Die Zukunft der SPD - Daniel-David Pirker - E-Book

Die Zukunft der SPD E-Book

Daniel-David Pirker

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Beschreibung

Die SPD kann sich rühmen, die älteste parlamentarisch vertretene Partei zu sein. Begonnen hat sie im 19. Jahrhundert als sozialistische Arbeiterpartei, wandelte sich jedoch über die Jahrzehnte zu der heute bekannten sozialdemokratischen Volkspartei. In ihrem Programm geht es vor allem um Freiheit, Gleichheit und Solidarität. Doch sind das die Werte der Zukunft? Kann man damit heute noch Wahlen gewinnen? Der vorliegende Band beschäftigt sich neben früheren Wahlniederlagen und –erfolgen vor allem mit den Zukunftschancen der SPD. Kann sie an frühere Wahlerfolge anknüpfen? Aus dem Inhalt: Ursachen für die Wahlniederlage 2009, Zukunftschancen für die SPD, die Parteistruktur, das Image der SPD, die Parteiprogrammatik.

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Seitenzahl: 199

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Impressum:

Copyright © 2013 ScienceFactory

Ein Imprint der GRIN Verlags GmbH

Coverbild: By dbenzhuser [Public domain], via Wikimedia Commons

Die Zukunft der SPD

Erfolge und Misserfolge einer Volkspartei

Die SPD als „Volkspartei“ – Parteistruktur, Soziale Basis, Image und Wahlkampfstil von Georg Ismar

Einleitung

Die SPD als Volkspartei

Godesberg als Aufbruch oder Abschluss eines Wandlungsprozesses?

Beispiele für den Wandel zur Volkspartei

Indikator für Demokratiedefizite? Das Erstarken der Jusos als innerparteiliche Opposition

Fazit

Literaturverzeichnis

Die „Enkel“ auf dem Weg zum Erbe. Zur Gegenwart und Zukunft der SPD von Dennis Buchner

Einleitung

Die SPD nach der Wiedervereinigung

Die SPD im Bundestagswahlkampf 1998

Mitgliederentwicklung der SPD – Von der Volks- zur Funktionärspartei?

Parteifinanzen

Koalitionsfähigkeit und Machtbasis – Auf dem Weg zur deutschen Hegemonialpartei?

Parteireformen

Programmatik der SPD

Schlussbetrachtung und Ausblick

Abkürzungsverzeichnis

„Die SPD – Eine Partei mit Zukunftschancen?“ von Daniel-David Pirker

Einleitung

Neue Herausforderungen für die Sozialdemokratie

Neue Ansätze für eine zukünftige SPD

Vorbilder für die deutsche Sozialdemokratie?

Fazit

Literaturverzeichnis

Die Ursachen für die Wahlniederlage der SPD bei der Bundestagswahl 2009 von Felix Reibestein

Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

Langfristige strukturelle Ursachen

Mittelfristige Ursache: Die SPD während der Kanzlerschaft Gerhard Schröders

Kurzfristige Ursache – Die SPD im Bundestagswahlkampf 2009

Fazit

Literaturverzeichnis

Die SPD als „Volkspartei“ – Parteistruktur, Soziale Basis, Image und Wahlkampfstil von Georg Ismar

2003

Einleitung

„Geh mit der Zeit, geh mit der SPD“. Mit diesem Slogan startete die SPD 1959 eine verstärkte Mitgliederwerbeaktion. Dahinter verbarg sich der eigene Anspruch im Rahmen des Wandels von einer Klassen- zu einer Volkspartei Modernität zu signalisieren. Nachdem die SPD bei den ersten drei Bundestagswahlen in der Bundesrepublik vor allem von Mitgliedern der gewerkschaftlich geprägten Industriearbeiterschaft gewählt worden war und aufgrund der mangelnden Attraktivität bei den katholisch geprägten Arbeitern und den Angestellten im 30%-Turm gefangen schien, war spätestens seit der erneuten Wahlniederlage 1953[1] ein innerer Druck mit der Forderung nach einer grundlegenden Parteireform artikuliert worden. Den Abschluss fand dieser Prozess als Antwort auf die gesellschaftlichen Veränderungen in dem Grundsatzprogramm von Bad Godesberg 1959.

Über die innerparteiliche Erneuerung hinaus wollte sich die Sozialdemokratie den ihr bis dahin nicht nahestehenden Schichten öffnen. Dies war gleichbedeutend mit dem Eingeständnis, das der Versuch, den Charakter einer Klassenorganisation beizubehalten, gleichzeitig aber die soziale Basis um der Partei traditionell fernstehende Arbeitnehmergruppen zu erweitern, gescheitert war. Durch das Abwerfen des alten ideologischen Ballasts und dem Friedensschluss mit der Bundesrepublik, konnte der Wandel zur Volkspartei vollzogen werden.

Die vielfältige wissenschaftliche Diskussion um den Begriff „Volkspartei“[2] lässt sich so zusammenfassen, dass die Beschreibung Volkspartei für eine politische Organisation von Bürgern steht, die in der sozialen Zusammensetzung ihrer Mitglieder, Funktionäre und Wähler nicht auf eine Schicht oder Klasse beschränkt bleibt, sondern prinzipiell versucht, alle Schichten und Gruppen zu umfassen und somit sozial heterogen ist.[3] Diesen Anspruch versuchte die SPD im Godesberger Programm umzusetzen, indem sie Kooperationsangebote an der Partei bisher fernstehende Schichten wie die Angestellten, Beamten und die Anhänger der katholischen Kirche machte sowie den Marxismus als Kernquelle ihrer Politik aus dem Programm strich. Es ist im Folgenden zu klären, inwieweit das neue Grundsatzprogramm einen neuen Aufbruch oder den Abschluss eines langen Wandlungsprozesses darstellt. Dabei gilt es vor allem die Veränderungen in der Arbeiterschaft, die verstärkte soziale Mobilität und Vermischung von Milieus sowie die Veränderung der Erwerbsstruktur zu berücksichtigen.

In Anknüpfung an die massiven gesellschaftlichen Veränderungen, wollte die SPD nun, durch ihren programmatischen Wandel, eine Partei des Interessenpluralismus mit heterogenen Ausprägungen sein, die gerade durch die Differenzierung und die gesellschaftliche Heterogenität die reale Gesellschaft wiederspiegelt. Als Abschluss dieses Prozesses wurde die Übernahme der Regierungsverantwortung gesehen. Um dieses Ziel zu erreichen, war man fortan auf die Eroberung möglichst hoher Stimmenanteile bei den Wahlen eingestellt und in diesem Zusammenhang trat die vorher geltende Fixierung auf die geistig-moralische Bindung von Anhängern in den Hintergrund. An die Stelle eines integrativen Mediators zwischen den verschiedenen Milieus trat nun die Konsensbildung, die Übernahme einer Schlichtungs- und Ausgleichsinstanz zwischen den heterogenen gesellschaftlichen Gruppen. Im Gegensatz zum alten Selbstverständnis als Massenintegrationspartei, sollte eine tiefere ideologische Durchdringung zugunsten eines neuen, möglichst viele Schichten ansprechenden Images und einem schnellen Wahlerfolg in den Hintergrund treten.

Der Wandel der SPD in einer Phase, in der die ideologische Auseinandersetzung des Ost-West-Konflikts ihren Höhepunkt überschritt, lässt sich mit dem Konzept der Volkspartei/Allerweltspartei von Otto Kirchheimer erklären.[4] Sie ist seiner nach Meinung ein Phänomen des Wettbewerbs, das in einer Phase der sich abschwächenden Klassengegensätze und des wirtschaftlichen Aufschwungs auftritt. Je weniger die Bevölkerung das Bedürfnis nach umwälzenden politischen Veränderungen verspürt, umso mehr müssen sich Parteien, die viele Schichten erreichen wollen, die auf eine politische Umwälzung abzielenden Punkte aus ihren Parteiprogrammen streichen.

Die SPD tat sich lange Zeit mit dem Begriff der Volkspartei aufgrund ihrer bürgerlichen Herkunft schwer. Vielmehr sah sich die SPD als eine Volkspartei mit Arbeiterstamm. Begleitet wurde der Wandel, der über die Zwischenetappe der Großen Koalition in die sozial-liberale Koalition 1969 mündete, von dem Aufstieg charismatischer Persönlichkeiten.

Die Anziehungskraft, die Karl Schiller mit seiner Wirtschaftspolitik auf die bis dato der SPD fernstehenden „white-collar“ Wählerschichten, wie z.B. Unternehmer und höhere Angestellte, ausübte, oder die Ausstrahlung Willy Brandts, hatten eine nicht zu unterschätzende Bedeutung bei dem Durchbruch zur Volkspartei und der Übernahme der Regierungsverantwortung. Hinzu kam durch die Überwindung des Höhepunktes des Ost-West-Konfliktes und der zunehmenden Unbrauchbarkeit der Hallstein-Doktrin die Notwendigkeit einer Neujustierung der Außen- und Deutschlandpolitik.

