Die Wolke - Gudrun Pausewang - E-Book

Die Wolke E-Book

Gudrun Pausewang

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Beschreibung

WENN DIE ÄNGSTE UNSERER ZEIT WAHR WERDEN Eine todbringende Wolke über Deutschland. Was niemand wahrhaben wollte, passiert: Deutschland erlebt einen Super-GAU. Die 14-jährige Janna-Berta verliert ihre Familie und landet selbst im Lazarett. "Am 26. April 1986 flog ein Reaktorblock der Atomreaktoranlage in Tschernobyl (Ukraine) aufgrund menschlichen Versagens in die Luft. Die freigesetzten radioaktiven Stoffe breiteten sich nach der Katastrophe in weiten Teilen Europas aus, auch in Deutschland. Noch fünf Minuten vor der ersten Tschernobyl-Katastrophenmeldung dachte ich nicht im Traum daran, ein Buch zu schreiben über die Gefahr, die von Kernreaktoren ausgeht. Doch bald begann ich den Roman "Die Wolke", der auf die Gefahr einer Reaktorkatastrophe mitten in unserer dicht besiedelten Bundesrepublik hinweist. Das Buch erzählt die Geschichte eines Mädchens, das nach dem Super-GAU seine Familie verliert und ums eigene Überleben kämpft." Gudrun Pausewang Die Autorin erhielt 2017 den Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für ihr schriftstellerisches Gesamtwerk. Gudrun Pausewangs Jugendbuch-Klassiker und Gewinner des Deutschen Jugendbuchpreises Die Wolke hat in Anbetracht der Katastrophe von Fukushima / Japan auch heute noch nichts von seiner Aktualität verloren. Eine tragische Geschichte, die vor allem Mahnmal an unsere Gesellschaft ist.

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Seitenzahl: 219

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2011Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbHDie Erstausgabe erschien 1987 im Ravensburger Verlag GmbH© 1987 Ravensburger Verlag GmbHUmschlaggestaltung und Motiv: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich, unter Verwendung von Fotos von © Jose Gill / Shutterstock, © Martin Lisner / Shutterstock, © Antonio Guillem / Shutterstock Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 1860, D-88194 Ravensburg.ISBN 978-3-473-38451-8www.ravensburger.de

Sie haben versagt

Was tun? H-Milch kaufen oder Büchsenmilch?

Wir wissen es nicht.

Verfallsdaten beachten oder Halbwertszeiten?

Wir wissen es nicht.

Regenschirm oder abduschen?

Wir wissen es nicht.

Sind Kinder 23-mal oder nur 17-mal so gefährdet wie Erwachsene?

Wir wissen es nicht.

Es geht um mehr als um Tiefkühlkost und um die Frage nach dem unbedenklichen Verzehr von Blattspinat in den richtigen Bundesländern.

Unsere Politiker haben sich tot gestellt.

Kein Ton von den Herren, die so gerne reden.

Als Lastwagenfahrer einst gegen schleppende Abfertigung an der Grenze protestierten,

fuhr Herr Strauß ins Krisengebiet.

Im geländegängigen Fahrzeug.

Wenn jetzt Frauen ihre Kinder nicht mehr auf den Spielplatz lassen können,

wenn die Landwirte ihr Blattgemüse umpflügen müssen,

wenn Menschen der Strahlengefahr direkt ausgeliefert sind, entfaltet sich administrative Funkstille.

Der Staat ist untergetauchtWarum?

Ruhe bewahren,

nur keine Aufregung,

Gras darüber wachsen lassen:

Die Atompolitik darf nicht gefährdet werden.

Nur einer meldet sich zu Wort: Herr Zimmermann.

Er beschimpft die Russen,

sie würden eine unmenschliche Informationspolitik betreiben, eine verantwortungslose,

weil sie nichts anderes im Sinn hätten als

Ruhe bewahren,

nur keine Aufregung,

Gras darüber wachsen lassen:

Die Atompolitik darf nicht gefährdet werden.

Der Kanzler gab aus dem Fernen Osten Anweisungen.

Die Behörden hielten Strahlenwerte geheim.

Heute sind 350 Kernreaktoren in rund 30 Ländern in Betrieb. Zwei haben schrecklich versagt.

Einer in Harrisburg, einer in Tschernobyl.

Nun werden noch mehr Menschen an Krebs sterben.

Das Erbgut vieler Menschen ist seitdem

krankhaft verändert, ohne dass sie es wissen.

Es wird noch mehr Sozialfälle und Krüppel geben.

Die Schadstoffe werden in der Lebensmittelkette bleiben.

Wir reichern uns an.

Versagen gehört zu unserer Welt.

Es gibt keine absolute Sicherheit.

Jede Technik hat Schwachstellen.

Versagen ist menschlich.

