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Dieses E-Book entspricht 172 Taschenbuchseiten ... Sina und Katrin - zwei Frauen, ein großes Geheimnis. Und dann ist da dieser Mann mit den zwei Gesichtern, der sich Sex holt wann, wo und wie er ihn will. Sina und Katrin sind ihm und seiner Dominanz verfallen und sehen nicht die Gefahr, die von ihm ausgeht. Eine dramatische Geschichte - gespickt mit Erotik und düsterer Leidenschaft -, in der der eine nichts vom anderen weiß und doch alles auf tragische Weise zusammenhängt. Die beiden Frauen erfahren erst, als es lange zu spät ist, wer der Mann ist, mit dem sie ihr Bett teilen. Basiert alles auf einer großen Lüge? Diese Ausgabe ist vollständig, unzensiert und enthält keine gekürzten erotischen Szenen.
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Seitenzahl: 233
Veröffentlichungsjahr: 2024
Impressum:
Die zwei Gesichter der geilen Dominanz | Erotischer Roman
von Freja Lind
Freja Lind studierte in Süddeutschland Volkswirtschaft. Dann zog sie mit ihrer Familie in den Norden und arbeitete in verschiedenen Firmen der Region.Schon während des Studiums versuchte sie sich an Gedichten und Theaterstücken und nahm dieses Hobby später wieder auf – nun in Form von erotischen Geschichten.Keine High Society, keine karibischen Strände, keine Traumgestalten. Freja Lind schreibt aus dem echten Leben, wobei sie auch vor ernsten Problemen nicht zurückschreckt. Aber gerade hier ist Liebe und jede Menge Erotik zu entdecken.
Lektorat: Jasmin Ferber
Originalausgabe
© 2024 by blue panther books, Hamburg
All rights reserved
Cover: © pantipit @ 123RF.com
Umschlaggestaltung: MT Design
ISBN 9783756129577
www.blue-panther-books.de
Sina
Überglücklich tänzelte Sina die Einkaufsstraße entlang. Sie verschwendete keinen Gedanken an die Auslagen in den Geschäften. Auch hatte sie keinen Blick für die Menschen, die ihr auf ihrem Weg entgegenkamen und sie verwundert ansahen. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander, so sehr, dass sie fast bei Rot über die Ampel gelaufen wäre, als sie die Straße zum Teich mit den Enten überqueren wollte. Endlich auf einer Bank angekommen, ließ sie sich nieder, streckte die Beine, den Körper, die Arme lang durch, atmete tief ein und glücklich wieder aus.
Wenn er die Neuigkeit erführe, dann würde er sie überschwänglich in die Luft heben, sie beide im Kreis drehen, sie in seinen Armen wieder heruntersinken lassen und küssen. Lange und ausgiebig küssen, das Glück kaum fassend. Der Gedanke an ihn ließ eine Erregung durch ihren Körper ziehen, der sie sich kaum erwehren konnte. Unweigerlich musste sie an diese wunderbare Nacht im Mondschein denken.
Die Spätsommertage im September waren noch ungewöhnlich warm gewesen, dass sie erst spät ein wenig Abkühlung gestatteten. Den Vorschlag, eine Decke zu nehmen und sich irgendwo ein Plätzchen zwischen den Büschen an den nahe gelegenen Weiden zu suchen, nahm er gern an. Auch wenn es schon spät war, schien der Mond so hell, dass sie sich sehen konnten. Als er dann die ersten Knöpfe ihrer Bluse öffnete und ihre Brüste hervorsprangen, wusste sie bereits, dass es eine besondere Nacht werden würde. Es erfüllte sie mit einiger Genugtuung, dass ihr Körper ihn so in Erregung versetzen konnte. Sein Verlangen war unüberhörbar. Seine Atmung wurde kürzer, kraftvoller, verlangender – wie ein unbekanntes nächtliches Wesen, das seine Beute gewittert hatte. Sie mochte das, seine Gier, seine Wildheit, seine aus allen Poren strömende Männlichkeit. Dieser Wille, sich einfach zu nehmen, was er verlangte: nämlich sie.
Die Bluse flog von ihrem Körper, der kurze Rock war schnell hochgeschoben. In Erwartung seiner Begierde hatte sie sich bereits zu Hause ihres Höschens entledigt. Wie genoss sie die Feuchtigkeit, die sich bereits auf dem Weg zwischen ihren Beinen bildete. Und wie würde er darauf reagieren, wenn er feststellte, dass sie sich vorbereitet hatte?
»Du kleines Luder«, hauchte er mit viel Begierde in der Stimme, »du willst es also nicht anders.«
»Nimm mich, mein Raubtier. Ich will dein Opfer sein«, stöhnte sie zurück und drapierte sich auf der Decke wie ein Stück Fleisch, das dem Löwen zum Fraß vorgesetzt wurde.
Mit nicht immer zärtlichen Bissen fraß er sich über ihre Schenkel, leckte gierig an ihrer Scham, bohrte seine Zunge in ihren Bauchnabel, kam hoch zu ihren Brüsten, saugte die Beute tief ein, um danach ihre Brustwarzen zwischen den Zähnen zu halten und daran zu ziehen.
Oh, wie sie es mochte, so von ihm in höchste Erregung versetzt zu werden. Sein nackter Körper schwebte bald im Liegestütz über ihr, sein erigierter Schwanz klopfte fordernd an ihre Pforte. Natürlich stand diese bereits weit offen, und mit einer kleinen Handbewegung leitete sie den Eindringling auf den vorbereiteten Weg. Ihre geile Feuchtigkeit erfüllte jetzt ihren Zweck, und er schob sein mächtiges Teil sofort bis zum Anschlag in sie hinein. Sie bog sich hoch, wölbte ihm ihr Becken entgegen, verlangte, hart genommen zu werden, verlangte gefressen und letztlich vernichtet zu werden.
Er war ein Mann, der ihre geheimen Wünsche zu lesen wusste. Nicht nur biederer Kuschelsex, sondern auch mal hart gevögelt zu werden, das brauchte sie. Für sie hatte es nichts Verwerfliches, wenn sie sich dem Manne mit Haut und Haaren hingab. Alles, was er mit ihr machte, konnte ihr eine besondere Befriedigung schenken.
Diesmal sollte er nicht über ihren Brüsten kommen, sondern in ihrer Möse, so wie sie sich das vorher überlegt hatte. Wenn sie ihre Brüste nur ordentlich in Szene setzte, dann würde ihn das geil genug machen, um das Spiel aus Anreiz und Unterdrückung nicht ewig in die Länge zu ziehen. Er kam in ihr, und sie hatte sogar einen kleinen Orgasmus. Zum Glück, denn er würde sich nicht mehr groß um sie kümmern, wenn er seine Arbeit getan hatte. Aber darum ging es ihr heute auch nicht.
Sie blickte zum Mond hinauf, der so hell auf ihre nackten Leiber schien, dass sie silbrig weiß glänzten. Sternenstaub, dachte sie beim Anblick ihrer Körper. Eine besondere Macht schien es gut mit ihnen zu meinen, fand sie und lächelte. Und er lächelte auch. Sie ließ sich in seine Arme ziehen und schmiegte sich eng an ihn. Verträumt an seiner Brust liegend, glaubte sie: Dieser Mann wird dich nie mehr loslassen. Sie würde noch nichts verraten, erst wenn sie sicher sein konnte. Hier und heute war es ihr einzig um sein Sperma gegangen.
Und jetzt saß sie hier auf dieser Bank am Ententeich und konnte ihr Glück kaum fassen: Die Frauenärztin hatte ihr bescheinigt, dass sie schwanger war.
***
Sie hatte Luke auf dem Wochenmarkt kennengelernt. Ist der Wochenmarkt ein Ort, an dem man einen Mann kennenlernt? Guten Tag, schöne Frau, darf ich mich anbieten, Ihre Einkäufe zu tragen? So vielleicht? Nein, es kam ganz anders, eher zufällig zustande.
Sie wollte am Gemüsestand Artischocken erstehen. Pizza mit Artischockenherzen belegt, ein Genuss ohnegleichen. Und da stand er, ebenfalls an diesem Gemüsestand.
»Sie mögen Artischocken?«
»Oh, äh, ja. Auf einer Pizza dürfen sie meiner Meinung nach nicht fehlen.«
»Stimmt, auf der Quattro Stagioni, der Pizza ›Vier Jahreszeiten‹, sind immer Artischocken drauf.«
»Aber leider nur auf einem Viertel. Und die anderen Viertel muss ich dann mitessen.«
»Und deshalb backen Sie sich lieber selbst Ihre Pizza und umgehen so den Sommer, den Herbst und den Winter?«
»Ja, genau. Das haben Sie gut erkannt. Und Sie? Immerhin kennen Sie Artischocken. Die meisten Männer, die ich kenne, wissen damit nichts anzufangen.«
»Sie gehört zu den Distelgewächsen und hat in der Blüte eine wunderbare lila Farbe. Darauf stehen besonders die Hummeln. Gegessen wird aber eher das Herz, der Blütenboden. Sie werden es nicht glauben, aber auch ich wollte eine Artischocke kaufen. Eine besonders große, die ich ohne Pizzaboden zubereiten werde.«
»Ich bin erstaunt.«
»Dass ich mit diesem Wissen einmal eine Frau beeindrucken würde, hätte ich nie gedacht. Darf ich Sie etwas fragen?«
»Bitte, nur zu.«
»Würden Sie mit mir einen Kaffee trinken gehen?«
Sina sagte zu. Natürlich. Warum sollte sie einem so charmanten, fremden Mann dieses kleine Date verweigern? Er hatte Manieren, sah mit seinen schwarzen Haaren und seiner hochgewachsenen Statur umwerfend gut aus. Und erst seine Augen. Ein dunkles Grün, wie ein Gebirgssee, in dem man versinken möchte. Kurz, sie war neugierig, was sich daraus entwickeln würde. Schließlich sagte man Artischocken auch eine aphrodisierende Wirkung zu.
Doch jetzt ging es erst mal nur um einen Kaffee. Sina schalt sich ihrer Gedanken. Der Mann schien viel zu anständig, als dass er gleich mit ihr ins Bett steigen wollte. Aber sie konnte es ja mal darauf anlegen. Ihr letzter Freund war bereits seit Monaten Geschichte. Konnte seinen Schwanz nicht in der Hose lassen, sobald ihm ein jüngeres und blonderes Exemplar der weiblichen Spezies über den Weg stolzierte. Dass sie mit ihren Reizen nicht mithalten konnte, hatte sie arg gedemütigt. Eigentlich hatte sie nie Probleme gehabt, neue Männer kennenzulernen. Aber am Ende entpuppten sie sich doch allesamt als Arschlöcher. Würde dieser Mann ihre Ausstrahlung richtig deuten können? Einen Versuch war es wert. Nur Kaffeetrinken und über Artischocken reden? Wie sollte man dabei um das Thema Aphrodisiakum überhaupt herumkommen?
Luke arbeitete in der Rechtsabteilung einer großen Firma. Nichts Aufregendes, wie er sagte, Wirtschaftsverträge, langweiliger Papierkram, wenn man es genau nähme. Aber wie er über diesen langweiligen Papierkram reden konnte, bemerkte sie doch eine gewisse Leidenschaft in seiner Stimme. Oder war es Ehrgeiz? Jedenfalls ging sie interessiert auf ihn ein. Männer mochten es, wenn man sie für ihre Arbeit achtete. Sie selbst gab von sich preis, dass sie die Buchführung in einem mittelgroßen Handwerksbetrieb mache. Kein so gehobener Job wie seiner, aber sie setzte dabei geschickt ihren Körper in Szene, sodass sie trotzdem seine Aufmerksamkeit hatte.
»Allein als Frau unter schwitzenden kräftigen Männern, die Autoteile durch die Werkstatt tragen?«
Wie er provozierend nachfragte. Wie mutig. Er selbst hatte sich einen Schritt vorgewagt und sein Interesse bekundet. Da war es also, das Thema Sex. Hatte sie ihn bereits an der Angel? »Nein, die Kollegen und Kolleginnen sind meistens auf Montage. Wärmepumpen und Solaranlagen.«
»Dann muss ich mir also keine Sorgen um Sie machen.«
»Möchten Sie sich denn Sorgen machen?«, fragte Sina mit interessiertem Augenaufschlag nach.
»Ich würde mir bereits Sorgen um Sie machen, wenn Sie sich nach unserem Kaffee hier wieder verabschieden.«
»Sorgen, dass ich nicht genug Kaffee trinken würde, wenn Sie nicht dabei sind?«
»Und noch um viele andere Dinge.«
»Dann könnte ich Ihnen eine Sorge nehmen, indem Sie uns noch einen weiteren Kaffee bestellen.«
***
Als sie auseinandergingen, versprach er, sich bei ihr zu melden. Er könne es kaum erwarten, sie wiederzusehen.
Und dann wartete sie.
Wartete drei ganze Tage, dass er sich melden würde.
Drei quälend lange Tage, an denen sie so viele Fehler bei der Arbeit machte, dass ihr Chef sie schon zum Arzt schicken wollte.
Er meldete sich nicht.
Natürlich nicht. Was sollte solch ein prächtiges Exemplar von Mann auch mit ihr, der kleinen Bürotippse, anfangen wollen? Ihr gerade zurückgewonnenes Selbstvertrauen schien bereits wieder zu bröckeln und war auf dem Weg, zu einer zerstörenden Gesteinslawine zu werden.
Dann klingelte doch ihr Handy. Zum Glück gerade in der Mittagspause.
