Die Welt mit anderen Augen sehen. 160 Zen-Geschichten und Koans - Paul Reps - E-Book

Die Welt mit anderen Augen sehen. 160 Zen-Geschichten und Koans E-Book

Paul Reps

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Beschreibung

Als dieses Buch 1957 erstmals veröffentlicht wurde, war es eine Sensation für alle westlichen Leser*innen, die gerade begannen, sich mit Zen zu beschäftigen. Der Band bietet eine Fülle primärer Quellen, mit denen sich die Lesenden das Wesen des Zen selbst erschließen können. Enthalten sind unter anderem 101 Zen-Geschichten, die von den Erfahrungen ostasiatischer Zen-Lehrer aus über fünf Jahrhunderten berichten, sowie die berühmte Kōan-Sammlung »Das torlose Tor« aus dem 13. Jahrhundert. Bis heute ist dieser Klassiker eine unschätzbare Quelle der Inspiration für alle Zen-Praktizierenden und -Lehrenden.

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Seitenzahl: 167

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Die Welt mit anderenAugen sehen

160 wundersameZen-Geschichten und KoansDer Klassiker in vollständiger Ausgabe

Zusammengestellt von Paul Repsund Nyogen Senzaki

Aus dem Englischen von Ulli Olvedi

Anaconda

Die Originalausgabe erschien zuerst 1957 bei Tuttle in Rutland,Vt. unter dem Titel Zen Flesh, Zen Bones. Die deutsche Ausgabein der Übersetzung von Ulli Olvedi erschien zuerst 1976 beiO. W. Barth in München unter dem Titel Ohne Worte – ohneSchweigen. 101 Zen-Geschichten und andere Zen-Texte aus vierJahrtausenden. Orthografie und Interpunktion wurden auf neueRechtschreibung umgestellt.

Original English version published by Tuttle Publishingunder the title Zen Flesh, Zen Bones: A Collection of Zenand Pre-Zen Writings

Copyright © 1957, 1985, 2022 Charles E. Tuttle Co., Inc.

Copyright der Übersetzung von Ulli Olvedi© 2010 Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt undenthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugteNutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzungdurch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitungoder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere inelektronischer Form, ist untersagt und kann straf- undzivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlichgeschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- undData-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jeglicheunbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2023 by Anaconda Verlag, einem Unternehmender Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagmotiv: Minimal Mountains Artwork,Adobe Stock / Dmitry

