Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 688 - Maria Treuberg - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 688 E-Book

Maria Treuberg

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Beschreibung

Alles Liebe zum Geburtstag, meine kleine Annette, möge ein glückliches Leben vor dir liegen", wünscht Jean de Fournier, ein reicher Weinbauer aus dem Elsass, seiner geliebten Tochter und schließt sie in die Arme.
Annette birgt ihr tränenüberströmtes Gesicht an der Schulter des Vaters und schluchzt herzzerreißend. An diesem Tage wollte sie sich eigentlich mit ihrer großen Liebe verloben. Doch längst ist alles aus. Der junge Mann, an dessen Liebesschwüre sie glaubte, hat sie zutiefst gedemütigt, und das Mädchen weiß, dass es diesen Treuebruch niemals verwinden wird.
Während der Vater tröstende Worte spricht und Annette zu dem reich gedeckten Gabentisch führt, ahnen beide nicht, dass heute noch eine riesige Überraschung auf sie wartet ...


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Inhalt

Cover

Tränen am Geburtstagsmorgen

Vorschau

Impressum

Tränen am Geburtstagsmorgen

Erfolgsroman um eine große Herzensentscheidung

Alles Liebe zum Geburtstag, meine kleine Annette, möge ein glückliches Leben vor dir liegen«, wünscht Jean de Fournier, ein reicher Weinbauer aus dem Elsass, seiner geliebten Tochter und schließt sie in die Arme.

Annette birgt ihr tränenüberströmtes Gesicht an der Schulter des Vaters und schluchzt herzzerreißend. An diesem Tage wollte sie sich eigentlich mit ihrer großen Liebe verloben. Doch längst ist alles aus. Der junge Mann, an dessen Liebesschwüre sie glaubte, hat sie zutiefst gedemütigt, und das Mädchen weiß, dass es diesen Treuebruch niemals verwinden wird.

Während der Vater tröstende Worte spricht und Annette zu dem reich gedeckten Gabentisch führt, ahnen beide nicht, dass heute noch eine riesige Überraschung auf sie wartet ...

»Um Gottes willen, Jo, was hast du mit deinen Haaren gemacht?« Mit diesen Worten begrüßte Tilla von Werden ihren Freund, als sie ihm die Tür ihres kleinen, eleganten Apartments öffnete.

Der mit Jo angeredete, Joachim Graf von Friedberg, fuhr sich mit komischer Verzweiflung über sein kurzes dunkelbraunes Haar. Seine recht lange Mähne war der Schere des Friseurs zum Opfer gefallen.

»Nun beruhige dich, Tilla, und versuche dich an meinen Anblick zu gewöhnen«, sagte er lachend und betrat das kleine Wohnzimmer, dessen Tür ihm die Freundin einladend öffnete.

»Sag jetzt nicht, du wärest, seitdem du dir den neuen Haarschnitt hast verpassen lassen, auch unter die Abstinenzler gegangen«, meinte Tilla skeptisch und hielt mit fragendem Gesichtsausdruck die Whiskyflasche hoch.

»Nein, nein, Tillakind«, versicherte Joachim, »da kann ich dich völlig beruhigen.«

Gut gelaunt hielt der junge Mann der Freundin sein Glas entgegen.

»Nun erzähle erst einmal, Jo«, forderte Tilla den Freund auf und kuschelte sich wie ein Kätzchen neben ihn auf die Couch.

»Zunächst einmal lass dir sagen, liebste Tilla«, begann Joachim und drückte das hellblonde Mädchen leicht an sich, »dass mein Bruder Dietmar genauso kurz gelockt herumläuft wie ich. Also, sei nicht allzu überrascht, wenn wir uns heute Abend in der ›Pinguin-Bar‹ treffen.«

»Ja, du lieber Gott, warum denn nur?«, fragte Tilla lachend.

»Gestern Abend gab es einen großen Familienkrach im Hause Friedberg«, erklärte Joachim.

Neugierig blickte Tilla ihn an.

»Etwas sehr Seltenes zumindest«, meinte sie. »Es hieß bislang doch immer, im Hause Friedberg gäbe es keine Generationsprobleme.«

»Eben«, versetzte Joachim, »und aus diesem Grunde haben Dietmar und ich uns auch dem weisen Ratschluss unseres alten Herrn gebeugt.«

»Du machst es wirklich spannend, Jo«, sagte das Mädchen und schenkte dem Freund erneut das Glas voll.

»Du kennst doch die alte Familientradition der Friedbergs, Tilla«, sagte Joachim, »demzufolge ein jeder Friedberg, ehe er den väterlichen Besitz übernimmt, ein Handwerk erlernen muss.«

»Aber natürlich. Dein alter Herr hat bei den Abenden auf Schloss Friedberg oft genug von seinen Wanderjahren erzählt. Aufgrund des Erzähltalentes deines Papas haben wir immer wieder gern die romantischen Geschichten gehört.«

»Und nun stell dir vor, Tilla, was gestern Abend geschah. Dietmar und ich haben Abitur, Militär und das Studium der Landwirtschaft glücklich hinter uns und könnten nun eigentlich auf den väterlichen Besitzungen unseren Dienst antreten.«

»Dein Vater hat doch nicht etwa von euch beiden verlangt, dass ihr die Familientradition fortsetzt?«, fragte Tilla ungläubig.

Joachim nickte, halb belustigt, halb verzweifelt.

»Genau das hat er, beste Tilla!«

»Nein«, rief das Mädchen, »nein, Jo, so etwas gibt es doch nicht. Er kann doch eine so alte, verstaubte Familientradition nicht aufrechterhalten.«

»Mein Vater möchte es so. Anhand der alten Familienchronik bewies er uns, dass wir die Ersten wären, die die Tradition brechen würden, wenn wir uns weigerten, seiner Bitte zu folgen.«

»Und deine Mama?«, fragte Tilla. »Ich kann es mir von der mondänen und eleganten Gräfin Friedberg kaum vorstellen, dass sie dieser antiquierten Familientradition zuliebe dulden würde, dass ihre Söhne als wandernde Handwerksburschen durch die Lande ziehen.«

»Mama war selbstverständlich dagegen«, bestätigte Joachim, »sie hat geredet wie ein Buch, um Papa von der Sinnlosigkeit dieser Familienklausel zu überzeugen, allerdings ohne Erfolg.«

»Mein Gott! Dietmar und du, ihr seid doch volljährig und beide staatlich geprüfte Diplomlandwirte, ihr könntet euch doch dieser verrückten Familientradition widersetzen!«

»Könnten wir«, erwiderte Joachim trocken, »aber unserem geliebten alten Herrn zuliebe, den wir beide sehr verehren, beugen Dietmar und ich uns seiner Anordnung.«

»Und zieht nun als wandernde Handwerksburschen, den Stab in der Hand, das Ränzel auf dem Rücken, durch die Lande, um Arbeit zu suchen?«, stichelte Tilla.

»Nun, Tilla, ganz so arg ist es nicht«, meinte Joachim. »Selbstverständlich brauchen wir nicht drei Jahre lang wie die Lehrlinge in einer Werkstatt zu lernen. Ein Jahr über, so möchte es der Vater, sollen wir uns bei einem Handwerksmeister frischen Wind um die Nase wehen lassen.«

»Das wird ein Gelächter geben heute Abend in der ›Pinguin-Bar‹«, sagte Tilla, »die beiden Grafen von Friedberg als arbeitsuchende Wandergesellen. Wie hat dein Bruder denn alles aufgenommen?«

»Dietmar willigte schneller ein als ich«, bekannte Joachim, »denn da er sich ohnehin weniger für die Landwirtschaft interessiert als für die Pferdezucht des Gutes, wird er später einmal die Verwaltung des Gestüts übernehmen. Nebenbei will er, wie du weißt, sich als Journalist und Schriftsteller betätigen.«

»Ich weiß, Jo. Dietmar ist ein ausgezeichneter Schriftsteller und hat ja wohl auch schon Verschiedenes veröffentlicht.«

Joachim lachte.

»Nun, siehst du, als Folge dessen findet er es halt nicht so abwegig, ein Jahr lang in einer Druckerei zu arbeiten, um das Verlagswesen einmal von der Pike auf zu erlernen.«

»Und du, mein Freund?«, fragte Tilla honigsüß. »Sargtischler vielleicht, um die Familiengruft der Friedbergs aus eigener Produktion zu beliefern?«

Seufzend erhob sich Joachim.

»Komm, Tilla, die anderen warten schon auf uns. Nein, um auf deine Frage zu antworten, ich habe mich noch nicht für irgendetwas entschieden.« Das Mädchen schmiegte sich eng an den Freund.

Verführerisch blickte sie aus den tiefblauen Augen mit den langen Wimpern zu ihm auf.

»Keine Liebe heute, Jo?«

Joachim befreite sich sanft aus den Armen Tillas.

»Heute nicht, Tilla, der Abend mit den Freunden wird etwas länger werden als sonst. Dietmar und ich feiern ja unseren Abschied.«

Erschrocken blickte Tilla den jungen Mann an.

»Was? So schnell schon? Wann wollt ihr beide denn aufbrechen?«

»Anfang nächster Woche, Tilla, je rascher wir fortziehen, umso schneller geht das Jahr herum.«

Tilla fühlte Tränen in ihren Augen aufsteigen. Sie liebte den braunhaarigen jungen Grafen mit einer wilden Leidenschaft. Eigentlich hatte sie mit der Verkündung der Verlobung zum Osterfest gerechnet. Auch ihr Vater, der Besitzer einer Reihe gut gehender Ledergeschäfte, hätte nichts gegen eine baldige Heirat einzuwenden gehabt. Die Anordnung des alten Grafen von Friedberg durchkreuzte sämtliche Pläne des Mädchens.

»Gehen wir, Jo«, sagte sie verstimmt, »lasse den Wagen bitte vor meinem Hause stehen. Wenn du meinst, dass der Abend lang wird, ist es ohnehin besser, du bleibst bei mir und fährst nicht erst nach Friedberg hinaus.«

♥♥♥

Fast allabendlich fand sich eine fröhliche Clique sorgloser Nichtstuer aus den ersten Kreisen der Stadt und des Landkreises in der »Pinguin-Bar« zusammen.

Fast ausschließlich Söhne und Töchter des Landadels und der Geschäftswelt waren es, die hier allabendlich das Geld ihrer reichen Eltern ausgaben. Manch einer von ihnen hatte ein Studium absolviert, andere wiederum hatten einen längeren Auslandsaufenthalt hinter sich.

Die Bardamen, Kellner und Mixer der »Pinguin-Bar« belächelten zwar diese kleine Gruppe vom väterlichen Gelde zehrender junger Leute, akzeptierten sie aber als die bestzahlenden Gäste des Hauses.

Joachims Bruder Dietmar, der sich bereits als Schriftsteller bei verschiedenen Verlagen einen guten Ruf geschaffen hatte und über ein erstaunliches Erzähltalent verfügte, hatte an dem heutigen Abend bereits mit überraschendem Lacherfolg den vorangegangenen Familienkrach im Hause Friedberg geschildert.

So trafen Tilla und Joachim eine vergnügte und bereits leicht beschwipste Gruppe an, als sie das Lokal betraten und ihren Stammtisch in der dunkelsten Ecke der Bar aufsuchten.

»Hallo, Tilla, was sagst du zu deinen Handwerksburschen?«, fragte lachend Günter Scholz und hob sein Glas der Freundin entgegen. »Dein Bruder hat uns eure Familienszene von gestern bereits als Sketch vorgeführt, Jo, du brauchst uns nichts mehr zu berichten.«

Joachim tauschte einen raschen Blick mit seinem Bruder Dietmar, der, ihm selbst sehr ähnlich, nur ein wenig größer und kräftiger, den Arm um ein schwarzes Mädel mit dunkelgrünen Lidschatten geschlungen, am Tisch der jungen Gruppe den Ton angab.

So ganz heimisch hatten sich die Brüder Friedberg in dieser Clique stets vergnügter Müßiggänger nie gefühlt. Immerhin hatten beide ihr landwirtschaftliches Studium mit Eifer betrieben und selbst eine Praktikantenzeit auf Lehrgütern zugebracht, die keineswegs immer rosig für die jungen Eleven gewesen war. Da die Eltern der anderen Mitglieder der Clique zumeist Freunde oder Nachbarn der Friedbergs waren, hatten die beiden jungen Grafen sich ihnen aber ganz selbstverständlich angeschlossen.

»Wir haben schon gehört, Jo«, sagte Jim, ein junger Amerikaner, der pro forma in einem maßgebenden Hotel der Stadt das Hotelfach erlernte, da er der Erbe eines gewaltigen Konzerns war, dessen Hotels sich auch über ganz Europa verteilten, »was dir und deinem Bruder blüht. Für welches Handwerk hast du dich denn entschieden? Dein Bruder will sich ja in einer Druckerei umsehen.«

Joachim überlegte einen kurzen Augenblick.

»Ich wähle das romantischste aller Handwerke, Jim«, erklärte Joachim dann lachend, obwohl ihm keineswegs danach zumute war, »das Handwerk des Hans Sachs: Ich werde Schuhmacher!«

Brüllendes Gelächter quittierte die Verkündung.

Dietmar tauschte erneut einen verständnisvollen Blick mit seinem Bruder.

