Liebe dein Leben und nicht deinen Job. - Frank Behrendt - E-Book
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Liebe dein Leben und nicht deinen Job. E-Book

Frank Behrendt

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Beschreibung

Frank Behrendt gilt als »Guru der Gelassenheit«, seit er mit Ideen zur Bewältigung eines anstrengenden Berufslebens für Furore gesorgt hat. Denn trotz 60-Stunden-Woche und engagiertem Familienleben ist der erfolgreiche Agenturmanager tatsächlich ein tiefenentspannter, fröhlicher Mensch. Wie ihm das gelingt? In seinem Buch erzählt Behrendt, wie er Dinge angeht und was ihm Kraft und Energie gibt. Kurzweilig und informativ lässt er Höhepunkte und Niederlagen Revue passieren, immer mit Blick darauf, was ihm geholfen hat, tägliche Herausforderungen zu meistern. Eine Inspiration für alle, die Berufs- und Privatleben unter einen Hut bekommen müssen!

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Seitenzahl: 296

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Frank Behrendt

Liebe dein

LEBEN

und NICHT

deinen Job

10 Ratschläge für eine entspannte Haltung

Gütersloher Verlagshaus

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.
Copyright © 2016 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln Konzeptions- und Textberatung: Dr. Bettina Burchardt Covergestaltung: hafen Werbeagentur

Für Melanie, Emily, Josh und Holly. Ihr seid mein Sonnensystem. Ich bin jeden Tag glücklich, weil es euch gibt.

Inhalt

Prolog: Wuuusch

Kapitel 1: Jeito

Kapitel 2: Ausbildung zum Freiraumgestalter

Kapitel 3: Dirigent deines Lebens

Kapitel 4: Zieh es durch!

Kapitel 5: Zurück in die Zukunft

Kapitel 6: Spot an!

Kapitel 7: Hinterm Horizont geht’s weiter

Kapitel 8: Master of Time

Kapitel 9: Vertrauen ist der Anfang von allem

Kapitel 10: No Monsters, no Fear!

Epilog: Einfach nur Mike

Danksagung

Prolog: Wuuusch

Samstagvormittag. Ich sitze beim Friseur. Unangemeldet. Geht nicht anders, denn bei »JP Cut & Color«, bei mir gleich um die Ecke, gibt es keine Termine. Hier gilt: first come, first serve. Manchmal muss ich eine Stunde warten. Trotzdem – alle zwei, drei Wochen komme ich hierher, seit sechs Jahren.

Wie immer waren die Damen vom Altersheim gegenüber schneller als ich. Ich habe auf einem der Wartestühle Platz genommen und checke meine Mails auf dem Smartphone. Da ruft Daniel Häuser an, der zusammen mit Peter »Bulo« Böhling das People-Magazin der Kommunikationsbranche macht: Clap. »Für Neugierige, Eitle und Schadenfrohe« lautet der Untertitel. Häuser will mal wieder eine Geschichte mit mir machen, nur ein Thema brauchen wir noch. »Franky, wie machst du das nur«, fragt er, »du bist immer gut drauf, nie gestresst.«

Dieses Feedback hatte ich schon öfter bekommen. Die Leute wunderten sich, dass ich nie in Hektik gerate. Der Chef einer der großen Kommunikationsagenturen in Deutschland mit Tiefenentspannung als Grundmodus? Das war kaum vorstellbar. Vor allem nicht in der Agenturbranche, die zu Recht als besonders schnelllebig und kräftezehrend gilt.

Daniel Häuser kennt mich. Der weiß, dass das keine Show ist. Entspannt und gelassen zu sein kann man ja auch nicht auf Dauer spielen. Entweder man ist es oder man ist es nicht. »Was nimmst du eigentlich für Drogen? Die will ich auch haben«, frotzelt er. »Ist doch ganz einfach«, spiele ich den Ball zurück und gebe ihm einen kurzen Überblick über meine Tricks, mit denen ich es schaffe, auch inmitten der größten Aufregung auf dem Boden zu bleiben. »Das ist gut, schreib das doch mal auf!«, sagt Häuser.

Die Dauerwellen der alten Damen dauern noch etwas länger. Um mich herum das Brummen der Trockenhauben, die warme Luft, das Hintergrundgeräusch aus plappernden Stimmen und klappernden Kaffeetassen, das Wabern der Haarspray-Wolken … Innerhalb von zwanzig Minuten habe ich zehn Ratschläge in mein Smartphone eingetippt. Wuuusch – abgesendet. Drei Minuten später ist Häusers Antwort da: »Nummer sechs ist daneben. Der Rest ist gut.«

Ich schau mir die Sechs an: Na ja. Schreibe eine neue. Wieder Wuuusch. Häusers Response: »Klasse. So drucken wir das in Clap ab. In Ordnung?«

Bis September 2015 hatten nur wenige von dieser Zeitschrift gehört, denn die gibt es nicht am Kiosk zu kaufen. Die Redaktion entscheidet, wer in den Verteiler aufgenommen wird. Bei einer Auflage von rund 2500 gedruckten Exemplaren ist das für jemanden aus der PR-, Werbe- oder Verlags-Szene wie ein Ritterschlag, wenn er das Hochglanz-Blatt in der Post hat. Wohlgemerkt: nicht im digitalen, sondern im realen Briefkasten. Denn Clap ist vorwiegend ganz old-fashioned noch ein Print-Medium. Da drückt keiner mal schnell auf »Weiterleiten«.

Doch dieses Mal war es anders: Irgendjemand fotografierte die Seite mit meinen »10 ernsthaften Ratschlägen, wie man lockerer durchs (Berufs-)Leben kommt« ab und stellte sie ins Netz. Sie machte in den sozialen Netzwerken die Runde, wurde tausendfach geshared, geliked und getwittert. Irgendwann stiegen die Verbreitungsmaschinen im Netz ein: Spiegel Online, BILD.de, Stern.de. Die Sache war schon völlig außer Kontrolle geraten, als auch noch die Print-Medien nachzogen – vom Handelsblatt über die Wirtschaftswoche bis zur Frauenzeitschrift myself.

Selbst mich, den altgedienten PR-Profi, hat diese Resonanz total überrascht. Schnell wurde klar: Ich habe da einen Nerv getroffen. Denn das Work-Life-Thema ist ja nicht nur in Agenturen – also dort, wo es fast schon Tradition ist, die Nächte durchzuarbeiten – ein Riesen-Thema. In jeder Branche gibt es viele bewährte Mitarbeiter, die sich ausgelaugt und fremdgesteuert fühlen, und die Generation Y will erst gar nicht in diesen Arbeite-bis-du-umfällst-und-vergiss-deine-Familie-Modus hineingeraten. Sie alle wollen ein Leben, in dem Beruf und Privates nicht im Kampf miteinander liegen; sie wollen ihr Bestes geben und beitragen, ohne in der Job-Maschinerie kleingehäckselt zu werden. In Kurzform: Sie wollen entspannt und nicht gehetzt sein.

Auf den ersten Blick zeigen die »10 Ratschläge«, wie ich persönlich es schaffe, gelassen zu sein und ein entspanntes Leben zu führen. Es ist mein Weg, mich nicht von meinem Job auffressen zu lassen. Dein Weg sieht bestimmt anders aus. Doch hinter jedem meiner Ratschläge steckt mehr als nur ein flapsiger Denkanstoß. Was ich im Hochsommer in einem heißen Friseursalon auf die Schnelle ins Smartphone getippt habe, ist die Essenz eines ganzen (Arbeits-)Lebens. Den tieferen Sinn hinter jedem dieser Ratschläge will ich in diesem Buch freilegen.

Denn ich habe eine Vision: weniger Hektik und Getriebensein, mehr Gelassenheit für alle. Diese Vision handelt von Chefs, die ein Fels in der Brandung sind und nicht krampfhaft nach Schuldigen suchen. Von Mitarbeitern, die nicht über die Arbeitsbelastung stöhnen, sondern Freude und Spaß an ihrem Job haben. Menschen, die sich wieder daran erinnern, warum sie ihren Beruf gewählt haben, weil sie endlich ruhig und ohne Hetze ihre Arbeit machen können.

Diese Vision will ich teilen. Ich will inspirieren, indem ich von meinen Erfolgen und meinen Fehlern erzähle, davon, was ich erlebt habe und was mich berührt. Ich gebe zu, eine Portion Eigennutz ist auch mit dabei: Ich bin gerne mit entspannten Menschen zusammen. Das Leben macht mehr Spaß mit gelassenen Kunden und Kollegen. Ich freue mich auf Bäckereiverkäuferinnen, die auch im morgendlichen Ansturm ein Lächeln für ihre Kunden übrig haben. Wenn ich im Flieger unterwegs bin, fängt der Tag mit gut aufgelegten Security-Leuten bei der Gepäckkontrolle gleich viel schöner an. Und in der Bahn weiß ich höfliche Reisende zu schätzen, die meine Begrüßung erwidern, wenn ich mich ihnen gegenüber hinsetze.

Zehn Ratschläge sind es, die meine Einstellung zum Leben auf den Punkt bringen. Sie beschreiben mein Universum. Dass sie funktionieren, zeigt nicht nur mein äußerer Erfolg. Vor allem meine Grundentspanntheit und meine Zufriedenheit sind der Beweis dafür, dass es sich mit ihnen sehr gut leben lässt.

Wenn nur einer von ihnen dir zu mehr Klarheit verhilft, dir mehr Zeit mit deiner Familie verschafft oder dir dabei hilft, dich nicht von der Arbeit auffressen zu lassen, dann hat dieses Buch seinen Zweck schon erfüllt.

Kapitel 1: Jeito

Mach dir jeden Morgen noch mal klar, dass wir im Job nur Monopoly für Erwachsene spielen. Egal, was wir hier machen oder nicht machen – die Welt dreht sich weiter. Deshalb sollten wir uns bei aller Ernsthaftigkeit selbst nicht zu wichtig nehmen.

Gänsehaut kriecht über meinen Rücken. Ich stehe auf dem Fünf-Meter-Brett. Allein. Alle anderen sind schon gesprungen. Tief unter mir, merkwürdig perspektivisch verkürzt, brüllt der Lehrer vom Beckenrand zu mir hoch. Wie immer im blauen Trainingsanzug mit drei Streifen an der Seite und mit der Trillerpfeife um den Hals. Der kennt keine Gnade. Genauso wie im Französischunterricht – da führt dieser Lehrer gerne der gesamten Klasse die Tonbandaufnahmen der schlechteren Schüler aus dem Sprachlabor vor, als abschreckendes Beispiel. Die eine Hälfte der Klasse lacht sich dann schlapp, die andere ist erleichtert, dass heute mal ein anderer lächerlich gemacht wird. Und einer versinkt vor Scham in den Boden.

Zurück zum Sprungturm. Allein der Aufstieg hat mich schon fertig gemacht. Ich bin 12 Jahre alt, kein Weichei, aber mit der Höhe hab ich es nicht so. Vor Kälte bibbernd starre ich in die Tiefe. Ich kann bis auf die Fliesen auf dem Grund sehen, gute zehn Meter unter mir. »Jetzt spring endlich!« Das Geschrei des Lehrers hallt von den gekachelten Wänden des Hallenbads wider. Dazu das mitleidlose Grinsen der Mitschüler, das Kopfschütteln. Einigen ist schon langweilig geworden, sie schauen nicht mal mehr hoch. Ich weiß genau: Nur ein kleiner Schritt, dann habe ich es hinter mir. Aber ich kann nicht. Besiegt steige ich die Leiter wieder hinunter.

Ich habe schon ewig nicht mehr an diese Geschichte gedacht. Erst jetzt, wo ich an diesem Buch arbeite und eine Situation beschreiben will, in der ich mich machtlos und ausgeliefert fühlte, fällt sie mir wieder ein. Dabei war dieser Moment gefühlt einer der schlimmsten in meinem Leben. Die Sechs für die »Leistungsverweigerung« im Schwimmen hat mir nicht so viel ausgemacht. Aber die Scham. Und dass ich geheult habe, als ich mittags nach Hause kam und meine Mutter ahnungslos fragte, wie es in der Schule war.

Es war furchtbar für mich, in den Tagen nach diesem Desaster zur Schule zu gehen. Da waren die Blicke der anderen, aus denen ich nur Häme herauslas. Das geht nie vorbei, das muss ich jetzt bis an mein Lebensende aushalten, war mein Gefühl …

… und dann habe ich die Geschichte vergessen. Alle anderen um mich herum auch. Wahrscheinlich hat es keine Woche gedauert, bis Gras über die Sache gewachsen war. Dass ich gekniffen hatte, war nicht mehr wichtig.

Ich denke, jeder hat solche Geschichten in seiner Kindheit erlebt. Erst aus der Distanz heraus wird klar: Na, so ein Drama war es dann doch nicht. Die miese Note im Zeugnis, die kaputte Fensterscheibe, das entlaufene Kaninchen – alles Stürme im Wasserglas und Schnee von gestern. Man hat Erfahrungen gemacht, Fehler wieder ausgebügelt, neue Wege beschritten … die Welt hat sich weiter gedreht.

Gehe in das Gefängnis, begib dich direkt dorthin …

Damals brauchte ich ungefähr eine Woche, bis ich denken konnte: »Ich bin nicht vom Fünfer gesprungen – na und?« Ich hätte mir ein paar sehr unangenehme Tage sparen können, wenn ich von vornherein hätte gelassener sein können. Dann hätte ich noch in der Schwimmhalle zusammen mit meinen Kumpels gelacht. Doch zu dieser Leichtigkeit war ich zu jener Zeit nicht fähig. Gelassenheit hat schließlich etwas mit Distanz zu tun. Mir fehlte der nötige Abstand, um das Geschehene objektiv einordnen zu können und in meinen Gedanken auf ein vernünftiges Maß zu bringen. Ich war in der Situation gefangen. Dabei hatte ich noch Glück – irgendwie ging es ja ganz von allein vorbei.

Als Erwachsener muss ich mich nicht mehr auf das Glück verlassen. Denn ich habe gelernt, gelassen zu bleiben und mich nicht von Lebenslagen, in denen ich mich früher hilflos gefühlt hätte, überwältigen zu lassen. Ich weiß, dass viele Menschen, so wie ich damals, als ich durch die Schulflure schlich, in ihren großen und kleinen Katastrophen feststecken. Sie fühlen sich dem, was sie bedrückt und belastet, ausgeliefert, sehen keine Alternativen und hangeln sich von Tag zu Tag, ohne Aussicht, dass sich die Dinge von allein regeln werden.

Vor allem im Job ist das so: Eigentlich mögen sie ihre Arbeit, aber die beschwingten, leichten Momente sind viel zu selten. Die Tage, an denen sie sich gestresst, ausgelaugt, vielleicht sogar überfordert und überlastet fühlen, werden immer mehr. Zu Hause können sie nur schwer abschalten, weil sie dauernd daran denken müssen, was alles noch auf ihrem Schreibtisch liegt. Obwohl sie ganz schön ackern, scheint der Arbeitsstapel nie kleiner zu werden. Das Gefühl hinterherzuhinken, machtlos und ausgeliefert zu sein, lässt sie angespannt und gereizt werden – das ist das genaue Gegenteil von Gelassenheit. Noch schlimmer wird es, wenn einer davon überzeugt ist, er wäre unersetzlich und seine Arbeit unverzichtbar. Denn mit der Einstellung »Ich muss das schaffen, sonst geht hier alles den Bach runter« kommt er nie auf den Boden zurück und sorgt zum Beispiel für regelmäßige Entspannungspausen. Geht nicht. Er ist wie getrieben auf dem Monopoly-Spielfeld unterwegs und glaubt, sein Leben hinge davon ab, nicht auf die Schlossallee zu geraten.

Und genau das ist das Problem: Wenn du bis über die Ohren in der Situation – in diesem Fall: der Arbeit – steckst, nimmst du die Relevanz der Dinge nur noch verzerrt wahr. Du findest keine Lösung, weil das Gefühl des überwältigenden Drucks dich blind dafür macht, was sinnvoll und angemessen ist.

Ein einfaches Beispiel: Jemand hat die Aufgabe, die Weihnachtskarten seiner Firma zu verschicken. Am Nachmittag hat er angefangen, die vorgedruckten Briefkarten mit persönlichen Widmungen zu versehen und einzutüten. Um sechs Uhr gesteht er sich ein, dass er sich mit dem Zeitaufwand verschätzt hat – von den 85 Adressen auf seiner Liste hat er gerade mal die Hälfte abgearbeitet. Um Sieben hockt er immer noch im Büro. Mit verkrampfter Schreibhand und vorgeschobenem Kinn wünscht er den Lieferanten und Kunden seiner Firma »Frohe Weihnachten und erholsame Feiertage«. Er merkt gar nicht, wie bescheuert das ist. Er ist nur auf eines fokussiert: »Ich muss fertig werden.« Jedenfalls glaubt er das. »Wieder fünf geschafft. Noch 30. Oh Gott! Um halb neun bin ich zum Essen verabredet. Das schaffe ich niemals rechtzeitig! Ich werde anrufen und absagen.«

Eigentlich eine ganz lächerliche Szene, mancher wird vielleicht sagen: »Könnte mir nicht passieren.« Aber ist das wirklich so? Die Absurdität geht einem ja leider oft erst im Nachhinein auf. Wenn die Arbeit an dir zieht und zerrt und du das Gefühl hast, dass alles über dir zusammenbricht, dann ist etwas Wichtiges verlorengegangen: Gelassenheit. Ohne sie verlierst du den Überblick und vergisst, dass der Job zwar wichtig ist, aber andere Dinge eben auch. Deine Familie zum Beispiel. Deine Gesundheit. Deine Freunde.

Mit der Nase am Van Gogh

So wie meine Geschichte mit dem Sprungturm zeigt, werden die Relationen ganz automatisch mit der Zeit zurechtgerückt. Wie lange wird der unglückliche Kartenschreiber wohl brauchen, bis er an den Abend im Büro zurückdenkt und sich sagen kann: »Na, sooo wichtig war das damals mit der Weihnachtspost nicht, die hätte ich genauso gut am nächsten Vormittag fertig machen können.«

Diese Gelassenheit käme natürlich zu spät. Den Abend hat er bereits vermasselt; seine Freunde waren sauer, weil er sie wieder einmal versetzt hat, und seine schlechte Laune hat die Familie abbekommen. Er hat die falsche Entscheidung getroffen, weil er gar nicht mehr in der Lage war, sich daran zu erinnern, dass es auch eine Alternative gab: einfach nach Hause gehen, Zeit mit den Freunden verbringen, mit der Arbeit am nächsten Tag zur Not eine Stunde früher als sonst weitermachen.

Hier ist die gute Nachricht: Nicht nur die zeitliche Distanz lässt einen gelassen werden, auch die innere Distanz schafft das. Du musst nicht warten, bis die Zeit dich klüger macht! Mit ein wenig Abstand von dir selbst kannst du hier und jetzt aus der Ich-muss-da-durch-es-geht-nicht-anders-Senke, dem Das-ist-nun-mal-so-und-es-wird-auch-niemals-anders-werden-Loch oder gar dem Hilfe-Hilfe-warum-hilft-mir-denn-keiner-Abgrund herauskommen.

Was machst du also, wenn du wieder einmal um halb neun noch im Büro sitzt? Du trittst sozusagen aus dir heraus, beobachtest dich von außen und fragst dich: »Was tue ich eigentlich gerade? Worum geht es hier? Ist es das, was ich wirklich will?« Es ist nur ein ganz kleiner Stopp in der Alltagshetze, aber er wirkt Wunder: Du gehst zu dir und zu dem, was du gerade tust, auf Distanz und bekommst so eine realistischere Einschätzung dessen, was wichtig ist. Wenn du nicht gerade Herzchirurg bist und in dieser Minute am offenen Herzen operierst, wirst du wahrscheinlich erkennen: Es geht nicht um Leben oder Tod. Mit ein wenig Abstand ergibt sich ein ganz anderes Bild.

Es ist wie im Museum – da stelle ich mich doch auch nicht mit der Nase ein paar Zentimeter entfernt vor ein Kunstwerk. Um es als Ganzes zu sehen und würdigen zu können, muss ich schon ein paar Schritte zurückgehen. Sich zu distanzieren hat nichts mit Gefühlskälte zu tun, sondern damit, dass ich den Überblick behalte und entspannt und weniger angstgetrieben gute Entscheidungen treffen kann.

Erst mit diesem inneren Abstand schrumpfen Anforderungen und Probleme, die übergroß scheinen, auf Normalmaß. So kannst du ein vermeintlich in den Sand gesetztes Projekt doch noch zu einem bestmöglichen Ende führen und die ständige Streiterei mit einem Kollegen wird nicht gleich zum Grund, sich das Leben vermiesen zu lassen. Selbst wenn dir gekündigt wird, wirst du wissen: Das ist definitiv nicht das Ende.

Sich selbst und die Situation, in der man steckt, auch mal mit etwas Abstand betrachten zu können, ist die Basis der Gelassenheit. Und nur mit Gelassenheit bleibst du handlungsfähig. Die folgende Geschichte zeigt, was ich damit meine.

»Come on, Franky, shit happens!«

1983 habe ich Abitur gemacht. Statt zur Abifeier zu gehen, setzte ich mich in einen Flieger nach Kanada, um dort für ein paar Wochen mit drei anderen Jungs im Kanu über die Seen zu paddeln. Wildnis, Abenteuer, Lagerfeuer, Freiheit – genau mein Ding.

Der fünfte im Bunde war Jeff, unser Guide. Er zeigte uns, wie man in der Wildnis überlebt, und sorgte dafür, dass wir uns nicht verirrten. Bei ihm lernten wir, wie man Köder macht, und was wir von dem, was wir fingen, auch essen konnten. Jeff war ein cooler Typ, um die 30, sah aus wie ein Trapper, durchtrainiert, smart. In all den Wochen trug er entweder sein rotes oder sein grünes Karo-Holzfällerhemd. Er konnte stundenlang auf einer Landspitze sitzen und einfach nur in die Weite schauen.

