Kunst - Yasmina Reza - E-Book

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Yasmina Reza

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Beschreibung

Yasmina Reza ist die meistgespielte zeitgenössische Theaterautorin, „die so leichte Komödien schreibt, dass man gar nicht merkt, wie schwer sie sind“ (Gerhard Stadelmaier). Mit Kunst, 1994 in Paris uraufgeführt, ausgezeichnet u.a. mit dem Prix Molière und dem Tony Award, wurde sie international berühmt. Eine langjährige Männerfreundschaft schlägt plötzlich in Hass um. Was ist passiert? Serge hat für 200.000 Franc ein weißes Bild mit weißen Streifen gekauft, moderne Kunst – was Marc nicht versteht. Yvan versucht zu vermitteln. Ein Drama unter Männern, bitterböse und abgrundtief komisch, gesehen aus der Perspektive einer klugen Frau.

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Über das Buch

Mit Kunst, 1994 in Paris uraufgeführt, ausgezeichnet u.a. mit dem Prix Molière und dem Tony Award, wurde Yasmina Reza international berühmt. Eine langjährige Männerfreundschaft schlägt plötzlich um in Hass. Serge hat für 200 000 Franc ein weißes Bild mit weißen Streifengekauft, moderne Kunst – was Marc nicht versteht. Ein Drama unter Männern, bitterböse und abgrundtiefkomisch, gesehen aus der Perspektive einer klugen Frau.

Hanser E-Book

Yasmina Reza

Kunst

Schauspiel

Aus dem Französischen von Eugen Helmlé

Carl Hanser Verlag

Kunst

Personen:

MARC

SERGE

YVAN

Das Wohnzimmer einer Wohnung. Ein einziges Bühnenbild. So schlicht und neutral wie möglich. Die einzelnen Szenen spielen nacheinander bei Serge, Yvan und Marc. Der Dekor bleibt unverändert, außer dem ausgestellten Bild.

Marc, allein.

MARC: Mein Freund Serge hat sich ein Bild gekauft. Ein Ölgemälde von etwa ein Meter sechzig auf ein Meter zwanzig, ganz in Weiß. Der Untergrund ist weiß, und wenn man die Augen zusammenkneift, kann man feine weiße Querstreifen erkennen. Mein Freund Serge ist ein langjähriger Freund. Er ist jemand, der Erfolg gehabt hat, er ist Dermatologe, und er liebt die Kunst. Am Montag bin ich bei ihm gewesen, um mir das Bild anzuschauen, das Serge am Samstag gekauft hat, mit dem er aber schon seit Monaten liebäugelte. Ein weißes Bild, mit weißen Streifen.

* * *

Bei Serge.

Auf dem Boden steht ein weißes Ölgemälde mit feinen weißen Querstreifen. Serge betrachtet vergnügt sein Bild. Marc betrachtet das Bild. Serge betrachtet Marc, der das Bild betrachtet. Eine lange Zeit, in der alle Gefühle wortlos zum Ausdruck kommen.

MARC: Teuer?

SERGE: Zweihunderttausend.

MARC: Zweihunderttausend? …

SERGE: Handtington nimmt es für zweihundertzwanzig zurück.

MARC: Wer ist das?

SERGE: Handtington?!

MARC: Kenn ich nicht.

SERGE: Handtington! Die Galerie Handtington!

MARC: Die Galerie Handtington nimmt es für zweihundertzwanzig zurück?

SERGE: Nein, nicht die Galerie. Er. Handtington selbst. Für sich.

MARC: Und warum hat Handtington es nicht gleich gekauft?

SERGE: Weil die Kunsthändler daran interessiert sind, an Privatleute zu verkaufen. Der Markt muss in Bewegung bleiben.

MARC: Jaaa …

SERGE: Na?

MARC: …

SERGE: Du stehst dort nicht richtig. Betrachte es von hier aus. Siehst du die Linien?

MARC: Wie heißt der …?

SERGE: Maler? Antrios.

MARC: Bekannt?

SERGE: Sehr. Sehr!

Pause.

MARC: Serge, du hast doch für dieses Bild keine zweihunderttausend Franc bezahlt?

SERGE: Aber Junge, das ist der Preis. Es ist ein ANTRIOS!

MARC: Du hast keine zweihunderttausend Franc für dieses Bild bezahlt!

SERGE: Ich war sicher, dass du nicht begreifen würdest.

MARC: Hast du für diese Scheiße wirklich zweihunderttausend Franc bezahlt?!

* * *

Serge, allein.

SERGE: Mein Freund Marc, ein intelligenter Junge, den ich seit langem schätze, gute Position, Ingenieur in der Aeronautik, gehört zu diesen neuen Intellektuellen, die sich nicht allein damit begnügen, Feinde der Moderne zu sein, sondern die sich unbegreiflicherweise auch noch etwas darauf einbilden. Man findet bei den Anhängern der guten alten Zeit seit kurzem eine wirklich verblüffende Arroganz.

* * *

Dieselben. Selber Ort. Selbes Bild.

SERGE: (nach einiger Zeit) Wie kannst du sagen »diese Scheiße«?

MARC: Serge, ein wenig Humor! Lach! … Lach schon, alter Junge, ich finde es einfach großartig, dass du dieses Bild gekauft hast!

Marc lacht. Serge steht da wie versteinert.

SERGE: Dass du diesen Kauf großartig findest, wunderbar, dass du darüber lachen musst, schön, aber ich möchte wissen, was du mit »diese Scheiße« meinst.

MARC: Du machst dich wohl über mich lustig!

SERGE: Keineswegs. »Diese Scheiße« verglichen womit? Wenn man sagt, dies oder jenes ist eine Scheiße, muss man doch einen Wertmaßstab haben, um darüber urteilen zu können.

MARC: Mit wem sprichst du? Mit wem sprichst du im Augenblick? Huhu! …

SERGE: Du interessierst dich nicht für die zeitgenössische Malerei, du hast dich nie dafür interessiert. Du hast nicht die geringste Kenntnis auf diesem Gebiet, wie kannst du also behaupten, ein bestimmter Gegenstand, der Gesetzen gehorcht, von denen du nichts weißt, sei eine Scheiße?

MARC: … Es ist eine Scheiße. Entschuldige bitte.

* * *

Serge, allein.

SERGE: Er mag dieses Bild nicht. Schön … Keine Zärtlichkeit in seinem Verhalten. Kein Bemühen. Keine Zärtlichkeit in seiner Art zu verurteilen. Ein selbstgefälliges, perfides Lachen. Ein Lachen, das alles besser weiß als alle andern. Ich hasse dieses Lachen.

* * *

Marc, allein.

MARC: Dass Serge dieses Bild gekauft hat, will mir einfach nicht in den Kopf, es beunruhigt mich und löst unbestimmte Ängste in mir aus. Als ich seine Wohnung verließ, musste ich sofort drei Gelsemium-Pastillen lutschen, die Paula mir empfohlen hat – hat sie eigentlich Gelsemium oder Ignatia gesagt? Möchtest du lieber Gelsemium oder Ignatia? Was weiß ich?! –, denn ich kann absolut nicht verstehen, wie Serge, der mein Freund ist, dieses Bild kaufen konnte. Zweihunderttausend Franc!Er ist zwar wohlhabend, aber er schwimmt nicht im Geld. Wohlhabend, mehr aber nicht, wohlhabend eben. Kauft sich für zwanzig Riesen ein weißes Bild. Das muss ich unserem gemeinsamen Freund Yvan erzählen, ich muss mit Yvan darüber reden. Obwohl Yvan ja ein toleranter Mensch ist, auf dem Gebiet der zwischenmenschlichen Beziehungen der schlimmste Fehler.Yvan ist tolerant, weil ihm alles wurscht ist.Wenn Yvan duldet, dass Serge sich für zwanzig Riesen eine weiße Scheiße hat kaufen können, dann heißt das, dass Serge ihm wurscht ist. Das ist klar.

