Die Zuckermeister (1). Der magische Pakt - Tanja Voosen - E-Book
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Die Zuckermeister (1). Der magische Pakt E-Book

Tanja Voosen

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Beschreibung

Das magischste Abenteuer, seit es Schokolade gibt! An Magie und echte Wunder glauben? Für die Bewohner der Kleinstadt Belony selbstverständlich, nur Elina hält das alles für Unsinn. Bis ihrer nervigen Nachbarin Charlie eine Schokolade in die Hände fällt, die eine seltsame Wirkung hat. Plötzlich ist Elina sich sicher: Charlie wurde verzaubert! Hilfe bekommen die Mädchen ausgerechnet vom verschlossenen Robin. Er gehört zu einer Familie aus Süßigkeitenwerkern - Menschen mit der Fähigkeit, magische Süßigkeiten herzustellen, um anderen damit zu helfen. Und deshalb weiß er: Nur die geheimnisvollen Zuckermeister können Charlies Fluch umkehren. Mit einem Koffer voller magischer Süßigkeiten begeben sich die drei auf eine gefährliche Suche. Denn nicht jeder hält sich an den Pakt, die magischen Süßigkeiten nur zum Guten einzusetzen … "Die Zuckermeister - Der magische Pakt" ist der Auftakt zu einer neuen magisch-fantastischen Kinderbuchreihe ab 9 Jahren - zuckerzauberhaft und knallbonbon-wild!

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Seitenzahl: 268

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Tanja Voosen

Die Zuckermeister

Der magische Pakt

Tanja Voosen arbeitet Vollzeit als Dosenöffnerin fürihren Kater Tiger und nutzt ihre freien Stunden, umKinder- und Jugendbücher zu schreiben. Sie wurde 1989in Köln geboren, floh aber kurz darauf in die Eifel, wo siebis heute auf der Suche nach einem magischen Abenteuerdurch die Wälder irrt. Trotz ihres »süßen Talents« überlässtsie lieber ihren Romanfiguren das Herstellen von magischenSüßigkeiten, da ihre Kreationen immer auf seltsameWeise gleich wieder verschwinden. Wie jeder richtigeAutor hat sie unzählige Regale voller Bücher und findetihre Ideen natürlich stets durch völlig absurde Träume.

Mehr von Viktoria Gavrilenko findet manunter https://viccolatte.artstation.com/.

1. Auflage 2020

© 2020 Arena Verlag GmbH

Rottendorfer Straße 16, 97074 Würzburg

Text © 2020 Tanja Voosen

Alle Rechte vorbehalten

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Michael Meller Literary Agency GmbH, München

Cover- und Innenillustrationen: Viktoria Gavrilenko

Lektorat: Laura Held

Umschlaggestaltung: Juliane Lindemann

Layout und Satz: Malte Ritter, Berlin

E-Book-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmund, www.readbox.net

E-Book ISBN 978-3-401-80872-7

Besuche den Arena Verlag im Netz:

www.arena-verlag.de

Für die Menschen, die Zucker und Zauber in meinLeben bringen: meine Mutter, Steffi und Tim,Fabian und Carina. Und für Laura H., ohne diees dieses Buch niemals gegeben hätte.

Regen klopfte gegen das Fenster und Elinas Spiegelbild sah traurig zurück.

»Wieso muss es auch ausgerechnet heute regnen«, murmelte sie.

Elina hatte sich so auf das Feldhockeyspiel gefreut, doch vor einigen Stunden war es über die Telefonkette ihres Teams abgesagt worden.

Auf matschigem Rasen und bei starkem Wind nützte die coolste Schusstechnik nichts. Seufzend lehnte sie sich zurück in den Kissenberg, den sie an ihrem Lieblingsplatz, vor dem breiten Erkerfenster, aufgetürmt hatte.

Ob sie mal gucken sollte, was Opa und Piet so trieben? Neee!

Doch im selben Moment brüllte ihr Bruder: »Elina, wir machen Kakao!«

»Mit Marshmallows!«, rief Opa Alfred hinterher. »Komm zu uns!«

Na gut! Was Süßes vertrieb das traurige Gefühl in ihrem Bauch bestimmt.

Draußen rollte ein lautes Donnergrollen über den Himmel und Elina lief rasch in die Küche. Gesellschaft war bei Gewitter sowieso schöner! Sie musste sofort grinsen, als sie sah, wie Piet mit der Sahnesprühflasche kämpfte und Opa ihm half, damit die Wände keinen neuen Anstrich bekamen. Elina trat zu den beiden an den Tisch.

»Wer möchte Marshmallows?«, fragte ihr Opa fröhlich.

Was für eine Frage! Elina und Piet liebten Marshmallows!

»Ich will mindestens zehn!«, schoss es aus Piets Mund.

Er war acht und glaubte, wenn er alle mit seinen großen blauen Augen flehend ansah, würde sich jeder seiner Wünsche erfüllen. Mama durchschaute diesen Trick immer, aber es würde nicht lange dauern, bis Opa einknickte.

»Es ist Tradition im Hause Pfeffer, dass wir die Marshmallows abzählen«, sagte ihr Opa mit einem Oberlehrerblick. »Die richtige Zahl entscheidet über den Geschmack.«

Elina verkniff sich ein Lachen. Opa war manchmal echt komisch!

»Sechs ist Opas Glückszahl, das weißt du doch«, sagte Elina zu Piet.

»Meine Glückszahl wäre die zehn!«, erwiderte ihr Bruder. »Oder zwanzig!«

Mit amüsiertem Blick bedachte ihr Opa Piet, doch als er Elina ansah, wirkte er plötzlich nachdenklich. »Wir machen jetzt den Kakao fertig und dann zeige ich euch was Besonderes. Das bringt euch auf schöne Gedanken.«

»Einen neuen Zaubertrick?«, fragte Piet.

Die Antwort war ein verschwörerisches Zwinkern. »Was Besseres!«

Elina und Piet setzten sich im Wohnzimmer nebeneinander aufs Sofa und tranken ihre heiße Schokolade. Sie war unheimlich lecker und ein echtes Trostpflaster für Elina, denn sie wärmte von innen heraus. Inzwischen war ihr Opa kurz im Keller verschwunden und kam nun mit einer Holztruhe in den Händen wieder. Er legte sie auf dem Tisch ab und machte es sich im Ohrensessel gemütlich. »Möchtet ihr raten, was drin ist?«

Piet beugte sich neugierig vor. »Ein geheimer Schatz?«

»Erinnerungsstücke«, riet Elina mit.

»Damit liegt ihr beide goldrichtig!«

Elina war insgeheim froh, dass ihr Opa nicht irgendeinen Zaubertrick vorführen wollte. Für sie war bei seinem magischen Hobby die Luft raus, seitdem sie vor Jahren herausgefunden hatte, dass hinter jeder Magie Logik steckte. Feldhockey fand sie außerdem inzwischen viel spannender als hinterm Ohr hervorgezauberte Bonbons oder Blumen, die aus einem Hut kamen.

Ihr Opa überließ es Piet und Elina, die Kiste zu öffnen. Darin befanden sich ein zerlesenes Buch, mehrere vergilbte Fotos, einige Edelsteine und anderer Krimskrams.

»Die Sachen sehen echt alt aus«, meinte Elina.

»Sind die besonders?«, fragte Piet.

»An jeder davon hängen kostbare Erinnerungen. Für mich sind sie besonders und sogar magischer als alle Zaubertricks der Welt. Denn man trägt sie immer im Herzen.«

Elina nahm eines der Fotos heraus, für das Piet sich eher weniger interessierte. Es zeigte zwei Jungs in ihrem Alter. Sie standen nebeneinander, die Arme freundschaftlich über die Schulter des jeweils anderen gelegt, und strahlten um die Wette.

»Das war ein wundervoller Tag damals. Wir waren am See, bis es dunkel wurde, und haben so viel gelacht, dass uns die Bäuche wehtaten. Ich wollte abends gar nicht nach Hause fahren«, erzählte ihr Opa, während Piet seine Tasse leer schlürfte.

»Opa!«, quengelte ihr Bruder sofort los. »Ich möchte noch was!«

Elina verdrehte die Augen. Dass Piet immer dazwischenquatschte, wenn er das Interesse an etwas verlor, nervte. Sie wollte gerne den Rest der Geschichte hören. Für einen Moment hatte sie nämlich nicht an das abgesagte Feldhockeyspiel gedacht.

Opa legte seine Hände aneinander und pustete hinein. Als er sie wieder öffnete, kam ein Karamellbonbon zum Vorschein, das er Piet hinhielt. »Hier.«

»Danke!« Piet stopfte es sich begeistert in den Mund und schmatzte los.

Und schon war ihr Opa eingeknickt … Elina musste sich ein Grinsen verkneifen.

»Zu Regenwetter und Kakao gehört eine Geschichte«, erklärte Opa nun weiter. »Ich kannte mal einen Jungen. Seine Familie lebte, soweit sie zurückdenken konnte, in Belony. Sie hatten nicht besonders viel Geld und er träumte davon, eines Tages aus der Stadt zu kommen, an einen Ort, wo es ihm besser gehen würde. Doch in dem Sommer, als er zwölf war, genauso alt wie du jetzt Elina, hörte er von einer Legende.«

»Über Piraten?«, schlug Piet vor.

»Nein«, meinte Elina. »In Belony gibt es nur eine Legende. Mama hat sie uns früher manchmal als Gutenachtgeschichte erzählt, aber du bist immer eingeschlafen.«

Piet streckte ihr die Zunge raus. »Gar nicht!«

»Oh, doch. Es geht um die Legende von Madame Picot.«

Von ihrem Opa kam ein Nicken. »Madame Picot zog über Nacht in die Stadt und zuerst blieb sie unbemerkt«, setzte er die Geschichte fort. »Die Menschen wurden zu dieser Zeit von kleinen und großen Problemen geplagt. Viele waren sehr unglücklich. Madame Picot eröffnete damals einen kleinen Laden namens Bittersüß. Dort stellte sie Schokolade her und verzauberte mit ihren Köstlichkeiten ganz Belony. Sehr schnell sprach sich herum, dass ein Besuch in ihrer Schokoladenstube wahre Wunder bewirkte. Wer einmal ihre Kreationen gekostet hatte, war bald darauf Probleme und Sorgen los. Es war wie … verzaubert!«

Obwohl Elina die Geschichte über Madame Picot schon kannte, hing sie genauso gebannt wie Piet an den Lippen ihres Opas. Zwar glaubte Elina nicht an wahre Magie, aber ihr gefiel der Gedanke, dass es eine süße Hilfe für jedes Problem gab. Zum Beispiel, um schwere Hausaufgaben zu lösen oder sich in doofen Situationen unsichtbar zu machen.

»Der Junge konnte allerdings nicht ins Bittersüß spazieren, um Hilfe zu suchen. Er lebte lange nach Madame Picots Zeit und ihr Laden war inzwischen eine Touristenattraktion, ohne Zauber.«

Elina dachte an den letzten Sommer, als ihre Schulklasse einige der historischen Sehenswürdigkeiten in Belony besucht hatte. Darunter auch das Bittersüß. Ihre Geschichtslehrerin Frau Schneider war ganz aus dem Häuschen gewesen. Ihre schrillen »Ohs!« und »Ahs!« hatten durch die altmodische Schokoladenstube gehallt, als gäbe es nichts Schöneres auf der Welt als von Spinnweben überzogene Kessel und Werkzeuge.

Aber Frau Schneider war nicht die Einzige, die bei Erzählungen über Madame Picot in Verzückung geriet. Die Menschen in Belony liebten die Legende.

Elina verstand das ganze Theater um die jahrhundertealte Geschichte einfach nicht. Als Märchen war sie ja ganz schön, aber es gab schließlich keine Beweise, dass Madame Picots Süßigkeiten wirklich irgendwelche magischen Wunder bewirkt hatten.

»Wie ging es mit dem Jungen weiter?«, fragte sie neugierig.

»Ihm blieb noch der Wunschbaum!«

»Oh, den kenne ich!«, murmelte Piet schläfrig. »Der steht im Park.«

»Das ist richtig!«, sagte ihr Opa. »Der Wunschbaum ist das Überbleibsel von Madame Picots Erben. Wer dort einen Wunsch hinterlässt, hat vielleicht Glück und er wird einem erfüllt. Der Junge wünschte sich, er wäre nicht mehr so arm und sein Leben in Belony dadurch schöner und aufregender. Er schrieb seine Bitte auf einen Zettel und knüpfte diesen an einen Zweig des Wunschbaumes.«

»Hat sich sein Wunsch erfüllt?«, wollte Elina wissen.

»Oh, ja! Er fand in jenem Sommer einen wahren Freund, mit dem dieser und auch alle Sommer darauf zur schönsten Zeit seines Lebens wurden. Der Junge erkannte durch diesen Freund, dass es Dinge gab, die unbezahlbar waren, und sein Herzenswunsch eigentlich darin bestanden hatte, jemanden zu finden, mit dem die langweiligen Momente zu abenteuerlichen Erlebnissen wurden. Denn es sind nicht Orte oder Geld, die uns glücklich machen, sondern wundervolle Freundschaften und Augenblicke.«

Ihr Opa lächelte und wirkte für einen Moment ganz in Gedanken versunken. Auch Elina schwieg. Ein drückendes Gefühl drehte ihr förmlich einen Knoten in den Magen.

Freundschaften … in der Schule verstand sie sich zwar mit einigen Leuten, aber so was hatte sie nicht. Wahre Freunde.

Dabei wünschte Elina sich diese am sehnlichsten.

»Würde das mit den Wünschen nur so funktionieren«, murmelte sie.

Sie spürte eine sanfte Hand auf ihrem Arm und schaute zu ihrem Opa auf.

»Ein bisschen Vertrauen in Magie hat noch niemandem geschadet.«

Ehe Elina etwas antworten konnte, klingelte es an der Tür.

Piet war auf einen Schlag hellwach und sprang vom Sofa. »Mama und Papa!«

»Warte!«, sagte ihr Opa sofort. »Du sollst nicht allein …«

Schon verschwanden beide im Flur. Von dort erklangen auch die fröhlichen Stimmen ihrer Eltern. Elina blickte betrübt in ihre Tasse. Opas Geschichten haben immer ein Happy End, dachte sie. Aber Happy Ends waren nur etwas für Träumer. Und sie war ganz bestimmt keine hoffnungslose Träumerin.

Frühstücken glich in ihrer Familie einer chaotischen Zirkusnummer. Elinas Vater hetzte jeden Morgen durchs Haus, um noch dies und jenes zu suchen, und ihre Mutter ging am Küchentisch irgendwelche Dokumente von der Arbeit durch, weshalb sie meist hinter Papierstapeln und Ordnern verschwand. Piet war ein Morgenmuffel und kleckerte im Halbschlaf ständig mit seinem Müsli oder der Marmelade. Elina kam sich zu dieser Zeit manchmal wie der Kleber vor, der das Chaos zusammenhielt, denn sie selbst war nach dem Aufstehen putzmunter.

»Wer fährt die Kinder zur Schule?«, fragte ihr Vater beim Durch-den-Raum-Rauschen-und-Käsetoasthappen-Abbeißen. »Wo ist denn nur meine Brille?«

Schwups, war er wieder fort! Ihre Mutter brummte nur.

»Wir fliegen wie immer mit unserem Ufo zur Schule«, antwortete Elina.

»Papa ist eben verplant!«, sagte der Papierstapel alias ihre Mutter und seufzte.

Elina runzelte die Stirn. »Wie kann Papa denn vergessen, dass wir immer den Bus nehmen?«

»Stress!«, sagte ihre Mutter. »Der macht Erwachsene ganz verrückt.«

»Dann bin ich auch verrückt. Ich rede jeden Morgen mit einem Papierstapel«, murmelte Elina und löffelte ein paar Cornflakes. Sie knuffte Piet, der neben ihr saß, in die Seite, da er beim Milcheinschütten fast eingedöst wäre. »Wach bleiben.«

Piet schreckte hoch und kippte die Milch mit so viel Schwung in seine Schale, dass sie nur so in alle Richtungen spritzte und auch Elinas Shirt erwischte.