Eine Woche vor Ende der Tour übernachteten wir in einer Lodge, um mal wieder Wäsche zu waschen und Pizza zu essen. Wir verabredeten, ein paar Stunden getrennt zu verbringen. Als ich nach dem Einchecken allein zurück zum Kanu kam, war mein Seesack weg. Der Schlüssel für das Schloss des Seesacks hing noch um meinen Hals, aber alles andere war geklaut: Klamotten, Geld, Traveller-Checks, Rückflugticket, Ausweis …

Auch wenn ich mir damals schon sehr erwachsen vorkam, war ich doch lange nicht der erfahrene Player, für den ich mich hielt. Wie gerne würde ich berichten, dass ich mal eben eine Lösung für diese bescheidene Situation aus dem Ärmel schüttelte. Das Gegenteil war der Fall: Ich war fix und fertig, komplett verzweifelt. Hundertmal lief ich um das Kanu herum, suchte immer wieder unter den Bänken, hinter den Paddeln. Vollkommen irrational! Man sieht natürlich auf den ersten Blick, ob ein 80-Liter-Seesack in einem Kanu liegt oder nicht. Aber es war für mich schlicht unvorstellbar, dass alles, was ich hatte, weg sein sollte. Drei Stunden lang konnte ich keinen einzigen klaren Gedanken fassen, in meinem Kopf gab es nur noch eine Endlosschleife: »alles weg … Katastrophe … das kann doch nicht sein … alles weg … Katastrophe … das kann doch nicht sein …«

Endlich kam Jeff. Er holte mich aus der Schockstarre heraus, so dass ich nicht mehr nur auf das starren musste, was verloren war, sondern überlegen konnte, was zu tun war. Fakt war: In einem fremden Land musste ich noch eine Woche durch die Gegend paddeln, nur mit dem, was ich auf dem Leib trug und fünf Dollar im Brustbeutel. Ist blöd, aber es gibt Lösungen. Das Wichtigste zuerst: die Schecks sperren lassen. Dann mit den Eltern telefonieren und Geld schicken lassen, sich bei Jeff und den Reisegefährten Geld ausleihen, im nächsten Örtchen eine Minimalausstattung an Kleidung kaufen, sich in der Deutschen Botschaft Ersatzpapiere beschaffen. Jeff holte mich aus der lähmenden Gedankenmühle heraus und erinnerte mich daran, dass man Dinge regeln kann.

Das Dumme ist, dass du nicht immer einen Jeff bei dir hast, der dich wieder in die Spur bringt. Um runterzukommen, musst du dein eigener Jeff sein. Und genau da sind wir wieder beim Thema: Sobald du auf Abstand zu dir selbst gehst, schlüpfst du in die Jeff-Rolle, kannst die Sache objektiver als zuvor beurteilen – und bist bereit aktiv zu werden.

Das war jetzt schon die zweite Geschichte aus längst vergangenen Tagen. Das hat einen Grund. Für mich gibt es seit vielen Jahren keine Probleme mehr, vor denen ich wie vor unüberwindbaren Bergen stehe oder die mich gar in Panik versetzen. Denn ich lasse mich nicht mehr in eine distanzlose Katastrophenstimmung ziehen. Egal was passiert, meine Denkweise ist: Ich erlebe Situationen, die ein bestimmtes Handeln erfordern. Das ist machbar.

Mit Howie auf dem Boden bleiben

Wie geht das nun genau, Abstand zu sich selbst zu finden? Manche können das am besten mit Meditation. Für mich heißt aber die Königsdisziplin: Selbstironie. Nimm dich selbst nicht zu wichtig und lach über dich – ich finde, es gibt nichts Besseres, um auch mal auf Abstand zu sich selbst zu gehen und so gelassen und geerdet zu bleiben.

Ich hatte schon immer ein Faible für den deutschen Schlager. Keine Ahnung, woher ich das habe. Von meinen Eltern kommt das definitiv nicht, bei uns zu Hause wurden immer Jazz und Dixieland gehört. Aber wenn ich im Auto unterwegs bin und es kommt »Es war Sommer« von Peter Maffay im Radio, dann drehe ich das lauter. Ich weiß, man ist auf der sicheren Seite, wenn man sich über Schlager lustig macht. Aber ich stehe dazu: Ich finde sie einfach gut. Und Howard Carpendale ist einer meiner Lieblingsinterpreten.

Als ich für Universal Music arbeitete, war auch der blonde Südafrikaner dort unter Vertrag. Es war ein Highlight für mich, ihn persönlich kennenlernen zu dürfen. Ein sanfter, eher leiser Typ, und trotzdem zieht er alle Blicke auf sich, wenn er den Raum betritt. Magic! Mir fiel auf, wie respektvoll und freundschaftlich er mit seiner Band und allen anderen in seinem Team umgeht. Für jeden hat er ein nettes Wort, ist nie genervt, kein Autogrammwunsch ist ihm zu viel. Ich glaube, es existiert kein einziges Foto von ihm, auf dem er schlechte Laune hat. Klar, er ist ein Vollblut-Profi, aber sein Lächeln ist echt.

Begeistert von »Howie« war ich lange bevor ich ihn persönlich traf. Schon in den Achtzigerjahren sang ich an Karaokeabenden seine Hits. Howies unverwechselbarer Akzent war für mich kein Problem, auch optisch war ich nicht weit vom Original entfernt – damals trug ich die Haare noch ein wenig länger als heute. Die Leute fanden meine Vorstellungen klasse. Und ich hatte eine Möglichkeit gefunden, meine Leidenschaft für das, was so viele andere peinlich finden, auszuleben – und zu entspannen.

Mit der Zeit habe ich meine Howie-Performance zur Kunstform entwickelt. Als ich noch bei der PR-Agentur KetchumPleon war, hatten wir mal die Nachtresidenz an der Düsseldorfer Kö für ein Betriebsfest gebucht. Zwei Etagen, durch eine freie Wendeltreppe miteinander verbunden. Ich hielt vom Obergeschoss aus die obligatorische Ansprache – und legte dann einen fliegenden Wechsel in die Howie-Rolle hin. Das Licht ging aus, im Glitzeranzug stieg ich, »Hello again« singend, die Treppe hinab. Den Raum erhellten nur die Kerzen, die auf jeder Stufe brannten, und ein Background-Chor machte die unverzichtbaren »Ahua«-Töne. Das Publikum bewarf mich aus dem Halbdämmer heraus mit Teddybären, Blumen und BHs. Ein großartiges Spektakel!

Warum erzähle ich das? Mancher mag jetzt den Kopf schütteln: Da will der Frank Behrendt ein Beispiel dafür geben, wie er auf dem Boden bleibt – und berichtet dann davon, wie er sich ins Rampenlicht stellt und nicht nur als Agenturchef, sondern auch noch als Pseudo-Schlagersänger Applaus haben will.

Ich sehe die Sache allerdings ganz anders: Nur einer, der sich selbst nicht so wichtig nimmt, kann so was bringen. Ich fand es befreiend, wenn meine Mitarbeiter sich vor Lachen bogen, weil ihr Chef sich zum Schlagerbarden machte – noch heute macht es mir einen Riesenspaß, meine exhibitionistische Seite auszuleben, die Rampensau in mir lässt grüßen. Aber ich wusste auch den eigentlichen Nutzen dieser Performances zu schätzen: Die Howard-Carpendale-Nummer brachte mich auf Distanz zu meiner Rolle als Agenturchef. So entging ich der Gefahr, mich zu wichtig zu nehmen.

Es ist verrückt: Weil ich auf Distanz gehe, bin ich gleichzeitig ganz nah bei mir. Ich kann so sein, wie ich bin. Außerdem: Welchen Chef traut sich ein Mitarbeiter wohl eher offen anzusprechen? Den, der ein-, zweimal im Jahr einen goldenen Dress trägt? Oder den Eisenfresser, der in seinem Brioni-Anzug festgewachsen zu sein scheint und den man höchstens mal von hinten durch die Gänge schweben sieht? Die Howie-Nummer, so abgedreht sie auch ist, machte mich anfassbar, normal. Sie brachte mich nahe an die Mitarbeiter heran. Und je näher wir aneinander dran waren, desto besser.

Alle hatten Spaß daran. Naja, fast alle. Ich kann gut damit leben, dass es Leute gibt, die die Howard-Carpendale-Nummer und ähnliche Auftritte nicht toll finden. »Ach, der Franky mit seinem Hang zur Selbstdarstellung«, winken sie ab. Ein Mitarbeiter hat sogar mal angedeutet, dass es ihm schon etwas unangenehm sei, mich als Chef zu haben. »Wie soll ich das denn meinen Kunden vermitteln?«, meinte er. Ich finde, wenn von 400 Leuten 390 Spaß haben und zehn nicht, dann ist das in Ordnung. Jeder muss Kritiker ertragen. Ich persönlich finde es vor allem wichtig, authentisch zu sein.

Eine Bulldogge namens Fee

Es gibt noch einen weiteren guten Weg, dich nicht allzu wichtig zu nehmen: Mach dir klar, dass du nicht nur eine Rolle im Leben hast. Im Job magst du der Zampano sein, wenn du aber zu Hause den Müll rausbringst und die Glühbirnen wechselst, dann haben eventuelle Höhenflüge zuverlässig ein Ende. Dir wird ganz schön die Luft abgelassen, wenn dein Sohn dich vorwurfsvoll anschaut und sagt: »Ach Papa! Jetzt bist du auf meine Carrera-Bahn getreten!«

Auch nach Jahrzehnten mit Führungsverantwortung im Job habe ich zu Hause wenig zu sagen. Wer hier die Mütze auf hat, macht Fee, unsere Französische Bulldogge, deutlich: Rudelführer ist meine Frau, sie gibt dem Hund die Befehle. Auf mich hört er nur, wenn er Lust dazu hat, aber als Spielpartner bin ich immer gern gesehen. Damit kann ich gut leben. Den Wechsel zum Beispiel zwischen den Rollen »Agenturvorstand« und »Hundebespaßer« habe ich immer hinbekommen. Oder den zwischen »Vater von zwei kleinen Kindern« und »Senior-Berater von Kunden«. Weil ich alle meine Funktionen ernst nehme, komme ich erst gar nicht in die Verlegenheit, dass eine von ihnen mich zu sehr vereinnahmt und Macht über mich bekommt. Denn das würde bedeuten, dass sie mich so stark verformt, dass ich mich selbst gar nicht mehr wiedererkenne.

Mit meiner gelassenen Distanz zu meiner Rolle im Job kann ich es mir auch leisten, nicht meine Sekretärin an den Eingang zu schicken, damit sie meinen Besuch abholt. »Herr Behrendt hat nun Zeit für Sie, ich geleite Sie nach oben«, würde die dann sagen. Ich aber will keinen Eindruck schinden, ich gehe lieber selbst nach unten und begrüße meinen Besuch persönlich. Ich will nicht meine Bedeutung herausstreichen, sondern mein Gegenüber wertschätzen. Und wenn die Beziehung dann auch noch so freundschaftlich ist, dass wir uns duzen können, dann bin ich erst recht in meinem Element.

Ich kann übrigens meine Sekretärin gar nicht an den Eingang schicken, denn ich habe gar keine. Ich hatte und habe noch nicht einmal ein eigenes Büro, geschweige denn ein Vorzimmer. Ich brauche ja beides nicht. Weder als Statussymbol noch aus irgendeinem anderen Grund. Ich bin sowieso nur ein paar Tage in der Woche in der Kölner Niederlassung. Soll wertvoller Raum etwa leer stehen? Also teile ich mir mit der Standortleiterin einen wunderschönen Raum mit Blick auf den Kölner Dom. Wir kennen uns schon ewig und sind aufeinander eingespielt, fast schon wie ein altes Ehepaar. Ich mag den Austausch – kein eigenes Büro zu haben ist also kein großer Verzicht für mich.

Und die nicht vorhandene Assistentin? Ich bin sehr schnell im Umgang mit den digitalen Devices. Präsentationen schreiben, Terminabsprachen, Flüge einchecken – das meiste geht viel schneller, wenn ich es selber mache. Zack und fertig. Schon allein, weil es keine Rückfragen gibt: »Welches Hotel hättest du denn gerne? Willst du um 7.30 oder lieber um 8.40 Uhr fliegen? Soll ich mittags wieder einen Tisch im selben Restaurant wie das letzte Mal reservieren?« Und wenn eine Reisebuchung mal komplizierter ist, dann macht das unsere Rezeptionistin. Eine Sekretärin zu beschäftigen, nur um mir Bedeutung zu geben, das brauche ich nicht. Ich nehme mich ernst, aber nicht wichtig.

So manchem, der die Karriereleiter schon weit hinaufgekommen ist, geht das anders. Da gibt es zum Beispiel Topmanager, die in ihrer Selbstübersteigerung jedes Maß verloren haben. Mancher jettete um die Welt, ohne noch genau zwischen geschäftlichen und privaten Belangen unterscheiden zu können. Andere bewiesen bei der Anfertigung von Bilanzen eine erstaunliche Kreativität oder ließen sogar Mauscheleien zu, aus Sorge, dass ohne illegale Tricks ihr Unternehmen von der Konkurrenz abgehängt würde. Wohlgemerkt: Sie tun das nicht etwa, um sich die Taschen vollzustopfen. Ganz im Gegenteil: Sie geben alles fürs Unternehmen. Manchmal kostet diese – und ich meine das jetzt nicht ironisch – Selbstlosigkeit sie am Ende ihren Job. Ich habe manche dieser Leute kennengelernt und weiß: Sie leben für ihren Job und vergessen alles andere.

Vor zwanzig Jahren bin auch ich in die Ich-bin-so-superwichtig-Falle gelaufen, das muss ich zugeben. Ich war erfolgreich, hielt mich für den Nabel der Welt, alles andere war zweitrangig. Meine erste Frau war natürlich nicht glücklich über diese Master-of-the-Universe-Haltung. Ich erinnere mich zum Beispiel noch gut daran, dass sie mich mehrmals darum bat, mich um die kaputte Spülmaschine zu kümmern. Es ging natürlich nicht um die Spülmaschine. Sie wollte, dass ich Einsatz für die Familie zeige. Und zwar da, wo es lästig ist: im Alltag. Jeder Papa kann ein teures Spielzeug fürs Kind kaufen – oder von der Sekretärin besorgen lassen – und daheim den Superdaddy spielen. Aber dreimal die Woche rechtzeitig am Kindergarten sein, um den Nachwuchs abzuholen, oder regelmäßig mit ihm zum Fußballtraining zu gehen – das ist eine ganz andere Nummer.

Ich hätte nur den Telefonhörer in die Hand nehmen und irgendeinen Installateur bestellen müssen. Stattdessen wurde ich pampig: »Kauf doch einfach ’ne neue Spülmaschine.« Dass meine damalige Frau darauf bestand, dass ich mich kümmere, beflügelte nur meine Arroganz. »Ich arbeite hart und hab das Recht, mit solchem Kasperkram in Ruhe gelassen zu werden.« Und dann setzte ich noch eins obendrauf: »Wer bezahlt denn hier die Party!« Für diesen Spruch schäme ich mich heute noch.

Hauptquartier Hängematte?

»Mach dir jeden Morgen noch mal klar, dass wir im Job nur Monopoly für Erwachsene spielen«, hatte ich in meinem ersten Ratschlag geschrieben. Dieser Schuss hätte auch nach hinten losgehen können. Auf den ersten Blick ist es nicht sehr vertrauenerweckend, wenn der Chef einer PR-Agentur – und das war ich ja zur Zeit der Veröffentlichung meiner zehn Ratschläge –, deren Beratungsleistung viel Geld kostet, sagt: »Ach, das ist doch alles nur ein Spiel.« Mit so einer Einstellung kann man kaum ernsthafte Arbeit und bedingungslosen Einsatz erwarten – oder? Aber wir haben keine entsetzten Anrufe von Kunden bekommen. Die Botschaft meines Monopoly-Vergleichs ist offenbar bei den meisten Menschen angekommen: Als Getriebener macht niemand auf Dauer einen guten Job. Mit mehr Gelassenheit sind wir alle viel freier im Kopf.

Gelassenheit ist jedoch kein Freifahrtschein dafür, in eine Luschi-Einstellung zu rutschen: »Ist doch sowieso alles egal! Wenn ich keinen Bock habe, dann lass ich es einfach sein.« Kaum etwas regt mich mehr auf als unzuverlässige Mitarbeiter, die ihre Aufgaben nicht wie abgesprochen erledigen und mit ihrem unprofessionellen Verhalten minutiös getaktete Abläufe torpedieren, Kunden vor den Kopf stoßen und ihre Kollegen im Stich lassen. Ich finde so ein Verhalten zutiefst unfair. Da verstehe ich keinen Spaß. Es ist doch sonnenklar, dass es im Leben Dinge gibt, die zeitrelevant sind. Ein Kunde, der eine Dienstleistung gebucht hat, darf erwarten, dass Zusagen eingehalten werden. Genauso wie Mitarbeiter darauf vertrauen dürfen, dass sie nicht dauernd für einen Teamkollegen einspringen müssen.

Ich habe immer mal wieder mit Leuten zu tun, die Probleme haben, Deadlines ernst zu nehmen. Einmal machte ich einem Mitarbeiter, dessen persönlicher Interpretationsspielraum mal wieder zu großen Schwierigkeiten geführt hatte, Vorhaltungen. Da sagte er zu mir: »Warum bist du denn so unentspannt?« Da blieb mir kurz die Luft weg. Der hatte es einfach noch nicht verstanden: Hohe Disziplin ist kein Widerspruch zu Entspanntsein. Ganz im Gegenteil. Hinter Leichtigkeit steckt immer harte Disziplin. Dazu mehr in einem der nächsten Kapitel.

Ich bin immer gelassen, und meistens entspannt. Diese innere Einstellung bewahrt mich in anstrengenden und angespannten Zeiten davor, aus der Hektik heraus schlechte Entscheidungen zu treffen oder gar in Schockstarre zu verfallen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass mein Hauptquartier die Hängematte ist. Auch ich arbeite die Nacht durch, wenn es notwendig ist. So lange, bis der Job getan ist und wir dem Kunden in die Augen schauen können. Dann, und erst dann kann ich wieder meine Gelassenheit leben.

Wer immer on duty ist, verkrampft total. Wer pausenlos entspannt sein will, wird zum Versager. Die Lösung ist, sich selbst nicht allzu wichtig zu nehmen und gleichzeitig einen guten Job zu machen. Mit dieser Haltung kannst du auch die schönen Seiten des Lebens genießen. Allerdings wird gerade den Deutschen nachgesagt, dass sie sich damit schwer tun. Für mich gilt das nicht. Dafür gibt es einen Grund: Jeito.

Brasilianische Verhältnisse

Einen guten Teil meiner Kindheit verbrachte ich in Südamerika. Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre lehrte mein Vater Kunst an der Deutschen Schule in Rio de Janeiro, direkt unter dem Zuckerhut. Unser Haus im Bezirk Cosme Velho, nur über eine steile Treppe erreichbar, war für unsere fünfköpfige Familie groß genug, aber ziemlich marode. Die Wasserpumpe zum Beispiel, die bomba, war dauernd kaputt. Sobald dann der Tank unter dem Dach leer war, hatten wir kein fließendes Wasser und auch die Klimaanlage funktionierte nicht mehr. Im Sommer bei über 40 Grad war das kein Spaß.

Die Pumpe war schon ein paar Jahrzehnte alt, längst gab es keine Ersatzteile mehr. Ein neues Gerät war keine Option, denn wer sich in Brasilien nach deutscher Art beschwert oder etwas einfordern will, läuft gegen Wände. Das hatten meine Eltern schnell herausgefunden. Also wurde alle paar Wochen der Installateur gerufen, der Bombeiro, der dann mit der Leiter auf das Dach stieg und sich der Sache annahm. Er hatte nur wenig Werkzeug: einen Schraubenschlüssel, einen Bohrer und eine Zange. Und trotzdem hat er es immer geschafft, die Wasserpumpe wieder zum Laufen zu bringen. Denn in seinem Werkzeugkasten waren auch Gummiringe von Weckgläsern, kaputte Fahrradschläuche, Schnüre, Draht, Lumpen … und ein Wunderkleber namens Araldite. Die Pumpe funktionierte dann eine Zeit lang – bis sie wieder streikte. So war der Bombeiro bei uns Dauergast, sozusagen systembedingt. Als wir nach sieben Jahren wieder nach Deutschland zurückkehrten, war die Pumpe in demselben Zustand wie bei unserem Einzug; nur ein bisschen mehr Gummi und Kleber waren dazugekommen.

Von einer dauerhaften Lösung oder gar Perfektion war nie die Rede. Irgendwie ist es gegangen, und das war nicht mehr und nicht weniger als das, was der Bombeiro erreichen wollte. Für die Brasilianer ist das eine Lebenseinstellung, sie haben auch ein Wort dafür: Jeito. Das spricht sich portugiesisch aus, mit einem weichen sch am Anfang, so wie das »je« im Französischen. Jeito kann man nicht übersetzen, denn es gibt in den westlichen Ländern keine Entsprechung dafür, schon gar nicht im Deutschen. Es hat etwas zu tun mit »es laufen lassen«, »das Beste draus machen«. Jeito bedeutet auch: »Jetzt komm mal runter; irgendwie bekommen wir das schon hin.«

Mit Jeito kommen die Brasilianer immer durch. Nicht plangemäß, aber mit Lebensfreude. Zugegeben: Jeito kann einen auch verrückt machen, zum Beispiel wenn die Wasserpumpe zum 28. Mal ihren Geist aufgibt. Aber in gewissen Dosen ist die brasilianische Leichtigkeit für jeden Menschen zu empfehlen.

Ich bin dankbar, dass ich aus beiden Welten etwas vom Besten abbekommen habe. Unbedingter Leistungswille und Begeisterung für meinen Job – das ist das deutsche Erbe – und gleichzeitig Jeito, die Kunst, sich immer wieder zu sagen: »Hey, worum geht es hier eigentlich? Mach dich mal locker!«

Monopoly für Erwachsene – du kannst dieses Spiel verbissen spielen, mit Magenkrämpfen und gehetzt atmend, weil du meinst, es geht um Kopf und Kragen. Oder du bist mit Leidenschaft, aber auch mit Leichtigkeit und Spielfreude dabei.

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