* * *

Bei Yvan.

An der Wand ein Schinken. Man sieht Yvan von hinten auf allen Vieren. Er scheint unter einem Möbelstück etwas zu suchen. Während des Suchens dreht er sich um und stellt sich vor.

YVAN: Ich heiße Yvan. Ich bin etwas angespannt, denn ich habe gerade eine Stelle als Vertreter in einer Papiergroßhandlung gefunden, nachdem ich mein ganzes Leben lang in der Textilbranche war. Ich bin ein sympathischer Kerl. Mein Berufsleben ist immer ein Fehlschlag gewesen, und in vierzehn Tagen werde ich mich mit einem netten, reizenden Mädchen aus guter Familie verheiraten.

Marc kommt herein. Man sieht Yvan wieder von hinten, wie er etwas sucht.

MARC: Was machst du da?

YVAN: Ich suche die Kappe meines Filzstifts.

Kurze Pause.

MARC: Gut, das reicht.

YVAN: Ich hatte sie noch vor fünf Minuten.

MARC: Das ist nicht weiter schlimm.

YVAN: Doch.

Marc bückt sich, um ihm beim Suchen zu helfen. Eine Zeit lang suchen sie beide. Marc richtet sich auf.

MARC: Hör auf. Kauf dir einen andern.

YVAN: Es sind ganz besondere Filzstifte, du kannst damit auf allem schreiben … Das macht mich nervös. Wenn du wüsstest, wie mich die Gegenstände aufregen. Ich habe diese Kappe noch vor fünf Minuten in der Hand gehabt.

MARC: Werdet ihr hier wohnen?

YVAN: Findest du’s gut für ein junges Ehepaar?

MARC: Junges Ehepaar! Haha!

YVAN: Vermeide dieses Lachen in Catherines Beisein.

MARC: Die Papierhandlung?

YVAN: Gut. Ich lerne.

MARC: Du hast abgenommen.

YVAN: Etwas. Es stinkt mir, dass ich diese Kappe nicht gefunden habe, der Stift wird jetzt austrocknen. Setz dich.

MARC: Wenn du weiter nach dieser Kappe suchst, gehe ich.

YVAN: O. k., ich hör auf. Willst du was trinken?

MARC: Ein Perrier, wenn du hast.Hast du Serge in den letzten Tagen gesehen?

YVAN: Nicht gesehen. Und du?

MARC: Gestern gesehen.

YVAN: In Form?

MARC: Sehr. Er hat sich gerade ein Bild gekauft.

YVAN: Ach was?

MARC: Mmm.

YVAN: Schön?

MARC: Weiß.

YVAN: Weiß?

MARC: Weiß.Stell dir ein Ölgemälde von etwa ein Meter sechzig auf ein Meter zwanzig vor … Weißer Untergrund … ganz weiß … in der Diagonale ganze feine, weiße Querstreifen … verstehst du … und als Ergänzung vielleicht eine horizontale Linie, nach unten …

YVAN: Wie kannst du sie sehen?

MARC: Wie bitte?

YVAN: Die weißen Linien. Wie kannst du die Linien sehen, wenn der Untergrund weiß ist?

MARC: Weil ich sie eben sehe. Weil die Linien meinetwegen leicht grau sind, oder umgekehrt, kurzum, es gibt Nuancen im Weiß! Das Weiß ist mehr oder weniger weiß!

YVAN: Reg dich doch nicht auf. Warum regst du dich auf?

MARC: Weil du an allem was auszusetzen hast. Du lässt mich nicht zu Ende erzählen.

YVAN: Gut. Und?

MARC: Gut. Du siehst das Bild also vor dir.

YVAN: Ich sehe es.

MARC: Nun rate mal, was Serge dafür bezahlt hat?

YVAN: Wer ist der Maler?

MARC: Antrios. Kennst du ihn?

YVAN: Nein. Hoch notiert?

MARC: Ich war sicher, dass du diese Frage stellen würdest!

YVAN: Logisch …

MARC: Nein, das ist gar nicht logisch …

YVAN: