Ein Kind Gottes - Cormac McCarthy - E-Book

Ein Kind Gottes E-Book

Cormac McCarthy

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Beschreibung

«Ein Leseerlebnis, so intensiv, dass es ästhetische Kategorien geradezu über den Haufen zu werfen scheint … geschrieben in einer kostbaren, einfachen und doch poetischen Sprache.» (New Republic) Tennessee in den sechziger Jahren: Lester Ballard ist ein Ausgestoßener, einsam und gewalttätig. Als ihm nach und nach die Reste eines normalen Lebens abhandenkommen, wird er zum Höhlenbewohner, zum Serienmörder, schließlich zum Nekrophilen. Er gerät in Haft, in die Psychiatrie, in die Gewalt rachsüchtiger Männer. Lester Ballard, «vielleicht Ein Kind Gottes, ganz wie man selbst». «McCarthy kartiert den schrecklichen Abstieg seines Helden mit Leidenschaft, Zärtlichkeit, Beredsamkeit und mit einem Humor, der perfekt zur bitteren Verschrobenheit des Südens passt.» (Times Literary Supplement) «Ein kraftvoller, talentierter Autor, dem es gelingt, Mitgefühl für seinen Helden zu erwecken, so schrecklich dessen Taten auch sind.» (Sunday Times) Cormac McCarthys vielleicht düsterster Roman – zum ersten Mal auf Deutsch

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Seitenzahl: 180

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Cormac McCarthy

Ein Kind Gottes

Roman

 

 

Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl

 

Über dieses Buch

«Ein Leseerlebnis, so intensiv, dass es ästhetische Kategorien geradezu über den Haufen zu werfen scheint … geschrieben in einer kostbaren, einfachen und doch poetischen Sprache.» (New Republic)

Tennessee in den sechziger Jahren: Lester Ballard ist ein Ausgestoßener, einsam und gewalttätig. Als ihm nach und nach die Reste eines normalen Lebens abhandenkommen, wird er zum Höhlenbewohner, zum Serienmörder, schließlich zum Nekrophilen. Er gerät in Haft, in die Psychiatrie, in die Gewalt rachsüchtiger Männer. Lester Ballard, «vielleicht ein Kind Gottes, ganz wie man selbst».

«McCarthy kartiert den schrecklichen Abstieg seines Helden mit Leidenschaft, Zärtlichkeit, Beredsamkeit und mit einem Humor, der perfekt zur bitteren Verschrobenheit des Südens passt.» (Times Literary Supplement)

«Ein kraftvoller, talentierter Autor, dem es gelingt, Mitgefühl für seinen Helden zu erwecken, so schrecklich dessen Taten auch sind.» (Sunday Times)

Cormac McCarthys vielleicht düsterster Roman – zum ersten Mal auf Deutsch

Vita

Cormac McCarthy wurde 1933 in Rhode Island geboren und wuchs in Knoxville, Tennessee auf. Für sein literarisches Werk wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Pulitzerpreis und dem National Book Award. Die amerikanische Kritik feierte seinen Roman «Die Straße» als «das dem Alten Testament am nächsten kommende Buch der Literaturgeschichte» (Publishers Weekly). Das Buch gelangte auf Platz 1 der New-York-Times-Bestsellerliste und verkaufte sich weltweit mehr als eine Million Mal. Mehrere von McCarthys Büchern wurden bereits aufsehenerregend verfilmt, «Kein Land für alte Männer» von den Coen-Brüdern, «Der Anwalt» von Ridley Scott und «Ein Kind Gottes» von James Franco. Cormac McCarthy starb im Juni 2023 in Santa Fe, New Mexico.

Impressum

Die Originalausgabe erschien zunächst 1973 unter dem Titel «A Child of God» bei Random House, New York, und 1975 bei Chattoo & Windus, London, sowie 1989 bei Picador, London.

Die deutsche Übersetzung basiert auf der englischen Ausgabe, erschienen 2010 im Verlag Picador, einem Imprint von Pan Macmillan, London.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Dezember 2014

Copyright © 2014 by Rowohlt Verlag GmbH,

Reinbek bei Hamburg

«A Child of God» Copyright © 1974 by Cormac McCarthy

Redaktion Mirjam Madlung

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung any.way, Cathrin Günther,

nach einem Entwurf von David Pearson

Coverabbildung (ohne)

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-51231-3

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

Inhaltsübersicht

I

Sie kamen in der Morgensonne

Hinterher hat Lester Ballard

Fred Kirby hockte da

Alles, was vom Klohäuschen übrig geblieben war

An eine Sache

Mit gegen die Erde hämmerndem Herzen

Ich weiß nicht.

Hätte es dunklere Regionen von Nacht gegeben

Eine schmale Fahrspur

Nach Beginn des Gottesdienstes

Im Spätsommer waren Barsche im Fluss.

Ich erzähl dir noch was

Komm ruhig, Lester

Über Nacht schlug das Wetter um.

Fate ist in Ordnung.

Als Ballard auf die Veranda herauskam

Er beobachtete

Das Gewehr hat er schon gehabt

Ballard unter den Jahrmarktsbesuchern

Büschelweise schneeverklumptes Farnkraut

Die Hunde querten als dünne

In der Schmiede

Bis zu den Oberschenkeln im Schnee

Nach allem, was ich gehört hab

II

An einem kalten Wintermorgen Anfang Dezember

Am Nachmittag ging er das Gewehr

Er hatte die Eichhörnchen

Er machte Feuer im Herd

Als er am Morgen von der Kälte erwachte

Das Wetter änderte sich nicht.

Ballard stampfte den Schnee von seinen Schuhen

Am oberen Ende der Senke angelangt

Ballard stand an der Tür.

Ballard ging nahe dem Gipfel die Straße entlang

Ballard betrat den Laden

Eines Sonntagmorgens Anfang Februar

Es war dunkel

Ein schrecklich kalter Winter war es.

Im Frühjahr oder bei wärmerem Wetter

Nachdem es zu schneien aufgehört hatte

III

Da drüben ist es

Ballards neue Schuhe schmatzten im Matsch

Ballard, ein kleines Wesen

Der Sheriff des Sevier County

Im Frühjahr sah Ballard zu

Während er im Dunkel der Höhle wach lag

An einem schönen Maimorgen kam John Greer ins Freie

Ballard erwachte

Er aß.

Drei Tage lang erforschte Ballard die Höhle

Er wurde nie einer Straftat angeklagt.

Im April desselben Jahres

I

Sie kamen in der Morgensonne wie eine Karawane von Schaustellern durch die mit Bartgras bewachsenen Senken und über den Hügel, der Lkw schaukelte und schlingerte in den Furchen, die Musiker, die auf Stühlen auf der Ladefläche saßen, schwankten, während sie ihre Instrumente stimmten, der fette Gitarrist gestikulierte grinsend in Richtung anderer in einem Wagen dahinter, beugte sich vor, um dem Fiddler einen Ton anzugeben, und dieser drehte lauschend und mit gerunzelter Stirn an einem Wirbel. Sie fuhren unter blühenden Apfelbäumen hindurch, passierten eine mit hellrotem Matsch bespritzte Futterkrippe, durchquerten eine Furt und kamen in Sichtweite eines alten, mit Schalungsbrettern verkleideten Hauses, das in blauem Schatten am Fuß der Bergwand stand. Dahinter stand eine Scheune. Einer der Männer auf dem Lkw schlug mit der Faust auf das Dach der Fahrerkabine, und der Lkw kam zum Stehen. Durch das Unkraut im Hof näherten sich Autos und Lkws, Leute zu Fuß.

Vom Scheunentor aus sieht ein Mann zu, wie diese Dinge aus dem ansonsten stummen, idyllischen Morgen auftauchen. Er ist klein, unsauber, unrasiert. Er bewegt sich mit gezwungener Verbissenheit in der trockenen Spreu in dem von Sonnenlichtstreifen gemusterten Staub. Sächsisches und keltisches Blut. Vielleicht ein Kind Gottes ganz wie man selbst. In einer zerhackten Abfolge flirrender Bewegungen fliegen Wespen durch die Lichtstriche zwischen den Scheunenbrettern, golden und zitternd zwischen Schwarz und Schwarz, im dichter geschlossenen Düster weiter oben wie Leuchtkäfer. Breitbeinig steht der Mann da, hat in den dunklen Humus eine dunklere Pfütze gemacht, auf der blasser Schaum mit Strohstückchen schwimmt. Während er sich die Jeans zuknöpft, bewegt er sich an der Scheunenwand entlang, nun selbst von Licht gemasert, einer kleinen, über das wandnähere Auge huschenden Belästigung.

In der Tür des Vorbaus stehend, blinzelt er. Hinter ihm hängt ein Seil vom Heuboden. Sein spärlich mit Stoppeln bedeckter Kiefer spannt sich an und erschlafft, als kaute er, aber er kaut nicht. Zum Schutz gegen die Sonne sind seine Augen fast geschlossen, und durch die dünnen, mit blauen Adern durchzogenen Lider kann man sehen, wie sich die Augäpfel beobachtend bewegen. Ein Mann im blauen Anzug gestikuliert von der Ladefläche des Lkws herunter. Ein Getränkestand wird aufgebaut. Die Musiker stimmen einen Country Reel an, der Hof füllt sich mit Menschen, und der Lautsprecher gibt ein erstes Quäken von sich.

Na schön, dann kommt mal alle her und meldet euch an für euern Gratis-Silberdollar. Hier vorne. Ja, genau. Wie geht’s, kleines Fräulein? Das ist schön. Ja, Sir. Na schön. Jessie? Habt ihr …? Alle mal herhören. Jess und die haben jetzt das Haus aufgeschlossen für alle, die sich drinnen mal umsehen wollen. Genau. Gleich gibt’s hier auch Musik, und alle sollten sich anmelden, bevor die Ziehung losgeht. Ja, Sir? Wie war das? Ja, Sir, genau. Genau, alle mal herhören, wir bieten auf die Flächen, und dann haben wir die Möglichkeit, auf die Gebäude zu bieten. Das Ganze geht beidseits der Straße über den Fluss rüber bis zu den großen Nutzhölzern drüben auf der anderen Seite. Ja, Sir. Dazu kommen wir gleich.

Verbeugen, Deuten, Lächeln. Das Mikrophon in einer Hand. Zwischen den Kiefern auf dem Kamm der Widerhall der Stimme des Auktionators, gedämpft, redundant. Illusion mehrerer Stimmen, ein Geisterchor zwischen alten Ruinen.

Hier gibt’s allerdings auch gutes Nutzholz. Richtig gutes Nutzholz. Da ist vor fünfzehn, zwanzig Jahren schon mal eingeschlagen worden, deswegen ist es vielleicht noch nicht so groß, aber eins müsst ihr bedenken. Während ihr nachts da unten im Bett liegt, wächst das Nutzholz hier oben. Jawohl, Sir. Und das mein ich ganz ernst. Der Besitz hier hat richtig Zukunft. So viel Zukunft wie sonst was hier im Tal. Vielleicht sogar noch mehr. Freunde, ein Besitz wie der hier bietet grenzenlose Möglichkeiten. Ich würd ihn selber kaufen, wenn ich noch Geld hätte. Und ich glaube, ihr wisst alle, dass jeder Penny, den ich besitze, in Immobilien steckt. Und jeden, den ich verdient hab, hab ich mit Immobilien gemacht. Wenn ich eine Million Dollar hätte, würd ich jeden Cent davon binnen neunzig Tagen in Immobilien investieren. Und das wisst ihr alle. Der Wert kann gar nicht anders als hochgehen. Ein Stück Land wie das hier, und das glaub ich ehrlich, bringt zehn Prozent Rendite. Vielleicht sogar mehr. Vielleicht sogar zwanzig. Wenn ihr euer Geld da unten auf die Bank tragt, kriegt ihr das im Leben nicht, und das wisst ihr alle. Es gibt keine solidere Investition als Grund und Boden. Land. Ihr wisst alle, dass man für einen Dollar längst nicht mehr so viel kriegt wie früher. Heute in einem Jahr ist ein Dollar vielleicht keine fünfzig Cent mehr wert. Und das wisst ihr alle. Aber der Wert von Immobilien geht immer nur hoch, hoch, hoch.

Freunde, vor sechs Jahren, als mein Onkel hier unten die Prater-Farm gekauft hat, haben alle versucht, ihm das auszureden. Neunzehn fünf hat er dafür bezahlt. Hat gesagt, ich weiß schon, was ich tu. Und ihr wisst alle, was dann damit passiert ist. Jawohl, Sir. Verkauft für achtunddreißigtausend. Ein Stück Land wie das hier … ein bisschen was dran tun muss man natürlich schon. Es ist verwildert. Keine Frage. Aber, Freunde, ihr könnt euer Geld damit verdoppeln. Eine Immobilie, und speziell in diesem Tal, ist die solideste Investition, die man machen kann. Solide wie ein Dollar. Und wenn ich das sage, meine ich’s ernst.

Zwischen den Kiefern skandierten die Stimmen eine verlorene Litanei. Dann verstummten sie. Ein Raunen durchlief die Menge. Der Auktionator hatte das Mikrophon einem anderen Mann gegeben. Der andere Mann sagte: Ruf mal den Sheriff da drüben, CB.

Der Auktionator winkte ihm mit der Hand und beugte sich zu dem Mann hinunter, der vor ihm stand. Ein kleiner Mann, schlecht rasiert, nun mit einem Gewehr in den Händen.

Was willst du, Lester?

Hab ich dir schon gesagt. Ich will, dass du dich von meinem Grundstück verpisst. Und die Idioten da kannst du gleich mitnehmen.

Pass auf, was du sagst, Lester. Es sind Damen anwesend.

Ist mir scheißegal, wer anwesend ist.

Es ist nicht dein Grundstück.

Und ob.

Du hast deswegen schon mal gesessen. Hast wohl Lust, noch mal in den Bau zu wandern. Der Sheriff steht gleich da drüben.

Kümmert mich einen Scheißdreck, wo der Sheriff ist. Ich will, dass ihr Arschlöcher euch von meinem Grundstück verpisst. Verstanden?

Der Auktionator hockte sich vorn auf die Ladefläche. Er senkte den Blick auf seine Schuhe, kratzte müßig an einem getrockneten Schlammklümpchen am Rahmen. Als er wieder zu dem Mann mit dem Gewehr aufblickte, lächelte er. Er sagte: Lester, wenn du dich nicht in den Griff kriegst, sperren sie dich in eine Gummizelle.

Das Gewehr in einer Hand, machte der Mann einen Schritt rückwärts. Er stand tief geduckt und hielt die freie Hand mit gespreizten Fingern in Richtung der Menge ausgestreckt, wie um sie zurückzuhalten. Runter von dem Laster, zischte er.

Der Mann auf dem Lkw spuckte aus und musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. Was hast du vor, Lester, mich abknallen? Ich hab dir deine Farm nicht weggenommen. Das war das County. Mich haben sie bloß als Auktionator geheuert.

Runter von dem Laster.

Die Musiker hinter ihm sahen aus wie eine Zusammenstellung von Porzellanfiguren aus einer alten Jahrmarktsschießbude.

Er spinnt, CB.

CB sagte: Wenn du mich abknallen willst, Lester, dann kannst du’s gleich hier machen. Ich geh für dich nirgendwohin.

Hinterher hat Lester Ballard den Kopf nie mehr richtig gerade halten können. Es muss ihm irgendwie den Hals verrenkt haben oder so. Ich hab nicht gesehen, wie Buster ihn niedergeschlagen hat, aber ich hab ihn auf dem Boden liegen sehen. Ich hab beim Sheriff gestanden. Lester hat platt auf dem Boden gelegen und mit schielenden Augen und dieser mordsmäßigen Beule am Kopf zu den Leuten hochgeschaut. Er hat einfach dagelegen und aus den Ohren geblutet. Buster hat immer noch mit der Axt in der Hand dagestanden. Sie haben ihn im County-Wagen weggebracht, und CB hat mit der Auktion weitergemacht, als wär nichts gewesen, hat dann aber gesagt, einige Leute hätten deswegen nicht mitgeboten, die sonst mitgeboten hätten, und vielleicht war das ja genau Lesters Absicht, keine Ahnung. John Greer war aus dem Grainger County. Will ja nichts gegen ihn sagen, aber da war er nun mal her.

Fred Kirby hockte da, wo er ständig saß, nämlich in seinem Vorgarten neben dem Wasserhahn, als Ballard vorbeischaute. Ballard stand auf der Straße und schaute zu ihm rüber. Er sagte: He, Fred.

Kirby hob die Hand und nickte. Komm ruhig her, Lester, sagte er.

Ballard kam bis an den Rand der Böschung und blickte zu der Stelle auf, wo Kirby saß. Er sagte: Hast du Whiskey?

Könnt schon sein.

Dann gib mir doch ’n Krug.

Kirby stand auf. Ballard sagte: Ich kann ihn dir nächste Woche bezahlen. Kirby hockte sich wieder hin.

Ich kann ihn dir morgen bezahlen, sagte Ballard.

Kirby drehte den Kopf zur Seite, packte mit Daumen und Zeigefinger seine Nase, schnäuzte einen gelben Rotzklumpen ins Gras und wischte sich die Finger am Knie seiner Jeans ab. Er blickte über die Felder. Das kann ich nicht machen, Lester, sagte er.

Ballard drehte sich halb, um festzustellen, was Kirby da draußen betrachtete, aber da war nichts außer den immer gleichen Bergen. Er trat von einem Fuß auf den anderen und griff in seine Tasche. Willst du ihn vielleicht gegen was tauschen?, sagte er.

Vielleicht. Was hast du denn?

Hier das Taschenmesser.

Zeig mal her.

Ballard klappte das Messer auf und warf es die Böschung hinauf in Richtung Kirby. Es blieb vor seinem Schuh im Boden stecken. Kirby betrachtete es eine Weile, dann langte er runter, zog es heraus, wischte die Klinge am Knie ab und betrachtete den Namen darauf. Er klappte es zu und wieder auf und schälte dann einen dünnen Span von seiner Schuhsohle ab. Abgemacht, sagte er.

Er stand auf, steckte das Messer ein und ging über die Straße in Richtung Fluss.

Ballard sah zu, wie er am Rand des Feldes entlangstöberte, mit dem Fuß zwischen Büsche und Geißblatt fuhr. Ein, zwei Mal blickte er zurück. Ballard hatte den Blick auf die fernen blauen Hügel gerichtet.

Nach einer Weile kam Kirby zurück, aber er hatte keinen Whiskey dabei. Er gab Ballard das Messer zurück. Ich kann ihn nicht finden, sagte er.

Du kannst ihn nicht finden?

Nein.

Scheiß die Wand an.

Ich such später noch mal. Ich glaub, ich war besoffen, als ich ihn versteckt hab.

Wo hast du ihn denn versteckt?

Das weiß ich nicht. Ich hab gedacht, ich kann gradewegs hingehen, aber ich hab ihn scheint’s doch nicht dahin getan, wo ich gedacht hab.

Verflucht noch mal.

Wenn ich ihn nicht mehr finde, hol ich neuen.

Ballard steckte das Messer ein, drehte sich um und ging die Straße entlang zurück.

Alles, was vom Klohäuschen übrig geblieben war, waren ein paar mürbe, mit grünem Moos bewachsene Bruchstücke von Brettern, die zusammengefallen in einem flachen Loch lagen, wo Unkraut in übergroßen Abarten wucherte. Ballard ging daran vorbei und hinter die Scheune, trat sich im Stechapfel- und Hundsbeerengestrüpp eine Stelle frei, hockte sich hin und schiss. Im heißen, staubigen Dickicht sang ein Vogel. Der Vogel flog auf. Ballard wischte sich mit Blättern ab, stand auf und zog die Hose vom Boden hoch. Schon krabbelten grüne Fliegen über seinen dunklen, klumpigen Stuhl. Er knöpfte sich die Hose zu und ging zum Haus zurück.

Das Haus hatte zwei Zimmer. Jedes Zimmer zwei Fenster. Ein Blick nach hinten hinaus zeigte eine undurchdringliche Wand aus Unkraut, das bis zu den Dachtraufen reichte. Vorn war eine Veranda und noch mehr Unkraut. Von der vierhundert Meter entfernten Straße aus konnte man das graue, baufällige Dach und den Schornstein sehen, sonst nichts. Ballard trampelte einen Pfad durch das Unkraut bis zur Hintertür. An der Ecke der Veranda hing ein Hornissennest, und er schlug es herunter. Die Hornissen kamen eine nach der anderen heraus und flogen davon. Ballard ging hinein und fegte mit einem Stück Pappe den Boden. Er fegte die alten Zeitungen zusammen, fegte den getrockneten Kot von Füchsen und Opossums und die von der Bretterdecke heruntergefallenen, ziegelsteinfarbenen Lehmbröckchen mit ihren schwarzen Hülsen von Larven hinaus. Er machte das Fenster zu. Die eine, noch vorhandene Scheibe kippte geräuschlos aus dem trockenen Schieberahmen und fiel ihm in die Hände. Er stellte sie auf die Fensterbank.

Auf der Feuerstelle lagen ein Stapel Ziegelsteine und Mörtellehm. Ein halber eiserner Feuerbock. Er warf die Ziegelsteine hinaus, fegte den Mörtellehm zusammen, ließ sich auf Hände und Knie nieder und verdrehte den Hals, um in den Schornstein hinaufzublicken. In dem wässrigen Lichtfleck hing eine Spinne. Ein kräftiger Geruch nach Erde und altem Holzrauch. Er knüllte Zeitungen zusammen, legte sie auf die Feuerstelle und zündete sie an. Sie brannten langsam. Kleine Flammen züngelten und fraßen sich an den Rändern und Kanten entlang. Die Zeitungen schwärzten sich, rollten sich ein und zitterten, die Spinne ließ sich an einem Faden herab und auf dem aschebedeckten Boden der Feuerstelle nieder.

Am Spätnachmittag durchquerte eine schmale, dünne Matratze mit fleckigem Bezug das Unterholz in Richtung Hütte. Sie hing über Kopf und Schultern von Lester Ballard, dessen leises Fluchen auf die Stechwinde und Brombeersträucher an kein Ohr drang.

In der Hütte angelangt, warf er die Matratze auf den Boden. Auf allen vier Seiten stob Staub darunter hervor, quoll über die ausgetretenen Bodendielen und setzte sich ab. Ballard zog sein Hemd vorn hoch und wischte sich den Schweiß von Gesicht und Schädel. Er sah halb irre aus.

Bis zum Einbruch der Dunkelheit hatte er in dem kargen Zimmer alles, was ihm gehörte, um sich herum aufgebaut, hatte eine Lampe angezündet, sie in der Mitte auf den Boden gestellt und saß im Schneidersitz davor. Er hielt einen Drahtkleiderbügel mit aufgespießten Kartoffelscheiben über den Lampenzylinder. Als sie fast schwarz waren, streifte er sie mit seinem Messer vom Draht auf einen Teller, spießte eine auf, pustete und biss hinein. Mit offenem Mund hechelnd saß er da, das Stück Kartoffel auf den unteren Schneidezähnen. Während er die Kartoffel kaute, fluchte er, weil sie so heiß war. In der Mitte war sie noch roh, und sie schmeckte nach Petroleum.

Als er die Kartoffel gegessen hatte, drehte er sich eine Zigarette, zündete sie über dem wabernden Gaskegel um den Rand des Lampenzylinders an, saß dann da, sog den Rauch ein, ließ ihn über die Lippe und aus den Nasenlöchern ausströmen und klopfte ab und zu mit dem kleinen Finger träge die Asche in seinen Hosenaufschlag ab. Er breitete die Zeitungen aus, die er gesammelt hatte, betrachtete sie murmelnd und mit den Lippen die Worte formend. Alte Nachrichten von längst toten Leuten und vergessenen Ereignissen, Anzeigen für Arzneimittel und zum Kauf angebotenes Vieh. Er rauchte die Zigarette, bis sie nur noch ein verbrannter Stummel zwischen seinen Fingern, bis sie Asche war. Er drehte die Lampe herunter, bis nur noch ein ganz schwacher, orangefarbener Schimmer den unteren Teil des Zylinders färbte, dann schlüpfte er aus Schuhen, Hose und Hemd und legte sich bis auf die Socken nackt auf die Matratze. Jäger hatten die meisten Bretter der Innenwände demontiert, um sie als Brennholz zu verwenden, und über dem freiliegenden Fenstersturz hingen, teilweise sichtbar, Bauch und Schwanz einer Erdnatter. Ballard setzte sich auf und drehte die Lampe wieder hoch. Er stand auf, streckte die Hand aus und stupste mit dem Finger die fahlblaue Unterseite der Schlange an. Sie schoss vorwärts, landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden, glitt wie Tinte, die durch eine Rinne fließt, über die Dielen und verschwand zur Tür hinaus. Ballard setzte sich wieder auf die Matratze, drehte die Lampe wieder herunter und legte sich hin. In der heißen Stille konnte er Moskitos auf sich zusirren hören. Er lag da und lauschte. Nach einer Weile drehte er sich auf den Bauch. Und wieder eine Weile später stand er auf, holte das Gewehr, das an der Feuerstelle lehnte, legte es neben die Matratze und streckte sich wieder aus. Er hatte großen Durst. In der Nacht träumte er Ströme von eisig schwarzem Gebirgswasser, während er mit offenem Mund wie ein Toter auf dem Rücken lag.

An eine Sache,