Die Wirtschaftswelt der Zukunft - Alec Ross - E-Book

Die Wirtschaftswelt der Zukunft E-Book

Alec Ross

4,4

Beschreibung

Dieses Buch beantwortet die Frage "Was kommt als Nächstes?". In den gut 20 Jahren von 1994 bis 2015 veränderte das Internet die Welt rasant. In den nächsten Jahren wird sich der Wandel noch beschleunigen. Alec Ross war Hillary Clintons Senior-Berater für Innovation und bereiste über 40 Länder. In diesem Buch versammelt er seine Beobachtungen der Kräfte, die die Welt verändern. Er beleuchtet die besten Gelegenheiten für Fortschritt und zeigt, warum Länder daran scheitern oder daran wachsen. Ein besonderes Augenmerk legt er auf die Felder, die unsere wirtschaftliche Zukunft in den nächsten zehn Jahren am stärksten beeinflussen werden: Robotik, künstliche Intelligenz, Gentechnologie und Cybercrime. In einer gekonnten Mischung aus Storytelling und ökonomischer Analyse beantwortet er die Frage, wie wir uns an die neuen Gegebenheiten anpassen müssen. Ross bietet dem Leser eine lebendige und informierte Perspektive, was die Trends der nächsten Jahre sein werden.

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Beliebtheit




Alec Ross

Wie Fortschrittunser komplettes Lebenumkrempeln wird

PLASSEN

VERLAG

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

The Industries Of The Future

ISBN 978-1-4767-5365-2

Copyright der Originalausgabe 2016:

Copyright © 2016 by Alec Ross. All rights reserved.

Published by arrangement with the original publisher, Simon & Schuster, Inc.

Copyright der deutschen Ausgabe 2016:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Übersetzung: Matthias Schulz

Covergestaltung: Johanna Wack

Gestaltung und Satz: Regina Denhard, denksportler Grafikmanufaktur

Herstellung: Daniela Freitag

Lektorat: Egbert Neumüller

ISBN 978-3-86470-392-8eISBN 9783864704109

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks,

der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken

oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Postfach 1449 • 95305 Kulmbach

Tel: +49 9221 9051-0 • Fax: +49 9221 9051-4444

E-Mail: [email protected]

www.plassen.de

www.facebook.com/plassenverlag

Für meine Frau Felicity. Wenn ich wieder einmal –

wie viel zu oft – über den Wolken schwebe,

hält sie unsere Familie zusammen und sorgt dafür,

dass alle auf dem Boden bleiben.

INHALT

Vorwort

1. DIE ROBOTER KOMMEN

Sagen Sie Hallo zu den Robotern! Sie werden Ihren Job stehlen und sie werden Sie künftig betreuen. Im kommenden Jahrzehnt wird es einen gewaltigen gesellschaftlichen Wandel geben und die Menschen werden lernen, Seite an Seite mit Robotern zu leben.

2. DIE ZUKUNFT DER MASCHINE MENSCH

Die Grundlage der jüngsten 1.000-Milliarden-Dollar-Branche waren Einsen und Nullen. Die nächste wird auf unserem eigenen genetischen Code basieren.

3. DIE DIGITALISIERUNG VON GELD, MÄRKTEN UND VERTRAUEN

Gibt es einen Algorithmus für Vertrauen? Das Abkommen zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Regierung muss überarbeitet werden. Grund sind neue Austauschkanäle.

4. SOFTWARE WIRD ZUR WAFE

Den Kalten Krieg hat die Welt erfolgreich hinter sich gelassen. Jetzt beginnt der Software-Krieg.

5. DATEN: ROHSTOFF DES INFORMATIONSZEITALTERS

Im Zeitalter der Landwirtschaft war Boden der wichtigste Rohstoff. Im Industriezeitalter war es dann Eisen. Im Informationszeitalter nehmen Daten diesen Platz ein.

6. DIE GEOGRAFIE KÜNFTIGER MÄRKTE

Politiker aufgepasst: Für einen Kontrollfreak wird das 21. Jahrhundert der reinste Albtraum.

ZUSAMMENFASSUNG: DER WICHTIGSTE JOB, DEN SIE JE HABEN WERDEN

Danksagung

Fußnoten

Über den Autor

EINFÜHRUNG

Anpassen oder untergehen.

Das ist seit jeher das unerbittliche Gesetz der Natur.

—H. G. Wells,A Short History of the World(1922)

(deutsch:Die Geschichte unserer Welt, 1926)

DIE FALSCHE SEITE DER GLOBALISIERUNG

Es ist drei Uhr morgens in Charleston, West Virginia. Nach einem Country-Konzert feudele ich Kotze weg, die nach Whiskey riecht.

Wir schreiben den Sommer 1991 und ich habe gerade mein erstes Jahr am College hinter mich gebracht. Die meisten meiner Freunde von der Northwestern University sind weg, sie absolvieren tolle Praktika in Kanzleien, in Büros von Kongressabgeordneten oder in Investmentbanken in New York und Washington. Ich dagegen gehöre zu einem Trupp von sechs Leuten, die im 13.000 Zuschauer fassenden Charleston Civic Center nach Konzerten aufräumen.

Diese Nachtschichten waren schlimmer als Jetlag. Man musste sich entscheiden: Sollte die Arbeit dein Einstieg in den Tag sein oder dein Ausklang? Ich stand gegen 22 Uhr auf, machte mir ein „Frühstück“, arbeitete von Mitternacht bis acht Uhr morgens und ging dann gegen 15 Uhr zu Bett.

Meine fünf Kollegen waren eine harte Truppe. Es waren gute Jungs, aber das Leben hatte ihnen hart zugesetzt. Der eine hatte eine Halbliterflasche Wodka in der hinteren Hosentasche, von der in der „Mittagspause“ um 3 Uhr nichts mehr übrig war. Ein anderer Kerl, ein zotteliger Rotschopf aus den „Hollows“, den Tälern zwischen den Hügeln West Virginias, war in etwa in meinem Alter, die anderen waren über 40 oder 50, also in einem Alter, in dem man eigentlich die besten Gehälter verdienen sollte.

Country-Konzerte in West Virginia funktionieren in etwa so: Die Menschen schütten Alkohol in sich hinein, bis nichts mehr geht, dann trinken sie weiter. Unsere Aufgabe war es, die Folgen zu beseitigen. Wir sechs schrubbten uns durch die Arena, bewaffnet mit gewaltigen Kanistern voller knallblauer Chemikalien, die beim Kontakt mit dem Betonfußboden zu zischen begannen.

Die jüngste Innovations- und Globalisierungswelle brachte Gewinner und Verlierer hervor. Zu den Gewinnern zählten die Investoren, Unternehmen und Facharbeiter rund um die rasch wachsenden Märkte und neuen Erfindungen. Ebenfalls zu den Gewinnern zählten die über eine Milliarde Menschen, die in den Entwicklungsländern den Sprung aus der Armut in die Mittelklasse schafften. Nachdem sich ihre Heimatländer öffneten und zum Bestandteil einer Weltwirtschaft wurden, erwies sich ihre vergleichsweise günstige Arbeitskraft als Wettbewerbsvorteil. Zu den Verlierern zählten diejenigen Menschen, die in Hochlohnmärkten wie den Vereinigten Staaten und Europa lebten und deren Fähigkeiten mit dem Tempo des technischen Wandels und der Globalisierung der Märkte nicht Schritt halten konnten. Die Leute, mit denen ich in der Mitternachtsschicht Böden schrubbte, zählten vor allem deshalb zu den Verlierern, weil die Arbeit, die sie einige Jahre zuvor in den Minen hätten bekommen können, mittlerweile von einer Maschine erledigt wurde. Und was es von den 1940er-Jahren bis zu den 1980er-Jahren an Fabrikjobs gegeben hatte, war inzwischen nach Mexiko oder Indien ausgelagert worden. Für diese Männer war der nächtliche Putzjob nicht wie bei mir ein Weg, sich in den Sommerferien etwas dazuzuverdienen – für sie war er eine der wenigen noch verbliebenen Optionen.

Als ich in West Virginia heranwuchs, dachte ich, das Leben in der restlichen Welt ähnele dem bei uns: Man tat sein Bestes, um den langsamen Abstieg möglichst hinauszuzögern. Doch was ich in West Virginia beobachtete, ergab für mich erst Sinn, als ich begann, die Welt zu bereisen und zu erkennen, dass andere Regionen im Aufstieg begriffen waren, während West Virginia verfiel.

Über 20 Jahre sind vergangen, seit ich mir mit einem Schrubber in der Hand die Nächte um die Ohren schlug. Inzwischen habe ich einiges von der Welt gesehen und stand im Kontakt mit den allerhöchsten Führungsebenen der größten Technologiekonzerne und von Regierungen aus aller Welt.

Als Hillary Clinton amerikanische Außenministerin war, war ich ihr Chef-Innovationsberater – ein Posten, den sie nach ihrem Amtsantritt extra für mich geschaffen hat. Bevor ich für Clinton arbeitete, war ich 2008 im Präsidentschaftswahlkampf von Barack Obama zuständig für Technologie und Medienpolitik (und mit dafür zuständig, Clinton in den Vorwahlen zu besiegen), außerdem hatte ich acht Jahre lang erfolgreich an der Führung eines IT-basierten Social Ventures mitgewirkt, zu dessen Gründern ich auch zählte.