Mit Versagen nicht zu rechnen,

ist verantwortungslos und unmenschlich.

Die Atomwirtschaft setzt auf technische Wunderwerke,

die nicht versagen.

Aber sie haben versagt

Mag sein, die deutschen Atomkraftwerke

sind doppelt so sicher wie die russischen.

Dann passiert es in acht Jahren statt in vier.

Und Brokdorf liegt nur 60 km von Hamburg,

Wackersdorf nur 130 km von München,

Biblis nur 50 km von Frankfurt.

Wer evakuiert die Hamburger wohin?

Werden die Münchner nach Capri evakuiert?

Die Frankfurter auf die Kanarischen Inseln?

Jeder wird allein gelassen sein.

Wie schon dieses Mal.

Die Politiker werden wieder unfähig sein,

etwas zu tun.

Sie werden abwiegeln und beschwichtigen.

Nur keine Panik, sagen sie.

Unsere Sorge sei verständlich, sagen sie,

aber völlig überflüssig.

Vor allem soll alles so weitergehen, sagen sie.

Nur jetzt noch sicherer.

Atomstrom schafft Arbeitsplätze, sagen sie.

Beschwichtigung von Ignoranten.

Sie sehen nichts,

sie hören nichts,

sie lernen nichts.

Sie haben nur gelernt, wie man Wahlen gewinnt.

Was haben wir gelernt?

Es reicht nicht, gegen das Informationschaos und den Beschwichtigungsnebel der Regierung zu protestieren.

Es reicht nicht, mehr Schutz und Sicherheit zu fordern.

Es reicht nicht, weil uns so eindrucksvoll wie noch nie bewiesen wurde, in welchem Ausmaß die Politiker der Lage nicht gewachsen sind.

(Dabei war Tschernobyl nur ein Unfall.

Stellen wir uns vor, es explodieren Sprengköpfe.)

Auswandern? Emigrieren?Aber wohin?

Jetzt werden wir nicht mehr sagen können,

wir hätten von nichts gewusst.

Wir können nicht fliehen und emigrieren.

Die Welt wird immer mehr zu unserem eigenen Gefängnis.

Zum Gefängnis des atomaren Fortschritts.

Wenn wir heute nichts dagegen unternehmen,

werden sie sich morgen bedanken

für unser Stillhalten und unsere »Vernunft«.

Jeder muss überlegen, was er tun kann.

Jeder an seiner Stelle.

Dieses Mal vergessen wir’s nicht.

Diese Anzeige erschien am 23.5.1986, vier Wochen nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl, in der Wochenzeitung DIEZEIT. Sie entstand in einem Freundeskreis von sieben Männern und Frauen. Als verantwortlich im Sinne des Presserechts zeichnete Inge Aicher-Scholl, die Schwester von Hans und Sophie Scholl.

An diesem Freitagmorgen wehte eine starke Brise. Wenn Janna-Berta aus dem Fenster schaute, sah sie die jungen Birkenblätter in der Sonne glitzern. Die Schatten der Zweige zitterten auf dem Asphalt des Schulhofs. Über die Pavillondächer schneite es Kirschblütenblätter. Der Himmel war tiefblau. Nur vereinzelte Wolken, weiß und leicht wie Watte, trieben über ihn hin. Für einen Maimorgen war es außergewöhnlich warm. Die Sicht war klar.

Plötzlich heulte die Sirene. Herr Benzig brach seinen Kommentar zur neuen Französisch-Lektion mitten im Satz ab und warf einen Blick auf seine Armbanduhr.

»Neun vor elf«, sagte er. »Komische Zeit für einen Probealarm. Es stand auch nichts davon in der Zeitung.«

»Das ist ABC-Alarm!«, rief Elmar, der Klassenbeste.

»Wahrscheinlich stand’s doch wo, und ich hab’s nur übersehen«, sagte Herr Benzig. »Machen wir weiter.«

Aber kaum hatte er sich wieder in die Lektion vertieft, knackte es im Lautsprecher. Alle blickten zu dem kleinen Quadrat über der Tür. Nicht die Sekretärin sprach, sondern der Direktor.

»Soeben wurde ABC-Alarm gegeben. Der Unterricht schließt ab sofort. Alle Schüler begeben sich auf schnellstem Weg nach Hause.«

Es folgten ein paar Sätze, die in wildem Lärm untergingen. Alle rannten zu den Fenstern und spähten hinaus.

»Verstehst du, was das soll?«, fragte Meike, Janna-Bertas Freundin.

Janna-Berta schüttelte den Kopf. Sie spürte, wie ihr die Hände kalt wurden. Irgendetwas war geschehen. Aber was? Sie dachte an Uli, ihren kleinen Bruder.

»Geht nach Hause«, sagte Herr Benzig.

Vom Korridor drang Lärm herein: aufgeregtes Geschrei, eilige Schritte, Türenschlagen.

»Was ist denn überhaupt los?«, rief Janna-Berta.

Herr Benzig hob die Schultern.

»Ich weiß nicht mehr als ihr«, sagte er. »Bitte geht jetzt. Lauft so schnell ihr könnt! Aber behaltet einen klaren Kopf.«

»Soll wahrscheinlich eine besonders lebensnahe Katastrophenübung sein«, sagte Elmar und packte scheinbar seelenruhig seine Tasche. Aber Herr Benzig schüttelte den Kopf.

»Davon hätte ich gewusst«, sagte er.

Dann riss einer die Tür auf und rannte hinaus. Die anderen stürmten ihm nach. Im Gang gab es ein wildes Gedränge. Ein paar Schüler versuchten, sich gegen den Strom durchzukämpfen. Unter ihnen erkannte Janna-Berta Ingrid aus der Parallelklasse. Ingrid wohnte in der Rhön. Janna-Berta war in den Pausen oft mit ihr zusammen.

»Jetzt geht doch kein Bus nach Uttrichshausen!«, rief sie Janna-Berta zu. »Erst in anderthalb Stunden. Ich ruf daheim an, die sollen mich holen.«

Aber auch vor dem Sekretariat drängten sie sich schon. Es würde lange dauern, bis Ingrid telefonieren konnte. Janna-Berta wollte bei ihr stehen bleiben, kam aber nicht gegen den Strom an, der zur Treppe drängte. Sie hielt sich an Meikes Arm fest, während sie Stufe um Stufe hinabgeschoben wurde. Der Lärm nahm zu. Unten, in der Pausenhalle vor dem Ausgang, schrie jemand: »Grafenrheinfeld! Alarm in Grafenrheinfeld!«

Janna-Berta versuchte sich zu erinnern: Grafenrheinfeld – war da nicht ein Kernkraftwerk?

Als sie das Schulgebäude verließ, hasteten ein paar Knirpse, Fünftklässler, an ihr vorbei. Ohne nach rechts und links zu sehen, liefen sie über die Straße. Reifen quietschten. Ein Autofahrer hupte wild und schimpfte hinter den Kindern her. Offensichtlich wusste er noch nichts.

Vor dem Zebrastreifen blieb Janna-Berta unschlüssig stehen.

»Ich hab jetzt auch keinen Bus«, sagte sie.

»Komm doch erst mal mit zu mir«, schlug Meike vor.

Janna-Berta schüttelte den Kopf.

»Willst du zu Fuß nach Schlitz?«, fragte Meike.

»Meine Eltern sind heute in Schweinfurt«, sagte Janna-Berta. »Vati hat dort eine Tagung, und Mutti und Kai sind bei meiner Großmutter. Sie kommen erst morgen zurück. Uli ist allein zu Hause. Ich muss mich um ihn kümmern.«

In diesem Augenblick kam Lars vorbei, Lars aus Schlitz. Er war in der Oberstufe und kam im Auto zur Schule.

»Hallo, Janna-Berta«, rief er ihr zu, »willst du mitfahren?«

Sie nickte hastig, verabschiedete sich von Meike und lief hinter ihm her.

Noch drei andere Jungen aus Schlitz fuhren mit, alle aus der Oberstufe. Janna-Berta durfte auf den Beifahrersitz. Lars fuhr schon los, während sie sich noch anschnallte.

»Das kannst du dir sparen«, sagte Lars. »Heute kannst du die Beine zum Fenster raushängen, und es interessiert kein Schwein. Am wenigsten die Polizei.«

»Wenn die uns Knall auf Fall heimschicken, ist es vielleicht ein Super-GAU«, sagte einer der Jungen im Fond.

»Zu blöd, dass mein Autoradio kaputt ist«, knurrte Lars.

Super-GAU. Jetzt erinnerte sich Janna-Berta: Damals, nach dem Unfall in dem russischen Kernkraftwerk, hatte man auch vom GAU geredet. Wochenlang. Sie war noch in der Grundschule gewesen, und ihr war unbegreiflich geblieben, was ihnen der Lehrer über »Rem« und »Becquerel« und »radioaktive Strahlung« zu erklären versucht hatte. Sie hatte sich nur den Namen des russischen Kernkraftwerks gemerkt: Tschernobyl. Und sie hatte begriffen, dass nun der Himmel und die Erde und vor allem der Regen irgendwie vergiftet waren. Wenn es regnete, durfte man in der Pause nicht auf den Hof. Logisch. Aber dann, nach Unterrichtsschluss, wurde man heimgeschickt, in den Regen hinaus, den vergifteten. Am ersten Tag hatte Janna-Berta sich weinend geweigert, das Schulgebäude zu verlassen. Der Regen war doch immer noch giftig! Im Wagen einer Lehrerin, die in ihrer Nachbarschaft wohnte, war sie schließlich daheim angekommen, schluchzend, und Oma Berta hatte sie »Dummerle« genannt. Der Regen sei doch gar nicht giftig, da hätte der Lehrer dummes Zeug erzählt.

Inzwischen war Janna-Berta vierzehn, Schülerin der neunten Gymnasialklasse, und wusste mehr. Super-GAU: Das hieß, dass aus einem Atomkraftwerk Radioaktivität entwich – in gefährlichen Mengen. Und so ein Atomkraftwerk stand in Grafenrheinfeld. Wie weit war das eigentlich entfernt?

Lars fuhr die Abkürzung über die Marienstraße. So umging er vier Ampeln. Es war eine stille Villengegend. Aber an diesem Tag fuhren drei Wagen vor Lars’ altem Kadett her, und hinter ihm hupte es ungeduldig, obwohl Lars schon über sechzig fuhr.

Im Fond diskutierten sie jetzt über die Art des Grafenrheinfelder Reaktors und darüber, was in einem solchen Reaktor passiert sein konnte. Immer wieder fielen die Wörter »Tschernobyl«, »Harrisburg«, »Brennstäbe«, »Kühlwasser« und »Druckbehälter«. Für Janna-Berta waren die vier Oberstufenschüler Atomkraft-Experten. Sie selber hatte sich nie sonderlich für Physik interessiert. Aber dass Atomkraftwerke gefährlich werden konnten, wusste sie. Nach Tschernobyl war sie mit ihren Eltern auf mehreren Demonstrationen gewesen. Sie erinnerte sich noch gut daran. Damals hatte es den Riesenkrach gegeben zwischen den Eltern und den Großeltern: Oma Berta und Opa Hans-Georg meinten, ohne Atomkraft gehe es einfach nicht mehr, die gehöre nun mal zum modernen Leben wie das Auto oder der Fernseher, und dass da in Tschernobyl was schiefgelaufen sei, das habe mit den deutschen Atomkraftwerken überhaupt nichts zu tun. Außerdem: Mit Demonstrationen bewege man gar nichts, das seien nur Tummelplätze für Träumer und Chaoten. Am wütendsten aber waren sie auf Mutti gewesen: Sie waren überzeugt, dass Vati nur durch sie auf derart dumme Ideen gekommen war.

»Wir haben unseren Hartmut so erzogen«, hatte Opa Hans-Georg in einer der hitzigen Diskussionen gerufen, »dass er mit beiden Beinen in der Realität steht. Und jetzt das!«

Wo die Marienstraße in die Niesigerstraße einmündete, gab es einen Stau. Den gab es hier sonst nie.

»Astreine Panik«, sagte Lars trocken. »Die wollen alle zur Autobahn.«

Janna-Bertas Eltern hatten seinerzeit sogar eine Bürgerinitiative gegen die Nutzung von Atomkraft mitgegründet. Aber inzwischen war Tschernobyl so gut wie vergessen. Die Atomkraftwerke in der Bundesrepublik hatten ohne nennenswerte Zwischenfälle weitergearbeitet, und die Bürgerinitiative war bald wieder eingeschlafen.

»Tschernobyl war noch nicht genug«, hatte Vati einmal gesagt. »Es muss erst hier bei uns passieren, damit es dem Bundesbürger den Hintern aus dem Sessel reißt.«

Jetzt erinnerte sich Janna-Berta auch, weshalb ihr der Name GRAFENRHEINFELD gleich so bekannt vorgekommen war: Mutti hatte einmal für die Bürgerinitiative Flugblätter abgezogen und verteilt. Janna-Berta hatte ihr dabei geholfen. Auf den Flugblättern waren die Standorte aller bundesdeutschen Kernkraftwerke zu sehen gewesen. Eines davon hatte Grafenrheinfeld geheißen. Janna-Berta konnte sich nicht mehr genau erinnern, wo es lag. Aber sehr weit entfernt war es nicht.

Uli wird jetzt aus der Schule heimlaufen, dachte sie unruhig.

Sie kurbelte das Wagenfenster herunter. Rollläden rasselten, Leute hasteten aus einer Haustür. Auf der anderen Straßenseite lief eine Frau mit zwei kleinen Kindern. Das eine trug sie auf dem Arm, das andere zerrte sie hinter sich her. Ein Parterrefenster wurde geöffnet, eine Katze herausgescheucht.

Als sie endlich die Kreuzung hinter sich hatten und die Stadt in Richtung Gläserzell verließen, kamen ihnen nur noch wenige Wagen entgegen. Aber immer wieder wurden sie überholt, und noch bevor sie Gläserzell erreicht hatten, war eine ganze Wagenkolonne hinter ihnen.

