Die Welt zu Gast in Salzburg - Peter Mittermayr - E-Book

Die Welt zu Gast in Salzburg E-Book

Peter Mittermayr

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Beschreibung

Episoden und Intermezzi, Amüsantes und Tragisches, Anfänge und Abschiede - ganz Unterschiedliches erlebten die Schriftsteller, Philosophen, Komponisten, Wissenschafter, Maler und Mediziner, während sie zu Gast in Salzburg waren. Und immer war es eine kleine oder große Begebenheit vor Ort, die prägenden Einfluss auf ihr Werk und die Nachwelt nahm. Peter Mittermayr und Hans Spatzenegger haben sich an die Fersen von insgesamt 36 weltberühmten Salzburg-Gästen geheftet und dabei kaum bekannte und neu entdeckte Episoden aufgezeichnet. Ihre Spurensuche orientiert sich am ungeschriebenen "Kanon der Weltprominenz" des 19. und 20. Jahrhunderts.

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PETER MITTERMAYRHANS SPATZENEGGER

DIE WELT ZU GAST IN SALZBURG

EPISODEN UND INTERMEZZI

Inhalt

Zu diesem Buch

Jean Améry /Hans Mai(y)er

Hans Christian Andersen

Béla Bartók

Theodor Billroth

Johannes Brahms

Albert Camus

Elias Canetti

Frédéric Chopin

Ernest Dichter

Walt Disney

Albert Einstein

Sigmund Freud

Karl Ritter von Frisch

Friedrich August von Hayek

Werner Heisenberg

Theodor Herzl

Patricia Highsmith

Wilhelm von Humboldt

Friedensreich Hundertwasser

James Joyce

Paul Klee

David Herbert Lawrence

Thomas Mann

Gabriel Marcel

Robert Musil

Cyril Northcote Parkinson

Karl Popper

Joseph Roth

Jean-Paul Sartre

Arthur Schopenhauer

Edith /Sr.Teresia Stein

Stendhal /Marie-Henri Beyle

Theodor Storm

Johann Strauß Sohn

Richard Wagner

Carl Maria von Weber

Nachwort

Personenregister

Impressum

Zu diesem Buch

Bücher über weltbekannte, mit Salzburg verbundene Persönlichkeiten – von A (H.C. Artmann) bis Z (Stefan Zweig) – füllen Bibliotheken.

Viele dieser „Salisburgensien“ befassen sich dabei mit Leben und Wirken dieser Berühmten, ob sie nun durch ihren Wohnsitz oder ihre Wirkungsstätte als „Salzburger“ gelten.

In diesem Buch werden manch neu entdeckte oder kaum bekannte Begebenheiten von prominenten Salzburg-Besuchern aufgefädelt. Schlaglichter, einzelne eher unbedeutend scheinende Miniaturen, aber auch schwerwiegende Begegnungen und Ereignisse. Diese Geschichten enthalten auch Eindrücke von Land und Leuten und machen den oft prägenden Einfluss auf das Werk und die Nachwelt bewusst.

Unsere Spurensuche orientierte sich am ungeschriebenen „Kanon der Weltprominenz“ des 19. und 20. Jahrhunderts: also die unbestrittenen Ikonen der Literatur, der Physik, der Psychoanalyse, Maler und Komponisten, weltberühmte Ärzte, Philosophen, Nobelpreisträger … Jeder kennt diese Protagonisten, aber das eine oder andere Geschehen in und mit Salzburg vielleicht doch nicht so genau.

Von Berichten über Staatsbesuche wurde ebenso wie von der Anführung von Mitwirkenden der Salzburger Festspiele Abstand genommen. Dies hätte den Rahmen dieses Buches gesprengt bzw. kann in anderen Publikationen nachgelesen werden.

Wir schreiben also über Episoden, scheinbare Zufälligkeiten und Intermezzi im Leben von Weltbürgern, die bemerkenswert sind und durch die genialen Protagonisten Interesse zu wecken vermögen.

Peter Mittermayr

Hans Spatzenegger

Jean Améry / Hans Mai(y)er

„Der Weg ins Freie“

„Der letzte Großintellektuelle, der an die Göttin Vernunft glaubte“, nahm sich 1978 im geliebten Salzburg das Leben, „als feiner Mann im feinen Hotel Österreichischer Hof“, kommentierte der ebenfalls am intellektuellen Dasein und an der Linken laborierende Günther Nenning in seiner gewohnt direkten Art das Ende von Jean Améry (1912-1978) in der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober.

Es war eine kalte Nacht, nach einem nebeligen Tag. Vom Zimmerservice hatte sich der Gast, als Hans Maier im Meldebuch eingetragen, eine Flasche Whisky, Sandwiches und ein Päckchen Marlboro kommen lassen. Auf die übliche Frage des Nachtportiers „Wünschen Sie morgen geweckt zu werden?“ seine Antwort: „Mich braucht niemand mehr wecken“, so glaubt sich der Diensthabende, Rainer Hochhauser, zu erinnern.

Die erforderlichen Schlafmittel waren bereit, die letzten Briefe geschrieben. „Ich bin auf dem Weg ins Freie …“, so beginnen die Abschiedsworte an seine Frau Maria: „Geliebtes Herzilili, allergeliebtes, vor dem ich sterbend in Schuld knie … Es ist nicht leicht, aber dennoch die Erlösung. Denke, wenn Du kannst, nicht mit Groll an mich und nicht mit allzu qualvollem Schmerz. Du weißt alles, was ich Dir zu sagen habe: dass ich Dich unendlich liebte …“ Nach der erbetenen/erhofften Verzeihung doch (vielleicht) „ein Schimmer, eine bloße Ahnung von Seelenfrieden“. Darin könnte auch seine unglückliche Dreiecksbeziehung, die bereits einen Selbstmordversuch zur Folge hatte, angedeutet sein. Seinem Lektor von Klett-Cotta dankt er: „Ich hielt mich aufrecht, solange die Kräfte reichten. Jetzt schwinden sie, so muß ich gehen.“ An die „betreffende Polizeibehörde“: „Ich, Unterzeichneter, Hans Maier (genannt: Jean Améry), Schriftsteller, erkläre hiermit, dass ich mir freiwillig im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, den Tod gebe.“ Seine Ehrungen führe er „ausschließlich“ deshalb an, „dass meine Witwe entsprechend rücksichtsvoll behandelt werde“ (PEN, Akademie der Künste/Berlin, Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung/Darmstadt, Lessing-Preis, Preis der Publizistik der Stadt Wien). Für die Hotelspesen lag ein Betrag bereit, mit der Entschuldigung für die „Ärgerlichkeiten“.

Wenige Tage vorher war die Gründungsversammlung der rechtsextremen „Aktion Neue Rechte“ von der Staatspolizei zwar verboten worden, diese aber – dessen ungeachtet – provozierend in SS-Uniformen ausgerechnet durch die Judengasse gezogen.

Der Tod war Amérys Denken Zeit seines Lebens nicht fremd: „Mein Tod, eine Scheinfrage: solange ich bin, ist er nicht, und wenn er ist, bin ich nicht mehr“, schrieb er bereits zehn Jahre zuvor. In der Auseinandersetzung mit Canettis Kampf mit dem Tod outet er sich als einer, der den Tod nicht hasst, „sondern eher angstvoll herbeisehnt“, ohne ihn jedoch zu glorifizieren: „Kein Garten Eden mit prangenden Früchten“, sondern letztlich „das vollkommene und unaufhebbare Debakel“. Schon dem Altern konnte der Mittfünfziger nichts Tröstliches abgewinnen, es sei ein Prozess der allseitigen Entfremdung: „Mit dem Sterben leben.“ 1976 hatte er, der sich seit dem KZ selbst nur noch als „ein Toter auf Urlaub“ empfand, seine meistgelesene Schrift publiziert: „Hand an sich legen. Diskurs über den Freitod“ – Bestseller und wegen seiner Radikalität „Summe seines Denkens“ (Helmut Heißenbüttel). Er schildert darin einerseits eine unerträgliche Vereinsamung und wie anderseits „nur (so, Ergänzung) die Absurdität von Leben und Sterben“ erfahren werden kann. Dagegen hatte Améry immerhin neben der Resignation auch die Revolte angesagt, die jedoch um ihre Aussichtlosigkeit weiß. Es sollte keine „Apologie des Freitods“ sein, vielmehr die Innensicht eines „Suizidanten“, der ein ziemlich langes Leben „intimen Umgang mit dem Tod“ pflegt. Es ist weniger Hilferuf, eher Botschaft. Der Freitod als äußerste Negation, die keinerlei Positives birgt, mag „sinnlos“ sein, jedoch der einzige „Weg ins Freie“. „Aber Recht haben die Überlebenden“, zitiert Améry ein Gedicht Franz Werfels.