Umschlaggestaltung: www.katjaholst.de

Satz und Layout: InterMedia – Lemke e. K., Heiligenhaus

ISBN 978-3-641-31153-7V001

www.anacondaverlag.de

Inhalt

Vorwort

101 Zen-Geschichten

1. Eine Tasse Tee

2. Einen Diamanten auf einer schmutzigen Straße finden

3. So?

4. Gehorsam

5. Wenn du liebst, so liebe offen

6. Keine Herzensgüte

7. Botschaft

8. Große Wellen

9. Den Mond kann man nicht stehlen

10. Das letzte Gedicht des Hoshin

11. Die Geschichte von Shunkai

12. Der glückliche Chinese

13. Ein Buddha

14. Schmutzige Straße

15. Shoun und seine Mutter

16. Nicht fern der Buddhaschaft

17. Knausrig im Lehren

18. Eine Parabel

19. Der erste Ursprung

20. Der Rat einer Mutter

21. Der Ton einer Hand

22. Mein Herz brennt wie Feuer

23. Eshuns Abreise

24. Das Rezitieren von Sutras

25. Drei Tage mehr

26. Der Handel um Unterkunft

27. Die Stimme des Glücks

28. Öffne deine eigene Schatzkammer

29. Kein Wasser, kein Mond

30. Calling Card

31. Alles ist das Beste

32. Ein Millimeter Zeit, ein Zentimeter Kostbarkeit

33. Mokusens Hand

34. Ein einziges Lächeln im Leben

35. Jede-Minute-Zen

36. Blütenregen

37. Veröffentlichung der Sutras

38. Gishos Arbeit

39. Schlafen am Tage

40. Im Traumland

41. Joshus Zen

42. Die Antwort des toten Mannes

43. Zen im Leben eines Bettlers

44. Der Dieb, der zum Jünger wurde

45. Richtig und falsch

46. Wie Gras und Bäume erleuchtet werden

47. Der geizige Künstler

48. Die rechte Proportion

49. Schwarznasiger Buddha

50. Ryonens reine Verwirklichung

51. Saures Miso

52. Dein Licht kann ausgehen

53. Der Gebende sollte dankbar sein

54. Der letzte Wille

55. Der Tee-Meister und der Mörder

56. Der wahre Pfad

57. Die Pforten des Paradieses

58. Den steinernen Buddha einsperren

59. Soldaten der Menschenliebe

60. Der Tunnel

61. Gudo und der Kaiser

62. In der Hand des Schicksals

63. Töten

64. Kasan schwitzt

65. Die Unterwerfung eines Geistes

66. Kinder Seiner Majestät

67. Was tust du! Was sagst du!

68. Ein Ton Zen

69. Die Schuld essen

70. Das wertvollste Ding der Welt

71. Lernen, wie man still wird

72. Lord Dummkopf

73. Zehn Nachfolger

74. Echte Reformation

75. Laune

76. Der Stein-Geist

77. Keine Abhängigkeit vom Staub

78. Wahres Glück

79. Weihrauchbrenner

80. Das echte Wunder

81. Ihr sollt schlafen

82. Nichts existiert!

83. Keine Arbeit, kein Essen

84. Wahre Freunde

85. Zeit zu sterben

86. Der lebende Buddha und der Fassbinder

87. Drei Arten von Schülern

88. Wie man ein chinesisches Gedicht schreibt

89. Zen-Dialog

90. Der letzte Klaps

91. Der Geschmack von Banzos Schwert

92. Schürhaken-Zen

93. Des Geschichtenerzählers Zen

94. Mitternachtsausflug

95. Brief an einen Sterbenden

96. Ein Tropfen Wasser

97. Die höchste Wahrheit lehren

98. Nicht-Verhaftung

99. Tosuis Essig

100. Der stille Tempel

101. Buddhas Zen

Das torlose TorVon Ekai, genannt Mu-mon

1. Joshus Hund

2. Hyakujos Fuchs

3. Gutei’s Finger

4. Ein bartloser Fremder

5. Kyogen besteigt den Baum

6. Buddha und die Blume

7. Joshu wäscht die Schale aus

8. Keichu’s Wheel

9. Ein Buddha aus vorgeschichtlicher Zeit

10. Seizei allein und arm

11. Joshu prüft einen Mönch in Meditation

12. Zuigan ruft seinen eigenen Meister

13. Tokusan hält seine Schale in der Hand

14. Nansen schneidet die Katze entzwei

15. Tozan’s Three Blows

16. Glocken und Gewänder

17. Die drei Rufe des kaiserlichen Lehrers

18. Tozans drei Pfund

19. Everyday Life Is the Path

20. Der erleuchtete Mensch

21. Getrockneter Mist