»Die fahren Landstraße, weil die Autobahnen bald verstopft sein werden«, meinte einer im Fond.

»Wenn’s wirklich brenzlig wird, fliegen wir weg«, sagte Lars.

Janna-Berta wusste, dass Lars’ Vater ein Sportflugzeug auf dem Flugplatz in Wernges stehen hatte. Er hatte ihren Vater einmal zu einem Flug über Schlitz eingeladen.

»Ich wette, meine Leutchen sind auch schon beim Packen«, sagte einer von hinten. »Sicherheitsfanatiker. Und meine Oma wird den verrücktesten Krempel einpacken: Nachttischlampen oder die Unkrauthacke!«

Janna-Berta dachte an ihre beiden Großmütter: Jo, Muttis Mutter, und Oma Berta, Vatis Mutter. Jo war Krankenschwester in Schweinfurt und verbrachte jedes zweite Wochenende auf Demonstrationen. Sie war ein bisschen anstrengend mit ihrem ewigen »Wir müssen uns alle ändern …«, ihrem Vegetarierspleen und ihrem Tick vom einfachen Leben. Aber bei ihr fühlte sich Janna-Berta ernst genommen. Da durfte sie mitdiskutieren. Und Jo wohnte so herrlich unaufgeräumt!

Oma Berta in Schlitz war ganz anders. Sie war wie die Omas, die in Janna-Bertas Kinderbüchern vorkamen. Bei ihr war’s wunderbar, klein zu sein! Je kleiner, desto besser. Sie konnte so schön verwöhnen und umsorgen, und sie wusste so viele alte Lieder und Geschichten. Die meisten waren traurig-schön, obwohl Janna-Berta sie oft nur halb verstanden hatte. Aber wenn’s auch noch so traurig-gruselig geworden war: Die Angst hatte nie ganz nahe kommen und groß werden können. Bei Oma Berta war man sicher, da konnte einem nichts geschehen, und das Gute war deutlich sichtbar und siegte, und das Böse war noch deutlicher sichtbar und wurde besiegt. Darauf konnte man sich bei Oma Berta verlassen. Bei ihr hatte alles seine Ordnung, von den Schimpfwörtern, die man in ihrer Anwesenheit nicht verwenden durfte, bis zu den sauber gestapelten Bettlaken im Wäscheschrank. Und sie wäre nicht Oma Berta gewesen, wenn sie nicht auf jedem Spaziergang, auch bei strahlendem Wetter, einen Schirm bei sich gehabt hätte. Die Grünen hatten für sie »einfach keine Manieren«, und wenn sich Opa Hans-Georg mit Vati über Politik stritt, verzog sie sich in die Küche. Ihre Waffeln waren die besten der Welt.

Seit einer Woche waren Oma Berta und Opa Hans-Georg auf Mallorca. Vielleicht gingen sie gerade unter Palmen spazieren. Oma Berta fehlte Janna-Berta sehr. Obwohl sie sich in letzter Zeit öfter über sie geärgert hatte. Oma Berta wollte einfach nicht einsehen, dass Janna-Berta mit ihren vierzehn Jahren schon mitreden konnte. Zum Beispiel, wenn es um Politik ging. »Schon gut, Jannchen«, sagte sie sanft, sobald sich Janna-Berta zu Wort meldete.

Ob Oma Berta heute auch unsinnigen Kram einpacken würde? Janna-Berta war sich nicht sicher. Einerseits hatte Oma Berta die ganze schlimme Kriegszeit durchgemacht. Andererseits rief sie jedes Mal, wenn Opa Hans-Georg darauf zu sprechen kam: »Sei still, ich will von diesen schrecklichen Dingen nichts mehr hören!«

Als sie durch das kleine Dorf Hemmen im Fuldagrund kamen, hielt auf der anderen Straßenseite ein Schulbus. Kinder stiegen aus und liefen auseinander. Auf die Jüngsten warteten ein paar Mütter, die nervös gestikulierten. Janna-Berta dachte beklommen an Uli, den Zweitklässler. Ob er schon zu Hause angekommen war? Aber das Haus war leer!

»Traurig sehn die Kleinen nicht gerade aus«, sagte Lars. »Die freuen sich, dass sie schulfrei haben.«

»Hoffentlich geht er auch wirklich auf dem schnellsten Weg heim«, dachte Janna-Berta. »Wenn ich ihn auch noch suchen muss …«

Es war alles so schön geplant gewesen. Erst hatte Mutti gezögert, Uli bei Janna-Berta zu lassen. Aber Vati hatte gelacht und gesagt: »Sie wird doch zwei Tage lang ihren Bruder versorgen können. Sie ist schließlich bald fünfzehn!«

Und auch Uli hatte gedrängt. Er hatte geschworen, auf Janna-Berta zu hören, als ob sie die Mutter persönlich sei. Da hatte Mutti eingewilligt.