»Hallo, Frau Wachtmann, ich bin es, Luke Bärmann. Es tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe. Aber hier war doch mehr los, als ich zunächst absehen konnte. Ich musste retten, was zu retten war. Wenn Chefs manchmal Dinge machen, die von steuerlicher und rechtlicher Seite dann doch anders zu bewerten sind, dann raucht hier schon mal die Hinterlassenschaft.«
Zu gut Deutsch war bei ihm beruflich also die Kacke am Dampfen. Sina musste grinsen. Und sie hatte sich Gedanken gemacht, er würde sie links liegen lassen. Es hatte alles seinen Grund. Also bleib cool und tu so, als ob du auch beschäftigt wärst. »Oh, das ist schon in Ordnung. Ich habe auch wahnsinnig viel um die Ohren. Wie Sie sagen, wenn der Chef seinen eigenen Kopf hat …«
»Aber heute Abend hätte ich Zeit, was meinen Sie?«
»Heute Abend … mmh … Da gehe ich normalerweise zum Sport. Aber warum sollte ich es nicht mal ausfallen lassen?«
»Heißt das, ja?«
»Das heißt ja.«
»Wunderbar, und was würden Sie vorschlagen, wo wir uns treffen? Ich habe leider gerade nicht viel Zeit, einen Platz im Restaurant zu reservieren …«
»Aber das macht doch nichts«, fiel sie ihm ins Wort. »Warum treffen wir uns nicht bei mir? Ich koche uns etwas Schönes.« War das zu aufdringlich? Ihn gleich zu ihr nach Hause einzuladen? Immerhin hatte er ohne Zögern zugesagt. Mist, sie hatte nichts zu kochen im Haus. Panisch machte sie eine Liste, nach der sie nach der Arbeit noch schnell einkaufen gehen könnte.
Den Rest des Arbeitstages war nicht mehr an konzentrierte Arbeit zu denken. Die Verabredung mit diesem interessanten Mann nahm Sina so in Beschlag, dass sie sich nicht mehr auf etwas fokussieren konnte.
»Ich muss heute leider pünktlich weg, ich hoffe, das ist in Ordnung«, ließ sie noch kurz ihren Chef wissen, dann war sie auch schon aus der Tür. Mit der Einkaufsliste in der Hand füllte sie schnell ihren Korb und eilte nach Hause. Aufräumen, saugen, hier und da etwas putzen, Essen vorbereiten und dann die Frage: Was ziehe ich an?
Wie sollte ihrer Meinung nach der Abend verlaufen? Zusammensitzen, ein Tisch zwischen ihnen, unverfängliche Gesprächsthemen? Oder Schulter an Schulter über Eck sitzend und, zufällig seine Beine berührend, auch intimere Gespräche anschneiden? Biedere Kleidung oder doch gern ein wenig sexy? Wie würde er das auffassen? Sie glaubte nicht, dass er auf solche sich herausputzenden Frauen stand. Er schien ein Mann mit Prinzipien zu sein. Sie wollte nicht nuttig rüberkommen.
Am Ende fand sie den für sie annehmbaren Kompromiss. Es würde sich schon fügen. Vielleicht ein erster Kuss. Vielleicht knutschten sie auf dem Sofa. Sie würde sich auch ins Bett ziehen lassen. Aber was dachte sie da von ihm? Er war ein anständiger Mann, das hatte sie gleich gespürt, ein Mann, der erst sie als Mensch kennenlernen wollte, bevor er mit ihr schlief. Auch wenn sie Artischocken zubereitet hatte. Vielleicht war ja an dem Gerücht über die aphrodisierende Wirkung etwas dran.
Gespannt erwartete sie sein Kommen.
Hatte sie die Zeit falsch verstanden?
Die Kerze auf dem einladend gedeckten Tisch würde noch herunterbrennen. Sie blies sie aus. Es sollte nicht so aussehen, als ob sie nichts anderes zu tun gehabt hätte, als zu warten.
Sie harrte nägelkauend am Fenster und schaute auf die Straße, ob ein Wagen einbog. Was er wohl für ein Auto fuhr?
Die Euphorie des Nachmittags verflog langsam und es machte sich eine Trauer in ihr breit, die ihr die Wimperntusche verschmierte.
Er kam nicht.
Katrin
Katrin bereitet sich vor. Wie jeden Mittwoch zieht sie sich ihre dunklen Sachen an. Schwarze Hose, schwarzer Pullover, die dunkle Jacke und dazu eine leichte schwarze Kopfbedeckung. Sie begibt sich wie jeden Mittwoch und Sonntag auf ihren schweren Gang.
Früher hat sie sich mit Paul, ihrem geliebten Mann, zu Hause am Esstisch unterhalten oder auf dem Sofa gemütlich an ihn kuscheln können. Sie haben kurze Reisen unternommen, in exklusiven Hotels übernachtet, sich dort in entspannter Zweisamkeit vergnügt und morgens ausgelassen beim Frühstück gescherzt.
Ihr fehlen diese gemeinsamen Erlebnisse, die Spaziergänge, die Unterhaltungen, der Sex.
So lange hatte sie auf ihn gewartet. Dann sind sie endlich ein Paar geworden. Nun ist er bereits seit einem Jahr nicht mehr an ihrer Seite.
Ihre Gedanken gehen zurück. Zurück zu ihrem ersten Kuss …
Er sah zu ihr herüber. Alle anderen waren schon auf dem Heimweg. Sie trödelte mal wieder herum. Sie war gern die Letzte. Es hatte für sie eine besondere Stimmung, wenn eine Veranstaltung zu Ende war. Die verlassenen Stühle, der Müll, der unter manchen Stühlen lag: ein nicht zurückgebrachter Trinkbecher, ein aus Versehen aus der Tasche gerutschtes Taschentuch, Bonbonpapiere. Sie konnte sich anhand dieser Hinterlassenschaften vorstellen, wie es den Menschen auf den Stühlen ergangen ist. Der trockene Hals, der ein Bonbon benötigte, das lange Sitzen, das durstig machte, der Schweiß, der sich von der Stirn getupft werden musste. Dann das verwaiste Rednerpult. Wo eben noch der Rektor des Gymnasiums seine Rede zur Verabschiedung gehalten hatte, hing jetzt ein Mikrofonkopf in der Luft und versuchte, mit gerecktem Hals verzweifelt eine neue Aufgabe zu bekommen. Am liebsten wäre sie hinübergegangen und hätte eine Rede in den leeren Raum geschmettert, die die Abiturienten ihres Jahrganges nie vergessen würden.
Aber es waren bislang nicht alle gegangen. Zudem gab es den Hausmeister und Techniker, die die Aufbauten wieder demontierten, um ebenfalls endlich nach Hause zu kommen. Außerdem war sie nicht gut in Reden halten. Wenn sie es gewesen wäre, dann hätte sie vielleicht die Rede für die Schulabgänger zum Besten gegeben. Aber sie hatte sich auch für kein Gremium aufgestellt. Warum sollte dann jemand zu ihr kommen und fragen, ob sie die Abschlussrede halten wollte? Nein, gut war sie immer nur in ihrer Fantasie. Da passierte so allerhand.
Und jetzt schaute dieser Paul zu ihr. Was wollte er? Paul war der Schwarm aller Mädchen. Nicht nur in ihrem Abiturjahrgang, auch von den jüngeren Mädchen wurde er angehimmelt. Ihr schien es, sobald sich ein Mädchen für Jungs interessierte, konnte Paul sicher sein, dass es ein Auge auf ihn werfen würde. Er hatte also reichlich Angebote. Warum blickte er nun zu ihr? Aber warum dachte sie, dass er sich für sie interessieren könnte? Vielleicht hing ihr Blusenkragen schief und sie sah lächerlich aus.
Schnell und unauffällig kontrollierte sie den Sitz ihrer Kleidung. Jetzt kam er auf sie zu. Sie wurde unsicher, versuchte, sich abzuwenden. Er konnte doch unmöglich sie meinen? Nicht, dass sie hässlich wäre, im Gegenteil. Aber sie hatte einfach nicht das, was junge Frauen offenbar haben mussten, damit sich Männer nach ihnen umdrehten oder sogar ein Date mit ihnen wollten.
»Hallo, Katrin, Glückwunsch zum Abitur. Du bist unter den fünf Besten des Jahrgangs. Gratuliere.«
»Danke.« Sie hatte die Auflistung der Besten gar nicht vollständig mitbekommen. Es interessierte sie nicht. Was hatte das für einen Sinn, die Besten extra zu erwähnen? Was machte das mit denen, die nicht so gut waren? Nicht so gut sein konnten, weil sie aus anderen Verhältnissen kamen, in denen die Schule nicht solch einen Stellenwert besaß? Nicht so gut waren, weil sie eben nicht das Schlauhirn waren, aber trotzdem gut genug, um das Abitur zu bestehen? Auch sie würden ihren beruflichen Weg gehen, eine Familie gründen und liebenswerte Steuerzahler großziehen.
»Danke. Ja, ich bin auch stolz, unter den ersten fünf zu sein«, antwortete Paul auf ihre nicht geäußerte Gratulation an ihn und grinste.
O Gott, eines ihrer typischen Fettnäpfchen. Natürlich musste Paul unter den Besten sein. Wahrscheinlich hatte er sogar das beste Abitur des Jahrgangs, was dachte sie, das beste Abitur überhaupt hingelegt.
»Ich wollte dich fragen, ob du auch auf den Abi-Ball gehst. Und ob du mit mir gehen würdest.«
Sie hätte fast vor Schreck alles aus den Händen rutschen lassen, aber zum Glück hielt sie gerade nichts fest. Paul? Abi-Ball? Mit ihr? »Äh, ja, ich meine, warum nicht, ja.«
»Du hast also noch niemanden, mit dem du gehen willst?«
»Äh, nein. Es ist ja auch kein Muss. Ist ja keine Tanzschule.« Was redete sie denn da? Warum sagte sie nicht, dass sie sich sehr über seine Anfrage freue und selbstverständlich zusage? »Ich freue mich sehr über deine Anfrage und ja, ich sage gerne zu.«
Paul ging mit ihr auf den Abi-Ball! Das war doch mal eine Neuigkeit in ihrem Leben. Auch wenn sie sich über Klatsch und Tratsch keine Gedanken machte, so war sie doch gespannt auf die Gesichter der anderen.
***
Paul holte sie tatsächlich ab. Er fuhr mit einem sportlichen Oldtimer vor, wie man es aus amerikanischen Teenie-Filmen kannte. Er entstieg der Karosse in einem maßgeschneidert sitzenden Anzug, stellte sich in vollendeter Höflichkeit ihren Eltern vor und geleitete Katrin zum Auto, wo er ihr zuvorkommend die Tür aufhielt.
Der ganze Abend gestaltete sich als vollendet. Paul war aufmerksam, versorgte sie mit Getränken, bat sie zum Tanz, lehnte andere Angebote zum Tanzen ab, und wenn er einmal darauf einging, war er beim nächsten Lied bereits wieder bei ihr.
»Warum machst du das?«, fragte sie ihn nach einem ausgelassenen Tanz auf dem Parkett, der sie dazu zwang, vor der Tür frische Luft zu schnappen.
»Was meinst du?«
»Na ja, das. Du gehst mit mir zum Ball, du kümmerst dich rührend um mich …«
»Tue ich das?« Er setzte sein typisches schelmisches Lächeln auf. Ein Lächeln, mit dem er schon so manche Lehrerin um den Finger gewickelt hatte. Und sicherlich auch andere Mädchen der Schule – und die bestimmt nicht nur um seinen Finger. Eigentlich waren ihr solche Schönlinge zuwider. Aber Paul gebärdete sich so überaus zuvorkommend, dass sie nicht umhinkam, ihn genauer zu betrachten. Aber sie kam nicht weit, denn sein Kopf näherte sich, ihre Lippen berührten einander, seine Arme schlangen sich um sie. Katrin fühlte sich wie in einem Traum. Sie, Katrin, die immer abseits stand, wurde von Paul, dem Schwarm der Schule, geküsst. Ein so warmer, herzvibrierender Kuss, an den sie sich immer wieder gern erinnerte – bis heute.
Er eröffnete ihr, dass er sich bei der Bundeswehr beworben habe. Für ein Jahr wollte er seinen Dienst an der Waffe tun, so wie es sein Vater damals getan hatte, als es noch den verpflichtenden Wehrdienst gab. Nach diesem Jahr würde er Jura studieren, in Mannheim. Ebenfalls wie sein Vater und schon sein Großvater.
Sein Leben schien vorgezeichnet. Hatte sie einen Platz in seinem Leben? Was bedeutete dieser Kuss? Wollte er ihr damit sagen, dass ihre Liebe keine Zukunft hätte? Warum küsste er sie dann so innig? Was erwartete er von ihr? Da sie im elterlichen Betrieb zunächst eine Lehre machen sollte, würde sie hierbleiben. Wurde ihre aufkeimende Liebe schon im Keim erstickt?
Dann war er verschwunden, und sie sah ihn viele Jahre nicht wieder.
Immer wieder musste sie an diesen Kuss denken. Auch wenn sie die eine oder andere Beziehung hatte, Männer küsste, so konnte sie doch diesen ersten gefühlvollen, alles andere in den Schatten stellenden Kuss nicht vergessen. Immer verglich sie diese Küsse mit dem einen Kuss von Paul.
Und wenn sie tatsächlich einmal mit einem Mann schlief, so verglich sie den Sex mit dem Pauls, den sie nie gehabt hatte. Aber in ihrer Fantasie war er so aufregend wie dieser erste Kuss. Und damit waren die Bewerber auch in dieser Disziplin gescheitert.
So blieb es dann bei kurzen Beziehungen. Keiner wollte ihr so recht gefallen. Sich ein Leben mit einem von ihnen vorzustellen, das konnte sie schon gar nicht.
Dann eines Tages, viele Jahre und einen Master in Wirtschaftswissenschaften später, stand Paul plötzlich vor ihrer Tür. Über ihre Eltern hatte er ihre Adresse erfragt. Er wusste, dass sie ungebunden war, und so stand er mit einem großen Strauß Rosen plötzlich da. Sie sah ihn an, brachte kein Wort heraus, guckte, starrte, Tränen liefen ihr übers Gesicht. Und als sie sich endlich aus ihrer Erstarrung löste, schloss er sie in seine Arme und küsste sie. Und dieser Kuss war noch viel schöner, als sie ihren ersten Kuss in Erinnerung hatte. Katrin schmolz dahin und Paul erging es ebenso.
Gern erinnert sie sich zurück an dieses Wiedersehen.
Ohne ein Wort zu verlieren, holten sie alles nach, was sie über die Jahre vermisst hatten. Schon im Hausflur fielen ihre Kleidungsstücke von ihren Körpern – wie Herbstlaub von den Bäumen. Als sie ihr Schlafzimmer erreichten, waren sie bereits nackt. Sie nahmen Abstand voneinander, betrachteten ihre Körper eingehend. Seine durchtrainierte Gestalt, die breiten Schultern, die Muskeln, die sich überall abzeichneten. Ihre runden Formen, den weichen Schwung ihres Busens, die Taille und die Hüften.
Im nächsten Moment fielen sie übereinander her wie zwei ausgehungerte Pilger, die den Ort ihrer Erlösung endlich gefunden hatten. Leckend und saugend, stöhnend und japsend verschlangen sie einander. Als er in sie eindrang, wähnte sie sich im siebten Himmel. Erst jetzt bekam alles einen Sinn. Das körperliche Verlangen bekam erst durch den geliebten Menschen seine volle Bedeutung. Die Geräusche ihrer körperlichen Sucht wurden ergänzt von den sehnsuchtsvollen Küssen, die den Raum erfüllten, in dem sie so viele einsame, stille Nächte wach gelegen hatte. Bis dieses Grundrauschen ihrer ineinander verknäulten Körper von Schreien übertönt wurde. Sie schrien ihre Orgasmen heraus, als würde die Einsamkeit ihrer bisher unvollkommenen Leben endlich Erlösung gefunden haben.
Erst danach sprachen sie die ersten Worte miteinander. Worte voller Zärtlichkeit, Worte voller Liebe.
Sie heirateten, lebten glücklich zusammen.
Doch dann schlug das Schicksal zu. Paul wurde auf dem Weg zu einem Gerichtstermin von einem Lastkraftwagen tödlich verletzt.
Und nun macht sie sich wieder auf in die parkähnliche Friedhofsanlage gegenüber der Kirche, wo Paul begraben liegt. Sechs Jahre waren sie verheiratet. Zu kurz im Vergleich zu einem ganzen Leben, das sie sich geschworen hatten. Genau ein Jahr ist es her, dass ihre Liebe ein Ende fand. Seitdem ist der Friedhof der Ort ihrer traurigen Zuflucht.
Sina
Zwei Tage. Zwei Tage hatte er sie im Ungewissen gelassen. Zwei Tage, an denen sie sich quälte. Ihr Verstand sagte, dass sie nicht in Trauer versinken sollte. Geh raus, mach etwas, bleibe entspannt und fröhlich. Was ist er für ein Mann, dass er dich derart hängen lässt! Aber jetzt rief er an. Und er hatte eine Erklärung. Ein wichtiger Fall in der Firma, der sofortigen juristischen Beistand bedeutete und damit seine Anwesenheit.
»Hören Sie, es tut mir aufrichtig leid, aber es ist mir etwas dazwischengekommen. Ich mache es wieder gut, ich verspreche es.«
Sina wollte ihm gern Glauben schenken, antwortete aber nicht.
»Ich würde Sie zur Entschädigung gern ausführen. In das göttlichste Lokal der Stadt.«
»Sie meinen …?«
»Das Gourmeteus im Schlosshotel. Ich hoffe, damit kann ich Sie für die verpatzte Verabredung entschädigen.«
Sie fand die Idee gut, hätte sich aber auch zu Hause auf ihn gefreut. Jetzt führte er sie groß aus, ohne dass sie zeigen konnte, zu welchen Koch- und Dekorationskünsten sie fähig war. Aber die Freude über die Einladung überwog.
