Drei Sekunden - Anders Roslund - E-Book
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Drei Sekunden E-Book

Anders Roslund

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Beschreibung

Der internationale Thrillererfolg Three Seconds 2018 als große Blockbusterverfilmung im Kino!

Er lebt ein Doppelleben. Das eine mit seiner Frau und den beiden kleinen Söhnen, für die er alles tun würde. Und das andere als Undercover-Agent, eingeschleust bei der polnischen Mafia. Jeden Tag riskiert er sein Leben. Doch der neue Auftrag ist sein bisher gefährlichster: Er soll die Geschäfte der Drogenmafia in einem Hochsicherheitsgefängnis an sich reißen. Der Auftrag kommt von seinen polnischen Freunden, aber auch seine schwedischen Kollegen unterstützen dieses Vorhaben. Der Mann, der zwei Namen hat, weiß, dass er jetzt allein ist, dass er in nur Drei Sekunden tot sein kann, wenn seine Deckung auffliegt. Deshalb macht er einen Plan, den nur er allein kennt.

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Seitenzahl: 674

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Buch

Der einstige Verbrecher Piet Hoffmann gilt als der beste Undercover-Agent Schwedens. Er wurde unter einem Decknamen bei der polnischen Mafia eingeschleust, organisiert Drogendeals und lässt Amphetaminkapseln über die schwedische Grenze einführen – alles mit dem Wissen hochkarätiger Polizeifunktionäre, die mit Informationen versorgt werden wollen. Doch dann geht ein Deal schief: Ein angeblicher Amphetamin-Käufer enttarnt sich als Polizist und wird sofort erschossen, ohne dass Piet etwas dagegen tun kann.

Wenig später nimmt sich Kriminalinspektor Ewert Grens des Falls an. Er ist ein mit allen Wassern gewaschener Kriminalbeamter, der keine Auseinandersetzung mit Vorgesetzten scheut und bald schon herausfindet, dass die Akte zu dem mysteriösen Mord von oberster Stelle unter Verschluss gehalten wird.

Piet erhält unterdessen einen neuen Auftrag der Mafia: Er soll Drogen in ein Stockholmer Hochsicherheitsgefängnis einschleusen. Piet lässt sich gezielt verhaften – denn noch hat er keine Vorstellung, auf was er sich da eingelassen hat …

Autoren

Anders Roslund, der für seinen investigativen Journalismus mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde, ist einer der anerkanntesten skandinavischen Krimiautoren unserer Zeit und Teil des international erfolgreichen Autorenduos Roslund & Hellström, das viele wichtige Preise erhielt, u. a. den CWA International Dagger, den Skandinavischen Krimipreis und den Preis der schwedischen Krimiautoren. Die Thriller um ihren Undercoveragenten Piet Hoffmann werden gerade in Hollywood verfilmt.

Börge Hellström ist 2017 verstorben. Abgesehen von seiner Autorentätigkeit war er ein gefragter Berater in schwedischen Fernsehsendungen zum Thema Drogenabhängigkeit und Jugendliche im Strafvollzug.

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ROSLUND / HELLSTRÖM

DREISEKUNDEN

THRILLER

Deutsch von Gabriele Haefs

Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Tre sekunder« bei Piratförlaget, Stockholm.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2009 by Anders Roslund & Börge Hellström

Published by agreement with Salomonsson Agency

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © S. Fischer Verlag GmbH,

Frankfurt am Main 2010

Copyright dieser Ausgabe © 2018 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München.

Umschlaggestaltung: © www.buerosued.de

Umschlagmotiv: © Getty Images / 602985453 / Johner Images

KW Herstellung: sam

Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, MünchenISBN 978-3-641-23172-9V002www.blanvalet.de

Für Vanja,die die Bücher ein wenig besser gemacht hat

ERSTERTEIL

SONNTAG

NOCHEINESTUNDEbis Mitternacht.

Es war später Frühling, aber es war dunkler, als er erwartet hatte. Vor allem lag es am Wasser dort unten, eine schwarze Haut, die über dem lag, was keinen Boden zu haben schien.

Er konnte Schiffe nicht leiden, oder vielleicht verstand er das Meer nicht, er fror immer, wenn der Wind wehte, so wie jetzt, während Swinemünde langsam verschwand. Er umklammerte die Reling und wartete, bis die Häuser keine Häuser mehr waren, nur noch kleine Vierecke, die sich auflösten, während das Dunkle unter ihm immer größer wurde.