»Ich werde jeden Abend anrufen«, hatte sie angekündigt.

Und Vati hatte wieder gelacht und gesagt: »Es sind ja nur zwei. Am Samstagabend sind wir schon wieder hier.«

Gestern, am Donnerstag, hatte auch alles wie am Schnürchen geklappt. Uli hatte schon nach der dritten Stunde ausgehabt. Den Haustürschlüssel hatte ihm Mutti an einem roten Lederband um den Hals gehängt, und er hatte ihn nicht verloren. Zu Hause hatte er gleich seine Schulaufgaben gemacht. Als Janna-Berta drei Stunden später heimgekommen war, hatte er schon Kartoffeln geschält und den Tisch gedeckt gehabt. Am Abend hatte Mutti aus Jos Wohnung in Schweinfurt angerufen, und Janna-Berta hatte ihr berichten können, dass alles in bester Ordnung sei.

»Vergiss nicht, ihm sein Pausenbrot mitzugeben«, hatte Mutti noch gesagt. Und Kai hatte ins Telefon genuschelt, er habe mit Jo die Enten gefüttert. Zum Schluss war Jo am Telefon gewesen: Sie verstehe überhaupt nicht, warum sich Mutti solche Gedanken um Janna-Berta und Uli mache. Sie, Jo, habe schon mit dreizehn Jahren ihre drei jüngeren Geschwister versorgen müssen, als ihre Mutter zur Entbindung des fünften Kindes im Krankenhaus gewesen sei. Ihr Vater sei Soldat gewesen und habe keinen Fronturlaub bekommen.

Janna-Berta hatte Ulis Pausenbrot nicht vergessen, und heute wollten sie Reibekuchen machen. Das war Ulis Idee gewesen, denn Reibekuchen aß er für sein Leben gern. Ob er Angst hatte?

»Wie weit ist es eigentlich bis Grafenrheinfeld?«, fragte Janna-Berta.

Einer schätzte siebzig, ein anderer achtzig Kilometer. Luftlinie. Eine lächerlich geringe Entfernung, das wusste Janna-Berta. War Tschernobyl nicht eintausendfünfhundert Kilometer entfernt gewesen?

»Du vergisst den Wind«, sagte Lars. »Es kommt alles auf den Wind an. Nur Südostwind kann uns gefährlich werden, und den haben wir hier so gut wie nie. Bei uns weht der Wind fast immer von Westen.«

»Und wie kam dann die verseuchte Luft von Tschernobyl zu uns?«, fragte Janna-Berta.

Schweigen. Dann redeten sie von der Wirkung der Erdumdrehung und von höher gelegenen Luftströmungen.

»Wirklich blöd, dass mein Radio nicht funktioniert«, sagte Lars. »Die geben bestimmt alle fünf Minuten die Windrichtung durch.«

»Oder auch nicht«, bekam er zur Antwort. »Die werden erst mal alles dransetzen, eine Panik zu verhüten. Ich sag euch, was passiert: Wir kriegen in regelmäßigen Abständen zu hören, dass es keinen Grund zur Beunruhigung gibt und dass sie alles absolut unter Kontrolle haben. Motto:

RUHE IST DIE ERSTE BÜRGERPFLICHT.«

»Warum halten wir nicht an und prüfen selber die Windrichtung?«, fragte Janna-Berta.

Lars scherte auf den Parkstreifen vor den Hemmener Teichen aus, sprang aus dem Wagen und ließ sein Taschentuch flattern.

»Verdammte Scheiße, es ist Südostwind!«

Er stürzte in den Wagen, kurbelte die Fenster hoch und erzwang sich mit lautem Gehupe den Weg zurück auf die Landstraße, wo sich die Wagenkolonne nach Norden bewegte.

»Wenn das stimmt mit dem Südostwind«, sagte einer im Fond, »dann kann das Zeug in zwei Stunden hier sein.«

»Red kein Blech«, knurrte Lars.

»Blech? Zwanzig Minuten haben wir von Fulda hierher gebraucht – und wer weiß, wann’s passiert ist. Vielleicht schon vor Stunden! Dann sind wir hier längst eingedeckt –«

Stumm fuhren sie durch das Dorf Hartershausen. Ein Traktor mit einem leeren Güllewagen tuckerte vom Feld herein, eine Frau machte dem Fahrer aufgeregte Zeichen. Eine Gardine bewegte sich: Hier schien niemand seine Sachen zu packen.

Janna-Berta versuchte sich die Landkarte vorzustellen. Grafenrheinfeld musste im Südosten liegen. Nein, Geografie war auch nie ihre starke Seite gewesen. Erst neulich hatte Vati nur den Kopf geschüttelt, als sie Erlangen im Odenwald vermutete. Ob sie sich blamierte, wenn sie fragte?