Durch neue wegweisende Konzepte in diesem Bereich, der Öffnung gegenüber bisher fernstehenden Schichten, einer modernen Wirtschaftspolitik und dem Beweis, dass das neue Volksparteiprofil nicht nur ein Manöver für den Bundestagswahlkampf 1961 gewesen ist, gelang es der SPD neue Wähler und Mitglieder zu gewinnen.

Im Folgenden ist beispielhaft zu analysieren, wie die SPD konkret ihren Wandel zur Volkspartei vollzog und ob Veränderungen, zum Beispiel im Verhältnis zur katholischen Kirche von Dauer waren oder nur als Mittel zum Zweck, dem Prinzip der Stimmenmaximierung angesehen wurden. Auf der Ebene der innerparteilichen Veränderungen ist zu untersuchen, welcher Wandel durch die neuen Mitglieder und insbesondere durch den Rückgang des Arbeiteranteils in der Partei eintrat. Abschließend wird zu untersuchen sein, welche innerparteilichen Auswirkungen die zunehmende Entideologisierung und Indifferenz hatte und ob sich die alte Vergangenheit so einfach abstreifen ließ. Dabei soll sich die Arbeit an der Ausgangsthese orientieren, dass die SPD mit ihrem Wandel zur Volkspartei den notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen Tribut zollte, dadurch aber ein völlig verändertes Gesicht erhielt. Eine zunehmende Entideologisierung und die Marginalisierung der Arbeiterschaft waren Charakteristika der innerparteilichen Entwicklung. Jedoch wurde die SPD nicht zu einer profillosen Partei, sondern zu einer pluralistischen, von der neuen Heterogenität durch Diversifizierung des Fachwissens in vielen Politikfeldern profitierenden und letztlich die Regierungsfähigkeit ermöglichenden Partei.

Die SPD als Volkspartei

Godesberg als Aufbruch oder Abschluss eines Wandlungsprozesses?

„Die Sozialdemokratische Partei ist aus einer Partei der Arbeiterklasse zu einer Partei des Volkes geworden.“[5] Mit diesen Worten beschrieb die SPD den grundlegenden Wandel, der durch das Godesberger Grundsatzprogramm von 1959 eine Neuausrichtung der Sozialdemokratie festlegte. In der Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik hatte sie den Anspruch erhoben, eine Klassenpartei zu sein, die aber schon damals nicht die Klasse der Lohnabhängigen, sondern nur etwa die Hälfte der gewerblich-industriellen Arbeiter für sich gewinnen konnte.[6] In der Verbindung von Klassenlage und nationaler Diskriminierung der Sozialisten, Katholiken und Minderheiten hatten mehrere Faktoren zu einer Abschottung der verschiedenen Milieus geführt: Jedes Milieu hatte für sich analoge Institutionen und Organisationen herausgebildet, die Teilgruppen der Arbeiterschaft dauerhaft banden. Gerade im sozialdemokratischen Milieu entstand im Kaiserreich durch die Vielzahl eigener Vereine eine „alltagsweltlich begründete Gesinnungsgemeinschaft“.[7] Durch den Krieg und die Novemberrevolution kam es zwar zu einer Polarisierung zwischen den Organisationsführungen und der Arbeiterschaft, jedoch kam es trotz der für viele Teile der Arbeiterschichten enttäuschenden Regierungspolitik der SPD und den sich bis fast zu einem Bürgerkrieg entwickelnden Arbeiterprotestbewegungen, verbunden mit einem Konkurrenzdruck von „linken“ Parteien wie der USPD und der KPD, nicht zu einem Bruch der Autorität der SPD für große Teile der Arbeiterschaft. Um die Arbeiter weiter zu binden, wurde das System der Subkultur weiter ausgebaut. Das sozialdemokratische Vereinswesen wuchs sowohl in der Breite als auch in der Tiefe. Weiter vorherrschend blieb wie schon zu Zeiten der polarisierten Gesellschaft des Kaiserreichs das Klassengefühl „wir und die anderen“.[8]

Der Nationalsozialismus zerstörte zwar durch Gleichschaltung und Verbot die Arbeiterbewegung und löste die Verbindung zwischen den Arbeitern und ihren Organisationen auf, er setzte aber auch Traditionen fort und veränderte dabei ihren Gehalt.[9] Dabei änderten sich Grundseinstellungen: Die Armut im stalinistischen Russland, der Krieg im Osten mit der ideologischen Kriegsführung gegen den „Bolschewismus“, diskreditierte für viele Arbeiter endgültig den Marxismus, beziehungsweise den Kommunismus. Das Schicksal der Vertriebenen und die sowjetische Nachkriegspolitik vertieften diese Einstellung, die Spaltung der Weimarer Zeit zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten blieb deshalb auch nach 1945 stabil.