„Die erschütternde Anwendung der Theorie“, so übertitelten die „Salzburger Nachrichten“ den Nachruf und deuteten die Rückkehr in sein Geburtsland als eine Art Versöhnung. Zeitlebens irgendwie immer auf der Suche nach „Heimat“, ein „Dichter ohne Vaterland“ (Hanjo Kesting). Zu seiner frühen Phase „ländlich gestimmter Dichtkunst“ gehört etwa Karl Heinz Waggerl, den übrigens auch Stefan Zweig sehr gefördert hat. Als „stumpfen Rückschrittler“ schalt sich Améry dafür später.

Aus Vorarlberg stammend, in Wien geboren, in Bad Ischl aufgewachsen. Das Studium der Philosophie und der Literatur in Wien bestärken seine Wende zur Aufklärung und zur Logik, mit der Folgerung, dass es Gott nicht gibt und nicht braucht, wie er sich ausdrückt.

Nach ersten literarischen Erfolgen flüchtet er 1938 nach Belgien, wo er im Widerstand tätig ist und im KZ landet. Von über 25.000 belgischen Juden ist Hans Maier einer von 615 Überlebenden. Einzig die Lager-Nummer 172364 auf seinem Unterarm macht – neben seinen Lebensdaten – das Ehrengrab in Wien kenntlich. Als „Heiligen des Holocaust“ stilisiert Imre Kertesz den Autor von „Jenseits von Schuld und Sühne“, das nach dem Urteil seiner exzellenten Biographin Irene Heidelberger-Leonard zum Beginn und Kanon der Shoah-Literatur gehört.

1945 bleibt er in Brüssel, legt die „feindselige“ Muttersprache ab und nimmt (anagrammatisch variiert) den Namen Jean Améry an.

Er gehört zweifellos zum Kreis bedeutender europäischer Schriftsteller. Seine Essays werden auf eine Stufe mit jenen von Hannah Ahrendt und Theodor W. Adorno gestellt. Der Exilant entwickelt eine besondere Nahbeziehung zur „betroffen machenden österreichischen Melancholie“ in der Sprache von Ingeborg Bachmann und zum „Wortgetöse“ Thomas Bernhards. In Bachmanns „Drei Wege zum See“ bekennt die Journalistin Elisabeth eine persönliche Veränderung nach der Lektüre des Essays „über die Tortur“, den ein Österreicher „mit französischem Namen“ geschrieben hat. In seiner Rezension, in der er diesen Novellenband ganz hoch veranschlagt, bekennt Améry: In ihm rief „die seit Jahren verlorene Heimat mich an“. Dass er für seinen Abgang den fünften Todestag „der ungekannten Freundin“ wählte, mag deshalb vielleicht kein Zufall sein. In einem überaus persönlichen Nachruf 1973 nennt er sie „eine sehr große Dichterin deutscher Sprache und österreichischen Stammes“.

Auch bei Thomas Bernhard diagnostiziert Améry eine „Krankheit zum Tode“, den morbus austriacus, dem schon Georg Trakl erlag: „Der Menschenschlag der Voralpenlandschaft des Landes Salzburg ist widrig, kein Zweifel. Er ist heimtückisch schmeichlerisch, grausam und von jenem fermentierenden Charme, der jeden Widerspruch mit Duliöh-Gelächter auffängt.“

Die Medien sicherten dem Freischaffenden Forum und Existenz. So rief ihn auch der ORF zum „8. Salzburger Humanismusgespräch“ 1976 zu „Abschied von Utopia?“, Anspruch und Auftrag der Intellektuellen. Neu positioniert wollte der Hörfunk mit seinem Bildungsauftrag und aufklärerischem Impetus „Denkprozesse nicht nur referieren, sondern sie in des Wortes wahrstem Sinn auch veranstalten“, so der damalige Generalintendant Gerd Bacher.

Der Soziologe Helmut Schelsky bildete mit dem Philosophen Robert Spaemann und dem Theologen Joseph Ratzinger die konservative Front, die Marxisten Adam Schaff und Leo Kofler hielten dagegen. Erstaunlicherweise kam Jean Améry, dem kritischen Rationalismus Popperscher Prägung verpflichtet, in dieser hehren akademischen Arena eine vermittelnde Rolle zu: „Utopia wird bestehen, solange es noch halbwegs aufgeklärte Gesellschaften gibt.“ Sache der Intellektuellen wird es sein, „dem Land Nirgendwo jene Farben und Konturen zu geben, die je als möglich und prinzipiell erreichbar erscheinen“ und das Freud’sche Unbehagen an der Kultur „in ein utopistisches Streben nach den universellen Werten“ – Freiheit, Vernunft, Gerechtigkeit, Wahrheit – umkehren. Als deren Vertreter „müssen wir darüber wachen sogar auf die Gefahr hin, als kulturell-reaktionär zu erscheinen, dass nicht im Gewande der Modernität uralte Wasser, verjüngt nur scheinbar, aufsteigen und den Geist überschwemmen“. Auch heute sei der „Humanismus des Geistes“ vom Irrationalismus bedroht, und für die Intellektuellen bestehe daher die Pflicht zum Engagement. Damit hatte der Moralist und radikale Humanist nicht nur seinen aktuellen Diskussionsbeitrag, sondern letztlich seine gesamte Lebensphilosophie definiert.

Seine Befürchtung nach dem „Weg ins Freie“ – „Es wird sein, als wär er nie gewesen …“ – widerlegt allein schon die großartige Edition seiner Gedanken und Formulierungen in neun Bänden durch die Biographin Irene Heidelberger-Leonard, unterstützt u. a. vom Salzburger Germanisten Hans Höller. HS

Hans Christian Andersen

„Österreich ist viel schöner als Dänemark“

Dass „hier alles so billig sei“ und außerdem wunderschön, hören die Tourismus-Gewaltigen am liebsten, auch wenn diese Feststellung von einem Märchendichter stammt. Dieser war – zugegebenermaßen – bekannter geworden wegen seiner Märchen wie „Die Prinzessin auf der Erbse“, „Das hässliche Entlein“, „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“, „Der standhafte Zinnsoldat“ oder – viel zitiert – „Des Kaisers neue Kleider“.

Seinen – familiär bedingt – mühsamen Bildungszugang schaffte Andersen (1805-1875) durch besonderen Ehrgeiz. Er versuchte sich zunächst in der Theaterwelt, bis er schließlich bei der Schriftstellerei landete. „Aufstrebendem, armen Schusterbuben (geboren 1805 in Odense) wird durch königliche Güte die Lateinschule ermöglicht, mit Reisestipendien seiner Leidenschaft gefrönt, sowie mit einem staatlichen Gehalt der Start gesichert …“ Eigentlich ein Stoff, aus dem Märchen sind.

Bereits seine Reiseschilderungen wurden gerne gelesen, seine Romane und dramatischen Versuche fanden hingegen weniger Anklang. Weltberühmt machten ihn seine Märchen, die in über achzig Sprachen übersetzt wurden und die europäische Literatur des 19. Jahrhunderts entscheidend bereicherten. Der Herausgeber seiner Tagebücher, Heinz Barüske, ernennt Andersen demnach „zum meistgelesenen Dichter der Welt“.

Märchen entsprachen dem damaligen Trend volkstümlicher Erzählungen. Nicht weniger als 168 davon hat Andersen verfasst, mit scheinbarer Schlichtheit und manchmal auch ironischer Melancholie, die sich oft aber eher erst den Erwachsenen erschließt. Alltagsschicksale einer in der Regel kleinen Welt mit sehr viel Seele und tiefsinniger, spielerischer Phantasie. Auf seinen insgesamt dreißig Reisen, mit Vorliebe in den Süden (bis nach Griechenland, Malta und in die Türkei), landete er dreimal auch in Salzburg. Sie sind vielleicht Ausdruck einer gewissen Ruhelosigkeit, seiner gefühlsmäßigen Höhen und Tiefen einschließlich unglücklicher Liebschaften, zweifellos jedoch zusätzliches Quellenstudium für seine umfangreiche Produktivität. So war er insgesamt neun Jahre seines Lebens unterwegs: „Reisen heißt Leben“, betonte er mehrmals. Er suchte Begegnungen „mit Gott und der Welt“ und genoss dabei besonders Einladungen an Fürstenhöfe. Seine erste Rundreise führte ihn 1833/34 durch Deutschland (wobei die erste deutsche Übersetzung der Märchen noch einige Jahre – bis 1839 – auf sich warten ließ), Frankreich und Italien. In Rom hatte er etwa seinen Freund und Landsmann Bertel Thorvaldsen in dessen Atelier besucht, der kurze Zeit später auch für einen Entwurf des Mozartdenkmals in Salzburg in Erwägung gezogen worden war.

In einem „Handerer“ (Mietwagen), in dem er die Bekanntschaft eines Schauspielers auf dem Weg nach Gastein machte, erreichte er damals von München kommend am 5. Juni 1834 die Salzburgisch-österreichische Grenze: Wie etliche Jahrzehnte später Richard Wagner hatte auch Andersen eine unliebsame Konfrontation mit einem Grenzsoldaten, der sich in diesem Fall als unausgebildet, ungebildet und noch dazu misstrauisch erwies. Dabei kam es zu einer handfesten Debatte „in der man mir“, so der Inquirierte, „erklärte, dass in Österreich alles beim alten bleiben solle, dass man von einer Revolution nichts wissen wolle, dass man mit dem Kaiser Franz zufrieden sei. Ich versicherte, dass ich das auch sei und dass sie sich vollkommen beruhigen könnten; ich sei ein Gegner von Revolutionen und ein vorbildlicher Untertan. Doch es half nichts, ich wurde aufs Strengste untersucht …“

So detailliert schildert der Dichter die Szene in seiner Autobiographie – kein Stoff für ein Märchen, bestenfalls für eine Satire: Zuallererst hatte der Name im französisch ausgestellten Reisepass irritiert: „Jean Chrétien Andersen. ‚Sie reisen also unter einem anderen Namen?‘, fragte der Zöllner.“ Dann Durchwühlen des Koffers sowie weiteres Examinieren bis zum „strengen Verhör“: „Man fragte mich, was mein Chapeaubas für ein Ding sei. Ich antwortete: ‚ein Gesellschaftshut‘. ‚Welcher Art von Gesellschaft? Doch keine geheime?‘ “Ganz offensichtlich warf nicht nur der eben geschlossene „Deutsche Zollverein“, der Österreich bekanntlich ausgegrenzt hat, seine Schatten auf diese lapidare Begegnung, sondern darüber hinaus ließ die vermeintlich französische Provenienz den biederen Beamten einfach argwöhnen, einem „aufrührerischen Element“ auf der Spur zu sein. Seinen Pass erhielt Andersen erst am nächsten Tag von der Polizei zurück.

Nach diesem Intermezzo an der Grenze war es dann aber nur mehr ein Sprung in die Stadt hinein: „Die Salzach teilt die Stadt in zwei Teile, die Häuser sehen mit ihren flachen Dächern ganz italienisch aus. Im ‚Goldnen Ochsen‘ war kein Platz, wir zogen also in die ‚Goldne Traube‘. Hier bekam ich ein großes Zimmer zur Strasse, machte dann einen Spaziergang durch die Stadt und genehmigte mir zum Abend einen Braten. Fühlte mich recht zufrieden.“ (Wahrscheinlich ist der Gasthof „Roter Ochs“ in der Lederergasse gemeint. Die „Goldene Traube“ war ganz in der Nähe, in der Linzer Gasse 4.) Eine „alte Dienerin“ des Hauses erzählte, dass wenige Schritte in Richtung Brücke zum Haus führten, in dem der große Arzt Theophrastus Bombastus zu Hohenheim, genannt Paracelsus, 1541 gestorben sei. Sie wusste auch die Todesursache zu schildern: Paracelsus konnte nämlich auch jene Krankheit heilen, „die nur die Vornehmen bekommen und die Podagra genannt wird“; die Gicht in den Füßen scheint also ein typisches Wohlstandsleiden. Und deshalb wurde er – so die Gewährsfrau – von den Kollegen vergiftet, die ihn als Scharlatan ansahen. „Er war aber doch wohl ein Genie, war mit seiner Kunst der Zeit voraus “, vertraute der hypochondrisch veranlagte Andersen seinem Tagebuch an. „Mir ist Paracelsus stets eine romantisch anziehende Persönlichkeit gewesen.“ Übrigens: „Sein Wanderleben führte ihn auch nach Dänemark.“

Der Salzburger Medicus hätte Andersen zweifellos auch ein Tränklein verabreichen können, als diesen ausgerechnet in Salzburg ein Zahnweh befiel.

Trotzdem machte dieser am 20. Juni einen ausgedehnten Spaziergang, „aus der Stadt heraus, die ganz romantisch liegt. Hohe, steile Felsen mit Laubwäldern drauf, schöne Lindenalleen und auf den Feldern das duftende Heu“. Weniger imponierten ihm die „Steinfiguren“ im Mirabellgarten. Obligatorisch sein Gang „in die Petri-Kirche, wo Haydn begraben ist, d. h. der Bruder des Komponisten (Joseph Haydn). Aber der war auch Komponist und sehr bekannt. Mozarts Schwester liegt daneben und der Heilige Rupert. Auf Haydns Monument liegen marmorne Bücher“, darunter „das Requiem unter dem Stundenglas“: dessen letztes Werk, wusste der Märchendichter. „Der Kirchhof ist sehr interessant mit einer Grabkapelle neben der anderen“, die meisten mit Porträts, „stolze Damen mit hohen Frisuren und stolzen Blicken“. In der Altstadt war zufällig gerade die Fronleichnamsprozession im Gange, an der ihn einzig beeindruckte: „Ein Mann trug wie ein Packesel beide Pauken und hatte die Noten an seinem Nacken befestigt.“

Weiters bestieg Andersen den Kapuzinerberg: „Viele Kapellen mit Holzfiguren, die Szenen aus der Leidensgeschichte vorstellen. Abscheulich schlecht. Christus sieht jämmerlich aus. Der Madonna hat man ein wirkliches, gesticktes Taschentuch in die Hand gegeben.“ Natürlich dann wieder der schöne Ausblick von oben: „Die Gegend hat viel Variation, einerseits erinnert sie an Italien, andererseits an den Rhein, und drittens an das flache Bayern.“ Gegen Abend wanderte er auf „den Mönchsberg (die alte Festung): Eine herrliche Aussicht auf die Berge und die Stadt eröffnete sich …“

Jedoch auch der Tennengau hat seine Reize: „Ist man in Salzburg, so muss man nach Hallein und dort durch das Salzwerk rutschen, über den Deckel der ungeheuren eisernen Siedepfanne gehen.“

Als dritte Sehenswürdigkeit hatte sich der Gast vorgenommen: den Gollinger Wasserfall, durchaus ansehnlich, „aber ich habe diesen Eindruck vergessen, und nur ein Kinderlächeln ist mir in Erinnerung geblieben. Als Führer hatte ich einen kleinen Jungen, er besaß in erstaunlichem Maße den Ernst der Erwachsenen, den Kinder oft durch bestimmte Lebensumstände bekommen können. Der kleine Kerl war von einer Verständigkeit, ein eigentümlicher Ernst lag auf seinem Gesichte, kein Lächeln glitt darüber. Als wir dem schäumenden, stürzenden Wasser mit seinem Gedröhn gegenüber standen, leuchteten seine Augen, und glückselig und stolz sagt er: ‚Das ist der Gollingfall!‘ Das Wasser braust noch immer ich habe es vergessen, aber nicht das Lächeln des Knaben“. Natürlich war auch Hellbrunn mit „Wasserfontänen und allerlei Spielzeug“ ein Fixpunkt des Besuchsprogramms.

Andersen erwähnt in seinem Tagebuch noch eine weitere außergewöhnliche Begegnung im Zuge der Reise: Er unterhielt sich demnach angeregt mit einem Scharfrichter, der von Linz hierher kam, um in Salzburg einen verurteilten Soldaten zu hängen.

Am 9. Juni traf Andersen in Wien ein, von wo er dann über Prag und Dresden nach Kopenhagen heimkehrte. Franz Grillparzer, der auch gerade an einem Märchen, allerdings einem dramatischen, „Das Leben ein Traum“, arbeitete, hatte ihn respektvoll „als Dichter … den einzigen, natürlichen Dichter im Augenblicke“ begrüßt, was vom geltungsbedürftigen Andersen wohlwollend bemerkt wurde. Nicht abreisen wollte er indes, ohne ein Konzert von Johann Strauß Vater besucht zu haben.

Zweiter Halt in Salzburg anno 1869: Auf einer sechsmonatigen Reise durch Mitteleuropa machte Andersen wieder einmal für zwei Tage Station. Diesmal im Spätherbst, mit zu erwartendem Schnürlregen. Trotzdem die vertrauten Wege: vom Dom über die Brücke zu den Kapuzinern, „im Vorbeigehen“ zu Paracelsus und in den Sebastiansfriedhof. Erstmals konnte er diesmal das inzwischen errichtete Mozartdenkmal (1842) bewundern: „Es hat einige Ähnlichkeit mit Thorvaldsen“ – kein Wunder, hatte es doch dessen Schüler, der Münchner Ludwig Schwanthaler, geschaffen. Es gefiel Andersen so gut, dass er sich sogar ein „Stereoskopbild“ davon kaufte. Mozarts Geburtshaus besah er zumindest von außen, weil ihm dabei die „goldene Lyra“ an der Fassade auffiel, wie er schreibt. Das alles zunächst bei strömendem Regen. Als schließlich doch noch die Sonne durchbrach, hatte dies für den gefühlsamen Dichter „etwas von frühlingshafter Wiedererweckung“. Sogleich besserte sich seine Stimmung und regte ihn an, schöpferische Impulse von den Ufern der Salzach mitzunehmen: „Als ich wieder zu Hause war und an Paracelsus und Mozart dachte, deren Namen sich mit Salzburg verbinden, kamen mir Ideen, und ich fing zwei Märchen an, eins über den Telegraphendraht: ‚Von Europa nach Afrika‘ und ‚Storchen-Brief aus Suez‘, in jenem Monat als der Suezkanal eröffnet wurde.“ Der erste Text ging in das später ausformulierte Märchen „Die Große Seeschlange“ ein. Der „Storch“ hingegen blieb Fragment. Dabei hätte dieser durchaus den nötigen Überblick – nämlich „vom Dachgiebel“ aus – bewiesen: „Der Mensch ist von allen Geschöpfen das eingebildetste!, sagte der Storch. Hör doch, was für einen Krach sie machen …“ Dass einem Derartiges in Salzburg einfällt?

Am nächsten Tag – bei schönstem Wetter – standen der Dom auf dem Programm, Mozarts Wohnhaus und der Friedhof von St. Peter: „Ich suchte Mozarts Grab, und dabei liegt es doch in Wien.“ Bei Sonnenuntergang spazierte er noch in die Steingasse, „wo die Häuser ganz und gar in den steilen Fels gebaut sind und wo es vollkommen italienisch aussieht“. Die gelegentlich sichtbaren „schneebedeckten Berge“ erinnern an „eine herrliche Tiroler Landschaft“ („Tyrol“ – aus der Distanz gesehen – war eben lange Zeit der Inbegriff der Berge!).

Nicht in bester körperlicher Verfassung machte sich Andersen 1872 schließlich noch einmal auf eine größere Reise, diesmal in Begleitung seines dänischen Kollegen William Bloch, bis ins geliebte Venedig, mit den Etappen: Salzburg, damals „im Neubaufieber“, und Wien, wo er leider den befreundeten Franz Grillparzer nicht mehr antraf; dieser war im Jänner 1872 verstorben.

„Österreich ist viel schöner als Dänemark“, lässt der Reiseschriftsteller eine seiner Romanfiguren einmal ausrufen. Die Landschaft und seine Städte, wie eben auch Salzburg, haben ihm durchaus gefallen, die erhoffte Anerkennung hierzulande ebenso. Noch heute ist Wien die einzige Stadt der Welt, die an seinem Geburtstag, dem 2. April, alljährlich den Kinder- und Jugendbuchtag als „Andersen-Tag“ begeht. HS

Béla Bartók

Salzburg, Geburtsstätte der Neuen Musik

Das Internationale Symposion zum Programm der Salzburger Festspiele 2007 hatte anlässlich der Aufführung von Herzog Blaubarts Burg diese Oper von Béla Bartók (1881-1945) zum Schwerpunkt. Es ist bemerkenswert, dass dabei auf Bartóks Bedeutung für die Salzburger Musikgeschichte nicht eingegangen wurde, war er doch einer der Initiatoren der 1922 in Salzburg gegründeten „Internationalen Gesellschaft für Neue Musik“ (IGNM).

Der Bartók-Biograph Everett Helm verweist auf seine Rolle als Wegbereiter und Unterstützer der Gesellschaft schon in ihren Anfängen sowie ihre Bedeutung für die internationalen Erfolge des ungarischen Komponisten. Wermutstropfen: „Aber wie bei manch anderen Komponisten der IGNM kam die Musik Bartóks beim großen Publikum nicht an. Sein Name wurde zwar allmählich allgemein bekannt, aber seine Musik wurde relativ wenig aufgeführt. Er war dem Aufnahmevermögen des Publikums immer um einige Werke voraus.“

Wie kam es zur Gründung der IGNM? Nach dem Ersten Weltkrieg förderten die Ideen des Völkerbundes mit der Forderung nach dem Gemeinschaftssinn der Nationen die Bestrebungen nach internationaler Zusammenarbeit.

