Drachenelfen - Himmel in Flammen - Bernhard Hennen - E-Book
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Drachenelfen - Himmel in Flammen E-Book

Bernhard Hennen

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Beschreibung

Intrigen, verzweifelte Liebe und die alles entscheidende Schlacht am Ende der Zeiten

Seit sieben Jahre tobt der Krieg um Nangog, und Drachen und Elfen stehen kurz vor der Niederlage. Eine letzte Schlacht am Himmel über der Goldenen Stadt soll die Wende bringen. Immer noch glaubt die Drachenelfe Nandalee, sich aus allem heraushalten zu können, doch dann zeigt sich, dass ihr Schicksal untrennbar mit dem Nachtatems verbunden ist. So werden sie und ihre Kinder zu Gejagten, die nirgends mehr auf Zuflucht hoffen dürfen. In der Stunde der Entscheidung aber geschieht das Unglaubliche: die legendären Alben treten aus den Schatten ...

Das atemberaubende Finale der Drachenelfen-Saga! Sieben Jahre währt der Kampf um Nangog, und immer deutlicher zeichnet sich ab, dass die Albenkinder unterliegen werden. Verzweifelt entscheiden die Himmelsschlangen, alles auf eine Karte zu setzen und eine letzte, alles entscheidende Schlacht am Himmel über der Goldenen Stadt zu erzwingen. Sie ahnen nicht, dass es Verräter in ihren Reihen gibt und drei Zwerge nur auf eine Gelegenheit warten, die alten Drachen stürzen zu sehen. Als der Kampf um Nangog ein überraschendes Ende nimmt, kommt der Tag, an dem die legendären Alben endlich aus dem Schatten treten, um Gerechtigkeit zu üben. Doch kommen sie noch rechtzeitig, um das Volk der Elfen und vor allem Nandalee zu retten? Denn die rebellische Drachenelfe und ihre Kinder sind zum Mittelpunkt einer mörderischen Intrige geworden ...

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Seitenzahl: 1582

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Das Buch

Nur sie würde seinen Schmerz heilen können. Sie allein hatte sich nie wirklich unterworfen. Sie war wild, so wie der eisige Norden, aus dem sie gekommen war: Nandalee. Und nun stand sie in seiner Höhle und zog die Klinge, die er einst selbst erschaffen hatte ...

Mit letzter Kraft flohen die Menschen aus dem ewigen Eis zurück in die südlicheren Gefilde Nangogs - besiegt und gedemütigt von den Kriegern der Daimonen. Erst als ein einzigartiger Wolkensammler mit einer mysteriösen Fracht über Volodis Palast vor Anker geht, schöpfen der Unsterbliche und sein bester Freund Aaron wieder Hoffnung. Es gibt eine Waffe gegen die scheinbar unbesiegbaren Drachen!

Doch auch die mächtigen Himmelsschlangen sind auf diese Waffe aufmerksam geworden. Während sie eine Armee von Zwergen in die Hafenstadt Asugar senden, um die Menschen endgültig zu schlagen, soll einer einzigen Drachenelfe, Nandalee, das Unmögliche gelingen: noch vor den Menschen die Waffe finden und bergen. Aber wird es Nachtatem, ihrem Herrn, wirklich gelingen, die Elfe noch einmal für seine Ziele in den Kampf zu schicken? Dieselbe Elfe, die ihm nahe kam wie niemand sonst und die zugleich sein Ende bedeuten könnte? Als aus dunklen Prophezeiungen Gewissheit wird, zeigt sich: Das Schicksal aller wird sich auf der magischen Welt Nangog entscheiden …

Der Autor

BERNHARD HENNEN, 1966 geboren, studierte Germanistik, Geschichte und vorderasiatische Altertumskunde. Als Journalist bereiste er den Orient und Mittelamerika, bevor er sich ganz dem Schreiben fantastischer und historischer Bücher widmete. Mit seiner Elfen-Saga stürmte er zunächst alle deutschen, dann auch international die Bestsellerlisten und schrieb sich an die Spitze der Fantasy. Mit Himmel in Flammen legt er nach Drachenelfen, Die Windgängerin, Die gefesselte Göttin und Die letzten Eiskrieger den fünften und abschließenden Drachenelfen-Roman vor. Der Autor lebt mit seiner Familie in Krefeld.

www.bernhard-hennen.de

www.facebook.com/bernhard.hennen

BERNHARD

HENNEN

DRACHEN

ELFEN

HIMMEL IN FLAMMEN

ROMAN

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Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Copyright © 2016 by Bernhard HennenCopyright © 2016 dieser Ausgabeby Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenRedaktion: Martina VoglUmschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,unter Verwendung einer Illustration von Max MeinzoldSatz: Leingärtner, Nabburg
ISBN: 978-3-641-12418-2V005
www.twitter.com/HeyneFantasySF
@HeyneFantasySF
www.heyne-fantastisch.de

Für Anita,

ohne die es all dies nie gegeben hätte.

Die Jahre kommen und gehen,

Geschlechter steigen ins Grab,

Doch nimmer vergeht die Liebe,

Die ich im Herzen hab.

HEINRICH HEINE(1797–1856)

Erstes Buch

DER SOHN

DER GÖTTIN

PROLOG

Plötzlich war der Tod nichts mehr, was immer nur die anderen traf. Er war so alt wie die Welt. Er war ein Liebling der Götter. Doch nun hatte er ihre Gunst verloren. Deutlich hatte der Dunkle den Zorn der Alben gespürt. Sie hatten gesehen, was auf Nangog geschehen war. Sie wussten, dass es das Werk der Himmelsschlangen war.

Der Flügelschlag des riesigen Drachen wurde schwächer. Kaum vermochte er im Flug dem Goldenen Pfad zu folgen, der durch die endlose Finsternis führte. Blut schoss in pulsierenden Stößen aus den beiden Wunden. Etliche Speere hatten die zähe Lederhaut seiner Flügel durchschlagen. Brandgeschosse die Schuppen seines Leibes versengt. All dies war nichts. Nur ein einziges Geschoss hatte ihn verletzt, hatte sich tief in seinen Leib gegraben, sein Fleisch zerfetzt und war in seinem Rücken wieder ausgetreten. Ein solches Geschoss hätte es nicht geben dürfen.

Seine Lider wurden ihm immer schwerer. Er kämpfte darum, die Augen offen zu halten. Da war ein Lichtpunkt am Ende des Weges. Er musste nicht mehr lange durchhalten. Im Jadegarten würde er genesen. Sein Fleisch würde heilen, das wusste er. Doch die Gewissheit, die Gunst der Alben verloren zu haben, setzte ihm zu. Selbst jetzt noch spürte er ihren Zorn. Er war ihr erstes Geschöpf. Die erste Kreatur, der sie Leben eingehaucht hatten. Seine Seele war mit ihnen verbunden. Zumindest hatte er das immer geglaubt.

Seine Augenlider fielen ihm zu. Einen Herzschlag nur. Erschrocken riss er sie wieder auf. Sein Flug war ins Trudeln geraten. Den großen Schwingen fehlte es an Kraft. Er wollte einfach nur ruhen. Schlafen … Am besten für ein paar Wochen. Fliehen, in Träume, die ihn in eine bessere Wirklichkeit entführten.

Er schnaubte seine Wut und Verzweiflung heraus. Das war er nicht! Er war immer ein Kämpfer gewesen! Er würde nicht aufgeben und niemals fliehen, schon gar nicht in Träume.

Wieder fielen ihm die Augenlider zu. Ihm war schwindelig. Der Blutverlust … Er brauchte dringend einen geborgenen Platz.

Er glitt durch das Licht am Ende des Goldenen Pfades. Halb ohnmächtig spürte er, wie ihn Dämmerlicht und Feuchtigkeit umfingen. Er gab der Erschöpfung nach – und kehrte in die Nacht zurück, in der Nandalee zur Drachenelfe geworden war. Wie sehr er sich nach der Ekstase sehnte, dem Rausch zwischen Lust und Schmerz, den sie mit ihm durchlebt hatte. Würde sie sich ihm doch nur ein einziges Mal noch so hingeben wie in jener Nacht. Deutlich sah er wieder das Bild vor sich, das er ihr in endlosen Stunden in den Rücken gestochen hatte. Es war verwirrend gewesen. Nicht sein klarer Wille hatte es geformt. Es war dem Unbewussten entsprungen. Ein Omen. Ein Rätsel, das er bis heute nicht zu deuten vermochte. Zwei Schlangendrachen rangen miteinander. Ein schwarzer und ein silberner. Oder waren sie im Liebesspiel umschlungen? Im Hintergrund eine Scheibe aus gehämmertem Silber. Davor, unverkennbar, Nandalees Schwert Todbringer.

Sollte die Silberscheibe vielleicht die Silberschale darstellen? Jenes fragwürdige Artefakt, das vermutlich von den Devanthar erschaffen worden war und stets nur die dunkelsten Seiten der Zukunft enthüllte? Nachtatem wusste, wie sehr sein goldener Bruder der Silberschale verfallen war. Er hingegen vertraute ihr nicht. Und in welcher Verbindung stand die Schale zu Nandalee?

Rätselhaft war auch der silberne Drache. Es gab keine Himmelsschlange in dieser Farbe, ja, nicht einmal einer der niederen Drachen war silbern. Resigniert schnaubte der Erstgeschlüpfte. Er bettete sein müdes Haupt auf die gekreuzten Vorderpranken und blickte hinab auf das dunkle Rinnsal aus Blut, das von der Felsinsel, auf der er sich niedergelassen hatte, hinab ins brackige Wasser troff. Seine Wunden begannen sich zu schließen. Er würde überleben. Doch wie hatte das geschehen können? Er war fast göttergleich. Es gab nur zwei Arten von Waffen, die ihm und seinen Brüdern gefährlich werden konnten. Jene, die sie, die Himmelsschlangen selbst, entweder allein oder aber gemeinsam mit dem Schmied Gobhayn erschaffen hatten. Die Waffen, die sie ihren auserwählten Drachenelfen übergaben. Doch in diese war ein Zauber gewoben, der sie in die Weiße Halle zurückbrachte, wenn der Besitzer der Waffe starb. Und er und seine Nestbrüder konnten sie auch zu sich zurückkehren lassen. Es war also unmöglich, dass diese Klingen in falsche Hände gerieten. Außerdem waren nie Pfeile erschaffen worden. Mit Bedacht.

Das Geschoss, das ihn verwundet hatte, musste demzufolge von den Devanthar stammen. Auch sie schmiedeten zaubermächtige Klingen, denen nichts zu widerstehen vermochte. Aber Nachtatem war sich fast sicher, dass der Speer, der ihn so schwer verwundet hatte, aus den eigenen Reihen gekommen war. Paktierten einige Albenkinder etwa heimlich mit den Devanthar?

Das war undenkbar! Warum sollten sie das tun? Die Himmelsschlangen opferten sich auf, um Albenmark zur besten aller Welten zu machen. Sie übten die Gerechtigkeit, die bei den Alben längst durch Ignoranz verdrängt worden war. Niemand vermochte sich das Rätsel um ihr Verschwinden zu erklären. Oft hatte er mit seinen Brüdern darüber gestritten. War es eine Laune? Verabscheuten die Alben ihre Schöpfung? Verstanden sie dies unter völliger Freiheit? Ihre Schöpfer hatten Albenmark sich selbst überlassen. Und sie hatten ihr Tun nie erklärt. Konnte man von Göttern anderes erwarten? Sie schuldeten ihrem Werk keine Erklärungen. Doch die Welt konnte ohne Götter keinen Frieden finden. Und so hatten sie, die Himmelsschlangen, entschieden, die Welt zu ordnen, und sie zu einem Platz mit klaren Regeln gemacht.

Woher also war der Pfeil gekommen? Lange sann er nach. Ganz in sich versunken. Als er schon nahe daran war, an dem Rätsel zu verzweifeln, regte sich tief in ihm eine Erinnerung … Einst hatte Nangog ein Werkzeug besessen, das sie zum Graben genutzt hatte. Die Alben selbst hatten ihr diese Hacke geschenkt, deren Stahl von Magie durchwoben, unzerstörbar war. Niemals wurden die Kanten stumpf. Aber diese Hacke war verloren, seit Nangog in das Herz ihrer eigenen Welt verbannt worden war. Sie war nie gefunden worden. Den Alben bedeutete das Werkzeug ihrer gefallenen Sklavin nichts. Sie hatten nicht danach gesucht. Und wie ihre Schöpfer, so hatten auch die großen Drachen dieses Werkzeug vergessen.

Nachtatem war sich sicher, er oder einer seiner Brüder hätten davon erfahren, wenn eine riesige, undurchdringbare Wand aus Stahl tief in den Eingeweiden irgendeines Gebirges gefunden worden wäre. Eine Wand, an der alle herkömmlichen Werkzeuge zerbrachen. Hatten etwa die Zwerge …?

Als er resignierend die Augen schloss, spürte er, wie das magische Netz vibrierte. Jemand kehrte aus Nangog zurück und hatte dabei einen Drachenpfad benutzt. Überlebende! Sie mussten sich auf eines jener seltsamen Schiffe gerettet haben, die der Schmied und Baumeister Gobhayn den Aalen der Zwerge nachempfunden hatte. Die Zwerge – sie hatten mehr als jedes andere Volk einen Grund, auf Rache zu sinnen, seit die Tiefe Stadt verbrannt worden war. Sie waren dickköpfig genug, ihren Groll niemals aufzugeben. Und sie waren Tunnelbauer. Hatten sie Nangogs Hacke gefunden? Er sollte die Zwergenfürsten einbestellen und in deren Gedanken lesen, sobald er wieder zu Kräften gekommen war.

Die Schlacht um Nangog war entschieden. Nun war es an der Zeit, die Völker Albenmarks wieder strenger zu beobachten. Er sollte zudem seine Brüder überzeugen, die Weiße Halle wieder zu eröffnen. Sie brauchten neue Spitzel, neue Mörder. Zu viele ihrer Auserwählten waren auf Nangog gefallen. Nachtatems Gedanken glitten zurück zu Nandalee. Er wusste, der Goldene würde genau sie als Grund anführen, mit der Weißen Halle für immer zu brechen. Sie war kein Werkzeug so wie die anderen Mörder, die die Weiße Halle bislang hervorgebracht hatte. Nandalee stellte Fragen. Weigerte sich, einen Mord auszuführen, wenn sie ihn für moralisch fragwürdig hielt. Vielleicht waren es gerade Drachenelfen wie sie, die das neue Albenmark nun brauchte? Er vermisste sie. Hatte sie überlebt? Er hatte sie an den gefährlichsten Ort der Menschenwelt geschickt. Allein, ohne Hoffnung auf Unterstützung, ja, sogar ohne das Wissen seiner Brüder. Würde sie zurückkehren? Ihm wieder trotzig die Stirn bieten? Würde er Gelegenheit haben, sie für sich zu gewinnen?

Ungestillte Sehnsucht versetzte seinem Herzen einen Stich. Es war ein süßer Schmerz, der tiefer ging als der Speer, der ihn heute durchbohrt hatte. Ein Schmerz, den kein Zauber bannen konnte. Nur Nandalee allein würde ihn heilen können. Wieder dachte er an die eine Nacht. Mehr als dreißig Elfendamen hatten sich ihm verschrieben, seit die Weiße Halle gegründet worden war. Sie alle hatten dasselbe Ritual durchlaufen. Und doch hatte er bei keiner so empfunden wie bei Nandalee. Sie hatte sich nie wirklich unterworfen. Sie war wild, so wie der eisige Norden, aus dem sie gekommen war. Vielleicht stand der silberne Drache für sie? Sie, die allen anderen Elfen unähnlich war. Die das Herz eines Drachen hatte, auch wenn es ihr an der Weisheit der Himmelsherrscher fehlte.

»Nandalee … Nandalee …« Die Gazala in der weiten Kammer flüsterten ihren Namen. In Trance versunken sprachen sie von der Zukunft. Immer drängender riefen sie Nandalees Namen, raunten von ihrem Verrat.

Nachtatem gab nichts auf ihre Worte. Er wusste, wie unstet die Zukunft war. Wie scheinbar belanglose Kleinigkeiten das Schicksal ganzer Reiche änderten. Wirklich klar sahen die Gazala die Zukunft erst, wenn sie kurz davor stand, Gegenwart zu werden.

»Nandalee!« Immer drängender stießen sie den Namen aus. Einige der Orakelfrauen wiegten sich vor und zurück. Ihre schlanken Gazellenbeine ließen sie dabei zerbrechlich aussehen. Zanah, eine der jüngeren Seherinnen, beugte sich so weit nach hinten, dass ihre gekrümmten Hörner rote Striemen über die Haut ihres Rückens zogen.

»Sie kommt!«

Fünf oder sechs der Orakelfrauen sprachen jetzt mit einer Stimme. Nachtatem hatte so etwas noch nicht erlebt. »Sie kommt!«, schrien die Gazala.

Wieder erbebte das magische Netz. Doch diesmal war es anders, der Albenstern hatte sich geöffnet.

Firaz, die Nandalee durch ihre schwere Schwangerschaft begleitet hatte, eilte zu Nachtatem. Ihre blinden Augen waren weit aufgerissen. »Ihr müsst gehen, Himmlischer. Sie kommt, Nandalee. Ich habe es gesehen! Ihr dürft nicht bleiben!«

Sie warf sich über seine Vorderpranken und versuchte sie anzuheben. »Bitte, Himmlischer! Erhebt Euch! Ich habe es gesehen. Noch ist Zeit. Noch …« Sie drehte sich um. Ließ von ihm ab und wich erschrocken zurück.

Schlagartig wurde es still. Alle Gazala waren verstummt. Sie alle richteten ihre blinden Augen zum Eingang. Dort stand sie, Nandalee.

Die Drachenelfe trug ihr Prunkgewand. Ein langes, ärmelloses Kleid in strahlendem Blütenweiß, gesäumt von goldenen Stickereien. Der Schwanz des schwarzen Drachen wand sich um ihren linken Arm. In der Rechten trug sie den mächtigen Bidenhänder, den sie sich zur Waffe erwählt hatte. Jenes Schwert, von dem Gonvalon geglaubt hatte, es sei verflucht. Die schwere Klinge steckte in einer abgewetzten braunen Lederscheide.

Mit festem Schritt durchquerte die Elfe das flache Wasser. Sie hielt den Kopf stolz erhoben, sah ihm herausfordernd in die Augen. Ihr langes, sommerblondes Haar wallte ihr um die Schultern. Sie schien von innen heraus zu strahlen.

Nachtatem musste schmunzeln. Ihm war bewusst, dass er sah, was er in ihr sehen wollte. »Hattet Ihr Erfolg, meine Dame?«

»Nein«, sagte sie mit klarer, kalter Stimme. »Und doch stehe ich kurz davor, mir meinen geheimsten Wunsch zu erfüllen.«

Nandalee hatte ihn nun fast erreicht. Sie zog die Klinge, die er einst erschaffen hatte. Das Schwert, dem er vor einem ganzen Zeitalter seinen unheilschwangeren Namen gegeben hatte: Todbringer.

Sieben Jahre früher …

DER HERRDER WELT

Kolja wusste, dass in diesem Augenblick Tausende zu ihm aufsahen. Er flog hoch über der größten Stadt aller drei Welten, und er flog mit seinem Wolkensammler gegen den Wind. Wind vor regenschwerem Horizont war nicht mehr ein gasgefüllter Hautsack wie all die anderen Himmelstitanen. Das Traumeis hatte ihm die Gestalt gegeben, die er sich gewünscht hatte – wie ein riesiger, tentakelbehangener Rochen sah er nun aus. Es gab keinen zweiten wie ihn auf Nangog. Noch nicht! Doch die Welt würde sich ändern, und er, Kolja, war derjenige, der den Schlüssel dazu in Händen hielt.

Seine Hand ruhte auf der Reling, die von den feinen Wurzeln des Schiffsbaums durchdrungen war. Er wusste, dass Wind vor regenschwerem Horizont an jedem seiner Gedanken teil hatte. Der Wolkensammler selbst hingegen verschloss sich. Seine Schwingen bewegten sich nicht mehr in derselben Eleganz wie bei ihrem Flug über dem Purpurnen Meer. Etwas beunruhigte ihn.

Sie flogen eine weite Kehre über der Goldenen Stadt, deren weiße Mauern vom Abendlicht in Rot- und Zimttönen erstrahlten. Vom Fluss erhob sie sich in unzähligen Terrassen den Hang zum Weltenmund hinauf. Ein unübersehbares Labyrinth aus ärmlichen Hütten, schmutzigen Häusern und himmelragenden Türmen, an denen die Wolkensammler vor Anker gingen. Je höher die Terrassen am Hang lagen, desto häufiger waren sie von Gärten, ja, sogar von ausgedehnten Parkanlagen umgeben. Das Klappern der Wasserräder, die Flusswasser von Terrasse zu Terrasse den Hang hinaufhoben, war bis in den Himmel zu hören, ebenso wie das Rauschen des herabtropfenden Wassers. Immer noch lagen weite Teile der Stadt in Trümmern. Doch mehr und mehr neue Häuser erhoben sich aus dem Schutt. Die Goldene Stadt war ein Symbol für die ganze Welt. Auch wenn die Daimonen ihnen einen schweren Schlag versetzt hatten, so hatten sie doch nicht obsiegen können. Die Menschheit erhob sich gleich den gefallenen Häusern, und am Ende würde sie triumphieren. Und an diesem Triumph hätte er den größten Anteil!

Wind vor regenschwerem Horizont hielt auf den Palast des Statthalters von Drusna zu. Zwei Drittel der lang gestreckten Terrasse um die reetgedeckte Festhalle wurden von einem jungen Eichenwald eingenommen. Dem einzigen Geisterhain, den es auf Nangog gab.

Der Wolkensammler bewegte seine Schwingen nicht länger. Er glitt ruhig auf dem Wind und verlor langsam an Höhe. Deutlich konnte Kolja nun die Menschen in den Gassen erkennen, die innehielten, zum Himmel hinaufsahen und mit ausgestreckten Armen auf die seltsame Kreatur zeigten. Jetzt erklangen auch Hörner in der Stadt. Hielten sie ihn für einen Angreifer?

Kolja lächelte spöttisch. Viel zu spät! Er schwebte schon über dem Herzen der Stadt. Das musste anders werden. Die Unsterblichen mussten begreifen, dass sie auf Nangog nur siegen würden, wenn der Befehl über die Welt in einer einzigen Hand lag. Und es durfte keiner aus ihren Reihen sein. Dafür achteten sie viel zu eifersüchtig darauf, dass sich keiner über die anderen erhob. Kolja hatte erlebt, wie hart Aaron darum gekämpft hatte, der Erste unter Gleichen zu sein, und wie er immer wieder gescheitert war.

Er würde die Herrschaft über Nangog anstreben, dachte er selbstbewusst. Er würde mithilfe des Traumeises eine neue Welt erschaffen. Kolja blickte über das leere Schiff, das Wind vor regenschwerem Horizont mit seinen Fangarmen hielt. Es gab hier niemanden außer ihm und dem Wolkensammler, der wusste, wo sich das Traumeis befand. Wenn die Unsterblichen über die Daimonen obsiegen wollten, dann mussten sie mit ihm reden. Aus dem Augenwinkel sah er, dass kleine Wolkensammler aus dem Frachtdeck eines nahe gelegenen Himmelsschiffes quollen. Unter ihnen hingen Krieger der Ischkuzaia in Ledergeschirren. Der Wind stand günstig für sie. Eine beständige Brise trieb sie in Richtung der fremden Kreatur, die über der Goldenen Stadt erschienen war. Wie Papierdrachen, die dem Firmament entgegenstrebten, näherten sie sich. Sie träumten wohl davon, sein Schiff zu kapern.

»Narren!«, rief Kolja ihnen entgegen.

Wind vor regenschwerem Horizont wusste, was er wollte. Er bewegte die linke Schwinge. Der Luftstrom, der so entstand, wirbelte die kleinen Wolkensammler durcheinander. Die Seile, die sie mit ihrem Mutterschiff verbanden, verstrickten sich. Einige der Krieger ließen fluchend ihre Waffen fallen und versuchten, sich zu befreien, während Koljas Wolkensammler weiterzog und sich den Ankertürmen neben der drusnischen Palasthalle näherte.

Amüsiert beobachtete Kolja, wie nun auf allen Türmen Bogenschützen erschienen. Ja, ihm könnten sie gefährlich werden, aber ein Geschöpf wie Wind vor regenschwerem Horizont ließ sich von Pfeilen nicht beeindrucken. Solche Treffer wären nicht einmal wie Nadelstiche für ihn.

Die Tentakel des Wolkensammlers streckten sich nach den schweren Eichenbalken, die wie Dornen aus der Krone des gemauerten Ankerturms ragten. Manndicke Fangarme schlangen sich um das schleimverkrustete Holz. Langsam zog sich Wind vor regenschwerem Horizont an den Turm heran, bis der Abstand zwischen dem Kampfdeck des Schiffes, das er trug, und der Plattform des Turmes weniger als ein Schritt betrug.

Kolja öffnete eine schmale Tür in der Reling und wagte, ohne zu zögern, den Sprung zum Turm. Eine Laufplanke brauchte er nicht. Das Traumeis hatte nicht nur seinen verlorenen Arm nachwachsen und alle Narben aus seinem Gesicht verschwinden lassen, sein ganzer Leib war wieder so kräftig und geschmeidig, wie er es einst gewesen war, als er zum ersten Mal den Sandplatz einer Arena betrat. Niemand würde in dem jugendlichen Krieger mit dem markant geschnittenen Gesicht den vernarbten Söldnerführer Kolja wiedererkennen, dessen Anblick allein einst schon ausgereicht hatte, um Schrecken in die Reihen seiner Feinde zu tragen.

Schnaufend erreichte ein Krieger in leichter Lederrüstung und einem Eberzahnhelm, auf dem ein schwarzer Rossschweif wippte, die Plattform des Turms. Kolja kannte ihn. Es war Oleg. Einst hatte er zu den Zinnernen gehört. Kolja musterte den schwitzenden Hauptmann. Jetzt musste sich zeigen, ob er wirklich so verändert war, wie er glaubte.

»Was wollt Ihr?«, stieß der Krieger um Atem ringend hervor. »Wer seid Ihr?«

Kolja hob langsam seine Hände, sodass Oleg deutlich sehen konnte, dass er unbewaffnet war. »Ich möchte mich mit meinem Himmelsrochen gerne in den Dienst des Unsterblichen Volodi stellen.«

Der Hauptmann blickte skeptisch zu dem seltsamen Geschöpf, das über ihnen schwebte. Hunderte von Tentakeln zuckten nervös an der Unterseite der Bestie. »Himmelsrochen …«, wiederholte er mit tonloser Stimme, und ihm war anzusehen, dass er wusste, in welcher Gefahr er schwebte. »Folge mir! Ich werde sehen, ob der Unsterbliche Zeit für dich hat.«

Natürlich würde Volodi Zeit haben, dachte Kolja schmunzelnd. Keiner der Unsterblichen würde sich die Gelegenheit entgehen lassen, ein solches Wolkenschiff in seinen Dienst zu stellen und auszurüsten.

DIEFALSCHE DIENERIN

Bidayn war fasziniert von der Kreatur, die am westlichen Ankerturm angelegt hatte. Ein solches Geschöpf hatte sie nie zuvor gesehen. Ob dieser befremdliche Wolkensammler ihre Pläne in Gefahr bringen konnte? Gewiss war er zu schwerfällig, um auf einen schnellen Angriff zu reagieren. Asfahal und die anderen würden auf ihren Adlern dicht über den Baumwipfeln einfliegen. Und sie kämen erst, sobald es dunkel geworden wäre.

Die Drachenelfe blickte zum flammenden Horizont. Etwas weniger als eine Stunde, dann wäre das letzte Abendrot verloschen, und eine Dunkelheit würde sich über den Palast senken, wie sie die Menschenkinder noch nicht erlebt hatten.

»Steh nicht herum und glotz wie eine dumme Kuh!«, ertönte hinter ihr Vladis Stimme. Der korpulente Drusnier war der Aufseher der Palastdiener. Ein echter Sklaventreiber. Außerdem noch Säufer und Hurenbock.

Bidayn wandte sich zu ihm um und schenkte ihm ein scheues Lächeln. »Dieses Tier da …« Sie deutete zum Ankerturm. »Es wird uns doch nichts tun, Herr, oder? Was ist das?«

»Was weiß ich denn? Eine Himmelsflunder … Es interessiert mich einen Dreck, was sich da oben an den Ankerturm klammert. Gleich wird dort eine ganze Mannschaft den Turm hinabsteigen, und das Gastrecht gebietet, dass wir sie bewirten. Lauf zu den Bierwannen, schöpf ein paar Krüge voll und bring sie in die große Halle.« Er lächelte schmierig und fuhr selbstgefällig fort: »Mach dir keine Sorgen. Ich werde dich beschützen. Ich bin hier der Einzige, der Hand an euch faules Pack legt.«

Bidayn nickte ergeben und lief dann eilig über den Hof. Vladi machte keine leeren Worte. Zwei Mal schon hatte er sie mit dem Eichenknüppel geschlagen, den er stets bei sich trug. Es machte ihm Spaß, seine Untergebenen zu drangsalieren. Sie stellte sich vor, wie sie ihm den Bauch aufschlitzte, und lächelte versonnen. »Ich freue mich auf unser Wiedersehen, Vladi. Nur eine Stunde noch …«, sagte sie leise, als sie in das Bierhaus trat.

»Was willst du?« Miladin, der Braumeister, blickte zu ihr auf.

Bidayn wusste, dass der verhutzelte, alte Kerl das niedrige Steinhaus, in dem mehr als zwanzig hölzerne Bottiche standen, niemals verließ. Strenger Hefegeruch schlug ihr entgegen. Sie mochte dieses Haus nicht. Stets hielt sie den Atem an, wenn sie hereinkam. »Bier für die Festhalle«, stieß sie zwischen zusammengepressten Lippen hervor. »Gäste kommen.«

Der Alte runzelte die Stirn. »Hier gehen zu viele verdammte Gäste ein und aus. Ein gutes Bier braucht Zeit, sag das Vladi. Ich kann nicht zaubern!« Miladin strich an seinen Bottichen entlang, rührte mit einer langstieligen Holzkelle darin herum und betrachtete nachdenklich die Hefeklumpen, die er aufwirbelte. Er zog ein kleines Trinkhorn aus der Schlaufe seines Gürtels, schöpfte etwas Bier aus dem Bottich, vor dem er stand, und trank einen kleinen Schluck. Geräuschvoll bewegte er die Flüssigkeit durch den Mund. Endlich nickte er. »Das Bier hier ist für Gäste. Das muss genügen. Davon kannst du vier Krüge voll mitnehmen. Aber untersteh dich, dem Unsterblichen davon einzuschenken. Es hatte noch nicht genug Zeit – unser Herrscher schmeckt das.«

Bidayn nickte. Bald müsste sie Atem holen. Hastig griff sie nach den Bierkrügen auf dem Tisch an der Wand und scheuchte dabei eine ganze Wolke von Fliegen auf. Die Henkel der Tonkrüge waren klebrig. Vermutlich hatte sie seit dem letzten Gebrauch noch niemand ausgespült.

Die Elfe war oft genug im Brauhaus gewesen, um die Marotten des Alten zu kennen. Und so machte sie nicht den Fehler, selbst mit den Krügen aus dem Bottich zu schöpfen, auf den er gedeutet hatte. Sie wartete, bis er irgendwo in der großen, halbdunklen Kammer sein Sieb gefunden hatte. Dann hielt sie Miladin den ersten Tonkrug hin. Mit leicht zitternder Hand schöpfte er Kaskaden goldenen Biers durch das Sieb, wobei das kostbare Nass in Strömen vom Krug hinabtroff. Als er alle Krüge gefüllt hatte, pflückte er die Hefeklümpchen vom Sieb und schnippte sie zurück in den Bottich.

»Mein Leben lang habe ich an dieser Hefe gearbeitet«, sagte er mit versonnenem Lächeln. »Es gibt Fürsten in Drusna, die würden mir mein Trinkhorn mit Gold füllen, nur um etwas davon zu bekommen.«

Bidayn erwiderte das Lächeln. Auch wenn sie den Alten nicht mochte, so musste sie ihm zugestehen, dass sie einander ein klein wenig ähnlich waren. Er hatte sich mit Leib und Seele seinem Bier verschrieben, und es gab nichts anderes in seinem Leben. Mit derselben Leidenschaft brannte sie für den Goldenen. Sie hoffte, dass Miladin ihr nicht in die Quere kommen würde, wenn das Kämpfen begann.

Sie stellte die vier schweren Krüge auf ein Tablett, trat hinaus auf den Hof und atmete tief und lange ein. Lange Schatten krochen bereits über den Platz aus gestampftem Lehm. Sie wich einer Pfütze aus Schleim aus und blickte erneut hinauf zu der seltsamen Kreatur, die am Ankerturm angelegt hatte. Der Goldene musste von diesen Geschöpfen erfahren! Sie würden den Krieg um den Himmel von Nangog verändern.

Noch während sie nach oben sah, troff erneut von einem der großen Tentakel Schleim herab und verfehlte nur knapp ihr Tablett. Bei dem Gedanken, wie Miladin reagieren würde, wenn solcher Schleim den Weg in einen seiner Krüge voll kostbaren Biers finden würde, musste sie schmunzeln.

»Steh nicht herum und träum!«, hallte Vladis Stimme über den weiten Hof. Dieser verdammte Sklaventreiber schien seine Augen überall zu haben.

Bidayn stieg die weite Treppe zu der Terrasse hinauf, auf der die Festhalle errichtet war. Sie war einem Langhaus aus Drusna nachempfunden, mit einem fast bis zum Boden reichenden Reetdach. Damit wirkte die Halle seltsam fremd neben all den anderen Gebäuden des Palastes, die wie die meisten Häuser der Goldenen Stadt aus Stein oder Lehmziegeln errichtet waren. Die Elfe ließ einen kurzen Blick über das Meer der lehmverputzten Häuser mit ihren flachen Dächern schweifen, die den weiten Hof des Palastes umzingelten. Vorratshäuser, Unterkünfte für das Gesinde oder jene kleineren Hallen, in denen Hofbeamte Audienzen gaben. Einige standen für sich allein, die meisten Häuser aber drängten sich zu einem Labyrinth zusammen, in dem selbst sie einmal die Orientierung verloren hatte. Mehrere Ausgänge mündeten von dort auf eine Prachtstraße und eine kleine Gasse, die beide unmittelbar an die Außenmauern des Palastbezirks angrenzten. Und all dies überragte die Festhalle, die Bidayn nun durch einen Nebeneingang betrat.

Hier, im hinteren Teil des Gebäudes, lagen einige private Gemächer, die seit seiner Rückkehr aus dem Eis vom Unsterblichen Volodi und dessen Familie genutzt wurden. Durch eine der Türen zu ihrer Linken hörte Bidayn die Stimme Quetzallis. Sie klang aufgewühlt. Die Elfe widerstand der Versuchung zu lauschen. Sie wusste, dass Vladi irgendwo lauerte und nur auf eine Gelegenheit wartete, seinen Knüppel auf ihrem Rücken tanzen zu lassen … Nicht so kurz, bevor sich erfüllte, wofür sie all die Jahre ausgebildet worden war. Es war unerheblich, was Volodis Weib zu ihm sprach. Weniger als eine halbe Stunde noch und der Unsterbliche würde den Titel verhöhnen, den er trug, wenn er verblutend vor ihr im Staub lag.

Sie trat durch den Vorhang, der diesen Bereich von der großen Festhalle abtrennte, und befand sich in dem rauchverhangenen Saal, in dem die Barbaren ihre Feste feierten. In der Mitte des Raumes waren Feuergruben im gemauerten Boden eingelassen, in denen dunkelrote Glut glomm. Eine stickige Hitze hing in dem weiten Saal, dessen Deckenbalken hinter blaugrauen Rauchschwaden mehr zu erahnen als zu erkennen waren. Mit Goldblechen beschlagene Säulen stützten das hohe Dach. Was für ein plumper Prunk!

Bidayn stellte die vier Krüge auf einer aufgebockten Festtafel ab. »Ich hole noch mehr Bier!«, rief sie, obwohl Vladi nicht zu sehen war. Sie brauchte eine Ausrede, um hinaus auf den Hof zu gelangen. Ihre Gefährten würden ihr Schwert mitbringen. Sie freute sich darauf, ihre Rechte um den lederumwickelten Griff der schlanken, leichten Klinge zu schließen und Blut zu vergießen.

SCHLECHTE OMEN

»Die Leber des Hahns war voller schwarzer Flecken!«, sagte Quetzalli noch einmal energisch. »Das verheißt Unglück, Volodi. Du musst Nangog verlassen! Hier wartet nur der Tod auf dich. Er ist schon nah. Die Zeichen waren eindeutig.« Wanya lag nuckelnd an ihrer entblößten Brust. Sie strich ihm sanft über das zarte, rötliche Haar, ließ Volodi dabei aber nicht aus den Augen. Volodi fürchtete den Blick, mit dem Quetzalli ihn bedachte. Er duldete keinen Widerspruch, war voller dunkler Verheißung. Sie würde tagelang mit ihm streiten, wenn er ihr jetzt nicht nachgab. Dennoch, es war einfach lächerlich, wie ein ängstlicher Welpe mit eingekniffenem Schwanz davonzulaufen, nur weil ein dämlicher schwarzer Hahn eine fleckige Leber hatte.

»Wann wirst du aufbrechen?«, fragte sie drohend.

Der Drusnier räusperte sich und wünschte sich, auf irgendeinem Schlachtfeld zu stehen. Inmitten schreiender Männer, die Schwerter schwangen, kam er besser zurecht als mit seiner zornigen Frau. »Das ist eine schwere Entscheidung«, brachte er schließlich zögerlich hervor.

»Was ist daran schwer, mit den Tunichtguten aus deiner Leibwache die Prachtstraße zur Goldenen Pforte hinaufzugehen und Nangog zu verlassen? Es ist ein Weg von weniger als einer Meile. Eine halbe Stunde nur, und du sitzt in der Festhalle unseres Palastes in Drusna.«

Volodi schüttelte unwillig den Kopf. »Ich kann doch nicht vor einer Hühnerleber davonlaufen! Ich mach mich zum …«

»Es war ein Hahn!«, fuhr sie ihm über den Mund. »Du wirst vernünftig sein. Erfinde irgendeinen Grund, warum.«

Volodi schielte zur Tür. Vorhin waren Hörner erklungen. Auf den Ankertürmen des Palastes, aber auch drunten in der Stadt. Er sollte nachsehen, was los war. »Da draußen ist …«

»Draußen ist es wieder still!« Wanya grummelte leise, und Quetzalli legte ihn an die andere Brust. »Was immer da war, hat sich in Wohlgefallen aufgelöst, sonst wäre schon längst ein Bote erschienen, um dich …«

Es klopfte an der Tür ihrer Kammer.

»Unsterblicher?«

Volodi erkannte die Stimme Hauptmann Olegs.

»Ich muss wirklich …« Der Unsterbliche lächelte entschuldigend und stand auf.

»Du wirst diesen Raum nicht verlassen«, sagte Quetzalli bestimmt. »Hör, was dieser Idiot zu sagen hat, und dann reden wir weiter.«

Volodi war sich sicher, dass Oleg draußen mitbekommen hatte, wie Quetzalli ihn nannte. Sich bei ihren Untertanen beliebt zu machen gehörte eindeutig nicht zu ihren Stärken. Volodi war sich wohl bewusst, dass ihre Leberschauen bei schwarzen Hähnen für viel Gerede sorgten. Der größere Teil der Palastdiener war der festen Überzeugung, sie sei eine Hexe.

Als Volodi die Tür öffnete, hatte Oleg einen hochroten Kopf. Sein Atem ging keuchend. »Unsterblicher! Ein seltsamer Wolkensammler hat an einem unserer Ankertürme angelegt …«

Das hörte sich vielversprechend an, dachte Volodi begeistert. Das war ein Grund, zumindest auf den Palasthof hinauszugehen. »Seltsam?«, fragte er gut gelaunt.

»Er ist platt …« Oleg rang sichtlich um Worte. »Wie ein Kuhfladen, aber er kann gegen den Wind fliegen. Sein Navigator will in Euren Dienst treten, Herr.« Der Hauptmann senkte die Stimme. »Der Mann war früher ein Krieger, da bin ich mir ganz sicher. Ich glaube nicht, dass man ihm vertrauen kann.«

»Wo ist er?«

»Er erwartet Euch auf dem Palasthof, Unsterblicher. Ich wollte ihn nicht in das Langhaus bitten … Er hat so etwas an sich …«

»Hörst du, Schatz? Wir haben Besuch.« Er wandte sich halb zu Quetzalli um.

»Ich komme mit auf den Hof«, sagte sie entschieden. »Hüte dich vor dem Fremden! Denk an den Hahn!« Quetzalli stand auf und zog ihr Kleid über die Brüste. Wanya war eingeschlafen. Sie legte ihn in die Wiege neben dem offenen Kamin.

Volodi entschied, dass es klüger war, gar nichts mehr zu sagen. Mit weit ausgreifenden Schritten eilte er an Oleg vorbei Richtung Hof. Erst als er die Terrasse erreichte, wurde ihm bewusst, dass sein Verhalten auf den Hauptmann wirken mochte, als fliehe er vor seiner Frau. Weniger eilig stieg er die Treppen hinab und wäre fast gestolpert, als er das Haupt hob, um den Wolkensammler, der platt wie ein Kuhfladen war, zu bestaunen. Verblüfft blieb er stehen. Die Kreatur war riesig! Größer noch als der größte Wolkensammler, den er je gesehen hatte. Aber das Tier schien nirgends dicker als zwei Mannhöhen zu sein. Von der Mitte seiner Unterseite wucherten Hunderte Tentakel hinab. Es erinnerte Volodi an die großen Rochen, die er aus der aegilischen See kannte. Es besaß ähnlich wie diese einen langen, dünnen Schwanz, der unruhig hin und her schwang. Das Ende des Schwanzes bildete jedoch ganz anders als bei jedem Rochen, den er je gesehen hatte, eine Flosse groß wie ein Segel.

Das Schiff, das dieser merkwürdige Wolkensammler trug, sah hingegen erbärmlich aus. Es wirkte wie notdürftig aus Trümmern zusammengezimmert.

»Es sieht bedrohlich aus, nicht wahr«, flüsterte Oleg hinter ihm.

Volodi wandte sich um und sah, wie Quetzalli ein Zeichen gegen das Böse schlug. Sie bedachte ihn mit einem Blick, der ihn an das Omen erinnern sollte. Hier auf dem Hof, vor seinen Untertanen, würde sie sich mit jeder Kritik an ihm zurückhalten. Sie war eine gute Frau. Er wusste, dass sie ihm nicht das Leben schwer machen wollte, sondern sich wirklich um ihn sorgte.

Volodi zwang sich zu einem unbefangenen Lächeln. Er war der Unsterbliche, eine Inspiration für sein Volk, ein Mensch, der den Göttern nahestand. Er durfte keine Schwäche und keine Zweifel zeigen. Mit festem Schritt ging er die letzten Stufen zum Platz hinab.

Den jungen, blonden Mann, der dort stand, hatte er noch nie zuvor gesehen, und doch kam er ihm vertraut vor. Die ängstliche Stimme Iwars flüsterte in seinem Verstand, sich fernzuhalten.

Diese Stimmen in seinem Kopf, die Geister der anderen Unsterblichen, machten ihm als Herrscher am meisten zu schaffen. Sie alle lebten in ihm weiter, flüsterten ihm zu, berieten und verfluchten ihn. Die stärkste Stimme war jene Iwars, dessen Leibwache er einst befehligt hatte, ohne jedoch verhindern zu können, dass sein Herrscher ermordet wurde. Vergiftet bei dem Treffen der Unsterblichen vor Selinunt. Anfangs hatte Volodi die Stimmen nicht vernommen. Dann hatte es als leises Flüstern begonnen, das er nicht zuordnen konnte. Inzwischen vernahm er sie ganz klar, zu jeder Stunde des Tages, bei jeder Entscheidung, die er traf.

Hüte dich vor dem Fremden, sein Herz ist schwarz wie die Nacht!

Volodi ignorierte die Stimme. Er hatte genug Ratschläge gehört. Er ging auf den Fremden zu. Es würde sich schon zeigen, was für ein Kerl das war. Der Unsterbliche spürte die Anspannung seiner Wachen. Er trug nicht die weiße Lederrüstung und den Maskenhelm, die unverwechselbare Zeichen seines Ranges waren. Er fand sie unbequem und lästig. In seiner Tunika mit Saucenflecken und den ausgetretenen Sandalen hätte er auch irgendein rangniederer Adeliger sein können.

»Es ist schön, dich wiederzusehen«, sagte der Fremde und weitete die Arme, als wollte er Volodi wie einen alten Freund zu sich an die Brust ziehen. Zwei Wachen traten vor und richteten ihre Speere auf den Besucher. Dieser hielt in seiner Bewegung inne, zeigte aber keinerlei Anzeichen von Angst.

Der Unsterbliche stutzte. Er war sich ganz sicher, diesen Mann noch nie gesehen zu haben. Hochgewachsen mit wohlgeformten Muskeln und einem markanten, eckigen Gesicht, war er jemand, den er ganz gewiss in Erinnerung behalten hätte.

»Wir leben hier in einer Welt voller Wunder, Unsterblicher, und ich habe das vielleicht größte aller Wunder entdeckt. Ich möchte dich daran teilhaben lassen.«

Er schwatzt wie ein Krämer, munkelte die Stimme Iwars in Volodis Kopf. Er will Gold und Macht. Vielleicht sogar beides. Du kannst ihm nicht trauen! Sieh nur diese kalten Augen. Und seine Respektlosigkeit. Er spricht zu dir wie zu einem Saufkumpan.

Der Unsterbliche deutete auf den seltsamen Wolkensammler, dessen Schatten fast den gesamten Palasthof füllte. »Ist das dein Wunder? Wo hast du ihn gefunden?«

»Das kann ich dir nur verraten, wenn wir unter vier Augen sprechen, denn es ist das größte Geheimnis Nangogs. Vertraue mir!«

Mit den Worten »vertraue mir« fangen die übelsten aller Intrigen an, warnte die Stimme Iwars.

Darin hast du gewiss Erfahrung, dachte Volodi bitter, denn er hatte einige der Ränkespiele seines Vorgängers in den vergangenen Monden durchschaut. Iwar war keineswegs der freundliche, etwas einfältige dicke Mann gewesen, für den Volodi ihn gehalten hatte.

Der Unsterbliche blickte wieder hinauf zu dem ungewöhnlichen Wolkensammler. Ganz gewiss würden bald schon Boten aus den anderen Palästen eintreffen. Die ganze Stadt konnte diesen fliegenden Kuhfladen sehen. Und alle hätten sie Fragen. Er musste wissen, was es mit diesem Tier und seinem Besitzer auf sich hatte. Aber er würde sich von ihm nicht vorschreiben lassen, in welcher Form ihr Beieinander stattzufinden hatte.

»Wo ist deine Mannschaft, Fremder? Ruf sie herunter. Sie sollen meine Gäste sein.«

»Es gibt keine Mannschaft«, entgegnete sein Gegenüber ruhig. »Ich sagte doch, ich werde dich in das größte Geheimnis Nangogs einweihen. Und Geheimnisse dieser Brisanz dulden keine Mitwisser.«

Volodi hatte noch nie gehört, dass jemand ohne Mannschaft durch den Himmel reiste. Skeptisch musterte er den Fremden, dessen kalte hellblaue Augen seinem forschenden Blick standhielten. Vielleicht hatte er die Mannschaft über Bord gestoßen? Kräftig genug dazu war er. Und so, wie er wirkte, wohl auch skrupellos genug.