»Mensch, Piet!«, stieß sie verärgert aus. »Nicht schon wieder!«

Ihr Bruder ignorierte sie und schlürfte lautstark sein Frühstück, als gäbe es nichts Köstlicheres auf der Welt.

Genervt stand Elina auf und wurde auf dem Weg zum Badezimmer fast von ihrem Vater umgerannt, der nun seine Brille auf der Nase sitzen hatte, aber trotzdem keinen Gang runterzuschalten schien. »Ich muss da leider vor dir rein!«, sagte er.

Wusch!, knallte die Tür zu und Elina hämmerte dagegen.

»Papa, ich muss gleich zur Schule!«

»Elina, sagst du Papa, dass ich schon los bin?«, rief ihre Mutter. »Ich muss für den gestrigen Verkauf einer Immobilie noch einen Vertrag im Büro aufsetzen.«

»Mama, warte!«, erwiderte sie. Doch als Elina in die Küche kam, waren der Papierstapel und auch ihre Mutter verschwunden. Seufzend ließ sie die Schultern hängen. Jetzt hatte sie gar nicht fragen können, wann sie gemeinsam ihre Geburtstagseinladungen erstellen und drucken würden. Wie blöd!

Und Zeit, sich umzuziehen, hatte sie jetzt auch nicht mehr, denn ihr Papa schmiss im Bad eine schrille Gesangseinlage und schien da nicht so bald herauszukommen, und Piet saß immer noch am Tisch und machte keine Anstalten, sich fertig zu machen.

Fünf Minuten später hatte Elina ihn dazu gebracht, sich Jacke und Schuhe anzuziehen, und die beiden verließen das Haus. Manchmal nervte ihre Chaosfamilie so sehr! Ohne Opa würde hier echt noch die Apokalypse ausbrechen!

Gedankenverloren schloss sie die Haustür, da hörte sie die fröhliche Stimme ihrer Nachbarin. »Morgen! Sollen wir euch mitnehmen? Ida und Pauline haben heute später Schule und in der Garage ist noch ein Kindersitz.«

Elina blickte zu Frau Sommerfeld, die hinter dem Gartenzaun stand und mit dem sonnenblumengelben Kleid, der weißen Strickjacke und den glänzenden Haaren wie eine Katalogmutter aussah. Das war die Sache mit den Sommerfelds – jeder aus der Familie sah immer wie aus dem Ei gepellt aus. Als würden sie ohne große Mühe bereits glamourös aus dem Bett rollen. Und sie? Tja, sie schaffte es nicht mal ohne einen blöden Fleck auf dem Shirt aus dem Haus …

»Das ist nett, aber wir nehmen lieber den Bus.«

Piet packte Elina am Ärmel ihrer Jeansjacke. »Was? Wieso denn?«

Elina zögerte. Es lag ganz und gar nicht an Frau Sommerfeld. Diese war mit ihrer Mutter befreundet und echt okay. Es lag an …

»Habe mein Mathebuch gefunden, wir können fahren!«, sagte Charlie, die aus der Tür des Nachbarhauses trat, als habe sie einen siebten Sinn für Leute, die sie auf einen anderen Planeten wünschten. Elina bemühte sich, keine Miene zu verziehen. Irgendwann, vermutlich in der Steinzeit, hatten Charlie und Elina mal zusammen im Sandkasten gespielt, doch Charlie lebte, wie auch ihre Schwestern, in ihrer eigenen Glitzerwelt und zu der gehörte Elina nicht dazu. Sie hatte Piet und Elina natürlich schon ins Visier genommen. »Was machen die hier?«

Hier wohnen! Atmen! Existieren!

Elina zwang sich zu einem höflichen »Hey«, auch wenn sie lieber in der ersten Reihen beim Seniorenbingo gesessen hätte – und da spuckte Frau Fischer, eine Freundin ihres Opas, beim Vorlesen jeder Zahl, als wäre sie bei einem Wettbewerb für Lamas.

Für den skeptischen Blick, mit dem Charlie sie musterte, hätte Elina sie auch mal gerne an einen Stuhl dort festgebunden. Was gab es an denn an einem geflochtenen Zopf und ihrer alten Jeansjacke mit den vielen Aufnähern oder dem roten Shirt darunter nun wieder auszusetzen? Ja, gut … der Milchfleck, aber trotzdem!

»Na, wir nehmen die beiden mit«, verkündete Frau Sommerfeld.

Charlie und Elina konnten nichts mehr sagen, denn Piet lief begeistert zum Gartentor. Widerwillig folgte Elina ihm.

Als alle im Wagen saßen und angeschnallt waren, fuhr Frau Sommerfeld los. Elina war froh, dass Charlie sich nach vorne gesetzt hatte. So hatte sie wenigstens ihre Ruhe.

»Deine Mutter meinte, du hast ausgezeichnete Noten, Elina!«, begann Frau Sommerfeld ein Gespräch. »Ich finde es toll, dass du immer so fleißig lernst.«

Oder doch nicht … was sollte sie dazu sagen? Ihr war es unangenehm, vor Charlie gelobt zu werden. Die erzählte bestimmt in der Schule rum, dass Elina sich bei ihrer Mutter eingeschleimt hatte. Viele hielten sie eh schon für eine Streberin.

Piet machte sich im Kindersitz kleiner. Frau Sommerfeld bedachte ihn im Rückspiegel mit einem Lächeln. Sein Hundebabyblick rettete ihn vor dem Elternquiz, der Glückliche!

Elina kam nicht so leicht davon, denn Frau Sommerfeld plapperte unbeschwert weiter. »Ihr schreibt doch bald diesen wichtigen Deutschtest. Könntest du Charlotte nicht ein wenig Nachhilfe geben?«

»Mama!«, rief Charlie empört. »Ich brauche keine Hilfe!«

»Oh, ich denke schon«, erwiderte Frau Sommerfeld. »Ist doch nichts dabei, sich gegenseitig unter die Arme zu greifen. Ihr geht doch in dieselbe Klasse.«

Elina schwieg. Charlie bekam echt alles in den falschen Hals. Vielleicht ließ Frau Sommerfeld das Thema ja fallen, wenn sie sich da raushielt. Sie schaute nach draußen und wünschte sich weit weg. Vielleicht sollte sie sich einfach einem Wanderzirkus anschließen, dann musste sie zwar ein albernes Kostüm tragen, aber Charlie nicht mehr jeden Tag sehen. Elinas Blick blieb am Außenspiegel des Wagens hängen. Bildete sie sich das ein oder sah Charlie geknickt aus? Groß darüber nachdenken konnte sie nicht, denn da verfinsterte sich Charlies Miene und sie grummelte: »Ich will ihre Hilfe nicht.«

Und ich will dir gar nicht helfen, dachte Elina verärgert.

Frau Sommerfeld seufzte. Sie schien verstanden zu haben, dass sie aus Charlie und Elina keine Freundinnen machte, auch wenn sie es immer mal wieder versuchte. Sie wechselte das Thema und plapperte über allerlei anderen Kram: den gestrigen Sturm, der ihre Petunien geköpft hatte oder den unfreundlichen neuen Postboten. Elina war das allemal lieber, als weiter ausgequetscht oder freundschaftsverkuppelt zu werden.

Sie setzten Piet an seiner Schule ab, dann ging es weiter zu der von Elina und Charlie.

»Habt einen schönen Tag!«, rief Frau Sommerfeld, doch Charlie war bereits aus dem Wagen gesprungen und verschwunden. Natürlich, Charlie wurde sicher von ihrem Hofstaat erwartet … Elina ignorierte den Stich, den ihr der Gedanke versetzte, dass niemand auf dem Pausenhof sie erwartete, und zwang sich zu einem Lächeln. »Danke fürs Mitnehmen!«

Als sie im Schulgebäude mit dem weißen Anstrich und dem roten Dach verschwand und durch die Flure lief, fühlte sich sie sofort einsam, auch wenn das Gefühl nicht neu war.

Alle waren in Grüppchen unterwegs, nur sie nicht. Jeder hier hatte beste Freunde oder hing in den Pausen gemeinsam ab. Elina hatte echt versucht dazuzugehören, aber nie so wirklich Anschluss gefunden. Eine Verabredung fürs Kino? Ihr Bus kam zu spät und die anderen waren ohne sie in den Saal. Die Mädchen ihrer Klasse trafen sich zum Rollschuhfahren? Elina wurde zur Lachnummer, weil sie sich kaum vom Rand wegbewegte. Chillen im Schwimmbad? Elina konnte bei den Gesprächen über den neusten Tratsch, Pferde und Computerspiele nie richtig mitreden. Sogar beim Hockeytraining, wo sie sich mit allen ganz gut verstand, hatte es nie richtig Klick zwischen ihr und den anderen gemacht. Dabei brauchte Elina doch nur eine Chance zu zeigen, was in ihr steckte! Wie eine Geburtstagsparty mit spaßigem Motto, wo alle die wahre Elina kennenlernen konnten.

Jemand rempelte sie unsanft an und riss sie aus ihren Gedanken. Ehe sie das Gleichgewicht verlor, fasste ein älteres schwarzhaariges Mädchen sie am Arm.

»So ein Idiot!«, schimpfte das Mädchen. »Alles okay?«

»Ja, danke.« Verlegen betrachtete Elina ihre Retterin. »Du bist Juna Zuckerhut, oder?«

Elina hatte sie schon öfter im Flur gesehen. Sie ging in die Oberstufe.

»Oh, hast du etwa die schaurig-schlimmen Gerüchte über meine Familie und mich gehört? Angeblich sind wir alle durchgeknallt!«, sagte Juna amüsiert.

»Ein paar kenne ich schon«, sagte Elina verlegen. »Aber ich halte die für Blödsinn!«

»Ich weiß gar nicht, welches ich unsinniger finde«, meinte Juna und tat so, als würde sie angestrengt nachdenken. »Die über meine Mutter, die Spielzeuge baut, welche die Leute heimlich ausspionieren, oder über meinen Vater, der mysteriöse Samen in der Stadt verteilt, um illegale Pflanzen zu züchten, oder die über mich?« Sie senkte die Stimme. »In meinen Kunstwerken verstecke ich angeblich geheime Botschaften, um Kinder zu uns zu locken! So wie der Rattenfänger mit seiner Flöte.«

Elina verkniff sich ein Grinsen. »Und ich dachte, ihr tragt nur selbst gestrickte Klamotten, tanzt nachts durch euren Garten und betet dabei den Mond an.«

Nun grinste auch Juna. »Das natürlich auch. Du bist etwas blass, ist alles okay?«

»Oh, echt?« Elina runzelte die Stirn. »Vielleicht wegen dem Schreck gerade.«

Elina fühlte sich tatsächlich ein klitzekleines bisschen zittrig auf den Beinen, aber vielmehr vor Freude darüber, dass ein Mädchen aus der Oberstufe mit ihr sprach!