22. Kashapas Predigerzeichen

23. Denke nicht gut, denke nicht nicht-gut

24. Ohne Worte, ohne Schweigen

25. Predigen vom dritten Sitz

26. Zwei Mönche rollen den Vorhang hoch

27. Es ist nicht Geist, es ist nicht Buddha, es ist nicht Dinge

28. Die Kerze ausblasen

29. Nicht der Wind, nicht die Fahne

30. Dieser Geist ist Buddha

31. Joshu stellt Nachforschungen an

32. Ein Philosoph befragt Buddha

33. Kein Geist, kein Buddha

34. Lernen ist nicht der Weg

35. Zwei Seelen

36. Einen Zen-Meister auf der Straße treffen

37. Ein Büffel geht durch den Zaun

38. Eine Eiche im Garten

39. Ummons Holzweg

40. Eine Wasserschale umwerfen

41. Bodhidharma stillt den Geist

42. Das Mädchen kommt aus der Meditation

43. Shuzans kurzer Stock

44. Basos Stock

45. Wer ist er?

46. Vorwärts von der Spitze des Pfahls

47. Drei Tore des Tosotsu

48. Ein Weg von Kembo

49. Ambans Nachtrag

Zehn Bilder des OchsenVon Kakuan

1. Die Suche nach dem Ochsen

2. Das Entdecken der Fußstapfen

3. Das Wahrnehmen des Ochsen

4. Das Einfangen des Ochsen

5. Das Zähmen des Ochsen

6. Das Heimreiten auf dem Ochsen

7. Der Ochse verschwindet

8. Ochse und Selbst verschwinden

9. Das Erreichen der Quelle

10. In der Welt

Auf die Mitte zu

Was ist Zen?

Vorwort

Dieses Buch setzt sich aus vier Büchern zusammen:

101 Zen-Geschichten geben die tatsächlichen Erfahrungen chinesischer und japanischer Zen-Lehrer aus einer Zeitspanne von mehr als fünf Jahrhunderten wieder.

Das torlose Tor ist eine Sammlung von Denkaufgaben, koan genannt, die von Zen-Lehrern benützt wurden, um ihre Schüler zur Befreiung zu führen, und die ein chinesischer Zen-Meister im Jahre 1228 erstmals zusammengefasst hat.

Zehn Bilder des Ochsen ist die Übersetzung eines berühmten chinesischen Kommentars aus dem zwölften Jahrhundert über die Stufen des Erwachens, die zur Erleuchtung führen. Die Illustrationen stammen von einem der besten zeitgenössischen Holzschnitt-Künstler Japans.

Auf die Mitte zu ist eine Übertragung aus alten San­skrit-Schriften. Diese Sammlung von Lehrsprüchen ist heute noch, nach mehr als viertausend Jahren, in Kaschmir und einigen Teilen Indiens lebendig und kann als Wurzel des Zen betrachtet werden.* Mein Dank gebührt Nyogen Senzaki, dem »hauslosen Mönch«, meinem Vorbild, Freund und Mitarbeiter, der so liebenswürdig war, mit mir die ersten drei Bücher ins Englische zu übersetzen, sowie dem mit Weissagung begabten Mann aus Kaschmir, ­Lakshmanjoo, der mir bei der Übersetzung des vierten beistand.

Der erste Zen-Patriarch, Bodhidharma, brachte im sechsten Jahrhundert die Zen-Lehre von Indien nach China. Laut seiner Biografie, wie sie im Jahre 1004 von dem chinesischen Meister Dogen aufgezeichnet wurde, verlangte es Bodhid­harma nach neun Jahren in China nach der Heimkehr, und er versammelte seine Schüler um sich, um ihre Verständigkeit zu prüfen.

Dofuku sagte: »Meiner Meinung nach ist die Wahrheit jenseits von Bestätigung oder Ablehnung, denn eben dadurch lebt sie.«

Bodhidharma erwiderte: »Du hast meine Haut.«

Die Nonne Soji sagte: »Meiner Ansicht nach ist sie wie Anandas Erblicken des Buddha-Landes – einmal gesehen, für immer gesehen.«

Bodhidharma erwiderte: »Du hast mein Fleisch.«

Doiku sagte: »Die vier Elemente des Lichten, des Luftigen, des Flüssigen und des Festen sind leer, und die fünf skandhas sind nichts. Meiner Meinung nach ist nichts die Wirklichkeit.«

Bodhidharma kommentierte: »Du hast meine Knochen.«

Schließlich verbeugte sich Eka vor dem Meister – und verharrte schweigend.

Bodhidharma sagte: »Du hast mein Mark.«

Das alte Zen war von solcher Frische, dass es gesammelt und im Gedächtnis behalten wurde. Hier sind Fragmente seiner Haut, seines Fleisches, seiner Knochen – aber nicht seines Marks, denn das war niemals in Worten zu finden.

Die Direktheit des Zen hat manche veranlasst zu glauben, es stamme aus Quellen vor der Zeit des Buddha (das heißt vor 500 v. Chr.). Der Leser mag selbst urteilen, da er hier zum ersten Mal in einem Buch zusammengefasst die Erfahrungen des Zen, die geistigen Rätsel, die Stufen des Erwachens und eine ähnliche Lehre, die dem Zen um Jahrhunderte vo­rausging, vorliegen hat.

Die Schwierigkeit, unser Bewusstsein vorbewusstem Wachsein anzupassen, führt uns tief ins alltägliche Leben hinein. Wagen wir es, unsere Türen der Quelle unseres Seins zu öffnen?

Paul Reps

* Erstveröffentlichung der vier Bücher in englischer ­Sprache: 101 Zen Stories von Rider and Company, London 1939; The Gateless Gate von John Murray, Los Angeles 1934; 10 Bulls von DeVorss and Company, Los Angeles 1935; Center­ing in der Frühjahrsausgabe der Zeitschrift Gentry, New York 1955.

101 Zen-Geschichten

Ins Englische übertragenvon Nyogen Senzaki und Paul Reps

Diese Geschichten wurden aus einem Buch namens Shaseki-shu (Sammlung von Stein und Sand), das im späten dreizehnten Jahrhundert von dem japanischen Zen-Meister Muju (der »Nicht-Verweilende«) verfasst wurde, und aus Anekdoten-Sammlungen von Zen-Mönchen aus verschiedenen Büchern, die in Japan um die Jahrhundertwende veröffentlicht wurden, ins Englische übertragen.

Für den Orientalen, der mehr am Sein interessiert ist als am Geschäft, ist der sich selbst ent­deckende Mensch etwas, dem die höchste Achtung gebührt. Solch ein Mensch verfolgt das Ziel, sein Bewusstsein zu öffnen, wie der Buddha es tat.

Dies sind Geschichten über Selbstentdeckungen.

Man kann Zen als die innere Kunst und den geistigen Plan des Orients bezeichnen. Es wurde in China von Bodhidharma gepflanzt, der im sechsten Jahrhundert aus Indien kam, und im elften Jahrhundert wurde es ostwärts nach Japan gebracht. Es ist als »eine besondere Lehre ohne Schriften, jenseits von Worten und Buchstaben, ein Hinweisen auf die reine Geistessenz, ein direktes Hineinschauen in die eigene Natur, mittels dessen die Erleuchtung erlangt wird«, beschrieben worden.

Zen war in China als Ch’an bekannt. Die Ch’an-Zen-Meister wollten nicht Schüler des Buddha, sondern seine Freunde sein und sich dem Universum ebenso öffnen, wie Buddha und Jesus dies taten. Zen ist keine Sekte, sondern eine Erfahrung.

Die Zen-Haltung der Selbstsuche durch Meditation, auf dass die eigene wahre Natur verwirklicht würde, eine Haltung, die jeden Formalismus missachtet und großen Nachdruck auf Selbstdisziplin und auf die Einfachheit des Lebens legt, erhielt schließlich die Unterstützung des Adels und der herrschenden Klassen in Japan und gewann die hohe Achtung aller Richtungen philosophischen Denkens im Orient.

Die No-Spiele sind Zen-Geschichten. Zen-Geist bedeutet nicht nur Friede und Verständnis, sondern auch Hingabe an Kunst und Arbeit, die Entfaltung von Zufriedenheit, das Öffnen der Türe zur Erkenntnis, den Ausdruck der angeborenen Schönheit, die unberührbare Schönheit des Unvollkommenen. Zen enthält viele Bedeutungen, und keine von allen ist völlig erklärbar. Wenn sie je erklärt wurden, sind sie nicht Zen.

Es heißt, dass derjenige, der Zen in seinem Leben verwirklicht, keine Angst, keinen Zweifel, kein unnötiges Sehnen, keine extremen Emotionen kennt. Weder engherzige Verhaltensweisen noch egoistische Handlungen verstören ihn. Er dient der Menschheit in Demut, indem er seine Anwesenheit in dieser Welt mit Herzensgüte erfüllt und sein Dahinschwinden betrachtet wie ein Blatt, das von einer Blüte fällt. Indem er heiter ist, erfreut er sich seines Lebens in segensreicher Ruhe. Solcher Art ist der Geist des Zen, dessen äußere Hülle aus Tausenden von Tempeln in China und Japan, aus Priestern und Mönchen, Reichtum und Ansehen besteht, und es ist oft gerade der sichtbare Formalismus, der sich selbst transzendiert.

Zen zu erlernen, das Blühen der eigenen Natur, ist in keinem Zeitalter, in keiner Zivilisation eine leichte Aufgabe. Viele Lehrer, echte und falsche, haben sich bemüht, anderen dabei zu helfen. Aus unzähligen wahren Abenteuern im Reich des Zen sind diese Geschichten erwachsen. Möge der Leser sie seinerseits in die lebendige Erfahrung des Heute umsetzen.

1. Eine Tasse Tee

Nan-in, ein japanischer Meister der Meiji-Zeit (1868 bis 1912), empfing den Besuch eines Universitäts­professors, der etwas über Zen erfahren wollte.

Nan-in servierte Tee. Er goss die Tasse seines Besuchers voll und hörte nicht auf weiterzugießen.

Der Professor beobachtete das Überlaufen, bis er nicht mehr an sich halten konnte. »Es ist übervoll. Mehr geht nicht hinein!«

»So wie diese Tasse«, sagte Nan-in, »sind auch Sie voll mit Ihren eigenen Meinungen und Spekulationen. Wie kann ich Ihnen Zen zeigen, bevor Sie Ihre Tasse geleert haben?«

2. Einen Diamanten auf einer schmutzigen Straße finden

Gudo war der Lehrer des Kaisers seiner Zeit. Trotzdem pflegte er allein als wandernder Bettelmönch umherzureisen. Als er sich einst auf dem Weg nach Edo befand, dem kulturellen und politischen Zen­trum der Shogun-Herrschaft, näherte er sich einem kleinen Dorf namens Takenaka. Es war Abend, und ein heftiger Regen stürzte hernieder. Gudo war durch und durch nass. Seine Stroh­sandalen waren aufgelöst. Im Fenster eines Bauernhofes nahe dem Dorf erblickte er vier oder fünf Paar Sandalen und beschloss, sich trockene zu kaufen.

Die Frau, die ihm die Sandalen vorlegte, sah, wie nass er war, und lud ihn ein, über Nacht in ihrem Hause zu bleiben. Gudo nahm die Einladung an und bedankte sich. Er trat ein und rezitierte ein Sutra vor dem Familienschrein. Daraufhin wurde er der Mutter und den Kindern der Frau vorgestellt. Er bemerkte, dass die ganze Familie sehr bedrückt war, und fragte nach dem Grund.

»Mein Mann ist ein Spieler und Trunkenbold«, erzählte ihm die Frau. »Wenn er gewinnt, so trinkt er und wird unflätig. Wenn er verliert, so leiht er Geld von den anderen. Manchmal, wenn er sich völlig betrunken hat, kommt er nicht einmal nach Hause. Was kann ich nur tun?«

»Ich will ihm helfen«, sagte Gudo. »Hier ist etwas Geld. Beschaffe mir eine Gallone guten Weines und etwas Feines zu essen. Dann kannst du dich für die Nacht zurückziehen. Ich werde vor dem Schrein meditieren.«

Als der Hausherr um Mitternacht recht betrunken heimkehrte, brüllte er: »He, Frau, ich bin wieder da! Hast du was zu essen für mich?«

»Ich habe etwas für dich«, sagte Gudo. »Ich wurde vom Regen überrascht, und deine Frau war so freundlich, mich für diese Nacht aufzunehmen. Als Gegengabe habe ich etwas Wein und Fisch gekauft, also kannst auch du davon haben.«

Der Mann war entzückt. Er trank den Wein auf einmal aus und legte sich auf den Boden nieder. Gudo setzte sich in Meditation neben ihn.

Am Morgen, als der Hausherr erwachte, hatte er die Geschehnisse der vergangenen Nacht vergessen. »Wer bist du? Wo kommst du her?«, fragte er Gudo, der immer noch meditierte.

»Ich bin Gudo aus Kioto, und ich bin auf dem Weg nach Edo«, antwortete der-Zen-Meister.

Der Mann war äußerst beschämt. Überschwänglich entschuldigte er sich bei dem Lehrer seines Kaisers.

Gudo lächelte. »Alles in diesem Leben ist vergänglich«, erklärte er. »Das Leben ist sehr kurz. Wenn du weiterhin spielst und trinkst, wirst du keine Zeit übrig haben, um irgendetwas anderes zu vollbringen, und du wirst deine Familie zwingen, ebenfalls zu leiden.«

Das Bewusstsein des Hausherrn erwachte wie aus einem Traum. »Wie kann ich Euch diese wunderbare Belehrung jemals vergelten? Lasst mich Euch begleiten und Eure Sachen ein Stück weit für Euch tragen.«

»Wenn du willst«, stimmte Gudo zu.

Die beiden brachen auf. Nachdem sie drei Meilen gegangen waren, sagte Gudo zu dem Mann, er solle zurückkehren. »Nur noch fünf Meilen«, bat dieser. Sie gingen weiter.

»Du solltest jetzt zurückkehren«, schlug Gudo vor. »Noch zehn Meilen«, antwortete der Mann.

»Geh jetzt zurück«, sagte Gudo, nachdem sie die zehn Meilen zurückgelegt hatten.

»Ich will dir für den ganzen Rest meines Lebens folgen«, erklärte der Mann.

Moderne Zen-Lehrer in Japan entstammen der Linie eines berühmten Meisters, der Gudos Nachfolger war. Sein Name war Mu-nan, der Mann, der nie mehr zurückkehrte.

3. So?

Der Zen-Meister Hakuin wurde von seinen Nachbarn als einer, der ein reines Leben führte, gepriesen.

Ein schönes japanisches Mädchen, dessen Eltern ein Lebensmittelgeschäft besaßen, wohnte in seiner Nähe. Da entdeckten die Eltern plötzlich, dass sie schwanger war.

Das machte die Eltern sehr böse. Sie wollte nicht gestehen, wer der Mann war, aber nach langem Drängen nannte sie schließlich Hakuin.

In großem Ärger gingen die Eltern zum Meister. »So?«, war alles, was er zu sagen hatte.

Nachdem das Kind geboren war, brachte man es zu Hakuin. Er hatte seinen guten Ruf verloren, was ihm jedoch keine Sorgen machte, und er kümmerte sich in bester Weise um das Kind. Von seinen Nachbarn erhielt er Milch und alles andere, was das Kleine benötigte.

Ein Jahr später konnte die junge Mutter es nicht länger aushalten. Sie erzählte ihren Eltern die Wahrheit – dass der echte Vater ein junger Mann sei, der auf dem Fischmarkt arbeitete.

Die Mutter und der Vater des Mädchens gingen wieder zu Hakuin und baten ihn um Verzeihung; sie entschuldigten sich des langen und breiten und wollten das Kind wieder mitnehmen.

Hakuin war einverstanden. Während er das Kind übergab, war alles, was er sagte: »So?«

4. Gehorsam

Die Reden des Meisters Bankei fanden nicht nur bei Zen-Schülern, sondern auch bei Leuten aller Ränge und Sekten große Beachtung. Niemals zitierte er Su­tras oder schwelgte in gelehrten Dissertationen. Stattdessen sprach er seine Worte direkt aus seinem Herzen zu den Herzen seiner Zuhörer.

Diese große Zuhörerschaft ärgerte einen Priester der Nichiren-Sekte, weil seine Anhänger ihn verlassen hatten, um von Zen zu hören. Der selbstsüchtige Nichiren-Priester ging in den Tempel, entschlossen, sich mit Bankei auseinanderzusetzen.

»He, Zen-Lehrer!«, schrie er. »Warte eine Minute. Wer dich achtet, soll sich deinem Wort unterwerfen, aber ein Mann wie ich achtet dich nicht. Kannst du mich dazu bringen, dir zu gehorchen?«

»Komm her zu mir, und ich will es dir zeigen«, sagte Bankei.

Stolz bahnte sich der Priester einen Weg durch die Menge zu dem Zen-Lehrer.

Bankei lächelte. »Komm an meine linke Seite.«

Der Priester gehorchte.

»Nein«, sagte Bankei, »wir können wohl besser reden, wenn du auf der rechten Seite bist. Geh hier herüber.«

Der Priester trat stolz auf die rechte Seite hinüber.

»Du siehst«, bemerkte Bankei, »du gehorchst mir, und ich glaube, dass du ein sehr liebenswürdiger Mensch bist. Nun setz dich und höre zu.«

5. Wenn du liebst, so liebe offen

Zwanzig Mönche und eine Nonne, die Eshun hieß, übten die Meditation bei einem bestimmten Zen-Meister.

Eshun war sehr hübsch, obwohl ihr Kopf geschoren und ihr Gewand einfach war. Mehrere Mönche verliebten sich heimlich in sie. Einer von ihnen schrieb ihr einen Liebesbrief und bat um ein Stelldichein.

Eshun antwortete nicht. Am folgenden Tag gab der Meister der Gruppe eine Unterweisung, und nachdem diese vorüber war, erhob sich Eshun. Sie wandte sich an den Absender des Briefes und sagte: »Wenn du mich wirklich so sehr liebst, so komm und umarme mich jetzt.«

6. Keine Herzensgüte

Es war in China eine alte Frau, die mehr als zwanzig Jahre lang für einen Mönch gesorgt hatte. Sie hatte ihm eine kleine Hütte gebaut und ihn mit Nahrung versehen, während er meditierte.

Schließlich wollte sie wissen, welche Fortschritte er in all dieser Zeit gemacht hatte.

Um das herauszufinden, erbat sie die Hilfe eines Mädchens, das sehr begehrlich war. »Geh und umarme ihn«, sagte sie zu ihr, »und dann frage ihn plötzlich: ›Was nun?‹«

Das Mädchen ging zu dem Mönch, liebkoste ihn, ohne viel Umstände zu machen, und fragte, was sie nun tun sollten.

»Ein alter Baum wächst auf einem kalten Fels im Winter«, antwortete der Mönch etwas poetisch. »Weit und breit keine Wärme.«

Das Mädchen kam zurück und berichtete, was er gesagt hatte.

»Wenn ich bedenke, dass ich diesen Kerl zwanzig Jahre lang gefüttert habe!«, rief die alte Frau ärgerlich. »Er zeigte keine Rücksicht auf deine Nöte, keine Neigung, deine Lage zu erklären. Er hätte deine Leidenschaft ja nicht erwidern müssen, aber er hätte zumindest etwas Mitleid bezeigen können.«

Sie begab sich umgehend zu der Hütte des Mönchs und brannte sie nieder.

7. Botschaft

Tanzan schrieb am letzten Tag seines Lebens zwanzig Postkarten und bat einen Diener, sie einzuwerfen. Dann verschied er.