Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten? - Sara Weber - E-Book
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Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten? E-Book

Sara Weber

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Beschreibung

Sara Weber ist Journalistin, Expertin für die Arbeitswelt der Zukunft und war als Redaktionsleiterin von LinkedIn das Gesicht des Netzwerks in Deutschland, bis sie selbst Teil der "Great Resignation" wurde. In diesem Buch geht sie den Fragen nach, die gerade eine ganze Generation umtreiben, und zeigt Lösungen auf, die Arbeit besser machen können. Im März 2020 änderte sich alles. Homeoffice war plötzlich die neue Norm. Alle mussten sich digitalisieren und transformieren – ob sie wollten oder nicht. Die Arbeit drängte weiter ins restliche Leben, zur Erwerbsarbeit kam noch mehr Carearbeit. Die Schere zwischen systemrelevanten Berufen und Bürojobs ging weiter auf. Covid hat uns gezeigt, was in der Arbeitswelt nicht mehr funktioniert. Und da ist nicht nur die Pandemie. Überschwemmungen, Waldbrände, Inflation, Krieg – unsere Welt steht in Flammen, im wahrsten Sinne des Wortes. Und wir? Brennen aus, um bloß keine Deadline zu reißen. Was zur Hölle machen wir da eigentlich? Warum tun wir uns das an? Immer mehr Menschen stellen sich diese Fragen, einige ziehen Konsequenzen. In den USA hat der Trend sogar schon einen Namen: "The Great Resignation", das große Kündigen. Es bricht eine neue Ära an, aber weder durch agile Methoden noch durch Yoga im Alltag wird es gelingen, ein für uns alle und für den Planeten verträgliches Wirtschaften zu realisieren. Wir müssen uns überlegen, wie Arbeit heute und morgen wirklich funktionieren kann – mit einem Fokus auf Gerechtigkeit, Zukunftsfähigkeit und den Menschen.

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Seitenzahl: 285

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Sara Weber

Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Sara Weber

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Motto

Einleitung

Teil 1 

Wir sind alle verdammt erschöpft

Niemand hat mehr Lust zu arbeiten (vor allem nicht die Gen Z)

Die große Kündigungswelle

Händeringend Stellen zu besetzen

Teil 2 

Was wäre, wenn wir alle weniger arbeiten?

Was wäre, wenn wir von überall arbeiten könnten?

Was wäre, wenn Arbeit wirklich gleichberechtigt wäre?

Was wäre, wenn wir uns besser organisieren?

Was wäre, wenn wir für das Klima arbeiten würden?

Was wäre, wenn wir uns nicht mal für den Traumjob kaputtarbeiten?

Wie wir dem kollektiven Burnout entfliehen und endlich besser arbeiten

Danksagung

Literaturverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Für meine Eltern

Inhaltsverzeichnis

You are not the work you do; you are the person you are.

Toni Morrison

 

 

Of course I do not waste my precious dreams on labor.

Ally Ang

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Während ich dieses Buch schreibe, stapelt sich Krise auf Krise. 2022: Corona ist immer noch nicht verschwunden. Es ist Krieg in Europa. Die Klimakrise zeigt sich immer deutlicher – auch wenn wir »erst« bei 1,2 Grad globaler Erwärmung stehen. Dürre und Überschwemmungen wechseln sich ab. Ganze Länder werden weggeschwemmt. Inflation, Affenpocken, Atomkrieg? Die 20er-Jahre glichen bisher einem unappetitlichen Krisensandwich. Eigentlich müssten wir alles tun, um diese Krisen zu lösen. Stattdessen arbeiten wir einfach weiter.

 

Unterbewusst habe ich diese Absurdität zum ersten Mal richtig gespürt, als wir in den ersten Corona-Lockdown gegangen sind, im März 2020. Als diese ganze Sache mit der globalen Pandemie noch neu war und wir nicht wussten, was uns erwartet. Alles um uns herum hat dichtgemacht. Auch ich ging nur noch zum Einkaufen und Spazieren raus.

Eigentlich ein Moment, um alles fallen zu lassen, oder? Stattdessen arbeitete ich so viel wie nie zuvor und saß den ganzen Tag in Meetings. Zeit innezuhalten und das anzuerkennen, was da passierte, hatte ich keine. Auch meine Freizeit wurde von der Arbeit gefressen. Und wenn es dann doch mal einen kurzen Moment der Ruhe gab, sah der erschreckend ähnlich aus wie Arbeit: Nach den Zoom-Meetings zu aktuellen Projekten reihten sich Zoom-Happy-Hours mit Freund*innen. Das Leben rückte für mich und viele andere Menschen in die eigene Wohnung, vor den Laptop. Arbeit und Leben verschmolzen. Work-Life-Balance? Vergiss es.

Das war die eine Seite der Arbeitswelt. Die andere Seite hieß auf einmal »systemrelevant«, und die Menschen, die darin arbeiteten, riskierten ihre Gesundheit und ihr Leben: Damit alle anderen weiterhin Essen kaufen und Müll produzieren, im Krankenhaus behandelt werden und Medikamente abholen konnten. Damit das Leben weiterlaufen konnte. Am Anfang klatschten wir noch für die Pflegekräfte vom Balkon, trugen brav unsere selbst genähten Masken. Aber irgendwann wurde das Klatschen leiser. Viele Menschen waren einfach viel zu müde vom Homeschooling und all den Meetings und der zwölften Diskussion über die Impfung. Wir hatten uns nichts mehr zu erzählen, denn niemand erlebte irgendwas – außer Arbeit.

Und dann, als wir die Hoffnung hatten, dass all das irgendwann vielleicht doch vorbei sein könnte, kam der Krieg. Ich erinnere mich daran, wie ich am Morgen des 24. Februars 2022 aufgewacht bin. Das war der Moment, in dem ich so richtig bewusst gespürt habe, wie kaputt alles ist. Ich schaute aufs Handy. In der Nacht hatte Russland die Ukraine angegriffen. Der Krieg in Europa, von dem wir alle gehofft hatten, dass er noch abgewendet werden konnte: Er war da. Im Fernsehen waren Panzer und Explosionen zu sehen, verzweifelte Menschen, die sich in U-Bahn-Schächten versteckten und versuchten, aus dem Land zu fliehen. Ich war erschüttert und traurig und wütend. Ich wollte helfen und fühlte mich machtlos. Dann setzte ich mich reflexhaft an den Schreibtisch, um einen Workshop vorzubereiten. Und dachte mir: Was mache ich hier eigentlich? Alles um uns herum scheint kaputtzugehen, und wir arbeiten einfach weiter. Arbeiten uns kaputt. Dabei funktioniert Arbeit so, wie sie heute aussieht, für uns nicht mehr. Sie macht uns müde und brennt uns aus.

Dass wir müde sind, gestresst, ausgebrannt, das ist kein neues Phänomen. Corona ist nicht alleine dafür verantwortlich, was gerade passiert. Aber die Pandemie war wie eine Art Katalysator, der alles noch schlimmer gemacht hat. Auf einmal haben wir gesehen, was wir davor nicht so wirklich wahrhaben wollten: Dass unsere Arbeitswelt große Probleme hat. Aber wir sind zu ausgebrannt, um etwas daran zu ändern. Wir stecken im Matsch unserer Müdigkeit fest und kommen nicht mehr raus, weil uns eine Mischung aus Pandemie, Klimakrise, Krieg und all den anderen Katastrophen, die unser Leben gerade bestimmen, dort festhält.

In der offiziellen Definition der Weltgesundheitsorganisation wird Burnout beschrieben als »Syndrom, das aus chronischem Stress am Arbeitsplatz resultiert, der nicht erfolgreich gemanagt wird«. Das klingt wie die offizielle Beschreibung unseres Lebens der letzten Jahre. Wer ausgebrannt ist, fühlt sich erschöpft und energielos. Die professionelle Wirkungskraft ist reduziert: Wir arbeiten und arbeiten, schaffen aber kaum noch etwas. Die mentale Distanz zum Job nimmt zu, die negativen Gefühle ebenfalls. Zynismus kann eine Folge sein.

Lange wurde uns eingeredet, dass wir selbst an unserer Müdigkeit schuld sind und einfach nur härter an uns arbeiten müssen. Wir sehen in der Klimakrise, wie alles auf Eigenverantwortung geschoben wird: Nicht die Energiekonzerne und ihre Lobbyarbeit sind das Problem, nicht die Politik und die Wirtschaft. Nein, du bist das Problem, wenn du deinen Kaffee aus dem Pappbecher trinkst. Hättest du deinen wiederverwendbaren Becher dabei, wäre das Problem gelöst. Genau so läuft es auch in der Arbeitswelt: Du verdienst zu wenig? Wärst du halt nicht Krankenpfleger*in geworden! Du bist gestresst, obwohl dein Unternehmen meetingfreie Freitage und einen Resilienzworkshop anbietet? Muss an dir liegen. Nimm doch ein Vollbad, dann bist du schon wieder entspannt.

Aber Self Care wird uns nicht retten. Wir brauchen – wie in der Klimakrise auch – große gemeinsame Anstrengungen und systemische Veränderungen. Nur so lässt sich unser kollektives Burnout heilen. Nur so haben wir eine Chance auf eine Arbeitswelt, die Menschlichkeit und Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt. Nur so geht dieses Gefühl wieder weg, das uns schon viel zu lange begleitet.

Das hier ist kein Buch über New Work. Es geht auch nicht um die Schlagwörter, die oft im selben Atemzug fallen wie Agilität oder Change-Management. Es geht um größere Fragen: Was hat uns so kaputt gemacht? Wie können wir die Arbeitswelt wieder reparieren? Was steckt hinter Phänomenen wie der Great Resignation, der großen Kündigungswelle der letzten Jahre in den USA? Wie können wir es schaffen, anders zu arbeiten? Und welche Rolle spielen dabei wir alle, als Gesellschaft?

Wir hören immer wieder, dass wir jetzt in eine neue Normalität eintreten: The New Normal. Aber die alte Normalität hat für uns ja schon nicht funktioniert. Wieso sollte die neue Normalität besser werden und nicht einfach nur eine digitalere Variante von dem, was wir schon kannten? Außerdem schnipsen wir ja nicht mit dem Finger, und alles ist auf einmal neu und anders. Echte Veränderung dauert, sie passiert nicht von einem Moment auf den anderen. Das ist eine Chance für uns: Wir (und die Generationen vor uns) haben die alte Arbeitswelt gebaut, warum sollten wir also nicht auch eine neue Version gestalten können? Während Corona haben wir gesehen, dass Veränderung möglich ist – sogar ziemlich schnell und großflächig. Gleichzeitig beobachten wir, dass Arbeitskräfte heute mehr Macht haben, dem Fachkräftemangel sei Dank. Das bedeutet auch, dass wir Rahmenbedingungen verändern können – zu unseren Gunsten. Der Zeitpunkt könnte also nicht besser sein, um die Arbeitswelt neu zu denken, und wir sollten ihn nicht vorbeiziehen lassen.

 

Wie wir es schaffen können, die Arbeitswelt für alle besser zu machen, darum geht es in diesem Buch. Doch zuerst müssen wir darauf schauen, wie wir überhaupt an den Punkt gekommen sind, an dem wir uns heute befinden. Die Corona-Pandemie hat ihren Teil beigetragen, klar. Aber sie alleine ist nicht der Grund dafür, dass wir alle so müde sind. Unsere Müdigkeit ist kollektiv und systemisch, wie ich im nächsten Kapitel erklären werde. Sie ist einer der Gründe, warum sich die Gen Z ganz genau überlegt, wie viel sie noch arbeiten will. Der endlose Vorwurf der faulen, jungen Generation, es gibt ihn auch heute. Aber die Gründe dafür, dass Millennials und Gen Z anders über Arbeit nachdenken, sind valide. Teilweise führen sie zu einem großen Phänomen, das wir in den vergangenen Monaten beobachtet haben: Der Great Resignation, einer Kündigungswelle, die in den USA begann, aber längst nicht dort endete. Sie betrifft einige Branchen besonders und verschärft dort den Fachkräftemangel, der unsere Arbeitswelt in den kommenden Jahren prägen wird. All das bildet den Hintergrund, vor dem wir über Arbeit sprechen. Die Situation, in der wir uns gerade befinden – um sie geht es im ersten Teil des Buches.

Im zweiten Teil kommen wir dann von den großen Entwicklungen zu ganz konkreten Problemen der Arbeitswelt – und ihren Lösungen. Gehen wir sie einmal der Reihe nach durch: Wir arbeiten zu viel, was zu unserer Erschöpfung beiträgt. Deshalb müssen wir über kürzere Arbeitszeiten sprechen. Durch Covid hat Flexibilität eine neue Qualität bekommen – vor allem im Hinblick darauf, wo wir arbeiten. Homeoffice, Remote Work und hybrides Arbeiten werden Teil unserer neuen Realität sein. Aber damit wir hier nicht die Fehler des alten Büros wiederholen, brauchen wir neue Regeln. Und: Nicht alle Menschen arbeiten im Büro und können einfach ins Homeoffice wechseln. Wie schaffen wir es, auch ihnen mehr Flexibilität zu bieten und ihre Arbeit verträglicher zu gestalten? Diese Diskussion ist auch so wichtig, weil die Arbeitswelt nicht gleichberechtigt ist: Frauen, People of Color, Menschen mit Behinderung und die LGBTQ+-Community sind immer noch schlechter bezahlt und arbeiten häufiger unter schlechten Bedingungen. Wenn wir das Problem lösen wollen, müssen wir hier ansetzen und die Arbeitswelt gerechter machen. Ungerechtigkeit hängt auch stark mit einem anderen Aspekt von Arbeit zusammen: unbezahlter Arbeit. Sogenannte Care-Arbeit oder Sorgearbeit wird immer noch größtenteils von Frauen verrichtet, die deshalb weniger verdienen, weniger Rente bekommen und öfter in unsicheren Verhältnissen arbeiten. Wenn wir Arbeit gerechter machen wollen, muss diese unbezahlte Arbeit besser verteilt, gewürdigt und entlohnt werden. Darum geht es im darauffolgenden Kapitel. Wenn wir die Arbeitswelt verändern wollen, müssen wir uns besser organisieren – und zusammenarbeiten, um Veränderung einzufordern. Denn wenn wir nicht aufpassen, dann geht die Schere zwischen guten und schlechten Jobs immer weiter auf. Die Berufe vieler Menschen hießen in der Pandemie auf einmal »systemrelevant«. Aber ihre Bedeutung hat sich nicht in den Arbeitsbedingungen widergespiegelt – im Gegenteil. Ich habe mit einigen von ihnen gesprochen und einen Trend beobachtet, der eine Veränderung einläuten könnte: Betriebsräte und Gewerkschaften erleben ein Comeback, und zwar in Jobs, in denen das früher undenkbar gewesen wäre. Genau diese Organisation von Mitarbeiter*innen kann auch in einem anderen Bereich einen relevanten Einfluss haben: beim Klimaschutz. Denn natürlich lässt sich dieses Buch nicht schreiben, ohne auf das Klima zu schauen. Deshalb findet sich das Thema auch in einigen anderen Kapiteln wieder, denn wie wir alle wissen, betrifft es so gut wie alle Lebens- und somit auch Arbeitsbereiche.

Und dann sind da noch die zwei Aspekte, die uns gerne als Lösungen für alle Probleme präsentiert werden: Passion und Purpose. Wer mit Leidenschaft bei der Sache ist und Sinn in der eigenen Arbeit findet, hat den Jackpot geknackt und darf sich nicht beschweren. Das wird uns zumindest vermittelt. Aber stimmt es wirklich?

 

Wie wir heute arbeiten, macht uns krank. Ich verstehe alle, die keinen Bock mehr darauf haben, sich für ihren Job kaputt zu machen. Ich habe auch keine Lust mehr darauf: Weil ich glaube, dass unsere Art zu arbeiten weder besonders menschlich noch besonders nachhaltig ist. Nicht für uns, nicht für das Klima, für niemanden. Was also tun? Wir sehen, dass sich Arbeit wandelt: Sie wird immer mehr, immer invasiver, immer anstrengender. Wenn wir nicht aufpassen, dann bekommen wir nur noch mehr von dem, was uns nicht guttut. Deshalb müssen wir für gute Veränderung sorgen. Arbeit und Wirtschaft aus ihrem aktuellen Kontext reißen und wieder neu aufstellen. Wie genau das aussehen kann, darum geht es in diesem Buch. Gemeinsam haben wir die Chance, eine neue Arbeitswelt zu bauen, die besser funktioniert – für uns alle. Wir müssen es nur machen.

Inhaltsverzeichnis

Teil 1 

Wir sind alle verdammt erschöpft

Wenn ich über Müdigkeit schreibe, meine ich nicht die Art von müde, die man mit einer extra Nacht Schlaf wieder ausgleichen kann. Sondern ich meine die Art von müde, die in den Knochen sitzt und dafür sorgt, dass abends nichts mehr geht außer Tiefkühlpizza und Netflix. Ich war so müde, dass ich sogar einen richtig guten Job gekündigt habe. Weil ich einfach nicht mehr konnte. Weil ich ausgebrannt war. Von der Arbeit. Vom Streben nach immer mehr Produktivität. Von meiner »Karriere«. Von der Welt um uns herum. Und ganz besonders von all den Krisen. Unsere Welt steht in Flammen, im wahrsten Sinne des Wortes. Und wir? Brennen aus, um bloß keine Deadline zu reißen. Was zur Hölle machen wir da eigentlich? Warum tun wir uns das an?

 

Eigentlich dachte ich, dass ich richtig gut bin im Arbeiten. Ich komme aus einer Familie, in der alle immer viel gearbeitet haben: an der Kasse, im Autohaus, bei McDonald’s. Ich habe früher mein Geld mit Babysitten verdient, in den Semesterferien an der Kasse gestanden, ein Praktikum nach dem anderen gemacht, nebenbei in einer Marketingfirma gejobbt. Irgendwo musste das Geld ja herkommen – und das BAföG alleine reichte im Studium nicht. Ich wusste, dass ich nicht erben würde und dass meine Eltern mich finanziell nur wenig unterstützen konnten. Dass wir keine »Freund*innen der Familie« haben, die mich auf irgendwelche Führungspositionen hieven würden. Wenn ich beruflich vorankommen wollte, dann musste ich besser sein und mehr arbeiten als andere. Irgendwann landete ich auf dieser »Karriereleiter«, wurde Wirtschaftsredakteurin, später Redaktionsleiterin bei LinkedIn. Auf dem Papier sah alles perfekt aus. Aber innen drin hat es sich oft ganz anders angefühlt.

Ich dachte damals, dass es an mir liegt: Dass ich einfach nicht genug Yoga mache oder dass ich das mit dem Meditieren endlich mal hinkriegen sollte. Oder diese Tricks von erfolgreichen CEOs ausprobieren: Um 4:30 Uhr aufstehen, ein Glas warmes Wasser trinken, joggen gehen, und dann von sechs Uhr morgens bis zehn Uhr abends am Laptop sitzen. Vielleicht müsste ich auch einfach nur häufiger im Wald spazieren gehen. Self Care ist schließlich die Lösung für alles. Das wurde uns zumindest immer suggeriert: Wenn du gestresst bist, dann liegt es an dir. Du musst dich nur mehr anstrengen, dein Mindset ändern und endlich Inbox Zero achieven, wie die Startup-Szene es formulieren würde.

Heute weiß ich, dass das alles Bullshit ist. Nicht wir funktionieren nicht gut genug, sondern unsere Arbeitswelt ist kaputt. Das macht auch uns krank: Wir sind müde, ausgebrannt, gestresst. Und wir beginnen, die Realität zu erkennen: Self Care und Hustle-Kultur bringen uns nicht weiter. Es hilft niemandem, wenn wir so viel arbeiten, dass wir ausbrennen und uns am Ende noch dafür feiern. Wir werden es nicht besser haben als unsere Eltern, wenn wir uns nur genug anstrengen, denn dieses Versprechen wurde längst gebrochen. Wir haben versucht, die Müdigkeit zu ignorieren und einfach weiterzumachen in der Hoffnung, irgendwann auf der anderen Seite herauszukommen. Wir dachten, dass wir die Einzigen sind, die sich so fühlen. Dass es ein individuelles Problem ist. Dabei ist es ein systemisches Problem, das uns alle ins kollektive Burnout führt.

Um herauszufinden, ob jemand unter Burnout leidet, gibt es ein Messinstrument: das Maslach Burnout Inventory (MBI). Benannt ist es nach der Psychologin Christina Maslach, die das MBI gemeinsam mit Susan E. Jackson entwickelt hat. Den Test zu machen, dauert ungefähr zehn Minuten. Er besteht aus 22 Fragen. Ich habe den Test schon oft gemacht, was kein gutes Zeichen ist. Einige der Aussagen, die dabei vorgeschlagen werden, scheinen mir symptomatisch zu sein für uns und die Art, wie wir heute arbeiten:

Ich fühle mich emotional erschöpft wegen meiner Arbeit.

Ich fühle mich am Ende des Arbeitstages verschlissen.

Ich fühle mich müde, sobald ich morgens aufstehe und den neuen Arbeitstag vor mir ausgestreckt sehe.

Ich fühle mich ausgebrannt wegen meiner Arbeit.

Ich habe das Gefühl, dass ich zu hart arbeite.

Ich fühle mich, als wäre ich mit meinem Latein am Ende.

 

Der Test fragt alle drei Dimensionen von Burnout ab: berufliche Erschöpfung, De-Personalisierung oder Verlust von Empathie und die persönliche Leistungsbeurteilung. Am Ende dürfte bei vielen von uns dasselbe Ergebnis stehen. Denn dass wir ausgebrannt sind und die Arbeit schuld daran ist, belegen diverse Studien. Zwei Drittel aller Beschäftigten in Deutschland sind zumindest manchmal gestresst und mehr als ein Viertel häufig. Knapp die Hälfte der Befragten nennen Beruf, Studium und Schule als die Hauptursache für ihren Stress. Vor allem zu viel Arbeit und Termindruck belasten.[1] Mehr als 40 Prozent fühlen sich durch die Arbeit oft abgearbeitet und verbraucht. Mehr als ein Viertel kann abends und am Wochenende nicht richtig von der Arbeit abschalten, rund 20 Prozent auch im Urlaub nicht. Wann der Stress endlich nachlässt? Ab 60 Jahren, also am Ende des Erwerbslebens.