»Und was habt ihr dagegen, ihr Dummköpfe?«, fragte Dietmar. »Warum sollte ausgerechnet mein Bruder Joachim nicht das Schusterhandwerk erlernen, wo er doch eines Tages die Tochter eines Lederwarenexperten zum Traualtar führen wird?«

Ein rascher Blick streifte Tilla von Werden.

»Richtig, Dietmar«, sagte sie zu Joachims Bruder, »du hast vollkommen recht, auch meinem Papa wäre es nicht unlieb, wenn sein Schwiegersohn ein wenig in der Verarbeitung von Lederwaren Bescheid wüsste. Das Schuhmacherhandwerk ist genau das, was für die Zukunft von uns beiden von Bedeutung sein könnte.«

Das Mädchen Tilla sah ihren Weizen blühen.

Nun hatte Dietmar, ihr Schwager, wenn ihre Träume wahr würden, es laut und deutlich vor aller Ohren verkündet, dass sie, Tilla von Werden, einmal die Frau des Bruders sein würde.

Stolz warf sie den blonden Kopf in den Nacken.

»Gut, Jo«, gab sie zu, »wenn euer komisches Familiengesetz es nun einmal verlangt, dann werde Schuhmacher, um ihm Genüge zu tun. Ein umso besserer Chef wirst du eines Tages deinen Arbeitern sein.«

»In erster Linie, Tilla, werde ich Landwirt sein«, sagte Joachim nicht ohne Verlegenheit, »die Verwaltung der väterlichen Güter liegt mir näher am Herzen als die Ledergeschäfte deines Vaters.«

»Das wird sich miteinander vereinbaren lassen«, sagte Tilla ein wenig unwillig.

Fred Grützmacher, ein reicher junger Freund des Hauses Friedberg, lächelte vergnügt in sein gefülltes Glas hinein.

»Die Situation, Freunde, fordert ja geradezu dazu heraus, dass unser Jo eine Romanze mit ›des Meisters blondem Töchterlein‹ beginnt.«

»Sofern der Meister ein solches hat«, warf Tilla ein und konnte es nicht verhindern, dass ihre Stimme ein wenig schrill klang.

»Ach«, meinte Dorrit, eine junge Dolmetscherin, »wie romantisch. Jo darf überhaupt keine Stellung antreten bei einem Meister, der keine Tochter hat!«

»Selbstverständlich wird uns Jo regelmäßig seine Berichte hierher in die ›Pinguin-Bar‹ schicken, damit wir seine Handwerkerlaufbahn von unserem Stammtisch aus verfolgen können«, meinte Horst Ehrhardt, seines Zeichens zukünftiger Marineattaché. »Und wenn ein blondes Meisterstöchterlein dazugehört, so werden wir Freunde es akzeptieren als zu dem traditionellen Wanderjahr der Friedbergs gehörend ohne wesentliche Bedeutung für Joachims Zukunft.«

Tilla hörte mit verkniffener Miene zu.

»Nun mache doch nicht ein so beleidigtes Gesicht, Tilla«, wandte sich Horst ihr nun zu. »So eine kleine Romanze gehört nun mal zu den Erlebnissen eines Wandergesellen. Natürlich wird nichts Ernstes daraus«, versicherte er.

»Na gut, Jo«, sagte Tilla ohne rechte Überzeugung, »dann suche dir einen Arbeitsplatz bei einem Meister mit einem Töchterlein, das Gretchenzöpfe hat und Dirndlkleider trägt. Aber wir bitten uns regelmäßige Berichte im echt friedbergschen Stil aus, launig und humorvoll. Vielleicht kann der Druckerlehrling Dietmar deine Berichte eines Tages in einem kleinen Taschenbuch verwerten.«

»Wird gemacht«, erklärte Dietmar schmunzelnd, »und ich garantiere euch einen Bestseller!«

Noch lange saßen die Freunde am heutigen Abend in der Bar zusammen. Eine sorglose, lautstarke Gruppe unbekümmerter Menschen, die versuchte, den beiden »Handwerksburschen« den Abschied aus der frohen Runde leicht zu machen.

♥♥♥

»Ich kann Papa einfach nicht verstehen«, stießt Lilian Gräfin von Friedberg seufzend hervor, eine attraktive Fünfzigerin, als sie am Morgen des Abschieds ihren beiden Söhnen die Brote übergab, die ihnen als Reiseproviant dienen sollten.

