Dionarah - Band1 - Aileen P. Roberts - E-Book

Dionarah - Band1 E-Book

Aileen P. Roberts

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Beschreibung

Ceara O´Reilley, eine junge Archäologiestudentin, hatte eigentlich nie wieder nach Irland zurückkehren wollen. Doch dann geschieht bei Ausgrabungen etwas, das ihr Leben verändert. Im Grab eines keltischen Clanführers entdeckt Ceara ein geheimnisvolles Tor, welches sie magisch anzuziehen scheint. Ausgerechnet mit Eric, den sie überhaupt nicht ausstehen kann, landet sie am Tag der Sommersonnenwende plötzlich in einer fremden und mystisch anmutenden Welt. Ehe die beiden begreifen können, was gesehen ist, werden sie auch schon angegriffen. Was hat es mit den mysteriösen Dämonenreitern und den todbringenden Schattenwölfen auf sich? Wer sind die schöne Fiilja Fio´rah und der geheimnisvolle Krieger Daron, der sie in letzter Sekunde rettet? Und warum soll ausgerechnet Ceara der Schlüssel zur Befreiung Dìonàrahs sein? Für die junge Irin ist dies alles unbegreiflich, aber Krethmor, der Schattenmagier, fürchtet sie, während sein Erzfeind Myrthan all seine Hoffnung in sie legt.Die Jagd auf die sieben magischen Runen beginnt …Ein Fantasyroman, der zwischen der realen, und einer fiktiven Welt wechselt. Die Mythologie der Kelten spielt eine große Rolle. In "Dìonàrah" findet Ceara ihre Bestimmung und ihren Platz im Leben.

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Dìonàrah–

Das Geheimnis der Kelten

Band I

 

 

Bereits erschienen:

Die Tochter des Mondes (Fantasyroman)

Jenseits des Nebelmeers (Fantasyroman)

Rhiann – Nebel über den Highlands (Schottland/Pferderoman)

Rhiann – Sturm über den Highlands (Schottland/Pferderoman)

Rhiann – Verschlungene Pfade (Schottland/Pferderoman)

Deana und der Feenprinz – Highlandsommer (Jugend/Pferderoman)

Deana und der Feenprinz – Ciarans Geheimnis (Jugend /Pferderoman)

 

 

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.ddb.de abrufbar.

 

Impressum

erschienen im

© 2007 Cuillin Verlag Loessl Claudia,

unter ISBN 978-3-941963-00-9

Überarbeitete Neuauflage 2009

Herstellung und Verlag:

Cuillin Verlag Loessl Claudia, Kirchehrenbach

Druck: PRESSEL Digitaldruck, Remshalden

Titelbild: Mark Freier (www.freierstein.de)

 

Vertrieb über 110th unter

EPUB ISBN 978-3-95865-121-0

MOBI ISBN 978-3-95865-122-7

 

Auch zu bestellen im Internet unter:

www.pferde-und-fantasybuch.de

www.cuillin-verlag.de

 

 

 

 

 

 

 

 

Viele Tage sind vergangen,

nein, nicht Tage, sondern Sommer und Winter,

seitdem ich in Keradann gefangen bin.

Ich habe das Zeitgefühl verloren.

Die kalten grauen Wände sind übersät mit Strichen,

die mir helfen sollten, die Zeit zu messen.

 

Doch schon lange ist kein Platz mehr frei, ich habe es aufgegeben.

Nur ein schmaler Spalt gewährt mir etwas Licht

und einen Blick auf das westliche Meer.

 

Es scheint gerade Winter zu sein, aber sicher bin ich mir nicht.

Es ist immer kalt in diesem uralten Turm,

das Meer wirkt zurzeit aufgewühlt

und die Sonne sinkt früh im Westen.

Doch was macht es für einen Unterschied?

 

Ich bin alt, uralt,

auch wenn man es meinem Körper nicht ansieht,

wie alt ich wirklich bin.

Aber mein Geist ist müde.

Zu lange warte ich schon darauf,

dass eine uralte Geschichte wahr wird.

 

Ich bin Myrthan,

einst erster Zauberer des Königreiches von Monalyth,

doch jetzt bin ich nur ein einsamer alter Narr,

der auf die Erfüllung einer Legende hofft.

 

Kapitel 1

Ceara O´Reilley saß gelangweilt vor einem Skript in der Universität von Cambridge und lauschte Professor Thomas, der über alter-tümliche Handwerkszeuge dozierte. Eigentlich wirkte der Vortrag eher wie eine Predigt. Prof. Thomas war bekannt für seine monotone Stimme und langweilige Vorlesungen. Ceara blickte neben sich. Auch ihre Freundin Sarah wirkte nicht sehr interessiert und hatte begonnen, auf dem Essensplan der Mensa Kringel um die Menüs der nächsten Tage zu malen.

Genau wie Ceara studierte Sarah im dritten Semester Archäologie, war allerdings mit ihren zweiundzwanzig Jahren ein Jahr älter.Sarah und Ceara hatten eigentlich nicht viel gemeinsam, außer, dass sie als Sonderlinge und Außenseiter galten. Sarah war knapp 1,60m groß, pummelig mit blonden, lockigen Haaren und sehr unsportlich. Allerdings hatte sie ein hilfsbereites, gutmütiges Wesen, was von vielen Leuten ausgenutzt wurde.Ceara dagegen war größer, schlank und sportlich mit einer eher knabenhaften Figur. Ihre kurz geschnittenen Haare, die einen seltenen, dunklen Kupferton hatten, versteckte sie meist unter einem Baseballcappy. Daher hielten sie viele Leute auf den ersten Blick für einen jungen Mann, besonders, da sie sich selten figurbetont kleidete. Ceara wirkte auf viele Mitstudenten kühl und legte keinen Wert darauf, bei jedem beliebt zu sein. Mit der Zeit hatten sich die beiden jungen Frauen, deren Zimmer im Studentenwohnheim nebeneinander lagen, angefreundet. Und das, obwohl Sarah sehr strebsam war und immer versuchte, jedem alles recht zu machen, wohingegen Ceara ein Talent zum Improvisieren besaß und sich nicht viel um Regeln scherte, falls diese ihr überflüssig vorkamen. In Ceara brannte ständig die Flamme des Widerstandes. An sich war sie recht ruhig, aber wenn sie jemand reizte, konnte er sich darauf einstellen, dass sie sich mit allen Mitteln zur Wehr setzte. Sie legte sich häufig mit Dozenten und Kommilitonen an und verstand es, ihre Meinung zu vertreten. Trotz allem brachte sie gute Leistungen zustande. Ceara blickte auf die Uhr, in fünf Minuten hätten sie es geschafft. Pünktlich um ein Uhr klappte Professor Thomas sein Buch zusammen. Die Studenten erhoben sich schwätzend von den alten Stühlen des Hörsaals und packten mit lautem Geklapper und Geraschel ihre Sachen ein.

»Kommst du mit in die Mensa?«, fragte Sarah und biss genussvoll in einen Schokoriegel. Ceara nickte und klemmte sich ihre alte Ledertasche unter den Arm. Gemeinsam wollten sie den Vorlesungssaal verlassen, als die schnarrende Stimme von Professor Thomas sie zurückhielt.

»Miss O´Reilley, bleiben Sie doch bitte hier.« Ceara verdrehte die Augen und wandte sich dem Professor zu.

»Sie haben sich bei ihrer letzten Hausarbeit erneut nicht an die Vorgaben gehalten, sie entspricht nicht der Norm. Ich sagte: Seitenzahlen in die Mitte und eineinhalbzeiliger Abstand.« Die buschigen weißen Augenbrauen von Professor Thomas hoben sich missbilligend. Nicht zum ersten Mal betrachtete Ceara angewidert die langen Haare, die aus seiner Nase wuchsen.

»Ist meine Arbeit ansonsten okay?«, fragte sie leicht gereizt. Der Professor machte ein widerwillig anerkennendes Gesicht. »Inhaltlich brillant, aber die Form …!?«, schnarrte er und schüttelte den Kopf.

»Na dann«, meinte Ceara leichthin und wollte sich wieder abwenden. »O´Reilley«, schnarrte Professor Thomas erneut. »Sie könnten ein wesentlich besseres Resultat erzielen, wenn Sie sich an die vorgegebene Form halten würden.«

»Ich studiere Archäologie und will kein Buchhalter werden«, erwiderte sie gereizt und verließ den Raum. Sarah war mit offenem Mund in der Tür stehen geblieben.

»Du meine Güte, dass du dich das traust!«, sagte sie halb bewundernd und halb entsetzt. Doch Ceara zuckte nur die Achseln und meinte grinsend: »Los jetzt, ich habe Hunger. Mal sehen, welche Pampe sie uns heute wieder vorsetzen.« Die ungleichen Freundinnen bahnten sich ihren Weg durch die überfüllte Mensa. Sarah lud sich einen Teller mit Pommes und ein undefinierbar aussehendes Stück Fleisch auf ihr Tablett, während Ceara sich lieber an Nudeln mit Tomatensoße hielt, doch auch die schmeckten nach ihrer Meinung wie zweimal gegessen. Angewidert schob sie den Teller von sich, während Sarah genussvoll vor sich hin mampfte.

»Oh je«, seufzte Sarah etwas später, »gleich haben wir Professor Parker.« Prof. Dr. Malcom Parker war Experte für keltische Geschichte und Leiter ihres Studienschwerpunktes. Er war dafür bekannt, zwar sehr streng, jedoch äußerst kompetent zu sein. Die meisten Studenten bewunderten den Professor mit einer Mischung aus Respekt und Angst. Doch für Ceara war er ein Professor wie jeder andere, wenngleich sie sein Wissen zu schätzen wusste. Sarah und Ceara machten sich auf den Weg durch die hallenden Gänge der alten Universität, in der sie nun seit eineinhalb Jahren gemeinsam studierten. Sie erreichten den Hörsaal und sahen mit Erstaunen, dass sich nicht nur das dritte, sondern auch ein Großteil der höheren Semester dort versammelt hatte.

»Oh, Miss Piggy und der Kobold, was für ein Paar«, höhnte Eric, ein gutaussehender Amerikaner aus dem sechsten Semester, der als der absolute Mädchenschwarm der Universität galt. Sarah wurde auf der Stelle knallrot, doch Ceara zischte: »Halt die Klappe, du aufgeblasener Arsch«, dabei rammte sie ihm, natürlich rein zufällig, die Spitze ihrer Tasche in den Bauch, als sie sich an ihm vorbei schlängelte, um in den Hörsaal zu gelangen. Sie hörte Eric hinter sich fluchen und grinste zufrieden. Eric hatte, aus ihr unerklärlichen Gründen, versucht, vor einem halben Jahr bei ihr zu landen.

Es war bekannt, dass Eric eigentlich auf langhaarige Blondinen mit üppigem Vorbau stand, doch Ceara hatte ihm ohnehin eine Abfuhr verpasst. Angeblich war es natürlich anders herum gewesen und Eric ließ nun keine Gelegenheit aus, sie zu verhöhnen und nannte sie immer ›Kobold‹, wohl wegen ihrer roten Haare. Die meisten Mädchen waren furchtbar in Eric verliebt. Er galt mit seinen sechsundzwanzig Jahren, einer Größe von 1,86m, der solariumgebräunten Haut, den modisch geschnittenen, dunkelblonden Haaren und dem durchtrainierten Körper, als ›Brad Pitt‹ der Uni. Doch Ceara konnte ihn nicht ausstehen, sie fand Eric eingebildet und oberflächlich.

Gerade hängte sich eine Blondine aus dem vierten Semester an seinen Hals und Eric begann ungeniert mit ihr zu flirten, obwohl er eigentlich mit Frances aus dem sechsten Semester zusammen war. Die mochte Ceara übrigens auch nicht, auf sie wirkte Frances immer wie ein eingebildetes Modepüppchen.

Die Studenten quetschten sich in den überfüllten Raum und Prof. Dr. Malcom Parker erschien. Er war Mitte fünfzig, obwohl er jünger wirkte, hatte dunkelblonde, mit einigen wenigen grauen Strähnen durchsetzte Haare und man konnte ihn durchaus als attraktiv bezeichnen. Sein Erscheinen verursachte sofortige Stille. Er hatte eine Art an sich, die jeden auf der Stelle fesselte. Der Professor galt zwar als fair, duldete aber keinen Widerspruch, was seine Autorität betraf.

»Sie werden sich sicherlich wundern, warum ich das dritte bis siebte Semester eingeladen habe«, begann er mit seiner dunklen, charismatischen Stimme, die, im Gegensatz zu der von Prof. Thomas, die Menge fesseln konnte. »Ich habe Nachricht von einer neuen keltischen Ausgrabungsstätte erhalten.«

Er schaltete den Overhead-Projektor ein und zeigte einige Bilder von geöffneten Gräbern, Tonschalen und keltischen Artefakten.

»Ich biete sechs interessierten Studenten vom dritten bis siebten Semester die einzigartige Gelegenheit, an weiteren Ausgrabungen in Cerrylea mitzuwirken. Das liegt in Connemara, West-Irland.«

Aufgeregtes Getuschel erhob sich. Prof. Parker hob die Hand und augenblicklich trat Stille ein.

»Wir werden drei Wochen unterwegs sein. Da die Zuschüsse begrenzt sind, werden wir in Zelten am Ausgrabungsort schlafen. Sie können dabei zwei Scheine erwerben und die Abschlussarbeit Ihres Semesters über dieses Thema schreiben. Bitte tragen Sie sich bei Interesse bis übermorgen, spätestens zwölf Uhr, in meinem Büro ein. Die nächste Vorlesung findet am Freitag über die Ausgrabungsstätte für alle Semester im großen Hörsaal statt. Dort werde ich mehr zu den Fundstücken erzählen und anschließend meine Auswahl bekannt geben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, für heute ist die Vorlesung beendet.« Professor Parker packte seine Unterlagen zusammen und verließ mit federnden Schritten den Hörsaal.

»Mensch, Ceara − West-Irland, da kommst du doch her«, rief Sarah aufgeregt, wobei sich ihre Wangen röteten. »Wir müssen uns sofort eintragen.« Ceara hatte jedoch ein seltsam verschlossenes Gesicht aufgesetzt.

»Nein!«, sagte sie bestimmt und verließ ohne ein weiteres Wort den Hörsaal, vor dem Studenten in kleinen Gruppen aufgeregt miteinander redeten.

Irland – das erzeugte starke Emotionen in Ceara. Beinahe glaubte sie, allein bei diesem Wort das Rauschen des Atlantiks zu hören und sah vor ihrem geistigen Auge die grünen Hügel und schnaubende Pferde. Doch diese Gedanken wischte sie rasch beiseite.

Ceara O´Reilley war in West-Irland, County Mayo, geboren. Sie hatte dort mit ihren Eltern, die ebenfalls beide Archäologen gewesen waren, in einem kleinen Dorf gelebt. Doch die O´Reilleys waren beim Einsturz einer Pyramide in Ägypten gestorben, die alle Mitglieder der Expedition unter sich begraben hatte. Ceara war zu dieser Zeit gerade erst fünf Jahre alt gewesen. Sie erinnerte sich kaum noch an die beiden.

Damals, als die O´Reilleys in Ägypten gewesen waren, hatten sie ihre Tochter bei Bran, einem Cousin von Cearas Vater, gelassen. Bran, dessen Frau Maureen und die Kinder Brady und Cathleen, gehörten zu einer Gruppe Fahrender, auch ›Gipsys‹ genannt, die mit ihren Planwagen an der Westküste Irlands entlang gezogen waren. Als Bran und Maureen erfuhren, dass die Eltern der kleinen Ceara tödlich verunglückt waren, hatten sie das Mädchen einfach bei sich aufgenommen.

Ceara seufzte und schob den Gedanken an Irland weit von sich. Sie ging in ihr kleines Zimmer im Studentenwohnheim und versuchte vergeblich, sich auf ein Referat zu konzentrieren, das sie fertigstellen musste.

Es klopfte leise an der Tür und Sarah kam mit unsicherem Gesicht herein.

»Ceara, warum willst du denn nicht mitkommen? Das wäre doch super. Wir sollten zumindest versuchen, einen Platz zu bekommen. Das ist eine einmalige Chance.«

Cearas dunkelgrüne Augen nahmen einen stechenden Blick an und sie fuhr sich genervt durch die kurzen, kupferfarbenen Haare, während Sarah auf sie einredete.

»Nein, verdammt«, rief sie ungehalten und Sarah verließ fluchtartig den Raum. So wütend hatte sie ihre Freundin selten gesehen.

Ceara warf ein Buch an die Wand und legte dann den Kopf auf die Arme. Sie wollte nicht mehr an Irland denken – nie wieder!

 

Ratlos ging Sarah in Richtung der Bibliothek, sie musste ein Buch ausleihen. Warum war Ceara so abweisend? Mittlerweile kannte Sarah zwar das etwas unberechenbare Temperament ihrer Freundin, doch so hatte sie Ceara selten erlebt. Eigentlich hätte Ceara sich doch freuen sollen, in ihre alte Heimat zu kommen. Hin und wieder hatte sie etwas von Irland erzählt und das hatte immer sehr sehnsüchtig geklungen. Sarah schüttelte den Kopf, sie verstand das alles nicht. Suchend lief sie zwischen den Buchreihen herum und blickte angestrengt auf die Titel. »Ah, die Freundin des Kobolds. Heute ganz allein?«, ertönte eine Stimme von links. Eric lehnte sich lässig an eines der hohen Regale.

Auf der Stelle wurde Sarah knallrot und hätte beinahe ein Buch fallen lassen. Heimlich war Sarah, ebenso wie ein Großteil der anderen Studentinnen, in den gutaussehenden Eric aus Florida verliebt. Doch Sarah machte sich keine wirklichen Illusionen. Jemand wie sie hatte bei ihm natürlich keine Chance, schließlich scharten sich die hübschesten Mädchen der Universität um ihn.

»Na, habt ihr euch schon eingetragen?«, fragte Eric betont gelangweilt.

»Ähm, nn… nein«, stammelte Sarah und wurde noch röter.

»Warum denn nicht?«

»Ceara will nicht«, brachte Sarah mühsam heraus. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, Eric hatte sich bisher noch nie mit ihr unterhalten.

»Was? Sie ist doch Irin, das verstehe ich nicht.«

Sarah schüttelte den Kopf und Glückshormone durchfluteten sie. Sie konnte kaum fassen, dass Eric wirklich mit ihr sprach.

»Nein, sie wehrt sich total dagegen, ich verstehe das auch nicht.«

»Aha«, meinte Eric nur, schenkte Sarah ein flüchtiges Lächeln, das zwar aufgesetzt wirkte, aber bei Sarah beinahe einen Ohnmachtsanfall auslöste. Dann schlenderte er mit einem Buch in der Hand lässig aus der Bibliothek.

Eric dachte nach. Vor etwa einem halben Jahr hatte er mit seinem Kumpel Dylan auf einer feuchtfröhlichen Party eine Wette abgeschlossen. Eric hatte behauptet, jede Studentin rumzukriegen, doch Dylan meinte, bei der unnahbaren Ceara würde er sich die Zähne ausbeißen. So hatten sie um zweihundert Pfund gewettet. Eric war immer noch wütend, dass Dylan Recht behalten hatte. Ceara hatte ihm eine mehr als deutliche Abfuhr erteilt.

Wenn Ceara nicht nach Irland will, dann sollte man sie vielleicht eintragen, dachte Eric mit hinterhältigem Grinsen. Ceara O´Reilley war ihm ein Dorn im Auge.

 

Die nächsten Tage vergingen rasch. Ceara hatte die Sache mit Irland weit von sich geschoben und zum Glück hatte auch Sarah nicht weiter nachgebohrt.

Am Freitag schlenderten die Freundinnen zum Hörsaal und Sarah war mehr als aufgeregt. Sie hoffte, für die Ausgrabungen in Irland ausgewählt worden zu sein, auch wenn sie sich keine wirklich großen Hoffnungen machte, denn die Liste war mehr als voll gewesen.

Professor Parker erschien und die Studenten, besonders die weiblichen, hingen an seinen Lippen, als er zunächst eine ganz normale Vorlesung abhielt und die Gegenstände vorstellte, die gefunden worden waren. Dann endlich wollte er die Mitglieder der Exkursion bekannt geben.

»Ich habe nach reiflicher Überlegung die Mitglieder für das Ausgrabungsteam festgelegt. Einige habe ich auf Grund ihrer besonderen Eignung, die anderen durch Losverfahren ausgewählt. Um keine Missgunst aufkommen zu lassen, werde ich natürlich nicht sagen, wen ich für besonders geeignet halte.«

Nervöses Lachen ertönte, alle waren gespannt.

»Ich bitte die genannten Personen zu mir nach vorne zu kommen, wir werden anschließend alles Weitere besprechen«, verkündete er.

Endlich verlas er die Namen.

»Miss Frances Miller«

Eine hübsche Studentin des sechsten Semesters erhob sich. Sie war schlank und hatte glatte blonde Haare.

»Miss Mary-Anne Boyle.«

Eine rassige Schwarzhaarige, die zur Hälfte Französin war, stand auf und lief mit gekonntem Hüftschwung zum Podest. Ihr durchaus beeindruckendes Dekolleté betonte sie durch ein tief ausgeschnittenes Shirt.

»Aha, er braucht mal wieder was fürs Bett«, zischte ein Mädchen aus dem fünften Semester rechts von Ceara. Professor Parker war dafür bekannt, eine Schwäche für hübsche Studentinnen mit gewissen Rundungen zu haben.

»Mr. Eric Mason«, fuhr der Professor fort.

Ceara stöhnte. Ihm hatte sie es am wenigsten gegönnt.

»Mr. Vincent Cook.«

Ein schüchterner, schlaksiger junger Mann mit Brille stand auf und fiel beinahe über seine Füße, als er die Treppe hinunter eilte.

»Miss Sarah Bright.«

Sarah schnappte nach Luft, wurde abwechselnd rot und kalkweiß. Ceara lächelte ihr aufmunternd zu und Sarah ging mit zitternden Beinen nach unten.

»… und Miss Ceara O´Reilley.«

Ceara erstarrte und blieb sitzen. Sie hatte sich doch gar nicht eingetragen!

»Miss O´Reilley, sind sie anwesend?«, ertönte die Stimme des Professors und John, eine junger Mann aus Cearas Studienschwerpunkt, zog sie mühsam auf die Beine und schubste sie halb die Treppe hinunter.

»Gut«, meinte der Professor zufrieden, »die Genannten dürfen mir in mein Büro folgen.«

Ceara stand vollkommen perplex neben Sarah, die sie am Ärmel zupfte.

»Du hast dich ja doch eingetragen«, sagte sie erfreut und zerrte Ceara hinter sich her, als sie dem Professor folgten.

»Hab ich nicht«, zischte Ceara. Dann wachte sie aus ihrer Erstarrung auf, zog die Augenbrauen wütend zusammen und blickte Sarah eindringlich unter ihrem Baseballcappy hervor an. »Warst du das etwa? Hast du mich heimlich eingeschrieben?«

Sarah schüttelte den Kopf, sagte aber mit glücklichem Gesicht: »Nein, aber ist doch toll, jetzt können wir sogar zusammen fahren.«

Sofort setzte Ceara zu einer empörten Entgegnung an, doch sie hatten bereits das Büro des Professors erreicht und er bat alle Studenten, Platz zu nehmen. Nun erzählte er Details zu Reise, Unterkunft und der Ausgrabungsstätte.

»Gut, nächsten Montag geht es nach Galway. Bitte bereiten Sie sich entsprechend vor«, endete Professor Parker und entließ die Studenten.

Ceara hatte überhaupt nicht wirklich zugehört. Wer zum Teufel hatte sie eingetragen?

Die Studenten erhoben sich und gingen plappernd hinaus, wobei sich vor allem Eric und Frances, die ohnehin ein Paar waren, und Mary-Anne, eine Freundin von Frances, unterhielten. Vincent machte ein unschlüssiges Gesicht. Sarah strahlte wie ein Honigkuchenpferd, während Ceara missmutig vor sich hin starrte.

Als sie draußen waren, sagte Ceara leise zu Sarah: »Ich muss das in Ordnung bringen, ich kann nicht mitfahren.«

»Spinnst du? Du kannst doch nicht einfach absagen!«

Ceara stieß die Freundin in die Seite, doch es war zu spät. Eric hatte es bereits gehört und kam mit zynischem Grinsen näher.

»Ja, ich denke unser Kobold sollte wirklich absagen. Als Drittsemester bist du doch etwas fehl am Platz, dir fehlt einfach das Wissen. Ceara O´Reilley, ich fasse es nicht!«

Cearas Augen sprühten Funken. »Halt dich da raus! Und zu deiner Information, man spricht es nicht ›Kira‹ aus, sondern ›KE-A-R-A‹. Vielleicht solltest du mal den Kaugummi aus dem Mund nehmen, bevor du ihn aufmachst«, zischte sie und hob dann gespielt überrascht die Augenbrauen. »Oh, du hast ja gar keinen im Mund, dann muss es wohl an deiner schlechten Aussprache liegen.«

Einige umstehende Studenten grinsten. Eric hatte wirklich einen ziemlich breiten amerikanischen Akzent.

Er machte ein genervtes Gesicht und meinte dann mit spöttischem Grinsen: »Gib´s zu, du hast Angst, dich vor Professor Parker zu blamieren.«

»Hab ich nicht«, schäumte Ceara.

»Warum willst du dann nicht mitfahren?«, fragte Eric zynisch und auch Frances, die wie immer perfekt geschminkt war, hob ihre gezupften Augenbrauen fragend.

»Das geht dich nichts an«, antwortete Ceara mühsam beherrscht. Vor Wut zitternd verließ sie die anderen Studenten.

Gerade war eine Entscheidung gefallen. Sie würde mit nach Irland gehen, egal wie weh es tat. Vor diesem ekelhaften Eric konnte sie sich keine Blöße geben!

Sarah war sehr erfreut, als Ceara ihr mitteilte, dass sie nun doch mitfahren würde. Insgeheim hatte Sarah schon Angst gehabt, mit den arroganten Studenten der höheren Semester allein fahren zu müssen. Frances und Mary-Anne fand sie ziemlich von sich selbst eingenommen, nun ja, in Eric war sie hoffnungslos verliebt, und von diesem Vincent aus dem fünften Semester wusste sie auch nicht so recht, was sie halten sollte.

 

Es war ein sonniger Tag im Juli, als sie am Flughafen standen und auf das Flugzeug warteten, welches sie nach Galway bringen sollte.

Frances und Mary-Anne standen tuschelnd beieinander, Eric hatte eine überdimensionale Sonnenbrille aufgesetzt und grinste selbstzufrieden wie immer vor sich hin. Vincent schien sich nicht so ganz wohl zu fühlen und putzte ständig seine Brille, ähnlich wie Sarah, die von einem Bein auf das andere zappelte. Cearas Gesicht war eine Maske, sie hatte sich das Cappy weit ins Gesicht gezogen und redete mit niemandem. Professor Parker erschien und gab ihnen die Tickets. »Wir treffen uns in Galway hinter der Passkontrolle. Dann mieten wir einen Kleinbus und fahren zur Ausgrabungsstelle. Ich wünsche Ihnen einen guten Flug.« Der Professor blickte jeden seiner Studenten einzeln an und Mary-Anne klimperte mit ihren unechten langen Wimpern, wobei sie verführerisch lächelte. Für eine Sekunde erwiderte der Professor diesen Blick und wandte sich dann ab. Der Flug ging für Ceara wie in Trance vorbei. Nur als sie in einige kleinere Turbulenzen gerieten und Eric sich zwei Reihen hinter ihr lautstark in seine Papiertüte übergab, machte sie ein zufriedenes Gesicht. Eine frische Brise wehte, als die Studenten den Flughafen verließen. Im Minibus ging es zunächst über ein Stück Autobahn und anschließend über wenig befahrene, holprige Landstraßen in Richtung Westen. »Das ist ja total schön«, rief Sarah, die in London aufgewachsen war und Irland noch nie gesehen hatte. Ceara antwortete nicht. Sie starrte stumm vor sich hin.

»Oh, das Land der Kobolde«, höhnte Eric und beugte sich zu Ceara vor. »Hier gibt es ja nur Schafe und Gras, wie langweilig.«

»Eric, halten Sie sich etwas zurück«, forderte Prof. Parker, dem auffiel, wie nachdenklich und still Ceara O´Reilley schon die ganze Zeit über war. Nicht, dass sie ansonsten sonderlich viel redete, doch er hielt insgeheim sehr viel von der jungen Irin, auch wenn sie etwas unkonventionell war.

Mit wütendem Gesicht lehnte sich Eric in seinen Sitz zurück.

In der Abenddämmerung erreichten sie die Westküste Irlands. Sie stoppten in einem kleinen Dorf und quartierten sich eine Nacht lang in einer gemütlichen kleinen Bed&Breakfast Pension ein. Am nächsten Tag wollten sie zum Ausgrabungsort fahren.

Ceara starrte auf den Atlantik hinaus, der in hohen Wellen an die felsige Steilküste schlug. Plötzlich brannten Tränen in ihren Augen und sie begann zu zittern.

Vincent betrachtete sie nachdenklich und fragte besorgt: »Alles in Ordnung mit dir?«

Ceara zuckte zusammen und zog sich den Schirm ihres Cappys weiter ins Gesicht. »Ja, alles klar.«

Ihre Stimme klang belegt und Ceara und beeilte sich, Sarah zu folgen, die bereits in ihrem gemeinsamen Zimmer war. Der kleine Raum hatte zwei schmale Betten, einen Tisch und einen Stuhl. Das Badezimmer war auf dem Gang.

Seufzend ließ sich Sarah aufs Bett fallen. »Cool, dass wir endlich hier sind.«

Ceara nickte und begann einige Sachen aus ihrem großen Rucksack zu holen.

Die Studenten und der Professor aßen gemeinsam im großen Frühstückszimmer, welches in die Hügel zeigte, zu Abend. Die Besitzerin, Mrs. O´Sullivan, hatte sich bereit erklärt, ihnen etwas zu kochen. Sie war auf die typisch irische Art herzlich und gastfreundlich.

Als die nette Frau gegangen war, beschwerte sich Eric lautstark über das Essen, die zu kleinen Zimmer und das Bad auf dem Gang.

»Wenn Sie ein Luxushotel brauchen, Eric, dann müssen Sie das selbst bezahlen«, sagte Prof. Parker kalt und starrte ihn mit stechendem Blick an.

Eric verstummte mit hochrotem Kopf.

Alle gingen bald zu Bett und Ceara schlief das erste Mal seit langer Zeit wieder mit dem Rauschen des Windes und dem Donnern des Atlantiks ein, der an die nahe Küste schlug.

Am nächsten Tag fuhren sie nach dem Frühstück los. Weiter ging es über schmale, menschenleere Landstraßen. Hohe Berge waren in der Ferne zu sehen und überall liefen Schafe herum. Nicht weit von der Straße sah man zwei hohe Monolithen, die mit einem weiteren, obenauf liegenden Stein verbunden waren.

»Hey, das sind doch diese Dolden«, rief Eric aus.

»Dolmen!«, stellte Ceara zynisch richtig.

»Oh, der Kobold spricht!«, rief Eric gespielt erfreut aus und erntete ein Kichern von Frances und Mary-Anne. Tatsächlich hatte Ceara kaum ein Wort gesagt, seitdem sie aus England abgereist waren.

»Eric, dann können Sie uns sicherlich aus Ihrem reichhaltigen Fachwissen berichten, wie der lateinische Begriff für Dolmen lautet, die mit einem Hügel bedeckt sind?« Prof. Parker blickte streng über den Rand seiner Brille zu Eric.

»Oh, äh«, stammelte dieser verlegen.

»Ceara, wissen Sie es?«, fragte der Professor mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Tumulus«, antwortete Ceara, blickte aber weiterhin aus dem Fenster.

Eric brummelte vor sich hin, sagte die Fahrt über aber nichts mehr.

Endlich erreichten sie die Ausgrabungsstätte, die in der Nähe eines winzigen Dorfes lag. Dort gingen sie durch die grünen Hügel auf einige Zelte zu, in denen bereits andere Archäologen an der Arbeit waren. Prof. Parker wurde sogleich in ein Gespräch verwickelt.

Die Studenten bauten ihre Zelte auf, wobei Ceara mit einigem Triumph feststellte, dass Eric sich mehr als blöd anstellte. Das Zelt wurde schließlich nur dank Vincent, mit dem er es teilte, nicht vom strammen Westwind davon geblasen. Auch Mary-Anne und Frances hatten einige Probleme, doch denen halfen Ceara und Sarah, auch wenn sie die beiden nicht sonderlich mochten.

»Wunderschön ist es hier«, strahlte Sarah und blickte sich um.

Vincent nickte zustimmend.

»Viel zu kalt«, schimpfte Frances und zog sich ihren bauchfreien Pullover etwas weiter hinunter.

Ceara verdrehte die Augen. Sie hatte einen dicken Schafspulli an und fror überhaupt nicht. Sie sog die frische Luft ein und schloss die Augen. Erinnerungen überfluteten sie.

Drei Jahre lang war sie als kleines Mädchen mit den Gipsys über die schmalen, mit Schlaglöchern durchsetzten Straßen Irlands gezogen, nachdem ihre Eltern gestorben waren. Sie und die anderen Kinder der Fahrenden hatten in eiskalten Bächen gebadet und waren auf den hier teilweise noch wild lebenden Connemaraponies über die endlosen Weiden galoppiert. Sie hatten in Planwagen geschlafen, die von Tinkern, den schweren, meist gescheckten Pferden, gezogen worden waren. Die Gipsys hatten am Lagerfeuer gegrillt und den Geschichten der alten Moira gelauscht, die von der Vergangenheit und den Mythen Irlands erzählt hatte.

Es war ein wildes, ungezwungenes Leben gewesen. Ceara war nur selten zur Schule gegangen, meist hatte Maureen, die Ehefrau von ›Bran the Raven‹, wie der Anführer der Gipsys genannt wurde, sie und die anderen Kinder unterrichtet. So hatte sie bis zum Alter von acht Jahren zwar nur wenig Lesen und Schreiben gelernt, jedoch vieles über die heimischen Pflanzen und Tiere, das Lesen von Fährten und wie man das Wetter vorhersagt. Wenn sie zurückdachte, kam ihr diese Zeit wie das Paradies vor. Dass es ein Paradies mit kleinen Fehlern war, hatte sie erst sehr viel später erkannt.

Als Ceara acht Jahre alt war, wurden die Gipsys vom Jugendamt aufgespürt, und Ceara zu Sandra, der Halbschwester von Cearas Mutter, gebracht. Sandra lebte mit ihrem Mann Franz und den Kindern Lisa-Marie und Wolfgang in einer Reihenhaussiedlung mitten in Berlin. Sie hatten erst etwas später vom Tode von Cearas Eltern erfahren und das Sorgerecht für ihre Nichte beantragt. Bis die Behörden die Gipsys ausfindig gemacht hatten, waren beinahe drei Jahre vergangen. Für die kleine Ceara, die damals hüftlange, leicht gewellte Haare mit diesem ungewöhnlichen dunklen Kupferton gehabt und kein Wort Deutsch gesprochen hatte, war das ein Schock gewesen. Sie hatte sich in der riesigen, lauten Stadt eingesperrt gefühlt und wollte nicht zur Schule gehen. Immer wieder lief sie weg, meist zu einer der wenigen Grünflächen oder Parks, die es in Berlin gab. Doch schließlich hatte sie sich fügen müssen, da sie sonst in einem Heim gelandet wäre.

In der Schule hatten die Kinder sie gehänselt. Ceara hatte zwar sehr schnell Deutsch gelernt, doch da sie ganz andere Vorstellungen als die anderen Kinder hatte, war sie ein Außenseiter geblieben. Die Kinder hatten sie immer als ›irische Hexe‹ beschimpft und so hatte Ceara sich eines Tages mit Tränen in den Augen die langen Haare abgeschnitten. Sie wollte ihre kupferroten Haare nicht mehr zeigen und ein Junge sein, denn die waren ja schließlich keine Hexen. Auch als sie älter wurde, hatte sie die kurzen Haare beibehalten, die sie meist unter dem Cappy versteckte. Ihre Tante und ihr Onkel waren nie mit dem wilden, freiheitsliebenden Mädchen aus Irland zurechtgekommen, das sich einfach nicht an Normen und Regeln halten wollte, die für ihre eigenen Kinder so selbstverständlich waren.

Im Alter von zehn Jahren hatten sie Ceara in ein Internat geschickt, wo sie zum Erstaunen aller gute Noten zustande brachte und die fehlenden Schuljahre mühelos aufholte. Doch glücklich war sie nie gewesen. Sie hatte sich immer nach Irland zurückgesehnt und viele einsame, bittere Tränen in ihre Bettdecke geweint, während von draußen der Straßenlärm hereindrang.

Als sie etwa sechzehn Jahre alt war, hatte sie sich schließlich gegen ihre Tante und den Onkel durchgesetzt und einen Teil von dem Geld gefordert, das ihr ihre Eltern hinterlassen hatten. Damit hatte sie die Flüge nach Irland finanziert und fortan die Sommerferien bei Bran und seiner Gruppe verbracht. Alan und Seamus, die Söhne von Brans Bruder, Connor Macnamara, hatten damals angefangen, in der Sommerzeit Vorführungen für Touristen einzuüben, um etwas Geld zu verdienen. Sie führten die Kunst des Feuerschluckens vor und machten Schaukämpfe mit dem Schwert. Ceara hatte sich begeistert angeschlossen und konnte nach kurzer Zeit gut mit dem Schwert umgehen. Die anderen Mitglieder der Gipsys verkauften Kunsthandwerk und gestrickte Wollsachen in den kleinen Dörfern und Städten an der irischen Küste.

Doch nun, da sie älter war, bemerkte Ceara, dass das Leben der Gipsys nicht so einfach und romantisch war, wie sie es als kleines Mädchen empfunden hatte. In vielen Orten waren sie nicht gern gesehen. Die Bevölkerung beschimpfte sie immer wieder als Diebe und Zigeuner. Ceara war darüber sehr empört gewesen, doch Bran hatte sie etwas beschwichtigt und gemeint, man müsse die Leute verstehen, es gäbe viele schwarze Schafe unter den Fahrenden, die teilweise wirklich stahlen oder einen furchtbaren Dreck auf ihren Lagerplätzen hinterließen. Bran the Raven achtete jedoch genauestens auf seine Leute und duldete so etwas nicht. Ceara hatte die Ferien bei den Gipsys immer sehr genossen und war kaum dazu zu bewegen gewesen, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Bran bestand jedoch darauf, dass sie die Schule beendete. Er war für sie so etwas wie ein Ersatzvater geworden.

