Unerwartete Gäste - Von Werwölfen und anderen Gestaltwandlern Band 2 - Hermann Schladt (Hrsg) - E-Book

Unerwartete Gäste - Von Werwölfen und anderen Gestaltwandlern Band 2 E-Book

Hermann Schladt (Hrsg)

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Beschreibung

“Von Werwölfen und anderen Gestaltwandlern” ist der zehnte und bisher erfolgreichste Story-Wettbewerb des vss-verlags. Und das nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Sicht.
In diesem zweiten Anthologieband zum Wettbewerb präsentieren wir neun Autorinnen und Autoren, sowohl erfahrene Schriftsteller mit bereits zahlreichen Veröffentlichungen, wie auch talentierte Newcommer, die hier ihr Debut vorstellen.

Die Storys dieses Bandes:

Elisa Bergmann – Es ist ein Band von meinem Herzen
Heike Pauckner – Mörder am Fluss
Patricia Strunk – Zimmer 26
Hagen van Beeck – Ein Vampirmädchen namens Rosalie
Volker Wittmann – Landung auf Kepler 186f
Wanda Wälich – Roter Schnee
Philip C. Kasten – Blutmond über dem Ebertal
Marcus Watolla – Clan der Zigeuner
Paul Sanker -Unerwartete Gäste

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Veröffentlichungsjahr: 2015

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Hermann Schladt (Hrsg)

Unerwartete Gäste - Von Werwölfen und anderen Gestaltwandlern Band 2

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Vorspann

Düstere Welten – Band 9

Hermann Schladt – Unerwartete Gäste – Von Werwölfen und anderen Gestaltwandlern, Band 2

1. eBook-Auflage – April 2015

© vss-verlag Hermann Schladt

Titelbild: Lothar Bauer

Lektorat: Hermann Schladt

 

 

Hermann Schladt (Hrsg.)

 

Von Werwölfen und anderen Gestaltwandlern

 

Anthologie zum Story-Wettbewerb des vss-verlag

 

Band 2

 

Unerwartete Gäste

Vorwort

“Von Werwölfen und anderen Gestaltwandlern” ist der zehnte und bisher erfolgreichste Story-Wettbewerb des vss-verlags. Und das nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Sicht.

So sah sich die Jury vor die Mammutaufgabe gestellt, 118 Beiträge bewerten zu müssen. Die meisten trafen erst kurz vor Einsendeschluss ein; viele bewegten sich in ihrer Länge am vorgegebenen Limit. Kein Wunder, dass es fast ein halbes Jahr gedauert hat, bis endlich das Ergebnis verkündet werden konnte.

Und zu den zehn platzierten Storys wurde weitere vierzig Geschichten für würdig befunden, in der Anthologie – besser gesagt in den Anthologien – veröffentlicht zu werden. Ein Beitrag wurde leider vom Autor zurückgezogen, sodass in den fünf Anthologiebänden jetzt 49 Kurzgeschichten veröffentlicht werden.

Wenn man auf das Teilnehmerfeld schaut, ergibt sich ein sehr buntes Bild. Alle „Altersklassen“ sind vertreten, von ganz jungen Autorinnen und Autoren, bis hin zu lebenserfahrenen älteren Schriftstellern und Schriftstellerinnen. Für etliche ist die Story in diesen Bänden ihre erste Veröffentlichung, andere haben eine Bibliografie, deren Umfang schon fast die Länge eine Shortstory erreicht.

Und ich bin sicher und hoffe von ganzem Herzen, das auch in diesen Anthologien wieder der ein oder andere Name auftaucht, der in der Zukunft einen guten Klang in der deutschsprachigen Literaturszene erlangen wird.

In diesem Sinne nochmals ein herzliches Dankeschön an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer an unseren Wettbewerb, und alles Gute und viel Erfolg beim künftigen Schreiben.

Hermann Schladt

Herausgeber

Die Top-Ten des Wettbewerbs

1. Melanie Brosowski In ihrem Bann

2. Daniel Huster Die letzten Gesichter

3. Karin Jirsak * H *

4. Heike Pauckner Mörder am Fluss

5. Holger W. Jörg Die Geschichte vom Wolfstöter

6. Corinne Hocke Die Farbe der Unschuld

7 Matthias Bäßler Der Ruf des Wendigo

8 Carola Ruder Nachts

9 Nora Spiegel Das Seehundfell

10 Rahel Meister Hungrig

Und hier die neunuddreißg Storys, die ebenfalls veröffentlicht werden:

Schirin Abomaali Der sterbende Wolf

Leonie Arnold Ben

Elisa Bergmann Es ist ein Band von meinem Herzen

Thomas Bilicki Das Tier in mir

Kathrin Breimeier & Sophie Großmann Der Weihnachtsstern

Norbert Faulhaber Terror auf dem Campus

Katharina Glas Agonie

Caroline Gützer Streuner

Ernst-Diedrich Habel Werwölfe im Harz

Andreas Haider Hell in Purgatory City

Bianca Heidelberg Die Füchsin

Marina Heidrich G2 Alpha

Klaus Held Das rauchlose Feuer

Jessica Iser Wolfstod

Philip C. Kasten Blutmond über dem Ebertal

Monika Klein Hallo Fetty

Kerstin Kramer Valeria

Doris Krüger Seelenwechsler

Barbara Ulrike Laimer Einsatz auf CeBaRem

Violetta Leiker Wer einmal lügt

Manfred H. Lipp Feuersturm

Katharina Lohmann Zyklus

Katharina Ludwig Mitena – Das Schattenkind

Gabriel Maier Die Wolfsfalle

Tanja Rosenbaum Schimmer

Paul Sanker Unerwartete Gäste

Maren Schaefer Von Holzpuppen und anderen Menschen

Erik Schreiber Werwolf

Martin Spiegelberg Schwein ist mein ganzes Herz

Ylva Spörle Gerufen

Katharina Stein Erwachender Instinkt

Patricia Strunk Zimmer 26

Björn Sünder Abdrücke

Hagen van Beeck Ein Vampirmädchen Namens Rosalie

Bianca Volz Schattenwein

Wanda Wälich Roter Schnee

Elisa Bergmann - Es ist ein Band von meinem Herzen

Leise fluchend humpele ich durch die Dunkelheit. Ich werde einfach zu alt für diese Späßchen. Wenige Minuten vorher, hatte ich mich mühevoll an der Mauer des kleinen Parks hinaufgezogen und war dann wie ein nasser Sack auf der anderen Seite hinunter geplumpst. Das hatte ein aufgerissenes Hosenbein und einen verstauchten Knöchel zur Folge gehabt. Warum konnte es nie ein bisschen einfacher laufen? Als ich mit dem Schuh gegen eine Wurzel stoße, schreie ich beinahe laut auf vor Schmerz, kann es mich dann aber gerade so beherrschen… denn ich bin vielleicht ein alter Tollpatsch, aber dumm bin ich nicht! Auch wenn es vielleicht gerade nicht so danach aussieht. Denn wer bricht schon freiwillig in finsterer, kalter Nacht in den gut bewachten Schlosspark der Fürstenfamilie ein?

Naja, jedenfalls habe ich nun beinahe mein Ziel erreicht. Als ich es leise plätschern höre, suche ich mir einen großen Busch und beginne mich auszuziehen. Sofort überzieht sich mein Körper mit einer Gänsehaut und meine Zähne klappern. Was für eine Schweinekälte, hoffentlich lohnt sich die ganze Mühe!

Ich knülle meine Kleider zu einem festen Bündel zusammen und stopfe sie unter einen der Rhododendronbüsche, die hier überall wachsen. Ich will gerade aus meine Deckung verlassen, da taucht ein Licht zwischen den Bäumen auf, und sofort lasse ich mich zu Boden fallen.

Der alte Parkwächter kommt den Weg entlang geschlendert. Gemächlich dreht er seine Runden, summt leise vor sich hin und raucht dabei ein Pfeifchen. Langsam geht er an dem Gebüsch vorbei, hinter dem ich im kalten Matsch liege und meine Beine vor Kälte nicht mehr spüren kann. Verdammt, kann sich der Opa nicht ein bisschen beeilen?

Nach einer gefühlten Ewigkeit verschwinden Wächter und Licht wieder zwischen den Bäumen und ich stehe vorsichtig auf. Meine Gelenke knacken und meine Knie tun weh, ja, ich werde definitiv zu alt für den Job!

Müde und unterkühlt schleppe ich mich auf eine kleine Lichtung auf der ein kleines, Wasserbecken angelegt wurde. Ich betrachte die blühenden Seerosen im hellen Mondeslicht. Perfekt, Seerosen sorgen für die richtige Stimmung und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass das Mädchen bald wieder zum See kommt. Ich sehe auch mein eigenes Gesicht blass im Wasser schwimmen. Meine Schläfen sind grau geworden und mein einst so volles Haar hat sich im Laufe der Zeit ziemlich gelichtet. Ich seufze. Jedes Mal sage ich mir, dass es das letzte Mal ist, und jedes Mal stelle ich fest, dass ich dieses Leben einfach nicht aushalte und fliehe. Nur um dann bald wieder Geld zu brauchen und dann mache ich mich erneut auf die Jagd.

Ich setze mich auf den Rand des Brunnens und lasse mich ins Wasser gleiten. Eiskalte Brühe umfängt mich, und sobald ich den Grund erreiche, spüre ich den Schlamm zwischen meinen Zehen. Bibbernd stehe ich nun im Schlossteich. Und es ist nicht nur die Kälte die mich zum Zittern bringt. Ich habe Angst. Denn jetzt kommt der Schlimmste Teil an der ganzen Sache. Egal, Augen zu und durch. Ich habe das hier schließlich schon etliche Male gemacht.

Und dann schließe ich tatsächlich die Augen und konzentriere mich. Zunächst höre ich noch leise den Wind in den Bäumen rascheln, dann schließe ich auch dieses letzte Geräusch aus und höre nur noch meinen eigenen Herzschlag. Und dann beginnt es. Zuerst ist es so als würde sich meine gesamte Haut mit dem Schlamm aus dem Tümpel überziehen. Kalt und weich, und eigenartig riechend. Dann beginnt das Ziehen. Zunächst gar nicht so unangenehm, ein bisschen so, als würde man sich nach einem langen Nickerchen strecken. Tatsächlich passiert aber genau das Gegenteil. Und dann wird es schmerzhaft, so richtig schmerzhaft! Es ist als würde mir jeder Knochen im Leib gebrochen werden. Meine Muskeln brennen wie Feuer und meine Innereien scheinen sich zu verflüssigen. Und genau in dem Moment, in dem ich glaube, dass ich es nicht mehr aushalte und einfach sterben werde, weil mein Herz zerspringt, hört es plötzlich wieder auf. Und dann sitze ich, ein kleines, hässliches Etwas am Grund des Teiches und muss mich von der qualvollen Anstrengung erholen.

Heike Pauckner - Mörder am Fluss

Prolog

Sie schrie nicht mehr, so als hätte ihr Körper die Sinnlosigkeit dieses Tuns erkannt. Sie würde sterben, egal, was sie tat. Blut tränkte ihre Kleider und die Furchen zwischen dem Kopfsteinpflaster auf dem sie lag. Arme und Beine waren verrenkt weil sie wie ein Puppe gegen die Hauswand geschleudert worden war. Hätte sie nicht Schmerzen empfinden müssen und Angst, ganz schreckliche Angst? Aber da war nichts, höchstens ein kurzes Erstaunen. Der Schatten über ihr hieb auf sie ein. Wo war das Licht, der Tunnel mit dem Licht an dessen Ende, das was man sah, wenn man ging? Ihre Augen spähten in die Nacht, in den Himmel, in das flackernde Licht der Gaslaterne, das sich milchig durch den feinen Schleier eines Nieselregens quälte. Da war nichts! Nichts! Sie stöhnte, spürte Schwindel und Übelkeit und dann, ganz plötzlich war der Schmerz da. Wie ein schwerer Stein drückte er sie nieder. Nun musste sie schreien, aber Blut quoll aus ihrem Mund und erstickte sie. In einem letzten Versuch hob sie den Kopf, dann sank sie zurück auf das Pflaster und als sich ihre Augen schlossen, da heulte der Schatten triumphierend auf.

Finnlan

Der Morgen kam und ließ die Dunkelheit der Nacht hinter sich. Er tauchte die schmale Straße in ein mildes Licht, das den Verfall der Häuser ringsherum gnädig kaschierte. Tau glitzerte auf dem Unkraut, das den Bordstein säumte und ein kalter Windhauch ließ den nahen Herbst erahnen.

Hundegebell unterbrach die morgendliche Stille und kaum hatte es jemand zur Ruhe gebracht, waren schwere Schritte auf dem Kopfsteinpflaster zu hören. Ein Mann kam die Straße entlang, zog einen Karren hinter sich her, blieb hier stehen und dort, inspizierte die Regentonnen und den Morast zu seinen Füßen. Er zog einen tote Ratte aus der Straßenrinne und warf sie in hohem Bogen auf den Karren hinter sich. Sie gesellte sich zu weiteren Kadavern. Pfeifend setzte der Mann seinen Weg fort.