»Ich weiß, was da hilft.« Juna zauberte ein Karamellbonbon aus ihrer Hosentasche. »Hier, für dich.«

Zögerlich nahm Elina das Bonbon an. »Danke.«

Juna zwinkerte ihr zu. »Ich muss los. Wir sehen uns!«

Elina sah ihr verdutzt nach. Sie hatte sich immer gefragt, wie die Zuckerhuts wirklich waren. Juna jedenfalls war ein klein wenig seltsam, aber auch richtig nett!

Sie betrachtete die Süßigkeit und wickelte sie aus. Ihr Opa verschenkte auch immer Karamellbonbons bei seinen Tricks. Dieses schmeckte jedoch anders. Sahnig und cremig wie Pudding und nach … Glück. Ein aufgeregtes Flattern breitete sich in ihrer Brust aus und angenehme Wärme hüllte sie ein. Ja, sie war glücklich.

Es klingelte zur ersten Stunde, doch statt hektisch loszulaufen, um nicht zu spät zu kommen, lief Elina mit einem Lächeln gemütlich zu ihrem Klassenraum.

Heute würde ein fantastischer Tag werden!

Gegen Ende der vierten Stunde bekam die Klasse ihren Geografietest wieder. Elina war furchtbar nervös.

Hoffentlich hatte sich das viele Pauken gelohnt!

Hinter ihr stöhnte Jonas auf. »Schon wieder eine Fünf!«

»Du musst dich mehr anstrengen, Jonas!«, sagte Herr Ziegel prompt, den Jonas und ein paar andere Jungs immer Herr Ziegenbock nannten, weil er so streng war. »Ein paar von euch könnten mit ihren Noten den ›Club der hoffnungslosen Fälle‹ gründen.«

»Voll unfair!«, rief Jonas. »Das Zeug kann sich niemand merken!«

Herr Ziegel blieb neben Elinas Tisch stehen. Ihre Sitznachbarin Anna war heute krank und deshalb überreichte er nur ihr den Test. »Anscheinend schon, denn Elina hat eine Eins geschafft!« Hastig schob Elina das Blatt in ihren Hefter. Musste er denn ihre Note durch die ganze Klasse posaunen?

»Du solltest besser Elina Streber statt Pfeffer heißen!«, zischte Charlie, die sie von der anderen Seite des Raums finster anstarrte. Klar, dass sie sich einen Kommentar nicht verkneifen konnte.

»Danke für das Kompliment!«, erwiderte Elina cool. Sie wunderte sich kurz, dass ihr der Spruch nicht so viel ausmachte wie sonst. Aber Charlies Sprüche waren eben nichts Neues. Elina konnte das karamellige Glücksgefühl noch auf der Zunge schmecken und es ließ Charlies Worte einfach verpuffen wie heiße Luft.

Charlie und Juliane steckten prompt die Köpfe zusammen und begannen zu tuscheln. Sollten sie doch! Nichts konnte Elina den Tag verderben!

Das Klingeln zur großen Pause ertönte und Elina holte ihre Brotbox und ihr Getränk heraus. Auf dem Weg nach draußen nahm sie den Umweg am Sekretariat vorbei. Vielleicht hatte ihre Trainerin etwas wegen eines neuen Hockeyspiels am Schwarzen Brett angepinnt. Leider nicht.

Plötzlich hörte sie ein Schluchzen. Es kam aus einem der offenen Klassenräume, nur ein paar Meter entfernt. Besorgt trat sie näher.

»Das wird schon wieder«, hörte sie jemanden sagen.

Elina hatte die Stimme erst vor ein paar Stunden gehört … Juna?

Was sie noch sagte, konnte Elina nicht verstehen. Aber das Schluchzen ebbte langsam ab. Elinas Neugier zog sie zu dem Klassenzimmer.

Juna reichte gerade einem Jungen aus der Unterstufe, den Elina vom Sehen aus dem Bus kannte, ein Bonbon.

»Hier, nimm«, sagte Juna. »Die wirken Wunder.«

Er rieb sich über die roten Augen. »Danke.«

Der Arme! Ob es in seiner Klasse auch eine Charlie gab?

Elina sah fasziniert zu, wie der Junge auf dem Bonbon herumkaute und sich sein Gesicht schlagartig aufhellte.

»Mir geht’s schon besser!«, sagte er.

Juna tätschelte seine Schulter. »Na, siehst du.«

Die beiden standen auf und gingen Richtung Tür. Schnell huschte Elina um die Ecke. Der Junge verabschiedete sich überschwänglich von Juna, dann wurde es still.

»Whaaa!« Erschrocken stolperte sie rückwärts.

Wie ein Ninja war Juna neben ihr im Gang aufgetaucht. Mensch, die war vielleicht gut im Anschleichen!

»Wir kennen uns doch«, bemerkte Juna.

Elina spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. »Es tut mir leid! Ich wollte nicht …«

»Heimlich zuhören? Ich drücke mal beide Augen zu. Verbotene Dinge sind eben verlockend.« Juna strahlte sie an. »Ich weiß noch gar nicht, wie du heißt.«

»Oh, sorry … ich bin, ähm, Elina Pfeffer. Also nur Elina.«

Juna schmunzelte. »Ah, nur Elina, schön, dich wiederzusehen!«

»Sag mal … dieses Bonbon, das du mir gegeben hast, das war echt … lecker. Woher hast du das?«, fragte Elina. Verflixt auch! Fiel ihr denn nichts Besseres ein? Das klang ja fast so, als hätte ihr das Karamellbonbon heute Morgen nicht nur die Zähne verklebt, sondern auch das Hirn verknotet! Dabei war das die Chance, vielleicht eine Freundin zu finden!

In Junas Augen trat ein seltsames Funkeln. »Ich denke, für einen Tag war das genug magischer Zucker.«

Magischer Zucker? Was hieß das denn?

»Ahh, Elinaaaaa! Da bist du jaaaaa!«

Plötzlich war Charlie neben ihr und hakte sich bei ihr ein.

»Die anderen warten schon. Du trödelst immer so.«

Ohne Juna zu beachten, zerrte Charlie Elina mit sich.

Elina war so verdattert, dass sie gar nicht reagierte. Etwas hilflos drehte sie den Kopf nach Juna um. Deren Miene nach zu urteilen, war sie völlig verwirrt über die Aktion – da waren sie schon zwei. Wieso spazierte Charlotte Sommerfeld öffentlich Arm in Arm mit ihr durch die Schule? Hatten Aliens sie in der Pause gegen eine nettere Version ausgetauscht? Pah, als ob! Elina riss sich los. »Was sollte das?!«

»Ich habe dich nur vor einer aus der Freak-Familie gerettet.« Charlie verdrehte die Augen. »Ich wollte nur nett sein, wo dein Ruf doch eh schon ziemlich im Eimer ist.«

»Gerettet? Nett sein? Total unhöflich war das!«

»Pauline geht mit der in eine Klasse und sagt, die würde ständig nur vor sich hin träumen und seltsames Zeug faseln«, erwiderte Charlie hochnäsig.

Elina war fassungslos. »Ich finde sie echt cool! Versprüh dein Gift einfach woanders!«

Charlie schob sich ein paar ihrer braunen Locken hinters Ohr. »Kein Wunder, dass du keine richtigen Freunde hast, wenn du solche Leute cool findest! Spaß verstehst du auch keinen!«

Elina umklammerte ihre Brotbox und Flasche vor Wut so fest, dass ihr die Finger wehtaten. Charlie war kein Stück besser als die Leute, die komische Gerüchte über die Zuckerhuts in der Schule erzählten!

»Auf solche Art von Spaß verzichte ich!«, erwiderte Elina.

Sie funkelte Charlie böse an, drehte sich um und stampfte davon.

Auf dem Heimweg nahm Elina nicht den Bus, sondern ging zu Fuß. Von der Schule war es zwar ein Stück bis zu ihr, aber ihre Wut über Charlie war noch nicht ganz verpufft und beim Spazieren bekam sie gut den Kopf frei. Die Runde entlang des kleinen Wäldchens vorbei an den Schrebergärten war perfekt dafür. Ihr Magen grummelte ein bisschen vor Hunger und beim Gedanken an Essen kam Elina wieder Junas komische Aussage in den Kopf: »Für einen Tag war das genug magischer Zucker.«

Es ärgerte sie noch immer, dass Charlie ihr keine Gelegenheit gegeben hatte, Juna nach der Bedeutung dieser Worte zu fragen oder sie besser kennenzulernen. Ein paar der Zuckerhut-Kinder hatte Elina hin und wieder mal in den Schulfluren oder bei Veranstaltungen in der Aula gesehen. Wenn sie genau darüber nachdachte, ließen die sich aber sonst echt nicht viel blicken. Am meisten wurde über den Bruder ein paar Stufen über Elina geredet, weil einige Mädchen ihn »sooooo süß« fanden.

Doch auch außerhalb der Schule redeten die Leute über die Zuckerhuts. Es war kaum zwei Wochen her, da hatte Elina sonntags mit ihrem Opa Brötchen geholt und mitbekommen, wie zwei ältere Frauen lautstark über die Familie getratscht hatten.

»Jaja! Die kennt man! Seltsame Leute sind das.«

»Die haben eine ganze Bande an Kindern!«

Opa hatte die Augen verdreht und auch Elina hatte nicht verstanden, was daran so schlimm sein sollte. Das Gerede in der Schlange beim Bäcker hatte kein Ende gefunden.

»Hast du gewusst, dass die in der alten Mühle leben? Unfassbar!«

»Das ist doch kein Ort für Kinder! Was denken sich die Eltern nur?«

Elina stellte es sich aufregend und abenteuerlich vor, in einer Mühle zu leben! Ob sie sich das Zuckerhut-Haus mal ansehen sollte? Sie blieb an der Kreuzung stehen. Geradeaus ging es Richtung Altstadt und nach Hause. Rechts von ihr reihten sich einige Häuser entlang der Waldstraße auf beiden Seiten aneinander und irgendwo hinter dem Kornfeld am Ende lag die alte Mühle. Elina spähte die Straße hinunter und spürte, wie ihre Neugier immer größer wurde. Charlie mochte alle verurteilen, aber Elina machte sich lieber ihr eigenes Bild. Also los!

Sie ging einige Minuten, bis Nummer neunzehn hinter dem Feld auftauchte. Hier gab es sonst nur noch die weiterführende Landstraße, die sich durch den umliegenden Wald aus Belony bis zur Nachbarstadt schlängelte.

Doch eine alte Mühle? Von wegen! So was hatte Elina noch nie gesehen!

In der Mitte des Grundstücks thronte ein großes Haus, mit mehreren Stockwerken, das ein bisschen schief aussah. Es erinnerte Elina an eine gigantische Torte mit vielen Schichten, die verrutscht waren. Jedes Stockwerk war in einer anderen Farbe gestrichen, die Fensterläden waren alle knallrot und das Dach glich mit seinen runden grauen Schindeln dem Rücken einer Schildkröte. Links davon schloss ein kleiner Turm an das Haus an, in den man über eine Wendeltreppe gelangte, die sich um ihn herumschlängelte. Davor lag das alte Mühlenrad im Wasser eines moosbewachsenen Teiches. Rechts ging der Anbau noch weiter und in ein kleines Nebengebäude voller Zinnen über, mit einem Schornstein, der wie ein krummer Hut darauf saß.

Und der Rest erst! Kunterbunte Steine führten quer durch den Garten. Zwischen hohen Gräsern wuchsen unzählige Blumenarten, die Elina noch nie zuvor gesehen hatte – Blüten mit seltsamen Tupfen oder Pflanzen mit ungewöhnlich kringeligen Blättern. Es duftete herrlich und sie bekam unheimlich Lust auf etwas Süßes. Sahen die Gewächse nicht sogar ein wenig wie Lutscher und Zimtschnecken aus?

Neugierig trat Elina näher an den Zaun heran.

»Ich würde an deiner Stelle lieber wegbleiben!«, krächzte jemand.

Ertappt fuhr sie herum. Ein alter Mann, mit Hund an der Leine, hinkte mit einem Gehstock auf sie zu. Sein griesgrämiger Gesichtsausdruck gab Elina das Gefühl, Unkraut zu sein, das ihm lästig war. Wieso guckte er sie so finster an?

»Ähm … guten Tag«, sagte sie.

»Gut!«, brummte er. »Kein Tag ist gut, solange diese absonderliche Truppe weiter in meiner Straße lebt! Weg da vom Zaun, Kindchen.«

Elina blieb, wo sie war. »Wieso das denn?«

»Die lungern ständig irgendwo herum und verteilen ihre Süßigkeiten, aber ich durchschaue sie! Pass auf, ehe sie dich kriegen«, sagte der alte Mann aufgebracht.

Sie glotzte den Mann ungläubig an. »Ehe sie mich kriegen? Wovon reden Sie?«

Er machte eine kreisende Handbewegung neben seinem Kopf, als wolle er andeuten, dass die Zuckerhuts nicht mehr alle Tassen im Schrank hatten. »Die stellen komische Dinge mit den Leuten an. Meine Nachbarin Frau Kloß ist nicht mehr dieselbe, nachdem diese zwei Zuckerhut-Mädchen mit irgendwelchen Keksen bei ihr waren!«

»Wie meinen Sie das?«, hakte Elina skeptisch nach.

»Sie kann gar nicht mehr aufhören zu lachen, es ist wie ein Fluch!«

»Aber man lacht doch, wenn man glücklich ist …«

Rums! Der alte Herr ließ seinen Gehstock auf den Boden knallen. Seine Miene wurde noch finsterer.

Elina stolperte vor Schreck rückwärts.

»Wenn ich es doch sage! Das ist Hexenwerk!«, brauste er auf. »Die tun so nett und vergiften die Leute dann mit ihren Süßigkeiten!«

Sie dachte an das Glücksgefühl nach Junas Karamellbonbon. Es war so schön und bestärkend gewesen … Elina hatte sogar Charlies blödem Spruch standgehalten. Wie konnte das etwas Schlechtes sein? Nein, wenn hier etwas – oder jemand – unheimlich war, dann dieser Mann, der fast schon bedrohlich näher kam. Elina ging weiter zurück, als das Gartentor unerwartet aufschwang und sie reichlich unelegant auf ihren Hintern plumpste. Autsch!

Der alte Mann riss plötzlich die Augen weit auf und erstarrte regelrecht zur Salzsäule. Elina hatte die Schritte nicht gehört, aber jemand war aus dem Haus gekommen! Nach all dem Geflüster in der Schule über sein süßes Wuschelhaar und die eisblauen faszinierenden Augen war Elina sich sicher: Das musste Junas Bruder sein!

Er reichte ihr eine Hand und zog sie hoch. »Alles in Ordnung?«

»Ja, danke«, antwortete sie.

»Herr Schnotter, wie schön, dass Sie vorbeischauen«, wandte sich Junas Bruder an den Mann. »Wollen Sie auf eine Tasse Tee hereinkommen? Wir haben auch Kekse.«

»Und riskieren, dass ich nach einem Keks nicht mehr ganz richtig ticke? Das glaubst auch nur du, Junge!«

»Ach, Herr Schnotter. Jetzt haben Sie sich nicht so.«

»Komm mir bloß nicht zu nahe, du Bengel!«, drohte Herr Schnotter und hinkte mit seinem Hund weiter.

»Der war vielleicht unheimlich«, murmelte Elina.

»Sind wir schon gewohnt«, meinte der Junge schulterzuckend. »Der steht regelmäßig vor unserer Tür und erzählt Unsinn. Vielleicht ist er ja nur einsam und will Gesellschaft.«

»Mhm«, machte Elina und sah ihn prüfend an. »Er war aber nicht zum Kaffeekränzchen hier, er schien es sehr ernst zu meinen.«

Der Junge lachte laut. »Denkst du echt, wir verzaubern Süßigkeiten?«

Elina schnaufte. »Immerhin gibt es die Legende über Madame