Drei Mal Leben - Yasmina Reza - E-Book

Drei Mal Leben E-Book

Yasmina Reza

0,0

Beschreibung

Was tun, wenn der Chef mit seiner Frau einen Tag zu früh zu Besuch kommt? Statt des Abendessens reicht man Knabberzeug, das Kind soll endlich mit dem Quengeln aufhören. Als der Chef dann noch eine schlechte Nachricht für den Gastgeber auspackt, droht der Abend zu eskalieren. Wie sich zwei Paare, jeder gegen jeden, gnadenlos zerlegen, führt dieses Stück in drei Versionen vor. Komödie, Farce oder Melodram? Ernst und zugleich unglaublich komisch – eines der meistgespielten Stücke Yasmina Rezas.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 66

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über das Buch

Was tun, wenn der Chef mit seiner Frau einen Tag zu früh zu Besuch kommt? Statt des Abendessens reicht man Knabberzeug, das Kind soll endlich mit dem Quengeln aufhören. Als der Chef dann noch eine schlechte Nachricht für den Gastgeber auspackt, droht der Abend zu eskalieren. Wie sich zwei Paare, jeder gegen jeden, gnadenlos zerlegen, führt dieses Stück in drei Versionen vor. Komödie, Farce oder Melodram? Ernst und zugleich unglaublich komisch — eines der meistgespielten Stücke Yasmina Rezas.

Yasmina Reza

Drei Mal Leben

Schauspiel

Aus dem Französischen von Eugen Helmlé

Carl Hanser Verlag

Personen:

HENRI, SONJA, HUBERT FINIDORI, INES FINIDORI

(zwischen 40 und 50 Jahre alt)

I

Abend.

Ein Wohnzimmer.

So abstrakt wie möglich. Weder Wände noch Türen: wie nach oben geöffnet. Worauf es ankommt, ist die Vorstellung des Wohnzimmers.

Sonja sitzt im Morgenrock da. Sie liest Akten.

Henri erscheint.

HENRI: Er will einen Keks.

SONJA: Er hat sich gerade die Zähne geputzt.

HENRI: Er verlangt einen Keks.

SONJA: Er weiß genau, dass es im Bett keine Kekse gibt.

HENRI: Sag du ihm das.

SONJA: Warum hast du’s ihm nicht gesagt?

HENRI: Weil ich nicht weiß, dass es im Bett keine Kekse gibt.

SONJA: Wieso weißt du nicht, dass es im Bett keine Kekse gibt? Es hat noch nie Kekse gegeben, es hat noch nie etwas Süßes im Bett gegeben.

Sie geht hinaus.

Kurze Pause. — Das Kind weint. Sie kommt zurück.

HENRI: Was hat er?

SONJA: Er will einen Keks.

HENRI: Warum weint er?

SONJA: Weil ich Nein gesagt habe. Er ist ein grässlicher Dickkopf.

HENRI:(nach einer kurzen Pause) Gib ihm einen halben Apfel.

SONJA: Er will keinen halben Apfel, er will einen Keks, aber er bekommt sowieso nichts. Im Bett wird nicht gegessen, man isst bei Tisch, und nicht im Bett, nach dem Zähneputzen, und jetzt möchte ich diese Akten durchsehen, ich habe morgen früh um zehn Uhr eine Aufsichtsratssitzung.

Das Kind weint immer noch.

Henri geht hinaus. Das Kind hört auf zu weinen.

Henri kommt zurück.

HENRI: Er ist einverstanden mit dem halben Apfel.

SONJA: Er bekommt weder Apfel noch sonst was, im Bett wird nicht gegessen, und damit Schluss.

HENRI: Sag du ihm das.

SONJA: Hör auf.

HENRI: Ich hab zum Apfel Ja gesagt, ich glaubte, der Apfel sei möglich. Wenn du Nein sagst, dann geh und sag ihm das.

SONJA:(nach einer Weile) Bring ihm einen halben Apfel und sag ihm, dass du es ohne mein Wissen tust. Sag ihm, dass ich dagegen bin, und dass du es nur tust, weil du Ja gesagt hast, dass ich es aber nicht wissen darf, denn ich bin radikal dagegen, dass im Bett gegessen wird.

HENRI: Soll ich ihn schälen?

SONJA: Ja.

Er geht hinaus.

Nach einer Weile kommt er zurück.

HENRI: Er will, dass du mit ihm schmust.

SONJA: Ich hab schon mit ihm geschmust.

HENRI: Geh noch mal und schmus ein bisschen mit ihm.

SONJA: Wie oft werden wir noch in sein Zimmer gehen?

HENRI: Nur ein in bisschen schmusen. Ich habe ihn beruhigt, er wird schlafen.

Sie geht hinaus. Kurze Zeit vergeht.

Das Kind weint. Sie kommt zurück.

Setzt sich schweigend hin. Nimmt sich wieder ihre Akten vor.

HENRI: Was hat er denn jetzt?

SONJA: Er will den ganzen Apfel.

Kurze Zeit vergeht.

Jeder nimmt wieder seine Beschäftigung auf.

HENRI: Warum geben wir ihm nicht den ganzen Apfel? Es ist doch gut, dass er Obst mag.

SONJA: Er bekommt nichts mehr.

HENRI: Wenn du willst, schäl ich ihn und bring’s ihm.

SONJA: Verwöhn ihn nur. Es ist mir wurscht. Es interessiert mich nicht mehr.

HENRI:(in Richtung Kind) Arnaud, mach heia!

SONJA: Er ist zum Kotzen.

HENRI: Mach heia!

SONJA: Je öfter du heia schreist, umso aufgedrehter wird er.

HENRI: Wir werden nicht den Abend damit verbringen, ihn flennen zu hören. Ich verstehe diese Strenge nicht. Was ändert so ein Äpfelchen schon gemessen an der grauen Vorzeit?

SONJA: Wenn wir beim Apfel nachgeben, weiß er, dass wir am Ende bei allem nachgeben.

HENRI: Wir brauchen ihm nur zu sagen, dass wir heute Abend beim Apfel nachgeben, nur heute Abend, aus reiner Freundlichkeit und weil wir sein Gejammer leid sind.

SONJA: Bestimmt nicht, weil wir sein Gejammer leid sind!

HENRI: Ja, natürlich, das wollte ich auch sagen, wir geben in Zukunft nicht mehr nach, vor allem nicht, wenn er anfängt zu jammern, sobald es nicht nach seinem Kopf geht, dann stellen wir uns nämlich stur.

SONJA: Ihm zu sagen, dass wir sein Gejammer leid sind, ist der schlimmste Satz, den du finden konntest. Es ist unvorstellbar, dass du einen solchen Satz überhaupt aussprechen kannst.

HENRI: Wir sind sein Gejammer leid als Oberbegriff. Wir haben genug davon, ihn jammern zu hören, ganz allgemein.

SONJA: Daher der ganze Apfel.

HENRI: Daher der Apfel, daher der allerletzte Apfel als Ausnahme.

Sonja liest.

Henri geht hinaus.

Ganz schnell hört das Kind zu flennen auf. Henri kommt zurück.

HENRI: Er ist zufrieden. In Wirklichkeit, weißt du, ich glaube, dass er tatsächlich Hunger hatte. Ich habe ihm klargemacht, dass er unbedingt sein Verhalten ändern muss. Unbedingt. Er will schmusen. Nur ein bisschen schmusen.

SONJA: Nein.

HENRI: Ein bisschen schmusen.

SONJA: (äfft ihn albern nach) … ein bisschen schmusen.

HENRI: Ich habe ihm gesagt, dass du kommst.

Sonja steht auf.

HENRI:(in Richtung Kind) Mama kommt!

Sonja geht hinaus.

Henri bleibt allein zurück.

Das Kind fängt ziemlich schnell zu weinen an.

Sonja kommt zurück.

SONJA: Ich werde kein einziges Mal mehr zu ihm gehen, dass du es weißt.

HENRI: Was ist los? Jedes Mal, wenn du zu ihm gehst, weint er.

SONJA: Was soll das heißen?

HENRI: Ich weiß nicht. Jedes Mal, wenn du in sein Zimmer gehst, fängt er wieder an zu weinen.

SONJA: Ja und?

HENRI: Wenn ich zu ihm gehe, beruhigt er sich, macht Anstalten, brav einzuschlafen.

SONJA: Und wenn ich zu ihm gehe, schreit er wie am Spieß.

HENRI: Was hast du zu ihm gesagt?

SONJA: Dass er schreit wie am Spieß.

HENRI: Hör mal, du musst doch zugeben, dass es merkwürdig ist, man könnte meinen, dass du ihn jedesmal nervst.

SONJA: Weißt du, was er wollte? Er wollte nicht, dass ich »ein bisschen mit ihm schmuse«, er wollte eine Geschichte. Er wollte eine vierte Geschichte hören, während er seinen Apfel isst.

HENRI: Arnaud, mach heia!

SONJA: Schnauze, Arnaud!

HENRI: Wie sprichst du mit ihm?

SONJA: Halt’s Maul, Arnaud!

HENRI: Du hast sie nicht alle!

SONJA: Er ist still. Siehst du.

HENRI: Er ist still, weil er geschockt ist.

SONJA: Du jedenfalls schockst niemanden. Weder deinen Sohn noch Hubert Finidori.

HENRI: Hubert Finidori — ich versteh den Zusammenhang nicht.

SONJA: Ich möchte dich gern auf Band aufnehmen, wenn du am Telefon mit ihm sprichst. Dieser unterwürfige, zuvorkommende Ton.

DAS KIND:(aus dem Kinderzimmer) Papa!

HENRI: Ja, mein Schatz. (im Hinausgehen) Du wirst mir noch erklären, was Hubert Finidori in diesem Gespräch verloren hat.

Sonja setzt ihre Lektüre fort.

Henri kommt zurück.

HENRI: Er ist völlig verstört. (Sie reagiert nicht.) Er kann dieses brutale Verhalten vonseiten einer Mutter nicht verstehen.

SONJA: Der arme Schatz.

HENRI: Sonja, wenn du in diesem Ton fortfährst und der andere da uns weiterhin auf den Wecker geht, bin ich weg.

SONJA: Verzieh dich.

HENRI: Ich verziehe mich und komme nicht wieder.

SONJA: Wer hält dich zurück?

Henri reißt Sonja die Akten aus den Händen und wirft sie auf den Boden.

HENRI: Geh und gibt dem Kleinen einen Kuss, sag ihm, dass du die Unverhältnismäßigkeit deiner Worte bedauerst.

SONJA: Lass mich los!

HENRI: Ich lasse dich nicht los, bevor du dich nicht entschuldigt hast.

SONJA: Für was entschuldigen? Könntest du nicht ein einziges Mal in deinem Leben auf meiner Seite sein! Für was entschuldigen? Dass ich ihm nicht eine Schachtel Fingers gebracht habe? Willst du eine Schachtel Fingers, Arnaud?

HENRI: Du bist hysterisch!

SONJA: Willst du die Fingers, Arnaud!

HENRI: Hör auf!

SONJA: Papa kommt mit den Fingers!

Henri versucht, ihr mit der Hand den Mund zuzuhalten.

DAS KIND: