Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte - Mirijam Trunk - E-Book
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Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte E-Book

Mirijam Trunk

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Beschreibung

Insiderwissen für Berufseinsteigerinnen: Was die Chancengleichheit am Arbeitsplatz verhindert und wie man sich dennoch seinen Platz erkämpft

Karrieren von Frauen werden aus vielfältigen Gründen ausgebremst, schon die ersten fünf Jahre im Beruf sind entscheidend. Mirijam Trunk, eine der jüngsten Führungskräfte Deutschlands, zeigt, welche Fallen zu umgehen sind. Wie man systemgemachte Hürden überwindet, eingeübte Verhaltensweisen herausfordert und Netzwerkstrukturen für sich nutzt, um im Job zum verdienten Erfolg zu gelangen.

Mit Einsichten von Tijen Onaran, Lou Dellert, Fränzi Kühne, Tessa Ganserer, Alice Hasters, Sigrid Nikutta u.a.

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Seitenzahl: 405

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Insiderwissen für Berufseinsteiger:innen: Was die Chancengleichheit am Arbeitsplatz verhindert und wie man sich trotzdem durchsetzt

Karrieren von Frauen werden aus vielfältigen Gründen ausgebremst, oftmals schon, bevor sie Mütter werden und in die »Teilzeitfalle« geraten. In den ersten fünf Berufsjahren treffen sie auf Hindernisse, die ihre männlichen Kollegen nicht überwinden müssen und die dafür sorgen, dass die Management Boards und Vorstandsetagen deutscher Unternehmen weiterhin vorwiegend männlich besetzt sind. Mirijam Trunk wurde mit 27 Jahren Geschäftsführerin der Bertelsmann Podcast-Firma Audio Alliance und arbeitet heute, drei Jahre später, als Chief Crossmedia Officer im Führungsteam von RTL. Sie beobachtet täglich, wie Rollenbilder und traditionelle Geschlechterkonzepte, eingeübte Verhaltensweisen und Netzwerkstrukturen der Chancengleichheit im Wege stehen und wie Männer und Frauen gleichermaßen wenig dazu beitragen, dass sich das ändert. In ihrem Buch zeigt sie zahlreiche Hürden auf und gibt Tipps, wie man sie überwindet. Ihre eigenen Erfahrungen untermauert sie mit den Berichten anderer Frauen in Führungspositionen aus Wirtschaft, Politik und Kultur, die sie für ihr Buch befragt hat – zum Beispiel Tijen Onaran, Lou Dellert, Fränzi Kühne, Tessa Ganserer, Alice Hasters oder Sigrid Nikutta. Damit gibt sie jungen Berufseinsteiger:innen das Rüstzeug an die Hand, gängige Fallstricke von vornherein zu umgehen, den Strukturen ein Schnippchen zu schlagen und sich den Weg an die Spitze freizuräumen.

MIRIJAMTRUNK, geb. 1991 in Bamberg, studierte Psychologie, Kommunikationswissenschaft und Politik in München und Washington, D.C. Nach ihrem Master und der Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München arbeitete sie als Reporterin beim Bayerischen Rundfunk. 2019 wurde sie im Alter von 27 Jahren Geschäftsführerin der Bertelsmann Audio Alliance und baute das Podcast-Geschäft des Unternehmens auf. Seit 2022 ist sie Teil der ersten Führungsebene von RTL Deutschland und als Chief Crossmedia Officer verantwortlich für die Marken-, Inhalte- und Talent-Entwicklung, weiterhin leitet sie den Bereich Nachhaltigkeit und DE&I (Diversity, Equity & Inclusion). Neben ihrem Beruf ist Mirijam Trunk passionierte Unterstützerin von Gleichstellungsinitiativen und tritt als Autorin und Speakerin für Aufklärung zu struktureller Chancenungleichheit in Deutschland ein.

www.penguin-verlag.de

Mirijam Trunk

Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte

Warum im Berufsleben nicht alle die gleichen Chancen haben – und wie wir uns trotzdem durchsetzen

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Copyright © 2023 Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München.

Redaktion: Annegret Bauer

Covergestaltung: Favoritbuero, München

Coverfoto: © Laura Hoffmann, Junala Photography

Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN978-3-641-29819-7V002

www.penguin-verlag.de

Inhalt

Worum es hier eigentlich geht

Wer ich bin

Wer in diesem Buch zu Wort kommt

Ein paar Worte vorab

Wir müssen reden: Sprache schafft Realität

Die Macht der Sprache

Begriffe neu definieren

Ungerechtigkeit ansprechen

Sprache als Waffe

Eine gemeinsame Sprache finden

Raum mit Sprache einnehmen

Über Erfolge sprechen

Gendergerechte Sprache

Was darf man denn noch?

Debatten als Beschleuniger

Tradition und Vorurteil

Woher kommst du?

Sind Sie die Assistentin?

Vorbilder wirken

Die sieben Fallen der Tradition

EINS: Laute Mädchen nerven

ZWEI: Everybody’s Darling Is Everybody’s Fool

DREI: Das Impostor-Syndrom

VIER: Die Denkspirale

FÜNF: Falsche Anpassung

SECHS: Don’t Act Like A Man

SIEBEN: Die inneren Minenfelder

Finde deinen Drive

Die Mutter-Krux

Zurück in die Schule

Alleine geht’s nicht

Kolleg:innen ungleich Freund:innen

Tennisplatz-Privilegien und Hinterzimmer-Netzwerke

Eine Welt von Männern für Männer

Boys Clubs

Frauennetzwerke

Networking mit Plan

Networking Codes und Authentizität

Mentor:innen und Allies finden

Machen macht mächtig

Die Arbeitsbienenfalle

Status

Kommunikation

Frauenzonen

Chancen ergreifen

Raus aus der Komfortzone

Richtig fordern

Verdammt harte Arbeit

Representation Matters

Social Media und Personal Branding

Liebe weiße Männer

Ein paar Gedanken zum Schluss

Biografien der Interviewpartnerinnen

Danksagungen

Leseempfehlungen

Anmerkungen

Worum es hier eigentlich geht

Wahrscheinlichkeitsrechnungen gehören zu den Dingen aus dem Matheunterricht, die mir bis heute wirklich etwas bringen. Wenn ich in einer Urne fünf rote und fünf blaue Kugeln habe, habe ich beim ersten Zug mit genau fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit eine rote Kugel in der Hand. Wenn ich sie nicht zurücklege, ist es beim zweiten Zug wahrscheinlicher, dass ich eine blaue ziehe und so weiter. Stellen wir uns die blauen Kugeln als weiße Männer und die roten als alle anderen Menschen vor. Wer sich anschaut, wie in Deutschland der Weg vom Schulabschluss hin zu Positionen relevanter Mitbestimmung verläuft – zum Beispiel in Vorständen oder Parlamenten – merkt schnell, dass die Regeln der Stochastik hier nicht mehr greifen. Soziale und ethnische Herkunft führen dazu, dass sich während und nach der Schulzeit die ersten Wege trennen: Während 79 % der Kinder aus Akademikerfamilien studieren, sind es bei Nichtakademikerfamilien gerade mal 27 %.[1] Was die Verteilung der Geschlechter angeht, sind die Urnen zumindest bis nach der Uni noch zu gleichen Teilen mit roten und blauen Kugeln gefüllt, doch mit jedem Schritt auf der Karriereleiter werden die roten weniger. Und irgendwann sind die Urnen nur noch blau gefüllt, mit vereinzelten roten Kugeln.

Die AllBrightStiftung setzt sich für mehr Frauen und mehr Diversität in den Führungsetagen ein und veröffentlicht jedes Jahr verschiedene Studien zum Stand der Führungsverteilung in Deutschland. Laut der letzten Erhebung der Stiftung aus dem Herbst 2022 gibt es in den 160 börsennotierten deutschen Unternehmen neun weibliche Vorstandsvorsitzende. Das ist eine Quote von knapp 6 %. [2] In den Vorständen insgesamt waren es im AllBright-März-Bericht 2022 14,3 % Frauen, was immerhin ein Wachstum zum Vorjahr bedeutet, aber nur um ein knappes Prozent.[3] Die Besetzung der Aufsichtsräte, also der Kontrollgremien großer Firmen, entspricht der gesetzlich vorgeschriebenen Frauenquote von etwas über 30 %, bei der sie Jahr für Jahr stagniert und sich teilweise sogar rückläufig entwickelt. 5 % der deutschen Aufsichtsratsvorsitzenden waren im Jahr 2022 weiblich, 95 % männlich.[4] Bei den Familienunternehmen wie Fressnapf, Brose oder Kühne+Nagel sieht es noch schlechter aus: Die hundert größten deutschen Familienunternehmen hatten 2022 eine Frauenquote von 8,3 % in Geschäftsführung oder Vorstand.[5] Während sich Aufsichtsräte und Vorstände der börsennotierten Unternehmen, auch durch den Druck von Quotengesetzen und gesellschaftlichem Wandel, langsam in die richtige Richtung bewegen, hat sich der Anteil von Frauen in den Geschäftsführungen von Familienunternehmen im vollständigen Familienbesitz seit 2020 sogar rückläufig entwickelt.[6]

Ich nutze die Zahlen für Vorstände, Aufsichtsräte und Geschäftsführungen großer Unternehmen, weil sie für Positionen relevanter Mitbestimmung in Deutschland stehen. Genauso könnte man auf die Parlamente blicken: In sieben deutschen Landesparlamenten sind, Stand November 2022, Frauen mit weniger als einem Drittel repräsentiert. In allen ist es weniger als die Hälfte.[7] Im Bundestag sind es 35 %.[8]

Wie passen die Regeln der Stochastik zu diesem Ergebnis? Wenn wir an unsere Urne mit den roten und blauen Kugeln denken: Wie läuft die Ziehung ab und welche besonderen Ereignisse gibt es, die die Wahrscheinlichkeiten derart verändern oder manipulieren?

Ich denke nun schon einige Jahre über diese Frage nach – auch, weil ich eine von wenigen roten Kugeln bin, die es geschafft haben, immer in die nächste Urne zu kommen und irgendwann eine der wenigen unter blauen Kugeln zu sein. Die Antworten, die ich in Gesprächen und Texten auf die Frage bekommen habe, sind vielfältig.

Die wohl beliebteste ist der Verweis auf die Biologie. Frauen kriegen halt die Kinder, und damit schwimmen sie von allein aus dem Pool der Menschen, die für die Positionen von Mitbestimmung infrage kämen. Es sei eben der natürliche Lauf der Dinge, dass die Frau, getrieben vom Mutterinstinkt, mit dem Moment der Befruchtung einer Eizelle gar keine Lust mehr habe, in die Urne für den nächsten Karriereschritt zu gelangen. Die Hormone, der Mutterinstinkt, der Bedarf zu versorgen und ein Nest zu bauen seien wie eine starke Droge, deren Wirkung erst nach vielen Jahren wieder nachlasse. Und dann sei es zu spät, die mangelnde Erfahrung und möglicherweise auch Lücken, was technologische Standards und Marktentwicklungen angeht, für eine berufliche Spitzenposition aufzuholen. Und ja, wir haben in Deutschland ein Betreuungsproblem. Der Staat tut nicht das, was er könnte – und solange das Problem nicht gelöst ist, wird die Farbe Blau weiter die Urnen dominieren.

So simpel die Antwort auf meine Frage klingt, so wenig konnte ich sie akzeptieren. Zum einen gibt es zahlreiche Studien, die die hormonelle Steuerung, wie sie hier gerne angeführt wird, widerlegen. Es ist weder biologisch noch evolutionär belegt, dass Frauen in der Mutterrolle alles andere um sich herum vergessen. In frühen Kulturen war es sogar so, dass der Stamm als Gruppe die Kinder aufzog und die Mütter sehr schnell nach der Geburt wieder ihrer gewohnten Tätigkeit nachgingen.[9] Außerdem erklärt die Theorie der Hormonsteuerung als Karrierekiller nicht, warum so wenige Schwarze* Männer in relevanten Positionen der Mitbestimmung sind, oder Menschen mit Behinderung, oder queere Menschen.

