Draußen - Felicia Englmann - E-Book

Draußen E-Book

Felicia Englmann

4,8

Beschreibung

Hartz IV mag der Tiefpunkt des Sozialstaats sein – markiert aber noch lange nicht den untersten Rand der Gesellschaft. Abseits unserer bürgerlichen Gesellschaft existieren Menschen, einzeln oder in Gruppen, die in einem eigenen Kosmos dahinvegetieren und allein auf sich gestellt sind. Keine Behörde ist oder fühlt sich zuständig oder kümmert sich gar um sie. Neben Obdachlosen, Drogenabhängigen und Kriminellen gibt es Subwelten wie den Arbeitsstrich oder mafiaähnliche Clans von Vietnamesen, Arabern und anderen ethnischen Gruppen, die nach eigenen Gesetzen leben. Auch die Zahl der Alten, die ohne Kontakt zu staatlichen Institutionen ihr Dasein fristen, steigt ständig. All diese Menschen machen eines deutlich: Die Maschen des sozialen Netzes werden immer größer. Es ist höchste Zeit, genau hinzusehen statt wegzuschauen. Der mehrfach ausgezeichnete Journalist Detlef Vetten hat nicht nur hingesehen, sondern am eigenen Leib mitgespürt und erlebt. Er hat sich auf die Suche nach den verschiedenen unbekannten Welten gemacht und ist in mehreren Selbstversuchen in diese unbekannten Parallelwelten eingetaucht. Er hat Menschen getroffen, die ein Leben führen, wie wir es uns nicht ausmalen wollen. Das Ergebnis sind Porträts von Menschen und von ihrer Lebenswelt am Rande dessen, was wir ertragen – und ein eindringliches Plädoyer für mehr Solidarität in unserer Gesellschaft.

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Felicia Englmann (Hrsg.)

Draußen

Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Inhaltsverzeichnis
Sich nach draußen begeben – Ein Vorwort
Deutschland umsonst – Von Michael Holzach
Die Hoffnungsreisenden – Von Özlem Gezer
Auf dem Arbeitsstrich – Von Detlef Vetten
Unter Lohndrückern – Von Massimo Bognanni
Mein Monat mit Hartz IV – Von Sebastian Pantel
Unter Null. Die Würde der Straße – Von Günter Wallraff
Franziska, 7 Euro: Ein Selbstversuch – Von Sibylle Hamann
24 Stunden in der Haut eines Zimmermädchens – Von Géraldine Levasseur
»Was haben Sie denn da?« – Von Alan Posener
Obdachlos im Winter des Geldes – Von Tobias Krüger und Heiko Gärtner
Ich höre, wie das Münster aussieht – Von Peter Gerber
Plötzlich behindert – Von Felicia Englmann
Maria und Josef im Ghetto des Geldes – Von Henning Sußebach

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2013

© 2013 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlagabbildung: iStockphoto.com

eBook Umsetzung: Georg Stadler, München

ISBN 978-3-86414-437-0 

Sich nach draußen begeben – Ein Vorwort

Die Wahrheit ist schnell recherchiert. Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit waren im September 2012 in Deutschland 6,1263 Millionen Menschen nicht erwerbstätig – weil sie keine Arbeit finden, Kinder betreuen, krank sind oder wegen einer Behinderung nicht arbeiten können. 2,788 Millionen Menschen waren arbeitslos im engeren Sinn, weil sie erwerbsfähig sind, aber keinen Job haben. 4,5 Millionen Menschen beziehen Arbeitslosengeld II, auch »Hartz IV« genannt – weil sie seit Langem keinen Job finden, nicht arbeiten können oder weil der Lohn nicht zur Grundsicherung reicht. 7,3 Millionen Schwerbehinderte leben laut Statistischem Bundesamt in Deutschland. Nicht jeder von ihnen findet Arbeit. Nicht jeder kann arbeiten. Arbeit und damit Einkommen sind jedoch die wichtigsten Schlüssel zur Teilhabe an der Gesellschaft. Wer »draußen« ist, entscheidet die finanzielle Situation: Haste nix, biste nix. Denn Leistungsgesellschaft bedeutet heute, dass in ihr derjenige Erfolg hat, der am meisten verdient – und nicht unbedingt derjenige, der am meisten leistet oder am härtesten arbeitet. Niedriglöhne und Zeitarbeitsverträge haben zur Folge, dass mancher auch bei Vollbeschäftigung unter der Armutsgrenze lebt, manchmal unter dem Existenzminimum. Er kann »aufstocken« auf Hartz IV. Mancher verzichtet stolz und geht stattdessen ins Sozialkaufhaus oder zu einer der 900 Tafeln in Deutschland, die gespendete Lebensmittel an diejenigen verteilen, die sich nicht einmal mehr den Discounter leisten können.

Als arm gilt in Europa, wer über weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens seines Landes verfügt. In Deutschland waren es beim letzten Armutsbericht der Bundesregierung 12,7 Prozent. Der aktuelle Armutsbericht entfachte im Herbst 2012 Streit im die Definition von Armut – der sich auch darauf auswirken wird, wie eng oder weit der Staat künftig die sozialen Netze stricken wird. Deutlich zeigt der seit Herbst 2012 diskutierte neue Armutsbericht: Die reichsten 10 Prozent der Deutschen verfügen über mehr als die Hälfte des gesamten Privatvermögens in Deutschland. Die Hälfte der Bevölkerung hat dagegen keinen nennenswerten Anteil an diesem Gesamtvermögen – nur 1 winziges Prozent. Diese Menschen haben nahezu kein Erspartes, kein Vermögen. Jedes fünfte Kind in Deutschland ist arm, meldet zudem der Deutsche Kinderschutzbund. Jedes siebte Kind unter 15 Jahren lebt von Hartz IV, verrät die Statistik zur Grundsicherung der Bundesagentur für Arbeit.

Dass hinter all den Zahlen Menschen und Schicksale stehen, ist schnell dahingesagt. Wie sich das Leben am Rand der Gesellschaft anfühlt, wie schnell man draußen sein kann und wie einen dann diejenigen betrachten, die drinnen sind, das steht jedoch nicht in den Zahlen. Einige mutige Journalisten haben es sich zum Ziel gesetzt, das Leben am Rande der Gesellschaft zu erkunden. Es mit ihren Reportagen hineinzuholen in die guten Stuben der Leistungsgesellschaft. Mit ihren Selbsterfahrungsberichten tragen sie ein Stück weit dazu bei, dass die Menschen draußen Gesichter bekommen, Stimmen und Stimmungen. Im Internet nachschlagen kann jedermann. Das Verdienst der Reporter im Selbstversuch ist, echte Menschen, echte Gefühle und echte Erfahrungen vorzustellen. Aus Zahlen echtes Leben zu machen. Wie es jeder eines Tages erleben kann – denn draußen ist man schneller denn je. Sogar das verraten die Statistiken der vergangenen Jahre. Der jüngste Armutsbericht. Die Tafel-Mitarbeiter, die von größer werdendem Andrang berichten.

Günter Wallraff und Michael Holzach gehören zu den Pionieren der Sozialreportage in Deutschland. Sie waren als Reporter schon »ganz unten« und »draußen«, als die Mehrheit ihrer Kollegen nur vom Schreibtisch aus oder in Gesprächen mit Sozialarbeitern über diejenigen berichteten, die mit dem Nötigsten zurechtkommen müssen. Wallraff und Holzach waren und sind Vorbilder vieler Kollegen, die ebenfalls ausprobieren, wie sich das Leben am Rande der Gesellschaft anfühlt.

Außer den Reportern ist niemand freiwillig dort. Draußen zu sein ist ein Tabuthema, immer noch. Wer kann, verschleiert seine Situation. Niemand steht gerne am Rand. Niemand ist stolz darauf, arm oder ausgegrenzt zu sein. Umso wichtiger ist es, auch diese Menschen im Blick zu behalten und ihre Lebenssituation zu verstehen. Die sich bemühen, den Anschluss an die Gesellschaft nicht völlig zu verpassen, denn das möchte niemand. Kein Teil der Gesellschaft mehr zu sein, die als normal gilt, ist das Schlimmste für diejenigen, die keine Arbeit finden, behindert sind, mit Niedriglohnjobs eine Familie durchbringen oder aus dem Ausland kommen, um in Deutschland ihr Glück zu versuchen. Oder für diejenigen, die auch das alles hinter sich gelassen haben und auf der Straße leben, draußen auch aus den sozialen Netzwerken und Hilfsmechanismen. Denn wer draußen ist, wird für den Rest der Gesellschaft schier unsichtbar.