Er war neunundzwanzig Jahre alt und hatte Angst.

Er hörte Menschen, die sich hinter ihm bewegten, auch sie auf Reisen, eine Nacht und einige Stunden Schlaf, dann würden sie in einem anderen Land aufwachen.

Er beugte sich vor und kniff die Augen zusammen, jede Reise schien ein wenig scheußlicher zu sein als die vorherige, und seine Seele wurde sich der Risiken ebenso bewusst wie sein Körper, die Hände, die zitterten, und die Stirn, die brannte, obwohl er in dem beißenden kalten Wind fror. In zwei Tagen. In zwei Tagen würde er wieder hier stehen, aber dann, auf dem Rückweg, würde er bereits vergessen haben, dass er sich geschworen hatte, es niemals wieder zu tun.

Er ließ die Reling los und öffnete die Tür, die Kälte mit Wärme vertauschte und ihn zu einer der großen Treppen führte, über die Gesichter, die er nicht kannte, die sich zu ihren Kabinen begaben.

Er wollte nicht schlafen, er konnte nicht schlafen, noch nicht.

Die Bar machte nicht viel her, die m/f Wawel gehörte zu den größten Fähren zwischen Nordpolen und Südschweden, aber das hier, schmuddelige Tische und Stühle mit vier mageren Stäben als Rückenlehne, hier sollte man einfach nicht lange sitzen bleiben.

Er schwitzte noch immer, seine Hände hielten Butterbrot und Bierglas, er starrte vor sich hin, versuchte, sie nicht zu zeigen, seine Angst. Zwei Schlucke Bier, einen Bissen Käse, er kämpfte noch immer gegen die Übelkeit und hatte gehofft, ein neuer Geschmack werde den anderen neutralisieren, zuerst ein großer fetter Bissen Speck, den er hatte essen müssen, damit sein Magen weich gepolstert wäre, dann das Gelbliche, das in brauner Gummimasse versteckt war, sie hatten bei jedem Schlucken laut mitgezählt, zweihundert Mal, bis die Gummikügelchen seinen Schlund wundgescheuert hatten.

»Czy podac panu cos jeszcze?«

Die junge Serviererin sah ihn an, er schüttelte den Kopf, nicht heute Abend, nichts mehr.

Das Glühen der Wangen wurde jetzt zu einem tauben Gefühl, er sah im Spiegel neben der Kasse ein bleiches Gesicht und schob den Teller mit dem unberührten Butterbrot und das volle Glas so weit weg, wie das auf dem Tresen nur möglich war, drehte sich nicht einmal um. Man konnte nicht wissen, warum sich jemand neben einen setzte und den Betrunkenen spielte und zu einem Bier einladen wollte, es konnte jemand sein, dem auch der Zweck seiner Reise bekannt war. Er legte zwanzig Euro auf den silberfarbenen Teller mit der Rechnung und verließ die menschenleere Bar mit den einsamen Tischen und der sinnlosen Musik.

»Postawić ci piwo?«

Er hätte vor Durst schreien können, und seine Zunge suchte nach Speichel, um das Ausgedörrte anzufeuchten, aber er wagte nicht zu trinken, aus Angst vor der Übelkeit, davor, das Verschluckte nicht bei sich behalten zu können.

Er musste aber alles behalten, denn sonst – er wusste, wie das lief – wäre er ein toter Mann.

ERLAUSCHTEDENVögeln, wie er das immer am späten Nachmittag machte und wenn die warme Luft, die vom Atlantik kam, langsam einem weiteren kühlen Frühlingsabend weichen musste. Er liebte diese Tageszeit ganz besonders, er hatte seine Pflicht getan, war aber alles andere als müde, und deshalb blieben ihm noch einige gute Stunden, ehe er sich in das schmale Hotelbett legen und versuchen würde, in dem Raum einzuschlafen, der noch immer nur aus Einsamkeit bestand.

Erik Wilson ließ die Kühle auf sein Gesicht prallen, kniff kurz die Augen zu, um den starken Scheinwerfern zu entgehen, die die ganze Umgebung in ein viel zu weißes Licht tauchten. Er lehnte sich zurück und schaute vorsichtig hoch zu dem Ballen aus spitzem Stacheldraht, der den hohen Zaun noch höher machte, und verdrängte das seltsame Gefühl, dass ihm alles entgegenfiel.