»Nun mal ruhig Blut«, sagte Dietmar und strich sanft über die zart geschminkte Wange der Mutter, »das eine Jahr geht auch herum, und denke, mit welchem Stolz Papa in die Familienchronik eintragen wird: ,Dietmar von Friedberg erlernte das Druckerhandwerk, Joachim von Friedberg das Schuhmacherhandwerk.' Traditionen sind nun einmal dazu da, dass man sie fortsetzt.«

»Natürlich, Dietmar«, gestand die Mutter ihm zu, »aber die Zeiten haben sich vollkommen geändert. Es ist doch lächerlich, an diesen alten Traditionen festzuhalten.«

»Das kann man so oder so sehen, Mama«, sagte Joachim. »Mir jedenfalls wäre der Gedanke unerträglich, dass Papa traurig wäre, wenn wir seinem Wunsch nicht folgen würden. Schon allein darum dürfen wir die alte Tradition nicht brechen.«

In diesem Augenblick betrat der alte Herr das Gartenzimmer von Schloss Friedberg, in welchem die Familie das Frühstück einzunehmen pflegte.

»Na, ihr beiden Wandergesellen«, sagte er lachend, »zum Abmarsch bereit?«

»Warum gestattest du den Jungen nicht wenigstens, ihre Wagen mitzunehmen, Wolf-Heinrich?« Die Gräfin blickte ihren Gatten anklagend an. »Ein Handwerker hat doch heutzutage meistens einen Wagen!«

Der alte Graf schüttelte den Kopf, während ein Schimmer von Humor in seine Augen trat.

»Weil es der Tradition widerspräche, Liliane«, erwiderte er gut gelaunt, aber mit Festigkeit, »als wandernde Handwerksburschen zogen die Grafen von Friedberg seit Jahrhunderten durch die Lande, suchten sich einen Meister, erlernten ein Handwerk und kehrten, reich an Erfahrung, auf ihren väterlichen Besitz zurück. Du bist ebenfalls eine Friedberg durch unsere Heirat, liebste Liliane, und nun sei ehrlich: Hast du es jemals bereut?«

Damit beugte sich der Graf über die gepflegte Hand seiner Frau.

Frau Liliane blickte mit ihren schönen Augen in die humorvollen des Gatten. Leicht schüttelte sie den gut frisierten Kopf.

»Nein, Wolf-Heinrich«, sagte sie leise, »nicht eine Sekunde lang habe ich es bereut, deine Frau und eine Friedberg geworden zu sein. Aber ist die alte Tradition nicht eine Härte für die Jungen?«

»Sie haben die Militärzeit überstanden, Liliane, sie werden auch die Handwerkerzeit überstehen. Die Jungen sind doch aus unserem Fleisch und Blut.« Eine Sekunde lang lehnte Gräfin Liliane ihren Kopf an die raue Jagdjoppe ihres Mannes.

»Du hast wieder einmal gesiegt, alter Brummbär«, sagte sie nicht ohne Zärtlichkeit.

Die beiden jungen Grafen tauschten einen verständnisvollen Blick. Die Ehe der Eltern war vorbildlich, und das zur Überraschung der gesamten Nachbarschaft. Der etwas raubeinige Graf und die elegante, weltoffene Gräfin bildeten ein etwas sonderbares Gespann. Jedoch außer kleinen Reibereien, deren Ursache zumeist die beiden Söhne waren, hatte es noch nie einen ernstlichen Krach in der gräflich-friedbergischen Ehe gegeben.

Der Graf zog die goldene Sprungdeckeluhr.

»Wenn ihr heute noch eine tüchtige Wegstrecke zurücklegen wollt, Kinder, ist es Zeit zum Aufbruch.«

»Dann muss es also sein, ihr Lieben«, sagte die Gräfin, »Papachen und der alten Familientradition müssen Genüge getan werden.«

Sie umarmte zuerst Dietmar.

»Dich, Dietmar«, sagte sie, »lasse ich leichteren Herzens ziehen. Ich sehe es ein, dass du als Schriftsteller den besten Einblick ins Druck- und Verlagswesen gewinnen kannst, wenn du dich ein paar Monate in einer Druckerei umschaust.«

Dann zog sie ihren Jüngsten, Joachim, an ihr Herz.

»Aber dich, Joachim, lasse ich ungern fort von Friedberg. Die Schnapsidee, Schuster zu werden, kann ich nun einmal nicht billigen.«

»Bedenke, Mamachen, dass Joachim der Schwiegersohn eines Lederhändlers wird«, sagte Dietmar, während Joachim sich nicht ohne Rührung aus den Armen der Mutter befreite.

»Nun könnt ihr, Papachen und du, ein Jahr lang eure Flitterwochen wiederholen«, versuchte Joachim zu scherzen.