Ein wenig mehr Wahrnehmung für diese Menschen zu entwickeln, ein wenig mehr Verständnis für ihre Situation, ihren Alltag, ihre Version der Realität in der Leistungsgesellschaft – das sind die Aufgabe und das Ziel der Autoren dieses Bandes. Ihre Reportagen wirken, indem sie für den Leser erfahrbar machen, was unvorstellbar erscheint: ein Leben am Rande der Gesellschaft. Wer aufmerksam liest, wird in diesen kurzen Einblicken sehen, dass draußen zu sein normaler ist, als er erwartet. Gesellschaft ist schließlich nichts Abstraktes, sondern die Summe ihrer Mitglieder. Jeder einzelne Mensch ist Gesellschaft. Daher ist auch kein Mensch jemals wirklich »draußen«. Er wird nur zum Außenseiter, zur Randgruppe, zum Schwachen gemacht – von den Normen, welche die Leistungsgesellschaft sich selbst aufgestellt hat. Die Menschen »draußen« sind mitten unter uns. Wir sehen sie nur nicht. Dieser Band soll dazu beitragen, sie sichtbar zu machen. Sie aus der Statistik und dem Armutsbericht herauszuholen als Bürger, die weniger Chancen und Glück hatten als andere, aber ihre Suche nach Glück und Erfüllung, innerhalb oder außerhalb der Normgesellschaft, nicht aufgegeben haben. Denn ob reich oder arm, am Ende zählt für den Einzelnen, ob er ein zufriedener Mensch ist. Und zufrieden ist, wer Achtung und Respekt erfährt – unabhängig vom Einkommen. Zufriedenheit lässt sich nicht messen, sondern nur erleben und erfühlen. Aber es ist die eigentliche Wahrheit.

Felicia Englmann (Hrsg.) München, im November 2012

Deutschland umsonst – Von Michael Holzach

Die Reportage von Michael Holzach ist ein Klassiker des deutschen Journalismus. Im Jahr 1982 wanderte er zu Fuß und ohne Geld von Hamburg an den Bodensee und zurück, nur begleitet von seinem Hund Feldmann. Holzach war Reporter bei derZeitund schrieb über soziale Themen. Sein BuchDeutschland umsonst. Zu Fuß und ohne Geld durch ein Wohlstandsland(Hoffman & Campe), aus dem hier folgende Auszug stammt, erzählt davon. Als der ungewöhnliche Reisebericht 1983 verfilmt werden sollte, stürzte Feldmann in Dortmund-Dorstfeld in die Emscher. Michael Holzach sprang ihm nach und ertrank. Er wurde 36 Jahre alt. In seinem Buch nennt er die Emscher »mein Totenreich«.

Erleichtert lasse ich die Beine fliegen, der Rucksack tanzt mir auf dem Rücken, Feldmann schießt aufgekratzt durch das Bergische Land. Es geht durch enge, geduckte Täler, über kleine, gedrungene Hügel, durch Wälder und Felder. Tiefe Wolkenbänke entladen sich immer wieder mit solcher Heftigkeit, dass mir das Wasser aus dem Bart läuft. Dann hellt es wieder auf, die Wälder beginnen zu schwitzen und dampfen in dichten Nebelschwaden die Nässe aus sich heraus. Laut Bibel hat die Sintflut vierzig Tage gedauert – diesmal scheint es der liebe Gott in der halben Zeit zu schaffen, denn das Land ertrinkt. Die Kühe stehen bis zum Euter im Morast, der einmal Weide war, feuchtes Getreide läßt die Köpfe schwer hängen, schwarze Heuhaufen faulen zu Kompost, überreife Wiesen sind längst fällig für den ersten Schnitt – es muss bald Juli sein!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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