Draußen im Dunkel - Cormac McCarthy - E-Book
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Draußen im Dunkel E-Book

Cormac McCarthy

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Beschreibung

«Ein Geschwisterpaar, das im Inzest ein Kind gezeugt und sich damit außerhalb der menschlichen Ordnung begeben hat. Das Neugeborene, das sein Vater namenlos im Wald aussetzt, wird für die beiden zur Inkarnation irdischer Verdammnis. Eine Geschichte von biblischer Wucht und antiker Unentrinnbarkeit in einer Sprache, die lapidare Alltagsdialoge und knappe, präzise Beschreibungen mit glühend-visionärem Pathos verbindet. Alles, die Figuren, die Südstaatenlandschaft, wirkt – und darin besteht McCarthys große Darstellungskunst – real und mythisch zugleich: Apokalypse im Wilden Westen.» (Frankfurter Rundschau)

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Cormac McCarthy

Draußen im Dunkel

Roman

 

 

Aus dem Englischen von Hans Wolf

 

Über dieses Buch

«Ein Geschwisterpaar, das im Inzest ein Kind gezeugt und sich damit außerhalb der menschlichen Ordnung begeben hat. Das Neugeborene, das sein Vater namenlos im Wald aussetzt, wird für die beiden zur Inkarnation irdischer Verdammnis. Eine Geschichte von biblischer Wucht und antiker Unentrinnbarkeit in einer Sprache, die lapidare Alltagsdialoge und knappe, präzise Beschreibungen mit glühend-visionärem Pathos verbindet. Alles, die Figuren, die Südstaatenlandschaft, wirkt – und darin besteht McCarthys große Darstellungskunst – real und mythisch zugleich: Apokalypse im Wilden Westen.» (Frankfurter Rundschau)

Vita

Cormac McCarthy wurde 1933 in Rhode Island geboren und wuchs in Knoxville, Tennessee auf. Für sein literarisches Werk wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Pulitzerpreis und dem National Book Award. Die amerikanische Kritik feierte seinen Roman «Die Straße» als «das dem Alten Testament am nächsten kommende Buch der Literaturgeschichte» (Publishers Weekly). Das Buch gelangte auf Platz 1 der New-York-Times-Bestsellerliste und verkaufte sich weltweit mehr als eine Million Mal. Mehrere von McCarthys Büchern wurden bereits aufsehenerregend verfilmt, «Kein Land für alte Männer» von den Coen-Brüdern, «Der Anwalt» von Ridley Scott und «Ein Kind Gottes» von James Franco. Cormac McCarthy starb im Juni 2023 in Santa Fe, New Mexico.

Impressum

Die Originalausgabe erschien im Jahr 1968 unter dem Titel «Outer Dark» bei Random House, Inc., New York.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juli 2013

Copyright © 1994 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

«Outer Dark» Copyright © 1968 by Cormac McCarthy

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung David Pearson

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen

ISBN Printausgabe 978-3-499-13908-6 (3. Auflage 2013)

ISBN E-Book 978-3-644-02271-3

www.rowohlt.de

Inhaltsübersicht

In der späten ...

Sie rüttelte ihn ...

Es war früher ...

Es regnete nicht ...

Im Zuckeltrab betraten ...

Der Sturm war ...

Querfeldein zuckelten sie ...

Sie wusste nicht, ...

Er marschierte die ...

Er hatte einen ...

Irgendwann nachts hörte ...

Er marschierte hangab ...

Die beiden Hunde ...

Er marschierte weiter; ...

Die schmerzenden Brüste ...

Auf dem Hügel ...

Der Straßenschlamm hatte ...

Holme tappte, den ...

Sie kam aus ...

An einem schönen ...

Über dem schattengestreiften ...

Holme humpelte aus ...

Am späten Nachmittag ...

In späteren Jahren ...

In der späten Nachmittagssonne langten sie oben am Steilufer an, ihre Schatten dehnten sich über Schneidegras und versengtes Ried, langsam zogen sie hintereinander dahin, hoch über dem Fluss und ähnlich unerbittlich wie er, blieben stehen, rückten einen Moment lang zusammen und schritten weiter, ein breiter Scherenschnitt vor der Sonne, stiegen dann unter dem Hügelkamm in eine blauschattige Bodenfalte hinab, das Licht umgab ihre Köpfe mit einem falschen Heiligenschein, bis die Sonne endgültig untergegangen war und sie endgültig im Schatten marschierten, was ihnen sehr zupasskam. Bei vollständiger Dunkelheit erreichten sie den Fluss und machten ein kleines Lagerfeuer, hinter dem ihre Schemen ein namenloses schwarzes Ballett tanzten. Sie bereiteten sich irgendetwas in ihren schlichten Gefäßen zu und legten sich anschließend in voller Montur schlafen, hingerekelt auf festgetretenem Schlamm, die Münder aufgesperrt zu den Sternen.

Mit dem ersten Tageslicht waren sie wieder rege, der Bärtige erhob sich, stieß mit dem Fuß die zwei anderen wach, noch immer fiel kein einziges Wort, sie fachten ihr Feuer neu an, verteilten ihre zerbeulten Näpfe darauf, gingen in die Hocke und aßen mit Jagd-messern wortlos ihr Mahl; danach stand der Bärtige auf, stellte sich spreizbeinig vors Feuer und hüllte die beiden anderen in eine stinkende weiße Rauchschwade, worauf sie jäh und ohne Vorwarnung in ein stummes Gerangel ausbrachen, ebenso jäh wieder einhielten, ihre vergammelten Sachen aufhoben und dann westwärts am Fluss entlang weiterzogen.

Sie rüttelte ihn wach ins lautlose Dunkel. Scht, sagte sie. Hör auf zu brüllen.

Er fuhr hoch. Was?, sagte er. Was?

Sie rüttelte ihn wach, vom Dunkel ins Dunkel, vom tobenden Pöbel unter der schwarzen Sonne in eine noch schmerzensreichere Nacht; leise fluchend saß er aufrecht im Bett, das er mit ihr und der namenlosen Bürde in ihrem Bauch teilte.

Wach aus diesem Traum:

Auf einem öffentlichen Platz stand ein Prophet mit mahnend erhobenen Armen vor einer zerlumpten Menge. Vor einer Abordnung menschlicher Wracks mit blinden verdrehten Augen, schrundigen Gliederstümpfen und schwärenden Wunden. Die Sonne stand kurz vor Beginn einer Eklipse, und der Prophet sprach. Gleich verfinstere sich die Sonne, alle Seelen hier seien, noch ehe sie wieder erscheine, von ihren Gebrechen geheilt. Auch der Träumende befand sich unter den Demütigen, und als der Segen erteilt war und die Sonne allmählich schwarz wurde, drängte er sich nach vorne, hob die Hand und rief. Und ich, rief er. Kann ich geheilt werden? Der Prophet senkte den Blick, wie erstaunt, ihn hier unter den Parias zu sehen. Die Sonne stockte. Der Prophet sagte: Ja, auch du wirst geheilt werden. Da schrumpfte auf einmal das Licht, und Finsternis brach herein wie ein Schrei. Überkroch zuletzt auch die drahtdünne Korona. Die Menschen warteten. Nichts regte sich. Sie warteten lange, es wurde kühl. Oben hingen die Sterne einer anderen Jahreszeit. Unruhe kam auf und Gemurmel. Die Sonne kehrte nicht wieder. Kalt wurde es, noch schwärzer und stiller; einige fingen zu schreien an, einige ließen den Mut sinken; die Sonne tauchte einfach nicht wieder auf. Der Träumende begann sich zu fürchten. Stimmen erhoben sich gegen ihn. Die Menge strömte zu ihm nach vorne, der Mief ihrer Fetzen stieg ihm in die Nase. Noch wilder wimmelten die Schäbigen um ihn herum; er versuchte sich zwischen ihnen zu verbergen, aber sie erkannten ihn auch noch in diesem Schlund der dunklen Verzweiflung und fielen über ihn her mit gellem Geheul.

 

Am nächsten Morgen hörte er schon von weitem im Wald das Glöckchengebimmel des Kesselflickers; er stand auf und wankte zur Tür, um nachzusehen, was für ein neues Übel das sein könnte. Seit ungefähr drei Monaten war niemand zur Hütte gekommen; sooft jemand zufällig oder in unklarer Absicht an diesem abgeschiedenen Ort auftauchte, stürzte er aufgelöst und wie rasend auf die Lichtung hinaus. Einmal die Woche stapfte er vier Meilen weit durch den frischen Frühlingsschlamm zum Laden und wieder zurück, im Gepäck das wenige, das sie benötigten. Maismehl und Petroleum. Süßigkeiten für sie. Als der Kesselflicker in trunkenem Lärm seinen klirrenden Karren über die Lichtung zog, stand der Mann da und wedelte wild mit den Armen, als wolle er einen Fluch abwehren. Der Kesselflicker, ein mit grauem Haarwust gekrönter Gnom, blickte auf und musterte ihn mit milden grauen Augen.

Hier iss jemand krank, rief der Mann. Bei uns iss’ne Krankheit ausgebrochen.

Der Kesselflicker, rückwärts gegen den Lauf des Karrens gestemmt wie ein störrisches Maultier, trat noch ein paar kurze Schritte näher, blieb stehen, ließ die Deichsel sinken und fuhr sich mit dem Ärmel seines zerschlissenen blauen Kittels über die Stirn. Was für’ne Krankheit denn?, sagte er.

Der Mann, noch immer fuchtelnd, schritt auf ihn zu, seine Arbeitsstiefel lautlos auf einer Schicht aus Kiefernnadeln, das einzige Geräusch auf der Lichtung das blecherne Klappern der auspendelnden Eimer am Karren.

So’ne Art fiebrige Erkältung, sagte der Mann. Bleiben Sie lieber weg.

Der Kesselflicker reckte den Kopf. Wer’n ja wohl nich gleich die Pocken sein.

Neenee. Der Arzt war schon da. Hat gesagt, ’s darf keiner nah ran.

Wer isses denn? Eins von’n Kleinen?

Nein. Meine Schwester. Außer uns zweien gibt’s hier niemand.

Tscha, also dann wünsch ich ihr gute Besserung. Braucht ihr was? Hätt alles Mögliche für’n Haushalt, vom Bindfaden bis zur Bratpfanne. ’n paar eins a Messer. Dupont-Pulver und jede Menge Munition. Kaffee und Tee, wenn der Pfarrer ma’ kommt. Und außerdem – der Kesselflicker senkte die Stimme und spähte schlau in die Runde – und außerdem den besten Maiswhiskey, den Sie sich je in die Gurgel gekippt ha’m. Iss mein letzter Pott, raunte er mit mahnend erhobenem Finger.

Hab aber kein Geld, sagte der Mann.

Hm, sagte der Kesselflicker nachdenklich. Passen Sie ma’ auf. Ich helf ja gern, wo ich kann. Hätten Sie eventuell was zum Tauschen? Vielleicht kommenwer irgendwie ins Geschäft. Was Neues und Schnuckliges, das bringt Ihre Schwester garantiert wieder auf die Beine. Ich hätt da’n paar hübsche Hauben …

Neenee, sagte der Mann und scharrte mit der Fußspitze im Staub. Ich brauch nix. Trotzdem dankschön.

Nix für die Lady?

Nee, danke. ’s geht ihr schon wieder einigermaßen.

Der Kesselflicker lugte an ihm vorbei zur baufälligen Hütte und horchte in die Stille ringsum. Gucken Sie ma’, sagte er.

Was denn?, sagte der Mann.

Der Kesselflicker winkte ihn mit dem Zeigefinger heran. Ich zeig Ihnen was, sagte er. Hier.

Was denn?

Der Kesselflicker durchstöberte seinen Kram und langte in einen schmierigen Leinenbeutel. Dann zog er ein Heftchen heraus und drückte es dem Mann verstohlen in die Hand.

Der Mann starrte das Heft an, schlug es auf und blätterte die schlampig bedruckten Wurstpapierseiten durch.

Könn’Sie lesen?

Nee. Nich besonders.

Macht nix, sagte der Kesselflicker. Sind Bilder drin. Hier. Er griff sich das Heft, stellte sich vertraulich neben den Mann, schlug eine Seite auf und präsentierte die armselige Zeichnung eines grotesk koitierenden Paars.

Na, wie finden Sie das?, sagte der Kesselflicker.

Der Mann schob das Heft weg. Nee, sagte er. Ich brauch nix. Sie entschuldigen. Ich muss wieder zu meiner Schwester.

Tscha, dann nix für ungut, sagte der Kesselflicker. Wollt Sie halt einfach ma’ reinlinsen lassen. Tut ja keinem weh, oder?

Nee. Trotzdem, ich muss jetz. Vielleicht brauch ich was, wenn Sie’s nächste Mal wiederkommen … Er trat zurück. Der Kesselflicker, das Heft in der Hand, stand immer noch da; die Habgier in seinem Gesicht war leisem Ärger gewichen.

Na denn. War ja bloß ma’ne Frage. Ich wünsch Ihnen was. Und Ihrer Schwester auch.

Dankschön, sagte der Mann. Er drehte sich um und hob zum Abschied zaghaft den Arm; dann vergrub er die Hände im Overall und marschierte zur Hütte.

In’n paar Tagen bin ich wieder im Land, rief der Kesselflicker hinter ihm her. Der Mann ging weiter. Der Kesselflicker spuckte aus, stellte sich zwischen die Deichselstangen, hievte sie hoch, wendete den scheppernden Klapperkarren und zog zurück durch den Wald.

Der Mann war direkt vor der Tür stehen geblieben, stützte den Fuß auf die Schwelle und blickte dem Kesselflicker nach, bis er verschwunden war. Eine Weile hörte er noch das Scheppern und Rasseln des über die zerschrundete Landstraße wankenden Karrens; dann ebbte das Geräusch ab und wich schließlich dem sanften Rauschen der Kiefern, dem Gesumm der Insekten. Er trat in die Hütte.

Culla, sagte sie.

Ja.

Hat der Hausierer auch Kakao?

Nein. Ich hätt so gern mal’ne Tasse Kakao.

In eine schmuddlige Steppdecke gehüllt, hockte sie auf dem Stuhl, stützte die Füße auf den unteren Steg und betrachtete den kargen Kamin, auf dessen Asche das Mittagslicht lag und aus dem ihre zitternde Stimme zurückhallte.

Er iss wieder fort, sagte der Mann. Hat eh nix gehabt.

Sie schauderte leicht. Sollen wir heut Abend mal Feuer machen?

Iss doch garnich so kalt.

Heut Nacht isses kälter geworden. Hast du selber gesagt. Ich hätt so gern mal abends’n warmes Feuer. Wenn’s richtig kalt wird, machen wir uns dann eins?

Er lehnte am Türrahmen und schnitt mit dem Taschenmesser dünne Spankringel heraus. Vielleicht, sagte er, ohne zuzuhören; er hörte nie zu.

 

Drei Tage nach dem Besuch des Kesselflickers setzten die Wehen ein. Sie sagte: Ich hab Schmerzen.

Isses so weit? sagte er; er saß auf dem Bett, fuhr hoch und starrte durchs kleine Fenster hinüber zum dichten Kiefernwald.

Weiß nich, sagte sie. Wahrscheinlich.

Er fluchte leise vor sich hin.

Holst du sie dann?

Er schaute sie an und sah wieder weg. Nein, sagte er.

Sie lehnte sich auf dem Stuhl nach vorne und blickte durchs Zimmer, die Augen riesig im schmalen Gesicht. Du hast gesagt, wenn’s so weit iss, dann holst du sie.

Garnich wahr, sagte er. Ich hab gesagt, vielleicht.

Hol sie, sagte sie. Jetz hol sie doch bitte.

Geht nich. Dann erzählt sie’s bloß rum.

Wem denn?

Allen.

Und wenn du ihr’n Dollar gibst? Kannst ihr nich einfach’n Dollar geben, dass sie’s nich rumerzählt?

Nein. Außerdem isse bloß so’ne olle Niggerhexe.

Sie iss’ne Wehmutter und hat schon viele Babys zur Welt gebracht. Hast selber gesagt, dass sie das macht.

Sie hat’s gesagt. Ich nich.

Er hörte sie wimmern. Ein leiser glucksender Laut; sie ruckte hin und her. Nach einer Weile sagte sie: ’s geht wieder los. Willst du sie nich endlich holen?

Nein.

Es hatte wieder zu regnen begonnen. Die Sonne hing bleich und fahl über dem Wald. Er marschierte zur Lichtung hinaus und spähte hinauf zum farblosen Himmel. Als wolle er etwas sagen. Nach einer Weile leckte er sich das perlige Nass von der Lippe und ging zurück in die Hütte.

 

Es wurde dunkel, und jetzt machte er endlich Feuer; ab und zu ging er mit der abgewetzten Axt nach draußen und hackte Holz, durchkämmte dann mit der Lampe die nähere Umgebung nach alten Baumstrünken, spaltete sie, löste sie vom verrotteten Kern, trug die harten verwitterten Scheite in die Hütte und stapelte sie neben dem Kamin.

Sie lehnte inzwischen im Bett, noch immer die zerschlissene muffige Decke um sich. Immer wieder packte sie die schmale eiserne Kopfstange, bäumte sich langsam und hechelnd auf und fiel dann wie ein verwundeter Vogel aufs Bettzeug zurück.

Er fragte sie nicht mehr danach. Er saß auf dem Stuhl, fachte das Feuer an und wartete einfach ab.

Wenn sie bloß endlich still wären, sagte sie.

Wer?

Die Viecher.

Er hatte geistesabwesend in der Glut gestochert und zog den Schürhaken aus dem Feuer. Irgendwo zwischen dem pfeifenden Wind und dem aufs Teerpappendach prasselnden Regen hörte er einen Hund heulen. Die tun dir doch nix, sagte er.

Er hörte das Eisen unter ihren Fingern quietschen, das Knarren der Sprungfedern unterm gekrümmten Leib. Ein paar Minuten später sagte sie: Trotzdem wär’s schön, wenn sie endlich mal still wären.

 

Sie wollte nichts essen. Er stellte eine Pfanne auf den Ziegelstein vor dem Feuer, wärmte sich einen Maisfladen auf und verzehrte ihn mit dem Rest kalten Fleisches, das er im Laden besorgt hatte. Dann holte er die Axt unter dem Bett hervor und marschierte noch einmal hinaus zum Holzhacken. Es regnete noch, aber der Wind hatte nachgelassen; irgendwo am Fluss hörte er das dumpfe Gebrüll eines Alligators. Zurück in der Hütte, stellte er die Axt in die Ecke, stapelte das Holz und hockte sich wieder vors Feuer. Eine Weile saß er so da; dann rief sie nach ihm.

Was iss? sagte er.

Bitte leg doch’s Beil wieder unters Bett. Ich glaub, davon wird’s bissel besser. Und außerdem bringt’s Glück.

Gegen Morgen rief sie erneut.

Ja?, sagte er.

Was iss’n das?

Ich seh nix.

Hier. Hier bei mir.

Er trat ans Bett. Sie legte seine Hand auf den groben Matratzenbezug.

Dein Fruchtwasser iss abgegangen, sagte er.

Der Regen hatte aufgehört; graues Licht leckte über die Fensterscheibe. Nichts war zu hören, bis auf das leise Getrippel der Wassertropfen am Dach; nichts regte sich, bis auf den träge wabernden Dunst über der Lichtung, hinter der schwärzlich die Bäume aufragten.

’s iss schon Morgen, sagte er.

Ich hab kein Auge zugetan.

Er hielt Wache am Fenster, sein Gesicht ebenfalls schlaflos und abgespannt. ’s klärt sich scheint’s auf, sagte er.

Ob’s unter der Asche noch Glut hat?

Er stellte sich vor den Kamin, stocherte in der Asche herum und blies sie an. Ich glaub nich, dass es heut früh da draußen noch irgendwo’n trockenen Stecken gibt.

Die Sonne ging auf und hing dann als kleiner heißer Mittelpunkt am Himmel. Der Mann stand im Hof, sein Schatten eine Pfütze zu seinen Füßen, ein dunkler Fleck. Worin er losmarschierte. Einen zerbeulten Emaileimer in der Hand, zog er in Richtung Quelle, einen Waldpfad entlang, durch kniehohen Farn, auf einem verrotteten Knüppeldamm über ein blassgrünes Fenn in einen Fichtenhain, durch Hartholzgestrüpp, über weichen Humus- und Flechtengrund, bis er schließlich vor einem moosbewachsenen Felshügel stand, unter dem das Wasser klar und kalt übers sonnenfarbene Sandbett sprudelte. Er bückte sich mit dem Eimer und sah mit blutunterlaufenen Augen einem davonhuschenden Leopardfrosch nach.

Zurück auf der Lichtung, hörte er sie rufen. Er hastete hinüber zur Hütte, das Wasser schwappte über den Eimerrand und netzte die Beine seines Overalls. Okay, sagte er. Ich bin ja da.

Aber es war immer noch nicht passiert.

’s tut so weh, sagte sie.

Dann machen wir mal weiter.

Erst am Nachmittag war es so weit. Er stand vor dem Bett; mit wirrem Blick und stöhnend bäumte sie sich auf, seine Hände fühlten sich riesengroß an. Pschsch, sagte er.

Kannst du sie nich doch holen?

Nein. Pschsch.

Sie wand sich unter den Wehen; er dachte, sie müsse sterben. Aber es war nicht der Tod, mit dem sie bis in den schwindenden Tag hinein rang.

Am späten Nachmittag stand er auf und marschierte hinaus auf die Lichtung. Tauben flogen flusswärts vorüber. Er hörte sie gurren. Dann ging er wieder hinein; sie war inzwischen aus dem Bett gekrochen oder gefallen, lag auf dem Boden und umklammerte das Bettgestell. Er dachte schon, sie sei tot; sie starrte nach oben, ihr Blick war vollkommen leer. Dann verkrampfte sie sich und begann zu schreien. Mit Mühe hob er sie wieder aufs Bett. Der Kopf war in einem pulsierenden Blutstrom durchgebrochen. Er stützte das Knie aufs Bett und hielt sie fest. Zog es eigenhändig heraus: den schmächtigen Körper mit der Nabelschnur, die sich ringelwurmhaft auf den blutschlierigen Decken wand, ein mangoldfarbenes Wesen blickte ihn an wie ein gehäutetes Eichhörnchen. Er zupfte ihm mit den Fingern den Schleim vom Gesicht. Es blieb völlig reglos. Dann beugte er sich zu ihr hinunter.

Rinthy.

Sie drehte den Kopf. Ferner Blick, leises Flattern der bleichen Lider. Ich hab’s geschafft, sagte sie. Jetz hab ich’s endlich geschafft, ja?

Ja.

Herr des Himmels, sagte sie.

Als er es hochhob, begann es zu schreien. Wie einen Garnwickel nahm er die Nabelschnur, durchtrennte sie mit seinem grifflosen Klappmesser und band sie an beiden Enden ab. Tiefes Dunkel lag in der Hütte. Seine Arme waren bis zu den Ellbogen mit Blut befleckt. Er holte ein paar waschweiche Zwillichtücher und befeuchtete eines im Wassereimer. Dann rieb er das Kind ab und hüllte es in ein trockenes Handtuch. Es schrie immer noch.

Was isses denn?, sagte sie.

Was?

Das Kind. Was isses?

’n Junge.

Aha, sagte sie.

’n ziemlicher Mickerling.

Hört sich aber garnich so an.

Glaub nich, dass er durchkommt.

Hört sich doch quietschfidel an.

Schlaf mal lieber’ne Runde.

Schön wär’s, sagte sie. Ich war noch nie so müd.

Er stand auf, marschierte zur Tür und blieb, den Ellbogen am Pfosten und den Kopf am Unterarm, einen Moment lang im gedehnten viereckigen Abendlicht stehen. Dann öffnete er seine Hand und schaute sie an. Getrocknetes Blut rieselte als feiner Staub aus den Linien. Nach einer Weile ging er wieder hinein, goss Wasser in die Blechschüssel, wusch sich langsam und gründlich Hände und Arme. Als er ans Bett trat und sich mit dem Handtuch das Gesicht abwischte, war sie bereits eingeschlafen.

Das Kind schlummerte ebenfalls, sein Greisenantlitz gerötet und runzlig, die kleinen Hände zu Fäusten geballt. Er bückte sich, zog das Handtuch zurecht und nahm das Kind in die Arme; dann warf er noch einmal einen Blick auf die Frau, ging hinüber zur Tür und marschierte nach draußen.

 

Schatten kerbten und plissierten die sandige Landstraße, lagen dunkel unter den Kiefern und Zedern, ein Geigenkorpus über den schlanken Umrissen von Schilf. Schatten, die trotz aller Kurven die Richtung hielten. Ab und zu blieb er stehen, hielt sachte das Kind und lauschte.

An der Brücke verließ er die Straße und schlug einen Uferpfad ein; der angeschwollene Fluss strömte in blutroter Gischt zwischen den Holzstreben hervor und fächerte böse zischend in den Tümpel darunter. Das Kind behutsam im Arm, ging er den Pfad entlang, fiel dann in eine Art Trott und spähte dabei mit halbem Auge zum Himmel, als laufe er um die Wette mit der Sonne, mit den dunkelnden Schatten. Eine halbe Meile flussab stieß er auf einen Bach, einen Strom bernsteinfarbenen Sumpfwassers, das der Fluss von hohen Grasbänken in eine schmale Lache von dunkler Reinheit sog. Hier verließ er das Ufer und schwenkte wieder in einen Waldweg ein.

Die Landschaft war flach und sumpfig, Ried und Binse, bebuschte Bühel zwischen verkrüppelten Bäumen. Er bog vom Bach ab, gelangte auf trockeneren Grund und zog dann in halbem Laufschritt durch einen Erlenhain, bis er vor einem kleinen Kolk stand; ein Reiher brach träge hervor und stieg mit schwerem mächtigem Flügelschlag in die Höhe.

Vor Einbruch der Dunkelheit erreichte er wieder den nun schmaleren und klareren, von Entengrütze und Brunnenkresse gebremsten Bach; die grüne Aue dehnte sich unter den spärlichen Baumdecken überallhin, kupferne Dunstschleier durchflorten das Zwielicht wie kostbarer Staub. Das Kind war aufgewacht und begann zu weinen. Er marschierte zu einer Pappelgruppe; der Boden war mit salpetergrün schimmerndem Moos bewachsen; er prüfte es kurz mit der Fußspitze und legte dann das Kind darauf. Es wimmerte rotfleckig in die hereinbrechende Nacht. Er wich zurück und betrachtete es stumm. Es trat das Handtuch weg und lag nackt mit strampelnden Beinen. Er kniete sich auf die klamme Erde und deckte es wieder zu; dann stand er auf und tappte, ohne sich noch einmal umzublicken, durchs Dickicht davon.

Er nahm den Rückweg nicht am Bach entlang, sondern zog querfeldein und orientierte sich dabei am schwachen Lichtschein im Westen. Die Luft war feucht, es windete. Die Nacht sank lang und kühl auf die Bäume, gespenstische Stille stellte sich ein. Als gehe etwas um, wovor es den Grillen und Nachtvögeln graute. Er marschierte schneller. Als es dann vollständig dunkel war, verirrte er sich in einem Sumpfwald; halb rennend quälte er sich über den pfatschenden Moorboden. Den Fluss erreichte er nicht, dafür wieder den Bach. Oder einen anderen Bach. In fliegender Hast folgte er seinem Lauf, die Bäume begannen ihn einzukreisen, dräuend schaurige Schemen, hochgereckt wie riesige Androiden, erzürnt über dieses fremdartige schmächtige Wesen, das da an ihnen vorbeischrammte. Längst schon hätte er am Fluss sein müssen, aber noch immer jagte er durch den Wald, die Hände tastend ins Dunkel gestreckt. Irgendwann begann er zu taumeln; in seiner Brust krallte sich eine kalte Klaue nach oben. Schließlich gelangte er wieder an den Bach; er nahm ihn erst wahr, als er bis zu den Oberschenkeln hineingeplatscht war. Laut keuchend blieb er stehen und lauschte. In sehr weiter Ferne blitzte es, und noch einmal, lautlos. Das Nass strömte düster um ihn herum. Er spuckte aus. Der Speichel schimmerte fahl auf dem Wasser, begann zu kreisen und glitt dann unbegreiflicherweise bachaufwärts, in die Richtung, aus der er gekommen war. Er drehte sich um und sah ihm ungläubig nach. Tunkte den Arm ins Wasser. Es schien vollkommen reglos. Erneut spuckte er aus; erneut blinkte der Batzen und schlierte verkehrt herum. Er wankte aus dem Wasser und begann wie rasend zurückzuhetzen, durch Büsche und Sumpfgewächse, stürzend, aufstehend, weiterhastend.

Er brach aus der Pappelgruppe hervor auf die Lichtung, schlug kopfüber hin und blieb liegen. Und wie er so dalag, die Wange am Erdboden, fuhr ein ferner Blitz bläulich den Himmel herab, und er sah die Welt wie ein Vogel durch den ersten Riss in der Eischale, ein grelles Zucken von Dunkel zu Dunkel, ein letzter Lichtschein über der Höhle, über dem formlosen weißen Plasma, das auf dem prallen Moosnest strampelte wie ein ausgemergelter Moorhase. Hätte das Kind nicht geschrien, dann hätte er es für eine beinlose Ausgeburt seiner Furcht gehalten.

Wimmernd und schluchzend heulte es seinen Fluch über den Pfuhl seiner Geburt; und er lag mit ohnmächtig klappernden Kiefern da und wehrte sich gegen die Nacht, wie ein verrückter, vom Wehklagen der Vorhölle umdrohter Paraklet.

Es war früher Morgen, als der Kesselflicker auf der Brücke erschien; mit hüpfenden Schritten tauchte er aus dem Wald, quick wie ein Bühnenzwerg nach dem Abgang der Hauptdarsteller. Blickte straßauf und straßab. Zufrieden verließ er die Brücke, schlug den Uferpfad ein und marschierte mit bizarrem, koboldhaftem Schwung krummrückig durchs Schilf. Die Sonne stand schon ziemlich hoch; das Farnkraut am Flussrand dampfte in der zunehmenden Wärme. Der Kesselflicker summte ein Liedchen vor sich hin.

An der Bachmündung angelangt, suchte er einen Übergang und fand schließlich ein Stück stromauf eine schmale Stelle. Als er auf der anderen Seite den Uferpfad erreichte, war von den Fußspuren, denen er folgte, nichts mehr zu sehen.

Ja holla, sagte er. Wo geht’s’n jetz weiter?

Er machte kehrt, überquerte wieder den Bach und entdeckte Trampelspuren im Farn, die direkt in den Wald führten. Aha, sagte er. Mittenmang ins Gehölz.

Auf dem Weg bachaufwärts verlor er die Fährte ein paarmal, gab aber deswegen nicht auf. Er suchte in der Gegenrichtung; nichts. Nach ungefähr einer Meile gab es überhaupt keine Spuren mehr. Er ging im Kreis, dann noch mal am Ufer entlang; nichts. Schließlich überquerte er den Bach und trabte auf der anderen Seite stromab; da war die Spur wieder. Sie führte zu einer kleinen Lichtung und hörte dort auf. Er spähte in die Runde. Es sah hier genauso aus wie am Nachbarufer, wo die Spur sich bachaufwärts verloren hatte. Als habe ihr Verursacher im Wald einen geheimnisvollen Doppelgänger getroffen und sich dann gemeinsam mit ihm in Luft aufgelöst. Kurz darauf hörte er das Kind weinen. Er drehte sich um, ein schwaches Grinsen im drahtenen Backenbart. Er fand es am anderen Ende der Lichtung in einer Moosmulde, nackt und nicht lauter wimmernd als ein Kätzchen.

Da schau her, sagte er und kniete sich hin; du bist mir ja’n schönes Schnattermäulchen, und’n armes dazu. Er knuffte das Kind mit dem Finger, wie eine Tomate oder Melone. ’n kleiner Waldschrat, was? Hat dich wohl jemand einfach hier ausgesetzt, hm?

Er zog das Handtuch zurecht, hob das Kind auf, schmiegte es mit dem Arm an den Latz seines Overalls und machte sich bachab auf den Rückweg.

Keine zwei Stunden später erreichte er die Straßenbrücke. Das Kind blinzelte arglos in die hochstehende Sonne. Der Kesselflicker schritt über die Straße ins Unterholz, holte den Karren aus dem Versteck und durchstöberte seine Sachen; dann fischte er ein schäbiges Gingantuch hervor und hüllte das Kind hinein. An seiner dürren Brust sank es in Schlaf, auf dem malvenfarbenen Runzelgesicht schon jetzt ein Anflug von Schmerz oder Kummer. Er legte es auf den Karrenboden zwischen ein paar Säcke und schaute es an.

Tscha, sagte er, auch wennde nich grad strampelst, leben tuste scheint’s noch. Er bückte sich, nahm die Deichsel auf und zuckelte durchs Unterholz auf die Straße, auf die kurvige unbetretene Schneise, worin das Karrengeklapper und das Scheppern der aneinanderstoßenden Waren pausenlos widerhallten.

Am Laden angelangt, marschierte er einfach weiter. Er bog nach links auf die Bundesstraße und zog dann mit unermüdlichem Schritt in Richtung Norden. Das Kind war die ganze Zeit still gewesen; er hatte nicht nach ihm sehen müssen. Als er spätnachmittags eine Esspause einlegte, begann es zu weinen; er beugte sich mit grübelnd verzogenem Mund über das leise gequälte Wimmern, bedächtig kauend, im Bart trockene Maisbrotkrümel, die auf das Kind herunterrieselten. Nur raus damit, was dich drückt, sagte er.

Die Sonne war gesunken, er marschierte im Dunkeln weiter; das Kind war wieder still, Bewegung schien seinen Schmerz zu lindern. Der Mond ging auf und wurde kleiner; die Straße färbte sich weiß wie Salz. Eingehüllt in seinen Lärmzauber, klirrte der Kesselflicker durchs eisblaue Licht.

Vor Mitternacht kam er in eine Stadt. An einer Mühle vorüber; das Rad polterte trunken unter dem eigenen Schwung, Wasser klatschte stürmisch herab. An Läden und Werkstätten vorüber, an dunklen Häusergruppen; Hundegebell kündigte ihn an, begleitete ihn durch die leeren Straßen bis hinaus zu den Ackerparzellen. Nach einer weiteren Meile, ein Stück abseits von der Straße und gleichfalls im Dunkeln, zog er eine Auffahrt entlang zu einem Haus. Vor der Tür blieb er stehen und ließ die Deichsel sinken. Hallo, rief er.

Er wartete. Nach einer Weile tauchte zwischen den wetterzerschrammten Jalousieleisten ein hauchzartes gelbes Licht auf; eine Frauenstimme sagte: Wer da?

Ich bin’s, sagte der Kesselflicker.

Komm rein, sagte die Frau und stieß die Tür auf; sie trug ein härenes Unterkleid und hielt eine Talgkerze in der Hand.

Er klopfte pro forma beide Stiefel an der Schwelle ab und trat ein. Tag, sagte er.

Bissel spät für’n alten Mann, hin? sagte sie.

Bissel spät für’n jungen. Ich brauch’ne Amme.

War mir schon immer klar.

Neenee … Moment, nich zumachen. Iss für den Kleinen da.

Was für’n Kleinen denn?

Den ich im Karren hab: Leucht doch ma’ mit der Kerze her.

Sie folgte ihm argwöhnisch nach draußen und lugte über seine Schulter hinweg in den Karren mit dem schlafenden Kind darin.

Siehste’s?, sagte er.

Lieber Gott.

Moment, ich hol’n raus.

Nee, sagte sie. Das mach ich selber. Hier, halt mal die Kerze.

Das Kind wachte auf und begann leise zu wimmern. Sie nahm es auf den Arm, ging mit dem Kesselflicker ins Haus, legte das Kind auf den schlichten Holztisch und beugte sich aufgeregt darüber. Herrje, sagte sie, das’ss ja noch kaum auf der Welt.

Eben, sagte er.

Wo kommt’s’n überhaupt her?

Aus’m Wald, sagte er. Hat jemand weggetan, und ich hab’s gefunden.

Das arme Wurm braucht was zu essen.

Ich weiß, sagte er. Gibt’s hier in der Gegend ’ne Amme?

Sie knabberte an den Handknöcheln. Mrs. Laird, sagte sie. Die hat aber grad wieder eins gekriegt.

Meinste, sie nimmt den noch dazu?

Bleibt ihr wohl nix andres übrig. Aber erst musser richtig gewickelt werden. Pass ma’n Moment auf’n auf, ich hol solang was; dann könnenwer.

Wo wohnt’n die Amme?

’n Stück weiter die Straße hoch. Pass ma’n Moment auf’n auf.

Im schwachen Mondlicht zogen sie los, der Kesselflicker neben der Frau mit dem vollständig vermummten Säugling im Arm; wie heimliche Verschwörer schritten sie flüsternd die sandige Straße entlang, ihre Schatten waren ganz kurz, wie berauscht und verstört von einer Gewalt, in der sich die beiden mit träumerischer Sorglosigkeit bewegten.

Es regnete nicht mehr. Er wartete darauf, dass es wieder anfing; im sternlosen Dunkel marschierte er eine Straße entlang, die er nicht sah, durch einen Wald, in dem er nichts hörte. Als er schließlich die Lichtung erreichte, wölbte sich ein schmaler heißer Mond aus der Wolkendecke und zeigte ihm den Heimweg. Kein Licht in der Hütte. Er verharrte einen Moment, sein Brustkorb ging auf und ab.

Sie schlief. Die Axt in der Hand, tappte er wieder nach draußen. Überquerte die Lichtung, zog den Waldpfad entlang in Richtung Quelle. An einer Schwarzdorngruppe blieb er stehen, blickte sich um und hieb dann die Axt in die Erde. Fuhr sich mit der Manschette über die Stirn, nahm die Axt wieder auf und begann mit wirrem Eifer den Boden zu hacken.

Sie hatte versucht, nach der Lampe zu greifen, konnte sich aber nicht rühren. Leise rief sie seinen Namen ins Dunkel; keine Antwort. Die Tür stand offen; nach einer Weile stand er im Eingang, die Axt in der Hand: die Silhouette eines Meuchlers vor dem matten Glimmer des Mondes. Er kam herüber zum Tisch, nahm die Lampe, zündete sie an, formte damit den Raum aus der Finsternis. Wandte sich ihr zu; sie schaute ihn an, bleich und aufgelöst, mit Puppenaugen aus buntem Porzellan.

Culla?, sagte sie.

Aber sicher.

Wo warst’n?

Draußen.

Und das Kind?

Langes Schweigen. Er hatte die Lampe nicht abgestellt. Mit der Hand hielt er den fleckigen Lampenzylinder. Stille; sie hörte ihn atmen. Die unbehaust zwischen ihnen flackernde Flamme bannte ihr den Blick.

Iss tot, sagte er.

 

Als sie morgens aufwachte, war er schon wieder fort. Im Kamin brannte noch ein spärliches Feuer; sie schaute es an. Nach einer Weile erschien er mit Brennholz, sprach aber kein Wort. Er nahm den Schöpflöffel aus dem Eimer, trug ihn zu ihr hinüber und half ihr mit einer Hand hoch; sie reckte den Hals und trank, an den Lippen ein weißer Belag, der am Löffelrand kleben blieb.

Mehr, bitte, sagte sie.

Er brachte es ihr. Als sie fertig war, sank sie zurück und betrachtete wieder das Feuer.

Wie geht’s dir heut früh?, sagte er.

Keine Ahnung. Komm mir wie leer vor.

’n Weilchen liegst du bestimmt noch flach.

Ich glaub, ich hab Fieber.

Hast du Hunger?

Eigentlich nich.

Möchtst’n Ei? Ich glaub, wir ha’m noch irgendwo eins.