Zwei Dienstmädchen mit Hauben auf ihren Köpfen und Körbe an sich gedrückt, huschten aus einem Souterrain hervor. Tücher waren um ihre Schultern geschlungen und bis zum Gesicht hochgezogen, so als wollten sie sich darin verstecken. Ihre Blicke waren unstet, als sie hastig die Straße überquerten und wenn sie sprachen, so flüsterten sie nur, so als wollten sie nicht auffallen.

Eine Gruppe Bergarbeiter mit schweren Stiefeln hämmerte ein Stakkato auf den Boden. Selbst sie wirkten verstockt, als wäre etwas geschehen, als wären sie und ihren gestählten Körper kein Wall gegen das Unheil. Die Menschen in ihren Häusern schienen sich verkrochen zu haben. Nirgendwo stand ein Fenster offen oder gar eine Tür.

Eine Droschke hielt ein Stück entfernt unter einer Gaslaterne. Der Kutscher klopfte mit dem Stil seiner Peitsche gegen das Wagendach. Die Tür wurde geöffnet und zwei Männer stiegen aus. Der eine klein und schmächtig, mit fliehendem Kinn, dünnem Haar und fadem Anzug, der andere passte kaum durch die Tür, mühte sich und sein Gewicht die zwei Stufen herab und schaute missbilligend auf den Dreck in den er zwangsläufig treten musste. Sein Haar war noch dunkel, aber erste grauen Strähnen durchzogen es. Das Gesicht wurde von fleischigen Lippen beherrscht. Seine Kleidung zeugte von Geld. Nicht selbstverdient, wie der schmächtige Mann wusste, sondern einer Erbschaft zu verdanken und der frühen Morgenstunde geschuldet und des abrupten Endes der Nachtruhe, war die Weste des feisten Mannes schief zugeknöpft. Der Schmächtige unterließ es ihn darauf hinzuweisen.

„Herrgott nochmal! Kann sich dieser widerliche Mörder nicht mal eine andere Gegend aussuchen? Müssen es immer diese Dreckslöcher sein, Barclay?“, knurrte der feiste Mann. „Wo ist es? Lassen sie uns die Sache schnell erledigen. Ich habe kaum geschlafen und ich weiß beim besten Willen nicht, was ich hier soll.“

„Ja, Sir, ähem, nein ich meine, nein, Sir, Mr. Finnlan. Er, also der Mörder, er schlägt immer in der Nähe des Flusses zu, also deswegen nennen sie ihn den Flussmörder.“

Finnlan drehte sich zu Barclay um. „Ehrlich? So schnell haben sie ihm schon einen Namen verpasst? Diese verdammten Schmierfinken. Immer dasselbe mit den billigen Schreiberlingen. Eine Story oh ja, irgendetwas, das man schön ausschlachten kann. Sie sollten sich einmal wahre Zeitungen zu Gemüte führen, Barclay, und nicht immer diesen Dreck lesen. Also, wo lang?“

„Hier entlang.“ Barclay deutete auf einen schmalen Streifen zwischen zwei Häusern. Vielleicht war das einmal eine Gasse gewesen, doch die Häuser neigten sich zueinander, so als hätte der Boden unter ihnen nachgegeben. Das letzte bisschen Raum nahmen Holzsparren und Kisten ein, die jemand dort gestapelt hatte.

Finnlan blickte ihn an, als wäre er von allen guten Geistern verlassen, dann sah er an sich herab.

Barclay wurde blass. „Wir können, also wir können auch außen herum, wenn sie meinen, aber …. es ist nicht besser da, nicht wirklich besser ...“

Finnlan schaute zum Himmel hinauf, schnaufte gottergeben, während er den Bauch einzog und zwischen den Häusern verschwand. Sofort rückten die Wände auf ihn zu. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Er überlegte was geschehen würde, wenn er steckenblieb und herausgeholt werden musste, wie ein Hund, der in einem Kaninchenbau festsaß. Eine Windböe suchte sich ihren Weg zu ihm und brachte einen süßlichen Geruch mit sich. Feuchtigkeit schien seine Beine hochzukriechen.

„Verdammt!“, murrte er und beschleunigte seine Schritte, gerade so, dass Barclay nicht merkte, dass er einen ersten Anflug von Panik unterdrückte. Die Wände schienen immer enger zu rücken. Er schrammte an einer entlang und hatte das Gefühl, als würden sie ihn zerquetschen wollen. Doch dann trat er heraus auf einen Platz, von dem sternförmig ebenfalls schmale Gassen, gesäumt von altersschwachen Häusern abgingen, keine besser, als die, die er gerade verlassen hatte. Trotzdem flutete ihn Erleichterung und er versuchte den Gedanken an den Rückweg zu vermeiden.

Der Platz beherbergte eine Vielzahl Polizisten, die zum Teil eine kleine Meute Menschen zurückhielten, die ihren Weg hierher gefunden hatten. Sie alle versuchten tuschelnd einen Blick zu erhaschen auf das, was mit einem weißen Laken abgedeckt war. Dunkle Flecken eroberten es mehr und mehr.

„Ah, Finnlan!“ Ein Mann trat an ihn heran. Dunkler Anzug, militärischer Schnurrbart. Brandon Dickens, ein der besten Polizisten der Stadt. Er tippte gegen seinen Bowler. „Ich bin erfreut, dass sie so schnell erscheinen konnten. Viel länger hätten wir nicht warten können. Auch wenn es hier verdammt eng ist, hier kommen reichlich Leute vorbei und wir müssen den Platz zügig räumen, sonst haben wir hier eine Panik, die niemand will.“

Finnlan runzelte die Stirn. „Ich freue mich durchaus von Ihnen zu hören, Dickens, aber warum jagen sie mich aus meinem Bett? Was wollen sie von mir?“ Abweisend klang seine Stimme. Er hatte den Dienst vor gut drei Jahren quittiert, als Emily ermordet wurde. Als er ihren blutenden Körper an sich gedrückt hatte, hatte er verstanden, dass er gehen musste. Es war seine Arbeit gewesen, die sie umgebracht hatte, sein Erfolg den Mörder der Sieben gefunden und dingfest gemacht zu haben. Was er damals nicht wusste, es waren zwei gewesen, zwei Brüder die sich an den toten Körpern von schönen, blonden, püppchenhaften Frauen ergötzt hatten. Dieser Fehler kostete Emily aus Rache das Leben und der Bruder, der, der seine Frau ermordet hatte, Martin Helton, kam mit nicht vielmehr davon, als dass man ihn in eine psychiatrische Klinik sperrte, denn beweisen konnte man ihm nichts und der Mörder war offiziell gefasst. Nur Finnlan wusste es, hatte die Zusammenhänge erkannt. Nur da war es schon zu spät gewesen. Die Helton-Familie war reich an Einfluss und man sorgte dafür, dass weder der Mörder Theodore noch der verrückte Martin je wieder erwähnt wurde. Irgendwann, vor nicht allzu langer Zeit, hatte ein Informant aus seinen alten Polizei-Tagen Finnlan gesteckt, dass Martin gestorben war, doch nichts brachte Finnlan je wieder zur Ruhe.

Aus Dickens wettergegerbten Gesicht verschwand der freundliche Blick, als er ernst wurde und auf das Laken deutete. „Wir haben sie vor zwei Stunden gefunden. Sie dürfte das vierte Opfer sein.“ Er zückte seinen Notizblock. „Susan Parker, 19 Jahre, Zugehfrau bei einer Mrs. Morley. Die gute litt unter Schlafstörungen und hat Parker gestern Abend noch zum Apotheker geschickt. Als sie dann nicht zurückkam, hat sich die alte Dame doch Sorgen gemacht und uns einen Laufburschen geschickt. Gefunden wurde Parker von einem Peter Ball, dem Kneipenbesitzer des Little Lion unten in der Brewster Street.“

Finnlan trat an das Tuch heran, drehte seinen Körper so zur Menschenansammlung, dass er ihren Blick versperrte und ging ächzend in die Hocke. Er hob das Laken an und wie immer, noch nach all den Jahren, stieg ein Würgereiz in ihm nach oben. Nur mühsam beherrschte er ihn.

Die Haare des Mädchens mochten einst blond gewesen sein, aber nun waren sie dunkel von Blut. Die Augenhöhlen starrten leer in den Himmel. Aus der Wange war ein Stück herausgebissen worden. Die Brüder hatten vor nichts zurückgeschreckt, hatten sogar Teile der Frauen verspeist. Er hob das Laken weiter an und da waren sie, die Zeichen, die die Brüder genutzt hatten. Blutige Kreuze verunzierten die nackte Haut oberhalb der Brüste, an den Armen und Beinen. Der untere Korpus war als solcher kaum noch zu erkennen. Zermanscht und blutig, dass Innere nach außen gestreut erinnerte er an ein Schlachtfest.