Ich suchte also weiter nach einer Antwort auf meine Frage, wann und warum die roten Kugeln in den Urnen verlorengehen. Eine andere gerne angeführte Theorie ist, dass Männer eben einfach mehr verdienen als Frauen und, sobald die Familienplanung beginnt, die Rollen dadurch klar in die des Versorgers und die der Nestbauerin und eventuell Unterstützerin des Versorgers aufgeteilt werden. Diese Erklärung beschränkt sich offensichtlich auf heteronormative Beziehungen und scheint für sich genommen Sinn zu ergeben: Wenn einer so viel mehr Geld verdient als die andere, ist die Frage, wer zu Hause bleibt, zum Beispiel um sich um die Kinder zu kümmern, eine rein wirtschaftliche Entscheidung.

Meine These ist, dass bereits in den ersten fünf Berufsjahren die Karrierepfade zwischen den Geschlechtern auseinandergehen. Ich denke, dass Familie und Care-Arbeit nur verstärken, was sich viel früher strukturell festlegt. Die offensichtliche, messbare und objektiv nachvollziehbare Tatsache, dass die Diskrepanz ja nicht nur zwischen Mann und Frau besteht – also zwischen trägt kein Kind aus und trägt ein Kind aus –, sondern dass zum Beispiel Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Herkunft, Geschlechtsidentität oder Behinderung ebenfalls dazu zu führen scheinen, dass Menschen es nicht in die nächste Urne schaffen, verstärkt diesen Gedanken.

Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, desto öfter kam das Wort strukturell auf. Strukturell ist das Gegenteil von individuell: Es bedeutet also, dass der Grund für bestimmte Umstände außerhalb des Einflussbereichs der Entscheidungen einzelner Menschen zu suchen ist. Strukturen liegen all unserem Tun und jeder Interaktion zugrunde, sie bestimmen den Rahmen, in dem wir uns entwickeln, in dem wir interagieren, in dem wir entscheiden. Strukturell bedeutet, dass unser Verhalten nicht immer auf bewussten Entscheidungen beruht. Strukturen geben Denkmuster, Rollenbilder, Annahmen über die Welt vor.

Wenn das Problem also strukturell ist, heißt das, dass es keinen evil board room gibt, von dem aus ein paar mächtige weiße Männer die Welt steuern und sich über all die blauen Kugeln in den Positionen relevanter Mitbestimmung freuen. Es bedeutet, dass alles noch viel komplexer ist, als ich dachte. Denn weiße Männer als augenscheinliche Profiteure des strukturellen Problems sind dann nicht etwa die Täter, sondern ebenso Betroffene, wenn auch die mit den höchsten Gehältern und meisten Möglichkeiten.

Ich habe mich also auf die Suche begeben nach den strukturellen Hürden, die die Regeln der Stochastik so gänzlich aushebeln.

Es gibt keine Chancengleichheit

Ich verspreche, es wird konstruktiver, aber mit einer schlechten Nachricht müssen wir uns abfinden: Es gibt keine Chancengleichheit in Deutschland. Genau genommen gibt es eine ganze Reihe von Dingen, die für eine Frau deutlich wahrscheinlicher sind, als in irgendeine Position von relevanter Mitbestimmung zu kommen. In der Altersarmut zu enden, zum Beispiel, was ein Drittel aller Frauen betrifft.[10] Oder in finanzielle Abhängigkeit von ihrem Mann zu geraten, was die Hälfte aller verheirateten Frauen betrifft.[11] Oder natürlich Opfer von Gewalt zu werden, was jeder dritten Frau mindestens einmal im Leben passiert.[12] Je nachdem, ob eine Frau weiß ist oder eine andere Hautfarbe hat, wen sie liebt und in welchem Körper sie geboren wurde, fallen die Wahrscheinlichkeiten nochmal drastischer aus: Unter gehörlosen Frauen, beispielsweise, geben drei von vier Befragten an, im Laufe ihres Lebens Opfer von Gewalt geworden zu sein, über die Hälfte davon von sexualisierter Gewalt.[13]

Die Ansichten und Argumente, die mir in diesem Zusammenhang begegnen, wiederholen sich. Stellen wir uns eine Geburtstagsparty vor: Harald, 62 Jahre, Campingwagenbesitzer und frisch in Altersteilzeit, schlendert in meine Richtung: »Du beschäftigst dich doch mit Feminismus und so Zeug.« Ohne eine Antwort abzuwarten, erzählt er mir die Geschichte seiner Frau Barbara, die damals, als die Kinder kamen, ja daheimbleiben »wollte«. Sie habe das regelrecht verlangt, bis die Kinder 14 waren. Selbst wenn er Elternzeit hätte machen wollen, und darüber hätte er ja damals schon nachgedacht, das wäre nicht gegangen, weil einer musste ja schließlich sehen, wo die Kohle herkam.

Chancengleichheit bedeutet nicht, dass jede Frau Karriere machen muss, Chancengleichheit bedeutet, dass nichts als die persönliche Präferenz, die eigenen Talente, Anstrengungen und auch Träume bestimmen, welcher Weg offensteht und welcher nicht. Chancengleichheit bedeutet aber auch, dass Männer nicht den Karriereweg, nicht in die Rolle des Versorgers gehen müssen, wenn sie das nicht wollen.

Nicht alle sind so nett wie Harald. Manche gehen auch direkt in die Defensive, wenn sie hören, dass jemand überhaupt gendergerechte Sprache benutzt, kommen entweder strammen Schritts oder betont lässig auf einen zu. Beate hat das Gespräch mit Harald belauscht. »Ich muss jetzt schon einmal sagen, für mich brauchst du dich da nicht einsetzen. Ich muss nicht in einen Vorstand oder in ein Ministeramt«, sagt sie.

Chancengleichheit ist keine Bewertung. Sie suggeriert nicht, dass der eine Lebensentwurf mehr wert ist als der andere. Auch wer sich entscheidet, nicht 60 Stunden die Woche in irgendeiner Vorstands-Gang abhängen zu wollen, kann als Vollzeitmutter oder Krankenschwester wichtige Arbeit leisten. Chancengleichheit bedeutet nämlich schlicht: gleiche Chancen. Jede:r hat die Möglichkeit, eine Position der Mitbestimmung zu besetzen. Nicht jede:r muss. Chancengleichheit bedeutet, dass jede:r den Weg einschlagen darf, der ihm oder ihr die größte Erfüllung bringt.

»Man traut sich ja gar nichts mehr zu sagen, heutzutage«, prostet mir Markus zu. Er bringt damit die Diskussion von der faktischen auf die emotionale Schiene und sich selbst in die Opferrolle. »Ich kann ja nicht mal mehr einer Frau einen Kaffee bringen, ohne einen MeToo-Skandal zu riskieren! Ihr macht so viel kaputt.«

Diese Vermischung verschiedener Ebenen lässt die Diskussion um Chancengleichheit und Diskriminierung immer wieder in die falsche Richtung kippen. Die Anklage lenkt den Fokus völlig weg von dem, worum es geht, und macht jegliche konstruktive Auseinandersetzung unmöglich. Dazu kommt, dass nun mal alles nicht so einfach ist, wie Markus das gerne hätte: Ja, strukturelle Ungleichheit und sexuelle Übergriffe haben ihre Wurzeln in direkter Nachbarschaft zueinander, sie bilden eine Symbiose. Besonders schön ist in diesem Beispiel der Versuch der emotionalen Ausgrenzung derjenigen Person, die sich für Wandel einsetzt: Schau, wir alle finden das kacke. Du willst Chancen ermöglichen, aber nimmst dabei allen etwas weg.

Wenn wir Chancengleichheit ernst meinen, bedeutet das: Der Start ins Berufsleben ist ein Raum mit vielen Türen, und theoretisch muss für jede:n jede Tür offenstehen. Für Harald, für Beate und irgendwie auch für Markus.

Dieses Buch ist ein Einstiegswerk. Es gibt eine ganze Reihe von Büchern zum Thema Frauen in Führung, einige davon von Frauen in Führung, andere im wissenschaftlichen Kontext geschrieben. Manche betrachten Kommunikationssysteme, andere Verhaltensmuster, wieder andere Denkmuster. Auch wenn die intersektionale Betrachtung von Chancengleichheit noch ziemlich am Anfang steht, gibt es einige Bücher, die es möglich machen, die Probleme zu verstehen: Vor allem im Bereich der Rassismuskritik sind in den vergangenen Jahren viele einfach zugängliche Ansätze zur Aufklärung erschienen. (Auf den letzten Seiten findet ihr eine Liste meiner besonderen Buchempfehlungen.) Ich denke, es kann nicht genug Bücher geben, in denen Menschen versuchen zu ergründen, warum wir nicht so richtig weiterkommen mit der Chancengleichheit. Denn im aktuellen Tempo wird es noch 132 Jahre[14] dauern, bis Frauen die gleichen Gehälter, Chancen und Rechte wie Männer haben werden. Das betrifft also nicht nur mich und uns, sondern auch unsere potenziellen Kinder und Enkelkinder. Ziemlich deprimierend.

Deswegen dieses Buch: um praktische Erfahrungen und Tipps zur Überwindung struktureller Hürden zu versammeln und den Weg in Positionen relevanter Mitbestimmung dadurch zu erleichtern. Wichtig ist dabei, dass der Aufstieg in eine Position relevanter Mitbestimmung für viele Gruppen nicht die größte Baustelle innerhalb ihrer Diskriminierungserfahrungen ist – für manche wäre schon die gesellschaftliche Akzeptanz, so sein zu dürfen, wie sie sind, ein Schritt. Dennoch glaube ich, strukturelle Probleme können sich nur lösen, wenn Zugang zu Macht fairer zwischen den Geschlechtern verteilt wird. Deshalb will ich in diesem Buch einen speziellen Fokus darauf legen, die strukturellen Gründe der Chancenungleichheit zu benennen und die intersektionale Betrachtung des Themas zu unterstützen – so gut ich das kann.

Die Gründe der Chancenungleichheit hängen alle miteinander zusammen. Sie lesen sich wie eine gut gefüllte Karte Bullshit-Bingo: Rassismus, Sexismus, Ableismus, Homophobie und Trans*Feindlichkeit, um die Liste nur mal zu beginnen. Und leider ist diese Karte nicht eindimensional, sondern entfaltet sich in eine richtige Bullshit-Matrix: Den Klimawandel, beispielsweise, haben wir einem Mix aus Kolonialismus, Kapitalismus und Industrialisierung zu verdanken. Der globale Süden, jahrhundertelang Zentrum von Ausbeutung und Unterdrückung von Schwarzen durch weiße Menschen, erlebt den Kollaps der Ökosysteme zuerst und am stärksten. Die Debatte um Klimagerechtigkeit wird auch heute noch aus einer auf die Nordhalbkugel fokussierten Perspektive heraus geführt. Eine weitere Dimension der Bullshit-Matrix sind Patriarchat und Kapitalismus, ein Zusammenhang, den meine Kollegin Alexandra Zykunov in ihrem Buch »Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!  25 Bullshitsätze und wie wir sie endlich zerlegen« sehr schön und eindringlich darlegt.[15] Der Kapitalismus baut darauf auf, dass Frauen sich unbezahlt um Kinder und Haushalt kümmern. Wären sie gleichberechtigt, würden sie Lohn für die Care-Arbeit verlangen oder sogar im gleichen Maße arbeiten und Geld verdienen wollen wie Männer, anstatt später mit der Hälfte der Rente und damit zum großen Teil in Altersarmut dazustehen, wäre das kapitalistische System, in dem das Patriarchat tief verankert ist, ehrlich gechallenged.

Das Thema ist also viel größer als nur die Frage, ob wir genauso viele Frauen wie Männer in den Führungsetagen, Vorständen und Parlamenten haben. Strukturelle Chancenungleichheit ist tief verwoben mit den großen Themen unserer Zeit. Und es ist auch kein optionales Müssen wir uns mal anschauen-Thema mehr: Schaffen wir es nicht, die Gleichberechtigung von Mann und Frau am Arbeitsplatz und damit auch im Privaten zu gewährleisten, werden immer mehr Menschen in Armut leben und unser Wirtschafts- und Rentensystem wird kollabieren. Schaffen wir es nicht, unsere Rollenbilder und Vorstellungen davon, wer zu uns gehört, zu verändern, werden wir nicht nur die Klimakrise nicht bewältigen, sondern auch mit immer größeren Wellen an Flüchtenden rechnen müssen, die durch unsere rein weiße, rein männlich geprägte Denke in ihren Herkunftsländern nicht mehr überleben können.

Ich konzentriere mich trotz dieser Komplexität vorrangig auf das Thema strukturelle Chancenungleichheit für Frauen, aus dem einfachen Grund, dass das der Bereich ist, zu dem ich persönlich am meisten beitragen kann. Ich kann mich intensiv mit strukturellem Rassismus, Homophobie, Trans*Feindlichkeit, Herkunftsdiskriminierung und Inklusion beschäftigen, ich kann in meinen Interviews für dieses Buch Stimmen zu Wort kommen lassen, die dazu sprechen können. Aber es steht mir nicht zu, als weiße Hetero-Frau aus der gehobenen deutschen Mittelschicht, die gut gebildet ist und sich mit dem Geschlecht identifiziert, das ihr bei der Geburt zugeordnet wurde, ein Buch über alle Aspekte dieses Themas zu schreiben.

Ich rufe also eindringlich dazu auf, dass all jene, die betroffen sind, sich dazu äußern: in Büchern und Texten, in Vorträgen und den sozialen Medien und nicht zuletzt auf Geburtstagspartys. Ich wünsche mir, dass sie die Stärke fühlen, Aufklärungsarbeit zu leisten, denn wie die unglaublich kluge Autorin Alice Hasters noch später in diesem Buch sagen wird, ist Bildung der Weg zu dauerhaftem Wandel für ALLE. Und für dieses Buch hoffe ich, die richtigen Stimmen ausgewählt zu haben, um immer wieder klarzumachen, dass es neben meiner weißen, cisgender und von sozialen Privilegien geprägten Perspektive viele weitere gibt und strukturelle Chancenungleichheit noch sehr viel komplexer ist, als ich sie hier beschreiben kann.

* Ich schreibe »Schwarz« als Beschreibung einer Hautfarbe groß und »weiß« kursiv. Hier orientiere ich mich an der Literatur rassismuskritischer Autorinnen. Weißsein oder Schwarzsein entspricht keiner reellen Farbe, sondern ist Teil einer politischen und sozialen Konstruktion.

Wer ich bin

Ich bin zu dem Zeitpunkt, an dem ich dieses Buch schreibe, 31 Jahre alt und hatte schon verschiedene Rollen inne. Ich war Sängerin, Journalistin, Radioreporterin, Vorstandsreferentin, Geschäftsführerin einer Tochterfirma in einem Medienkonzern und C-Level-Executive, was so viel bedeutet wie eine Abteilung zu leiten und direkt an den Vorstand zu berichten. Ich war oft die Jüngste und oft die einzige Frau im Raum und ich habe verhältnismäßig lange gebraucht, um Letzteres wirklich als Problem zu begreifen.

Um meine Geschichte und den Ausgangspunkt, von dem aus ich in Richtung strukturelle Hürden gestartet bin, zusammenzufassen, ist an erster Stelle ein Begriff zentral: Privileg.

Ich bin im Vorort einer bayerischen Kleinstadt aufgewachsen, die unglaublich stolz auf ihre verschiedenen Biersorten ist und zeitweise mal ein gutes Basketballteam hatte. Die ersten 18 Jahre meines Lebens durfte ich in einem Haus leben, das so groß war, dass es ein eigenes Zimmer für die Weihnachtsdekoration gab und einen riesengroßen Garten. Die meiste Zeit meines jungen Lebens war ich davon überzeugt, eine realistische Chance zu haben, später entweder Prince William zu heiraten oder Popstar zu werden. Wenn wir in der Grundschule nach den Ferien berichten sollten, wie wir die freie Zeit verbracht hatten, hatte ich immer eine gute Geschichte parat, weil wir fünf- oder sechsmal im Jahr in den Urlaub fuhren, meistens in den Robinson Club.

Als ich ins Gymnasium kam und Klassenarbeiten anstanden, machte mir meine Mutter vor jeder Prüfung einen strukturierten Lernplan und fragte mich jeden Abend meine Vokabeln ab. Wenn ich ein Wort nicht wusste, gab sie mir das Buch zurück, damit ich noch mal in mein Zimmer gehen und alles wiederholen konnte. Fast meine ganze Schulzeit lang war ich Klassenbeste, außer in Physik, was ich dankenswerterweise irgendwann abwählen konnte. Ich hatte eine Klavier- und eine Gesangslehrerin. Nur für die Letztere musste ich selbst kellnern gehen, weil der familiäre Glaube an mein musikalisches Talent nicht sehr ausgeprägt war.

Nach dem Abitur war die Frage nicht, ob ich studieren wolle, sondern wo. Ich studierte Psychologie in München und Politik in Washington und gab das Singen irgendwann auf, um unbezahlte Praktika beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu machen oder nebenbei fürs Studentenradio zu arbeiten. Wobei arbeiten das falsche Bild hervorruft, denn auch dafür gab es kein Geld. Schließlich jobbte ich noch tageweise als Telefonistin in der Technischen Information des Bayerischen Rundfunks, was mir einen der heiß begehrten Mitarbeiterausweise verschaffte und mich irgendwann von der Telefonistin zur Praktikantin im Radio und schließlich zur freien Radioreporterin aufsteigen ließ.

An der Journalistenschule waren meine Mitschüler:innen bis auf eine Ausnahme weiß und ich bemerkte das gar nicht. Die Dozenten, die unsere politischen Kommentare teils cholerisch zerrissen oder nostalgisch von den goldenen Jahren des Journalismus schwärmten, waren zum allergrößten Teil männlich (weswegen ich mir das :innen hier spare).