Dadurch verlor die marxistische Tradition in der Arbeiterschaft zunehmend an Bedeutung, wobei dies vor allem durch die fundamentale Verbesserung der sozialen Lage forciert wurde.[10] Allerdings setzte sich die Spaltung zwischen sozialdemokratisch geprägten und christlichen Gewerkschaften fort. 1955 kam es zu einer Neugründung der christlichen Gewerkschaften. Dies war das Resultat der Hoffnung des DGB auf einen SPD-Wahlsieg 1953 und die laizistische Schulpolitik der Sozialdemokraten. Die Wiederheranführung der christlichen Arbeiter an die SPD war eines der Ziele des Godesberger Parteiprogramms und letztlich der Schlüssel zum Durchbruch zur Volkspartei. Trotz der Politik von nationaler und sozialer Integration der SPD und des DGB war bis in die 60er Jahre eine Stagnation und Kontinuität in ihren traditionellen Rekrutierungsfeldern festzustellen. Die SPD blieb in der Zusammensetzung der Mitglieder und Wähler zu 60% eine Arbeiterpartei, die kaum neue Schichten erreichte. Ab den 60er Jahren geriet aber das Milieu der Arbeiterschaft zunehmend in Bewegung. Das Provisorium Bundesrepublik etablierte sich politisch, gesellschaftlich und vor allem wirtschaftlich. Dadurch stieg die individuelle Zufriedenheit der Arbeiter auch mit der kapitalistischen Industriegesellschaft.[11] Durch die schwindenden schichten- und milieuspezifischen Bindungen früherer Zeit, war auch die SPD gezwungen, auf die veränderten Bedingungen zu reagieren. Sie konnte nicht mehr die Integrationspartei einer Klasse sein, die durch die soziale Mobilität zunehmend ihre Konturen verlor und als Milieu ausgehöhlt wurde, sondern konnte nur durch den Versuch, möglichst viele gesellschaftliche Schichten in der Partei und im politischen System zu integrieren, dauerhaft konkurrenzfähig werden.

Die Veränderungen durch das Grundsatzprogramm von Bad Godesberg

Aufgrund der aufgezeigten Entwicklung in der Arbeiterschaft und dem seit den Wahlniederlagen bei Bundestagswahlen einsetzenden, inneren Reformprozess kann das Godesberger Programm nur als Abschluss eines langen Wandlungsprozesses verstanden werden. Es resultierte aus dem großen Veränderungsdruck, den die gesellschaftlichen Veränderungen, das Auflösen der traditionellen Arbeitermilieus und das Verharren im 30%-Turm bei Bundestagswahlen auslösten.

Weil der Weg zu einer Volkspartei nur über eine Öffnung für neue Schichten führen konnte, wurden im Godesberger Programm[12] Friedens- und Kooperationsangebote an die katholische Kirche, die Selbständigen und die Unternehmer formuliert und der Marxismus, als frühere Kernquelle sozialdemokratischer Politik, fand keine Erwähnung mehr. Infolge der relativ beliebig und flexibel gehaltenen Grundsätze bot das Godesberger Programm für die künftige Politik einen größeren Handlungsspielraum und eine größere Flexibilität. Dies war gleichbedeutend mit einer zunehmenden Entideologisierung als Antwort auf die gesellschaftlichen und sozialen Veränderungen. So verlor die alte Arbeiterklasse neben den aufgezeigten sozialen Veränderungen und der geringeren Bindekraft an die SPD durch die massive Schrumpfung des primären Sektors an Bedeutung.[13] Die zunehmende soziale Durchmischung von Wohnquartieren und die anwachsende Mobilität von Stadt und Land, die Tertiärisierung der Gesellschaft, die eine Verbesserung der Bildungschancen für Arbeiterkinder einhergehend mit beruflichem Aufstieg und einer stärkeren Distanzierung von den Herkunftsgebieten bedeutete, und die Lockerung der Bindungen an Sozialmilieus, führten letztlich zu einer Abschwächung alter Klassengegensätze.[14] Durch die sozialen Wandlungen hatte sich die Rolle der SPD als traditionelle Integrationspartei weitgehend erledigt, der Industriearbeiter war mittlerweile weitgehend in die Gesellschaft integriert.

Um den Teilen der Öffentlichkeit, die dem Wandel der Partei noch kritisch gegenüberstand, zu beweisen, dass es sich nicht um ein taktisches Manöver zu einem größeren Erfolg bei Bundestagswahlen handelte, wurden grundsätzliche Richtungswechsel in der politischen Praxis vollzogen: Die Wehrpflicht wurde nach einem Parteitagsbeschluss 1960 in Hannover nicht mehr strikt abgelehnt, ebenso wurde die atomare Aufrüstung nicht mehr kategorisch ausgeschlossen; man bekannte sich im Godesberger Programm zur Landesverteidigung und Herbert Wehner legte in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag im Juli 1960 eine Revision der sozialdemokratischen Deutschlandpolitik dar, die SPD bekannte sich nun zu einer gemeinsamen Außenpolitik von Regierung und Opposition auf der Grundlage der bestehenden Bündnisverpflichtungen.[15]

„Damit beendete die SPD eine Deutschlandpolitik, die in der Verhinderung insbesondere der militärischen Westintegration die Voraussetzung für eine aktive Wiedervereinigungspolitik gesehen hatte.“[16]

Dadurch konnte sich die SPD als systemimmanente, gesellschaftspolitische Reformalternative zur mehr und mehr an konservative Beharrungsstrategien gebundenen CDU/CSU etablieren.[17]

In der Folgezeit versuchte man das Bild einer marxistischen Partei zu revidieren und im Volk weiter fortbestehende Glaubwürdigkeitsdefizite durch eine Abgrenzung zum linken Spektrum zu beseitigen. Die Gefahr links von der SPD Wähler zu verlieren, war nach dem Verbot der KPD ungleich geringer, als weiterhin die Wähler aus den Mittelschichten nicht zu erreichen.

Am 6. November 1961 kam es zur Trennung von dem traditionellen Studentenbund der SPD, dem SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund). Auslöser dafür waren die Kritik seitens des SDS am Volksparteikurs der SPD und eine verstärkte marxistische Ausrichtung.

„Die SPD konnte sich zudem keinen Jugendverband leisten, der sich gerade zu dem Zeitpunkt zum Marxismus zu bekennen begann, als die SPD in diesem Marxismus die Hauptbelastung für ihre Machterwerbsstrategie sah.“[18]

Bad Godesberg sollte durch die zum Großteil einstimmig getroffenen Entscheidungen und die aufgezeigten Abgrenzungen vom Marxismus und klassengeleiteten Politikansätzen den Aufbruch zu einer neuen Politik als Antwort auf den langen Wandlungsprozess manifestieren. Es wurde das Bild einer homogenen und modernen Partei suggeriert, die angemessen auf die Veränderungen in der Bundesrepublik reagierte und so regierungsfähig werden kann.

Beispiele für den Wandel zur Volkspartei

Neben diesen ersten, direkt auf die Schaffung eines anderen Image in der Öffentlichkeit abzielenden Handlungen, ist im Folgenden untersuchen, wie man sich konkret an die Katholische Kirche annäherte, welche Veränderungen es in der Organisationsstruktur, der Mitglieder- und Wählerschaft gab und welche Rolle der Eintritt in die Große Koalition für den Durchbruch zur Volkspartei spielte.

Die Entwicklung des Verhältnisses zur katholischen Kirche

Mit dem Angebot einer freien Partnerschaft an die katholische Kirche im Godesberger Programm, versuchte die SPD einerseits ihrem Volksparteiprofil mit der Öffnung hin zu bisher unerreichten Schichten gerecht zu werden und trug andererseits im Rahmen ihres Stimmenmaximierungsziel dem vermuteten Automatismus zwischen einer kirchenfreundlichen Politik der SPD und einem in Reaktion darauf abnehmenden katholischen Engagement für die Union, Rechnung.

Wie umstritten diese Politik der Aussöhnung jedoch innerhalb der SPD war, zeigte sich darin, dass es bei den Abstimmungen in Bad Godesberg für diesen Punkt nur eine Mehrheit gab, während alle anderen Programmpunkte mit wenig Gegenstimmen angenommen wurden.[19] Auf Seiten der katholischen Kirche gab es zunächst ein großes Misstrauen. In einer Flut von Publikationen wurde davor gewarnt, dass es sich um einen „Kostümwechsel“ der SPD handele und die programmatische Neuausrichtung nicht viel mehr als Wahlkampfrhetorik sei. Insbesondere regte sich tiefe Empörung darüber, dass die SPD die Zusammenarbeit mit der Kirche im Rahmen einer freien Zusammenarbeit gestalten wollte:

„Hier bricht wieder der Größenwahn der Funktionäre durch, die ihre von Marx gegründete Parteibuchgemeinschaft mit der von Gott eingesetzten Kirche auf die gleiche Ebene stellen wollen“[20]

Der Politische Arbeitskreis des BDKJ der Diözese Passau verwies auf die seiner Meinung nach vorhandene Widersprüchlichkeit, dass einerseits betont wurde, der Sozialismus sei kein Religionsersatz, zugleich aber den Kirchen das Angebot gemacht wurde, ein Verhältnis der freien Partnerschaft einzugehen:

„Freie Partnerschaft gibt es nur unter Gleichrangigen. Die Kirchen werden auf den Rang einer politischen Partei heruntergedrückt. Das ist inzwischen mit Recht sowohl von evangelischer als auch katholischer Seite zurückgewiesen worden.“[21]

Diese Rhetorik und das Misstrauen erinnerten an die Bundestagswahlkämpfe von 1949 und 1953, die die Höhepunkte der Auseinandersetzung zwischen Sozialdemokratie und Katholizismus bildeten. Das Ringen um die innen- und vor allem außenpolitischen Grundsatzentscheidungen wurde zum Weltanschauungskampf stilisiert.[22] Während die Katholische Kirche durch ihre kaum kaschierten Wahlkampfempfehlungen für die Union gegen die sozialistische Staatsbevormundung kämpfte, betrieb die SPD in jenen Jahren eine starke Agitation gegen klerikale Machtansprüche. Aus diesem Grund lässt sich die Zeit von 1945-57 als Phase der Gegnerschaft und einer mehr oder weniger offen ausgetragenen Konfrontation periodisieren.[23]

Wandel durch Annäherung: Das Verhältnis SPD – Katholische Kirche im Spannungsfeld des Godesberger Grundsatzprogramms

Schon vor der Neuausrichtung des Verhältnisses zur Katholischen Kirche in Bad Godesberg hatte es Veränderungen gegeben. 1956 konnte die SPD bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen überraschend Gewinne in katholischen Hochburgen der Union verbuchen.[24] Den Wandlungsprozess, der innerhalb der SPD stattfand, blieb nicht ohne Wirkung auf die Katholische Kirche. In dem Wahlhirtenbrief der Bischöfe und die Stellungnahme des Zentralkomitees der deutschen Katholiken fiel anlässlich der Bundestagswahlen 1957 wesentlich moderater aus, als noch vier Jahre zuvor.

Ende der 50er Jahre zeichnete sich eine Auflockerung des alten Front- und Lagerdenkens ab. Der Beginn einer Dialog-Phase, die bis zur Mitte der 60er Jahre anzusetzen ist, wurde durch die Tagung über das Verhältnis zwischen Christentum und demokratischem Sozialismus in der Katholischen Akademie in Bayern im Januar 1958 eingeleitet. Es gab zwar mehr Trennendes als Verbindendes, aber wie Willy Eichler es formulierte, am Anfang demokratischen Lebens stehe das Wort.[25] Mit seiner Darstellung, nicht dem Christentum als Glauben den Verrat an seinen Idealen, die die stärkste Verbindungslinie zur Sozialdemokratie darstellen,[26] anzulasten, sondern den Menschen, die dazu neigen, Macht zu missbrauchen, durchbrach Eichler das eindimensionale Denken vieler Sozialisten über das Christentum.[27] Jedoch stieß das Umdenken vieler Sozialdemokraten bei den deutschen Katholiken nicht unbedingt auf Erwiderung, wie eingangs schon an der Reaktion auf die Godesberger Beschlüsse aufgezeigt wurde. Beispielhaft dafür sei die Erklärung von Kardinal Döpfner vom 1. Mai 1964:

„Im Godesberger Programm hat die Partei des demokratischen Sozialismus zweifellos eine Brücke über den Abgrund zu bauen begonnen, der Kirche und Sozialismus seit je getrennt hat. Wenn ein Bild erlaubt ist, so kann man sagen, die Spannbetonbrücke ist in einem Ausmaß gewachsen, wie man es vor wenigen Jahrzehnten noch für unmöglich gehalten hätte. Aber ohne auf Einzelheiten einzugehen, glaube ich doch, nach reiflicher Überlegung, sagen zu müssen, die Brücke ist nicht befahrbar, der Abgrund ist zur Stunde nicht geschlossen.“[28]

Die 60er Jahre: Auf dem Weg zu einer begrenzten Partnerschaft

Dass es nun bis Mitte der 60er Jahre trotz der Vorbehalte und Zurückweisungen zu einer signifikanten Annäherung zwischen Sozialdemokratie und Katholischer Kirche kam, lag primär in den Wandlungsprozessen der Weltkirche und nicht in den Einstellungsänderungen im deutschen Katholizismus begründet. Durch die Modernisierung und den gesellschaftlichen Wandel erhöhte sich die soziale Mobilität, diese wiederum führte sukzessive durch die Erosion des kirchlichen Milieus zu einer verstärkten Gleichgültigkeit gegenüber der Religion.[29] Durch die Sozialenzyklen „Mater et Magistra“ (1961)[30] und „Pacem in terris (1963)[31] versuchte die katholische Kirche diesen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Im Hauptteil von „Mater et Magistra“ wurde betont, „dass jene gesellschaftlichen Verbände und Organisationen, die einen Ausgleich zwischen Freiheit und Gerechtigkeit im gesellschaftlichen Leben suchen und bis vor kurzem das Eigentum an Produktionsmitteln ablehnten, heute, durch die soziale Entwicklung belehrt, ihre Meinung merklich geändert haben und dieses Recht durchaus anerkennen.“[32]

Die SPD versuchte diese günstigen Entwicklungen durch verstärkte Kontaktaufnahme zum Vatikan und gleichzeitig zum deutschen Katholizismus auszunutzen. 1964 wurde eine SPD-Delegation unter Leitung des stellvertretenden Parteivorsitzenden Fritz Erler zu einer Audienz bei Papst Paul VI. empfangen. Zudem kam es zum Abschluss eines Konkordats zwischen dem Vatikan und der sozialdemokratisch geführten Landesregierung Niedersachsens, das die Beibehaltung und Öffnung neuer Bekenntnisschulen rechtsverbindlich festlegte.[33] Auf der bundesdeutschen Ebene kam es seit 1965 unter der Schirmherrschaft des Katholischen Büros unter Federführung des Bischofs Tenhumberg und des stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Wehner zu regelmäßigen Gesprächen zwischen führenden Vertretern der Katholischen Kirche und der Sozialdemokratie.

Diese drei Beispiele unterstrichen die Bereitschaft der SPD, durch eine verstärkte Kooperation mit der Katholischen Kirche ihre eigenen Ansprüche im Rahmen der Entwicklung zu einer Volkspartei in der Praxis umzusetzen und neue Wählerschichten zu erschließen sowie ein Ende der Exklusivkontakte zwischen der Union und dem Katholizismus herbeizuführen. Symbolhaft für diesen Wandel durch Annäherung stand die Wahl der Sozialdemokraten Georg Leber und Hermann Schmitt-Vockhausen in das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken 1966 und der erstmalige Verzicht der deutschen Bischöfe anlässlich der Bundestagswahl 1965, eine eindeutige Empfehlung zugunsten der CDU/CSU auszusprechen.

Der Übergang zur Großen Koalition markierte durch die zuvor eingetretenen Annäherungen eine kurze Periode der Partnerschaft und einer Äquidistanz der Katholischen Kirche zu beiden Großparteien, die aber nur bis 1969 Bestand hatte. Die positiven Entwicklungen im beiderseitigen Verhältnis bis zur Mitte der 60er Jahre, fasst Kurt Klotzbach wie folgt zusammen:

„Während der zweiten Hälfte der sechziger Jahre hatte es jedenfalls den Anschein, als hätte die SPD mit der Öffnung zum weltanschaulichen Pluralismus und die Katholische Kirche mit der Anerkennung des politischen Pluralismus eine durchaus vielversprechende Kontakt- und Kooperationsbasis gefunden – eine Entwicklung, die vom damaligen Zusammenwirken von CDU/CSU und SPD in einer Großen Koalition auf Bundesebene sicherlich begünstigt wurde.“[34]

Im Rahmen ihres Ziels der Gewinnung neuer Wählerschichten manifestierte sich der Erfolg der Politik der Öffnung durch die SPD erstmals bei den Landtagswahlen in NRW, die die SPD auch dank der starken Zuwächse in katholisch geprägten Gegenden gewann. Bei der Bundestagswahl 1969 hatte die Union zwar mit 62% gegenüber 31% für die SPD zwar immer noch einen doppelt so hohen Stimmenanteil unter den katholischen Wählern, erstmals gelang es der SPD jedoch, die Union in den katholischen geprägten städtischen Gebieten zu überflügeln (SPD: 47,2% und CDU/CSU: 42,0%).[35]

Die weitgehende parteipolitische Objektivität und Neutralität der Katholischen Kirche änderte sich aber zuungunsten der SPD im Rahmen ihrer sozial-liberalen Reformpolitik ab 1969. Hauptstreitpunkt blieb dabei die Diskussion um den § 218. Allerdings zeigten die hart geführten Auseinandersetzungen in diesem Bereich, dass es keinen Rückfall auf grundsätzliche Unvereinbarkeitspositionen und unüberwindbare Pauschalverurteilungen gab, sondern man die Ebene der Detailkritik statt einer Pauschalkritik am jeweils anderen wahrte. Dadurch blieb die Chance auf Dialog und Zusammenarbeit in bestimmten Bereichen erhalten.[36] Hierhin ist vielleicht der größte Erfolg der volksparteilichen Öffnungspolitik der SPD gegenüber der Katholischen Kirche zu sehen. Man hatte ein dauerhaftes Verhältnis der gegenseitigen Akzeptanz geschaffen.

Das Aufbrechen hierarchischer Strukturen: Die Veränderung der Organisationsstruktur

Grundlage für den Erfolg einer Volkspartei und ihrer Etablierung ist eine breite Organisationsstruktur. Diese muss gewährleisten, dass neue und alte Mitglieder dauerhaft und über Klassen- und Milieugrenzen hinweg an die Partei gebunden werden. Durch diese Verankerung der Organisation innerhalb der Bevölkerung kann eine Massenbasis geschaffen werden, die einen möglichst breiten Wählerkreis aller Schichten erreicht und letztlich die Grundlage des politischen Erfolges der Volkspartei bildet.

Die SPD selbst sah die Aufgabe der Organisation folgendermaßen:

„Die Organisation hat die Aufgabe, die Partei mit politischem Leben auszufüllen. Sie muß dem Mitglied entsprechend seiner Fähigkeit und Neigung gerecht werden und ihm einen entsprechenden Platz in der Partei einräumen.“[37]

Hierhin manifestiert sich der Anspruch, durch die Organisation breite Bevölkerungsschichten anzusprechen und die Integration der Staatsbürger in das politische System zu verwirklichen. Die Neustrukturierung der Organisation[38] wurde auf dem Parteitag in Stuttgart 1958 beschlossen. Vorausgegangen war nach der inneren Unruhe, die die Partei nach der erneuten Wahlniederlage 1953 und vor allem nach dem enttäuschenden Abschneiden bei der Bundestagswahl 1957 erfasst hatte, eine verstärkte Personal- und Reformdebatte, die gerade auch von den Bezirken und Unterbezirken initiiert wurde. Erich Ollenhauer wurde durch sein nicht charismatisches Erscheinungsbild als SPD-Vorsitzender eine große Mitschuld am Scheitern der SPD gegeben.[39] Die Verhinderung der Möglichkeit, für die Wähler attraktive Persönlichkeiten als Regierungschef oder eine ausdrucksstarke Regierungsmannschaft aufzustellen, wurde dem „Apparat“, dem Büro der Parteivorstandsmitglieder angelastet.[40] Seit dem autoritären Führungsstil Kurt Schumachers hatte sich der Parteivorstand zum eigentlichen Machtzentrum entwickelt, viele Mitglieder fühlten sich nur noch als Befehlsempfänger. An der Führung Ollenhauers wurde kritisiert, dass sich der Parteivorstand zu einer Art Verwaltungsbehörde entwickelt habe, die zwar versuche zwischen den einzelnen Flügeln zu vermitteln, der Partei aber keine neuen Impulse geben konnte. In den Ortsvereinen machte sich Routine und Lethargie breit, die SPD wurde auch aufgrund fehlender Wahlerfolge in ihrer Organisationsstruktur mit dem pyramidalen Aufbau von einer zunehmenden Lähmung erfasst.[41]