Im Außenministerium bestand meine Aufgabe darin, die diplomatischen Abläufe zu modernisieren und beim Umgang mit außenpolitischen Herausforderungen neue Werkzeuge und Ansätze zu entwickeln. Clinton holte mich, damit ich etwas frischen Innovationswind in das stark von Traditionen geprägte Außenministerium bringe. Wir waren sehr erfolgreich und als sie und ich 2013 die Behörde verließen, galt unser Bereich als der innovationsfreudigste auf Kabinettsebene. Wir entwickelten erfolgreiche Programme für ausgesprochen knifflige Probleme an so unterschiedlichen Orten wie dem Kongo, in Haiti oder den von der Drogenmafia kontrollierten Städten Nordmexikos. Bei alledem spielte ich eine Rolle als Mittelsmann zwischen Amerikas Innovatoren und Amerikas diplomatischen Zielen.

Weite Teile dieser Zeit verbrachte ich auf Achse. Vor und nach meiner Zeit im Staatsdienst habe ich ebenfalls viel von der Welt gesehen, aber die 1.435 Tage, die ich für Hillary Clinton gearbeitet habe, erlaubten mir einen ganz besonders intensiven und nahen Blick auf die Kräfte, die unsere Welt prägen. Ich habe Dutzende und Aberdutzende Länder bereist und mehr als eine halbe Million Meilen zurückgelegt, was einmal Mond hin und zurück inklusive Umweg über Australien entspricht.

In Südkorea habe ich Roboter der nächsten Generation gesehen. Ich habe gesehen, wie in Teilen Afrikas, wo es keine Banken gibt, Finanzwerkzeuge entwickelt wurden. Ich habe gesehen, wie in Neuseeland mithilfe von Lasertechnologie Ernteerträge gesteigert wurden, und ich habe gesehen, wie Studenten in der Ukraine Zeichensprache in gesprochene Worte verwandelten.

Ich hatte Gelegenheit, mir viele der Technologien anzusehen, die in den nächsten Jahren auf uns zukommen werden. Und dennoch denke ich häufig an meine Zeit als mitternächtlicher Hausmeister zurück und an die Männer, die ich damals kennenlernte. Ich habe mir einen globalen Blick auf die Kräfte erarbeitet, die unsere Welt prägen. Das half mir, sehr genau zu erkennen, warum das Leben in meinem Zuhause in den Hügeln so schwer geworden ist, und warum es für den Großteil der restlichen Welt deutlich besser geworden ist.

Die Welt, in der ich aufwuchs, die alte Industriewirtschaft, wurde von der jüngsten Innovationswelle grundlegend verwandelt. Die Geschichte ist inzwischen auserzählt: Technologie, Automatisierung, Globalisierung.

Als ich Anfang der 1990er-Jahre aufs College ging, beschleunigten sich die Abläufe der Globalisierung noch weiter. Viele der politischen und Wirtschaftssysteme, die die gestrigen Volkswirtschaften geprägt hatten, fanden ein Ende. Die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten scheiterten.1Indien leitete eine Reihe von Wirtschaftsreformen ein, die die Wirtschaft liberalisierten und dazu führten, dass letztlich über eine Milliarde Menschen mehr auf der globalen Bühne mitmischen.2China stellte sein Wirtschaftsmodell auf den Kopf und erschuf eine neue Form von Hybridkapitalismus.3Über eine halbe Milliarde Menschen konnten dadurch der Armut entkommen.

Die Europäische Union entstand. Das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA trat in Kraft.4Die USA, Kanada und Mexiko verschmolzen zur weltweit größten Freihandelszone. Die Apartheid endete und Nelson Mandela wurde zum Präsidenten Südafrikas gewählt.

Als ich aufs College ging, fand die Welt auch gerade ihren Weg ins Internet. Das World Wide Web wurde der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, dazu kamen der Webbrowser, die Suchmaschine und der Online-Handel. Als ich für meinen ersten Job nach dem College zu einer Weiterbildung fuhr, wurde Amazon gerade als Kapitalgesellschaft eingetragen.

Damals erschienen mir diese politischen und technischen Veränderungen nicht so wichtig wie heute. Doch das Leben, das wir vor gerade einmal 20 Jahren geführt haben, erscheint einem wie graue Vorzeit angesichts des Wandels, der sich zutrug, während ich in West Virginia aufwuchs, und der durch den Aufstieg des Internets noch beschleunigt wurde.

In meiner Heimatstadt leben Menschen, deren Arbeitsplätze deutlich weniger sicher sind, als es die ihrer Eltern waren. Aber wenn man einmal misst, was sie sich heutzutage kaufen können, wird man feststellen, dass sie trotzdem ein besseres Leben leben als ihre Eltern vor Jahrzehnten. So können sie sich mehr und bessere Möglichkeiten der Kommunikation und der Unterhaltung leisten, gesünderes Essen, sicherere Autos und medizinische Neuerungen, die ihnen helfen, länger am Leben zu bleiben. Und dennoch haben diese Menschen eine Vielzahl an Veränderungen durchlaufen, sowohl positive als auch negative. Doch all diese Veränderungen verblassen vor dem, was die nächste Innovationswelle lostreten wird, während sie über alle 196 Nationen auf diesem Planeten hereinbricht.

Die nächste Phase der Globalisierung wird eine Welle technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels in Gang setzen, deren Folgen genauso weitreichend sein werden wie die Veränderungen, die im 20. Jahrhundert über meine Heimatstadt hereinbrachen, und wie die Veränderungen, die das Internet und die Digitalisierung mit sich brachten, als ich 20 Jahre später das College verließ.

Egal ob Biowissenschaften, Finanzen, Kriegsführung oder Landwirtschaft – kann man sich Neuerungen vorstellen, können Sie davon ausgehen, dass bereits jemand an diesen Neuerungen arbeitet und daran, wie man kommerziellen Nutzen daraus schlagen kann.

Parallel dazu wächst die Zahl der Orte, an denen Innovationen kommerzialisiert werden. In den USA finden Durchbrüche längst nicht nur im Silicon Valley, entlang der Route 128 in Boston oder im Forschungsdreieck von North Carolina statt, vielmehr kommen sie zusehends auch aus Utah, Minnesota und den Vorstädten Washingtons in Virginia und Maryland. Und die Durchbrüche werden auch keine exklusiv amerikanische Angelegenheit sein.

Nachdem das Wachstum jahrelang auf einem großen Angebot an günstigen Arbeitskräften basierte, mehren sich die Anzeichen, dass die drei Milliarden Menschen, die in Indonesien, Brasilien, Indien und China leben, in den lateinamerikanischen Pazifik-Anrainern wie Chile, Peru, Kolumbien und Mexiko, inzwischen ihren Platz in der Weltwirtschaft gefunden haben. Europas am besten qualifizierte Arbeitsmärkte bringen Start-ups hervor, bei denen das Silicon Valley gelb vor Neid wird.5Und im kleinen Estland, wo man sich richtig was traut, scheint die gesamte Wirtschaft online zu sein. Auch in Afrika sorgt Innovation für umwälzende Veränderungen. Selbst in den Flüchtlingslagern des Kongos reicht etwas so Simples wie ein Handy aus, um die Menschen in einem dort bislang nicht gekannten Maß mit Informationen zu versorgen und miteinander zu verbinden. Afrikas Unternehmer verändern gerade das Antlitz des Kontinents, treiben die Entwicklung voran und erschaffen eine neue Klasse global wettbewerbsfähiger Betriebe.

Überall stellen neu ermächtigte Bürger und Bürgernetzwerke die bestehende Ordnung auf eine Art und Weise infrage, wie es bis dato unvorstellbar war – sei es, indem sie neue Geschäftsmodelle entwickeln, oder indem sie etablierte Autokratien hinterfragen.

In naher Zukunft werden wir erleben, wie Querschnittsgelähmte dank Roboteranzügen wieder laufen können, wie Designermedikamente bestimmte Krebsformen abschmelzen und wie Computercode sowohl als internationale Währung dient wie auch als Waffe, die am anderen Ende der Welt reale Infrastruktur vernichtet.

Wir untersuchen in diesem Buch diese Durchbrüche, aber es wird kein reines Loblied auf die wundersame Kraft der Innovation. Fortschritte und Wohlstand werden nicht überall in gleichem Maß entstehen. Viele Menschen werden profitieren. Einige Menschen werden gewaltig profitieren. Aber viele werden auch vertrieben werden. Die vorige Innovationswelle, getrieben von Digitalisierung und Globalisierung, hat in Niedriglohnländern zahllosen Menschen aus der Armut geholfen. Die nächste Welle wird für den Mittelstand in aller Welt zur Bedrohung und könnte viele Menschen zurück in die Armut stoßen. Von der vorigen Welle profitierten ganze Länder und Gesellschaften wirtschaftlich. Im Zuge der nächsten Welle rücken Grenzbereiche der Wirtschaft in den Konjunkturmainstream, während gleichzeitig in den meisten Industrienationen die Mittelschicht in Gefahr gerät.

In weiten Teilen der Welt fühlen sich die Menschen unter Druck gesetzt durch die steigende Ungleichheit und die unwillkommene Störung. In vielen Gesellschaften macht sich das Gefühl breit, dass es immer schwieriger wird, seinen Platz in der Welt zu finden oder es zu etwas zu bringen.

Innovationen bringen Versprechen mit sich, bergen aber auch Gefahren. Dieselben Kräfte, die beispiellose Fortschritte beim Wohlergehen und Wohlstand der Menschen ermöglichen, erlauben es einem Hacker auch, Ihre Identität zu stehlen oder sich in Ihr Zuhause zu hacken. Ein Computer, der die Analyse von Rechtsdokumenten beschleunigt, kann zur Folge haben, dass weniger Anwälte benötigt werden.6Soziale Netzwerke können neuen Verbindungen die Tür öffnen7, aber auch neue Formen gesellschaftlicher Angst entstehen lassen. Die Digitalisierung von Finanzgeschäften kann den Handel erleichtern, aber auch neue Formen des Betrugs ermöglichen.8

Als ich zu Beginn der Internetrevolution Student war, hatte ich überhaupt keine Ahnung davon, welche Zukunft vor uns liegt. Wie gerne hätte ich damals ein Buch gelesen, das mir eine Ahnung davon vermittelt, was uns bevorstand. Natürlich ist niemand allwissend, aber ich hatte das Glück, einen Eindruck davon zu gewinnen, was hinter der nächsten Ecke liegt.

In diesem Buch geht es um die nächste Wirtschaft. Es wendet sich an alle, die wissen wollen, wie sich die nächste Innovationsund Globalisierungswelle auf unsere Länder, unsere Gesellschaften und uns selbst auswirken wird.

AUFGEWACHSEN IN DER OLD ECONOMY

Um zu verstehen, wohin sich die Globalisierung entwickeln wird, muss man zunächst einmal begreifen, woher sie kommt. Ich bin aufgewachsen in Charleston, West Virginia, einer Stadt, deren Geschichte den jahrhundertelangen Aufstieg Amerikas widerspiegelt. Charleston ist eine Wirtschaftsmetropole, deren rußige Minen das Wachstum befeuerten. West Virginia wurde auf Kohle errichtet, ähnlich wie Pittsburgh auf Stahl und Detroit auf Autos errichtet wurde. Tatsächlich war es der Kohlehandel mit dem industrialisierten Norden, der West Virginia dazu brachte, sich zu Beginn des Bürgerkriegs von Virginia und dem eher landwirtschaftlich geprägten Süden loszusagen.

Die Entwicklung von West Virginia verlief ähnlich, wie sie andere Bergbauzentren während der Frühphase der industriellen Revolution durchliefen. In Großbritannien stiegen Städte in den Midlands zu Industriestandorten auf, Manchester und Leeds beispielsweise. London sorgte für das Finanzielle, Kohle kam aus Wales. In Deutschland entwickelte sich das Ruhrgebiet zu einem Industriezentrum. Die Kohle kam aus Ostdeutschland und Polen.

Heute steht die Werkbank der Welt in den Küstenregionen Chinas, vor allem in den Gebieten um Shenzhen und Schanghai. Die benötigte Kohle kommt aus Westchina und aus Australien. Ähnlich beliefern die Bergbauregionen in Indiens Nordosten, in Anatolien oder in der brasilianischen Region Santa Catarina die Industriebetriebe der aufstrebenden heimischen Märkte oder den Rest der Welt. In jeder Region stellt der Bergbau ein Sprungbrett hin zu besseren wirtschaftlichen Verbindungen und zusätzlichen Möglichkeiten dar – zumindest für eine gewisse Zeit.

West Virginia entwickelte rund um den Kohleboom Industriezweige, die zunächst die Position des Staates als Zulieferer festigten und letztlich seinen Untergang einläuteten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchlief Charleston seine zweite Boomphase – Chemikalien. 1920 errichtete die Union Carbide Corporation in West Virginia das erste petrochemische Werk der Welt.9

Als Amerika in den Zweiten Weltkrieg eintrat, nahm der Bedarf an synthetischem Gummi explosionsartig zu. Union Carbide stieg zum größten Arbeitgeber West Virginias und einem der zehn größten Chemieunternehmen weltweit auf. Der Konzern läutete eine Wachstumsphase ein, die noch weit über das Kriegsende hinaus anhielt. Zwischen 1946 und 1982 kletterte der Umsatz von etwa 415 Millionen Dollar auf über 10 Milliarden Dollar.10Während dieser Zeit beschäftigte das Unternehmen weltweit bis zu 80.000 Menschen, davon allein in West Virginia etwa 12.000. Und während das Unternehmen wuchs, wuchs auch Charleston. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte Charleston 68.000 Einwohner, 1960 waren es 86.000.11

Zu meiner Schulzeit waren viele meiner Mitschüler Kinder von Chemieingenieuren. Diese Familien waren häufig sehr weltgewandt und hatten Abschlüsse von Spitzenunis des ganzen Landes und der ganzen Welt. Damals standen die traditionellen Industrien West Virginias – Kohle, Chemie und Kunststoffe – seit über einem Jahrhundert für stabile, verlässliche berufliche Laufbahnen.12

Meine Familie kam während der Weltwirtschaftskrise nach West Virginia. Mein Großvater Ray DePaulo war von den Kohlecamps in Colorado in den Osten gezogen. Seine High School war aufgrund von Geldmangel geschlossen worden, also bekam einfach jeder ein Abschlusszeugnis in die Hand gedrückt, auch mein damals 13 Jahre alter Großvater. Glücklicherweise war das eine Zeit, als ein High-School-Abschluss noch ausreichte, um es zu etwas zu bringen.

Wenn man es hochtrabend ausdrücken möchte, wurde mein Vater in West Virginia zu einem Unternehmer. Er zog von Tür zu Tür und verkaufte Telefone. Es war eine Zeit, in der zahlreiche Haushalte ihr allererstes Telefon überhaupt bekamen. Mein Großvater leitete eine Kfz-Werkstatt, einen Golfplatz, ein Restaurant, eine Bäckerei, einen Parkplatz und einen Reinigungsdienst, den Großteil davon aus einer Bude, wie sie Gebrauchtwagenhändler verwendeten.

Mein Großvater hatte eines der merkwürdigen Rätsel der Globalisierung begriffen: Wer sich öffnet, dem tun sich nicht nur Gelegenheiten auf, er setzt sich auch verstärktem Wettbewerb aus. Das kann dazu führen, dass wir unseren Status in der Welt hinterfragen und irgendwann einbüßen. Wie so viele andere Industriezentren Amerikas auch erlebte West Virginia zu Lebzeiten meines Großvaters gerade seinen wirtschaftlichen Zenit. Schon bald würde die neue Konkurrenz, die durch neue Märkte und neue Maschinen entstand, die Schwachstellen offenlegen.

Ich erinnere mich, wie wir, als ich ein Kind war, von Charleston zur Kanzlei meines Vaters fuhren. Etwa auf halbem Weg lag eine Stadt namens Nitro. Sobald wir an Nitro vorbeifuhren, wurden mein Bruder, meine Schwester und ich unruhig in unseren Sitzen. Wir zappelten hin und her und hielten uns die Nase zu, weil die Chemiewerke um uns herum so stanken.

Meine Mutter dagegen blieb ruhig und sagte, ohne sich vom Lenkrad abzuwenden, ganz nüchtern: „Das ist der Geruch von Geld.“ Sie verband den furchtbaren Gestank mit Arbeitsplätzen – und möglichen Klienten für meinen Dad.

In der traditionellen Wirtschaft war das in der Tat der Geruch des Geldes, und zwar nicht nur in Nitro, sondern auch in Orten wie Gary in Indiana, wie Newark in New Jersey oder Baton Rouge in Louisiana. Heute umgibt derselbe Geruch Fabrikanlagen in China, Indien und Mexiko, während er in den alten Industriezentren Amerikas nur noch hier und da zu erahnen ist.

Durch Charleston verläuft das Tal des Kanawha, Spitzname „Chemical Valley“. Fast ein Jahrhundert lag ballten sich im Chemical Valley Chemieunternehmen wie nirgendwo sonst in Amerika: Union Carbide, DuPont, Monsanto, die Food & Machinery Corporation (FMC) und viele, viele andere.

Von oben betrachtet sah das Tal bei Nacht aus wie etwas aus einem Science-Fiction-Film: Überall ragten, von kleinen Lichtern erhellt, stählerne Gebilde der Chemiewerke in den Himmel. Durch den Rauch aus den Schornsteinen bekam der Nachthimmel einen orangefarbenen Stich und das gesamte Bild wurde auf unheimliche Weise vom Fluss gespiegelt – einem Fluss, in dem nicht ein einziger Fisch oder irgendein anderes Lebewesen zu existieren schien. Als ich klein war, habe ich mich niemals gefragt, woran das wohl liegen könnte.

Etwa 20 Kilometer weiter flussabwärts von Charleston lag die bereits erwähnte Stadt Nitro, benannt nach Nitrocellulose (oder Schießbaumwolle), also eine Boomtown im wortwörtlichen Sinn. Nitro entstand, als sich Amerika auf den Eintritt in den Ersten Weltkrieg vorbereitete und dabei mit einem dramatischen Mangel an Schießpulver zu kämpfen hatte. Mehr als 70 Millionen Dollar stellte die US-Regierung für den Bau der Fabrik Explosive Plant C sowie für öffentlichen Gebäude in der angrenzenden Stadt bereit. Der Krieg endete im November 1918, wenige Monate, nachdem die erste Sprengstofflieferung Nitro verlassen hatte.13

Es sollte nicht das letzte Mal bleiben, dass Nitro an einer Mobilmachung beteiligt war. In den 1960er-Jahren wurde in einem Chemiewerk in Nitro, das ehemals Monsanto gehört hatte, das Pflanzenschutzmittel Agent Orange hergestellt14, mit dessen Hilfe das US-Militär während des Vietnamkriegs den Dschungel in Südostasien entlaubte.15Die Chemikalie schädigte die Gesundheit von über einer Million Vietnamesen und 100.000 amerikanischen Veteranen. Mehr als 100.000 Kinder kamen mit Geburtsschäden zur Welt.

Ein schmutziges Geschäft, aber eine Zeit lang behielt meine Mutter recht, was die Folgen für die Region anbelangte: Der Geruch von Nitro war der Geruch von Geld. Doch irgendwann versiegte der Geldstrom. Letztlich brachten genau die Industriezweige, die Charleston und West Virginia groß gemacht hatten, die Region auch wieder zu Fall.

Was den Bergbau anbelangte, so war es die Mechanisierung, die dafür sorgte, dass Kohle nicht mehr von Hand abgebaut werden musste. Kumpels fuhren nicht mehr mit Spitzhacke und Schaufel in den Stollen ein, jetzt bedienten sie Maschinen, die die Arbeit von Hunderten Menschen erledigten. In der Chemieindustrie führte die Globalisierung dazu, dass Firmen ihre Fabriken dort errichten konnten, wo Umweltauflagen und Arbeitskosten nach ihrer Fasson waren. Die Chemiekonzerne verlegten ihren Betrieb nach Indien und Mexiko.

Viele Bewohner Charlestons zogen fort. Zwischen 1960 und 1990 büßte die Stadt 40 Prozent ihrer Bevölkerung ein.161988 war die Arbeitslosenquote in West Virginia nahezu doppelt so hoch wie der landesweite Durchschnitt.17Die Zahl der Chemieingenieurskinder in meinen Klassen sank, weil die Eltern in einen anderen Bundesstaat oder gleich in ein anderes Land versetzt wurden.

Charleston und West Virginia standen stellvertretend dafür, wie Städte und Regionen in aller Welt mit dem postindustriellen Abwärtstrend und den Folgen der Globalisierung zu kämpfen hatten. Jahrelang hatten die Regionen von stabilem Wirtschaftswachstum profitiert, nun fanden sie sich an die verbliebenen Ressourcen und herstellenden Betriebe gefesselt. Als der Boom endete, wanderte das Kapital rasch ab und die Menschen folgten. Die Fabriken hatten einst für Wohlstand gesorgt, heute liegen sie brach und verschandeln das Stadtbild. Die Stahlwerke von Pittsburgh sind geschlossen.18Die Einwohnerzahl von Detroit schrumpfte von 1,8 Millionen auf 700.000, während den Autoherstellern Konkurrenz aus Tokio und Seoul erwuchs.

Aber es waren nicht nur amerikanische Städte, die litten. Manchester war die allererste Industriestadt der Welt gewesen, aber in den 1970er-Jahren brachen dort 50.000 Arbeitsplätze weg.19Die Kohlereviere im Süden von Wales schlossen eines nach dem anderen, das letzte 2008.20Dem Hafen von Marseille setzte neue Konkurrenz massiv zu, die Stadt verlor 150.000 Einwohner.21

Zu meinen Collegezeiten gab es nur noch eine Art von Chemikalie, die in West Virginia sichere Arbeitsplätze mit sich brachte – und zwar die Art, die zischte, wenn man sie auf den Fußboden des Charleston Civic Center schüttete.

Während West Virginia in eine jahrzehntelange wirtschaftliche Talfahrt aufbrach, bewirkten dieselben Kräfte der Globalisierung und Arbeitsmigration andernorts viel Gutes. Indien und China, zwei Länder, die zusammen fast 40 Prozent der Weltbevölkerung stellen, haben einen atemberaubenden Wandel hinter sich.

Der Anteil der Armen an der Gesamtbevölkerung sank in Indien in den 30 Jahren von 1982 bis 2012 von 60 Prozent auf 22 Prozent.22Die Lebenserwartung sprang von 49 auf 66 Jahre.23In meiner Jugend war Indien das Land von Mutter Teresa und Hungersnöten. Heute ist es ein Land, das zusehends von Technologie, globalen Dienstleistungen und einer rasch wachsenden Mittelschicht geprägt wird.

Noch dramatischer waren die Veränderungen in China.24Im obigen Zeitraum fiel die Armutsrate von 84 auf 13 Prozent, was bedeutet, dass grob geschätzt 600 Millionen Chinesen die Armut abschütteln konnten. Die chinesische Volkswirtschaft ist heute 25-mal so groß wie vor 30 Jahren, China ist nach den USA die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt.25

Was für die Industrien in Amerika und Europa schlecht war, war ausgesprochen gut für Indien, China und weite Teile der restlichen Welt. Globalisierung und Innovation rüttelten an der Lebensweise vieler Menschen in den westlichen Industrienationen und Industriestädten, gleichzeitig stützten sie das Wirtschaftswachstum der aufstrebenden Nationen. Aber es waren nicht nur die Entwicklungsländer, die von der Welle technologischer Neuerungen profitierten, es galt genauso für einzelne Menschen und einzelne Regionen. Einst waren unsere wertvollsten Handelswaren Salz und Zucker, dann wurden es Chemikalien und Brennstoffe, heute sind es Daten und Dienstleistungen. Wer hier führend ist, führt die globale Wissensindustrie an. 4.000 Kilometer von Charleston, West Virginia, entfernt liegt das Silicon Valley. Dort wurde Wohlstand im Wert von mehreren Tausend Milliarden Dollar geschaffen und die dort entwickelten Produkte haben das Leben eines jeden, der dieses Buch liest, grundlegend verändert.

DIE BRANCHEN DER ZUKUNFT

Was hätte in dem Buch gestanden, von dem ich weiß, dass meine Eltern oder Großeltern es in den 1960er-Jahren gerne gelesen hätten? In dem Buch wäre beschrieben worden, was die Globalisierung für die Welt bedeuten wird. Und was hätte in dem Buch gestanden, das ich gerne gelesen hätte, als ich vor über 20 Jahren das College verließ? In dem Buch wäre beschrieben worden, wie sich Internet und Digitalisierung auf die Welt auswirken werden. In meinem Buch geht es um die Industriezweige, die in den kommenden 20 Jahren Wirtschaft und Gesellschaft am stärksten verändern werden. Die Kapitel sind um die künftigen Schlüsselbranchen herum aufgebaut – Robotik, Biowissenschaften, Digitalisierung von Geld, Cybersecurity und Big Data – und um ihren jeweiligen geopolitischen, kulturellen und generationenbezogenen Kontext. Ich habe diese Branchen nicht deshalb ausgewählt, weil sie für sich genommen wichtig sind, sondern weil sie gleichzeitig stellvertretend für größere globale Trends stehen und untereinander symbiotisch sind. In „Hier kommen die Roboter“ und „Die Zukunft der Maschine Mensch“, Kapitel 1und 2, gehen wir der Frage nach, wie Durchbrüche in der Robotik und den Biowissenschaften die Art und Weise verändern, wie wir arbeiten und leben. Soviel vorweg: Die Folgen für unseren Lebenserwerb und unser Leben werden gewaltig sein, aber ungleichmäßig verteilt. Während Roboter immer stärker unsere Welt bevölkern, wird die Weltwirtschaft eine Revolution durchlaufen, die von Künstlicher Intelligenz und Maschinellem Lernen befeuert wird. Die Folgen für die Arbeiterschaft könnten so weitreichend sein, wie es zuvor die Agrarrevolution, die industrielle Revolution und die digitale Revolution waren. Gleichzeitig werden es dramatische Fortschritte in den Biowissenschaften den Menschen erlauben, länger und gesünder zu leben als je zuvor – zumindest denjenigen Menschen, die es sich leisten können. Die wirtschaftliche Wertsteigerung in der Robotik und den Biowissenschaften wird ebenfalls ungleichmäßig verteilt werden. Auf der einen Seite steht die Gruppe derer, die so aufgestellt sind, dass sie diese neuen Durchbrüche erschaffen oder sich zumindest gut an sie anpassen können. Auf der anderen Seite steht die Gruppe derer, die möglicherweise noch weiter abgehängt werden. Die Gesellschaft wird Wege finden müssen, sich auf diese Situation einzustellen.

Maschinencode breitet sich immer stärker in neue Bereiche der Wirtschaft aus, sowohl in der virtuellen Welt als auch der realen. In „Die Digitalisierung von Geld, Märkten und Vertrauen“ und „Code wird zur Waffe“ (Kapitel 3und 4) untersuchen wir, inwieweit diese Entwicklung zwei Bereiche umwandeln wird, die traditionell Staatsmonopole sind – Geld und Gewaltausübung. Rasche Fortschritte gehen oftmals mit einem höheren Maß an Instabilität einher. Der Einzug des Maschinencode in die Welt des Handels hat zur Folge, dass sich Menschen in aller Welt neue Möglichkeiten eröffnen, Geld zu empfangen, zu verwalten, auszugeben oder zu überweisen. Meine Arbeit im Büro von Ministerin Clinton und im Lagezentrum des Weißen Hauses hat mir eines verdeutlicht: Die Nutzung von Maschinensprache als Waffe war einst eine kleine IT-Funktion, die nur eine Nebenrolle spielte. Heute jedoch ist sie eine der am schnellsten wachsenden Branchen der Welt und noch dazu eine mit dem größten disruptiven Potenzial. Diese Entwicklungen können neue Möglichkeiten mit sich bringen, gleichzeitig geben sie jedoch auch den Bösewichten mehr Mittel an die Hand, der internationalen Wirtschaft systemischen Schaden zuzufügen.

In „Daten: Rohstoff des Informationszeitalters“ und „Die Geografie künftiger Märkte“ (Kapitel 5und 6) untersuchen wir, welche Expansion Big Data möglich machen wird und welche Einschränkungen geopolitische Erwägungen dem Weltmarkt auferlegen werden. Während der Agrarrevolution war Land die wichtigste Ressource, während der industriellen Revolution war es dann Eisen. Im Informationszeitalter sind Daten der zentrale Rohstoff. Das Internet hat sich zu einem Meer an wild vermischten, chaotischen Informationen entwickelt, aber jetzt gibt es einen Weg, diese Informationen miteinander zu verknüpfen und umsetzbare wirtschaftliche Erkenntnisse daraus zu ziehen. War Big Data zunächst ein Werkzeug, das vor allem für personalisierte Werbung genutzt wurde, wird nun ein Instrument daraus, das zahlreichen Branchen weitreichende Anwendungsmöglichkeiten bietet und das geeignet ist, chronische soziale Probleme anzupacken.

Die Branchen der Zukunft werden innerhalb der aktuellen geopolitischen Strukturen entstehen und sie werden diese grundlegend verändern. Im 20. Jahrhundert verlief, was politische Systeme und die Märkte anbelangte, der zentrale Graben zwischen links und rechts. Im 21. Jahrhundert wird der zentrale Graben derjenige zwischen offenen politischen und Wirtschaftsmodellen und geschlossenen Systemen sein. Neuer Wettbewerb und politische Notwendigkeiten haben weltweit eine Reihe von Mischsystemen entstehen lassen. In den letzten beiden Kapiteln des Buches untersuchen wir, welche Märkte künftig nachhaltiges Wachstum und dauerhafte Innovationen liefern werden und wie Führungskräfte aus der Wirtschaft fundiert entscheiden können, wo und wie sie Zeit und Ressourcen investieren sollten.

Ein Thema, das uns durch das gesamte Buch begleitet, ist die Wettbewerbsfähigkeit und was es für Gesellschaften, für Familien und für jeden Einzelnen bedeutet, voranzukommen. Unter den innovativsten Nationen und Unternehmen zeichnet sich ein kultureller Konsens in der Frage ab, was es erfordert, die zentrale Ressource zu stärken, über die man verfügt – die Menschen. Kein anderer Faktor spricht so stark für den Innovationsstand einer Gesellschaft wie der Status der Frauen. Um seine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, kann ein Land oder ein Unternehmen nichts Wichtigeres tun, als Frauen vollständig zu integrieren und zu ermächtigen, wirtschaftlich und politisch. Wenn es einer Gesellschaft nicht gelingt, ihr negatives kulturelles Erbe abzuschütteln und Frauen gerecht zu behandeln, wird diese Gesellschaft in der nächsten Innovationswelle zu den Verlierern gehören. Bei der jüngsten Innovationswelle blieben die restriktivsten Länder der Welt außen vor und wenn sie keine echten Veränderungen vornehmen, werden sich die Branchen und Firmen der Zukunft dort nicht ansiedeln. In geschlossenen Systemen findet keine Innovation statt und innovative Unternehmen werden einen weiten Bogen um Länder machen, die in Sachen Gleichberechtigung einen rückständigen Kurs verfolgen.

Zu guter Letzt befasst sich dieses Buch auch mit der Frage, wie wir so Einfluss auf das Leben unserer Kinder nehmen können, dass sie am besten gerüstet sind für eine Welt, in der stetiger Wandel und ständige Konkurrenz eine immer größere Rolle spielen. Die Elternrolle ist die wichtigste Aufgabe, die man haben kann, und die Welt, die unsere Kinder einst von uns erben werden, wird ganz anders aussehen als heute. Wir können von der Klugheit der in diesem Buch vorgestellten Erneuerer profitieren und sowohl uns als auch unsere Kinder auf das vorbereiten, was uns im nächsten Wirtschaftszeitalter bevorsteht – dieses Wirtschaftszeitalter beginnt jetzt.

Kapitel 1

DIE ROBOTER KOMMEN

Sagen Sie Hallo zu den Robotern! Sie werden Ihren Job stehlen und sie werden Sie künftig betreuen. Im kommenden Jahrzehnt wird es einen gewaltigen gesellschaftlichen Wandel geben und die Menschen werden lernen, Seite an Seite mit Robotern zu leben.

Japan ist die Heimat der ältesten Menschen der Welt. Keine andere Nation weist dermaßen viele Senioren auf – und der Trend setzt sich immer weiter fort. Aktuell liegt die durchschnittliche Lebenserwartung für Japans Männer bei 80 Jahren und bei 87 Jahren für die Frauen.1Behalten die Prognosen recht, wird die Lebenserwartung in den kommenden 45 Jahren auf 84 beziehungsweise 91 Jahre klettern. Von 2010 bis 2025 wird die Zahl der Japaner, die 65 Jahre oder älter sind, voraussichtlich um sieben Millionen zunehmen.2Heute sind 25 Prozent der japanischen Bevölkerung mindestens 65 Jahre alt, 2020 wird dieser Anteil 29 Prozent erreichen3, 2050 werden es 39 Prozent sein.4

All diese langlebigen Senioren werden Betreuung brauchen, aber Japans niedrige Geburtenraten bedeuten, dass das traditionelle Modell, wonach sich die Familien zumeist selbst um die Betreuung der Großeltern und Urgroßeltern kümmern, nicht mehr ausreichen wird. Es wird schlicht an Enkeln mangeln.

Da Japan seit Langem eine sehr strikte Einwanderungspolitik verfolgt, wird es nicht genügend menschliche Arbeitskräfte geben, die die Aufgabe übernehmen könnten. Japans Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Soziales prognostiziert für 2025 einen Bedarf von vier Millionen Arbeitnehmern in der Altenbetreuung. Dem stehen aktuell 1,49 Millionen tatsächliche Arbeitskräfte gegenüber.5 Japan vergibt pro Jahr nur 50.000 Arbeitsvisa, was bedeutet: Wenn es keinen drastischen Wandel gibt, geht die Rechnung nicht auf.

Der Mangel an Arbeitskräften wird Dienstleistungsbereiche wie die Altenbetreuung mit voller Wucht treffen. Verschlimmert wird die Lage noch dadurch, dass schlechte Bezahlung und die vielen Arbeitsunfälle, die beim Heben von Patienten entstehen, zur Folge haben, dass in der Branche starke Fluktuation besteht.

Und da kommen die Roboter ins Spiel.

Unsere künftigen Betreuer werden in diesem Augenblick in einer japanischen Fabrik gefertigt. So wie japanische Unternehmen in den 1970er-Jahren das Auto und in den 1980er-Jahren die Unterhaltungselektronik neu erfanden, so erfinden sie heute die Familie neu. Die Roboter, die in den Filmen und Cartoons der 1960er- und 1970er-Jahre mitspielten, werden in den 2020er-Jahren Realität werden.

Toyota und Honda, die beiden japanischen Erzrivalen, werfen ihre ganze Erfahrung im Maschinenbau in die Waagschale, um als Erster mit der nächsten Robotergeneration an den Markt gehen zu können. Toyota hat den Pflegeroboter Robina entwickelt, der sich an Rosie anlehnt, den Roboter, der in der ZeichentrickserieDie Jetsonsden Haushalt führte und die Kinder betreute. Robina gehört zur „Partner Robot Family“, einer Roboterreihe, die sich um die wachsende globale Seniorenschar kümmern soll. Robina ist „weiblich“, wiegt 60 Kilogramm und ist 1,2 Meter breit. Sie kann mit Wörtern und Gesten kommunizieren, hat weit auseinanderstehende Augen, eine Pilzkopffrisur und trägt ein fließendes weißes Kleid aus Metall.

Robinas Bruder Humanoid dient als Mehrzweckhelfer im Haushalt. Er kann Geschirr spülen, sich um Ihre Eltern kümmern, wenn sie krank sind, er kann sogar spontan für Unterhaltung sorgen:6Eines der Modelle beherrscht die Trompete, ein anderes spielt Geige. Beide Versionen sind Doppelgänger des berühmten Androiden C-3PO ausKrieg der Sterne, im Gegensatz zu diesem allerdings nicht in goldener Farbe gehalten, sondern in strahlendem Weiß.

Honda wiederum hat im Gegenzug Asimo (kurz für „Advanced Step in Innovative Mobility“) entwickelt, einen voll funktionstüchtigen humanoiden Roboter, der aussieht wie ein zu klein geratener Astronaut, den man auf der Erde zurückgelassen hat. Asimo ist so hoch entwickelt, dass er menschliche Emotionen, Bewegungen und Gespräche interpretieren kann. Die „Augen“ sind in Wirklichkeit Kameras.7Asimo kann gesprochene Befehle befolgen, kann Hände schütteln und Fragen mit einem Nicken oder per Sprachausgabe beantworten. Er verbeugt sich sogar, wie es in Japan zum guten Ton gehört. In der Altenbetreuung kann Asimo eine ganze Reihe von Aufgaben erfüllen und einem Patienten beispielsweise aus dem Bett helfen oder mit ihm ein Gespräch führen.8

Viel Aufmerksamkeit verwendet Honda zudem auf die Weiterentwicklung und Kommerzialisierung von Roboterarmen und anderen Hilfsgeräten, die zwar roboterhaft sind, aber keine freistehenden Roboter. Der Gehhilfeapparat Walking Assist beispielsweise wird Menschen mit schwachen Beinmuskeln an Beinen und Rücken befestigt.9Dort verleiht er ihnen zusätzliche Kraft und hilft ihnen, sich allein fortzubewegen. Gehen Sie davon aus, dass Honda künftig Roboterhände und Roboterarme herstellen wird. Honda hat sich ein hohes Ziel gesteckt: Querschnittgelähmte sollen wieder gehen können und sehr schwache Menschen sollen die Geschwindigkeit und die Kraft ihrer Jugend wiederfinden.

Hinter großen Namen wie Toyota und Honda drängeln sich zahlreiche weitere japanische Firmen.10So hat Tokai Rubber Industries in Zusammenarbeit mit dem japanischen Forschungsinstitut Riken Riba entwickelt, den „Robot for Interactive Body Assistance“. Riba kann Menschen mit einem Gewicht von bis zu 80 Kilogramm anheben und herunterlassen. Um den Patientenkeine Angst zu machen, wurde Riba so gebaut, dass er einem riesigen lächelnden Bär ähnelt. Er ist in eine weiche Haut gehüllt, um das Risiko von Verletzungen und Schmerzen zu minimieren. In eine ähnliche Richtung zielt Paro, eine vom nationalen Forschungsinstitut AIST entwickelte Roboter-Babyrobbe mit weichem weißen Fell. Paro ähnelt in vielen Verhaltensmustern einem echten Haustier und ist für Menschen gedacht, die zu gebrechlich sind, um sich um ein echtes Lebewesen zu kümmern, oder die in einem Umfeld leben (etwa einem Altersheim), in dem keine Haustiere erlaubt sind.11Paro mag es, gehalten zu werden, reagiert verärgert auf Schläge und gönnt sich gerne ein Nickerchen. Als Präsident Barack Obama vor einigen Jahren japanische Robotik-Innovationen vorgestellt wurden, streckte er instinktiv die Hand aus und streichelte der Robbe Kopf und Rücken.12Paro sieht aus wie ein niedliches Kuscheltier, kostet aber 6.000 Dollar und wird von der US-Regierung als Medizinprodukt der Klasse II eingestuft.13

Japan ist heutzutage die weltweite Nummer eins in der Roboterforschung. 310.000 der 1,4 Millionen Roboter, die weltweit in Betrieb sind, stehen in Japan. Dass sich die japanische Industrie in der Altenbetreuung mit Robotern befasst, liegt zum Teil daran, dass man durch den demografischen Wandel dazu gezwungen ist, zum Teil aber auch daran, dass Japan in einer einzigartigen Position ist, Kapital aus seinem technischen Wissen und dem Umstand zu schlagen, dass die Lebenserwartung des Menschen steigt und steigt. Aber können sich Roboter tatsächlich um Menschen kümmern?

Japans Privatwirtschaft und der öffentliche Sektor beantworten diese Frage mit einem klaren Ja. Japans Regierung stellte 2013 insgesamt 24,6 Millionen Dollar für Unternehmen bereit, die sich mit Altenpflege-Robotern befassen.14Im Mai 2013 wählte das Ministerium für Wirtschaft und Handel 24 Unternehmen als Empfänger von Fördermitteln aus.15Die Kosten, die bei diesen Firmen für die Forschung an Pflegerobotern aufgelaufen sind, deckte der Staat zur Hälfte, die für den Bau bis zu zwei Dritteln. Die Roboter sollen ein ganzes Spektrum von Aufgaben erfüllen:16Sie sollen Senioren von einem Zimmer in ein anderes helfen, sie sollen immer wissen, wo sich die Senioren aufhalten, und sie sollen sie unterhalten, durch Spiele, Singen oder Tanzen.

Doch es sind noch große Hürden zu nehmen. Auf der technischen Ebene ist es weiterhin eine schwierige Aufgabe, einen Roboter zu entwickeln, der intimere Aktivitäten vornehmen kann, etwa einen Patienten zu baden oder ihm die Zähne zu putzen.17Die meisten japanischen Unternehmen, die an Robotern forschen, sind auf Industriemotoren und elektronische Automatisierung spezialisiert. Umfangreiches Wissen dazu, was es braucht, um eine emotionale Verbindung herzustellen, bringen sie zumeist nicht mit, dabei ist das gerade in der Altenpflege ein zentraler Aspekt. Zwar werden die Unternehmen besser darin, aber einige Beobachter bezweifeln, dass Patienten jemals eine echte emotionale Verbindung zu einem Pflegeroboter werden aufbauen können. Sherry Turkle, am MIT als Professorin für Sozialwissenschaften in Wissenschaft und Technologie tätig, warnt: „Damit die Vorstellung eines künstlichen Begleiters unser neuer Normalzustand werden kann, müssen wir uns ändern. Im Zuge dessen überarbeiten wir menschliche Werte und Zwischenmenschliches.“ Sollten sich Roboterpfleger durchsetzen, könne es sogar zu einem Bruch zwischen den jüngeren und den älteren Generationen kommen: „Es geht nicht nur darum, dass ältere Menschen sprechen sollen, sondern auch darum, dass jüngere Menschen zuhören. An dem, was unsere Älteren zu sagen haben, zeigen wir nur sehr wenig Interesse. Wir bauen Maschinen, bei denen ihre Geschichten buchstäblich auf taube Ohren fallen“, so Turkle.18

Sowohl die technischen Fragen („Kann ein Roboter jemandem die Zähne putzen?“) als auch die fast schon spirituellen Zweifel („Kann es zwischen Mensch und Roboter zu emotionalen Verbindungen kommen? Sollte es überhaupt?“) haben ihre Berechtigung. Aber während in Japan die Robotertechnik und die Anwendungsmöglichkeiten der Roboter weiter voranschreiten, werden – womöglich schon in naher Zukunft – Antworten auf diese Fragen auftauchen. Angesichts des Mangels an Pflegepersonal gehe ich davon aus, dass Roboter zu einem festen Bestandteil des japanischen Familiensystems werden.

Wenn das dem alternden Japan gelingt, werden die Pflegeroboter die Wirtschaft ankurbeln und sich rasch in der Weltwirtschaft ausbreiten. Die Folgen könnten weitreichend sein.

Der Großteil der restlichen Industrienationen steht am Beginn einer Alterungsphase, die ähnlich wie in Japan verlaufen wird. In allen 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union wird die Bevölkerung älter und in den kommenden Jahrzehnten wird der Anteil der Einwohner, die mindestens 65 Jahre alt sind, von 17 auf 30 Prozent ansteigen.19China ist noch keine Industrienation, ist aber bereits in eine Phase der raschen Alterung eingetreten. Zwar wird die Ein-Kind-Politik schrittweise aufgehoben, aber dennoch herrscht in China eine demografische Schieflage. Chinesinnen bekommen im Durchschnitt 1,4 Kinder, was deutlich unter den 2,1 Kindern liegt, die nötig wären, um die Bevölkerungsgröße stabil zu halten. Das Ergebnis: Es gibt zu wenig junge Menschen, die sich um die ältere Bevölkerung kümmern können. Eine erwähnenswerte Ausnahme stellen die Vereinigten Staaten dar, wo die Einwanderungspolitik die Auswirkungen der alternden Bevölkerung teilweise wettmacht.

Die Bevölkerung der Industrienationen wird älter und älter, wodurch ein gewaltiger Markt für diese japanischen Roboter entsteht. Pflegeroboter – und die Roboterarm-Technologie – sind möglicherweise nur die Speerspitze einer neuen Welle komplexer Roboter, die Einzug in unseren Alltag halten. Roboter sind eine Ausnahmetechnologie: Sie betreten den Mainstream zunächst über die älteren Nutzer und breiten sich von dort nach unten aus, wenn Oma ihr neues, todschickes Elektrospielzeug den Kindern und Enkelkindern vorführt.

DIE WELT IM ZEITALTER DER ROBOTER

Die Roboter-Landschaft wird sich von Land zu Land stark unterscheiden. So wie wohlhabendere und ärmere Bürger auf technisch unterschiedlichem Niveau stehen werden, wird es auch zwischen reicheren und ärmeren Ländern ein Gefälle geben.

Einige wenige Nationen konnten sich bereits Führungspositionen als Roboter-Gesellschaften erarbeiten.20Rund 70 Prozent aller Roboter werden in Japan, China, den USA, Südkorea und Deutschland verkauft – den „Großen Fünf der Robotik“. Japan, die USA und Deutschland sind führend bei hochwertigen Industrie- und Medizinrobotern, Südkorea und China halten die Spitzenpositionen bei weniger kostspieligen und stärker verbraucherorientierten Robotern.21Die meisten Roboter werden in Japan verkauft, aber China stellt den größten Wachstumsmarkt dar. Seit 2005 ist dort der Absatz jährlich um 25 Prozent gestiegen.

Zwischen den „Großen Fünf“ und dem Rest der Welt klafft eine ziemliche Lücke. Diese fünf Nationen hängen alle anderen deutlich ab, und zwar sowohl als Hersteller wie auch als Käufer von Robotern. Das verdeutlichen einige Zahlen: Die Roboterproduktion in Südkorea, einem Land mit 50 Millionen Einwohnern, übersteigt um ein Mehrfaches die von Südamerika, Mittelamerika, Afrika und Indien zusammen, einer Region mit 2,8 Milliarden Einwohnern. Russland spielt trotz seiner industriellen Basis praktisch überhaupt keine Rolle in der Robotik. Weder stellt das Land eine nennenswerte Zahl an Robotern her, noch kauft es welche in größerem Rahmen, gleichzeitig betreibt es Rohstoffindustrien (Erdgas, Öl, Eisen, Nickel) und Industrieanlagen, die noch so aussehen und funktionieren wie in den 1970er- und 1980er-Jahren.

Der Wettbewerbsvorteil der „Großen Fünf“ könnte künftig noch größer werden, denn bei diesen Nationen handelt es sich auch um die aussichtsreichsten Kandidaten, wenn es darum geht, die nächste Robotergeneration in die Gesellschaft, den Arbeitsplatz und das Zuhause zu integrieren. Die großen Namen bei den Verbrauchermarken für Robotik werden aus diesen Ländern kommen, ebenso die Software und die Netzwerke hinter dem Robotik-Ökosystem. Wenn ich über diese Symbiose nachdenke, denke ich auch an das Internet in den 1990er-Jahren. Es war nicht nur so, dass die verbraucherorientierten Internetfirmen im Silicon Valley geboren wurden und dort ihren Sitz hatten, auch die Netzwerkausrüster wie Cisco Systems und Juniper Networks fand man dort. Heute beschäftigen Cisco und Juniper zusammen 85.000 Menschen und kommen auf einen Börsenwert von 154 Milliarden Dollar. Die gleichen nachgeschalteten Systeme wird es auch in der Roboterindustrie geben. Und die „Großen Fünf“ werden davon profitieren, Heimat der hochbezahlten Jobs zu sein. Bei ihnen wird sich Reichtum anhäufen. All das wird die Folge davon sein, dass sie weit vor den 191 anderen Ländern der Welt liegen. In diesen Ländern werden die Ciscos und Junipers der Robotik entstehen.

Doch interessanterweise werden weniger hoch entwickelte Länder mit dem Eintritt in die Roboterwelt Technologien überspringen können. Länder in Afrika oder Zentralasien haben das Stadium der Festnetztelefonie übersprungen und sind direkt in die Mobiltelefonie eingestiegen. Ähnlich könnten sie auch in der Robotik Fortschritte erzielen, ohne sich zuvor eine moderne Industriebasis errichten zu müssen.

Ein gutes Beispiel dafür ist das afrikanische Robotiknetzwerk Afron. Afron ist ein Zusammenschluss von Einzelpersonen und Einrichtungen, es hält Veranstaltungen ab und führt Projekte durch, die afrikaweit in Sachen Robotik den Wissensstand, die Forschungsarbeit und die Wirtschaft vorantreiben sollen. Durch Initiativen wie einen Wettbewerb, für zehn Dollar einen Roboter zu bauen, trägt Afron dazu bei, dass an der Entwicklung extrem günstiger Roboter geforscht wird. Einer der Gewinner war RoboArm, ein Projekt der Obafemi-Awolowo-Universität in Nigeria.22Die armartige Struktur besteht aus Kunststoff und wird von ausgeschlachteten Motoren betrieben. Auf Materialknappheit basierend kostengünstige Innovationen zu erschaffen hat seinen Ursprung im Konzept der „frugalen Innovation“, auf das wir in Kapitel 6 näher eingehen.

Während sich die Roboter weiter ausbreiten, wird es auch von der Kultur der jeweiligen Länder abhängen, inwieweit sie im Roboterzeitalter bestehen können: Wie offen sind die Menschen dafür, Roboter in ihr Leben zu lassen? Im Westen werden Roboter ganz anders betrachtet als im Osten. In Japan gibt es nicht nur die wirtschaftliche Notwendigkeit, auf Roboter setzen zu müssen, und das technologische Know-how, das Land ist auch kulturell sehr gut für das aufziehende Roboterzeitalter aufgestellt. 80 Prozent der Japaner praktizieren Shintoismus und Teil dieser uralten Religion ist der Glaube an Animismus, der Dingen genauso wie menschlichen Wesen einen Geist zuschreibt. Aus diesem Grund ist die japanische Kultur offener als der Westen dafür, Roboter als echte Gefährten zu akzeptieren.23Im Westen hingegen gelten Roboter als seelenlose Maschinen. In einer Kultur dagegen, in der ein toter Gegenstand als genauso lebendig gelten kann wie etwas Belebtes, können Roboter eher als Mitglieder der Gesellschaft gelten denn als reine Werkzeuge oder Bedrohungen.

Im Westen dagegen ist die Furcht vor Robotern sehr tief verwurzelt. Die westliche Literatur ist voll von Geschichten darüber, wie die Menschheit Dinge erschafft, über die sie die Kontrolle verliert. Prometheus hat den Menschen das Feuer gebracht, dafür wurde er zu ewigen Schmerzen verdammt. Als Ikarus zu hoch flog, ließ die Sonne seine Wachsflügel schmelzen und er stürzte in den Tod. In Mary ShelleysFrankensteinrichtet die groteske Kreatur, die Doktor Frankenstein erschaffen hat, großes Unheil an. Das Wesen bringt seinem Schöpfer letztlich den Tod – und der Filmindustrie zahllose B-Movies.

Diese Furcht hat im Osten nicht im selben Maß Fuß gefasst. Die in Japan herrschende kulturelle Dynamik ähnelt der, die man in weiten Teilen Ostasiens antrifft, und erlaubte es den asiatischen Roboterherstellern, völlig unbelastet von kulturellem Ballast voranzupreschen. Das hohe Maß an Investitionen in Roboter spiegelt wider, wie wohl man sich mit Robotern fühlt, und in Chinas akademischer Welt sind Fachbereiche für Automatisierung an der Tagesordnung und gut angesehen. Es gibt über 100 entsprechende Fachbereiche an chinesischen Unis, während die USA trotz ihrer höheren Zahl an Hochschulen nur auf geschätzte 76 kommen.24

In Südkorea steht man Lehrrobotern positiv gegenüber, in Europa dagegen ist die Stimmung negativ.25Es gilt dieselbe Haltung wie in der Altenpflege: Roboter sind für die Europäer Maschinen,in Asien dagegen sieht man sie als potenzielle Gefährten. In den USA wird dieses Thema größtenteils vermieden, weil das Einwanderungssystem den Zuzug von neuen Niedriglohnarbeitern ermöglicht und diese oftmals in Bereichen landen, denen sich ansonsten Serviceroboter zuwenden könnten. In anderen Teilen der Welt ist die Meinung oftmals gemischt. Laut einer neueren Untersuchung wären die Menschen im Nahen Osten offen für einen humanoiden Putzroboter im Haushalt, aber nicht für Roboter, die persönlichere und weiter reichende Aufgaben etwa im Lehrbereich übernehmen.26Das Zusammenspiel aus kulturellen, demografischen und technologischen Faktoren wird dazu führen, dass wir einen ersten Einblick, wie eine Welt voller Roboter aussehen könnte, in Ostasien erhalten werden.

DIE VERMENSCHLICHUNG DER ROBOTER

In der ersten Welle von Automatisierung und Robotik fielen zum großen Teil Arbeiten weg, die gefährlich, schmutzig und anstrengend waren und wenig persönliche Interaktion erforderten. Inzwischen jedoch rücken die Roboter immer stärker auch auf Jobs zu, die zum Dienstleistungsbereich gehören und personalisierte Fähigkeiten erfordern. Bei der vorigen Globalisierungsphase waren Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor größtenteils vor dem Wegfall gefeit, doch das hat sich inzwischen geändert. Die Robotik hat sich in den vergangenen Jahren sehr stark weiterentwickelt, was nicht nur mit Durchbrüchen in der Robotik selbst zu tun hat, sondern auch mit Fortschritten im Informationsmanagement, der EDV und dem Ingenieurwesen. Arbeiten, die ein Situationsbewusstsein erfordern, räumliches Denken, Geschicklichkeit, das Begreifen von Zusammenhängen und menschliches Urteilsvermögen, galten einst als ausschließlich dem Menschen vorbehalten. Das gilt heute so nicht mehr.

Möglich wurde das vor allem durch zwei Entwicklungen: Verbesserungen bei der Berechnung des Überzeugungsraums und die Einbindung von Robotern in die Cloud. Mit Überzeugungsraum ist ein mathematisches Gerüst gemeint, mit dessen Hilfe wir ein bestimmtes Umfeld statistisch abbilden und realistische Szenarien entwickeln können. Im Grunde heißt bedeutet das, dass mit Algorithmen gearbeitet wird, um neue oder komplexe Zusammenhänge besser deuten zu können.27Für Roboter eröffnet der Überzeugungsraum den Weg zu einem verbesserten Situationsbewusstsein. Das hat zu Durchbrüchen geführt, etwa beim Greifen, einer Aufgabe, die Robotern früher stets schwerfiel. Bis vor Kurzem war der Überzeugungsraum viel zu komplex, als dass man ihn hätte zufriedenstellend berechnen können. Erschwert wurde die Aufgabe dadurch, dass man für Analysen nur auf eine sehr begrenzte Menge an Robotererfahrungen zurückgreifen konnte. Fortschritte im Bereich der Datenanalyse (siehe dazu Kapitel 5) und ein exponentiell wachsendes Maß an Daten über Roboter erlauben es Programmierern inzwischen, Roboter zu entwickeln, die intelligent mit ihrer Umgebung interagieren können.28

Dass die Menge an verfügbaren Roboterdaten so rasch angestiegen ist, hat mit der Entwicklung von Cloud Robotics zu tun. Den Begriff prägte 2010 James Kuffner von Google. In die Cloud eingebunden können Roboter auf gewaltige Datenmengen und gespeicherte Erfahrungen zugreifen und so ihren eigenen Überzeugungsraum besser begreifen. Bevor sie Zugang zur Cloud bekamen, hatten Roboter nur Zugriff auf sehr begrenzte Datenmengen – entweder die selbst erhobenen oder die aus einer eng abgesteckten Gruppe von Robotern. Roboter waren eigenständige Elektronische Geräte, deren Fähigkeiten durch die eingebaute Hardware und Software begrenzt waren. Jetzt sind sie Netzwerkgeräte, die ständig mit der Cloud verbunden sind. Das erlaubt es den Robotern, die Erfahrungen aller anderen Roboter ihrer Art zu übernehmen. Entsprechend steil steigt die Lernkurve an. Stellen Sie sich vor, was für einen Quantensprung die Menschheit vollziehen könnte, wenn wir alle schlagartig direkten Zugriff auf das Wissen und die Erfahrung jedes anderen Menschen auf dem Planeten bekämen. Wenn wir dann eine Entscheidung träfen, müssten wir uns dabei nicht auf unsere begrenzte Erfahrung und unser begrenztes Wissen verlassen, sondern wir könnten die Expertise von Milliarden anderen Menschen nutzen. Für die kognitive Entwicklung der Roboter hat Big Data diesen Quantensprung ermöglicht.

Für eine weitere wichtige Entwicklung in der Robotik war die Werkstofftechnik verantwortlich. Sie hat es möglich gemacht, Roboter aus neuen Materialien zu fertigen. Sie müssen nicht mehr wie C-3PO oder R2-D2 in einem Aluminiumpanzer untergebracht werden, moderne Roboter können unglaublich realistisch wirkende Körper aus Silikon haben oder sogar aus Spinnenseide. Dank ausgesprochen flexibler Bauteile sind Roboter entstanden, die man nicht unbedingt als etwas Künstliches erkennt, fast so wie der Arnold-Schwarzenegger-Cyborg inTerminator. Luftmuskeln arbeiten mithilfe hochkonzentrierter Druckluft, elektroaktive Polymere können Größe und Form eines Roboters verändern, wenn er von einem elektrischen Feld angeregt wird. Die Forscher von der Tufts University haben eine Roboterraupe entwickelt, die unterschiedliche Aufgaben vom Aufspüren von Minen bis hin zur Diagnose von Krankheiten übernehmen soll.29Die Raupe ist biologisch abbaubar – genau wie wir.

Roboter werden heutzutage größer und kleiner als je zuvor gebaut. Die Arbeit an Nanorobotern steckt noch in den Kinderschuhen, aber sie verspricht eine Zukunft, in der autonome, 10-9Meter große Maschinen (was viel, viel kleiner als ein Sandkorn ist) Krankheiten auf Zellebene diagnostizieren und behandeln können. Am anderen Ende des Spektrums steht der weltgrößte gehende Roboter: Ein feuerspeiender Drache aus Deutschland, über 15 Meter lang, elf Tonnen schwer und mit über 75 Litern Kunstblut befüllt. Anscheinend haben die Deutschen sogar eine Festivität, bei der dieser Drache eine Rolle spielt.30

Fortschritte wie die zuletzt gemachten wird es auch in Zukunft geben. Nicht nur Japans Regierung stellt immer mehr Mittel für die Forschung an Robotern bereit. US-Präsident Obama rief 2011 eine nationale Robotik-Initiative ins Leben. Ziel ist es, die Entwicklung von Robotern für die industrielle Automatisierung, die Altenbetreuung und das Militär voranzutreiben. Das Programm wird von der National Science Foundation verwaltet und bislang wurden Aufträge im Wert von über 100 Millionen Dollar vergeben.31Frankreich hat ein ähnliches Programm aufgelegt und 100 Millionen Euro für das Ziel bereitgestellt, zu Deutschland aufzuschließen. Auch Schweden nimmt eine Millionensumme in die Hand, um im Zuge von Innovationspreisen wie dem 2011 ins Leben gerufenenRobotdalenEinzelpersonen und Unternehmen zu bedenken.

Und auch die Privatwirtschaft investiert verstärkt.32Google übernahm im Dezember 2013 für eine nicht veröffentlichte Summe Boston Dynamics, einen führenden Roboterentwickler, der auch für das Pentagon arbeitet. Google kaufte zudem DeepMind. Das vom Wunderkind Demis Hassabis gegründete Londoner Unternehmen befasst sich mit Künstlicher Intelligenz.33Hassabis war zu seiner Zeit Platz zwei auf der Weltrangliste der Schachspieler unter 14 und während er an seiner Doktorarbeit in kognitiver Neurowissenschaft schrieb, entwickelte er eine neue biologische Theorie, die erklärt, wie Fantasie und Erinnerung im Gehirn funktionieren – für das WissenschaftsmagazinSciencewar es einer der zehn größten Forschungserfolge des Jahres. Bei DeepMind erschufen Hassabis und seine Kollegen etwas, das quasi das Computergegenstück zur Hand-Augen-Koordination ist.34Etwas Vergleichbares war in der Roboterwissenschaft noch nie gelungen. In einem Demo erklärte mir Hassabis, wie er seinen Robotern beigebracht hat, alte Atari-2600-Videospiele so zu spielen, wie Menschen sie spielen: Indem sie auf einen Bildschirm blicken und durch neurale Prozesse ihre Handlungen korrigieren und auf Aktivitäten eines Widersachers reagieren. Er hatte Computern im Grunde genommen beigebracht, wie Menschen zu denken. Dann übernahm Google DeepMind für eine halbe Milliarde Dollar und brachte seine Erfahrung in Maschinellem Lernen und systemischen Neurowissenschaften ein, um seine Algorithmen zu verfeinern, während es über die Internetsuche hinaus weiter in das Feld der Robotik vorstößt.

Forschungs- und Entwicklungsarbeit im Bereich der Robotik findet vor allem bei den großen Konzernen (wie Google, Toyota und Honda) statt, aber die Summe, die Wagniskapitalgeber in den Bereich pumpen, nimmt rasch zu. Zwischen 2011 und 2014 haben sich die Investitionen mehr als verdoppelt35, von 160 Millionen auf 341 Millionen Dollar. Grishin Robotics, ein mit 25 Millionen Dollar für Seed-Investitionen ausgestatteter Investmentfonds, nahm im ersten Jahr seines Bestehens über 600 Start-ups unter die Lupe, bevor er sich für die acht entschied, die er jetzt in seinem Portfolio hat.36Der junge israelische Wagniskapitalgeber Singulariteam legte zwei Fonds von jeweils 100 Millionen Dollar auf, um in frühe Roboterforschung und Künstliche Intelligenz zu investieren.37 Was es für die Investoren so reizvoll macht, liegt auf der Hand: Der Markt für Unterhaltungsroboter könnte 2017 ein Volumen von 390 Milliarden Dollar erreichen, der für Industrieroboter im Jahr 2020 ein Volumen von 40 Milliarden Dollar.38

Die Technologie wird also immer besser. Gleichzeitig läuft eine Diskussion zu der Frage, wie radikal sich das Leben der Menschen durch moderne Roboter verändern wird und ob uns Roboter letztlich überholen werden. Eine Fraktion sagt, dass es unvermeidlich sei, dass uns die Roboter überholen, eine weitere vertritt die Ansicht, dass die Roboter uns nicht zur Gefahr werden können. Ein drittes Lager glaubt, dass Mensch und Maschine verschmelzen könnten. Innerhalb der Robotik-Gemeinde lässt sich die Zukunft der Technologie im Singularitätskonzept zusammenfassen. Bei der Singularität handelt es sich um einen theoretischen Zeitpunkt, an dem Künstliche Intelligenz die menschliche Intelligenz erreichen oder übertreffen wird. Wie wird es sich auf das Verhältnis zwischen Roboter und Mensch auswirken, wenn die Singularität erreicht ist? Das ist unklar. (In denTerminator-Filmen beschließt ein mit Selbsterkenntnis ausgestattetes Computersystem nach dem Erreichen der Singularität, einen Krieg gegen die Menschen zu führen.) Begeisterte Anhänger der Singularität träumen davon, dass die Investitionen in die Robotik mehr bewirken werden als nur eine Aufbesserung von Unternehmensbilanzen – sie hoffen darauf, dass die Roboter das menschliche Wohlergehen massiv verbessern werden, dass langweilige Alltagsarbeiten wegfallen und dass wir kranke oder zu alte Teile unseres Körpers ersetzen können. Ist die Singularität eine gute Sache oder etwas Schlimmes? Die IT-Gemeinde ist in dieser Frage tief gespalten. Ein Lager erklärt, sie werde die menschliche Erfahrung verbessern, ein genauso großes zweites Lager sagt, die Singularität werde ein Horrorszenario nach sich ziehen, bei dem die Menschen zu Dienern der Maschinen werden.

Aber wird die Singularität überhaupt eintreten?

Die Fraktion derer, die daran glaubt, führt diverse wichtige Punkte an. So gebe es wenig Anzeichen dafür, dass das mooresche Gesetz seine Gültigkeit verliert.39Gemäß dieser Gesetzmäßigkeit verdoppelt sich alle zwei Jahre die Menge an Rechenleistung, die wir in einen Computerchip packen können. Hinzu kommen rasche Fortschritte beim Maschinellen Lernen, der Datenanalyse und bei Cloud Robotics, und es ist klar, dass sich die EDV auch künftig flott weiterentwickeln wird. Der Mathematiker Vernor Vinge sagt die Singularität für 2023 voraus, der Zukunftsforscher Ray Kurzweil spricht von 2045.40Aber die große Frage, die dahintersteht, ist die: Stoßen wir bei der Entwicklung unserer Technologie irgendwann an Grenzen?

Die Fraktion derer, die nicht an die Singularität glauben, führt diverse wichtige Punkte an.41Was zum Erreichen der Singularität an Software-Fortschritt erforderlich ist, setzt ein detailliertes wissenschaftliches Verständnis des menschlichen Gehirns voraus, doch bislang scheitert die Software-Entwicklung daran, dass wir die grundlegende neuronale Struktur des Gehirns nicht verstehen. Und während die sogenannte „schwache“ Künstliche Intelligenz (Roboter spezialisieren sich auf eine ganz bestimmte Aufgabe) derzeit exponentiell voranschreitet, verlaufen die Fortschritte bei der „starken“ Künstlichen Intelligenz (Roboter zeigen kognitive Fähigkeiten und Intelligenz, die der menschlichen entsprechen) nur linear. Erfindungen wie der IBM-Rechner Watson (der von IBM entwickelte Computer, der in der SpielshowJeopardy!dieChampions Ken Jennings und Brad Rutter besiegte) sind zwar aufregend, aber die Forscher benötigen ein besseres Verständnis vom Gehirn, bevor größere Sprünge als ein Sieg bei einer Spielshow drin sind. Watson hat nicht wirklich „gedacht“, vielmehr handelte es sich im Grunde um eine sehr umfassende Suchmaschine, die eine große Datenbank durchstöberte.42Roboterexperte Ken Goldberg, Professor an der Universität von Kalifornien in Berkeley, sagt: „Roboter werden immer menschenähnlicher werden, aber die Kluft zwischen Mensch und Roboter wird bestehen bleiben – sie ist so groß, dass sie uns für die absehbare Zukunft erhalten bleibt.“43

Meiner Ansicht nach stehen wir in der Robotik aktuell dort, wo die Welt vor 20 Jahren mit dem Internet stand: Wir befinden uns am Anfang von etwas, wir sind auf Seite 1 in Kapitel 1. In den Tagen von Einwahlmodems wäre es schwer gewesen, sich einen Internetdienst wie YouTube vorzustellen, der Monat für Monat mehr als sechs Milliarden Stunden Videoinhalte streamt.44