So war es, als ich klein war - Gudrun Pausewang - E-Book

So war es, als ich klein war E-Book

Gudrun Pausewang

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Beschreibung

Gudrun Pausewang ist eine der renommiertesten deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuchautorinnen. Nun hat sie ihre Kindheitserinnerungen aufgeschrieben. Der erste Schultag, der erste Wackelzahn, die erste Fahrt auf dem Karussell - warmherzig, berührend und humorvoll erzählt die Autorin von einem Kinderalltag vor fast 100 Jahren und nimmt ihre kleinen Leser mit auf eine spannende Zeitreise. Weitere Titel von Gudrun Pausewang, die beim Ravensburger Verlag erschienen sind:- DIE WOLKE- DIE LETZTEN KINDER VON SCHEWEBORN- DER EINHÄNDIGE BRIEFTRÄGER

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Seitenzahl: 81

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2016Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH© 2016 Ravensburger Verlag GmbHLektorat: Jo Anne BrügmannUmschlaggestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de, unter Verwendung eines privaten Fotos der AutorinAlle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.ISBN978-3-473-47785-2www.ravensburger.de

Liebe Leserinnen und Leser,

wer mich kennt, der weiß, dass ich große Freude daran habe, mir Geschichten auszudenken. Die Geschichten, die ihr in diesem Buch lesen könnt, habe ich mir jedoch nicht ausgedacht: Ich habe sie selbst erlebt. Denn in diesem Buch erzähle ich euch von meiner Kindheit.

Ich wurde 1928 in Ostböhmen geboren. Ostböhmen gehörte damals zur Tschechoslowakei. Meine Eltern hatten nicht viel Geld, aber ihr werdet sehen, dass meine fünf Geschwister und ich bis zu unserer Flucht nach dem Zweiten Weltkrieg trotzdem eine schöne Kindheit hatten.

Wir mussten natürlich viel im Haushalt und im Garten helfen, aber wir hatten auch genug Zeit zum Spielen. Geschichten habe ich mir schon damals gerne ausgedacht – in meinem Zauberwald auf der Rosinkawiese.

Es grüßt euch ganz herzlich

Himmlischer Sonntagmorgen

Jeder Morgen auf der Rosinkawiese war schön, sofern wir vor dem Weckruf unserer Mutter aufwachten: »Aufstehen, Kinder!«

Besonders im Sommer. Wir hörten, dass der Vater schon früher aufgestanden war, denn seine Sense mähte das hohe Gras: Hasch – hasch – hasch. So klang nur sein Sensenblatt, wenn es das Gras schnitt. Mutter und ich würden es wenden müssen. Aber diese Pflicht lag ja noch weit von uns entfernt, in der Zukunft: erst morgen!

Ja, der Vater war draußen, irgendwo vor dem Haus. In kurzen Hosen und einer blauen Bluse.

Auch im Winter weckte uns der Vater. Aber nicht mit dem Geräusch der Sense, sondern mit dem der Schneeschaufel. Im zeitigen Frühjahr weckte uns nicht der Vater, sondern das Froschgequake vom Teich. Da gab es Jahr für Jahr den alten Frosch, den mit der Bassstimme. Es schien, als respektierten ihn alle anderen im Frosch-Chor. Denn wenn er quakte, waren die anderen meistens still. Aber wenn er schwieg, traute sich die Schar der Tenöre zu quaken. Manchmal hörte man auch Alt-Stimmen. Nur einen Sopran gab es wohl nicht.

Im Spätsommer war auch der junge Förster zu hören. Oft lauerte er in aller Frühe am Teichdamm auf Bisamratten. Dann knallte es manchmal. An anderen Tagen, wenn er nicht da war, plätscherte morgens oft das Wasser. Dann schwammen Bisamratten durch den Teich. Aber das Geplätscher hörten wir nur, wenn das Fenster offen war.

Wie schön der Sonntagmorgen war! Am Samstagabend hatten wir gebadet. Der Samstag war immer der Badetag – außer, wenn wir auch im großen Teich draußen badeten, also im Hochsommer. Wie sauber wir uns fühlten!

Jetzt öffnete sich die Zimmertür: »Aufstehen, Kinder!« Das war die Mutter, meistens mit dem jeweils Jüngsten auf dem Arm.

Mutters Weckruf war eine Vorwarnung. Noch hatten wir ein paar Minuten Zeit. Denn sie musste erst den großen Kleiderschrank öffnen und für jeden von uns die frisch gewaschene Wäsche für die kommende Woche heraussuchen. Anfangs schliefen nur wir drei Geschwister in dem Zimmer. Ein paar Jahre später waren wir zu viert. Schließlich zu fünft. Aber da war der Vater schon im Krieg. Weil nun das Bett neben der Mutter leer war, schlief immer das jeweils jüngste Kind darin. Ich glaube, das wollte sie so, damit sie nicht so allein war.

Wenig später lag auf jedem Bett ein sauber aufgestapeltes Häufchen Wäsche. Und für uns drei Großen zusätzlich – fein ausgebreitet – ein Sommerkleid.

Was für eine Freude doch ein frisch gewaschenes, gebügeltes Sommerkleid war!

Wir sprangen aus den Betten und zogen uns an. Natürlich waren die Kleider nicht neu. Meines und das meiner nächstjüngeren Schwester hatte schon unsere Cousine Helga getragen. Sie war drei Jahre älter als ich. Als ihr die Kleider zu eng und zu kurz geworden waren, hatte ihre Mutter, die Tante Dorle, sie uns geschickt. Und wir wussten genau: Nach uns würde sie die dritte Schwester anziehen, die jetzt noch dabei war, sich ein viel getragenes kleineres Kleid über den Kopf zu streifen. Und würden diese drei Kleider mal zerschlissen sein, würden sie immer noch nicht weggeworfen werden, sondern als Putzlappen dienen. Manchmal wurden sie auch in Streifen geschnitten, um daraus Fleckelteppiche herzustellen.

Unser Bruder aber, der nach uns drei Mädchen geboren worden war, bekam von der Mutter eine handgestrickte, handgestopfte hellgrüne Hose angezogen. Das ging langsam, denn er war ja fast noch ein Baby. Aber diese hellgrüne Baumwollhose war auch etwas ganz Besonderes, das man sorgsam behandeln musste. Denn die Wolle war neu! Und die Hose hatte die Saarbrücker Großmutter gestrickt!

Nach dem Anziehen kämmte uns die Mutter: eine nach der anderen. Zum Schluss zog sie den Kamm noch ein paar Mal durch das Haar unseres Bruders.

Husch – die Treppe hinunter in die Wohnküche! Der Vater saß schon am Tisch und wartete.

»Guten Morgen, Vater!«

»Guten Morgen, Kinder!«

Während die Mutter mit ein paar Handgriffen den Frühstückstisch deckte, putzten wir uns noch schnell die Zähne über der Spüle. Dann rutschte jeder auf seinen Platz. Alle warteten, bis der Vater »Guten Appetit!« wünschte.

»Danke, gleichfalls!«, riefen wir und griffen zu. Denn zu einem himmlischen Sonntagmorgen gehörte auch ein großer Hunger.

Und, oh Wunder – wir wurden alle satt!

Die Schule fängt an!

Ich kam in Wichstadtl, in Ostböhmen, zur Welt und erlebte dort auch meinen ersten Schultag. Das neue Schuljahr begann im Spätsommer – genau wie heute. Es war das Jahr 1934.

Meine Eltern waren arm. Deshalb liefen wir Kinder den ganzen Sommer über barfuß. Schon am frühen Morgen des ersten Schulgangs empfand ich das Besondere dieses Tages: Ich durfte Schuhe anziehen! Und die Mutter flocht in meine Zöpfe rote Schleifen ein. Ich fieberte vor Ungeduld. Als ich dann – steif vor Wichtigkeit – bereit zum Aufbruch war, trug ich auf dem Rücken das Geschenk meines Großvaters: einen nagelneuen Schulranzen. Auf seinem Deckel prangte ein röhrender Hirsch, dem weißer Dampf aus dem Maul stieg. Im Ranzen klapperte ein Federkasten mit Inhalt.

Ich kam mir atemberaubend sonntäglich vor.

Mutter begleitete mich bis zur Haustür und wünschte mir einen guten Anfang in der Schule. Nun ging ich an Vaters Hand durch die Wiesen und Felder bis zum Dorf.

»Was – so groß bist du schon?«, rief mir eine Frau aus dem Dorf zu, der wir begegneten.

Ich nickte stolz.