Schon 2018, vor der Corona-Pandemie, sah die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland für sich selbst ein mäßiges bis hohes Burnout-Risiko. Sechs von zehn Arbeitnehmer*innen berichteten über Stresssymptome wie anhaltende Müdigkeit und Erschöpfung, Rückenschmerzen, innere Anspannung und ständiges Grübeln über die Arbeit.[2]

Früher war es geradezu verpönt, über die eigene Erschöpfung zu sprechen. Das hat sich verändert: Burnout ist in die öffentliche Diskussion gerutscht. Max Eberl, zu diesem Zeitpunkt Sportdirektor des Fußballvereins Borussia Mönchengladbach, trat im Januar 2022 zurück: »Ich kann für diesen großartigen Klub nicht mehr arbeiten, weil ich krank bin. Ich bin erschöpft. Ich will einfach raus aus der Mühle.«[3] Die australische Tennisspielerin Ashleigh Barty beendete ihre Profikarriere im März 2022, mit 25 Jahren. Sie stand zu diesem Zeitpunkt seit 114 Wochen auf dem ersten Platz der Weltrangliste. »Ich habe den physischen Antrieb nicht mehr, diese Emotionen, es zu wollen, und alles, was es braucht, sich selbst herauszufordern auf diesem Toplevel.«[4] Auch Angela Merkel klang ziemlich erschöpft, als sie darüber redete, wie sie sich das Leben nach ihrer Zeit als Bundeskanzlerin vorstellte. »Vielleicht werde ich versuchen, was zu lesen, dann werden mir die Augen zufallen, weil ich müde bin, dann werde ich ein bisschen schlafen, und dann schauen wir mal«, sagte Merkel im Juli 2021, kurz vor dem Ende ihrer Amtszeit.[5]

 

Burnout wird immer noch oft als Ehrenorden gesehen, den man verliehen bekommt, wenn man hart genug gearbeitet hat. Du bist ausgebrannt? Dann hast du alles richtig gemacht, herzlichen Glückwunsch. Das ist eine der Sachen, die wir uns aus den USA abgeschaut haben, dem Land, aus dem mein Vater kommt und das meine zweite Heimat ist. Dieses Abschauen gilt auch für viele andere Aspekte von Arbeit: Wenn in den schicken Silicon-Valley-Büros mit ihren Tischkickern alle nur von Produktivität reden und so Milliarden machen, dann kann das ja nicht so falsch sein. Was wir dabei ignoriert haben, ist das kaputte System der USA, das ohne bezahlte Elternzeit auskommt, wo Krankenversicherung teuer und an den Job gekoppelt ist, und es kaum Rechte für Arbeitnehmer*innen gibt. Genau deshalb werde ich in diesem Buch auch immer mal wieder in die USA blicken: Weil wir dort Ideen und Chancen für die Zukunft von Arbeit sehen, die eine Strahlkraft über das Land hinaus haben können. Und auch, weil wir dort sehen, was alles richtig schlecht läuft. So wie bei der Kultur der Überarbeitung. Jetzt fliegt uns das alles nämlich um die Ohren.

 

Denn Burnout ist nichts, worauf man stolz sein sollte. Burnout hat gesundheitliche Folgen, die sich sogar in der Struktur des Gehirns zeigen. Burnout kann zu hohem Cholesterinspiegel und Diabetes führen, zu Herz- und Kreislauferkrankungen, Schmerzen des Bewegungsapparates, verändertem Schmerzempfinden, anhaltender Müdigkeit, Kopfschmerzen, zu Atemwegs- und Magen-Darm-Problemen, Schlaflosigkeit, depressiven Symptomen und psychischen Störungen. Burnout kann dich ins Krankenhaus bringen – oder sogar zu früh sterben lassen.[6] Mehr als ein Fünftel der Menschen, die häufig gestresst sind, beschreibt den eigenen Gesundheitszustand als »weniger gut oder schlecht«.[7]

Ursprünglich wurde der Begriff Burnout im Kontext von Pflegeberufen geprägt.[8] Auch heute gehören Pflegekräfte, Lehrer*innen, Ärzt*innen und Sozialarbeiter*innen zu den Berufsgruppen, die besonders häufig von Burnout betroffen sind. Sie sind systemrelevant und unfassbar erschöpft. Auch wer viel Emotionsarbeit leisten muss – also im Beruf viele emotionale Leistungen erbringt –, hat ein höheres Risiko für Burnout. Das sogenannte Stewardess-Syndrom betrifft neben Flugbegleiter*innen und Menschen in den oben genannten Berufen auch diejenigen, die in Supermärkten, Call-Centern, Restaurants und anderen Dienstleistungsberufen arbeiten. Sie dürfen ihre eigenen Emotionen nicht zeigen, sondern müssen sie hinter einem Lächeln verstecken – egal ob sie sich danach fühlen.[9]

Burnout ist offiziell keine eigenständige Krankheit. Stattdessen hängt Burnout oft mit anderen psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen zusammen. Sie sind es auch, die häufig auf der Krankmeldung stehen, wenn Menschen ausgebrannt sind. Die Fehltage wegen psychischer Erkrankungen sind in den vergangenen zehn Jahren stark angestiegen. Vor allem Depressionen, Anpassungs- und Angststörungen führen heute zu mehr Fehltagen. Von Anpassungsstörungen spricht man, wenn Menschen auf eine besondere Situation oder eine große Veränderung mit psychischen Beschwerden reagieren. Typischerweise sind das Ereignisse wie Trennungen oder die Geburt eines Kindes. Aber auch eine globale Pandemie zählt dazu.[10]

Gleichzeitig ist eine Krankschreibung immer noch etwas, das viele Menschen zu vermeiden versuchen. Sie sind zwar krank, aber sie arbeiten weiter, als wäre nichts. Das gilt ironischerweise vor allem für diejenigen, die besonders kaputt sind: Die Hälfte der Personen, die eine besonders hohe Belastung am Arbeitsplatz spüren, haben in der ersten Jahreshälfte 2021 eine Woche oder mehr gearbeitet, obwohl sie krank waren.[11]

Auch ich habe das oft genug gemacht – und bereue es heute noch. Einmal fuhr ich nach einer Konferenz mit Fieber nach Amsterdam und pumpte mich mit Schmerzmitteln zu, um bei einem zweitägigen Besuch von Vorstandsmitgliedern dabei zu sein. Als ich wieder in München landete, hatte ich eine fiese Mittelohrentzündung. Ein paar Jahre zuvor hatte ich eine Bronchitis so verschleppt, dass ich Asthma bekam, das mich bis heute begleitet. Krank arbeiten ist keine gute Idee, das habe ich selbst erlebt. Gleichzeitig kenne ich auch das Gefühl, so viel zu arbeiten, dass man davon krank wird. Am Abend nach einem besonders stressigen Arbeitstag fragte ich meinen Mann: »Kennst du das, wenn du so müde bist, dass du nur noch weinen willst?« Dass ich zu diesem Zeitpunkt schon mittendrin war im Burnout, war mir nicht klar. Ich hatte stattdessen das Gefühl, einfach nicht stark genug zu sein, so als ob Arbeit ein Wettbewerb wäre, für den ich nur härter trainieren müsste.

Es ist fast, als dürfte man sich in der Arbeitswelt keinerlei Schwächen zugestehen. Der Sozialpsychologe Devon Price nennt das die Laziness Lie: die Faulheitslüge. Wir haben Schuldgefühle, wenn wir »nicht genug« tun – und arbeiten uns krank. Wir lügen uns in die Tasche, indem wir behaupten, dass wir faul sind, wenn wir nicht jede Sekunde des Tages produktiv verbringen. »Die meisten von uns fühlen sich die meiste Zeit müde, überfordert und enttäuscht von sich selbst«, schreibt Price.[12] »Egal wie viel wir erreicht haben oder wie hart wir gearbeitet haben, wir glauben nie, dass wir genug getan haben, um zufrieden oder mit uns im Reinen zu sein. Wir finden nie, dass wir eine Pause verdient haben.« Also arbeiten wir weiter, als wäre nichts geschehen. »Während wir all die Burnouts, die stressbedingten Krankheiten, und die Wochen, in denen wir nicht genug geschlafen haben, überstehen, bleiben wir überzeugt davon, dass Einschränkungen zu haben uns ›faul‹ macht – und dass Faulheit immer etwas Schlechtes ist.«

Dabei existiert diese Faulheit gar nicht, vor der wir uns alle so sehr fürchten. »Es gibt keine moralisch korrupte, faule Macht in uns, die uns dazu bringt, grundlos unproduktiv zu sein«, schreibt Price. »Es ist nicht schlimm, Grenzen zu haben und Pausen zu brauchen. Sich müde oder unmotiviert zu fühlen ist keine Gefahr für unseren Selbstwert.« Denn es gibt gute Gründe dafür, wenn wir unmotiviert oder müde sind: Nämlich dass wir »versuchen, in einer übermäßig fordernden, Workaholic-Kultur zu überleben, die Menschen dafür niedermacht, grundlegende Bedürfnisse zu haben«.

 

Diese Workaholic-Kultur und die damit einhergehende Überarbeitung ist einer der Hauptgründe dafür, dass Menschen ausbrennen. Arbeit verdichtet sich: Tätigkeiten, für die es früher einzelne Jobs gab, werden heute oft in eine Stelle gepresst. Die Arbeitslast steigt. Alle wollen die eierlegende Wollmilchsau. Ich erinnere mich noch daran, wie uns in der Journalistenschule eingebläut wurde: Ihr müsst alles können, schreiben, Audio aufnehmen und schneiden, Video selbst drehen, Videos schneiden. Social Media auch, eh klar, ihr seid ja jung. Aber dass nicht alle Praktikant*innen automatisch auch TikTok-Superstars sind, nur weil ein bestimmter Jahrgang bei ihnen im Ausweis steht, interessiert in der Personalabteilung niemanden. All diese Anforderungen, von denen mir in der Journalistenschule erzählt wurde, habe ich letztens in einer Stellenausschreibung eines großen Medienhauses gesehen. Außerdem war dort gefragt: eine Menge Erfahrung. Die Stelle war eine Präsenzstelle, befristet auf ein Jahr. Diese Ausschreibung ist kein Einzelfall. Viele Unternehmen wollen, dass ihre Beschäftigten alles können. Im Gegenzug gibt es zwar ein Gehalt, aber keine Sicherheit oder Weiterentwicklungsmöglichkeiten.

Bei Computern sprach man lange von Moore’s Law: Durch die stetige Entwicklungsarbeit in der Elektronikindustrie verdoppelt sich die Anzahl von Transistoren in einem dichten integrierten Schaltkreis alle zwei Jahre. Oder anders gesagt: Ein Laptop, den ich heute kaufe, ist doppelt so schnell wie einer, den ich vor zwei Jahren bekommen hätte – und kostet nur noch die Hälfte. Das galt zumindest die letzten Jahre noch. Ein Freund schrieb mir kürzlich, dass er genau daran im Kontext seiner Arbeit denken musste: »Wann zur Hölle bin ich ein Computer geworden?«, fragte er. Seit wann gilt die Logik von Moore’s Law nicht mehr nur für unsere Laptops, sondern auch für die Menschen, die mit ihnen arbeiten? Unsere Arbeitsproduktivität steigt immer weiter an, selbst in den ersten beiden Corona-Jahren.[13] Aber wie lange soll das noch so weitergehen? Moore’s Law hat sich bereits verlangsamt, aber bei uns Menschen scheint die Geschwindigkeit eher noch anzuziehen.

Wir sehen diese Arbeitsverdichtung nicht nur in Büros und bei der sogenannten Wissensarbeit, sondern auch in Branchen, die schon lange massiv unter Personalmangel leiden: in der Pflege, in der Erziehung, in der Lehre. Vier von zehn Mitarbeiter*innen in Erziehungs- und Sozialberufen spüren eine Mehrbelastung aufgrund von Personalmangel. Im Verkauf trifft das auf mehr als die Hälfte der Beschäftigten zu, in der Pflege auf fast zwei Drittel.[14] Teams wurden kleingespart und die Überarbeitung damit in Kauf genommen. Schon 2019 haben 70 Prozent der Arbeitnehmer*innen gesagt, dass ihre Arbeitsbelastung in den letzten fünf Jahren zugenommen habe.[15] Seit Beginn der Corona-Pandemie hat sich das noch mal verschärft.[16] Es ist für viele Menschen unmöglich geworden, ihre Arbeit in der vorgegebenen Zeit zu schaffen.[17] Also schieben sie Überstunden. Viele Menschen können nach der Arbeit nicht mehr richtig abschalten – und die Mails, die Vorgesetzte abends und am Wochenende schicken, helfen dabei auch nicht.

 

Doch es geht nicht nur um Überarbeitung. Neben hoher Arbeitslast steuern noch weitere Faktoren zu Burnout bei:[18] Kontrolle, Belohnung, Gemeinschaft, Fairness und Wert. Sind einer oder mehrere dieser Faktoren zwischen einer Person und ihrem Job chronisch außer Balance, kann das zu Burnout führen. Burnout passiert also, wenn die Arbeitslast zu hoch ist. Wenn man sich unfair behandelt fühlt. Wenn man keine Kontrolle über die eigene Arbeit hat. Wenn man nie belohnt oder gelobt wird. Wenn man nicht mit den Kolleg*innen klarkommt. Wenn man sich wertlos fühlt. Oder wenn mehrere oder all diese Faktoren aufeinandertreffen.

Dazu kommen Faktoren, die erst mal nichts mit dem Job zu tun haben, aber unser Leben – und damit unsere Arbeit – trotzdem beeinflussen. Einer davon war in den vergangenen Jahren Angst. Mit der Corona-Pandemie kam die Angst vor Ansteckung, vor Krankheit und davor, die eigenen Eltern zu umarmen. Dann kam die Angst, den Job zu verlieren und dass das Geld nicht zum Heizen reicht. Die Angst vor der Klimakrise, vor dem Krieg. Angst, das alles nicht mehr zu schaffen.

Niemand hat mehr Lust zu arbeiten (vor allem nicht die Gen Z)

Seit Millennials angefangen haben zu arbeiten, ist ihr Arbeitsalltag von Angst geprägt: Dotcom-Blase, 9/11, Finanzkrise, Eurokrise, Covid, Energiekrise. Unbezahlte Praktika, befristete Verträge und das Hangeln von einer Elternzeitvertretung zur anderen sind die Folgen. Wie soll man es denn schaffen, entspannt zur Arbeit zu kommen, wenn diese existenziellen Ängste immer im Hinterkopf sind?

Gleichzeitig wird Millennials und Gen Z – also allen, die zwischen 1981 und 2012 geboren wurden – ständig vorgeworfen, dass sie sich einfach nicht genug anstrengen. Dass sie einfach keinen Bock haben, richtig hart zu arbeiten. Dass das an den Arbeitsbedingungen liegen könnte, wird gerne ignoriert. Stattdessen ärgern sich CEOs pressewirksam darüber, dass »die jungen Leute« nur noch drei Tage pro Woche arbeiten wollen und am liebsten nicht am Wochenende. Und das, obwohl sie Mindestlohn bekommen würden! »It seems like nobody wants to work these days«, sagt selbst Kim Kardashian.[19] Kein besonders origineller Vorwurf, schließlich wird das den jüngeren Generationen vorgeworfen, seit es Generationen gibt.

Der große Unterschied? Die Gen Z gibt offen zu, dass sie keine Lust auf Arbeit hat – zumindest nicht, wenn Arbeit so funktioniert wie aktuell. Auf TikTok findet man unendlich viele Memes rund ums Arbeiten. Klar gibt es da auch Hustle-Content und Business-Bros, die dir sagen, wie du die Karriereleiter nach oben kletterst. Aber der generelle Tenor ist ein anderer. »I have no dream job, I do not dream of labor.«[20] – Ich habe keinen Traumjob, ich träume nicht von Arbeit, sagt @mrhamilton. »I don’t have goals. I don’t have ambition. I only want to be attractive.«[21] – Ich habe keine Ziele, ich habe keinen Ehrgeiz, ich will einfach nur schön sein, sagt @ayanna.ife und bekommt dafür mehr als eine Million Likes. »Ich fühle das mit meinem ganzen Herzen«, kommentiert jemand darunter. @miainmoments beschreibt mein ideales Leben: »I don’t want to be a girlboss. I don’t want to hustle. I simply want to live my life slowly and lay down in a bed of moss with my lover and enjoy the rest of my existence reading books, creating art, and loving myself and the people in my life.«[22] – Ich will kein Girlboss sein, ich will mich nicht kaputtarbeiten. Ich will mein Leben langsam leben und mit meinem Lover in einem Bett aus Moos liegen und den Rest meiner Existenz genießen, Bücher lesen, Kunst schaffen und mich und die Menschen in meinem Leben lieben.

 

Selbst wer einfach nur seinen Job machen und dann nach Hause gehen will, wird in den Faulheitstopf gesteckt. Das zeigt der Begriff Quiet Quitting: Wer »still kündigt«, so die Erklärung, weigere sich, im Job die Extrameile zu gehen. Dienst nach Vorschrift nannte man das früher: Es wird gemacht, was gemacht werden muss und wofür man bezahlt wird, aber eben nicht mehr. Auch dieser Begriff wurde auf TikTok groß. »Du erledigst deine Aufgaben, aber du unterwirfst dich nicht länger der Mentalität der Hustle-Kultur«, sagt Zaid Khan aka @zaidleppelin in seinem viralen Video.[23] »Dein Wert als Person wird nicht über deine Produktivität definiert.«

Doch das sehen Unternehmen oft anders: Führungskräfte werden panisch, dass sie jetzt noch ein vermeintliches Problem mehr an der Backe haben – und ihre Mitarbeitenden nicht mehr unendlich viel Produktivität aus sich herauspressen wollen. Dabei zeigt Quiet Quitting zwei Dinge: Erstens die Absurdität, dass normale Arbeit mit Kündigung gleichgesetzt wird. Wer seinen Job erledigt, kündigt nicht – auch nicht still. Zweitens geht es hier nicht ums Nichtstun, sondern darum, dass Mitarbeitende Grenzen ziehen und sich vor Überarbeitung schützen. Sollte das nicht vielmehr der Fokus von Führungskräften sein?

Denn all die TikTok-Trends – von Quiet Quitting bis hin zum Wunsch, gar nicht mehr arbeiten zu müssen – haben erst mal nichts mit Faulheit zu tun, von der wir ja eh schon gesehen haben, dass sie eine große Lüge ist. Vielmehr geht es um die Frage, wofür wir eigentlich arbeiten. Früher war das Versprechen von Arbeit klar: Wer hart arbeitet, wird es mal besser haben. Wenn ihr auf den Markt vertraut, gibt es Wohlstand für alle. Mein Haus, mein Auto und so. Dieses Versprechen funktioniert nicht mehr. Junge Menschen arbeiten und arbeiten, aber können es sich trotzdem nicht leisten, eine Immobilie zu kaufen, weil alles viel zu teuer geworden ist. Wir wissen nicht, ob wir irgendwann eine Rente bekommen, von der wir leben können. Und wenn wir die Klimakrise nicht in den Griff bekommen – und zwar schnell –, haben wir keine Lebensgrundlage mehr. Der Grund, um immer mehr und immer härter zu arbeiten, existiert nicht mehr.

Dazu kommt, dass vielen jungen Menschen nur noch unsichere Arbeitsverhältnisse angeboten werden. Da sind zum einen Praktika, die mittlerweile in fast allen Branchen erwartet werden. Oft sind sie unbezahlt, oder es gibt gerade mal eine Aufwandsentschädigung, mit der man die Miete nicht zahlen kann. Bis auf wenige Ausnahmen sind Praktika außerdem nicht vom Mindestlohn gedeckt.[24] Zum anderen sind da die befristeten Arbeitsverträge: 2016 waren mehr als 60 Prozent aller befristet Beschäftigten in Deutschland unter 35 Jahren alt. Die Befristung schlägt also genau in dem Alter zu, in dem man eigentlich das eigene Leben aufbauen und vielleicht sogar eine Familie gründen will.[25] In meiner Recherche bin ich über den Begriff Hope Labor gestolpert, der diese Art der Beschäftigung perfekt beschreibt. Hoffnungsarbeit ist »un- oder unterbezahlte Arbeit, die in der Gegenwart ausgeführt wird, oft für Erfahrung oder Reichweite, in der Hoffnung, dass künftige Chancen auf Beschäftigung folgen werden«, schreiben Kathleen Kuehn und Thomas F. Corrigan.[26] Hoffnungsarbeit wird dabei als Investition gesehen, die sich in der Zukunft für Einzelne auszahlen kann, weil diese Personen genug Zeit und Energie hineingesteckt haben. Im Prinzip keine ganz neue Idee – doch in den flexibilisierten und dynamischen Arbeitsmärkten, die wir heute haben, wirkt sich diese Art der Hoffnungsarbeit negativ auf die Jobperspektiven aller aus und verzerrt den Markt. Was wiederum besonders die Jüngeren im Arbeitsmarkt trifft.

Während Arbeit immer unsicherer wurde, wird sie gleichzeitig zum Mittelpunkt des Lebens hochstilisiert: Auf jeder Party wird zuerst gefragt, was man denn so mache – beruflich natürlich. Aber ist es wirklich sinnvoll, sich so stark über den eigenen Job zu definieren, wenn all die Versprechen von Arbeit, Aufstieg und Wohlstand bereits gebrochen wurden?

 

Fast die Hälfte der Millennials und Gen Z lebt von Gehalt zu Gehalt. Sie sorgen sich um ihre Finanzen, um den Klimawandel, um ihre Zukunft.[27] Und das Einzige, was sie als Reaktion darauf zu hören bekommen, ist, dass sie faul sind? Kein Wunder also, dass viele da nicht mehr mitmachen wollen – und lieber ihre Jobs schmeißen, als sich kaputtzuarbeiten.

Die große Kündigungswelle