Die Wunden der Vermissten - Rita Schütte-Heinold - E-Book

Die Wunden der Vermissten E-Book

Rita Schütte-Heinold

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Beschreibung

Unheimliches erleben Tim und Lea im Haus der Großeltern. Seltsame Wahrnehmungen und merkwürdige Erlebnisse geben ihnen Rätsel auf. Leas Schicksal scheint besiegelt, als sie kriminellen Organhändlern in die Hände fällt.

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Seitenzahl: 96

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Inhaltsverzeichnis

1 – Seltsame Wahrnehmungen

2 – Wieso sind sie hier?

3 – Lea in großer Gefahr

4 – Des Rätsels Lösung?

5 – Wünsche werden wahr

6 – Die Entscheidung

7 – Helfen und Heilen

8 – Ein Neuanfang?

9 – Das Erbe

1 - Seltsame Wahrnehmungen

Ein sonniger Sommertag erwartete die Zwillinge Tim und Lea, als sie morgens in ihren Betten erwachten. Die beiden durften bei ihren Großeltern, die in einer Kleinstadt lebten, die Sommerferien verbringen, da ihre Eltern arbeiten mussten. Seit einer Woche waren sie nun schon bei den Großeltern und ihnen war furchtbar langweilig.

Tim und Lea waren dreizehnjährige Teenager, die am liebsten zuhause geblieben wären. Tim hatte keine Lust auf die trostlose Gegend, in der die Großeltern wohnten. „Es ist so langweilig bei Oma und Opa“, hatte er den Eltern vorgejammert. „Dort ist nichts los. Bei Opa und Oma kann ich nicht einmal ins Internet, weil sie keinen Anschluss haben.“

Lea hatte ebenfalls gemault: „Oma will mir immer nur Kochen und Backen beibringen. So ein Quatsch! Wen interessiert schon Kochen und Backen?“

Aber die Eltern blieben hart, und den beiden Geschwistern blieb nichts anderes übrig, als sich mit der Entscheidung der Eltern abzufinden.

Die Großeltern freuten sich riesig über ihre Feriengäste. Viel zu selten sahen sie ihre Enkel, die zweihundert Kilometer entfernt in der Großstadt wohnten. Die Großmutter hatte ihnen ein eigenes Zimmer liebevoll hergerichtet. Große Grünpflanzen und bunte Blumensträuße hatte sie in den Zimmern verteilt. Auf die Kopfkissen der beiden hatte sie Süßigkeiten und je einen Kinogutschein als Willkommensgruß gelegt. Die Großeltern lebten in einem großen alten Haus, das viele Räume hatte. Im Erdgeschoss hatten sich die beiden eine behagliche Wohnung geschaffen, denn das Treppensteigen fiel ihnen mit zunehmendem Alter immer schwerer. Das Haus war in den vergangenen Jahren für diesen altersgerechten Zweck mehrmals umgebaut worden.

Im ersten Stockwerk befanden sich vier Zimmer, die unbewohnt und nur spärlich möbliert waren. In den beiden vorderen Räumen wohnten nun Tim und Lea. Diese beiden Zimmer hatten sogar ein eigenes kleines Bad.

In der zweiten Etage befanden sich weitere drei Räume, die komplett leer waren. Nicht ein einziges Möbelstück befand sich in den Zimmern.

Nachdem Lea noch eine weitere Stunde im Bett gedöst und mit ihrem Schicksal gehadert hatte, stand sie schlecht gelaunt auf. Sie band ihre langen braunen Haare zu einem Zopf zusammen und schlürfte in ihren Hausschuhen die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Sie ging zu ihren Großeltern, die in der großen gemütlichen Wohnküche auf sie warteten.

„Guten Morgen, Lea“, wurde sie fröhlich von der siebenundsechzigjährigen Oma begrüßt. „Na, hast du gut geschlafen?“ Lea setzte sich an den Tisch, auf dem ein fürstliches Frühstück bereitstand, und antwortete miesepetrig: „Guten Morgen. Geht so.“

Der siebzigjährige Opa schmunzelte und sagte: „Möchtest du ein frisch gekochtes Ei zum Frühstück?“ Er hielt seiner Enkelin ein Körbchen unter die Nase, in dem Frühstückseier lagen.

Lea antwortete kopfschüttelnd: „Nein, danke. Eine Tasse Tee und ein Marmeladebrötchen wären toll.“

Langsam besserte sich Leas Laune.

In diesem Moment öffnete sich die Tür und Tim kam mit einem verschlafenen „Guten Morgen“ in die Wohnküche. Ein herzhaftes Gähnen folgte dem morgendlichen Gruß. Seine kurzen braunen Haare standen in allen Richtungen vom Kopf ab.

„Guten Morgen“, antworteten die Großeltern und Lea fast gleichzeitig.

Tim entschied sich für ein Frühstücksei, für ein Croissant und für eine Tasse Tee zum Frühstück.

Während des gemeinsamen Frühstücks versuchten Opa und Oma ein Gespräch in Gang zu bringen, aber Lea und Tim waren sehr wortkarg. Sie waren Morgenmuffel. Die Großmutter meinte wehmütig: „Schade, dass ihr so weit wegwohnt.“ Sie hätte ihre Enkel gern öfter bei sich.

Lea entgegnete mit vollem Mund: „Wieso verkauft ihr denn nicht das große Haus und zieht in unsere Nähe? Eine kleine Wohnung wäre doch ausreichend für euch.“ Tim nickte zustimmend. Er nahm einen großen Schluck von seinem Tee und sagte: „Im Haus sind so viele leere Zimmer. Hier wäre Platz für eine zehnköpfige Familie.“

Die Großmutter sah Tim entsetzt an und erwiderte energisch: „Kommt gar nicht in Frage! Nachdem wir so viel umgebaut und renoviert haben, werden wir das Haus doch nicht verkaufen!“

Der Großvater sah Tim ernst an und sagte: „Vielleicht sind die Zimmer ja gar nicht unbewohnt. Vielleicht kommt dir das nur so vor.“

Tim starrte seinen Opa ungläubig an. Kurz darauf musste Tim lachen und entgegnete: „Na, wenn du die Termiten meinst, die in den Holzdielen wohnen, dann hast du wohl recht.“

Der Großvater schüttelte den Kopf und antwortete mit einem verschwörerischen Unterton in der Stimme: „Nein, ich rede nicht von Termiten. Ihr seid jetzt seit einer Woche hier und habt noch nichts bemerkt?“

Er wollte weiterreden, aber die Großmutter fiel ihm ins Wort: „Schluss jetzt, Klaus! Du machst den Kindern noch Angst mit deinem Gerede.“

Nun war Lea neugierig geworden. Sie schaute den Großvater mit ihren großen grünen Augen erwartungsvoll an. „Opa, was meinst du? Wovon redest du?“

Auch Tim blickte gespannt in das Gesicht seines Opas. Der Großvater räusperte sich und blickte verunsichert zu seiner Frau. Die verdrehte die Augen, seufzte und sagte ironisch zu Lea und Tim:

„Herzlich willkommen zur Märchenstunde.“ Der Opa grinste seine Frau an und meinte: „Irene, deine Enkel sind keine kleinen Kinder mehr. Sie werden schon verkraften, was ich ihnen jetzt erzählen werde. Und ich beginne auch nicht mit dem Satz: Es war einmal.“

Er sprach weiter, zu Lea und Tim: „Ich glaube, dass in den leeren Zimmern unseres Hauses Leben ist.“

Tim und Lea sahen den Großvater bestürzt an. Hatten sie richtig gehört?

„Opa, wie meinst du das?“, fragte Lea. Der Großvater zuckte mit den Schultern und erwiderte: „Ich kann es leider nicht genauer erklären.“

Die Großmutter, die still zugehört hatte, seufzte laut und meinte streng: „Ende der Märchenstunde!“ Sarkastisch fügte sie hinzu: „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“

Tim sagte enttäuscht: „Ach Oma, jetzt, wo es endlich interessant wird hier bei euch, verdirbst du alles.“

Der Großvater stand grinsend auf. Während er sein schmutziges Geschirr zum Spülbecken trug, sprach er: „Eure Großmutter hat recht. Vermutlich habe ich zu viele schlechte Filme im Fernsehen gesehen.“

Am nächsten Tag regnete es. Dicke graue Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben. Tim und Lea langweilten sich – schon wieder. Seit sie bei ihren Großeltern wohnten, hatten beide bereits ein dickes Buch gelesen. Und lesen war nicht gerade eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen.

Am Nachmittag saßen sie Trübsal blasend am Tisch und aßen Apfelkuchen, den die Großmutter gebacken hatte. Sie meinte zu Lea: „Schade, dass du nicht mithelfen wolltest beim Kuchenbacken.“

Lea antwortete genervt: „Ach Oma, ich mache mir nichts aus Kuchenbacken. Ich esse zwar gern Kuchen, aber backen sollen ihn andere.“

Die Oma schüttelte verständnislos den Kopf.

Tim nahm sich noch ein Stück von dem leckeren Kuchen und erkundigte sich bei seinem Großvater nach einem Internetanschluss: „Opa, heutzutage haben doch alle Internet. Warum du und Oma nicht?“ Der Großvater lächelte und erwiderte: „Ich habe was viel Besseres. Ich zeige es dir.“ Er stand auf und ging zu dem großen Sideboard, das in der Wohnküche stand. Er öffnete die Türen des Sideboards und holte aus dem Inneren ein Gesellschaftsspiel heraus.

„Lasst uns doch Scrabble spielen“, schlug er voller Begeisterung vor. Er sah abwechselnd Tim und Lea an.

Die beiden Geschwister starrten den Großvater entsetzt an. „Das ist nicht dein Ernst“, sagte Lea.

Die Großmutter rief verzückt aus: „Klaus, was für eine tolle Idee! Ich räume schnell den Tisch ab, damit du Platz hast, um das Spiel aufzubauen.“

Tim, der das Spiel zunächst skeptisch betrachtet hatte, meinte: „Okay, könnte ja ganz lustig werden. Dann erklär uns doch mal die Spielregeln.“

Der Großvater baute das Spiel auf und erklärte Tim und Lea, dass mit den Spielsteinen, auf denen Buchstaben standen, Wörter gebildet werden mussten. Die einzelnen Buchstaben hatten einen Wert, sodass letztendlich das ganze Wort einen Gesamtwert ergab. Der Spieler, der am Ende des Spiels den größten Wert erlangt hatte, war Sieger. Nun ja, das Spiel war selbsterklärend, wenn man mal begonnen hatte zu spielen.

Der Großvater fing an. Er legte seine Spielsteine und bildete das erste Wort. Die Großmutter war als Nächste dran.

Auch sie ordnete ihre Spielsteine so an, dass ein Wort entstand. Nun war Lea an der Reihe. Sie verband das Wort der Oma mit ihrem. Das Resultat war ein Name: Katja.

Tim war als Nächster dran. Auch er bildete einen Namen mit seinen Steinen: Mirco.

Lea und Tim fanden, je länger sie spielten, immer mehr Gefallen an dem Spiel. Auch die Großeltern hatten einen Riesenspaß. Sie freuten sich, denn endlich konnten sie ihre Enkel für etwas begeistern. Sie spielten bis zum Abend und letztendlich ging der Großvater stets als Sieger hervor. Er erzielte immer den höchsten Wert, und das nach vier aufeinanderfolgenden Spielen.

„Opa, das schreit nach einer Revanche“, sagte Tim lachend.

Lea meinte stolz: „Ich bin nach den vier Spielen auf dem zweiten Platz. Opa, beim nächsten Spiel verlierst du bestimmt gegen mich.“

Der Großvater lächelte nur stumm.

Die Großmutter erklärte: „Ich mache uns schnell ein paar belegte Brote, die können wir während des Spiels essen. Okay?“ Sie blickte in die Runde und empfing dankbare Blicke sowie drei nickende Köpfe als Antwort.

Sie spielten weiter, in die Nacht hinein. Kurz nach zehn musste die Großmutter ständig gähnen. Schließlich sagte sie: „Ich gehe jetzt ins Bett. Ich bin todmüde.“

Den anderen drei Mitspielern ging es genauso. Deshalb räumten sie das Spiel zusammen, um schlafen zu gehen.

„Gute Nacht, Oma, gute Nacht, Opa“, verabschiedeten sich Tim und Lea kurze Zeit später von ihren Großeltern. Tim fügte hinzu: „War eine super Idee von dir, Scrabble zu spielen, Opa. Hat echt Spaß gemacht.“

Der Großvater lächelte zufrieden und antwortete: „Gute Nacht, schlaft gut.“

Die Großmutter umarmte die beiden und gab ihnen einen Kuss auf die Wange: „Gute Nacht, meine Lieben. Träumt was Schönes.“

Während Tim und Lea die Treppe ins obere Stockwerk hochgingen, meinte Lea glücklich: „War richtig schön heute.“

Tim nickte und sagte: „Ja, finde ich auch.“

Als die beiden oben im Flur ankamen, bemerkte Tim sofort, dass etwas anders war als sonst. „Sieh nur“, flüsterte er Lea zu. Tim hatte den Arm erhoben und zeigte mit dem Finger zum Ende des Flurs. Lea begriff, was Tim ihr sagen wollte. Die beiden Zimmertüren der Räume, die sich am Ende des Flurs befanden und die stets geschlossen waren, standen weit offen. Tim und Lea starrten den Flur entlang in Richtung der geöffneten Türen.

„Die hat bestimmt Oma vergessen zu schließen, als sie heute Vormittag sauber gemacht hat“, vermutete Lea. „Ich mache sie zu.“

Und schon ging Lea den Flur entlang. Als sie beim ersten Zimmer ankam, blieb sie plötzlich wie erstarrt stehen. Sie fixierte eine Stelle an der Tür und sagte zu Tim: „Komm schnell her! Das musst du sehen.“

Tim lief den Flur entlang zu Lea, die immer noch die Zimmertür anstarrte. „Das glaube ich nicht!“, meinte Tim erstaunt, als er sah, wovon Lea sprach. Auf der hölzernen Tür stand mit weißer Kreide geschrieben ein Name. Tim las laut vor: „Katja.“

In dem Moment, als er den Namen aussprach, war ein leises Geräusch zu hören, das aus dem Zimmer zu kommen schien.

Lea sah Tim mit einem ängstlichen Blick an. Sie flüsterte: „Hast du das auch gehört?“

Tim nickte, machte entschlossen einen großen Schritt in das Zimmer hinein und betätigte den Lichtschalter.