Die Weltenzerstörer - Marion Zimmer Bradley - E-Book

Die Weltenzerstörer E-Book

Marion Zimmer Bradley

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Beschreibung

Bestsellerautorin Marion Zimmer Bradley ("Die Nebel von Avalon") hat mit dem opulenten Darkover-Zyklus eine einzigartige Romanreihe geschaffen: Die fesselnde Geschichte einer geheimnisvollen fremden Welt und ihrer Bewohner ist Kult! "Gesellschaft zur Planetenvernichtung" - so lautet der inoffizielle und höchst bedrohliche Titel einer Organisation, von der nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. Ihr Vorgehen ist ebenso subtil wie brutal: Sie legt nicht den gesamten Planeten in Schutt und Asche, sondern bricht vielmehr den Überlebenswillen jener Völker, die nicht gewillt sind, sich vom Terranischen Imperium ausbeuten zu lassen. Und sie hat einen neuen Auftrag: den Planeten Darkover...

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Marion Zimmer Bradley – Der “Darkover”-Romanzyklus bei EdeleBooks:

ISBN 978-3-95530-591-8Die LandungISBN 978-3-95530-598-7Herrin der StürmeISBN 978-3-95530-597-0Herrin der FalkenISBN 978-3-95530-609-0Der Untergang von NeskayaISBN 978-3-95530-608-3Zandrus SchmiedeISBN 978-3-95530-607-6Die Flamme von HaliISBN 978-3-95530-594-9Die Zeit der hundert KönigreicheISBN 978-3-95530-592-5Die Erben von HammerfellISBN 978-3-95530-593-2Die zerbrochene KetteISBN 978-3-95530-603-8Gildenhaus ThendaraISBN 978-3-95530-595-6Die schwarze SchwesternschaftISBN 978-3-95530-596-3An den Feuern von HasturISBN 978-3-95530-588-8Das ZauberschwertISBN 978-3-95530-599-4Der verbotene TurmISBN 978-3-95530-589-5Die Kräfte der ComynISBN 978-3-95530-586-4Die Winde von DarkoverISBN 978-3-95530-601-4Die blutige SonneISBN 978-3-95530-602-1Hasturs ErbeISBN 978-3-95530-585-7Retter des PlanetenISBN 978-3-95530-587-1Das Schwert des AldonesISBN 978-3-95530-600-7Sharras ExilISBN 978-3-95530-590-1Die WeltenzerstörerISBN 978-3-95530-604-5Asharas RückkehrISBN 978-3-95530-606-9Die SchattenmatrixISBN 978-3-95530-605-2Der Sohn des Verräters

Marion Zimmer Bradley

Die Weltenzerstörer
Ein Darkover Roman

Ins Deutsche übertragen von Rosemarie Hundertmarck

Copyright dieser Ausgabe © 2014 by Edel eBooks, einem Verlag der Edel Germany GmbH, Hamburg. Copyright © 1971 by Marion Zimmer Bradley 

Copyright First german Edition © 2001 by Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München.

Die Originalausgabe erschien 1971 unter dem Titel "The World Wreckers"

Ins Deutsche übertragen von Rosemarie Hundertmarck

Trotz intensiver Recherche war es dem Verlag nicht möglich, den Rechteinhaber der Übersetzung zu identifizieren bzw. einen Kontakt herzustellen. Wie bitten den Übersetzer bzw. seinen Nachfolger, sich ggf. beim Verlag zu melden.

Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-95530-590-1

edel.comfacebook.com/edel.ebooks

Ein Darkover-Roman

»Weit entfernt in der Galaxisungefähr 4000 Jahre in der Zukunftgibt es einen Planetenmit einer großen roten Sonneund vier Monden.

Willst Du nicht mitkommen und ihn mit mir erforschen?«

Vorbemerkung der Autorin

Jeder Wachstumsprozess hat ein Momentum. Auch das Terranische Imperium dehnte sich, wie bei menschlichen Unternehmungen üblich, in einer geometrischen statt einer linearen Reihe aus. Es begann mit ein paar isolierten Sternensystemen und Planeten, die sich entwickelten und ihrerseits Kolonien gründeten. Dann begann das Ganze ungehemmt zu wuchern. Ein unbeeinflusster Wissenschaftler hätte die Menschheit, in Jahrtausenden gerechnet, mit der Wasserhyazinthe vergleichen können, die sich in der Zeit vor der Raumfahrt auf der Erde verbreitete: anfangs ein vereinzelt auftretendes Phänomen, dann eine Studie in wildem Wachstum, schließlich eine Überschwemmung, die alles andere zu verschlingen und zu verdrängen drohte.

Ein Momentum ähnlicher Art lässt sich auch bei den Fortschritten des Terranischen Imperiums auf einem einzelnen Planeten feststellen. Zuerst ein kleiner wissenschaftlicher Vorposten, dann eine Kolonie, eine Handelsstadt ...

Darkover, einsam am Rand der Galaxis gelegen, mit einer so trüben Sonne, dass ihr Name nur in den Sternenkatalogen auftrat, war über hundert Jahre in der Anfangsphase stehen geblieben.

Aber jetzt – hüte dich, Darkover! Denn die Weltenzerstörer kommen.

M.Z.B.

Prolog

GESELLSCHAFT FÜR PLANETENVERNICHTUNG Natürlich war das kein Firmenname. Aber darum handelte es sich, und das war den Männern klar, die auf ihrer Fahrt hinauf zu dem isolierten Penthaus von einem der gestaffelten Aufzüge zum anderen überwechselten.

Es waren zwei, einer groß, der andere klein, und beide hatten Gesichter der Art, die man sofort wieder vergisst, ein Vorteil für Polizisten, Detektive und Geheimagenten. Die Wunder der kosmetischen Chirurgie dienen für gewöhnlich dem Zweck, Menschen auffallend schön zu machen. Ein genauer Beobachter hätte jedoch vermutet, dass derlei Künste angewendet worden waren, um jede Spur von Individualität aus den beiden Gesichtern auszulöschen. Es war raffiniert gemacht und vollständig gelungen. Sie waren zu einem Teil der Menge, jeder beliebigen Menge geworden, und das allein war schon ein Triumph. Denn sie waren weder hell noch dunkel und wären in einer Gruppe, die ausschließlich aus afrikanischen und nordischen Typen bestand, weder als eindeutig zu der einen noch zu der anderen Rasse gehörend ins Auge gesprungen. Hätte es in diesem Jahr auf der Erde noch Massai oder Pygmäen gegeben, hätten sie sich von ihnen als atypisch abgehoben. Doch in diesem Zeitalter der Rassenvermischung, in dem die extremen Merkmale für immer verschwunden waren, wurden sie überhaupt nicht bemerkt.

Sie betraten den letzten Aufzug. Einer der Männer, der den Namen Stannard benutzte und so viele Namen benutzt hatte, dass er sich an seinen ursprünglichen Namen keine zwei Mal im Jahr erinnerte, überlegte:

Die Planetenvernichter. Er war fast überall gewesen und hatte auf jedem Planeten, der ihn nicht von sich wies, fast alles getan. Aber mit denen hatte er noch nie zu tun gehabt.

Jeder im Imperium wusste über sie Bescheid. Meistens war es etwas, das man über Untergrund-Aktivitäten hörte, und man dachte vage daran, wenn das eigene Geschäft nicht von der gewaltigen Flut des planetaren Handels mitgerissen wurde. Wie vernichtet man einen Planeten, mochte sich der eine oder andere manchmal fragen, und warum liegt irgendwem daran, eine Welt zu vernichten? Es klang ein bisschen komisch, wie aus einem Drei-D-Drama.

Für Leute, die mit den Planetenvernichtern tatsächlich ins Geschäft kamen – wie ich, dachte Stannard –, war es nicht im Geringsten komisch.

Es war auch nicht tragisch.

Es war nur Geschäft.

Warum nur hatten sie es zugelassen, dass ihre Firma unter einem solchen Namen bekannt wurde?

Er verbot sich die Neugier – dafür wurde er nicht bezahlt. Der letzte Aufzug kam langsam zum Halten. Ringsherum hingen ruhige goldfarbene Vorhänge. An einem Empfangstisch prüfte ein Mädchen, fast ebenso unauffällig wie Stannard und sein Gefährte, ihre Ausweise und schickte sie durch eine Metalltür in einen kleinen, bescheidenen Raum. Was Stannard sich auch unter diesem geheimen Netzwerk, diesem halb illegalen Geschäft vorgestellt hatte, er war nicht auf eine Art Speditionsbüro mit diesen einfachen Computern, die Verkehrsströme aufzeichnen, Informationen speichern und Literaturhinweise geben, gefasst gewesen. Ebenso wenig hatte er damit gerechnet, dass der Kopf dieses weit verzweigten Unternehmens eine Frau war.

Eine Frau, schön und jung. Vielmehr – schnell berichtigte Stannard seinen ersten Eindruck – jung wirkend. Er sah keine Narben kosmetischer Eingriffe, und er war darin geschult, sie zu entdecken, aber eine gewisse Gespanntheit um die Augen strafte die Unschuld des hellhäutigen, glatten Gesichts und des faltenfreien Halses Lügen. Ihre Stimme war tief und angenehm.

»Mr. Stannard und Mr. Bruce. Bitte, nehmen Sie Platz. Wie Sie wahrscheinlich wissen, haben Ihre Vorgesetzten sich bereits mit mir in Verbindung gesetzt und die Vorauszahlung hinterlegt, die wir verlangen, bevor wir Verhandlungen aufnehmen. Mein Name ist Andrea Closson, und ich habe Vollmacht, das Gespräch mit Ihnen zu führen.«

Die Männer setzten sich, und die Frau fuhr mit der gleichen ruhigen, leidenschaftslosen Stimme fort:

»An diesem Punkt bin ich bereit, Ihnen Garantien zu geben. Wie viel hat man Ihnen über diese Sache mit Darkover gesagt?«

Stannard antwortete: »So viel, wie wir für diese Konferenz brauchen, hat es geheißen.«

»Nun gut. Sie wissen natürlich, dass dies illegal ist. Durch die verschiedenen Verträge, die das Terranische Imperium abgeschlossen hat, steht jedem Planeten ein Abkommen Klasse D zu, was im Falle Darkovers bedeutet ...« – sie warf einen flüchtigen Blick auf die Glasplatte ihres Schreibtisches, wo blasse Computerschrift vorüberhuschte, gedacht für geübte Schnellleser – »... den Bau eines großen Raumhafens für ein Verkehrsaufkommen Typ B, die Erlaubnis, Personal für diesen Raumhafen anzuwerben, eine Abteilung für Erkundung und Kartografierung, gegenseitige medizinische Hilfe und deutlich abgegrenzte Handelszonen ohne terranische Infiltration in die Gebiete der Eingeborenen und umgekehrt. Der Raumhafen von Thendara auf Darkover ist in Betrieb seit ...« – wieder sah sie nach – »... achtundsiebzig darkovanischen Jahren, die aus je 389 Tagen bestehen. Handel gibt es mit kleinen medizinischen Geräten, Stahlwerkzeugen und ähnlichen Artefakten der Klasse D. Die Bedingungen einer Vereinbarung Klasse D verbieten Fabriken, Bergbau, Oberflächentransporte und ständigen Im- und Export von Waren und Dienstleistungen. Alle Bemühungen, mit darkovanischen Stellen Verhandlungen über eine Öffnung des Planeten für die Kolonisierung und Industrialisierung anzuknüpfen, sind bisher fehlgeschlagen. Richtig?«

»Eigentlich nicht fehlgeschlagen«, präzisierte Stannard. »Sie sind ignoriert worden.«

Andrea Closson tat das mit einem Schulterzucken ab. »Jedenfalls ist kein Erfolg zu verzeichnen. Deshalb wollen Sie unsere Dienste in Anspruch nehmen.«

»Planetenvernichtung«, sagte Bruce. Es war das erste Wort, das er sprach.

»Wir ziehen es vor, uns Gesellschaft für planetare Investitionen zu nennen«, erklärte Andrea gleichmütig, »obwohl wir in Fällen, wo Undercover-Agenten eingesetzt werden müssen, nicht offen als eine solche operieren können. Kurz, wenn ein Planet sich gegen die Ausbeutung wehrt – verzeihen Sie, ich hätte sagen sollen: gegen gewinnbringende Investitionen ...« – der ironische Ausdruck ihres Gesichts ließ sich nicht übersehen – »... sind unsere Agenten im Stande, der Ökonomie diese Art von – nun, kleinem Stoß zu geben, der es auf lange Sicht für jenen Planeten wünschenswert erscheinen lässt, Investoren von außerhalb einzuladen.«

»Anders ausgedrückt«, fiel Stannard ein, »Sie vergiften die Ökonomie so, dass dem in Rede stehenden Planeten nichts anderes mehr übrig bleibt, als das Terranische Imperium zu bitten, die Trümmer aufzulesen?«

»Hart formuliert, aber im Wesentlichen richtig. Und wie mir von den Investoren gesagt worden ist, profitiert der in Rede stehende Planet auf lange Sicht davon. Ich frage nicht danach, wer den Profit macht. Das ist nicht meine Angelegenheit.«

»Es ist unsere«, sagte Stannard. »Kann es im Falle Darkovers gemacht werden? Und wie schnell? Und in welchem Ausmaß?«

Andrea antwortete nicht gleich, sie drückte Knöpfe an dem Lesegerät auf ihrer Schreibtischplatte. Plötzlich schien sie etwas gefunden zu haben, das ihre Aufmerksamkeit fesselte, denn das Flackern ihrer Augen – es waren merkwürdige Augen, dachte Stannard, ein sehr helles, durchsichtiges Grau, eine Farbe, die er noch nie gesehen hatte – verlangsamte sich und hörte dann ganz auf. Stannards Meinung nach war sie bestürzt und erschrocken.

Sie fragte scharf: »Ist einer der Herren jemals auf Darkover gewesen?«

Stannard schüttelte den Kopf: »Ich weiche nie so weit von meiner Umlaufbahn ab.«

»Ich schon«, erklärte Bruce überraschend. »Ich reiste einmal hin, um – nun, das tut nichts zur Sache.« Er schüttelte sich. »Eine Hölle von einem Planeten; ich kann mir nicht vorstellen, warum irgendwer ihn öffnen möchte. Man wird den Freiwilligen eine zusätzliche Prämie geben müssen. Kalt wie der Weltraum und doppelt so trostlos. Völlig unverdorben, wie die Reisehandbücher sagen. Er könnte es vertragen, ein bisschen verdorben zu werden.«

»Nun, dafür sind wir ja da«, meinte Andrea munter und schaltete das Lesegerät entschlossen ab.

»Gentlemen, ich mache Ihnen folgendes Angebot: Für die vereinbarte Summe ...« – sie nannte einen Betrag in Milli-Credit-Einheiten, deren Kurs so schwankte, dass sie in dieser Woche ein kleines oder ein großes Vermögen darstellten – »... garantieren wir, dass der jetzt als Darkover bekannte Planet innerhalb von drei Imperiums-Standardjahren offen für die B-Erschließung sein wird. Eine Vorbereitung auf die A-Erschließung würde zwanzig Jahre dauern und wäre nicht profitabel. Eine beschränkte Gruppe von Investoren wird die Erlaubnis erhalten, Bergbau und Export zu betreiben. Die Hälfte der Summe muss jetzt in harter Titanium-Währung auf ein Nummernkonto auf Helvetia II eingezahlt werden. Der Rest wird innerhalb eines Standardmonats von dem Tag an fällig, wo Darkover zu einer offenen Welt Klasse B erklärt wird.«

Stannard erkundigte sich: »Wie können Sie sicher sein, dass unsere Auftraggeber den Restbetrag zahlen? Nicht etwa, dass sie betrügerische Absichten hätten, aber als offen kann eine Welt nur vom Senat des Imperiums erklärt werden. Ist das einmal geschehen, könnten unsere Auftraggeber doch auf ganz legale Weise investieren wie andere Leute auch?«

Andrea lächelte, und das Lächeln glich so sehr einer Stahlfalle, dass Stannard seine Einschätzung ihres Alters um dreißig Jahre nach oben revidierte. »Nach dem Vertrag, den Sie mit den echten Identitätsnummern Ihrer Vorgesetzten unterschreiben müssen, gehen bei Nichteinhaltung der Verpflichtungen Ihre sämtlichen Interessen an dem in Rede stehenden Planeten auf die Gesellschaft für planetare Investitionen über – die, wie Sie erwähnten, als Planetenvernichter weltbekannt ist. Außerdem wird dadurch die Geheimhaltungsklausel ungültig.«

Sie haben an alles gedacht, sagte sich Stannard. Denn Vereinbarungen zur Vernichtung eines Planeten waren überall illegal, und jeder Investor, der, um einen Planeten zu erschließen, einen Planetenvernichter für sich arbeiten ließ, durfte jenen Planeten nie mehr betreten.

»An der Oberfläche ist unser Geschäft völlig legal«, erklärte Andrea. »Sie haben sich unserer Dienste für Werbung und Public Relations versichert. Die meisten unserer Agenten, diejenigen, die jeder sieht, werden nie näher als ein Lichtjahr an Darkover herankommen. Sie werden auf Empire Center mit völlig legalen Methoden versuchen, die Gesetzgeber davon zu überzeugen, Darkover müsse zu einer offenen Welt der Klasse B gemacht werden. Ein paar Weitere werden das Gleiche bei den darkovanischen Behörden tun.«

»Und die Übrigen?«

Andrea sagte: »Die Übrigen – gehen Sie nichts an.«

Stannard war ganz ihrer Meinung. Er wollte es gar nicht wissen. Er hatte ein Lebensalter damit verbracht, Aufgaben dieser Art für tausend Hintermänner zu erledigen, und er lebte gut und fast luxuriös davon, dass er nichts wissen wollte.

Sie unterzeichneten Papiere und wiesen die Identitäten ihrer Auftraggeber sowie ihre Vollmachten nach. Und dann gingen sie wieder. Sie verschwanden auf immer aus Andrea Clossons Leben und aus der Geschichte Darkovers. Sie waren so wenig einprägsame Persönlichkeiten, dass sogar Andrea sie als Individuen fünf Sekunden, nachdem sie ihr Büro verlassen hatten, vergaß.

Aber noch in derselben Minute drückte sie von neuem den Knopf des Lesegeräts und stellte es auf STOP. So wurde die Schrift unscharf. Aber Andrea schloss die Augen und sah es innerhalb ihrer Lider, in ihrer Erinnerung umso besser.

Hohe Berge, eine wohlbekannte Silhouette vor dem karmesinfarbenen Himmel der sich senkenden Sonne; eine Sonne wie eine rote und blutige Scheibe. Nur die Gebäude der Handelsstadt, die sich unterhalb des ach so vertrauten Bildes von Bergen und Sonne abzeichneten, waren neu und überraschend.

Also nennen sie die Welt jetzt Darkover.

Leise Musik klang in ihrem Gehirn auf. Dies totale Erinnerungsvermögen hatte sie die ersten hundert Jahre unerträglich gefunden, und sie hatte getan, was sie konnte, um es einzuschränken. Und jetzt fiel ihr der Name der Melodie nicht ein. Sie verbrachte ein paar Sekundenbruchteile damit, in einer Vergangenheit zu suchen, die sie willentlich beiseite geschoben hatte, bis der Name und der seltsame, trockene Klang der Weidenflöten daraus hervorstiegen:

»Müde sind die Hügel.«

Ja, so hieß die Melodie. Ein weiteres dieser unerträglich klaren Bilder leuchtete vor ihr auf. Ein Mädchen in einer kurzen gelben Tunika spielte auf der Flöte. Dann verzerrte sich ihr Mund, und ihre Augen öffneten sich. »Ein Mädchen«, sagte sie bitter vor sich hin, »ein Mädchen war ich nicht einmal damals. Ich war – ich habe mich entschlossen, nicht darüber nachzudenken, was ich war. Ich bin hier, und ich bin eine Frau seit – Evanda und Avarra! Seit wie lange? Es tut mir nicht gut, wenn ich darüber nachdenke, wie lange ich schon hier bin!«

Aber die Erinnerung blieb, und ihre Gedanken hatten eine Bahn eingeschlagen, auf der sie ihnen nicht Einhalt gebieten konnte. Schließlich gab sie ihrer Schwäche nach, denn nur so war ein Ende abzusehen. Sie drückte einen Knopf und zog das Mikrofon näher an sich heran. Sie sprach leise.

»Bereiten Sie für mich ein sich nach Absorbierung automatisch löschendes Band vor mit allem, was je über Cottmans Stern IV, genannt Darkover, eine geschlossene Welt Klasse D, geschrieben worden ist. Ich übernehme diesen Auftrag selbst.«

Die Stimme am anderen Ende der Leitung war eingehend darin geschult worden, niemals Überraschung zu zeigen. Trotzdem hörte Andrea mit ihrem plötzlich geschärften Wahrnehmungsvermögen Überraschung heraus.

»Sie persönlich? Mit welcher Tarnung?«

Darüber dachte sie kurz nach. »Ich reise als Tierhändlerin, die die Absicht hat, auf legalem Wege kleine Stückzahlen von einheimischen Pelztieren auf andere Welten zu transportieren, wo sie sich fortpflanzen sollen«, antwortete sie schließlich. Sie war so vieles auf so vielen Welten gewesen. Sie verstand und liebte Tiere, und sie brauchte bei ihnen niemals vor aufdringlichen Gedanken auf der Hut zu sein.

Das Band war absorbiert und weggeworfen worden, sie hatte gepackt und war bereit, für den ersten Abschnitt der unglaublich langen transgalaktischen Reise an Bord zu gehen, die sie zu jenem kleinen Planeten am Rand des Nichts, jetzt Darkover genannt, fuhren würde. Da wurde sie von Furcht gepackt. In den Gehirnwindungen, die sie nur teilweise benutzte, seit sie als Mensch lebte, wachten ein paar tief vergrabene Jahrhunderte auf.

Wenn ich nun nach dieser langen Zeit, nachdem ich so viele verschiedene Personen gewesen bin, von neuem unter den vier Monden stehe und das Licht der blutigen Sonne mich trifft – wenn nun das alte Ich, das wirkliche Ich, das, was ich war, bevor ich Andrea wurde, bevor ich Wanderer, Königin, Raumfahrer, Kurtisane, Geschäftsfrau wurde, wenn nun das alte Ich zurückkehrt? Was dann?

Was dann? Dann werde ich wenigstens da sterben, wo ich geboren worden bin, dachte sie mit müder Resignation und drückte die langen Hände auf die Augen. Es war niemand da, der hätte bemerken können, dass sie in diesem Augenblick weder wie ein Mensch noch wie eine Frau aussah.

Narzain-ye kui, dachte sie in einer lange toten Sprache. Verbanntes Kind des Gelben Waldes, wohin hat es dich noch nicht verschlagen? Kehre zurück, sieh, was die schweren Füße der Zeit aus der Welt gemacht haben, die dein Volk nicht halten konnte, und dann stirb dort, stirb allein, wenn du musst, und in dem Wissen, dass nicht einmal eine Erinnerung an die Spuren deines Volkes in den Festungen der Berge des Lichts übrig bleibt ...

1

Schon wieder spürte er Schritte hinter sich. Es war beunruhigend. Das waren nicht die Schritte und die vertraute Gegenwart seines Leibwächters Danilo. Dessen Schritte hörte er überall, wohin er ging. Er liebte Danilo, er hatte den Jungen als seinen Friedensmann und Knappen angenommen. Deshalb machte es ihm nichts aus, und er hielt deswegen auf seinem Weg nicht für einen Sekundenbruchteil inne. Dani würde auch nur dann einen mentalen Kontakt mit ihm aufnehmen, wenn Regis Gesellschaft wünschte.

Regis Hastur dachte: Ich bin zu empfindlich, und versuchte, die Schritte auszukoppeln. Wahrscheinlich hatten sie gar nichts mit ihm zu tun; wenn sie sich ihm ins Bewusstsein drängten, lag es vielleicht nur daran, dass der Besitzer der Füße und Verursacher der Schritte überrascht war, einen jungen Hastur vom Comyn-Rat zu dieser Stunde zu Fuß auf der Straße zu sehen. Regis ging unbeirrt weiter. Er war ein schlanker Mann Mitte Zwanzig von der großen körperlichen Schönheit, die alle Hasturs und Elhalyns vom Comyn auszeichnete, und sein schmales Gesicht war umso eindrucksvoller, als das zu einer Pagenfrisur geschnittene Haar nicht feuerrot war, wie sonst bei den Comyn, sondern schneeweiß.

Wenn Dani seinen Willen bekäme, würde ich niemals ohne bewaffnete Eskorte ausgehen. Was ist das für ein Leben!

Und doch musste er sich zu seinem Kummer eingestehen, dass es so war. Die alten Zeiten Darkovers, als die Comyn unangefochten durch Krieg, Aufstände und Straßenkämpfe schreiten konnten, waren für immer vorbei. Er war jetzt unterwegs, um einem Mann seiner Kaste die letzte Ehre zu erweisen, von Mörderhand gefallen in seinem siebenunddreißigsten Jahr: Edric Ridenow von Serrais. Ich habe Edric nie recht gemocht. Aber müssen wir alle sterben, wo schon so viele von uns tot oder im Exil sind? Die Häuser der Sieben Domänen stehen leer. Alle Altons sind fort. Valdir ist schon vor hundert Jahren gestorben, Kennard starb auf einer fernen Welt, Marius fiel in einem psychischen Kampf mit den Gewalten Sharras, Lew und Marja, sein letztes Kind, sind im Exil auf einem fremden Planeten. Die Hasturs, die Ridenows, die Ardais – dezimiert, verschwunden. Ich sollte ebenfalls gehen. Aber mein Volk braucht mich hier, einen Hastur von Hastur, damit es sich nicht völlig dem Terranischen Imperium ausgeliefert fühlt.

Ein Blasterschuss ist geräuschlos. Regis hörte ihn nicht, spürte jedoch die Hitze und fuhr herum. Ein Aufschrei, dem eine entsetzliche Stille folgte. Jemand rief seinen Namen. Danilo rannte auf ihn zu, den schussbereiten Blaster in der Hand. Ein Stück vor ihm blieb der junge Mann stehen und senkte die Waffe.

Stur und mit unterdrücktem Zorn erklärte Danilo: »Jetzt werdet Ihr vielleicht auf mich hören, Lord Regis. Wenn Ihr noch einmal ohne angemessene Eskorte ausgeht, dann werde ich, das schwöre ich bei allen Höllen Zandrus, die Verantwortung nicht übernehmen. Ich werde meinen Eid zurückverlangen und nach Syrtis heimreisen – falls der Rat mich nicht vorher bei lebendigem Leib schinden lässt, weil ich nicht verhindert habe, dass Ihr vor meinen Augen getötet wurdet!«

Regis fühlte sich schwach und krank. Der auf der Straße liegende Tote hatte keine gewöhnliche Waffe bei sich, sondern eine Nervenpistole, die ihn zu einem – nein, nicht zu einem Leichnam, sondern zu einem pflanzlichen Wesen gemacht hätte. Alle seine Nervenbahnen wären gelähmt worden. Er hätte, mit dem Löffel gefüttert, noch vierzig Jahre am Leben bleiben können, völlig ohne Verstand. Mit zitternden Lippen sagte er: »Sie werden frecher. Das ist der siebte Attentäter in elf Monden. Soll ich zum Gefangenen in der Verborgenen Stadt werden, Dani?«

»Wenigstens schicken sie keine Messerstecher mehr nach Euch aus.«

»Ich wünschte, sie täten es«, gab Regis zurück. »Ich kann es mit jedem Messerstecher auf dieser Welt aufnehmen, und du kannst es auch.« Er sah Dani scharf an. »Du bist nicht verletzt?«

»Ein Streifschuss. Meine Arme fühlen sich an wie in geschmolzenes Blei getaucht, aber die Nerven werden heilen.« Er wehrte Regis’ besorgte Fragen, sein Anerbieten, ihm zu helfen, ab. »Ich brauche nur eine Hilfe, Lord Regis, und das ist Euer Versprechen, nicht wieder allein in der Stadt herumzulaufen.«

»Ich verspreche es«, sagte Regis. Seine Augen waren hart. »Woher hast du die Waffe, Dani? Eine vom Vertrag verbotene Waffe? Gib sie mir.«

Der junge Mann lieferte den Blaster aus. »Die Waffe ist nicht illegal, vai dom. Ich bin in die Terranische Handelsstadt gegangen und habe einen Waffenschein beantragt, mit dem ich sie hier tragen darf. Und als man hörte, wessen Leibwächter ich bin, gab man ihn mir gern – und das ist auch ganz richtig so.«

Regis wirkte beunruhigt. »Ruf einen Gardisten, um das da zu begraben.« Er wies auf den verkohlten Leichnam des Attentäters. »Ich fürchte, es hat keinen Sinn, die Leiche zu untersuchen. Es wird wie in allen anderen Fällen sein, ein namenloser Mann, nichts über ihn bekannt. Trotzdem braucht er nicht auf der Straße liegen zu bleiben.«

Regis wartete, bis Danilo einen Mann in der grünschwarzen Uniform der Stadtgarde gerufen und ihm Befehle erteilt hatte. Dann wandte er sich Danilo zu und sagte streng:

»Du kennst den Vertrag.« Seit Generationen waren Kriege auf Darkover unbekannt. Das lag vor allem an dem Vertrag, dem Gesetz, nach dem alle Waffen, die über die Reichweite ihres Benutzers hinaus wirken, verboten waren. Der Vertrag erlaubte Duelle und Überfälle, hatte aber Schlachten und Massenmorden ein Ende bereitet. Die Frage, an Danilo gerichtet, war rein rhetorisch – jedes sechs Jahre alte Kind kannte den Vertrag!

Der junge Mann antwortete nicht. Nicht einmal vor Regis’ zornigem Blick – und der Zorn eines Hasturs kann töten – senkte Danilo Syrtis die Augen.

Dann erwiderte er: »Ihr lebt und seid unverletzt. Alles andere kümmert mich nicht, Lord.«

»Aber, im Namen jedes Gottes, den du anrufen möchtest, Dani, für was leben wir?«

»Ich lebe, um Euch am Leben zu erhalten.«

»Und warum bleiben wir am Leben? Unter anderem, damit der Vertrag auf Darkover eingehalten wird und die Jahre des Chaos und des feigen Tötens nicht zurückkehren.« Regis war außer sich vor Zorn und Verzweiflung, doch Danilo zuckte nicht unter seinem wilden Starren.

Er entgegnete: »Der Vertrag würde noch viel weniger eingehalten, wenn Ihr tot wäret, Lord Regis. Ich bin Euer treuester ...« Die Stimme des Jungen brach. »Ihr wisst, mein Leben gehört Euch, vai dom cario, aber ist Euch wirklich klar, was aus dieser Welt und Eurem Volk würde, wenn Ihr tot wäret?«

»Bredu.« Regis benutzte das Wort, das nicht nur Freund, sondern auch geschworener Bruder bedeutet, und fasste Danilos beide Hände – eine seltene Geste in der Telepathen-Kaste. »Wenn das wahr ist, mein liebster Bruder, warum haben mich dann sieben Attentäter töten wollen?«

Er erwartete keine Antwort und erhielt auch keine. Danilo verzog das Gesicht. »Ich glaube nicht, dass sie aus unserem Volk stammen.«

»Ist das ...« – Regis wies auf die Stelle, wo die Leiche gelegen hatte – »... ein Terraner gewesen? So einen habe ich noch nie gesehen.«

»Ich auch nicht. Aber seht den Tatsachen ins Gesicht, Lord Regis. Sieben Attentäter allein auf Euch angesetzt, Lord Edric mit einem fremdartigen Dolch getötet, Lord Jerome von den Elhalyns in seinem eigenen Arbeitszimmer ermordet und keine Fußabdrücke im Schnee, drei der Aillard-Frauen durch einen Kunstfehler im Kindbett gestorben und die Hebammen vergiftet, bevor sie befragt werden konnten, und – die Götter mögen mich strafen, dass ich davon spreche – Eure beiden Kinder.«

Regis’ Gesicht verlor seine Härte und nahm einen Ausdruck tiefen Kummers an. Denn obwohl er die Kinder gezeugt hatte, ohne ihre Mütter zu lieben, nur um eine beschworene Pflicht gegenüber seiner Kaste zu erfüllen, trauerte er doch sehr um seine beiden Söhne, die vor noch nicht drei Monaten tot in ihren Bettchen gelegen hatten – an einer plötzlichen Krankheit gestorben, hatte es geheißen. Seine gewaltsam beherrschte Stimme war schlimmer als Tränen. »Was kann ich tun, Dani? Muss ich in jedem Schicksalsschlag die Hand eines Mörders oder eine Verschwörung sehen?«

»Wenn Ihr es nicht tut, wird es umso gefährlicher für Euch werden, Lord Regis.« Das tiefe Mitleid in seiner Stimme strafte die Barschheit seiner Worte Lügen. Immer noch barsch setzte er hinzu: »Ihr habt einen Schock gehabt. Kehrt lieber nach Hause zurück. Eure Trauer beim Begräbnis Lord Edrics, wenn man um einen wie den überhaupt trauern kann, wird seinem Andenken weniger Gutes tun, als wenn Ihr am Leben bleibt, um für sein Weibervolk und seine Leute zu sorgen!«

Regis’ Lippen wurden schmal. »Ich bezweifele, dass man für den heutigen Tag noch Mörder in Reserve hat«, war alles, was er sagte. Aber er ging ohne weiteren Protest mit Danilo.

Dann war es also ein Krieg, eine komplizierte Verschwörung gegen die Telepathen-Kaste.

Doch wer war der Feind, und warum griff er an?

Vereinzelte Vorfälle wie dieser waren auf Darkover immer wieder einmal vorgekommen, obwohl der übliche Weg war, dass man gegen seinen Feind eine Tötungsabsicht eintragen ließ. Damit verhielt man sich entsprechend dem Jahrhunderte alten darkovanischen Duell-Kodex und genoss Straffreiheit. Tötung in einem fairen Duell war kein Mord.

Regis lächelte schwach. Er hatte es sorgfältig vermieden, sich in eine der sich bekämpfenden Richtungen und Fraktionen auf Darkover hineinziehen zu lassen, seit er erfahren hatte, dass Derik Elhalyn, der nächste Erbe der Herrschaft über den Comyn-Rat, wahnsinnig war und sein Amt niemals würde antreten können.

Deshalb konnte kein Mensch auf Darkover wahrheitsgemäß behaupten, Regis Hastur von Hastur habe ihm ein Unrecht angetan. Außerdem, wie er eben zu Danilo gesagt hatte, gab es wenige, die ihm in der Führung jeder legalen Duell-Waffe gewachsen waren.

Wer mochte es sein? Leute aus dem eigenen Volk, die die Comyn mit ihrer komplizierten Hierarchie von Telepathen und Psi-Talenten aus dem Weg räumen wollten?

Oder die Terraner?

Nun, das konnte er sofort nachprüfen.

Kurz nachdem er den Posten als Chef-Verbindungsmann zwischen den Terranern und seinem eigenen Volk angenommen hatte, war er in ein Haus in der Nähe der Terranischen Zone gezogen. Es war ein Kompromiss, den er verabscheute: weder eine terranische Wohnung, die, wenn auch eng und vollgestopft, doch wenigstens Komfort und Bequemlichkeit bot, noch eine darkovanische mit Raum und Luft und frei von Trennwänden, wenn auch im Wesentlichen ohne Komfort. Noch weniger ließ sich seine Behausung mit Burg Hastur vergleichen, wo er den größten Teil seiner Kindheit verbracht hatte.

Sein Abscheu vor allen Artefakten der terranischen Technologie war so völlig kulturgebunden, dass er fast angeboren war, und sie täglich benutzen zu müssen, gehörte zu den größten Unannehmlichkeiten seines Postens. Ein einfacher Visifon-Anruf war für ihn ein langwieriger Prozess, weil er erst seinen Widerwillen überwinden musste. Das Gespräch selbst hielt er so kurz wie möglich.

»Handelsstadt-Hauptquartier, Abschnitt acht, medizinische Forschung.«

Als der Bildschirm hell wurde, verlangte er: »Abteilung für Fremd-Anthropologie«, und damit verbunden fragte er nach Dr. Jason Allison. Schließlich nahm das Gesicht eines jungen Mannes, zurückhaltend, aber sympathisch, vor ihm Gestalt an.

»Lord Regis, welch unerwartetes Vergnügen! Was kann ich für Euch tun?«

»Zunächst einmal kannst du die Formalitäten vergessen«, antwortete Regis. »Dafür kennst du mich schon zu lange. Und dann – würdest du zu mir herüberkommen?«

Er hätte sich seine Frage leicht über den Apparat beantworten lassen können. Regis war jedoch Telepath und hatte schon in jungen Jahren gelernt, sich nicht auf die Worte oder das Gesicht des Sprechers, sondern auf das »Gefühl« einer Antwort zu verlassen. Er glaubte nicht, dass Jason Allison ihn belügen würde. So weit, wie er jemandem, der nicht seiner Kaste angehörte, Vertrauen und Sympathie entgegenbringen konnte, vertraute er dem auf Darkover geborenen Jason und mochte ihn. Aber auch wenn Jason nicht log, wich er ihm vielleicht aus, bemäntelte die Wahrheit, um ihn nicht zu verletzen, oder redete über etwas, von dem er nichts wusste.

Jason kam. Nach den ersten höflichen Worten der Begrüßung und Erkundigung sah Regis dem jungen Terraner gerade in die Augen und sagte:

»Du kennst mich seit langer Zeit und weißt, dass ich kein Dummkopf bin. Sei aufrichtig gegen mich, Jason. Herrscht irgendwo im Terranischen Imperium die Meinung, Telepathen machten mehr Ärger, als sie wert seien, und – auch wenn das Imperium nicht gerade einen Preis auf unsere Köpfe setzen wird – dass man offiziell keine Tränen vergösse, wenn wir einer nach dem anderen ausgelöscht würden?«

»Großer Gott, nein!«, rief Jason. Regis hörte die Worte nicht einmal. Was er hörte, war der vollkommen ehrliche Schreck, die Verneinung und die Entrüstung im Geist des jungen terranischen Mediziners.

Dann waren es also nicht die Terraner.

Er bohrte jedoch weiter, nur um sein eigenes Gewissen zu beruhigen.

»Ist es nicht möglich, dass du noch nicht davon gehört hast? Nicht in deinem Abschnitt? Ich weiß zufällig, dass die Fremd-Anthropologie versucht hat, mit einigen von uns zusammenzuarbeiten.«

»Auch nicht in den anderen Abschnitten«, erklärte Jason fest. »Die Raumhafen-Verwaltung interessiert sich überhaupt nicht dafür. Die wissenschaftlichen Abteilungen – nun, sie sind eifrig dabei, eure Matrix-Technik zu erforschen. Es ist ihnen klar, dass Darkover einzigartig ist, ein Reservoir von Psi-Talenten, wie es Ähnliches, soweit uns bekannt, in der ganzen Galaxis nicht wieder gibt. Ihnen wäre es eher zuzutrauen, dass sie euch alle zusammentreiben und in – nicht gerade in Käfige stecken, aber in Schutzhaft nehmen, damit sie euch nach Herzenslust studieren können.« Er lachte.

»Vielleicht wäre das gar keine schlechte Idee«, erwiderte Regis bitter. »Wenn es so weitergeht, bleibt auf Darkover kein einziger Telepath mit Laran-Gaben am Leben.«

Jasons Grinsen verblasste. »Ich habe vor Monaten ein Gerücht gehört, dass ein Attentatsversuch auf dich gemacht worden ist. Da es immerzu Duelle gibt, habe ich das nicht ernst genommen. Dann ist es wahr? Ist wieder so etwas vorgekommen?«

»Du weißt es also nicht.« Regis erzählte es ihm. Langsam wich die Farbe aus dem Gesicht des jungen Terraners. »Das ist schrecklich. Ich kann nur sagen, dass niemand von den Terranern dahinter steckt. Und wer sonst könnte denn einen Grund haben?«

Das war natürlich die Frage, dachte Regis. »Der mächtigste Geist im Universum, die größten Psi-Talente auf Darkover sind immer noch verwundbar gegen Messer, Kugel oder Laserstrahl. Ich könnte ein dutzend Namen nennen, angefangen mit der Bewahrerin Cleindori bis zu meinem Cousin Marius Alton, der vor zwei oder drei Jahren starb.«

»Und ohne die Telepathen«, sagte Jason langsam, »haben wir keinen Schlüssel zu den Matrix-Wissenschaften Darkovers und keine Hoffnung, jemals einen zu finden.«

»Außerdem fällt unsere Welt und unsere Ökonomie ohne Telepathen auseinander«, stellte Regis fest. »Wer profitiert davon?«

»Ich weiß es nicht. Viele Interessengruppen sähen es gern, wenn euer Planet für den kommerziellen Export und Import geöffnet würde. Aber der Kampf dauert schon drei oder vier Generationen, und das Terranische Imperium hat immer den Standpunkt vertreten, ein Planet habe das Recht, über seine Zukunft selbst zu entscheiden. Diese Leute haben nicht mal mehr eine Lobby auf Darkover. Schließlich gibt es andere Welten.«

Regis hörte auch den unausgesprochenen Teil des Satzes: Es gibt andere Welten, aber nicht mit einem großen Raumhafen und einer nennenswerten Terranischen Kolonie. Darkover war ein Kreuzungspunkt zwischen dem oberen und dem unteren Arm der Galaxis. Sein Raumhafen war doppelt so groß wie auf vergleichbaren Planeten, fünfmal so groß wie der einer gewöhnlichen Klasse-B-Welt, um das Verkehrsaufkommen zu bewältigen. Ein Angelpunkt – und es gab Leute, die eine solche reife Pflaume nicht ungepflückt sehen konnten.

Dessen ungeachtet erklärte Jason: »Ehrlich, ich glaube nicht, dass es jemand im Imperium oder in der Zone ist, Regis. Dann würde die Sache nämlich anders angefasst. Wer einen Bulldozer besitzt, braucht keine Schneeschaufel. Das ist eine getarnte Aktion und ungewöhnlich ekelhaft.«

»Ich bin geneigt, dir zuzustimmen. Nun muss ich sehen, ob noch andere Strohhalme im Wind sind«, sagte Regis. »Die Ermordung sämtlicher Telepathen würde nichts an unserem Verhältnis zum Imperium ändern. Wir wollen nicht Teil davon sein, und wir wollen uns nicht von eurer Technik überschwemmen lassen. Dieser Meinung ist der größte Teil des Volkes. Wenn jemand versucht, es von dieser Meinung abzubringen, müsste es mir gelingen, das herauszufinden. Inzwischen ...«

»Inzwischen fällt es in meine Verantwortlichkeit, dafür zu sorgen, dass nicht noch mehr von euch ermordet werden. Schutzhaft mag keinen Sinn haben. Nicht bei euch ...« Jason lächelte und setzte hinzu: »Ihr verdammten, dickköpfigen Isolationisten, zu denen ich auch gehöre. Aber es wäre eine Hilfe, wenn wir für die zusätzliche Mühe, die es kosten wird, euer Verschwinden zu verhindern, etwas anzubieten hätten.«

»Ich kann etwas anbieten«, erwiderte Regis ernst, »und es ist etwas, das wir nicht gern geben. Doch die Matrix-Wissenschaften müssen auf jeden Fall davor bewahrt bleiben, dass sie aus Mangel an Telepathen aussterben. Ich gebe uns selbst, Jason. Auch da draußen gibt es Telepathen.« Seine Geste umschrieb den Nachthimmel und die unzähligen Sterne. »Vielleicht nicht so viele wie auf Darkover und nicht mit so vielen Talenten. Du weißt ja, dass wir die Laran-Gaben vor dem Zeitalter des Chaos gezüchtet haben. Wir sind damit zu weit gegangen; wir leiden unter Inzucht. Suche für uns andere Telepathen, Jason. Stelle fest, wie sich die darkovanischen Telepathen – wenn überhaupt – von denen auf Terra oder Vainwal oder dem vierzehnten Planeten von Bibbledygook unterscheiden. Wenn es uns gelingt, als Kaste zu überleben, und wenn es möglich ist, andere in unseren Fähigkeiten auszubilden – dann kann dieser Sache vielleicht Einhalt geboten werden. Wir allein halten Darkover aus dem Strom der Entropie heraus – und ob es dir gefällt oder nicht, das Imperium ist ein entropischer Prozess, und ich werde nicht noch einmal mit dir über ethische Fragen streiten – ja, und deshalb müssen wir auf unserem Posten bleiben. Wir haben unser Zeitalter des Chaos gehabt«, setzte er hinzu. »Ich kann dir die radioaktiven Krater in der Verbotenen Stadt zeigen. Unsere Welt ist nicht primitiv oder barbarisch, Jason. Sie ist das, was übrig geblieben ist, nachdem wir die Grenzen des so genannten Fortschritts erreicht hatten, und die wenigen, die es überlebten, haben gelernt, wovor man sich dabei zu hüten hat. Suche uns Telepathen, Jason, und du hast das Wort eines Hasturs, dass du erfahren wirst, was und warum wir sind!«

2

ABTEILUNG FÜR FREMD-ANTHROPOLOGIE COTTMAN VIER (Darkover)

An alle medizinischen Dienststellen des Imperiums auf offenen und geschlossenen Planeten: Sie erhalten hiermit Anweisung, Menschen mit telepathischen oder Psi-Talenten ausfindig zu machen, vorzugsweise solche, deren Fähigkeiten latent und unentwickelt sind. Nicht gemeint sind Personen, die des Profits wegen hellseherische Kräfte benutzen, da solche von einer fortgeschrittenen Technologie simuliert werden können. Sie haben die Vollmacht, ihnen Verträge des Medizinischen Dienstes, Klasse A, anzubieten ...

Wenn man ein großes Netz bis an die Enden des bekannten Universums auswirft, fangen sich seltsame Dinge in seinen Maschen ...

Rondo war ein kleiner, verhutzelter Mann unbestimmbaren Alters, und er hatte entsetzliche Angst. Er schmeckte diese Angst wie etwas Kaltes in seinem Mund, und er versuchte, sie abzuschütteln. Denn sie störte die Konzentration, die er für das, was er vorhatte, dringend brauchte.

Seine Augen waren nur ein Paar unter einigen fünfzig, die der Spiralbahn der Kugel folgten. In einem zunehmend exzentrischen Orbit sauste sie innerhalb der großen kristallenen Spielmaschine umher. Wenn sie gegen andere auf Zufallsbahnen wirbelnde Materiebröckchen stieß, änderte sich der Orbit, und langsam, langsam wanderte sie in der Gewichtslosigkeit abwärts, um endlich – endlich – in einen der Fangbecher zu fallen ...

Hier, hier. Das Etwas in seinem Geist – er hatte keinen Namen für die Gabe, die er schon immer besessen hatte – langte hinaus und berührte die Kugel behutsam. Wie ein weiteres treibendes Staubflöckchen dirigierte es die unvorhersehbare Bahn ganz leicht in Richtung der sich unaufhörlich drehenden Becher am Boden der Maschine. Langsamer, schneller – warte, warte, meiner ist noch nicht da ... jetzt, JETZT!

Die Kugel bewegte sich schneller, wie von einem Magneten angezogen, und fiel klick in einen Becher. Aus einigen fünfzig wartenden Kehlen und Mündern stieg der Seufzer nachlassender Spannung auf. Dann erhob sich ein unartikulierter Schrei der Enttäuschung.

Die Stimme des Croupiers verkündete: »Nummer acht-vierzwei gewinnt, sechs zu eins.«

Rondo zitterte so heftig, dass er seinen Gewinn kaum zusammenraffen konnte. Die Augen des Croupiers straften die leidenschaftslose Stimme Lügen. Sie sagten: »Warte nur, du Bastard. Sie kommen schon. Diesmal hast du dein Glück überstrapaziert, du kleiner Schurke ...«

So liefen seine Gedanken, während er weiterleierte: »Setzen Sie für die nächste Runde. Legen Sie das Geld hin.« Seine Hand drückte den Knopf, der die Kugel auf eine neue Reise schickte.

Rondo spielte mit seinem Gewinn herum und begann, alles wie hypnotisiert auf einen der Fangbecher zuzuschieben, der genau vor ihm gähnte – zwei Zoll im Durchmesser für jedes andere Auge, ein wartender Abgrund für ihn. Er hätte längst gehen sollen; er wusste es genau, und doch stand er unter einem Zwang, der wie eine Krankheit war, er sah einen Becher glänzen, leuchten, überlaufen von dem Gold, das ihm gehören konnte ...

Er schob die Münzen auf den Becher zu, der sich in seiner Phantasie wie ein großer Mund öffnete, und sah im Geist schon den goldenen Strom ...

Es war eine Krankheit. Das war ihm klar, während er die kreisende Kugel verfolgte, eine Krankheit, die vielleicht aus dieser ihm selbst unheimlichen Geschicklichkeit geboren war. Hilflos jetzt, wo die Wetten platziert waren, heftete er seinen Blick auf die Kugel und beschimpfte sich in Gedanken so laut, dass er meinte, die Männer neben ihm im Spielsalon müssten es hören:

Verdammter Idiot – Unverstand – nimm deinen Gewinn und verschwinde – gleich packen sie dich – gleich packen sie dich, nimm deinen Gewinn und laufe, LAUFE, LAUFE, SIE KOMMEN, KOMMEN JETZT ...

Trotzdem blieb er wie gelähmt stehen, bis die Hand auf seine Schulter fiel und eine ruhige Stimme den Aufstieg der kleinen goldenen Kugel mit den Worten anhielt: