Die Wolfsfalle - Von Werwölfen und anderen Gestaltwandlern Band 4 - Hermann Schladt (Hrsg.) - E-Book

Die Wolfsfalle - Von Werwölfen und anderen Gestaltwandlern Band 4 E-Book

Hermann Schladt (Hrsg)

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Beschreibung

“Von Werwölfen und anderen Gestaltwandlern” ist der zehnte und bisher erfolgreichste Story-Wettbewerb des vss-verlags. Und das nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Sicht.

Neue Autoren und „alte Hasen“, Jugendliche und reife, ältere Menschen haben die Geschichten für diesen vierten Anthologieband verfasst, der damit eine faszinierende Zusammenstellung von Storys rund um das Gestaltwandeln bietet.

Die Storys dieses Bandes:

Kestin Kramer – Valeria

Maren Schaefer – Von Holzpuppen und echten Menschen

Nora Spiegel – Das Seehundfell

Bianca Volz – Schattenwein

Katharina Lohmann – Zyklus

Ulli Brixen – Einsatz auf CeBaRem

Karin Jirsak – * H *

Gabriel Maier – Die Wolsfalle

Leonie Arnold – Ben

Norbert Faulhaber – Terror auf dem Campus

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Veröffentlichungsjahr: 2015

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Hermann Schladt (Hrsg.)

Die Wolfsfalle - Von Werwölfen und anderen Gestaltwandlern Band 4

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Vorspann

Düstere Welten – Band 11

Hermann Schladt – Die Wolfsfalle – Von Werwölfen und anderen Gestaltwandlern, Band 4

1. eBook-Auflage – Mai 2015

© vss-verlag Hermann Schladt

Titelbild: Lothar Bauer

Lektorat: Hermann Schladt

 

 

Hermann Schladt (Hrsg.)

 

Von Werwölfen und anderen Gestaltwandlern

 

Anthologie zum Story-Wettbewerb des vss-verlag

 

Band 4

 

Die Wolfsfalle

Vorwort

“Von Werwölfen und anderen Gestaltwandlern” ist der zehnte und bisher erfolgreichste Story-Wettbewerb des vss-verlags. Und das nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Sicht.

So sah sich die Jury vor die Mammutaufgabe gestellt, 118 Beiträge bewerten zu müssen. Die meisten trafen erst kurz vor Einsendeschluss ein; viele bewegten sich in ihrer Länge am vorgegebenen Limit. Kein Wunder, dass es fast ein halbes Jahr gedauert hat, bis endlich das Ergebnis verkündet werden konnte.

Und zu den zehn platzierten Storys wurde weitere vierzig Geschichten für würdig befunden, in der Anthologie – besser gesagt in den Anthologien – veröffentlicht zu werden. Ein Beitrag wurde leider vom Autor zurückgezogen, sodass in den fünf Anthologiebänden jetzt 49 Kurzgeschichten veröffentlicht werden.

Wenn man auf das Teilnehmerfeld schaut, ergibt sich ein sehr buntes Bild. Alle „Altersklassen“ sind vertreten, von ganz jungen Autorinnen und Autoren, bis hin zu lebenserfahrenen älteren Schriftstellern und Schriftstellerinnen. Für etliche ist die Story in diesen Bänden ihre erste Veröffentlichung, andere haben eine Bibliografie, deren Umfang schon fast die Länge eine Shortstory erreicht.

Und ich bin sicher und hoffe von ganzem Herzen, das auch in diesen Anthologien wieder der ein oder andere Name auftaucht, der in der Zukunft einen guten Klang in der deutschsprachigen Literaturszene erlangen wird.

In diesem Sinne nochmals ein herzliches Dankeschön an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer an unseren Wettbewerb, und alles Gute und viel Erfolg beim künftigen Schreiben.

Hermann Schladt

Herausgeber

Die Top-Ten des Wettbewerbs

1. Melanie Brosowski In ihrem Bann

2. Daniel Huster Die letzten Gesichter

3. Karin Jirsak * H *

4. Heike Pauckner Mörder am Fluss

5. Holger W. Jörg Die Geschichte vom Wolfstöter

6. Corinne Hocke Die Farbe der Unschuld

7 Matthias Bäßler Der Ruf des Wendigo

8 Carola Ruder Nachts

9 Nora Spiegel Das Seehundfell

10 Rahel Meister Hungrig

Und hier die neunuddreißg Storys, die ebenfalls veröffentlicht werden:

Schirin Abomaali Der sterbende Wolf

Leonie Arnold Ben

Elisa Bergmann Es ist ein Band von meinem Herzen

Thomas Bilicki Das Tier in mir

Kathrin Breimeier & Sophie Großmann Der Weihnachtsstern

Ulli Brixel Einsatz auf CeBaRem

Norbert Faulhaber Terror auf dem Campus

Katharina Glas Agonie

Caroline Gützer Streuner

Ernst-Diedrich Habel Werwölfe im Harz

Andreas Haider Hell in Purgatory City

Bianca Heidelberg Die Füchsin

Marina Heidrich G2 Alpha

Klaus Held Das rauchlose Feuer

Jessica Iser Wolfstod

Philip C. Kasten Blutmond über dem Ebertal

Monika Klein Hallo Fetty

Kerstin Kramer Valeria

Doris Krüger Seelenwechsler

Violetta Leiker Wer einmal lügt

Manfred H. Lipp Feuersturm

Katharina Lohmann Zyklus

Katharina Ludwig Mitena – Das Schattenkind

Gabriel Maier Die Wolfsfalle

Tanja Rosenbaum Schimmer

Paul Sanker Unerwartete Gäste

Maren Schaefer Von Holzpuppen und anderen Menschen

Erik Schreiber Werwolf

Martin Spiegelberg Schwein ist mein ganzes Herz

Ylva Spörle Gerufen

Katharina Stein Erwachender Instinkt

Patricia Strunk Zimmer 26

Björn Sünder Abdrücke

Hagen van Beeck Ein Vampirmädchen Namens Rosalie

Bianca Volz Schattenwein

Wanda Wälich Roter Schnee

Günter Wirtz Odins Gabe

Kerstin Kramer - Valeria

Guten Abend. Mein Name ist Valeria, Valeria Raven und ich bin – nun sagen wir einfach, ich bin anders als Sie.

Ich bitte Sie, zügeln Sie ihre Neugierde noch etwas und lassen Sie mich Ihnen von den dunkelsten Stunden meines Lebens erzählen. Wenn Sie das Gefühl haben, sich im Moment nicht bewegen zu können, so beachten Sie das bitte nicht weiter, es ist nur vorübergehend. Ich möchte mir Ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit sicher sein.

Geboren wurde ich vor 18 Jahren in einem kleinen Dorf mitten im Spessart als Valeria Simon. Meine Mutter Sybille arbeitete von zuhause aus und mein Stiefvater Thomas war Bankdirektor. Meinen richtigen Vater kannte ich nicht.

Als ich vier Jahre alt war, kam mein Halbbruder Tobias zur Welt, der sich recht bald als entsetzliche Nervensäge herausstellte.

Als ich 14 Jahre alt wurde, bekam ich meine Regelblutung. Am Morgen begann mein Blut zu fließen und am Abend der Albtraum der mein Leben veränderte.

Mein Zimmer lag im Kellergeschoss unseres Hauses, wo ich die meiste Ruhe hatte, vor allem vor Tobias. Dort befand sich auch ein, zu meinem Glück, fensterloses Bad. Meine Leidenschaft: Baden bei Kerzenschein sollte mir bald verdorben sein.

An jenem schicksalsträchtigen Abend ging ich, wie immer in das Bad, um mich für die Nacht zurecht zu machen. Es war ein anstrengender Tag gewesen und ich war müde. Das Zähneputzen schaffte ich mit fast geschlossenen Augen, so dass ich sie erst öffnete, als ich mein Haar auskämmen wollte. Vor Schreck vergaß ich kurz zu atmen. Das Gesicht, das mir aus dem Spiegel entgegensah, war dem meinen nicht unähnlich, aber mehr auch nicht. Statt dem etwas rundlichen, kindlichen Gesicht einer 14-jährigen, mit schulterlangen schwarzen Haaren, blauen Augen und einer Spur zu blasser Haut, sah mich eine ältere Frau an. Ihre schönen, markanten Gesichtszüge waren umrahmt von längerem schwarzem Haar und ihre Augen schienen sich nicht entscheiden zu können, ob sie blau oder grün waren.

Der Schreck wandelte sich in pures Entsetzen, als sich ihre vollen, blutroten Lippen zu einem Lächeln kräuselten und zwei lange, spitze Zähne in Erscheinung traten. Ich holte keuchend Luft, stolperte nach hinten, stieß an die Badewanne und verlor das Gleichgewicht. Im Fallen versuchte ich mich festzuhalten und erwischte den Lichtschalter, so dass das Bad in gnädiges Dunkel gehüllt wurde. Ich saß zitternd am Boden und lauschte, doch außer meinem schnellen und lauten Herzschlag war nichts zu hören.

Was war los mit mir? Hatte ich mir das eingebildet? Ich wusste, meine Tante war seit Jahren dem Wahnsinn verfallen. War das erblich? War ich jetzt an der Reihe, oder war das gar ein Dämon?

Ich stand mühsam und vorsichtig auf. Licht anzumachen wagte ich nicht. Blind tastete ich nach dem Türgriff und spähte hinaus, in der Hoffnung, dass niemand den Lärm gehört hatte, sonst würde ich in heftige Erklärungsnot kommen. Leise schlich ich in mein Zimmer und mied ängstlich alles, was mein Gesicht hätte spiegeln können. Mit Grauen dachte ich an den großen Spiegel in meinem Zimmer. Mein Verstand schalt mich albern. Ein Spiegel konnte mir nichts tun, er konnte nur mich selbst zeigen. Aber der Rest von mir wusste es besser.

Mit fest zusammengekniffenen Augen tastete ich mich zur Kommode. Langsam, als könne das Gesicht darin ahnen was ich vorhatte, hängte ich den Spiegel ab und legte ihn, mit der Spiegelfläche nach unten unter mein Bett. Um ganz sicher zu gehen, legte ich noch eine schwarze Wolldecke darüber. Wenn das keine ausgeprägte Paranoia wurde, wusste ich auch nicht weiter.

Kurz darauf lag ich im Bett, doch an Schlaf war nicht zu denken. Immer wenn ich die Augen schloss, sah ich dieses Gesicht wieder vor mir. Es sollte nur eine von vielen schlaflosen Nächten sein.

Morgens versuchte ich, das alles als miesen Traum abzutun. Mutig knipste ich Licht im Bad an und öffnete langsam die Augen. Mein eigenes verstörtes und verschlafenes Gesicht blickte mir entgegen. Mir fiel ein Stein vom Herzen.

Der Abend sollte meine vagen Hoffnungen zerstören. Der Spiegel zeigte wieder das Bild der seltsamen Frau. Diesmal meinte ich sogar, Blut an Lippen und Zähnen zu sehen.

Um dem Horror zu entgehen, gewöhnte ich es mir an, im Bad kein Licht mehr zu machen. Schnell gewöhnte ich mich an die absolute Finsternis und bildete mir sogar ein, im Dunkel sehen zu können.

In den Augen meiner Mutter konnte ich sehen, dass sie sich Sorgen machte. Ich sagte ihr, wir hätten in der Schule über Energieverschwendung geredet und mein Stiefvater meinte, es wäre doch normal, dass Mädchen in dem Alter nicht richtig essen. Mir schwand der Appetit und von manchen Speisen wurde mir regelrecht übel. Ich entwickelte eine Vorliebe für Fleisch und vor allem Leber begeisterte mich immer mehr. Allmählich begann ich an mir zu zweifeln. Vermutlich war es doch so, dass ich dem Wahnsinn verfiel.

An meinem 16. Geburtstag eskalierte alles. Es war Vollmond und ich hatte meine Tage. Ich weiß noch, dass ich abends auf der Terrasse stand und den blutroten Mond anstarrte. Wir wohnten direkt am Wald und ich liebte es darin zu wandern, zu jeder Tages- oder Nachtzeit. Meine Eltern waren daran gewohnt. Sie erinnern sich? Ich sagte am Anfang ich wäre anders.

An diesem Abend zog es mich also magisch in den Wald. Ich lief los, gejagt von einem seltsamen Verlangen. Dann lief ich in die Dunkelheit und das Vergessen.

Als ich zu mir kam, hielt ich einen Hasen in der Hand, dessen Kehle zerfetzt war. Mein T-Shirt war voller Blut und ich starrte entsetzt auf das arme Tier. Welches wilde Tier in unseren Wäldern war dazu fähig? Meine untere Gesichtshälfte spannte und juckte und mein Oberkiefer schmerzte seltsam. Als ich es betastete, stellte ich zu meinem Entsetzen fest, dass mein Gesicht voller But war. Ich ließ den Hasen fallen und rannte zu einem kleinen Bach, den ich in der Nähe wusste. Ich fürchtete, dieser Frau wieder zu begegnen, doch das Bild, das der, inzwischen wieder fahle Mond beschien, war ungleich schlimmer.

In meinen Haaren hingen Blätter und mein Gesicht war blutverschmiert. An einem Mundwinkel klebte ein Fetzen Fell.

Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Ich war das wilde Tier, ich hatte den Hasen getötet. Nachdem ich mich ins nächste Gebüsch übergeben und notdürftig gesäubert hatte, wankte ich nach Hause.

Das Shirt musste ich irgendwo unterwegs entsorgt haben, denn in meinem Zimmer hatte ich es nicht mehr an. Dabei hätte ich schwören können, am Bach hatte ich es noch.

Morgens schmerzte mein Kiefer noch etwas und mein Hals brannte, als ob ich Säure getrunken hätte. Als ich den Blutgeschmack im Mund wahrnahm, rannte ich ins Bad und putzte wie eine Irre die Zähne. Synchron dazu zog sich mein Darm schmerzhaft zusammen und ich bekam Hunger bei dem Gedanken an das Blut. Sie können sich vielleicht schwach vorstellen, welches Entsetzen das bei mir auslöste. Wurde aus mir ein Monster?

Allein Tobi störte meine Blässe am Frühstückstisch nicht. Er erzählte mit der Begeisterung eines 12-jährigen, dass die Nachbarn ihren Pit-Bull mit zerfetzter Kehle im Garten gefunden hatten. In mir stritten Angst, wachsender Hunger und Übelkeit um die Vorherrschaft, als ich schnell aufstand, meine Schultasche nahm und, eine Entschuldigung murmelnd aus dem Haus rannte.

Was hatte ich in dieser Nacht noch alles angestellt?

In der Schule wurde ich kurzfristig abgelenkt. Am Ende der monatlichen Feuerwehrübung stand ich neben einem Mitschüler auf dem Schulhof und starrte seine klopfende Halsschlagader an. Der Hunger, den ich morgens empfunden hatte, meldete sich mit aller Macht und ich meinte schon, den süßen Geschmack zu kosten. Ich bekam Panik, dachte an die Nacht, und dass der Wahn mich nun ganz im Griff haben musste.

„Denk nicht einmal daran, das macht Dich krank. Komm mit.“ Hinter mir stand ein Mann, dessen Gesicht mir vage bekannt vorkam. Er hatte kurzes schwarzes Haar und grüne Augen. Er nahm meine Schultasche von meiner Schulter und ging. Ich konnte nicht anders, als ihm folgen. Mein Verstand sagte mir, ich müsse auch, da er ja meine Tasche hatte, aber der Rest von mir versank in Angst. Meine Beine bewegten sich ganz alleine, wie unter einem unsichtbaren Zwang.

Er führte mich in ein Restaurant und bestellte „ Zweimal Steak und Leber wie immer.“ Er schwieg bis das Essen kam und sah mich nur an. Ich konnte weder aufstehen und gehen, noch konnte ich etwas sagen. Ich war in meinem eigenen Körper gefangen.

Sie sehen also, ich kenne das Gefühl, in dem Sie sich derzeit befinden und ich versichere Ihnen, es geht vorbei.

Das Essen kam und als ich das Fleisch anschnitt, kamen Saft und Blut geflossen. Schon der erste Bissen war purer Genuss. Noch vor Wochen hätte sich mir dabei der Magen umgedreht. Jetzt aber bewunderte ich den Geschmack und die Zartheit des Fleisches. Es war köstlich. Als ich meinen Teller leer hatte, schob er mir wortlos den seinen hin, den er nicht angerührt hatte. Er hatte mich einfach weiter wortlos beobachtet. Auch seinen Teller leerte ich mit Genuss. Der Hunger war besiegt.

„Du bist eine Jägerin. Wenn Du nicht weiter weißt, komm zu mir.“ Mit diesen Worten legte er mir seine Visitenkarte hin, zahlte und ging.

„ Martin Raven – Unternehmensberater“

las ich.

Gedankenverloren steckte ich die Karte ein und ging nach Hause. Wenn sich der Hunger so leicht beherrschen ließ, konnte ich damit leben. Dachte ich. Doch das erwies sich als blinde Hoffnung.

Der nächste Vollmond kostete einem Reh das Leben.

So kam es zu jenem verhängnisvollen Abend. Ich war mit meiner Mutter alleine, als der Hunger kam. Was konnte ich tun? Einfach vor ihren Augen in den Wald rennen war unmöglich. Was sollte ich ihr da erzählen. Etwa die Wahrheit?

Ich wusste mir nur einen Ausweg. Im Kühlschrank lag frischer Gulasch für das morgige Mittagessen. Ich öffnete den Kühlschrank, nahm ein Stück Fleisch heraus und biss zufrieden hinein, als ich entsetzt die Luft anhielt.

„Vor diesem Tag hatte ich Angst.“ Meine Mutter war mir leise gefolgt und stand in der Küchentüre. „Ich kann Dir dazu nichts sagen, das kann nur Dein Vater. Du musst zu ihm gehen, ich regele hier alles für Dich, aber ich bitte Dich, geh noch heute Nacht.“ Sie gab mir eine Visitenkarte. “Leb wohl meine kleine Jägerin.“ Das waren die letzten Worte, die ich von meiner Mutter hörte. Auf der Karte stand

„Martin Raven – Unternehmensberater.“

Ich ging noch in derselben Nacht zu ihm. Hört was er mir gesagt hat:

Wir sind das, was Ihr Vampire nennt. Wir bevorzugen den Begriff des Jägers. Unsere Art ist viel älter als die der Menschen. Eure Art ist als eine Mutation aus der Art der Jäger hervorgegangen. Wir jagen keine Menschen, denn durch diese Mutation enthält Euer Blut einen Stoff, der uns in die Sucht und in den Wahnsinn treibt. Es gibt ein paar wenige, die dem verfallen sind, wie manche unter Euch dem Alkohol, aber glaubt mir, auch wir wollen sie ausschalten, denn sie gefährden unsere Art. Wir haben alles getan um nicht aufzufallen. Wir selbst haben Gerüchte in die Welt gesetzt, man könne und mit gesegnetem Wasser, Silber, Kreuzen oder Knoblauch töten oder zumindest vertreiben. Das hat Eure Art für Jahrhunderte beschäftigt und von uns abgelenkt, so dass wir friedlich zusammen existieren konnten. Nun glaubt niemand mehr daran und wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen. Ich bezweifle jedoch, dass die neueste Idee, glitzern bei Tageslicht funktionieren soll.

Wie auch immer. Mein Vater, ich und einige der Ältesten sind der Meinung, es helfe nur noch die Wahrheit. Dazu habe ich Ihnen meine Geschichte erzählt, in der Hoffnung, dass Sie sie verstehen.

Maren Schaefer - Von Holzpuppen und echten Menschen

 

 

Reichbach war ein schäbiges kleines Dorf. Es strafte seinen Namen Lügen, denn der Bach, von dem die Rede war, war nur ein verkümmertes kleines Band braunen Wassers, das sich in Schrittgeschwindigkeit durch die sumpfige Landschaft zog.

Unter dem grauen Himmel wirkten die kleinen Holzhütten mickrig und geduckt, als fürchteten sie, dass die schweren Wolken auf sie herabstürzen würden. Ebenso wirkten die wenigen Menschen, die über die schlammigen Straßen schlichen. Gekrümmte, dunkle Gestalten.

In den hohen Gräsern rund um das Dorf herum lauerten bereits die Schatten des herauf dämmernden Abends, als die beiden Reiter den Ort erreichten.

Der Vordere der beiden trug einen langen dunklen Mantel, unter dem das Gesicht nicht zu erkennen war, der Hintere war ein hochgewachsener Mann mit kurzem, blondem Haar in grauer, schlichter Kleidung.

Die Bewohner Reichbachs verschwanden in ihren Hütten, spähten ängstlich durch die Ritzen der schlecht eingepassten Türen. Die beiden Reiter hielten auf dem runden Dorfplatz, der Schlamm spritzte von den Hufen der Pferde und der Atem stieg in dampfenden Wolken von ihren Nüstern. Mit dem drohenden Abend zog eine frostige Kälte herauf, die wie der Atem eines Toten neblig über den Boden kroch.

Endlich erschien der Dorfälteste vor den beiden Neuankömmlingen. Es war ein zittriger, alter Mann, dem die Last seiner Jahre den Rücken gebeugt hatte. Sein linkes Auge starrte milchig blind zu den Reitern empor, das Rechte war von einem vorsichtigen Braun.

„Wir suchen keinen Ärger, Fremde.“ Seine Stimme kratzte unangenehm, man konnte den Schleim in seinen Lungen hören, während er sprach. „Was wollt Ihr?“

Der vordere Reiter schlug die Kapuze zurück und offenbarte das Gesicht einer Frau mittleren Alters mit langen, schwarzen Haaren. Sie hatte kantige, dürre Gesichtszüge, auf ihrer rechten Wange prangte ein Brandmal in Form eines Rades. „Wir suchen nach dem Kloster Reichbach. Wenn Ihr uns den Weg zeigt, werden wir Euch nicht weiter behelligen.“

Der Mann erkannte das Mal auf ihrer Wange und schlug schnell das heilige Zeichen des Rades. „Ihr seid die Inquisitorin, nicht wahr? Das Kloster liegt ein Stück nördlich im Wald, Ihr könnt es nicht verfehlen, wenn Ihr der Straße folgt. Und möge Gott mit Euch sein, tötet diesen Dämon, der die guten Brüder heimsucht.“

Die Frau nickte nur und trieb ihr Pferd wieder an. Der keuchende Husten des Alten verfolgte die beiden Reiter, als sie das Dorf hinter sich ließen. Bald schon krochen die Schatten aus ihren Verstecken und der graue Himmel färbte sich langsam schwarz, wie ein Stück verkohltes Pergament. Es war noch lange nicht Nacht, doch die Sonne zeigte sich nicht oft in dieser Gegend, war stets gut hinter der Wolkendecke versteckt, die wie ein dunkles Leichentuch über der Welt hing.

Die Reiter erreichten den Wald und bald schon sahen sie die kleinen, verrußten Lichter des Klosters zwischen den dürren Stämmen der Bäume flackern.

Das Kloster bestand aus mehreren Gebäuden, das größte war die Kirche, deren Holzwände morsch und schlecht verbaut aussahen. Der dumpfe, düstere Gesang der Mönche drang aus dem heiligen Gebäude wie eine Warnung. Die beiden Reiter stiegen ab und warteten neben ihren Pferden im Hof hinter dem kläglichen Palisadenzaun, der das Kloster mehr schlecht als recht vor größeren Waldtieren schützte.

Als die Mönche ihre Gebete gesprochen hatten, fielen gerade ein paar kränklich blasse Sonnenstrahlen durch ein paar Löcher in den Wolken und tauchten den Schlamm und das Holz in kaltes Licht.

Beschienen durch diese Lichtsäulen traten die Mönche in ihren dunklen Kutten auf den Hof hinaus und entdeckten die Reiter. Der erste ihrer kleinen Prozession trug ein silbernes Rad um den Hals, was ihn als Vorsteher des Klosters auszeichnete. Es war ein dürrer, älterer Mann, in dessen schütterem, schwarzem Haar die ersten grauen Strähnen wie Spinnweben hingen. „Wir haben Euer Kommen bereits erwartet.“ Er war vor der Inquisitorin stehen geblieben, die Hände in den weiten Ärmeln seiner Kutte verborgen. „Ich bin Bruder Georg, Prior dieses Klosters.“

„Adela von Düsterwald“, die dunkelhaarige Frau deutete auf ihren Begleiter. „Das ist Philip, mein Diener.“

Der Mönch nickte einmal knapp. „Wünscht Ihr, Euch zuerst auszuruhen, bevor Ihr mit Eurer Arbeit beginnt?“

„Stellt nur unsere Pferde sicher unter. Mein Diener und ich sind bereit.“

Wieder nickte der Mönch, langsamer diesmal und seine grauen Augen glitten kurz misstrauisch über den hochgewachsenen Blonden hinter Adela. „Dann folgt mir.“

Ein junger Mönch mit zittrigen, kalten Fingern nahm den beiden die Pferde ab und die Inquisitoren folgten dem Prior.

„Es geschah vor einer Woche“, erzählte er und seine Stimme verlor sich beinahe im auffrischenden Wind, der jaulend durch die Ritzen im Holz der Gebäude fuhr. „Sein Name war Bruder Johannes. Wir fanden ihn vor der Bibliothek.“

Sie umrundeten ein geducktes, zusammengekauertes Gebäude, aus dem die murmelnden Stimmen mehrere Männer drangen. Vor ihnen erhob sich plötzlich ein Turm, dessen Kuppe über die Baumwipfel ragte. Die Wolkendecke hatte sich wieder geschlossen und nur ein paar Fackeln vor dem schweren Eingangsportal des Turmes spendeten etwas Licht. Die Schatten tanzten über perfekt ineinandergefügte Steinquader und glitten über zerbrochene Fenster aus kostbarem Glas.

„Eine Festung der alten Götter?“, fragte Adela überrascht.

Der Prior verzog angeekelt das Gesicht und seine braunen Zähne wurden sichtbar, als er die Oberlippe hob. „Nur Ketzer nennen sie so. Ich hatte Euch für gebildeter gehalten, Inquisitorin Düsterwald.“

„Was denkt Ihr, dass es ist, Prior? Ich komme bei all den verschiedenen Religionen nicht mehr hinterher, was nun richtig oder falsch ist.“

„Für eine Inquisitorin habt Ihr eine recht ketzerische Zunge“, zischte der Mönch.

Adela verzog die dünnen Lippen zu einem kargen Lächeln. „Ich bin Inquisitorin. Ich töte Hexen und Monster. Mir ist es egal, ob Ihr denkt, dass die Ruinen von Göttern, Teufeln oder von mir aus von Kaninchen erbaut wurden. Solange sie niemanden umbringen, interessieren sie mich nicht.“

Der Mönch schnaubte durch seine große Nase und ging weiter. „Nach Eurem Tod werdet Ihr schon sehen, wer Recht hatte.“

Adela sparte sich eine Antwort und legte den Kopf in den Nacken, um die Spitze des Turms zu sehen. „Er ist beschädigt“, stellte sie fest.

„Die obersten Stockwerke sind nicht mehr zu betreten“, brummte der Prior und blieb vor dem Eingang stehen. „Im Erdgeschoss befand sich unsere Sammlung. Wir besitzen fünfzehn Bücher und damit die größte Sammlung im Hinterland. Momentan jedoch lagern die Bücher in der Halle. Der Turm ist einsturzgefährdet.“

Adela sah sich um. In der Nähe konnte sie die angespitzten Pfähle der Palisade sehen, wie Zähne, die aus dem Boden ragten. Dahinter die im Wind zitternden, gekrümmten Bäume. „Hier ist es also passiert?“

„Ja.“ Der Prior deutete mit einem dürren Finger auf den Boden vor Philips Füßen. „Genau dort lag Bruder Johannes.“

„Wer hat ihn gefunden?“