Sie fuhren durch Illershausen, das letzte Dorf vor Schlitz. Hier schleppten Leute Koffer aus den Häusern und bepackten ihre Wagen. Gerade, als Janna-Berta zu ihrer Frage ansetzen wollte, kam die Antwort.

»Schweinfurt wird jetzt schon leer sein – vorausgesetzt, der Katastrophenschutz hat funktioniert.«

»Wieso Schweinfurt?«, fragte Janna-Berta erschrocken.

»Du stellst Fragen«, antwortete Lars und kaute nervös an der Unterlippe. »Weil Schweinfurt direkt neben Grafenrheinfeld liegt – oder Grafenrheinfeld neben Schweinfurt, wie du willst.«

Janna-Berta hielt den Atem an.

»Wenn’s ein Super-GAU war, kannst du den Katastrophenschutz vergessen«, hörte sie den Jungen hinter sich sagen. »Dann brauchen die in Schweinfurt nur noch Totengräber und Spezialisten für Transplantationen von Knochenmark.«

»Nur in Schweinfurt? Bist du sicher?«, sagte Lars düster.

»In Schweinfurt … in Schweinfurt sind heute meine Eltern«, sagte Janna-Berta.

Die vier Jungen verstummten.

Sie fuhren über die Pfordter Höhe. Janna-Berta dachte an ihre Eltern. An den Vater: dunkelbärtig, hager, braun gebrannt, mit kleinen Lachfältchen, die sie so gernhatte, in den Augenwinkeln. An die Mutter: drei Zentimeter größer als er, blond und braunäugig, und so lachlustig. Und immer anders, als man’s von ihr erwartete.

»Vielleicht haben sie noch rechtzeitig abhauen können«, sagte einer im Fond.

Glühend heiß wurde Janna-Berta bewusst, dass auch Kai in Schweinfurt war, der Jüngste der Familie, noch keine drei Jahre alt. Kai, den alle so lieb hatten! Und Jo!

Etwas Ungeheuerliches schien geschehen zu sein. Und doch sah alles so friedlich aus wie immer: ein ganz gewöhnlicher warmer, windiger Frühlingstag. Die Kirschbäume waren schon fast verblüht. Nun standen rings um die Dörfer die Apfelbäume in Blüte. Die Rapsfelder leuchteten gelb. In zwei Wochen war Pfingsten.

»Lebt«, dachte Janna-Berta, »bitte lebt!«

Sie grub die Fingernägel in den Arm: Schmerz gegen Schmerz. Schon als kleines Mädchen hatte sie so den Bohrer des Zahnarztes ausgehalten.

Dann waren sie in Schlitz. Lars wohnte in einem der ersten Häuser. Seine Mutter stürzte dem Wagen entgegen und machte energische Haltezeichen.

»Lars kann euch jetzt nicht heimfahren!«, rief sie.

Janna-Berta stieg aus. Sie war wie betäubt. Hinter ihr drängten sich die drei Jungen heraus und hasteten mit einem flüchtigen »Tschüss!« davon. Janna-Berta murmelte einen Dank, aber Lars rannte schon hinter seiner Mutter her.

Janna-Berta schaute hinauf zum Hang oberhalb der Stadt. Dort oben stand ihr Haus. Uli wartete wahrscheinlich schon auf sie. Zehn Minuten entfernt. Wenn sie lief, acht, vielleicht sieben. Sie rannte los.

Da lag es, spitzgiebelig, mitten im Grünen hinter der Birkengruppe. Die Sonne spiegelte sich im Fenster von Janna-Bertas Zimmer, darüber blühten – in diesem Jahr besonders üppig – die Geranien am Balkon der Großeltern. Oma Bertas Stolz.

Die Großeltern würden alles aus der Zeitung erfahren.

Uli erschien auf dem unteren Balkon und winkte. »Sie haben uns heimgeschickt!«, rief er. »In der Luft soll Gift sein! Ganz viel Gift! Und Almut hat angerufen, wir sollen in den Keller gehen. Ich hab schon Kartoffeln gerieben!«

Aus der Balkontür tönte ernste Musik. Uli hatte das Radio angestellt. Janna-Berta lief den Steilhang hinauf, nahm immer mehrere Stufen auf einmal. Uli hielt ihr die Tür auf. Sie warf die Tasche weg und stürzte ins Wohnzimmer. »Die sagen dauernd was von einer Wolke«, berichtete Uli aufgeregt. »Und die Wolke, die ist giftig. Aber ich hab’s nicht richtig mitgekriegt.«

Die Musik war so laut, dass ihn Janna-Berta kaum verstehen konnte. Sie lief in die Küche und drehte das Radio leiser.

»Ich weiß, was los ist«, sagte sie.