»Du kommst schon in die Schule?«, staunte der Bauer Pietsch hinter seinem Pferdewagen.

Am liebsten hätte ich gerufen: »Ja, ich bin ab heute ein ernst zu nehmender Mensch, kein Eia-Popeia-Kind mehr!« Aber damals musste sich ein Kind ja sittsam und bescheiden benehmen.

Kurz bevor wir das Schulgebäude erreichten, erhielt mein Wonnegefühl allerdings einen empfindlichen Dämpfer, denn ich achtete in meiner Aufregung nicht auf den frischen Kuhfladen neben Höppes Kuhstall. Platsch! Schon war ich mitten hineingetreten. Mein Vater verbrauchte ganze Büschel von Gras, bis er mich davon überzeugen konnte, dass mein Schuh jetzt wieder sauber war.

Umringt von anderen Erstklässlern und Schülern der höheren Klassen, standen wir schließlich vor der kleinen Schule, die mir damals riesig erschien. Dabei gab es in der ganzen Schule nur zwei Klassenräume! Ich gab dem dicken, schnauzbärtigen Oberlehrer die Hand und knickste artig.

Mein Vater strich mir über den Kopf und verabschiedete sich: »Also ich geh jetzt. Den Heimweg findest du ja allein.« Und weg war er.

Durch das halbdunkle Treppenhaus lief ich mit der Kinderschar hinauf in den ersten Stock, hinein in den weiten, hellen Saal mit dem Bild des Präsidenten Masaryk über der Tafel. Die gewaltige Stimme und die strengen Gesten des Herrn Oberlehrer wiesen uns Plätze an und schufen Ordnung. Sein Platz war auf dem Podium hinter dem großen Lehrertisch.

Allmählich wagte ich es, mich umzusehen. Da saßen wir auf Dreierbänken vor ihm aufgereiht: Vorn wir Kleinen, die wir noch nichts wussten und nichts galten. Dahinter die vom zweiten Schuljahr, die uns herablassend begafften. Und ganz hinten in den letzten Bankreihen ragten die Drittklässler auf, die bereits unglaublich gelehrt sein mussten. Jedenfalls schienen sie uns Erstklässler gar nicht wahrzunehmen. Sie schauten über uns hinweg.

Wir beteten im Chor das Vaterunser und das Gegrüßetseistdumaria. Wie ich so mit gesenktem Kopf stand, fiel mein Blick auf den Schuh, mit dem ich in den Kuhfladen getreten war. Da hatte ich plötzlich wieder den Gestank in der Nase. Den roch bestimmt auch der Herr Oberlehrer – wie peinlich!

Ich musste an meine Mutter denken, sehnte mich nach ihr und fühlte mich sehr allein. Ich war so weit weg von ihr! Die Tränen stiegen mir in die Augen.

Aber schon war das Gebet zu Ende.

»Setzen!«, dröhnte die Stimme des Herrn Oberlehrer.

Er gab den Kindern des zweiten und dritten Schuljahres schriftliche Arbeit und wandte sich dann uns zu, den Neuen. Er fragte uns, wer von uns ein Lied singen oder ein Gedicht aufsagen könne.

Nun fühlte ich mich wieder sicher, denn ich konnte viele Lieder singen. Daheim sangen wir den ganzen Tag bei der Arbeit. Die Wichstädter taten das nicht. Aber meine Mutter war ja Saarbrückerin und sie war Mitglied des Wandervogels gewesen, einer Bewegung, der hauptsächlich Schüler und Studenten angehörten und in der viel gewandert und gesungen wurde.

Ich meldete mich also und wurde auf das Podium gewinkt. Dort fühlte ich mich wie auf einer Bühne. Mit Herzklopfen sang ich mein Lieblingslied:

»Als wir nach Frankreich zogen,

da waren unser drei:

ein Schütze und ein Jäger

und ich, der Fahnenträger

der schweren Reiterei.«

Ich sang alle sieben Strophen, und meine Mitschüler lauschten verblüfft. Sogar die Drittklässler hörten zu!

Der Herr Oberlehrer schnäuzte sich laut und lobte mich.

Damit verblasst meine Erinnerung an den ersten Schultag. Nur eins weiß ich noch ganz genau: Ab dem zweiten Schultag ging ich gernzur Schule.

Mein Schulweg