»Ceara, du bist intelligent, mach etwas aus deinem Leben. Vielleicht möchtest du eines Tages in die Fußstapfen deiner Eltern treten«, hatte Bran, der große Mann mit den rabenschwarzen Haaren und den kräftigen Händen gemeint. So hatte Ceara schließlich zugestimmt.

In den folgenden Jahren, in denen sie die Ferien bei den Fahrenden verbrachte, war die Gruppe kontinuierlich kleiner geworden. Die Alten starben, die Jungen wurden mehr und mehr sesshaft. Bran the Raven bemühte sich tatkräftig, seine Leute zusammenzuhalten. Doch auch er konnte nicht verhindern, dass seine Tochter Cathleen, gemeinsam mit einem anderen Fahrenden und der Enkeltochter, in die Nähe von Dublin zog und nun dort in einer kleinen Wohnung lebte. Bran hatte furchtbar getobt, denn von den ehemals etwa fünfundzwanzig Mitgliedern der Gipsys waren jetzt nur noch zwölf übrig.

Den derbsten Schlag versetzte Bran allerdings der Tod seiner Frau vor über zwei Jahren. Maureen war an einer Lungenentzündung gestorben. Bran gab sich die Schuld dafür, da er sich standhaft geweigert hatte, sesshaft zu werden. Von da an kümmerte sich Bran nicht mehr um seine Leute und die Gipsys lösten sich nach und nach auf.

Nun lebte Bran, der ehemals starke und unbeugsame Fahrende, in einer Sozialwohnung in Galway, in einem ähnlich ärmlichen Haus wie sein Bruder Connor und dessen Söhne, Alan und Seamus. Das letzte Mal war Ceara vor etwa zwei Jahren dort gewesen. Es hatte ihr das Herz gebrochen, Bran eingesperrt in den dunklen, engen Räumen des hohen Betonklotzes leben zu sehen. Er war nicht mehr er selbst gewesen und suchte zunehmend das Vergessen im Alkohol. Ceara hatte versucht, ihn aufzurütteln und ihn dazu zu überreden, zurück auf die Straße zu gehen, um sein Leben als Fahrender fortzusetzen. Doch Bran hatte nicht mit sich reden lassen und als sie zu hartnäckig geworden war, hatte er sie sogar geschlagen, was sie ihm nie verziehen hatte. Seitdem war Ceara nicht mehr in Irland gewesen. Das Irland, das sie so sehr geliebt hatte, existierte nicht mehr.

Ceara hatte gar nicht gemerkt, wie lange sie so nachdenklich im Wind gestanden, und blicklos in Richtung Meer gestarrt hatte.

»Ceara, wollen Sie sich nicht die Ausgrabungsstätte ansehen?«, fragte Prof. Parker mit besorgtem Blick, das Mädchen war in letzter Zeit immer so abwesend.

Sie blickte ihn verwirrt an. Erst ganz langsam kehrten Cearas Gedanken aus der anderen Zeit zurück. Dann nickte sie jedoch und folgte dem Professor über die grünen Hügel zu einer großen Ausgrabungsstätte. Diese lag in einer Senke vor einer Ansammlung weiterer Hügel, welche von Felsen durchsetzt waren. Dort arbeiteten bereits einige Archäologen. Man hatte wohl das Grab eines Clanführers gefunden. Tonscherben, Armreife und Ringe waren sauber auf einem Tisch aufgereiht.

Ceara betrachtete das alles fasziniert. Wie mochten diese Menschen vor so vielen Jahrhunderten oder Jahrtausenden gelebt haben?

 

Die nächsten Tage vergingen mit mühsamen und teilweise zeitraubenden Ausgrabungen. Schicht für Schicht arbeiteten sie sich durch den steinigen, torfigen Boden und legten immer mehr Schätze frei, die genauestens katalogisiert werden mussten. Ceara kam jetzt nicht mehr viel zum Nachdenken, was ihr ganz recht war. Eric versuchte immer wieder, sie aufzuziehen, während Mary-Anne ununterbrochen um den Professor herumschwänzelte, der von ihrer Anwesenheit nicht ganz abgeneigt zu sein schien.

Ceara und Sarah arbeiteten gerade an einer Gesteinsschicht, unter der ein bronzener Armreif herausragte, den sie vorsichtig freilegen wollten. Es war ein schöner, sonniger Tag und eine angenehme Brise wehte vom Meer her.

»Ach, Eric sieht so gut aus«, seufzte Sarah und blickte zu ihm und Frances hinüber, die gerade an einem Klapptisch saßen und etwas aufschrieben.

»Was willst du denn immer von dem eingebildeten Idioten?« Ceara blies etwas Staub von dem Armreif, den sie endlich herausgelöst hatte.

»Ach was, so eingebildet ist er gar nicht. Neulich in der Uni hat er sich richtig lange mit mir unterhalten«, meinte Sarah, dann seufzte sie. »Aber ich habe bei ihm sowieso keine Chance.«

»Sei doch froh«, knurrte Ceara.

Vincent kam mit zwei Flaschen Mineralwasser zu ihnen herüber.

»Na, habt ihr Durst?« Er lächelte schüchtern zu Sarah hinüber, die ihn aber gar nicht wirklich bemerkte und immer noch zu Eric und Frances blickte.

»Ja klar, danke«, meinte Ceara und nahm einen tiefen Schluck.

»Es ist gleich Mittagspause, kommt ihr dann?«, fragte Vincent, bevor er wieder ging.

Ceara nickte und zupfte Sarah am Ärmel, die sich seufzend erhob. Die beiden gingen zu dem Caravan hinüber, in dem gekocht wurde. Anschließend setzten sie sich auf Felsblöcke und aßen ihren Eintopf. Lachend und scherzend unterhielten sie sich, bis Ceara plötzlich erstarrte. In der Ferne sah man einen Planwagen fahren, vor den ein großer gescheckter Tinker gespannt war. Sie hielt ihr angebissenes Brot in der Hand und starrte gebannt hinüber.

»Zigeuner«, rief Eric abfällig.

Ceara warf im einen derart kalten und vernichtenden Blick zu, dass selbst er verwundert war.

»Oh, die Gipsys sind ein Teil der irischen Kultur«, erwiderte Prof. Parker mit hochgezogenen Augenbrauen und Mary-Anne nickte zustimmend, wobei sie etwas übertrieben mit den Augen klimperte.

»Diebe und Schmarotzer, sonst nichts«, meinte Eric trotz allem.

»Du bist noch viel bescheuerter, als ich dachte!« Ohne Vorwarnung schüttete Ceara ihm ihr Glas mit Wasser ins Gesicht und sprang auf.

Die anderen blickten ihr verwundert hinterher.

Ceara hatte niemanden von ihrer Zeit bei den Gipsys erzählt. Sie schämte sich nicht dafür, doch viel Verständnis hatte sie in der Vergangenheit auch nicht geerntet.

Zornig ging Ceara zurück zur Ausgrabungsstelle und stach wütend in die feuchte Erde. Etwas später kam Vincent und setzte sich an den Rand der kleinen Grube. Er betrachtete Ceara nachdenklich und ließ seine langen Beine herunterbaumeln. Sie versuchte gerade mit verbissener Miene einen Stein zu lösen und fluchte leise vor sich hin.

»Sag mal, was ist eigentlich los mit dir?«, fragte Vincent plötzlich.

»Nichts, wieso?«, keuchte Ceara gereizt.

»Eric ist ein Großmaul, das weiß ich schon, aber musst du gleich so ausrasten?«

Ceara warf Vincent einen vernichtenden Blick zu und stützte sich dann auf ihren Spaten.

»Ich bin bei diesen SCHMAROTZERN und DIEBEN aufgewachsen. Verdammt, ich bin ebenfalls eine Gipsy«, brach es aus ihr heraus.

Nun machte Vincent ein sehr überraschtes Gesicht, erwiderte aber nichts und Ceara bereute es plötzlich, etwas gesagt zu haben.

»Aber behalte es bitte für dich«, bat sie und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Ich habe kein Problem damit. Wie war es denn so, auf der Straße zu leben?«

Cearas Miene verschloss sich erneut, als sie sagte: »Es war Freiheit, aber das ist vorbei.« Sie machte sich weiter an die Ausgrabungen und drehte Vincent den Rücken zu.

Der ging schweigend und nachdenklich zu den anderen zurück.

 

Die Ausgrabungen zogen sich eineinhalb Wochen hin. Unterhalb der kleinen Hügelkette wurde ein weiteres Grab gefunden.

Es hatten sich zwei Dreiergruppen gebildet. Eric, Frances und Mary-Anne waren meist beieinander, während sich zwischen Ceara, Sarah und Vincent eine lockere Freundschaft entwickelt hatte.

Eines Nachmittags kam Eric mit breitem, spöttischem Grinsen zu Ceara, die mit einem Handtuch und frischen Kleidern beladen auf dem Weg zu den Duschcontainern war. Sie hatte den ganzen Tag in der Erde gebuddelt und war ziemlich schmutzverkrustet.

»Ah, da ist ja unsere Zigeunerin. Dir muss es ja hier in dem Schmutz und den Zelten so richtig gut gefallen!« Eric betrachtete sie von oben bis unten.

Ceara erstarrte und zog ihre Augenbrauen zusammen. Ihr Kiefer verspannte sich. »Wer hat dir das erzählt?«, fragte sie gefährlich leise.

Eric lehnte sich lässig an einen großen Felsblock. »Man hört so dies und das, und eigentlich hätte ich es mir ja beinahe denken können, dass du ein Abkömmling dieser irischen Zigeunerbrut bist.«

In Ceara loderte der blanke Hass. Eine Ader über ihrer rechten Schläfe pochte und sie ballte die Fäuste.

»Ach ja, hoher Herr aus Amerika, ich weiß nicht, ob dein geistiger Horizont so weit entwickelt ist, aber vielleicht solltest du ja mal daran denken, dass euer ach so glorreiches Volk zu einem mehr als großen Teil aus ausgewanderten Iren besteht! Vielleicht versteckt sich ja unter deiner solariumgebräunten Haut etwas ›Zigeunerblut‹. Aber nein, ich glaube nicht, dass du das weißt, die kalifornische Sonne hat dir wahrscheinlich sowieso schon das letzte bisschen Hirn weggebrannt«, sagte sie mit eiskalter Stimme.

Eric blickte sie kurz verdutzt an und zuckte dann die Achseln. »Ich bin zumindest nicht unter Wilden aufgewachsen.«

Ceara warf ihm noch einen verächtlichen Blick zu und stapfte dann ohne ein weiteres Wort zu den Duschblocks. Innerlich kochte sie und wollte Vincent später zur Rede stellen.

Mit immer noch wutverzerrter Miene kam sie eine halbe Stunde später frisch geduscht zurück und sah Vincent und Sarah nebeneinander stehen, die miteinander lachten. Sie nahm Vincent am Ärmel seines karierten Hemdes und zog ihn wutentbrannt mit sich hinter den Kleinbus.

»Hatte ich nicht gesagt, du sollst die Sache mit den Gipsys für dich behalten?« Ihre grünen Augen funkelten vor Wut.

Vincent machte ein verlegenes Gesicht, wurde rot und stammelte dann: »Ich wollte mich doch nur ein wenig mit Sarah unterhalten. Ich dachte, ihr seid Freundinnen und sie weiß es.«

»Sarah? Na toll, dann weiß sie es auch schon«, schimpfte Ceara und sah aus, als ob sie gleich explodieren würde. »Es ist ja schon eine Schweinerei, dass du es ihr erzählt hast, aber warum zum Teufel auch noch diesem Idioten von Eric?!«

Vincent wand sich und rang nach Worten. »Ich habe es ihm nicht erzählt, aber ich befürchte, er hat mitgehört.«

»Na toll, ich mag Menschen, die etwas für sich behalten können!«

»Wirklich, es tut mir leid, ich wollte das nicht«, stammelte Vincent, dem die ganze Sache furchtbar peinlich war, denn er mochte Ceara eigentlich recht gern.

Sie machte eine wegwerfende Handbewegung und ging wieder in Richtung der Zelte. Im Moment war sie viel zu wütend, um auch nur in Erwägung zu ziehen, Vincent zu verzeihen. Vor den Zelten standen Frances und Mary-Anne, die auffällig zu ihr herüber blickten und miteinander tuschelten.

Blöde Weiber, dachte sie zähneknirschend. Dann seufzte sie und machte sich mit mürrischem Gesicht daran, die neuesten Fundstücke zu katalogisieren.

Etwas später kam Prof. Parker zu ihr und betrachtete anerkennend ihre Arbeit.

Er räusperte sich. »Also, Ceara, falls Eric Sie zu sehr belästigt, dann sagen Sie es bitte. Ich kann ihn auch zurückschicken.«

Ceara blickte überrascht auf und sah dem Professor in die charismatischen blau-grauen Augen, jedoch ohne das schwärmerische, ehrfürchtige Verlangen, das er sonst in den Gesichtern seiner Studentinnen las.

»Nein, das müssen Sie nicht«, versicherte Ceara. »Dieses aufgeblasene Muskelpaket ist es nicht wert, überhaupt beachtet zu werden.« Ihre dunkelgrünen Augen funkelten unter dem Schirm ihres Cappys hervor.

Der Professor unterdrückte ein Schmunzeln. Diese Ceara O´Reilley entsprach zwar nicht unbedingt seinem Geschmack in Bezug auf Frauen, denn sie hatte eine eher knabenhafte Figur und sehr kurze Haare. Doch jetzt, da er sie genauer betrachtete, fiel ihm ihr hübsches Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den leicht schräggestellten dunkelgrünen Augen auf. In ihr brannten Leidenschaft und Feuer, sie kam ihm vor wie eine kleine Wildkatze. Außerdem hielt er sie für intelligent und schätzte sie als eine seiner besten Studentinnen.

»Nun gut, wie Sie meinen«, sagte der Professor. »Und Sie sind wirklich eine Fahrende?«

»Ja«, antwortete Ceara stolz und herausfordernd zugleich.

»Ein interessanter Kulturkreis«, erwiderte der Professor gelassen. »Sie sollten mal ein Referat über die Wurzeln der Fahrenden halten.«

Ceara blickte ihn überrascht an und entspannte sich etwas. Anschließend unterhielt sie sich noch einige Zeit mit dem Professor, der scheinbar wirklich an den Gipsys interessiert war. Sie berichtete ein wenig von ihrer Kindheit bei Bran und den anderen. Dies wurde von Mary-Anne überhaupt nicht gern gesehen, die in Ceara nun eine Konkurrentin um die Gunst des Professors sah. Doch Ceara hegte kein Interesse in dieser Richtung und lehnte eine Einladung von Professor Parker höflich, aber bestimmt ab, sie einmal zum Essen einzuladen, wenn sie wieder in England wären.

Doch Mary-Anne, Frances, und natürlich Eric, verhielten sich die nächsten Tage noch abweisender und verletzender ihr gegenüber. Auf Vincent war sie ohnehin wütend und Sarah, die offensichtlich eine Schwäche für den schlaksigen Engländer entwickelt hatte, ging Ceara ebenfalls auf die Nerven, da sie meinte, sie solle Vincent endlich verzeihen. Ihrer Meinung nach war das Ganze ja nicht so schlimm gewesen. Doch Ceara fand Vincents Verhalten unmöglich und blieb folglich meist für sich.

 

Es war ein regnerischer, diesiger Tag. Prof. Parker und Mary-Anne waren gerade wer weiß wo verschwunden. Frances hatte angeblich Migräne, wie auffällig oft bei schlechtem Wetter. Sarah und Vincent waren mit dem Kleinbus zum Einkaufen gefahren, während Eric und Ceara weiter in der Grube unterhalb der Hügelkette beschäftigt waren. Dort vermuteten sie neue Fundstücke.

Eric versuchte ständig, Ceara zu provozieren. Einmal grub sie angeblich zu langsam, dann zu schnell und würde wohl ohnehin alles zerstören. Schließlich platzte ihr der Kragen und sie warf ihm eine Schaufel voll Dreck absichtlich ins Gesicht.

»Verfluchte Zigeunerin«, schimpfte er und wischte sich die feuchte Erde aus den Augen.

Ceara grinste nur frech, während Eric ununterbrochen vor sich hin schimpfte. Sie beachtete ihn nicht und grub einfach in horizontaler Richtung weiter. Mühsam schob sie das Erdreich beiseite und legte Stein um Stein frei. Plötzlich hielt sie inne. Es dauerte einige Sekunden, bis sie registrierte, was sie da sah. Direkt zu ihren Füßen befand sich ein etwa zwanzig Zentimeter hohes Loch. Von kribbelnder Spannung ergriffen bemerkte sie, dass es scheinbar weiter in den Hügel hineinführte.

»Oh, sehr schön, du fällst vor mir auf die Knie«, höhnte Eric.

»Jetzt halt doch mal die Klappe!« Ceara grub mit den Händen weiter, um die Öffnung zu vergrößern.

Eric runzelte die Stirn und war plötzlich interessiert, als das Loch so groß wurde, dass Ceara ihren Kopf hineinstecken konnte.

Mit einer Stimme, die ziemlich dumpf klang rief sie: »Da ist ein Gang, der irgendwo hinführt.«

»Aha«, meinte Eric, »lass mich mal sehen.«

Ceara kam mit schmutzigem Gesicht aus dem Loch heraus und Eric blickte nun seinerseits hinein.

»Wahrscheinlich nur ein Fuchsbau«, sagte Eric verächtlich.

Ceara schnaubte und verbreiterte das Loch immer mehr, dann krabbelte sie ohne ein weiteres Wort hinein.

»Hey, spinnst du? Du kannst doch nicht einfach reingehen«, rief Eric entsetzt und wollte sie am Fuß festhalten, doch Ceara trat nach hinten und traf ihn an der Hand.

»Verfluchtes Miststück, das ist doch gefährlich.« Bevor er noch etwas unternehmen konnte, war Ceara bereits verschwunden.

Eric blickte sich nervös um. Er wusste, dass es ihnen streng verboten war, auf eigene Faust in derartige Gänge oder Höhlen zu gehen. Sie mussten erst die älteren Archäologen holen, die den Gang auf Sicherheit überprüfen würden.

Doch kurz darauf kam Ceara zwar schmutzig und mit Spinnweben behängt, aber unverletzt wieder heraus.

»Der Gang führt weiter, er ist ein wenig eingestürzt und es ist ziemlich dunkel«, rief sie aufgeregt und vergaß vollkommen, den verächtlichen Tonfall anzuschlagen, den sie sonst immer benutzte, wenn sie mit Eric redete. »Weiter hinten ist Licht und ich habe, glaube ich, Zeichen an den Wänden entdeckt.«

Eric hob die Augenbrauen und sah dann, wie Prof. Parker und Mary-Anne mit geröteten Gesichtern aus dem Zelt des Professors kamen und sich verstohlen umblickten.

»Na dann«, meinte Eric grinsend, »ist doch ein guter Zeitpunkt, um dem Professor von deinem Fund zu berichten. Er wird glänzender Laune sein.«

Ceara schnaubte und warf Eric jetzt wieder ihren typisch abwertenden Blick zu, dann eilte sie, vor Schmutz starrend, in Richtung des Professors.

Der begleitete sie sofort, sah sich das Loch an und fragte streng: »Waren Sie etwa in dem Gang?«

Ceara schlug die Augen nieder, sagte aber nichts, doch Eric ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen und nickte mit gespielt gramvollem Gesicht.

»Ich wollte sie abhalten, aber sie hat nicht auf mich gehört.«

Der Professor hielt Ceara eine Standpauke über die Gefahren einer solch unüberlegten und überstürzten Aktion und schickte sie fort. Er begann aber sofort, mit einigen Archäologen den Gang genauer zu untersuchen.

»Vielen Dank«, zischte Ceara Eric zu, bevor sie verschwand.

 

Am nächsten Tag war der verschüttete Gang freigelegt und für betretbar befunden worden. Es war der Eingang zu einer Art Höhlenlabyrinth.

Die Studenten waren gerade beim Mittagessen, als Prof. Parker aufgeregt angelaufen kam. »Schnell, wir haben etwas Sensationelles entdeckt!«

Alle folgten dem Professor zum Eingang der Höhle und er meinte mit einem freundlichen Lächeln: »Los, Ceara, Sie haben den Eingang gefunden, Sie dürfen als Erste hinein. Aber nur eine weitere Person, es ist nicht mehr Platz als für drei Leute.« Damit verschwand der Professor, gefolgt von Ceara und Eric, der sich vordrängelte.

Sie liefen durch einige schmale Gänge, die mit seltsamen Schriftzeichen und mysteriösen Zeichnungen versehen waren. Dann führte der Weg ein Stück bergab. Die Gänge endeten in einer kleinen Höhle. Durch ein Loch in der Decke fiel etwas Licht.

Ceara verschlug es den Atem. In der Mitte der Höhle stand ein beinahe drei Meter hoher Dolmen, doch es war nicht wirklich ein Dolmen, sondern wirkte eher wie ein Tor. Runen und keltische Muster waren in die beiden Seitenteile und den quer liegenden Verbindungsstein eingemeißelt. Es herrschte ein merkwürdiges, gedämpftes Licht und eine prickelnde Stimmung, die man nicht wirklich in Worte fassen konnte. Selbst Eric sagte momentan nichts und starrte nur fasziniert auf das Tor.

Ceara trat näher und berührte ehrfürchtig die riesigen Steine. Plötzlich verspürte sie eine Art Dröhnen, das in ihrem Kopf begann und ihr durch den ganzen Körper zu fahren schien. Sie schwankte und keuchte und hielt sich an dem großen Stein fest.

Prof. Parker packte sie besorgt am Arm. »Ist Ihnen nicht gut?«

Sie blickte ihn verwirrt an und ließ den Stein los. Alles drehte sich um sie, dann nickte sie und der Professor führte sie, gefolgt von Eric, nach draußen an die frische Luft.

»So, Ceara, setzen Sie sich«, meinte der Professor und betrachtete das blasse Gesicht seiner Studentin mit Besorgnis.

Ceara atmete tief durch und ganz langsam wurden ihre Gedanken wieder klarer.

»Na, unser Kobold wird doch wohl nicht schwanger sein«, witzelte Eric, arrogant wie immer, und blickte sie dann mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Aber das kann ja nicht sein, sie lässt ja keinen an sich ran.«

Cearas Augen funkelten und sie gab ihm kurzerhand eine schallende Ohrfeige, bevor sie zu den Zelten lief.

»Die spinnt wohl!« Eric rieb sich die Wange und setzte dazu an, ihr hinterher zu laufen, doch Prof. Parker hielt ihn zurück.

»Nein, die Ohrfeige hatten Sie schon lange verdient«, meinte der Professor trocken und Vincent und Sarah grinsten zustimmend.

 

Eine ganze Weile saß Ceara in der aus dunklen Wolken hervorbrechenden Sonne auf einem Felsen und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Dieses Tor hatte etwas ganz tief in ihr berührt, etwas in ihr wachgerufen, das nicht wirklich greifbar war und das sie nicht verstand. Sie schüttelte verwirrt den Kopf und wusste überhaupt nicht, was sie von dem Ganzen halten sollte.

Kurz darauf kam Sarah zu ihr und fragte: »Alles in Ordnung mit dir?«

Ceara nickte unsicher.

»Was war denn da unten eigentlich los?«

»Ich weiß nicht, das war ganz merkwürdig«, sagte Ceara, immer noch verwirrt. Sie erzählte Sarah von dem Tor und meinte am Schluss: »Es war, als ob etwas mich von ganz weit entfernt gerufen hätte.« Sie konnte es selbst kaum fassen, aber so in etwa hatte es sich angefühlt.

Sarah schaute sie ziemlich merkwürdig an. »Na ja, du hast heute wohl noch nicht allzu viel gegessen. Kein Wunder, dass dir schwindlig geworden ist.«

Ceara seufzte. Es wunderte sie nicht, dass Sarah ihr nicht glaubte, sie glaubte es ja selbst nicht.

 

Die nächsten Tage wurden mit genauen Untersuchungen des Tores verbracht. Ceara ging noch zweimal in die Höhle, wagte aber nicht, die Steine zu berühren. Doch auch so lösten sie ein merkwürdiges Gefühl in ihr aus und sie verspürte einen Drang, näher an das Tor zu gehen, dem sie kaum widerstehen konnte. Dann bekam der Professor ein überraschendes Ergebnis aus Cambridge.

»Diese Gesteinsart gibt es angeblich nirgends auf der Erde. Das ist wirklich verrückt«, sagte er ungläubig und starrte verwirrt auf den Analysebericht. »Die Fundstücke rund um den Eingang sind allesamt eindeutig keltisch, aber dieses Tor …«

»Aber was haben die Kelten denn damit getan?«, fragte Frances selbstbewusst.

»Ja, diese Runen wirken keltisch, auch wenn ich sie nicht lesen kann, oder diese Art noch nie gesehen habe. Bisher konnte auch niemand sonst etwas damit anfangen. Schade, dass wir übermorgen abreisen.«

»Können wir nicht noch etwas bleiben, Mal…«, begann Mary-Anne und wurde rot, sie beeilte sich »… Prof. Parker« zu sagen.

Der warf ihr einen vernichtenden Blick zu, obwohl ohnehin jeder wusste, dass sie ein Verhältnis hatten und mittlerweile sogar die Nächte gemeinsam in seinem Zelt verbrachten.

»Nein, tut mir leid, wir müssen zurück. Aber ich werde so bald wie möglich wieder hierher fahren«, sagte er bestimmt.

Die Studenten machten enttäuschte Gesichter und verteilten sich wieder über die Ausgrabungsstätte. Am Abend grillten sie am Lagerfeuer. Es war eine milde Juninacht und in der Ferne rauschte das Meer. Heute war der Tag der Sommersonnenwende und damit der längste Tag des Jahres. Sie blieben lange am Feuer sitzen und ausnahmsweise gab es an diesem Abend mal keine Streitereien. Es herrschte eine friedliche, entspannte Stimmung. Alle redeten natürlich über das geheimnisvolle Tor.

»Das ist doch komisch, oder?«, meinte Frances. »Es sieht aus wie eines der Gräber, aber wir haben weder Skelette, noch irgendwelche der üblichen Grabbeigaben gefunden.«

»Ja, das ist allerdings sehr ominös«, erwiderte Prof. Parker nachdenklich. »Wir wissen ja nicht einmal, ob dieses merkwürdige Tor wirklich mit den Kelten zu tun hatte, oder für was es genutzt worden sein könnte. Leider haben die Kelten selbst ja nichts aufgezeichnet. Es gibt nur die Berichte von römischen Feldherren oder von den Griechen.«

»Na ja, wenn das Tor schon neben dem Grab eines Clanführers stand, dann wird es schon etwas Wichtiges gewesen sein«, meinte Vincent und die anderen stimmten ihm zu.

Nach Mitternacht verschwanden alle in ihren Zelten, doch Ceara konnte lange nicht einschlafen. Morgen würden sie abfahren und hatten das Rätsel um das Tor nicht einmal ansatzweise gelöst. Plötzlich wusste sie, dass sie es noch einmal sehen musste, bevor sie zurück nach England fuhr. Sarah, im Schlafsack neben ihr, schnarchte leise vor sich hin.

Ceara zog ihren dicken Schafspulli über den Kopf und öffnete so leise wie möglich den Reißverschluss des Zeltes. Ein kalter Wind schlug ihr entgegen und sie nahm sich noch ein langes Halstuch, das sie sich umwickelte, als sie draußen in der sternenklaren Nacht stand. Dann lief sie in Richtung der Hügel. In der Ferne konnte sie das Donnern des Atlantiks hören. Die Luft war jetzt wesentlich kälter als vorhin am Lagerfeuer. Ceara schauderte zwar, doch die beinahe zum Greifen nahe wirkenden Sterne des Sommerhimmels entschädigten sie für die Kälte.

Eric hatte eigentlich seiner Freundin Frances einen nächtlichen Besuch abstatten wollen, doch dann sah er, wie eine schmale Gestalt in Richtung der Hügel lief. Das konnte von der Statur her eigentlich nur Ceara sein. Eric folgte ihr heimlich. Er wollte wissen, was sie mitten in der Nacht vorhatte. Er sah sie in der Höhle verschwinden.

Wer weiß, vielleicht hat sie ja doch was mit dem Professor, dachte er grinsend und folgte ihr nach unten in die Dunkelheit des Labyrinths. Doch als er aus dem letzten Gang heraustrat, stand sie alleine vor dem merkwürdigen Tor. Wie es aussah, schien der Mond durch das Loch in der Höhle, denn die Runen, die in die uralten Steine gemeißelt waren, strahlten in einem fahlen, silbernen Licht.

Ceara stand mit entrücktem Blick vor dem Tor und nahm Eric offensichtlich gar nicht wahr. »Die Runen, wenn ich sie nur lesen könnte«, murmelte sie und blickte nachdenklich auf ein merkwürdiges eingemeißeltes Bild, das sie zuvor noch gar nicht gesehen hatte. »Die Weltenesche als das Symbol der Wiedergeburt und der Fels darunter galt doch damals als das Tor zu einer anderen Welt«, sagte sie zu sich selbst, »und die ineinander verschlungenen Drachen standen für Krieger oder kriegerische Handlungen. So etwas habe ich noch nie zusammen gesehen.«

Eric kam leise näher, fasste sie an der Schulter und machte: »BUUH!«

Ceara fuhr herum und schlug ihm reflexartig den Ellbogen in den Magen.

»Verflucht«, keuchte Eric und klappte halb zusammen.

»Oh«, meinte sie, nicht sehr bedauernd. »Was machst du denn hier?«

»Das Gleiche könnte ich dich fragen«, keuchte er und richtete sich mühsam wieder auf.

»Ich musste das Tor noch mal sehen.« Ceara fuhr mit der Hand vorsichtig über die seltsam glatte Oberfläche.

Eric setzte zu einer zynischen Bemerkung an, doch da erbebte plötzlich der Boden und gleißendes Licht war zu sehen, welches beide erfasste. Eric hielt sich an Ceara fest. Was dann passierte, daran konnte sich später niemand mehr erinnern.

 

Kapitel 2

Sie mussten beide das Bewusstsein verloren haben, denn als sie die Augen öffneten, schien Tageslicht in die Höhle. Doch irgendet¬was war anders. Eric erhob sich stöhnend und klopfte sich den Staub von seinen Jeans und dem Sweatshirt.

»Was war das denn?«, fragte er und grinste, als Ceara ebenfalls aufstand. »Du siehst verdammt dreckig aus, Kobold.«

»Schau dich mal selbst an«, knurrte sie und runzelte die Stirn, sie hatte die Höhle irgendwie anders in Erinnerung. Sie war eindeutig größer und Tageslicht drang nun durch einen Spalt in der Seite herein und nicht mehr durch die Decke. Doch das Tor schien das Gleiche zu sein.

»Die Höhle hat sich verändert«, sagte Ceara verwirrt und wischte sich über das Gesicht, was den Dreck allerdings nur noch mehr verteilte.

»Na klar«, höhnte Eric, »die Höhle verändert sich innerhalb von ein paar Minuten.« Er ging zu dem Teil der Felswand, wo eigentlich der Gang nach draußen beginnen sollte, doch es war kein Eingang zu sehen. Der Fels war glatt und geschlossen. Eric machte ein mehr als verdattertes Gesicht.

Ceara blickte ihn triumphierend an. »Siehst du.«

Eric schnaubte und trat auf den Spalt zu, aus dem das Licht kam. Ceara folgte ihm. Sie quetschten sich durch den schmalen Durchgang und fanden sich plötzlich in einem winterlichen Wald wieder.

»Was zum Teufel soll das?« Eric blickte sich um. Ein düsterer Mischwald mit hohen alten Bäumen und Dickicht umgab sie. Sie selbst standen auf einem felsigen Abhang.

»Wo sind wir?«, fragte Ceara, die selbst verwirrt war.

Sie zog sich das Halstuch über das Gesicht, denn es wehte ein kalter Wind durch die Bäume. Der Boden war gefroren und von leichtem Pulver¬schnee bedeckt. Auch Eric fröstelte und schlang sich die Arme um den Oberkörper.

»Keine Ahnung, irgendwie müssen wir wohl durch das Erdbeben in eine andere Höhle gefallen sein«, vermutete er wenig selbstsicher.

»Na klar, und da steht noch so ein Tor. Hast du vielleicht irgendwo in der Nähe der Ausgrabungsstätte Wald gesehen? Außerdem war vorhin noch Sommer und jetzt ist plötzlich Winter?«

»Nein«, erwiderte Eric gereizt, »aber hast du vielleicht eine bessere Erklär¬ung parat?«

Jetzt musste auch Ceara passen.

»Ich weiß nicht, was hier los ist, aber wir sollten auf jeden Fall versuchen, die anderen zu finden, die werden uns schon suchen«, schlug Eric vor.

Ceara nickte unsicher, das alles kam ihr sehr seltsam vor. Sie wanderten stetig leicht bergab. Der Wald wurde immer dichter und unheimlicher. Sie mussten sich durchs Unterholz kämpfen und waren schon beinahe soweit umzudrehen, als sie unterhalb von sich einen Weg sahen. Erleichtert hielten sie darauf zu. Doch plötzlich hörten sie einen markerschütternden Schrei und blieben wie erstarrt stehen. Sie blickten sich ratlos an. Bevor jemand etwas sagen konnte, sahen sie, wie ein Mann in einem Umhang über den Weg rannte und sich immer wieder gehetzt umblickte, wobei er beinahe hinfiel. Dann erblickten sie einen Reiter, der wie ein dunkler Schatten wirkte und hinter dem Mann herjagte. Der finstere Reiter zückte ein riesi¬ges, gezacktes Schwert und stieß es dem Fliehenden in den Rücken.

Ein Schrei ertönte, der zu einem Röcheln wurde – dann herrschte Stille. Der Reiter war plötzlich verschwunden.

Ceara und Eric sahen sich entsetzt an.

»Hey, warum hat uns keiner gesagt, dass hier ein Film gedreht wird?«, fragte Eric, klang aber merkwürdig zittrig.

Die beiden kletterten vorsichtig den Abhang zum Weg hinunter und blickten sich um. Weder der Reiter, noch ein eventuelles Filmteam waren zu sehen. Sie blieben im Dickicht vor dem Weg stehen und warteten kurz. Doch nachdem der Mann, der auf dem Boden lag, keine Anstalten machte sich zu erheben, ging Ceara schließlich zu ihm hinüber.

»Hey, warte«, rief Eric, »nicht, dass du in den Film läufst.«

Ceara kauerte bereits über dem Mann und machte ein entsetztes Gesicht.

»Eric, das ist kein Film«, sagte sie heiser und deutete auf die klaffende Wunde im Rücken des Mannes, die seltsam rauchte und aus der das Blut in Strömen floss.

»Heilige Maria«, stieß Eric hervor und wurde unter seiner Solariumbräune ziemlich blass. Er blickte sich hoffnungsvoll um, so als ob er immer noch eine Kamera suchte. »Ist er … ist er … wirklich tot?«, stammelte er mit wenig intelligentem Gesichtsausdruck.

»Nein, er liegt hier zum Spaß mit einer zwanzig Zentimeter tiefen Wunde im Rücken und blutet, weil er sonst nichts Besseres zu tun hat«, erwiderte Ceara zynisch und drehte den Mann vorsichtig um.

»Oh Gott, der stinkt.« Eric hielt sich die Nase zu.

Tatsächlich roch der ausgemergelt wirkende Mann mit der langen Narbe im Gesicht ziemlich streng. Seine gebrochenen Augen waren weit aufgeris¬sen und der zu einem Schrei geöffnete Mund zeigte einige halb abgefaulte Zähne.

»Was hat denn der für komische Sachen an?« Eric deutete auf die drecki¬ge Leinenkleidung und die Lederfetzen, die der Mann sich statt Schuhen um die Füße gewickelt hatte.

Auch Ceara konnte sich keinen Reim darauf machen und blickte sich ner¬vös um.

»Wir sollten verschwinden«, sagte sie, von einem unguten Gefühl befal¬len.

Eric nickte zustimmend. »Ja, wir müssen es der Polizei melden, dass ein Verrückter mit `nem Gaul unterwegs ist. Hey, vielleicht ist der Kerl ja ein Zigeuner.« Voller Abscheu deutete er auf den am Boden liegenden Mann.

Cearas Blick schien ihn erdolchen zu wollen, dann begann sie weiter bergab zu laufen.

»Sollten wir nicht lieber auf dem Hauptweg bleiben?«, rief Eric ihr hinterher.

Sie blieb stehen und wartete, bis er zu ihr aufgeholt hatte. »Wenn du auch aufgespießt werden willst – Bitte! Ich werde nicht weinen.«

Eric brummte, eilte aber dann doch neben Ceara her, wobei er immer wieder nervöse Blicke über die Schulter warf.

Der Waldboden verlief jetzt nur noch ganz sanft bergab, doch es war nun mehr Nadelwald als Mischwald zu sehen und sie mussten sich ihren Weg durch die engstehenden Tannen und Fichten bahnen, die mit leichtem Schnee bedeckt waren.

In Cearas Gehirn arbeitete es. Sie hatte zwar eine Theorie, war aber mo¬mentan noch nicht gewillt, es sich selbst einzugestehen. Das war einfach zu verrückt.

Weiter ging es durch den düsteren Wald. Weder Ceara noch Eric hatten eine Ahnung, wohin sie sich wenden sollten. Sie waren einige Zeit gelaufen, wie lang, wussten sie nicht. Erics Uhr war stehen geblieben und Ceara hatte keine angehabt.

Plötzlich hielt Eric an und verkündete: »Ich habe Hunger. Verdammt, wir haben nicht einmal gefrühstückt.«

»Ruf doch den Pizzaservice an.«

»Sehr witzig«, meinte er und schimpfte: »Verflucht, warum habe ich auch kein Handy dabei? Du hast wohl auch keins, oder?«

Bedauernd schüttelte Ceara den Kopf. Sie liefen weiter und Ceara ent¬deckte schließlich einen Strauch mit gefrorenen Brombeeren, wovon sie einige aß.

»Kann man das Zeug wirklich essen?« Kritisch betrachtete Eric eine Bee¬re, die er gerade gepflückt hatte.