Ähnlich dem PEN-Club für die Literatur sollte auch in der Musik eine Organisation geschaffen werden, um die nationalen Gesellschaften für Neue Musik zu koordinieren und zur Einheit zusammenzuschweißen. So wurde die IGNM als erste internationale Gesellschaft geschaffen, die sich auf musikalischem Gebiet einem künstlerischen Prinzip verschrieb: der Förderung Neuer Musik.

Am Anfang stand die Idee, ein internationales Musikfest der Neuen Musik zu schaffen. Ein Kreis Wiener Musiker und Musikfreunde konstituierte sich zu einem „Komitee zur Aufführung internationaler Kammermusik in Salzburg unter dem Protektorate von Dr. Richard Strauss“. Diese Konzerte sollten ab 1922 alljährlich als eine „Art Welt-Revue der zeitgenössischen Tonkunst“ fortgesetzt werden.

Die Stadt Salzburg wurde von den beiden Gründern Rudolf Réti und EgonWellesz als Schauplatz des ersten Musikfestes vorgeschlagen; zum einen war es ein attraktiver Festspielort, zum anderen wollte man Wien ausweichen, wo die Neue Musik – vor allem der „Schönberg-Kreis“ – durch die Traditionalisten unterdrückt wurde.

So kam es zu den „Internationalen Kammermusikaufführungen“, die vom 7. bis 11. August 1922 in Salzburg statt fanden.

Béla Bartók spielte am 7. August seine I. Sonate für Violine und Klavier, Arthur Honegger und François Poulenc waren interessierte Zuhörer.

Die Rezensionen der Salzburger Zeitungen über die Konzertreihe sparten nicht mit Kritik. So befand die sozialdemokratische „Salzburger Wacht“ in ihrer Ausgabe vom 11. August 1922 den künstlerischen Ertrag des Festivals als „lächerlich gering“; „neben vereinzelten wertvollen Werken“ – dazu zählte Bartóks I. Violinsonate – hätten die Konzerte „künstlerischer Wertlosigkeit und Impotenz Tür und Tor geöffnet“.

Am 11. August, dem letzten Tag des Musikfestes, wurde im oberen Raum des historischen Salzburger Café Bazar beschlossen, das Festival als Beginn einer dauernden Verbindung der zeitgenössischen Komponisten zu betrachten. Damit war die internationale Vereinigung geboren, der man den Namen „Internationale Gesellschaft für Neue Musik“ gab.

24 Komponisten waren anwesend, unter ihnen Bartók, Webern, Hindemith, Honegger, Kodály, Milhaud, Wellesz – mit ihnen telegraphisch verbunden auch Berg, Schönberg, Ravel, Respighi, Strawinsky …

Als künftiger Sitz der IGNM wurde London bestimmt, während Salzburg die Ehre zuteil kam, wieder Veranstaltungsort der ersten offiziellen Musikfestspiele nach der Gründung im Jahr 1923 zu sein.

1924 fand das Fest an zwei Spielorten – in Prag und Salzburg – statt. Béla Bartók war Mitglied der siebenköpfigen Jury.

Zudem war Bartók ein großer Verehrer Mozarts und wandelte auch auf seinen Spuren. So besuchte er am 8. August 1931 Salzburg, von Mondsee aus kommend, und sandte seiner Mutter eine Ansichtskarte von Mozarts Geburtshaus: „… die Wohnung der Mozarts war im 3. Stock; ich weiß nicht genau welche Fenster, aber wahrscheinlich die 2 oder 3 ohne Vorhang; da schaute der kleine Mozart auf die Getreidegasse, wenn er überhaupt Zeit gehabt hat aus dem Fenster zu schauen.“

1935 erhielt Bartók die Ehrenmitgliedschaft der IGNM, die seit ihren Anfängen in vielen attraktiven Kultur- und Kongressmetropolen tagte. Salzburg kam erst beim 26. Fest der Gesellschaft im Jahr 1952 wieder an die Reihe. Auf dem Programm standen auch Bartóks Konzert Nr. 2 für Klavier und Orchester sowie seine Tanz-Suite.

Bartók verstarb 1945 in New York.