Mir fiel das weder auf, noch störte es mich wirklich. War halt so. Meine Freundin Mäggi, damals schon Feministin, genderte, was ich total übertrieben fand und immer wieder aus ihren Texten strich, weil ich der Meinung war, es störe den Sprachfluss. Überhaupt verband ich Feminismus hauptsächlich mit Alice Schwarzer und Anstrengung und beteuerte immer wieder, dass das für mich alles kein Thema sei. Schließlich waren wir an der Schule zu fifty-fifty Männer und Frauen. Wo war das Problem?

In meinem ersten Job beim öffentlich-rechtlichen Radio machte ich die Erfahrung, dass die Gruppe der weiblichen Reporterinnen ein ziemlicher closed shop für mich war. Sie waren alle in fest-freier Mitarbeit beschäftigt, was bedeutet, dass man keine Festanstellung bekommt, aber relativ zuverlässig für eine gewisse Anzahl bezahlter Schichten pro Monat eingeteilt wird. Das heißt: Sie waren eine eingeschworene Gang und obwohl wir uns sehr ähnlich waren – alle aus irgendwelchen bayerischen Kleinstädten und hoch motiviert –, machten sie sehr früh klar, dass in ihrer Gruppe kein Platz für mich war. Weil ich aber unbedingt dazugehören wollte und auch überzeugt war, dass mein künftiges berufliches und in Teilen auch privates Seelenheil davon abhing, Mitglied der coolen bayerischen Radioreporterinnen zu sein, nahm ich jedes Stöckchen, das sie mir hinwarfen, an. Ich kam zum Glühweintrinken vor der Weihnachtsfeier, zu dem ich eher so halb eingeladen war – um dann alleine in der Kälte vorm Funkhaus zu stehen, weil die Gang ein Taxi mit genau vier Plätzen bestellt hatte und ich die Nummer fünf war. Als ein weiterer neuer Kollege – männlich – kam und sofort auf alle Partys eingeladen wurde, entwickelte ich meine eigene Theorie: Dass Feminismus nicht nur überholt sei, sondern dass Frauen auch irgendwie selbst schuld seien, weil sie sich nicht gegenseitig unterstützten.

Dass wir alle aus einem strukturellen Set-up heraus nicht die Möglichkeit hatten, Freundinnen zu werden, dass die Gang, die ins Taxi passte, eher eine Gruppe Verbündeter war, die sich gegenseitig die Schichten nicht streitig machten und in einem Beschäftigungssystem ohne äußere Sicherheit nur diese Absicherung hatten, leuchtete mir erst viel später ein. Damals dominierte das Gefühl, von den anderen Frauen isoliert zu werden, und ich spürte einen Groll, der sich nicht dahin richtete, wo er hingehörte – nämlich auf ein System, das in diesem Fall Frauen gegeneinander ausspielt –, sondern auf die anderen Reporterinnen.

Schnell stellte sich heraus, dass die ausgebliebene Freundschaft für mein berufliches und privates Seelenheil weit weniger essenziell sein würde, als zunächst gedacht. Nach wenigen Monaten fest-freier Mitarbeit und einem fortschreitenden Grundverständnis für betriebswirtschaftliche Zusammenhänge und übliche Anstellungsverhältnisse verließ ich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und wechselte in die Privatwirtschaft. Nach einem theatralischen Abgang bei der Weihnachtsfeier verabschiedete ich mich mit Guacamole und Marmorkuchen von den Frauen, die ich so gerne als Freundinnen gehabt hätte, und wechselte als Management Trainee in einen Medienkonzern.

Meine erste Woche in dem Unternehmen, das ich seither meinen Arbeitgeber nenne, war wie eine Flitterwoche. Nicht nur traf ich Menschen, die mir ähnlich waren und die mich zumindest dem ersten Anschein nach auch gut fanden, ich bekam zudem Möglichkeiten, mich zu entwickeln, lernte ganz viel BWL-Kram und konnte endlich meine Mathe-Skills anwenden. Eine Personalabteilung fragte regelmäßig nach, wie es mir so ging, und ich erhielt eine unbefristete Festanstellung.

Mein Weg, auch wenn er hier vereinfacht und sicher oft mit Weichzeichner dargestellt ist, war geprägt von Privileg: Privileg, das zu einer gewissen selektiven Wahrnehmung verleitet. Eine, die zumindest mich glauben ließ, dass wir auf einem ganz guten Weg seien, was Chancengleichheit angeht, weil ich alle Chancen bekam, die ich mir hätte wünschen können. Eine, die mich übersehen ließ, dass mein Weg nicht der normale war, dass ich viel öfter vom System profitierte, als das statistisch gesehen überhaupt möglich sein konnte. Eine, die mir den Fokus auf Symptome wie abweisende Kolleginnen erlaubte, anstatt mich zu einer ernsthaften Beschäftigung mit strukturellen Themen zu verleiten. Eine, die mich trotz allem in der sicheren Überzeugung ließ, dass ich alle Möglichkeiten hatte, wenn ich nur hart genug dafür arbeitete. Ich dachte, alle seien wie ich. Selektive Wahrnehmung ist eine wunderbare Droge.

Die Einstellung zu meinem Arbeitgeber hat sich nicht verändert. Bis heute kann ich mir keinen Ort vorstellen, an dem ich mit mehr Menschen Werte und Humor teile, an dem ich so gesehen werde, gefördert und gefordert. Doch weder ein guter Arbeitgeber, ein Netzwerk an Mentor:innen noch eine um mein Wohlbefinden bemühte Personalabteilung konnte mich dauerhaft von den strukturellen Hürden abschotten.

Das große Aufwachen

Mit 27 Jahren wurde ich Geschäftsführerin einer Tochterfirma des Medienkonzerns und war plötzlich in ganz neuen Kreisen unterwegs. Ich wurde direkt zu Terminen mit Manager:innen und Prominenten eingeladen, zu Preisverleihungen und Abendessen. Ich hatte plötzlich Budget zu vergeben, also wollten die Leute mich dabeihaben. Dazu war mein Thema (ich leitete eine Podcast-Firma) gerade ziemlich cool, weshalb ich oft als Speakerin oder einfach nur als die Digitale vom Dienst auf Veranstaltungen oder zu Meetings eingeladen wurde.

Gleich im ersten Jahr begegneten mir die strukturellen Hürden mit voller Wucht. Gemeinsam mit einem Kollegen traf ich einen bekannten Künstler inklusive seines Managers und eines Autors zum Gespräch über ein gemeinsames Projekt. Zum ersten Mal fiel mir aktiv auf, dass ich die einzige Frau in der Runde war. Die Männer sprachen über Fußball, natürlich, geschlagene zehn Minuten ging es darum, wer wieder warum vorm Abstieg oder Aufstieg stand. Da ich absolut nichts zum Thema beizutragen hatte, lächelte ich, in der Hoffnung, dann bald mal zum eigentlichen Punkt des Meetings zu kommen. Da seufzte der Künstler und schaute mich geradeaus an: »Ich hätt gern ’nen Kaffee«, sagte er. »Ich auch«, stimmte der Manager ein, »Jo, ich auch«, der Autor. Dann schauten mich alle erwartungsvoll an. Ich verwaltete das Budget und war zumindest qua Amt die Ranghöchste im Raum, wurde allerdings von allen als die wahrgenommen, die den Kaffee holt. Nicht als Zeichen von Status á la ich geb einen aus, nein, einfach, weil ich die junge Frau war, die bisher nichts gesagt und die ganze Zeit gelächelt hatte. Das verpasste mir den Stempel: holt Kaffee. Mein fußballkundiger Kollege saß unbestempelt daneben.

Bis heute bin ich erstaunt über meine eigene Schlagfertigkeit, denn ich entgegnete den Männern ein ebenso ruppiges »Jo, ich auch« – woraufhin mein Kollege, etwas perplex über die plötzlich eisige Stimmung im Raum (man hatte doch gerade noch über den Abstieg oder Aufstieg des Fußballvereins gesprochen), den Konferenzraum verließ und eine andere Frau damit beauftragte, Kaffee zu holen.

Nicht immer habe ich es geschafft, so schlagfertig zu sein, und ich werde viele Situationen in diesem Buch schildern, die zeigen, wie mich die strukturellen Hürden, die mir trotz bester Voraussetzungen und einem guten Maß an Privilegien dennoch begegneten, an den Rand des Aufgebens brachten. Die Frauen, die im Laufe dieses Buchs zu Wort kommen, teilen ihre Geschichten ebenfalls und vielleicht hilft es, die eine oder andere davon zu verinnerlichen, um sich mögliche Strategien abzuschauen. Heute habe ich einen Baukasten von Reaktionen, die ich in solchen Situationen automatisch abspiele. »Das finde ich irritierend« ist zum Beispiel einer meiner Lieblingssätze, den mir meine ehemalige Coach beigebracht hat. Wenn ich zu verdutzt bin, um etwas zu sagen oder Wut im Bauch aufkommen spüre, reiße ich kurz die Augen auf und sage den Satz, manchmal unterstrichen von einem süffisanten Lächeln, wobei ich vor irritierend eine kurze Pause lasse, als suchte ich nach dem richtigen Wort. In der Regel bewirkt das zumindest, dass die assoziative Kette Frau, lächelt, holt Kaffee unterbrochen wird. Meist halten mich danach alle für eine bitch, aber das – auch dazu später mehr – ist irgendwann nicht mehr so schlimm.

Nach und nach dämmerte mir, dass es sehr viel tiefer liegende Mechanismen geben musste, die dazu führten, dass Frauen irgendwo auf dem Weg nach oben verloren gingen. Ich begann mich mit dem Problem zu beschäftigen, lernte Menschen kennen, die schon lange vor mir sehr viel klügere Gedanken dazu gehabt hatten. Etwa ein Jahr später schrieb meine Freundin Alice Hasters den Bestseller »Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten«, was dazu führte, dass ich mich zum einen wirklich mit dem Thema struktureller Rassismus auseinandersetzte und zum anderen viele Gespräche im Freundeskreis führte, die zeigten, wie viel tiefer die Denkmuster sitzen, als uns bisher bewusst war.

Zu dieser Zeit also begann meine aktive Auseinandersetzung mit den Wahrscheinlichkeiten, den Urnen und Kugeln. Ich schrieb einen Text für ein Branchenmagazin, mit der These dass ein Ereignis X dazu führt, dass aus der ursprünglichen eine bedingte Wahrscheinlichkeitsrechnung wird, in der die Karrierewege auseinandergehen.

Denn mit der bis dahin ergebnislosen Suche nach einer Antwort auf meine Frage, woher die ungleichen Wahrscheinlichkeiten rühren, wuchs auch der Wunsch, etwas beitragen zu wollen. Ich entschied, dass es von nun an keine Wahl mehr war, Feministin zu sein, sondern eine Verpflichtung. Ich bin überzeugt, dass wir alle früher oder später Feminist:innen werden müssen, wenn auch nicht alle in der gleichen Lautstärke. Alles andere würde bedeuten, dass wir a) das System nicht verstehen, was uns nicht unbedingt für höhere Aufgaben qualifizieren sollte. Oder dass wir b) das System zwar verstehen, aber den Nutzen, den uns unser eigenes individuelles Privileg darin verschafft, höher schätzen als den Nachteil für die anderen. Das macht uns zu Opportunisten, was zwar in gewisser Weise für Führung qualifiziert, aber nicht für gute und auch nicht auf Dauer. Ich bin also Feministin, weil es für mich keine Möglichkeit gibt, KEINE Feministin zu sein.

Feminismus bedeutet nicht nur, sich dafür einzusetzen, dass Frauen in Positionen relevanter Mitbestimmung kommen – auch wenn das vor allem das Feld ist, das ich in diesem Buch nutze, um strukturelle Hürden zu beschreiben. Für die allermeisten Frauen auf der Welt ist das Ziel keine Vorstandsposition, sondern viel grundlegender: In Frieden und nach den eigenen Vorstellungen leben zu dürfen. In den Tagen, in denen ich dieses Buch beende, demonstrieren im Iran gerade Tausende Frauen auf der Straße gegen ein System, das sie unterdrückt. Diese Situation zeigt besonders deutlich, wie zentral Intersektionalität für Feminismus ist. Nach dem gewaltsamen Tod von Mahsa Amini im Herbst 2022 fordern die Frauen im Iran das grundlegende Recht, selbst zu entscheiden, wie sie leben wollen. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sagte nach dem Tod der 22-Jährigen: »Wenn Frauen nicht sicher sind, dann ist keine Gesellschaft auf dieser Welt sicher. Deswegen ist der brutale Angriff auf die mutigen Frauen im Iran eben auch ein Angriff auf die Menschheit.« Auch eine Aussage der damaligen First Lady der USA, Hillary Clinton, auf der UN-Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking wurde in diesem Kontext zitiert: »Menschenrechte sind Frauenrechte und Frauenrechte sind Menschenrechte.« Keine:r ist frei, wenn nicht alle frei sind.

Feminismus, wie ich ihn definiere, ist also einer, der intersektional funktioniert, sprich: sich nicht nur für die Rechte und Chancen weißer Frauen einsetzt. Im Gegenteil. Feminismus bedeutet für mich Vielfalt in jeder Form und hat Chancengleichheit für alle zum Ziel. Und verpflichtet dazu, sich mit anderen Perspektiven und Diskriminierungserfahrungen zu beschäftigen.

Wer in diesem Buch zu Wort kommt

Diversität wird daran gemessen, ob und wie unterschiedliche Menschen in einer Gruppe zusammenkommen. Die bekanntesten Dimensionen von Vielfalt sind ethnische Herkunft, soziale Herkunft, Geschlecht, geschlechtliche Identität (Gender), sexuelle Orientierung, körperliche und geistige Fähigkeiten, Alter, Religion und Weltanschauung.[16] Auch wenn ich also sehr schnell sehr gut darin wurde, die strukturellen Hürden für eine römisch-katholische, weiße Cis-Hetero-Frau aus der gehobenen Mittelschicht Anfang 30 ohne Behinderung zu identifizieren, war das fürs große Ganze noch nicht wirklich hilfreich. Nicht nur war die Nische zu klein: Wenn ich mich als Feministin für strukturelle Chancengleichheit einsetzen will, kann ich das per definitionem nicht eingrenzen auf die verhältnismäßig kleine Gruppe der Menschen, die so sind wie ich. Denn selbst wenn ich und alle weißen, römisch-katholischen Cis-Hetero-Frauen aus der gehobenen Mittelschicht Anfang 30 ohne Behinderung weniger Hürden hätten, um mitbestimmen zu dürfen – an der Gesamtsituation, um die es mir geht, würde das wenig ändern.

Um also nicht nur aus meiner Perspektive über strukturelle Ungleichheit zu sprechen, war es unerlässlich, andere Menschen nach ihren Erfahrungen mit strukturellen Hürden auf ihrem Karriereweg zu befragen. In nur einer Dimension grenzte ich die Gruppe für dieses Buch vorab ein: Ich habe nur mit Menschen gesprochen, die sich als Frauen identifizieren, denn wie schon eingangs erwähnt, ist es die Gender-Dimension, der ich in diesem Buch besonderes Augenmerk widmen will. Ich habe also mit Vorständinnen, Gründerinnen und Autorinnen gesprochen, mit Selbstständigen, Investorinnen, Ingenieurinnen, mit Müttern und Politikerinnen, mit Influencerinnen und Frauen in Familienunternehmen. Die Voraussetzung für eine Anfrage war, dass die Frauen a) strukturelle Hürden überwunden und es in ihrem Feld in eine Position der relevanten Mitbestimmung geschafft haben und dass sie b) einen anderen Blick auf das Thema haben als ich.

Die Gespräche mit den betreffenden Frauen werden die einzelnen Kapitel dieses Buches durchziehen. Wer jetzt schon wissen will, wer diese Frauen sind, findet auf den letzten Seiten ihre Kurzbiografien.

Dieses Buch ist biografisch motiviert und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Auch wenn ich mir bei der Auswahl meiner Interviewpartnerinnen Mühe gegeben habe, eine intersektionale Betrachtung zu schaffen: Es ist immer Luft nach oben! Auch in den Perspektiven meiner Interviewpartnerinnen erhebe ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Nicht jede oben genannte Dimension der Diversität wird im selben Ausmaß abgebildet. Wem eine oder mehrere davon fehlen, der oder die sei hier nochmals eingeladen, ihr eine Stimme zu geben. Es kann nicht genug Bücher, Blogs, Posts, Videos und Podcasts geben, in denen wir Geschichten teilen und Ansätze für strukturelle Chancengleichheit in allen Dimensionen suchen.

Viele der Frauen, die in diesem Buch zu Wort kommen, sind deutlich länger im Arbeitsleben als ich. Jede hatte einen anderen Weg und andere Hürden zu überwinden. Trotzdem gibt es erstaunlich viel Deckungsgleichheit in den Erfahrungen. Deshalb gibt es dieses Buch.

Ein paar Worte vorab

Wenn ich in diesem Buch von Frauen und von Männern spreche, meine ich als Frauen gelesene und als Männer gelesene Menschen. Ich setze voraus, dass Geschlecht nicht gleich der Körper ist, in dem man geboren wird.

Viele der Thesen und Beispiele, die ich in diesem Buch beschreibe, lassen eine binäre Definition von Geschlecht vermuten. Deshalb möchte ich vorab außerdem als gesetzt festhalten, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, auch wenn die bestehende Wissenschaft und Literatur zum Thema strukturelle Ungleichheit das nicht immer widerspiegelt.

Gerade im Kontext von Familie spreche ich öfter vom heterosexuellen Cis-Paar, das als traditionelles Paar- und Familienmodell gesehen wird. Dies ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass ich meine eigene Geschichte und meine Erfahrungen als Basis für viele Thesen nehme. Für die Ratschläge, die ich in den Kapiteln geben möchte, ist das nur bedingt relevant und mir ist bewusst, dass es zahllose weitere Familienmodelle gibt.

Wir müssen reden: Sprache schafft Realität