»So was war schon mal im Fernsehen«, sagte Uli. »Da war was explodiert, und dann …«

»Hat nur Almut angerufen?«, unterbrach ihn Janna-Berta.

»Das Telefon hat noch mal geklingelt, aber da war ich im Keller, Kartoffeln holen. Wie ich wieder hochkam, war’s schon weg.«

»Das war sicher Vati«, sagte Janna-Berta. »Oder Mutti. Warum bist du nicht hochgerannt?«

»Mit den ganzen Kartoffeln?«

»Du bist ein Schaf!«, schrie Janna-Berta.

»Wir wollten doch Reibekuchen machen«, sagte Uli vorwurfsvoll.

Janna-Berta lief ans Telefon und wählte Jos Nummer mit der Schweinfurter Vorwahl. Aber sie hörte nur das Freizeichen und ihren eigenen heftigen Atem. Uli wollte mithören. Sie stießen fast mit den Köpfen zusammen. Janna-Berta legte auf und wählte Almuts Nummer. Almut war ihre Lieblingsverwandte: Muttis jüngere Schwester. Lehrerin. Verheiratet mit Reinhard, der auch Lehrer war. Sie unterrichteten in Hammelburg, wohnten aber in Bad Kissingen. Unter ihrer Nummer meldete sich auch niemand. Natürlich, Almut und Reinhard waren ja um diese Zeit in der Schule.

Janna-Berta kam ein böser Verdacht: Lagen Hammelburg und Bad Kissingen nicht auch irgendwo südlich von Fulda? Jedenfalls wusste sie genau, dass sie immer über Fulda gefahren waren, wenn sie Almut besucht hatten.

Sie nahm den Atlas aus dem Bücherregal und blätterte hastig, bis sie die richtige Seite gefunden hatte.

»Ich geh Kartoffeln reiben«, sagte Uli, zog die Nase hoch und verschwand wieder in der Küche.

Janna-Berta beugte sich über den Atlas: Hammelburg und Bad Kissingen lagen nahe bei Grafenrheinfeld. Sie versuchte ihre Gedanken zu sammeln. Nur zwanzig Kilometer! Almut hatte angerufen und geraten, in den Keller zu gehen. Hockte sie nun selber im Keller? Almut erwartete ein Kind.

»Sie sagen wieder was!«, rief Uli aus der Küche.

Janna-Berta lief hinüber. Uli drehte an den Knöpfen des Radios. Mit ungeheurer Lautstärke dröhnte es durch die Wohnung: »Der Katastrophenstab für den Regierungsbezirk Unterfranken/Würzburg gibt folgende Anordnung bekannt: Durch den bereits gemeldeten Unfall im Kernkraftwerk Grafenrheinfeld wurde vorübergehend Radioaktivität freigesetzt. Dadurch sind in einigen Gebieten der näheren Umgebung des Kernkraftwerkes Vorsichtsmaßnahmen für die Bevölkerung unumgänglich. Die Bevölkerung wird zur sofortigen Räumung folgender Ortschaften aufgefordert –«*

»Was sagt er?«, fragte Uli.

»Sei doch still!«, rief Janna-Berta.

Sie hörte das Wort Schweinfurt. Auch Bad Kissingen und Hammelburg wurden genannt. Eine Reihe anderer Ortsnamen folgte. Sie stellte das Radio wieder leiser. Am Knopf klebten Raspeln roher Kartoffeln.

»Kraftfahrzeugbesitzer werden gebeten, ältere oder gehbehinderte Nachbarn und Mütter mit Kleinkindern bis zur nächsten Kontrollstelle mitzunehmen …«, hörte Janna-Berta. Und dann: »Wer nicht motorisiert ist, begibt sich auf kürzestem Weg zur nächsten Schule, Sporthalle, Gemeindehalle, Kirche oder einem anderen Versammlungsraum und wartet auf die Abholung. Beim Verlassen der Wohnung sollten Sie nur das Notwendigste mitnehmen! Dazu gehören …«*

Bayern 3. Janna-Berta versuchte, einen hessischen Sender zu finden. Als die Stimme des Ansagers verstummte, dröhnte von draußen, durch die offene Balkontür, der Lautsprecher eines Polizeiwagens. Uli rannte schon auf den Balkon, Janna-Berta ihm nach. Sie beugten sich über die Brüstung. Der Wagen fuhr die Bahnhofstraße entlang, sie konnten ihn genau sehen.

»Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei! Innerhalb des Kernkraftwerks Grafenrheinfeld bei Schweinfurt hat sich heute gegen zehn Uhr ein kerntechnischer Unfall ereignet. Die Bevölkerung von Schlitz wie des gesamten Vogelsbergkreises wird zum Schutz ihrer Gesundheit dringend gebeten, sich sofort in geschlossene Räume zu begeben und alle Türen und Fenster zu schließen.