„Es ist wie damals, nicht wahr?“ fragte Dickens gedämpft „Und doch auch wieder nicht. Die Zeichen, die Augen, das passt, aber dieses Ausweiden … und haben sie die Schlammflecken neben der Leiche bemerkt? Fußspuren vielleicht? Ich kann mir keinen Reim darauf machen …“

„Es ist nicht möglich!“, Finnlans Stimme zitterte. Wut und Verzweiflung streiften seinen Blick. „Die Brüder sind beide tot! Den einen sah ich persönlich sterben, der andere, so versicherte man mir, weilt auch nicht mehr unter uns.“

„Das stimmt!“ Dickens steckte sich eine Zigarre an und Zweifel stand für einen kurzen Moment im Gesicht. Nur war es nicht der Zweifel an dem Geschehenen. Etwas anderes steckte noch dahinter.

„Was ist?“ Finnlan erhob sich mühsam. „Sie sind fähig, Dickens. Sie lassen mich nicht kommen, um Ihnen zu sagen, was sie sowieso schon wissen, also?“

Dickens griff in seine Jackentasche. „Es wird Ihnen nicht gefallen, mein Freund, aber das ist, warum ich sie habe rufen lassen“. In seiner Hand ruhte ein Taschentuch. Blut hatte auch dieses getränkt. Vorsichtig öffnete Dickens es. Matt glänzend lag dort ein Ring mit einem Smaragd und umliegenden Diamanten. Klein war dieser Ring, nichtssagend vielleicht für den Unbeteiligten, doch Finnlan hatte das Gefühl, als würde ihn jegliche Luft aus den Lungen gepresst.

„Das … das kann nicht sein!“ Er wollte nach dem Ring greifen, doch Dickens zog die Hand weg und ließ den Ring wieder in seiner Tasche verschwinden.

„Es ist das, was ich denke, nicht wahr?“, fragte Dickens gedämpft. Finnlan nickte, taumelte leicht und wischte sich kalten Schweiß von der Stirn.

„Sir! Ist Ihnen nicht gut, Mr. Finnlan?“ Barclay huschte heran einen besorgten Ausdruck im Gesicht.

„Es … es geht schon wieder!“ Finnlan richtete sich auf, holte ein paarmal tief Luft und seine Gedanken gingen zurück in die Zeit, als er den Mörder gejagt hatte. Theodore hatte die Mädchen nicht nur missbraucht, gefoltert, verstümmelt, gegessen, er hatte ihnen ein Kleinod genommen und es dem nächsten Mädchen in die Tasche gesteckt oder umgehängt, wohl als Geschenk. Ein Ring, eine Kette, vielleicht auch nur ein besticktes Tüchlein. Jede Frau hatte etwas, an dem ihr Herz hing. Emily hatte an diesem Ring gehangen, ihrem Verlobungsring, den er ihr als junger Mann gekauft hatte. Der Mörder hatte ihr den Finger abgeschnitten und der Ring blieb verschwunden – bis heute!

„Sind wir wirklich sicher, dass er tot ist?“, flüsterte Finnlan. Sein Blick schweifte in die Menge, dann wechselte seine Gesichtsfarbe und ganz plötzlich, ohne das Barclay oder Dickens mehr als nur überrascht schauen konnten, wuchtete Finnlan seinen Körper auf die Meute zu, die schon einen beachtlichen Umfang angenommen hatte.

„Hier gibt es nichts zu sehen, absolut gar nichts!“, schrie er die Leute an. Eine Ader pochte an seinem Hals. „Verschwindet, ALLE, auf der Stelle!“ Und als sich Gemurre breit machte und kaum Bewegung in die Menge kam, da packte er ein blondes und ausgesprochen hübsches Mädchen an den Arm und zog sie zu sich heran. Nun schrien ein paar Leute auf und eine Woge ging durch die Gruppe.

„Was meinen Sie wohl, Teuerste“, flüsterte er mit drohendem Unterton, „wie hat sich der Mörder damals und der heute wohl seine Opfer gesucht? Wissen Sie es? Nein?“ Unbarmherzig hielt er die Frau fest, die mit einem Flackern in den Augen versuchte zurückzuweichen. Sie zerrte an ihrem Arm, doch Finnlan war sie nicht gewachsen.