Aus zweihundert Metern Entfernung ertönten die Geräusche einer Gruppe von Menschen über die weite angestrahlte Fläche aus hartem Asphalt.

Sechs schwarzgekleidete Männer vor, neben, hinter einem siebten.

Ein ebenfalls schwarzes Auto, das langsam hinter ihnen herfuhr.

Wilson verfolgte neugierig jeden Schritt.

Transport von Schutzobjekt. Transport über offene Fläche.

Plötzlich war da ein anderes Geräusch. Jemand, der eine Waffe benutzte. Jemand, der einen Schuss nach dem anderen abgab, auf die Menschen, die sich bewegten. Erik Wilson sah, wie die beiden Schwarzgekleideten, die dem Schutzobjekt am nächsten waren, sich darüberwarfen und es zu Boden drückten, wie die vier anderen herumfuhren und in die Richtung starrten, aus der die Schüsse gekommen waren.

Sie taten dasselbe wie Wilson, sie identifizierten die Waffe per Gehör.

Eine Kalaschnikow.

Aus einem Durchgang zwischen zwei niedrigen Häusern, vierzig, vielleicht fünfzig Meter von ihnen entfernt.

Die Vögel, die eben noch gesungen hatten, waren jetzt verstummt, sogar der warme Wind, der bald kälter werden würde, auch der war geflohen.

Erik Wilson konnte durch den Zaun jede Bewegung sehen, konnte jedes Schweigen hören. Die Männer in Schwarz erwiderten jetzt das Feuer, und der Wagen wurde schneller, um dann sehr dicht bei dem Schutzobjekt und in der Flugrichtung der Kugeln stehenzubleiben, die in gleichmäßigen Abständen weiterhin von den beiden niedrigen Häusern kamen. Zwei Sekunden, mehr nicht, dann war der zu schützende Körper durch eine geöffnete Tür auf den Rücksitz des Fahrzeugs gezogen und in der Dunkelheit verschwunden.

»Gut.«

Die Stimme kam von oben.

»Für heute sind wir fertig.«

Die Lautsprecher waren unmittelbar unter den starken Scheinwerfern angebracht. Auch der Präsident dieses Abends hatte überlebt. Wilson reckte sich, lauschte, die Vögel, jetzt sangen sie wieder. Ein seltsamer Ort. Er war zum dritten Mal hier, FLETC hieß er, Federal Law Enforcement Training Center, im Süden des Bundesstaates Georgia gelegen, ein Militärstützpunkt, ein Trainingsplatz für Polizeiorganisationen, die Drogenbekämpfungsbehörde DEA, für die ATF, die Bundespolizeibehörde, die für Alkohol, Tabak, Schusswaffen und Sprengstoff zuständig ist, für die US Marshals, die Grenzschutzpolizisten und die, die soeben mal wieder die Nation gerettet hatten, den Secret Service. Er war sich da sicher, musterte den angestrahlten Asphalt, es war ihr Wagen gewesen, waren ihre Leute, sie übten oft um diese Zeit.

Er ging weiter am Zaun entlang, der die Grenze zu einer anderen Wirklichkeit bildete. Das Atmen fiel leichter hier, er hatte dieses Wetter immer gemocht, es war so viel angenehmer als das Warten auf einen Stockholmer Sommer, der niemals kam.

Es sah aus wie jedes beliebige Hotel, er ging durch das Foyer auf das teure und langweilige Restaurant zu, überlegte sich die Sache dann aber anders und steuerte nun die Fahrstühle an, die zum zwölften Stock in dem Gebäude fuhren, das für einige Wochen oder Monate das gemeinsame Zuhause der jeweiligen Kursteilnehmer war.

Sein Zimmer war stickig und zu warm. Er öffnete das Fenster, von dem aus man auf den großen Übungsplatz schaute, und blickte eine Weile in das blendende Licht, schaltete den Fernseher ein, zappte zwischen den Sendern, die alle das Gleiche ausstrahlten. Er ließ den Fernseher laufen, würde das tun, bis er schlafen ging, es war das Einzige, was ein Hotelzimmer fast lebendig machte.

Er fand keine Ruhe.

