein durch das Fenster. Ungehindert konnte der Blick in den Park schweifen, in dem herrliche alte Bäume standen.

Die gräfliche Familie war um einen runden Tisch versammelt. Graf Karl-August, ein großer schlanker Mann mit graublauen Augen und schlohweißem Haar, beherrschte das Gespräch. Seine aufmerksamste Zuhörerin war seine Gattin Gräfin Marie-Charlotte. Auch nach fast vierzig Jahren führen die beiden eine sehr glückliche Ehe.