»Warum kommst du zu mir? Weil du Drusnier bist?«

»Weil ich eine Schuld begleichen will, Unsterblicher. Und weil ich auf deine Vergebung hoffe.«

Volodi sah ihm in die Augen, suchte nach dem Funken der Lüge, aber da war nichts. Diese Augen – er kannte sie! Aber eingebettet in wulstige Lider, in einem vernarbten Gesicht. Das konnte nicht sein! Nichts an diesem Mann erinnerte an den einarmigen Kolja. Nur die Augen …

»Weißt du nun, wer ich bin, Bruder?«

Die Wachen sahen Volodi verwirrt an. Niemand durfte sich einem Unsterblichen gegenüber so verhalten. Ihn Bruder zu nennen hieß, die Götter zu verhöhnen.

»Wir reden allein«, sagte Volodi entschieden. »Folge mir!« Er sah Oleg an, wie er mit sich rang. Quetzalli bedachte ihn mit einem verzweifelten Blick. Aber niemand wagte es, seine Entscheidung infrage zu stellen.

Der Fremde mit den vertrauten Augen lächelte breit, als wäre er sich vollkommen sicher gewesen, dass ihr Treffen diese Wendung nehmen würde. Er hielt sich an die Etikette des Hofes und blieb einige Schritt hinter Volodi. Mit noch mehr Abstand folgte die Leibwache.

Der Unsterbliche führte seinen sonderbaren Gast in die weite Festhalle. Es roch angenehm nach dem Rauch schwelender Buchenscheite. Eine Dienerin stellte Bierkrüge zu den anderen auf den Tisch nahe dem Hochsitz, dem erhöhten Thron vor dem Vorhang, der die lange Halle abschloss.

Volodi deutete zu einer schön geschnitzten Bank, die bei der Feuergrube stand. »Setz dich!«

Der Fremde gehorchte. Er sah sich aufmerksam um.

Am anderen Ende der Festhalle, nahe dem zweiflügeligen Eichenportal, fegte eine alte Frau mit einem Reisigbesen. Abgesehen von der jungen Dienerin, die bei den Bierkrügen stand und nun mit einem Lumpen Trinkhörner auswischte, war niemand hier. Ein alter Hund döste am Feuer. Seine Pfoten zuckten ab und zu im Schlaf, als wäre er in seinen Träumen auf der Jagd.

»Ich bin Kolja«, sagte der Fremde leise und beobachtete ihn dabei aufmerksam.

»Kolja starb im Tempelgarten der Zapote.« Volodi, der lieber stehen geblieben war, hatte Mühe, seine Stimme im Zaum zu halten. Sein bester Freund hatte ihn ausgeliefert. An die Zapote verschachert, um allein über die Bordelle zu herrschen, die den Zinnernen gehörten.

»Du hast seine Leiche gesehen?«, fragte der Fremde spöttisch.

»Er verschwand an jenem Tag.« Volodi wusste, dass Kolja einer der Befehlshaber gewesen war, die die Truppen des Unsterblichen Aaron in den Tempelgarten geführt hatten. Dort war er zum letzten Mal lebend gesehen worden. Viele Männer waren an diesem Tag spurlos verschwunden. Zerfleischt von dem Schrecken, der sich aus dem Blutteich neben der unterirdischen Pyramide erhoben hatte. Kurz blitzte vor seinem inneren Auge das Bild auf, wie Quetzalli mit dem Opfermesser in der Hand über ihm gestanden hatte. Wann immer er an jenen Tag zurückdachte, überliefen ihn eisige Schauder. Nie war er so hilflos dem Tod ausgeliefert gewesen. Und es war Kolja, der ihn auf den Opferstein der Pyramide gebracht hatte.

»Du gibst dich für einen Mann aus, dessen Gesicht von Narben zerfurcht war, dem ein Arm fehlte und der mindestens fünfzehn Jahre älter ist als du. Mir scheint, du hast dir deine Lügen nicht gut überlegt.«

»Wenn das, was ich sage, für eine Lüge zu dumm ist, muss es dann nicht die Wahrheit sein?«

»Kolja hat niemals so hochtrabend gesprochen. Er war einfach und geradlinig.«

Der Fremde nickte. »Das stimmt. Aber vielleicht kann ein Mann, dem ein Arm nachwächst, ja auch zu Verstand kommen.«

Das war unheimlich. Diese Augen, die ohne zu blinzeln unverwandt zu ihm aufblickten. Sie waren wirklich genau wie die Augen Koljas. Und diese Lügen … Sie waren so dreist. Konnten sie die Wahrheit sein?

Lass ihn fortschaffen und behalte den Wolkensammler. Von diesem Mann geht eine düstere Kälte aus. Er plant Übles, warnten die Stimmen in Volodis Kopf.

»Du erinnerst dich an den Abend nach der Schlacht auf der Hochebene von Kush? Daran, wie ich dich zu den Zapote geschickt habe, um ihnen für ihren Heldenmut zu danken. Sie waren es, die Aarons Heer gerettet haben. Ich hatte ihnen als Lohn versprochen, was sie für ihren Tempel suchen: Männer mit blondem Haar, wie du einer bist.«

Volodi traute seinen Ohren nicht.

»Wer außer Kolja könnte das wissen?«, fuhr der Fremde fort. »Ich habe dich an Necahual verkauft, weil du den Weg verloren hattest. Ich bin nicht stolz auf diese Tat, aber du hast mir keine Wahl gelassen. Das Gemetzel auf der Hochebene von Kush war für uns alle schlimm, Volodi, nicht nur für dich. An jenem Tag, an dem so viele von unseren Zinnernen für ihr Leben von dieser Schlacht gezeichnet waren, wolltest du uns verraten, wolltest aufgeben, was wir in der Goldenen Stadt erschaffen hatten. Du wolltest unsere Männer einem Schicksal als Bettler in der Gosse überlassen!«

Volodis Mund wurde staubtrocken. Was der Fremde sagte, war wahr. »Sie wären alle reich gewesen …«

Der Mann, der sich Kolja nannte, schnaubte verächtlich. »Reich? Du kennst sie! Das Gold wäre ihnen zwischen den Fingern zerronnen. Sie brauchten einen Platz, an den sie immer hätten zurückkommen können. Einen Ort, von dem niemand sie je vertreiben würde. Wir hatten diesen Ort erschaffen, und du wolltest ihn aufgeben. Ich musste mich zwischen dir und den Männern entscheiden, die uns vertraut haben.«

Volodi winkte der jungen Frau bei den Bierkrügen. »Bring uns zu trinken!«

»Glaubst du mir nun?«

Der Unsterbliche fand es immer schwerer, den unerbittlichen Augen des Fremden standzuhalten. »Kolja hat einen Arm verloren«, sagte er bestimmt und griff nach dem linken Arm des Besuchers. Was er spürte, war lebendiges, warmes Fleisch. »Wie kann das zusammengehen? Kolja hat dir all das verraten.«

Sein Gegenüber lächelte. »Kennst du ihn so schlecht? Er ist kein Mann, der das Herz auf seiner Zunge trägt. Selbst unter Folter hätte er mir nicht gesagt, was ich dir gerade erzählt habe. Und du weißt das!«

Die Dienerin stellte den Bierhumpen vor Volodi auf die Bank und reichte ihnen zwei schöne Trinkhörner mit breitem silbernen Rand. »Der Braumeister …«, begann sie mit leiser Stimme.

Volodi winkte ab. »Jetzt nicht! Zieh dich zurück!«

Augenblicklich zog die Dienerin sich zurück. Sie bewegte sich lautlos und mit Anmut. Seltsam, dass sie ihm bisher kaum aufgefallen war.

Der Mann, der vorgab, Kolja zu sein, schenkte sich ein. »Es gibt etwas auf dieser Welt, das alles verändert. Etwas, das jeder Kreatur erlaubt, sich die geheimsten Wünsche zu erfüllen.« Er prostete Volodi zu und fuhr fort: »Was hätte Kolja sich gewünscht?«

Volodi nickte. Jetzt fügte sich das Bild zusammen. »Er hätte sich gewünscht, der Mann zu sein, der er einst war. Der Jüngling, der in die Arenen gegangen war und dem die Frauen zu Füßen lagen, wenn er seine Gegner mit brutalen Hieben zu Boden schickte.«

So oft hatte Kolja ihm von der Zeit in den Arenen erzählt. Wie er Liebling Tausender gewesen war. Wie die vornehmen Frauen ihn heimlich in ihre Betten geholt hatten, bis die bronzebeschlagenen Lederriemen, die sich die Faustkämpfer um ihre Hände wickelten, begannen, ihren Tribut zu fordern. Soweit Volodi wusste, war Kolja niemals besiegt worden. Er hatte sich schließlich selbst bezwungen, indem er so lange gekämpft hatte, bis sein Gesicht zu einer Grimasse voller roter Narben geworden war. Die Hiebe seiner Gegner hatten seine Augenbrauen fortgerissen, seine Ohren zu unförmigen Kugeln schrumpfen lassen. Sie hatten ihm ein Gesicht eingebracht, das zu seinem Innersten passte. Zu seiner zerrissenen Seele. Ein Gesicht, das zum Fürchten aussah.

Der Fremde lächelte. »Ich sehe, du beginnst zu verstehen. Schau mich an – so sah ich aus, als du noch als kleiner Junge mit deinem Bruder auf Bäume geklettert bist.«

»Du …« Volodi packte ihn bei der Tunika und zerrte ihn von der Bank hoch. »Du …du hast mich hintergangen, verschachert und dem Tod ausgeliefert! Du …«

»Ich habe den Mann aus dir gemacht, der du nun bist.« Kolja machte keine Anstalten, sich zur Wehr zu setzen.

»Du …« Volodi ließ los und landete einen krachenden Fausthieb am Kinn des Verräters.

Kolja taumelte einen Schritt zurück, schüttelte sich und wischte sich mit der linken Hand über die aufgeplatzte Lippe. Der Hand, die er gar nicht mehr hätte haben dürfen. Der Hand, die ihm eine Daimonin bei der Kristallhöhle abgehackt hatte.

»Ich habe dich zu einem Ehemann gemacht, zu einem Vater, zum Unsterblichen von Drus. Das alles bist du nur durch mich geworden.«

Volodi stürmte mit einem wilden Schrei vor und rammte dem Verräter eine Faust in die Magengrube. Kolja entwich pfeifend der Atem. Ein nächster Hieb traf ihn auf dem Rippenbogen, dann einer dicht über den Nieren. Volodi schrie. Er hätte immer weiter auf dieses Stück Dreck eindreschen mögen, aber Kolja tat noch immer nichts, um sich zu wehren. Er steckte Hieb um Hieb ein.

Das Bier aus seinem Horn troff von seiner Tunika, aber er ließ das Trinkhorn nicht los. Er machte auch keine Anstalten, es als Waffe zu nutzen.

»Wehr dich!«, zischte Volodi wütend, »oder ist der Mumm aus dir herausgewachsen, als dir ein neuer Arm gesprossen ist.«

»Ich suche meinen Frieden mit dir«, entgegnete Kolja ruhig. »Wie könnte ich da meine Hand gegen dich erheben.«

»Ich werde dich hinausprügeln lassen. Ich werde …« Volodi hatte erneut die Faust erhoben. Er wollte Kolja das Nasenbein zertrümmern. Er wollte dessen Gesicht erneut in die vernarbte Maske des Schreckens verwandeln, die es einst gewesen war.

Doch Kolja stand regungslos vor ihm. Er schien sich vor nichts fürchten zu müssen. Stimmte es vielleicht, dass er die Macht besaß, jede Wunde verschwinden zu lassen?

Volodi ließ die Fäuste sinken. »Was hat dich so verwandelt?«

Trau ihm nicht, tönte die Stimme Iwars schmerzhaft in Volodis Kopf.

Kolja blickte misstrauisch zu der Dienerin, die sich zum Tisch mit den Bierkrügen zurückgezogen hatte. »Ich habe das Traumeis gefunden und wieder versteckt. Damit kannst du alles verändern!«

FLUCHT

Bidayn flüsterte ein Wort der Macht. Sie war sich sehr wohl bewusst, welcher Gefahr sie sich aussetzte, wenn sie hier, im Palast eines Unsterblichen, einen Zauber wob. Er war wie ein Leuchtfeuer und würde die Devanthar anlocken, wenn er zu lange währte. Aber sie musste wissen, was die beiden tuschelten. Die Elfe hielt nicht viel von den Menschenkindern, doch diese beiden verhielten sich selbst gemessen an ihren niedrigen Erwartungen äußerst ungewöhnlich.

Die Elfe drehte den beiden den Rücken zu, damit ihr Mienenspiel nicht ihre Anspannung und ihr Interesse verriet. Der junge Krieger hatte einen Schatz im äußersten Norden Nangogs entdeckt und erneut versteckt, ohne dass es einen Zeugen gab. Einen Schatz, der es erlaubte, aus den Wolkensammlern, die mit dem Wind trieben, Geschöpfe zu machen, die aus eigener Kraft flogen. Dieses Traumeis ließ abgetrennte Arme nachwachsen und ermöglichte es, seinen Körper nach den tiefsten Wünschen zu verändern. Was würde der Goldene damit tun? Wozu wären die Himmelsschlangen in der Lage, wenn sie dieses Traumeis besäßen?

Der Blonde hatte recht. Dieses Traumeis würde das Schicksal der Welt verändern. Bidayn blickte verzweifelt zur rauchgeschwärzten Decke der Halle. Jeden Augenblick würden die Adler kommen. Wenn die beiden Menschenkinder bei dem Angriff starben, dann bliebe ihr Schatz auf immer verschollen. Sie musste ihre Mörder aufhalten!

Bidayn zerbrach das Band des Zaubers und schlich sich durch den Vorhang am Ende der Halle hinaus ins Freie. Die beiden Monde Nangogs stiegen bereits über den Horizont. Mit fliegender Hast lief sie die Treppe hinab und dann zum nördlichsten der Ankertürme. Von dort würden Asfahal und die anderen einfliegen.

Zwei Wachen standen am Fuß der Treppe, die sich außen am Mauerwerk des Ankerturms emporwand. Blonde Krieger in scharlachroten Umhängen, die sich auf ihre Speere stützten. Der Wachwechsel war zu Sonnenuntergang, sie konnten gerade erst Posten bezogen haben. Es war unmöglich, ungesehen an ihnen vorbei auf die Treppe zu gelangen, und ihr blieb auch keine Zeit, sie mit ausgefeilten Lügengeschichten zu umgarnen, damit die beiden sie entgegen ihren Befehlen den Turm hinaufließen.

Mit einem breiten Lächeln trat Bidayn ihnen entgegen. »Na, lange kein Weib mehr gehabt?« Als die Wachen statt zu antworten nur verlegen lachten, wusste die Elfe, dass sie arglose Tröpfe vor sich hatte. Und tatsächlich, sie stellten keine Fragen, ließen sie dicht an sich heran.

»Fangen wir mit einem Kuss an?«, gurrte sie und legte den Kopf in den Nacken. Die Krieger überragten sie um Haupteslänge.

»Dann lass mal deine Küsse kosten«, antwortete der Linke und beugte sich zu ihr herab.

Augenblicklich rammte Bidayn ihm die Faust mit aller Kraft auf den Kehlknorpel, sodass seine Luftröhre zerquetscht wurde. Mit der Linken griff sie nach dem Dolch an seinem Gürtel, zog die schwere, schlecht ausbalancierte Waffe und warf sie mit fließender Bewegung nach dem zweiten Wachposten. Die Klinge drang tief in sein Auge.

Er war tot, bevor er auf den Boden aufschlug. Ihr erstes Opfer ging in die Knie. Er umklammerte seine Kehle, röchelte, kämpfte verzweifelt um Luft. Seine Augen quollen hervor. Er würde keinen Alarmruf von sich geben können. Bidayn stürmte die Stufen hinauf. Sie nahm immer zwei auf einmal. Ihr Herzschlag beschleunigte sich kaum. Ihr Atem ging ruhig, als sie die Plattform an der Spitze des Turms erreichte. Die endlosen Ausdauerläufe, die zum Unterricht in der Weißen Halle gehört hatten, zahlten sich selbst nach so langer Zeit noch aus.

Plötzlich spürte Bidayn, dass sie beobachtet wurde. Ein Blick, so intensiv wie eine Berührung. Sie drehte sich um. Konnte ihr ein dritter Wächter gefolgt sein? Konnte er völlig lautlos und so schnell wie sie zur Turmspitze gelangt sein? Nein. Da war niemand. Der Blick kam vom gegenüberliegenden Ankerturm! Der seltsame Wolkensammler dort betrachtete sie. Er war nicht nur was das Äußerliche anging anders. Er wirkte aufmerksamer als die anderen Himmelsgiganten, die ihr stets etwas entrückt vorkamen. Seine Tentakel bewegten sich unruhig. Einige streckten sich sogar in ihre Richtung. Die langen Fangarme reichten über den halben Hof hinweg, mehr als sechzig Schritt waren sie lang.

Eine Bewegung zu ihrer Linken ließ sie den Wolkensammler vergessen. Die Adler kamen. Sie trugen große Ringe in ihren Krallen, von denen je ein Krieger mit gestreckten Armen herabhing. Diese Art des Transports ermöglichte den schnellstmöglichen Absprung, und bei Angriffen wie diesem kam es auf jeden Augenblick an.

Bidayn winkte mit erhobenen Armen und gab das Zeichen zum Abbruch. Die großen Adler, die in einer Linie angeflogen kamen, verlangsamten ihren Flug. Nur der vorderste Vogel hielt weiterhin sein Tempo. Sonnenfänger war der stärkste ihrer Adler. Keiner flog höher in den Himmel hinauf, keiner schlug härter mit dem Schnabel zu, keiner vermochte schwerere Lasten zu heben.

Die Elfe spannte sich, sprang ab, und ihre Hände schlossen sich um den Reif, den Sonnenfänger mit seinen Krallen umschlossen hielt. Schon schwebte sie über dem Abgrund jenseits des Ankerturms. Der mächtige Vogel war durch ihr Gewicht ein wenig tiefer gesackt, gewann aber bereits wieder an Höhe. Er folgte den anderen, nun als Letzter in der Reihe, die er eben noch angeführt hatte. Bidayn fragte sich, ob sie das Richtige getan hatte. Wie würde der Goldene darauf reagieren, dass sie den Mord, den er befohlen hatte, nicht ausgeführt hatte? Sie würde ihn davon überzeugen müssen, dass das Geheimnis des Traumeises viel bedeutender war als das Leben eines Unsterblichen. Volodi konnte sie auch an einem anderen Tag töten.

Die großen Adler strebten den beiden Monden am Himmel entgegen, als das vorderste Tier plötzlich ins Trudeln geriet. Seine rechte Schwinge flatterte. Federn stoben in die Nacht. Der Adler und seine Fracht stürzten in trudelnden Kreisen dem Palasthof entgegen.

