5,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 13,99 €
»Führe dich selbst in eine gute Zukunft. Wie ein guter Häuptling seinen Stamm.« (Frank Behrendt)
Frank Behrendt ist seit seiner Jugend leidenschaftlicher Winnetou-Fan – der »Guru der Gelassenheit« hat sich in vielen Lebenslagen von dem stolzen Apachen-Häuptling und anderen Figuren des Schriftstellers Karl May inspirieren lassen. Auch von anderen Persönlichkeiten im echten Leben hat Frank Behrendt viel gelernt. Ihre Haltung, Klugheit und Weisheit hat er übernommen und für seinen eigenen Weg erfolgreich adaptiert. Selbstbestimmt und selbst-entschieden zu leben, tatsächlich Häuptling des eigenen Lebens zu sein, war immer sein Ziel. In unterhaltsamen Geschichten erzählt Frank Behrendt an konkreten Beispielen, wie ihn die Helden seiner Kindheit nachhaltig beeinflusst haben. Eine Inspiration für jeden und ein flammender Appell an alle, Ausschau zu halten nach den Helden am Wegesrand – den fiktionalen und den realen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 255
Veröffentlichungsjahr: 2017
Frank Behrendt
Die Winnetou-Strategie
Werde zum Häuptlingdeines Lebens
In memoriam Jan-Peter Behrendt.
Er war ein großer Häuptling und zeigte
mir als Junge den Weg zu Winnetou, mit
dem ich seitdem durchs Leben reite.
Der Sonne entgegen.
INHALT
Kapitel 1: Blutsbrüder und -schwestern gesucht
Kapitel 2: Ohne Stamm kein Häuptling
Kapitel 3: Hör den weisen Ratgebern zu
Kapitel 4: Nscho-tschis Vermächtnis
Kapitel 5: Büchsenmacher Henry 4.0
Kapitel 6: Mehr Humor, wenn ich mich nicht irre
Kapitel 7: Der Weg des Kriegers
Kapitel 8: Mit silberner Zunge
Kapitel 9: Der Griff nach der Federhaube
Kapitel 10: Glücklich und zufrieden
Danksagung
Anmerkungen
KAPITEL 1
BLUTSBRÜDER UND -SCHWESTERN GESUCHT
Jeder Mensch braucht Blutsbrüder und Blutsschwestern an seiner Seite, auf die er sich blind verlassen kann. Zweckgemeinschaften lösen sich früher oder später auf, große Lieben können vergehen, doch die Verbundenheit mit einem Seelenverwandten trägt über Jahrzehnte – vielleicht sogar bis zum Ritt in den Sonnenuntergang.
Winnetou und Old Shatterhand,
Lederstrumpf und Chingachgook,
Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski,
Sherlock Holmes und Dr. Watson,
Christo und Jeanne-Claude,
Thelma und Louise,
Karl Marx und Friedrich Engels,
Bud Spencer und Terence Hill,
Winnie Puh und Ferkel,
Schiller und Goethe,
John Lennon und Yoko Ono …
Die Liste berühmter Blutsbrüder und -schwestern – reale und fiktive – ist lang. Und auch unter uns Normalsterblichen gibt es Super-Buddys, die gemeinsam durch dick und dünn gehen und das Beste im jeweils anderen zum Vorschein bringen. Schon als Kind war es mein sehnlichster Wunsch, dass auch ich einen Seelen-verwandten finde. Denn Blutsbrüder sind praktisch unverwundbar. Sie stehen Seite an Seite und helfen sich wieder auf, wenn einer von ihnen doch mal vom Leben in die Knie gezwungen wird. Vor allem aber genießen sie gemeinsam die Schönheit der Welt und verdoppeln mit der Kraft der zwei Herzen ihre Freude am Dasein.
Aber wie findet man so einen Begleiter durchs Leben? Um eine Antwort auf diese Frage zu bekommen, muss man erst einmal wissen, was genau einen echten Blutsbruder ausmacht.
Unendliche Weiten
Die Liste oben führt es vor Augen: Blutsbrüder/Blutsschwestern sind Seelenverwandte – und doch total unterschiedlich gestrickt. Klugheit trifft auf Stärke, Besonnenheit auf Abenteuerlust, Einfühlsame tun sich mit Machern zusammen. Jeder ist das fehlende Puzzleteil für sein Gegenüber. So verschieden Blutsbrüder auch sind, sind sie doch einander ebenbürtig. Ihre Freundschaft ist eine Freundschaft unter Gleichen. Ohne die sozialen Skills des Dr. Watson wäre Sherlock Holmes nicht mehr als ein arroganter Schnösel, und ohne Ferkel wäre Winnie Puh einfach nur ein gefräßiger kleiner Bär. Erst im Doppel-pack wird es magic.
Kann man sich unterschiedlichere Typen vorstellen als Captain Kirk und Spock? Der eine hitzig und instinktgetrieben, der andere der Inbegriff des kühlen Logikers. Kirk und Spock gehörten für mich als Kind zu meinen Schutzheiligen, und sie sind es heute noch. Denn sie sind der Beweis, dass man noch nicht einmal vom selben Planeten kommen muss, um gemeinsam alle Probleme aus dem Weg zu räumen. Ich weiß nicht, ob der Erdling und der Vulkanier sich jemals gegenseitig als Freunde bezeichnet haben. Das ist auch gar nicht notwendig. Für die Gewissheit, dass man in allen Lebenslagen füreinander da ist und den anderen aus jeder noch so gefährlichen Bredouille herausholt, braucht es keine großen Worte. Nur Taten zählen. Der Clou: Die Darsteller Leonard Nimoy und William Shatner waren auch in der Realität echte Freunde, später erzähle ich mehr dazu.
Dass zwei Blutsbrüder sich perfekt ergänzen, erklärt aber noch nicht die starke Bindung zwischen ihnen. Einfach nur Seite an Seite stehen und zusammen kämpfen, reicht nicht. Der wahre Kitt ist die Tatsache, dass sie trotz aller Unterschiede die gleichen elementaren Werte teilen. Erst auf dieser Basis ist es möglich, dass sich Blutsbrüder gegenseitig ein Leben lang mit Impulsen versorgen und voranbringen. So werden sie zu perfekten Botschaftern des Prinzips »Lebenslanges Lernen«.
Auch Winnetou und Old Shatterhand komplettieren sich ideal in ihrer Unterschiedlichkeit, stoßen aber auch in ihrem jeweiligen Blutsbruder eine tiefgreifende Entwicklung an. Winnetou ist zu Beginn ihrer Freundschaft angehender Häuptling mit unbestechlichem Blick für das Wohl seines gesamten Stammes, Old Shatterhand das Greenhorn aus Deutschland, das zwar Freunde hat, aber doch nur für sich selbst einsteht. Der anfangs kriegerisch-brutale und rachedurstige Winnetou nimmt die Friedensbotschaft seines Freundes an und erkennt, wie heilsam es ist, einem Feind auch mal eine zweite Chance zu geben. Old Shatterhand entwickelt sich dank seines Freundes von der One-Man-Show zu einem echten Häuptling mit Führungsqualitäten. Dies alles geschieht, weil beide dieselben Werte teilen: Geradlinigkeit, Fairness, Menschlichkeit.
Die Botschaft, dass Menschen aneinander wachsen können, hat mich schon als Junge an den Winnetou-Geschichten fasziniert. Gebannt lauschten meine Geschwister und ich mit glänzenden Augen den Erzählungen meines Vaters, wenn wir die heißen Nachmittagsstunden im abgedunkelten Kinderzimmer unseres Hauses in Rio de Janeiro verbrachten. Wir bangten mit, wenn Old Shatterhand lernte, sich lautlos an Feinde anzuschleichen, und Winnetou sich dank seines Freundes die Kunst des Schmiedens langfristiger Pläne aneignete. Dieses Grundmuster gegenseitiger Persönlichkeitsentwicklung begegnet mir überall im Leben. Da ist das vom Chef zusammengewürfelte Zweierteam, das scheinbar gar nicht zusammenpasst, und doch einen Erfolg nach dem anderen verbucht. Denn der ältere Kollege hilft dem Newcomer auf die Sprünge und vermittelt ihm Fachwissen; im Gegenzug wirft der Senior ein paar angestaubte Glaubenssätze über Bord, die ihn jahrelang ausgebremst haben. Oder zwei Freundinnen, die eine lebt ihr Leben immer im roten Bereich des Drehzahlmessers, die andere ist eher bei 40 Stundenkilometern im vierten Gang unterwegs. Nummer eins lernt, sich auch mal zu entspannen, und Nummer zwei überwindet dank des Einflusses ihrer Partnerin ihr Phlegma und kommt auch mal auf Puls 120.
»Bin gleich da!«
Was unterscheidet Freunde von guten Freunden, und gute Freunde von Blutsbrüdern? Dieses Thema hat schon die alten Griechen beschäftigt. Aristoteles unterscheidet in einer seiner Schriften über Ethik drei Typen der Freundschaft:
1. Es gibt Freundschaften, die dem gegenseitigen Nutzen dienen, zum Beispiel im Beruf oder in der Politik. Das ist völlig in Ordnung, aber es sollte klar sein, dass so eine Freundschaft nur auf Zeit angelegt ist. Sobald einer der Partner zum Beispiel eine andere Arbeitsstelle antritt, verliert man sich aus den Augen. Die gemeinsame Basis, als Seilschaft Erfolge im Unternehmen einzufahren, ist ja weggefallen.
2. Dann gibt es noch die Freunde, die Vergnügen und Lust miteinander teilen wollen. Auch hier wieder: Bleibt die äußere Kulisse weg, ist es auch mit der Freundschaft schnell vorbei. Zu dieser Sparte gehören viele Jugendfreundschaften. Sobald der Schulabschluss in der Tasche steckt, geht man auseinander. Auch bei Sportkameraden verhält es sich häufig so. Wechselt einer den Verein, verabredet man sich noch, Kontakt zu halten. Und dann sind auf einmal zehn, zwanzig Jahre vergangen und man erinnert sich kaum noch an den Namen.
3. Die dritte Art der Freundschaft ist dauerhafter angelegt: Die Freunde sind beieinander, weil es ihnen um die Person des anderen geht. Diese Beziehungen halten in der Regel viel länger als die anderen, denn Werte und Vorstellungen, die ja eine Person ausmachen, wechselt man nicht so schnell wie berufliche Standorte oder Lust auf Party. Die Halbwertzeit von Lebenseinstellungen ist um ein Vielfaches höher als zum Beispiel die Kosten-Nutzen-Kalkulationen eines Beziehungs-Invests.
Ich finde, diese Einteilung trifft es sehr gut – seit über 2.000 Jahren scheint sich da nicht viel geändert zu haben. Echte Blutsbrüder oder -schwestern findet man meist in der dritten Kategorie – aber nicht nur! Auch wenn in den ersten Fällen die Freundschaften eher auf einzelne Lebensabschnitte angelegt sind und das Verfallsdatum schon eingewebt ist, kann es doch sein, dass du nach einiger Zeit mal wieder deinen alten Gefährten triffst und nach den ersten Sätzen schon merkst: Es ist noch genauso wie früher! Und plötzlich weißt du: Da ist eine gemeinsame Lebenseinstellung als Basis, die euch gar nicht bewusst war; das Band war nie zerschnitten. Dass du längst einen Blutsbruder hast, hast du übersehen. Endgültig zementiert wird der Blutsbruder-Status dann, wenn Not am Mann ist. Du rufst einen Kumpel von früher nachts um halb vier an, weil dein Auto gerade auf der Autobahn im Nirgendwo den Geist aufgegeben hat. Was für ein überraschendes Geschenk, wenn er dann einfach nur sagt: »Bin gleich da.«
Eine Überraschung ist auch der umgekehrte Fall: Eine Freundschaft der dritten Art, die für die Ewigkeit gemacht schien, erweist sich als nicht tragfähig, wenn es darauf ankommt. Die gemeinsamen Werte und Lebenseinstellungen, Basis jeder Blutsbrüderschaft, haben sich auseinanderentwickelt. Manchmal sind die beschworenen Werte eines Freundes doch nur Lippenbekenntnisse gewesen. Es trifft einen tief, wenn es dann auf einmal vorbei ist mit der Freundschaft. Wenn Klarheit herrscht, weiß man, woran man ist. Pierre Brice verfügte über diese Klarheit. Ihm wurde einmal die Frage gestellt, ob er und Lex Barker, der Darsteller des Old Shatterhand in den Spielfilmen der Sechzigerjahre, Blutsbrüder gewesen seien.1 Brice antwortete klar und knapp: »Wir waren Freunde, aber keine Blutsbrüder.« Und dann erzählte er, dass er sich einem anderen Schauspieler vom Winnetou-Set wie einem Blutsbruder verbunden gefühlt hatte: Rik Battaglia, der die Rolle des Banditen Rollins spielte. Also genau derjenige, der Winnetou im dritten Teil der Trilogie erschießt. Battaglia war es, der mit Brice zum Beispiel den kritischen Blick auf das Filmgeschäft teilte, nicht Lex Barker.
Blindes Vertrauen und voller Einsatz
Dass Blutsbrüder jede Menge private und berufliche Erfolge und vor allem auch ein Mehr an Lebensqualität einfahren, liegt nicht nur daran, dass sie sich kongenial ergänzen. Ein weiterer Faktor kommt noch hinzu: Blutsbrüder geben einander hundertprozentige Rückendeckung. Blind darauf vertrauen zu dürfen, dass Schwächen nicht ausgenutzt werden – was für ein Luxus! Denn ständig die Flanken bedeckt zu halten, erfordert einen enormen Kraftaufwand. Davon sind nicht nur diejenigen betroffen, die in einem Haifischbecken ihrem Beruf nachgehen. Auch im privaten Alltag kommen Konkurrenzdenken und Missgunst vor, doch einem Blutsbruder kannst du dich bedingungslos öffnen und darfst so sein, wie du wirklich bist.
Goethe sagte einmal über seinen Freund Schiller: »(…) oft hatte ich den Gedanken und Schiller machte die Verse, oft war das Umgekehrte der Fall, und oft machte Schiller den einen Vers und ich den anderen. Wie kann nun da von Mein und Dein die Rede sein!« Die beiden herausragenden Dichterfürsten ihrer Zeit spornten sich gegenseitig zu Höchstleistungen an und rechneten sich ihre Erfolge nicht gegenseitig auf. Denn so ist das bei Blutsbrüdern: Sie führen nicht Buch und sind sich nichts schuldig. Ein »Ich hab dir damals aber mal …« verbietet sich von selbst. Man trägt zum Erfolg des Partners bei und hilft sich bei Bedarf gegenseitig aus der Patsche. Freundschaftsdienste unter Blutsbrüdern sind keine Opfer, sondern Selbstverständlichkeiten.
Ich habe das große Glück gehabt, mehrmals in meinem Leben die Erfahrung machen zu dürfen, dass echte Blutsbrüder für mich sogar persönliche Risiken eingingen. Einmal, das war noch am Anfang meiner Berufslaufbahn, war ich in einem Zweierteam für eine Promotion-Aktion verantwortlich. Ich war für die Kosten zuständig und hatte mich dramatisch verkalkuliert. Mein Fehler. Der erwartete Profit für das Unternehmen blieb aus. Im Gegenteil, wir mussten sogar Geld nachschießen, um die Aktion überhaupt noch zu einem guten Ende bringen zu können. Mein fairer Busi-ness-Blutsbruder war sauer, ließ mich aber nicht im Stich. Wir entschlossen uns, den finanziellen Schaden gemeinsam wieder auszubügeln. Die Company war inhabergeführt, und die Gesellschafter interessierte nur das, was am Ende des Jahres rauskam. Wir hatten also noch ein paar Monate Zeit, um das Loch in der Kasse wieder aufzufüllen. Gemeinsam kämpften wir wie die Verrückten, gingen in jeden Pitch. Mit unserem unbändigen Einsatzwillen schafften wir das schier Unmögliche. Bis zum Ende des Jahres erzielten wir sogar ein deutlich besseres Ergebnis als die Planung vorgesehen hatte – trotz des von mir angerichteten Debakels.
Normal wäre es leider gewesen, wenn der Kollege sofort nach Bekanntwerden meines Fehlers alles darangesetzt hätte, um nicht mit in den Misserfolg gezogen zu werden. Doch statt sich von mir zu distanzieren und mich beim Chef zu verpetzen, setzte er alles daran, gemeinsam mit mir die Sache aus der Welt zu schaffen. Damit nahm mein Kollege in Kauf, dass seine Karriere mit einiger Wahrscheinlichkeit ebenfalls einen Knick machen würde. Die Erfahrung, dass wir am Ende gemeinsam als Sieger dastanden, war tausendmal mehr wert als der Bonus, den wir am Ende des Jahres dann doch noch bekamen.
One of Three
Diese Geschichte ist ein Beispiel dafür, dass es auch im Beruf Blutsbrüder gibt – auch wenn es manchmal »nur« Blutsbrüder auf Zeit sind. Solche Gespanne sind selten, es werden aber immer mehr. Denn die Zeichen der Zeit stehen nicht mehr auf Einzelkämpfer. Gefragt sind heute Menschen, die teilen und vertrauen können.
Als ich als Redakteur in einer Agentur anfing, war nicht nur in der PR-Branche die Arbeitswelt noch stark auf Platzhirsche mit Highlander-Mentalität getrimmt: »Es kann nur einen geben!« Ich denke da zum Beispiel an die grauenhaften Assessment-Center nach dem Muster »One of three«. Drei Kandidaten wurden an ein Thema gesetzt und alle wussten, dass zwei von ihnen über die Klinge springen würden. Man kann sich das Hauen und Stechen um den Arbeitsvertrag vorstellen. Genau das war ja gewollt: Gnadenlosigkeit ohne Rücksicht auf Verluste. Mit sozialer Kompetenz konnte man im Arbeitsleben zu der Zeit nicht wirklich punkten. Fürs Weiterkommen zählte vor allem Durchsetzungsfähigkeit, neudeutsch: »Straightness«. Wer Karriere machen wollte, musste gegen sich selbst und gegenüber anderen hart sein. Die anderen machten das Spiel mit oder duckten sich weg. Es war auch viel von »Durchpeitschen«, »Kollateralschäden« usw. die Rede. Kein gutes Klima, um Blutsbrüderschaften zu schließen!
Lonesome Cowboys mit Macho-Allüren wird es immer geben. Früher haben sie ein perfektes Biotop vorgefunden, doch heute weht ein ganz anderer Wind: Nur gute Zahlen zu liefern, reicht inzwischen nicht mehr. Das Mono-Thema ist einfach »durch«. Heute wird Wert auf ein echtes Teamwork gelegt. Das tradierte Führungsmodell ist aufgeweicht, viele Hierarchieebenen werden nur projektgebunden und damit temporär besetzt. Wer heute noch die Ansage macht, ist morgen dein Kollege oder Mitarbeiter. Auch die zunehmende Transparenz in Unternehmen fördert das Miteinander. Eigentümer und Vorstände achten sehr genau darauf, wie Mitarbeiter ihre Chefs beurteilen und wie hoch die Kündigungsquote ist. Wenn ein Mitarbeiter ausscheidet, wird in umfangreichen Exit-Gesprächen genau untersucht, wie es zu dem Entschluss kam. Sobald die Mitarbeiter auf einmal weniger leistungsbereit sind, häufiger krank werden oder sogar gehäuft zu anderen Unternehmen abwandern, wird die verantwortliche Führungskraft aus dem Spiel genommen, um den Flurschaden in Grenzen zu halten. Ich habe in den letzten Jahren mehrmals mitbekommen, dass fachlich erstklassige Manager auf Druck der Mannschaft den Vertrag nicht verlängert bekamen. »Defizite im Sozialverhalten« hieß es dann hinter vorgehaltener Hand.
Diese neue Einstellung zieht sich automatisch durch alle Ebenen. Wenn der Chef ein harter Hund ist, dann fahren auch die Mitarbeiter ihre Ellenbogen aus. Und wenn die Unternehmensführung eine Grundhaltung vorlebt, die Vertrauen zulässt, dann ziehen alle anderen nach – großartige Voraussetzungen für jede Menge Han Solos und Luke Skywalkers. Die Fähigkeit zur Blutsbrüderschaft ist auch eine Generationenfrage. Denn die heute 20-, 30-Jährigen sind ganz anders sozialisiert als die früheren Hardliner. Sie sind mit Airbnb, Carsharing und Crowd-Sourcing aufgewachsen. Sie haben Lust auf Gemeinschaft, nicht auf Buckeln und Klotzen. Ihren Erfolg messen sie daran, dass Menschen mitgenommen werden und sich wohl fühlen. Das bedeutet nicht, dass sie alle in Hängematten herumschaukeln, ganz im Gegenteil: Indem sie Macht und Leadership teilen, stellen sie Erstaunliches auf die Beine. Kleine, wendige Community-Boote sind in der Regel viel erfolgreicher als die alten Hierarchie-Schlachtschiffe.
Zustellbetten im Kinderzimmer
Auch im Privatleben setzt sich die Erkenntnis durch, dass man als Einzelkämpfer nicht weit kommt. Früher konnten in der Regel die Familienverbände ihren Mitgliedern Rückhalt bieten. Doch heute wohnen die erwachsenen Söhne und Töchter aus beruflichen Gründen oft weit weg von ihren Eltern. So kommt es, dass die Alten im Seniorenwohnheim landen, obwohl sie eigentlich noch ganz gut zurechtkommen. Für die berufstätige mittlere Generation wird die Kinderbetreuung zum Problem – es ist niemand da, der mal eben einspringen könnte. Dazu kommt, dass Geschwister zur Mangelware geworden sind, ohne Brüder und Schwestern fehlt aber in Krisenzeiten eine wichtige Anlaufstelle. Das Auseinanderbrechen der Familien macht es also immer mehr zur Notwendigkeit, Blutsbrüder und schwestern zu finden. Dabei lassen sich Katastrophen im Arbeitsleben relativ einfach regeln; wenn es sein muss, mit der Suche nach einem neuen Job. Es sind die Dramen im privaten Bereich, die wirklich an die Substanz gehen können, und aus denen man ohne blutsbrüderliche Unterstützung kaum unbeschadet an Körper und Seele herauskommt. Die folgende Geschichte aus meinem Bekanntenkreis ist ein herausragendes Beispiel für bedingungslose Freundschaft. Sie hat mich sehr bewegt und inspiriert.
Bei einer Mutter von zwei Kindern wurde Krebs diagnostiziert, die Chancen standen nicht gut für sie. Man kann sich vorstellen, wie belastend diese Situation für die gesamte Familie war. Sorge und Angst, aber auch die vielen Arzttermine ließen den ganz normalen Familienalltag völlig auseinanderfliegen. Der Familienvater kümmerte sich nun zusätzlich zu seinem Beruf um Kinder und Haushalt, darüber hinaus wollte er natürlich seine Frau so gut wie möglich unterstützen. Wahnsinn, was für ein Pensum er sich auferlegt hatte! Wäre er allein gewesen, hätte es nicht lange gedauert, bis er unter der Last zusammengebrochen wäre. Doch auch in diesem Worst-Case-Szenario gab es den Silberstreif am Horizont: Der Freund des Vaters stand in dieser Krise bombenfest an der Seite seines Blutsbruders. Als wäre es die größte Selbstverständlichkeit, krempelte er sein eigenes Leben völlig um. Zusammen mit seiner Frau stellte er kurzerhand zusätzliche Kinderbetten in die Zimmer der eigenen Kinder. So wurde über Nacht aus seiner eigenen Familie eine Großfamilie, in den Schulferien fuhren sie gemeinsam in den Urlaub. So hatte der Vater wieder etwas Luft für sich, und die kranke Mutter konnte sich ganz auf ihre Gesundung konzentrieren. Tatsächlich schlug die Chemotherapie bei ihr an – nach einem langen, kräftezehrenden Weg wurde sie wieder geheilt. Man kann den Anteil, den der Freund an ihrer Genesung hatte, gar nicht hoch genug einschätzen. Wie soll ein Mensch sich auf den Heilungsprozess konzentrieren, wenn er weiß, dass es daheim drunter und drüber geht, und er sich andauernd darum sorgen muss, was die Kinder gerade machen? Dank des Blutsbruders ihres Mannes wusste die Mutter alles in besten Händen und hatte den Kopf frei für ihren Kampf gegen den Krebs.
Auf den zweiten Blick
Wie viele Blutsbrüder braucht man? Mir persönlich geht es so: Mit zwei, drei wirklich guten Freunden bin ich überschaubar aufgestellt. Es ist schön, wenn mich jemand mag und die Wellenlänge stimmt, aber ich will nicht von jedem geliebt werden, den ich gut finde. Sonst käme ich schnell in einen Loveaffair-Overload. Mir genügt die Gewissheit, dass auch dann ein kleiner Kreis bleibt, wenn ich mal nicht mehr Top of the Choice bin und die Freunde der ersten und zweiten Kategorie wegfallen.
»Ich schaffe mir jetzt einen Blutsbruder oder eine Blutsschwester an, damit ich in schlechten Zeiten jemanden habe, der mich unterstützt« – das klappt natürlich nicht, denn Blutsbrüderschaft ist die Königsklasse unter den Beziehungen. Einen Blutsbruder sucht man nicht, Blutsbrüder finden sich. Die besten Voraussetzungen dafür lieferst du, indem du dich ganz entspannt zurücklehnst und für Begegnungen offen bist. Dass ich das Glück habe, immer wieder auf Blutsbrüder-fähige Menschen in meinem Leben gestoßen zu sein, liegt zum einen an meinem offenen Wesen. Ich komme mit jedem ins Gespräch – mit dem Straßenmusikanten, der freundlichen alten Dame auf dem Sitzplatz gegenüber in der Bahn, mit Zuhörern nach meinen Vorträgen. Es ist eigentlich ganz simpel: Um zu erkennen, dass dich etwas mit einem anderen Menschen verbindet, musst du ihn erst mal kennenlernen.
Es gibt aber noch einen zweiten Grund dafür, dass ich mich mehreren Blutsbrüdern verbunden fühlen darf: Ich habe in meinem Leben keine großen Kehrtwendungen gemacht; im Grunde meines Herzens kannst du sogar immer noch das Kind erkennen, das ich mal war. Wer dagegen auch im reifen Erwachsenenalter von dreißig, vierzig Jahren immer noch nicht zu sich selbst gefunden hat und sich ständig neu ausprobieren muss, stößt seinen Partner öfter vor den Kopf, als es einer Partnerschaft gut tut. In Ehen, die Gold-Status erreichen, ist es genauso: Um fünfzig Jahre gerne miteinander zu leben, muss es sich schon um zwei stabile Persönlichkeiten handeln. Wenn zur Geradlinigkeit auch noch Beharrlichkeit und Gelassenheit dazukommen, dann ist der Weg frei für eine Freundschaft, die Jahrzehnte anhält.
Übrigens: Wenn zukünftige Blutsbrüder zum ersten Mal aufeinandertreffen, dann singen keine Engel und die Erde bebt auch nicht. Oft merkst du gar nicht, dass du deinem Seelenverwandten erstmals gegenüberstehst. Erst nach einem gewissen Entwicklungsprozess geht beiden ein Licht auf. Eingefleischte Karl-May-Fans wissen, dass Winnetou und Old Shatterhand nicht nur aus zwei völlig verschiedenen Kulturkreisen kamen, sondern bei ihrer ersten Begegnung sogar Todfeinde waren. Ein Mord hatte den Stamm der Apachen gegen die Bleichgesichter aufgebracht. Doch wenn zwei Menschen gleich ticken, dann überwindet der Magnetismus alle Grenzen. Das ist auch im realen Leben so. William Shatner, dem Darsteller des Captain Kirk in der Serie Star Trek, passte es nicht, dass Leonard Nimoy als Spock bei den Fans viel beliebter war als er. Schließlich war Spock nur als Sidekick angeheuert worden; der Star sollte Shatner sein. Dies war nur einer der Gründe, warum die beiden am Set öfter aneinander rasselten. Aber das änderte sich – aus Shatner und Nimoy wurden beste Freunde. Gemeinsam setzten sie sich gegen die Produzenten der Serie durch und standen sich in privaten Mega-Krisen bei. William Shatner sagte einmal: »Ehrlich gesagt, bevor Leonard und ich eine Beziehung aufbauten, hatte ich nie einen wahren Freund; ich wusste nicht mal, was ein Freund war.«2
Das zerschnittene Band
Blutsbrüder und -schwestern genießen intensiv die Zeit, die sie miteinander verbringen, aber sie müssen nicht gleich ihr ganzes Leben miteinander teilen. Sie sind ja keine Siamesischen Zwillinge. Zwischen einzelnen Treffen können Jahre vergehen. Es genügt, alle paar Wochen oder Monate mal ein Lebenszeichen zu senden und sich über Änderungen im Leben auszutauschen. Das macht notwendige Nachjustierungen möglich, denn Menschen entwickeln sich weiter. Hochzeiten, Kinder, neuer Job, Erfolge, Niederlagen … Auch der beste Freund verliert den Anschluss, wenn er von diesen Dingen nichts erfährt. Offene Kommunikationskanäle sind aber auch aus einem ganz anderen Grund wichtig: Blutsbrüder müssen im Fall der Fälle einen Notruf absetzen können.
Trotz aller Vertrautheit kann eine Blutsbrüderschaft auch enden. Manchmal liegt der Grund darin, dass Menschen sich in unterschiedliche Richtungen entwickeln und sich irgendwann die gemeinsame Basis als nicht mehr tragfähig erweist. Dann kommt es darauf an, einen guten Schlusspunkt zu setzen. Ich denke da zum Beispiel an die beiden Blutsschwestern, die sich einen Traum erfüllten: ein gemeinsames kleines Hotel mit ambitionierter Küche. Die eine der beiden, ich nenne sie hier Sabine, war Event-Managerin und eine frühere Mitarbeiterin von mir. Sie hatte eine abgeschlossene Ausbildung als Hotelfachfrau und in internationalen Top-Häusern gelernt. Endlich wagte sie den Sprung und machte mit ihrer allerbesten Freundin, einer gelernten Köchin, ein eigenes Hotel auf. Sabine machte die PR und sorgte mit Geschick dafür, dass der Laden lief und die Mitarbeiter sich genauso wohl fühlten wie die begeisterten Gäste. Die Freundin stand in der Küche und zauberte erlesene Speisen für die Gäste. Es lief gut, bis die Freundin irgendwann nicht mehr nur am Herd stehen wollte. Also stellten sie einen Koch ein und die Partnerin war nun für das Personal im Hotel zuständig. Aber das ging nicht gut. Die Mitarbeiter kamen mit der rauen Art der ehemaligen Küchenchefin nicht zurecht und kündigten scharenweise. Es kam zum bitteren Streit. Das Ganze endete in einem juristischen Krieg, und weil jede die Schwächen der anderen nur allzu gut kannte, wurden tiefe Wunden geschlagen. Das Hotel musste schließlich verkauft werden. Die Anwalts- und Gerichtskosten verschlangen alles, was die beiden sich gemeinsam erarbeitet hatten.
Sabine arbeitet jetzt wieder in einer Event-Agentur. Das Scheitern ihres Lebenstraumes und das finale Zerwürfnis mit ihrer ehemaligen Blutsschwester hat Spuren hinterlassen. Hart ist sie geworden und das gibt sie auch unumwunden zu. Erst mit zeitlichem Abstand erkannte sie, dass sie damals mit dem Wunsch ihrer Freundin nach Entwicklung nicht zurechtgekommen war. Zu schnell hatte sie über ihrer Partnerin den Stab gebrochen. Damit war auch der Weg versperrt, gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten. Sie hätten zum Beispiel versuchen können, die Freundin für ihren neuen Aufgabenbereich durch Schulungen zu qualifizieren. Als der Bruch da war, war es zu spät.
Schaffen es zwei Blutsbrüder, ihre ins Rutschen gekommene Freundschaft zu retten, stehen sie hinterher umso fester zusammen. Jede gemeinsam bewältigte Krise stärkt das Band zwischen ihnen. Die Differenzen zwischen Sabine und ihrer Freundin hätte man vielleicht rechtzeitig kitten können. Bei der folgenden Geschichte war das allerdings nicht möglich.
Ich hatte vor vielen Jahren einmal einen sehr guten Freund, nennen wir ihn Robert. Zusammen mit unseren Ehefrauen waren wir ein unschlagbares Viererteam. Wir hatten kleine Kinder in ähnlichem Alter, gemeinsame Werte und Vorstellungen vom Leben. Alles passte. Sechs Jahre lang trafen sich mal die Frauen, mal Robert und ich, und mal alle vier. Miteinander verbrachten wir die schönsten Urlaube. Und dann kam der Schock: Durch einen blöden Zufall sah ich Robert eines Tages aus einem Hotelaufzug kommen – mit einer Freundin am Arm. Die Situation war eindeutig, da halfen auch die lahmen Erklärungsversuche der beiden nichts. Das war eine sehr unangenehme Situation, ein ganz dunkler Moment in meinem Leben. Wenn Eheleute einander untreu werden, ist das natürlich nicht mitteilungspflichtig. Doch meine Freundschaft mit Robert fußte ja genau auf der Auffassung, dass die Familie über alles geht. Indem Robert klammheimlich seine Frau betrog, verriet er genau die Werte, die uns verbunden hatten.
Wenn es nur ein einmaliger Ausrutscher gewesen wäre, wer weiß – vielleicht hätten wir alle zusammen diesen Schlag überstehen können. Es ist verzeihlich, wenn einen die Liebe erwischt, aber dann muss man mit offenen Karten spielen. Man kann sich auch trennen, aber bitte sauber. Robert hatte einen anderen Weg gewählt. Schnell kam heraus, dass er und seine Freundin schon seit zwei Jahren eine Beziehung hatten. Der Vertrauensverlust war irreparabel. Es folgte eine unschöne Trennung des Ehepaares, und auch meine Blutsbrüderschaft zu Robert ist kaputt gegangen. Ich habe das immer sehr bedauert, doch es gab keine Alternative. Zwei Jahre Lug und Trug sind nicht heilbar.
Die große Enttäuschung mit Robert ist mir jahrelang nachgegangen. Ich dachte tatsächlich, dass unsere Freundschaft unzerstörbar sei. Bei allen gemeinsamen Check-ups war nie sichtbar geworden, dass Robert nicht das war, was er zu sein schien. Das Fazit aus dieser Erfahrung ist ein gesunder Realismus: Man kann nie sicher sein. Es ist ganz normal, wenn man auch mal enttäuscht wird. Ich finde das gar nicht schlimm. Jesus hatte zwölf Jünger, und einer von ihnen hat ihn verraten. Ich finde, das ist auch für uns Normalsterbliche eine durchaus akzeptable Ausfallquote.
Nach der bitteren Erfahrung mit Robert wäre es ein großer Fehler gewesen, sich nun aus Enttäuschung einen Schutzpanzer anzulegen und auf Nummer sicher zu gehen. Ich gab Menschen auch weiterhin Vertrauensvorschuss und gewann so neue Freunde. Sogar ein Blutsbruder war darunter: Klaus.
»Ein Freund, ein guter Freund …«
Klaus war ein Lebenskünstler, wie ich selten einen getroffen habe. Er liebte das Leben und genoss es in vollen Zügen. Das hat uns verbunden. Unsere schönsten gemeinsamen Momente hatten wir in Son Macia im Osten der Insel Mallorca. Dort saßen wir wie zwei Indianerhäuptlinge zusammen auf dem höchsten Plateau und blickten in den Sonnenuntergang, tranken ein San-Miguel-Bier oder einen Rioja und redeten. Oder wir schwiegen miteinander. Später, als meine erste Frau und ich uns scheiden ließen, zerbrachen viele Freundschaften. Aber mein Blutsbruder Klaus ritt weiter treu an meiner Seite. Sein unbestechlicher Rat half mir beruflich und privat, wieder in die Spur zu finden.
Es gehört zur Tragik großer Freundschaften, dass sie durch den Tod eines der Protagonisten beendet werden. Klaus hatte eine Herzkrankheit. Er wusste, dass er irgendwann an ihr sterben würde. Umso intensiver lebte er. Das meist gebrauchte Wort unserer Freundschaft lautete »Wunderbar«. Klaus sprach es vorne mit einem langgezogenen »u« und hinten mit einem ebenso langgezogenen »a« aus: »Wuuunderbaaar«.So schrieb ich es auch in den SMS, die wir uns schrieben. Mehr musste man sich zum Bild eines Sonnenuntergangs oder nach einem schönen Wochenende nicht morsen – damit war alles gesagt und das gemeinsame Gefühl sofort da. Bei seiner Beerdigung in der vollbesetzten Kirche beendete ich meine Trauerrede mit dem Satz: »Leb wohl mein Bruder, du warst und bleibst für uns alle einfach wuuunderbaaar.«
KAPITEL 2
OHNE STAMM KEIN HÄUPTLING
Die Familie, in die du hineingeboren wirst, gibt dir Rückendeckung und sichert so dein Überleben. Aber auch in Beruf und Freizeit bist du Clanmitglied – hier darfst du dir deine Zugehörigkeiten sogar ganz nach deinen Neigungen und Fähigkeiten aussuchen. Dein wichtigster Job ist es, für jede Facette deines Lebens den richtigen Stamm zu finden. Nur so wird dein Leben rund.
Als meine Familie noch in Rio de Janeiro wohnte, waren wir Kinder immer im Trupp unterwegs. Er bestand aus meinem Freund Georg und seiner Schwester Susanne, meinen Geschwistern Hilke und Ulf sowie meiner Wenigkeit. Ein Hund namens Jolie komplettierte die »Fünf Freunde«. Wir Kinder besuchten die Escola Corcovado, gleich unterm Zuckerhut; Georg war zwei Klassen über mir – groß, blond und stark. Wenn andere Kinder uns Stammeskameraden piesacken wollten, musste er sich vor ihnen nur aufbauen. »Lasst meine Freunde in Ruhe«, sagte er dann, oder: »Der Frank gehört zu mir« – und schon zogen die bösen Buben ab. Es verging kaum ein Tag, an dem wir nicht zu fünft als Indianer durch die Gegend schlichen oder Ritter spielten. Am schönsten waren die brasilianischen Sommer. Die Schulferien dauerten zwei Monate und unsere Familien flüchteten vor der Hitze der Millionenmetropole in die Berge von Teresopolis. Hier waren wir umgeben von wilder Natur und unsere kindliche Kreativität lief zur Höchstform auf. Wir bauten Bambushütten und Seifenkisten und jagten mit Hilfe sorgfältig am Rand angekokelter Schatzkarten nach Spielzeug-Goldmünzen. Wir waren ein perfekter Stamm, denn wir hielten zusammen wie Pech und Schwefel und machten gemeinsam unsere Kinderträume wahr.
Als Alien in Otterndorf