Sina wartete aufgeregt wie ein Teenager vor ihrem ersten Date. Er hatte sich gemeldet, er hatte sie eingeladen, er würde sie abholen.
Sie hatte ewig gebraucht, um etwas Passendes aus ihrem Kleiderschrank auszuwählen. Nicht, dass er enorm viel zu bieten hatte, aber es gab genug Kombinationsmöglichkeiten. Praktisch, wie sie war. Anschließend verbrachte sie ewig Zeit vor dem Badezimmerspiegel. Die Haare locker fallen lassen oder zu einem Zopf binden? Dann das Make-up. Sie hatte viel zu viel aufgetragen. Mochte er das? Oder wirkte sie wie eine, die es nötig hatte? Sie wollte keine Signale aussenden, die ihn verschrecken konnten. Er schien ein anständiger Mann zu sein. Vielleicht wollte er es lieber langsam angehen lassen. Sie war leider eine, die schon oft gleich beim ersten Date mit ihrer Verabredung ins Bett gesprungen war. Aber was war dabei herausgekommen? Nichts. Alles Arschlöcher.
Sie wollte es diesmal langsam angehen lassen. Sie würden sich bei einem Essen erst einmal kennenlernen. Und dann die Beziehung wachsen lassen. Und dann …
Sie musste sich eingestehen, dass es bei diesem Mann anders lag als bei allen vorherigen. Seine Erscheinung hatte sofort von ihr Besitz ergriffen. Alle ihre Gedanken kreisten nur noch um ihn. Wäre er ein Popstar, sie würde ihm vermutlich ihr Höschen auf die Bühne schmeißen. Was hatte dieser Mann an sich, dass sie derart auf ihn reagierte? Sie kannte sich nicht wieder. Aber es war schön, so erfüllt von Verlangen zu sein. Und dieses Verlangen wollte sie auskosten. Zu früher Sex konnte alles zerstören.
Sie legte das Make-up neu auf, diesmal dezenter, und band die Haare nach hinten. Sie wählte einen nicht zu kurzen Rock und nicht zu hohe Schuhe. Die Bluse konnte sie ja einen Knopf weniger geschlossen halten. Schließlich hatte sie ein ansprechendes Dekolleté. Und etwas wollte sie ihm ruhig zu gucken geben. Vielleicht konnte sie seine Aufmerksamkeit zusätzlich darauf lenken, indem sie eine Halskette mit einem hübschen Anhänger anlegte. Sie fand ein Kettchen mit einem kleinen Herz, das sie zuletzt mit siebzehn getragen hatte. Ewig her. Jetzt war sie siebenundzwanzig. Aber sie fühlte sich wie siebzehn, also warum nicht?
Ihr Telefon klingelte.
»Hallo, ich bin es. Luke Bärmann. Hören Sie, ich bin hier noch festgehalten worden. Könnten Sie sich ein Taxi nehmen? Ich erstatte Ihnen natürlich die Kosten. Wir treffen uns dann dort im Restaurant. Ich beeile mich.«
So ein viel beschäftigter Mann, dachte sie bewundernd. »Ja, natürlich, bis dann.«
»Es tut mir aufrichtig leid. Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis.«
Ein Taxi. Sina fuhr für gewöhnlich mit dem Bus und kürzere Strecken mit dem Fahrrad. Sie musste erst die Nummer der Taxizentrale heraussuchen. Wenn er sie schon nicht selbst abholen konnte, wollte sie doch zumindest sein Angebot annehmen. Es war doch immer noch stilvoller, mit dem Taxi statt mit dem Bus zu ihrem Date zu fahren.
Als das Taxi kam, griff sie ihre Handtasche, prüfte zum wiederholten Male, ob sie ausreichend Geld im Portemonnaie hatte, nahm eine leichte Überjacke vom Haken und trat hinaus auf die Straße.
Der Taxifahrer setzte sie direkt vor dem Eingangsportal des Hotels ab, und sie betrat das Hotelrestaurant Gourmeteus mit Herzklopfen. Würde er bereits auf sie warten? Im Lokal konnte sie ihn nicht entdecken. Ein Kellner trat auf sie zu.
»Ich bin verabredet. Mit Herrn Bärmann«, gab sie zögerlich preis.
»Sehr wohl, Herr Bärmann hat einen wunderbaren Tisch reserviert. Er ist bislang nicht eingetroffen. Folgen Sie mir bitte, ich geleite Sie zu Ihrem Tisch.«