ADLERAM BODEN

Asfahal sah die wenigen Fackeln auf dem weiten Hof. Er war nur spärlich beleuchtet. Es schien kaum Wachen zu geben. Vielleicht würde er davonkommen. Starkfuß kämpfte verzweifelt darum, in der Luft zu bleiben, aber seine rechte Schwinge schien gebrochen zu sein. Etwas war aus dem Dunkel hervorgeschnellt und hatte den großen Adler mit tödlicher Kraft getroffen. Der Raubvogel stieß leise, keuchende Laute aus. Sein Kampf war aussichtslos. Immer schneller stürzten sie dem Hof entgegen. Noch zehn Schritt bis zum Aufschlag. Sieben …

Asfahal ließ den Ring los, an dem Starkfuß ihn getragen hatte. Obwohl der Elf sich abrollte, war der Aufprall härter gewesen, als er erwartet hatte. Seine Knie und Knöchel fühlten sich an, als hätte ihm jemand glühende Nägel hineingetrieben. Er rappelte sich auf und knickte sofort wieder ein. Sein linker Knöchel. Er war verstaucht, vielleicht sogar gebrochen. Er konnte ihn nicht mehr belasten.

»Alarm!«, schrie eine dunkle Stimme irgendwo über Asfahal.

Starkfuß lag neben dem Elfen auf dem Hof. Der Adler überragte ihn um fast einen Schritt. Sein Flügel war unnatürlich verdreht, er presste ihn gegen seinen Leib. Asfahal spürte die Angst des Tieres. Starkfuß war sich bewusst, dass er von hier nicht mehr lebend fortkommen würde.

Eine Fackel wurde vom Turm südlich von ihnen geworfen. Wie ein Komet zog sie einen Schweif hinter sich her und sprühte Funken in die Nacht. Asfahal zog sein Schwert. Er sollte es dem Adler in die Kehle treiben. Bidayn hätte sicherlich keinen Augenblick gezögert, dies zu tun. Es würde ihm, Asfahal, Gelegenheit geben, vielleicht im Dunkel zu entkommen. Sein Weg war das nicht, dachte der Elf. Ihm fehlte die Fähigkeit, um jeden Preis das Vernünftige zu tun.

»Wir kämpfen zusammen«, sagte der Elf und strich Starkfuß über das zerzauste Gefieder. »Die Menschenkinder werden sich noch lange an uns erinnern.«

Die Fackel schlug dicht neben ihnen auf den Boden. Starkfuß schob seinen Kopf unter den gesunden Flügel wie ein ängstliches Küken.

»Was …? Das ist jetzt nicht dein Ernst! Hast du etwa Angst vor Feuer? Du verschaukelst mich! Spiel hier nicht das Hühnchen. Nicht jetzt!«

Der Adler hob seinen Kopf, blinzelte ihm schelmisch zu und stieß dann ein kämpferisches Krächzen aus.

Ein Scherz! Asfahal hatte schon in den vergangenen Wochen immer wieder das Gefühl gehabt, dass Starkfuß im Gegensatz zu den übrigen Adlern einen gewissen Sinn für Humor hatte.

Anders als Lemuel vermochte sich Asfahal nicht mit den Vögeln zu verständigen. Wie sein Gefährte das vollbrachte, wusste der Elf auch nicht. Lemuel sprach nicht mit den Tieren. Er redete überhaupt kaum. Er sah seinen Adler nur an, und sie schienen einander zu verstehen.

Eine zweite Fackel wurde in den Hof geworfen, und nun erklangen ringsherum aufgeregte Rufe. Asfahal sah sich nach einem Fluchtweg um. Doch alles, was er innerhalb des weitläufigen Hofes sah, waren eine primitive Halle, etliche kleinere Häuser und ein Wald. Ein Tor konnte er nicht entdecken. Was für eine seltsame Palastanlage.

Wenn er sich auf einen der Ankertürme retten könnte, würde er vermutlich lange durchhalten, dachte er. Dort gab es ganz gewiss keinen Schwertkämpfer, der ihn im Duell Mann zu Mann besiegen könnte. Doch Starkfuß würde die enge Treppe nicht hinaufkommen.

Fackellicht schimmerte auf Bronze. Einige Männer, die sich hinter große Schilde duckten und dabei ihre Speere vorreckten, näherten sich ihnen. Die Speere waren lang. Sie könnten dem Adler gefährlich werden. Jetzt schlossen sie die Schilde zusammen. Sie überlappten sich wie die Schuppen eines Fisches und bildeten einen Wall aus Holz und Bronze.

Asfahal sah, dass die Beine der Krieger vom Knie abwärts ungepanzert waren. Er sollte sie reizen, damit sie aus ihrer Formation ausbrachen. Dafür müssten sie aber noch etwas näher kommen. Er erinnerte sich daran, wie Bidayn von den seltsamen Beleidigungen erzählt hatte, die Menschenkinder benutzten. Abstruse Behauptungen über Tiere oder Mütter oder Fäkalien – wenn man die richtigen Worte wählte, dann reagierten Menschenkinder völlig ohne Verstand. Leider hatte er nur ein paar Brocken ihrer Sprache gelernt. Schließlich hatten sie diese Nacht den Tod bringen und nicht plaudern wollen.

Weitere Krieger erschienen auf dem dunklen Hof und reihten sich in den Schildwall ein. »Ich mit Hund eurer Mutter habe geschlafen!«, rief Asfahal den Drusniern entgegen und hoffte, einen wilden Wutausbruch zu provozieren.

Die Worte hatten eine andere Wirkung als erwartet. Der Schildwall verharrte. Asfahal hörte die Krieger tuscheln.

Er durfte nicht länger warten. Immer mehr Kämpfer reihten sich in die Formation ein. Sie würden ihn und Starkfuß einfach umringen, wenn er nichts unternahm. Er stürmte vor, machte eine tiefe Grätsche und stieß sein Schwert unter den Schilden hindurch. Speere zuckten vor und stießen über ihn hinweg, während seine Klinge Fleisch und Knochen zerteilte. Zwei Krieger stürzten schreiend. Eine Lücke klaffte im Wall. In diesem Moment stieß der flügellahme Adler einen wilden Schrei aus, erhob sich und stürmte mit wippenden Schritten ebenfalls den Drusniern entgegen. Sein mächtiger Schnabel schmetterte auf Bronzehelme, seine Krallenfüße rissen Männer zu Boden. Er brach durch die Formation der Feinde, und Asfahal folgte ihm.

Dicht hintereinander liefen sie in Richtung der breiten Terrasse, auf der die lange Halle stand. Männer mit Fackeln sammelten sich dort. Ein Pfeil verfehlte den Elfen um zwei Fingerbreit, Starkfuß hatte weniger Glück. Etliche Geschosse trafen ihn. Der Adler pickte nach Pfeilen, die ihn getroffen hatten, und riss sie sich aus dem Fleisch. Asfahal überholte ihn und versuchte, ihn gegen die Geschosse zu schützen. Einige Pfeile schlug er mit dem Schwert aus der Luft, doch dadurch wurde er selbst mehr und mehr zum Ziel der Bogenschützen. Die Speerträger, die den Schildwall gebildet hatten, hatten sich von ihrem Schreck erholt und gingen erneut gegen sie beide vor.

Als sie bedrohlich nahe waren, ging Starkfuß erneut zum Angriff über. Doch jetzt zeigte sich der Wall aus Bronze unerschütterlich. Die Krieger knieten nieder, ihre Speere auf die Brust des großen Vogels gerichtet, der nicht mehr in den Himmel steigen konnte.

»Nicht!«, schrie Asfahal, als er sah, wie sich Starkfuß mit Todesverachtung den Speerspitzen entgegenwarf. Ein Pfeil schrammte über seinen Handrücken, ein zweites Geschoss zerrte an seinem Haar. Neue Bogenschützen waren aus dem Dunkel der Nacht aufgetaucht. Sie nahmen ihn nun von drei Seiten unter Beschuss.

Noch bevor Starkfuß auf die Linie der Menschenkinder auftraf, steckten schon mehrere Speere tief in seiner Brust. Dennoch riss er einige Krieger mit sich zu Boden. Selbst tödlich verwundet, hackte sein Schnabel nach dem warmen Fleisch der Feinde.

Ein Schatten fiel vom Himmel, mitten in das Getümmel um den sterbenden Vogel. Mondlicht brach sich auf der silbernen Klinge, die Starkfuß durch das linke Auge tief in den Schädel drang. Die Menschenkinder schrien in Panik auf. Und dann gebar die Nacht weitere Schatten und funkelnde Klingen.

WIE IN ALTEN ZEITEN

»Und wo ist das Traumeis?«

Kolja schenkte ihm ein kühles Lächeln. »Wenn ich dir das sage, welchen Grund hättest du, mich am Leben zu lassen. Ich hatte gehofft, dass du mir verzeihen könntest. Wie ich bereits sagte, es war mein Verrat, der dich zu einem Mann mit Weib und Kind und letztlich sogar zum Unsterblichen gemacht hat.«

Volodi atmete schwer ein. Er sollte Kolja eigentlich nicht verzeihen. Und doch hatte das Schlitzohr es geschafft, ihn für sich zu gewinnen. Das Traumeis – es war wie sein Name. Es beflügelte zu großen Träumen, und zugleich jagte es Volodi eisigen Schrecken ein. Er wusste, er war nicht der Mann, der dazu geschaffen war, mit diesen wundersamen Kristallen die Welt zu verändern. Ihm fehlten die Visionen. Aber Aaron, wenn er an das Traumeis gelangte, würde er es nutzen, um die Daimonen ein für alle Mal zu vertreiben und allen drei Welten Frieden zu schenken! Er dachte an die gefiederte Schlange mit dem Goldenen Kopf, die dem Blutteich bei der Pyramide entstiegen war. Kannten auch die Zapote das Geheimnis dieser Kristalle? Hatten sie so dieses Ungeheuer erschaffen?

»Hast du diesen seltsamen Wolkensammler nach deinem Willen erschaffen?«, fragte er schließlich.

Kolja schüttelte den Kopf. »Nein. Ich glaube, es waren seine eigenen Wünsche. So wie bei mir. Jeden Tag habe ich dem Gesicht, das ich verloren hatte, nachgetrauert und meinem Arm …«