Eine Unruhe steckte irgendwo in seinem Körper, sie kroch vom Bauch durch die Beine zu den Füßen, und er erhob sich von der Bettkante, reckte sich, ging zum Schreibtisch, wo fünf Mobiltelefone im Abstand von einigen Zentimetern auf der blanken Tischplatte aufgereiht waren, fünf identische Telefone zwischen der Lampe mit dem ein wenig zu großen Schirm und der Schreibunterlage aus dunklem Leder.

Er hob die Telefone, musterte sie, eines nach dem anderen. Die ersten vier, keine Anrufe, keine Mitteilungen.

Das fünfte, er sah es, noch ehe seine Hand es berührt hatte.

Fünf unbeantwortete Anrufe.

Alle von derselben Nummer.

So hatte er es arrangiert. Für dieses Telefon kamen die Anrufe von einer einzigen Nummer. Von diesem Telefon gingen die Anrufe zu einer einzigen Nummer.

Zwei nicht registrierte Prepaid-Cards, die nur einander anriefen: Falls jemand das überprüfte, falls jemand ihre Telefone fand, gab es keine Namen, nur zwei Telefone, über die Gespräche geführt wurden, zwischen zwei unbekannten Teilnehmern, die man nicht ermitteln konnte, nirgendwo.

Er schaute die vier anderen an, die noch immer auf dem Tisch lagen. Alle mit demselben Arrangement wie dieses hier: Auf allen rief eine einzige unbekannte Nummer an, alle wurden von nur einer einzigen unbekannten Nummer angerufen.

Fünf unbeantwortete Anrufe.

Erik Wilson umklammerte das Telefon, das zu Paula gehörte.

Er rechnete. In Schweden war es jetzt nach Mitternacht.

Paulas Stimme.

»Wir müssen uns sehen. Auf der Fünf. In genau einer Stunde.«

Die Fünf.

Vulcanusgata 15 und Sankt Eriksplan 17 in Stockholm.

»Das geht nicht.«

»Wir müssen uns sehen.«

»Das geht nicht. Ich bin im Ausland.«

Schwerer Atem. Ganz da. Und doch über tausend Kilometer entfernt.

»Dann haben wir ein verdammtes Problem. Wir haben in zwölf Stunden eine große Lieferung.«

»Die müsst ihr abblasen.«

»Zu spät. Fünfzehn polnische Mulis sind auf dem Weg hierher.«

Erik Wilson ließ sich auf die Bettkante fallen, auf dieselbe Stelle wie vorhin, die Tagesdecke war ein wenig zerknittert.

Ein Großeinkauf.

Paula war tief in die Gruppe eingedrungen, tiefer als alle, von denen er je gehört hatte.

»Du steigst aus. Sofort.«

»Du weißt, dass das nicht so läuft. Du weißt, dass ich weitermachen muss. Das oder zwei Kugeln in die Schläfe.«

»Ich wiederhole, steig aus. Du kannst von mir, und jetzt hör zu, keine Unterstützung bekommen. Steig aus, verdammt nochmal.«

Es wird immer unangenehm still, wenn jemand mitten im Gespräch auflegt. Wilson hatte diese elektronische Leere noch nie leiden können. Dass ein anderer darüber bestimmte, wann ein Gespräch zu Ende war.

Er ging wieder zum Fenster, suchte in dem grellen Licht, das den weiten Übungsplatz schrumpfen ließ, ihn im Weiß fast ertränkte.

Die Stimme hatte angespannt geklungen, fast verängstigt.

Erik Wilson hielt noch immer das Telefon in der Hand, er sah es an, das Schweigen.

Paula würde die Sache auf eigene Faust durchziehen.

MONTAG

ERWARMITTENauf der Lidingöbro stehen geblieben.

Die Sonne hatte erstmals einige Minuten nach drei die Dunkelheit durchbrochen, seither hatte sie gestoßen und gedroht und gejagt, und das Schwarze würde sich erst am späten Abend wieder heranwagen. Ewert Grens kurbelte das Fenster herunter und schaute zum Wasser hinüber und atmete ein, es war noch kalt, während der Sonnenaufgang zum Morgen wurde und die verdammte Nacht ihn in Ruhe ließ.

Er fuhr auf die andere Seite hinüber und über die schlafende Insel zu dem Haus, das so schön auf einem Felsen lag, mit Blick auf die tief unten vorüberfahrenden Boote. Er hielt auf dem leeren Parkplatz an, zog das Funkgerät aus dem Lader, befestigte das Mikrophon an seinem Revers. Er hatte es immer im Auto gelassen, wenn er sie besucht hatte, kein Anruf war wichtiger gewesen als ihre Gespräche, aber jetzt, jetzt gab es kein Gespräch mehr, das gestört werden könnte.

Ewert Grens war neunundzwanzig Jahre lang jede Woche einmal zum Pflegeheim gefahren und war noch immer nicht darüber hinweg. Obwohl jetzt jemand anders in ihrem Zimmer wohnte. Er ging zu dem Fenster, das ihres gewesen war, wo sie gesessen und auf das Leben geschaut hatte, das vorüberzog, und wo er neben ihr gesessen hatte, in dem Versuch zu verstehen, wonach sie eigentlich suchte.

Der einzige Mensch, dem er jemals vertraut hatte.

Sie fehlte ihm so sehr, diese verdammte Leere, die klammerte sich fest, er rannte die ganze Nacht hindurch weg, und sie rannte hinterher, er konnte sie nicht abschütteln, er schrie sie an, und sie machte einfach weiter, er atmete sie ein, er hatte keine Ahnung, wie eine solche Leere verschwinden könnte.

»Kommissar Grens.«

Ihre Stimme kam von der Glastür, die bei schönem Wetter, wenn alle Rollstühle an die Tische auf der Veranda geschoben wurden, immer offen stand. Susann, die Medizinstudentin, die dem Namensschild auf der Brusttasche ihres weißen Kittels nach nun Unterärztin war, die mit ihm und Anni auf dem Boot zu den Schären gefahren war und ihn davor gewarnt hatte, zu viel zu hoffen, zu viel.

»Hallo.«

»Da sind Sie wieder.«

»Ja.«

Er hatte sie lange nicht mehr gesehen, seit Annis Tod nicht mehr.

»Warum tun Sie das?«

Er schaute zu dem leeren Fenster hoch.

»Was meinen Sie?«

»Warum tun Sie sich das an?«

Das Zimmer war dunkel, der Mensch, der dort wohnte, schlief noch.

»Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«

»Ich habe Sie jetzt zwölf Dienstage hintereinander hier vor dem Haus gesehen.«

»Ist das etwa verboten?«

»Am selben Wochentag zur selben Uhrzeit. Wie damals.«

Ewert Grens gab keine Antwort.

»Als sie noch gelebt hat.«

Susann ging einen Schritt auf der Treppe nach unten.

»Sie tun sich selbst weh.«

Sie hob die Stimme.

»Trauer ist das eine. Aber Sie können die Trauer nicht in einen Zeitplan pressen. Sie leben nicht mit der Trauer. Sie leben für sie. Sie halten sie fest, verstecken sich dahinter. Verstehen Sie das nicht, Kommissar Grens? Das, wovor Sie Angst haben, ist bereits geschehen.«

Er schaute in das dunkle Fenster, er sah sich selbst, die Sonne reflektierte einen älteren Mann, der nicht wusste, was er sagen sollte.

»Sie müssen loslassen. Sie müssen weitergehen. Ohne Zeitplan.«

»Sie fehlt mir so.«

Susann trat wieder zurück, griff nach der Klinke der Verandatür, sie wollte die Tür schließen, hielt aber mitten in der Bewegung inne, rief:

»Ich will Sie nie wieder hier sehen!«

ESWAREINEschöne Wohnung im fünften Stock in der Västmannagata 79. Drei größere Zimmer, hohe Wände, abgeschliffene Holzböden, ein Gefühl von Licht, da es auch zum Vanadisväg hin Fenster gab.

Piet Hoffmann stand in der Küche, öffnete den Kühlschrank und einen weiteren Liter Milch.

Er sah den Mann an, der auf dem Boden lag, mit dem Gesicht über einem roten Plastikeimer. So ein kleines Arschloch aus Warschau, Dieb und Junkie, picklig, schlecht gerichtete Zähne, abgetragene Kleidung. Er versetzte dem Mann mit der harten Schuhspitze einen Tritt in die Seite, der Stinker kippte um und kotzte endlich, weiße Milch und braune Stückchen Gummimasse auf die Hosen und auf den blanken Küchenboden, aus irgendeiner Art Marmor.

Er solle mehr trinken. Napie sie kurwa. Und mehr kotzen.

Piet Hoffmann versetzte ihm noch einen Tritt, diesmal aber nicht ganz so hart, die braune Gummimasse hatte die Kapseln umhüllt, um den Magen vor zehn Gramm Amphetamin zu schützen, und er wollte nicht riskieren, dass auch nur ein einziges Gramm am falschen Ort landete. Der stinkende Mann zu seinen Füßen war einer von fünfzehn präparierten Mulis, die während der Nacht und des Morgens jeder etwa zweitausend Gramm ins Land gebracht hatten, mit der Fähre von Swinemünde und dem Zug von Ystad, ohne zu wissen, dass noch vierzehn andere ebenfalls die Grenze überquert hatten und an unterschiedlichen Orten in Stockholm saßen und darauf warteten, sich zu entleeren.

Er hatte lange versucht, ruhig zu sprechen, das war ihm lieber so, jetzt aber schrie er, pij do cholery, lauter, während er auf den kleinen Scheißkerl eintrat, der sollte verdammt nochmal mehr aus dem Scheißmilchkarton trinken, und er sollte zum Teufel, pij do cholery, ausreichend Kapseln ausspucken, damit der Käufer sie überprüfen und bewerten könnte.

Der dünne Mann weinte.

Er hatte Flecken auf Hose und Hemd, und sein pickliges Gesicht war so weiß wie der Boden, auf dem er lag.

Piet Hoffmann trat ihn nicht mehr. Er hatte die dunklen Stücke gezählt, die in der Milch schwammen, und mehr brauchte er für den Moment nicht. Er fischte die braune Gummimasse heraus, zwanzig fast runde Kugeln, die er mit Plastikhandschuhen an den Händen unter dem Hahn des Spülbeckens wusch und dann zerpflückte, bis sie zu zwanzig kleinen Kapseln auf einem der Porzellanteller aus dem Küchenschrank geworden waren.

»Es gibt noch mehr Milch. Und mehrere Pizzakartons. Du bleibst hier. Du trinkst und frisst und kotzt. Wir warten auf den Rest.«

Das Wohnzimmer war warm, stickig, die drei Männer, die an einem länglichen Eichentisch saßen, schwitzten alle, zu dick angezogen, zu viel Adrenalin, er öffnete die Balkontür und blieb stehen, während ein kühler Wind die verbrauchten Atemzüge hinaustrug.

Piet Hoffmann sprach polnisch, die beiden, die verstehen sollten, was er sagte, wollten das so.

»Er hat noch achtzehnhundert Gramm. Kümmert euch darum. Und gebt ihm sein Geld, wenn er so weit ist. Vier Prozent.«

Sie sahen sich ziemlich ähnlich, um die vierzig, dunkle Anzüge, die teuer gewesen waren, aber billig aussahen, geschorene Köpfe, die aus der Nähe betrachtet zu einem deutlichen Kranz aus einem Tag alten, straßenköterblonden Haaren wurden, leere Augen ohne Freude, und keiner von ihnen lächelte sonderlich oft, und eigentlich hatte er keinen von ihnen jemals lachen hören. Sie taten wie ihnen geheißen, verschwanden in der Küche, um das liegende und kotzende Muli auszuleeren, es war doch seine Lieferung, und keiner von ihnen hatte Lust, in Warschau erklären zu müssen, dass ein Deal geplatzt war.

Er drehte sich zu dem dritten Mann am Tisch um, zum ersten Mal sprach er schwedisch.

»Das hier sind zwanzig Kapseln. Zweihundert g. Das reicht, wenn du taxieren willst.«

Er sah einen großen Mann, blond, durchtrainiert und etwa so alt wie er, um die fünfunddreißig. Einen Mann, der schwarze Jeans und ein weißes T-Shirt trug, und sehr viel Silber an Fingern, Handgelenken, Hals. Jemanden mit vier Jahren Tidholm wegen Mordversuchs und siebenundzwanzig Monaten in Mariefred wegen zweier schwerer Körperverletzungen. Alles stimmte. Und trotzdem, er bekam dieses Gefühl nicht richtig zu fassen, als sei der Käufer verkleidet, als spiele er eine Rolle und als spiele er sie nicht besonders gut.

Piet Hoffmann blickte ihn eindringlich an, als der andere aus der Tasche seiner schwarzen Jeans eine Rasierklinge zog, eine Kapsel der Länge nach durchschnitt und sich über den Porzellanteller beugte, um am Inhalt zu riechen.

Dieses Gefühl. Es war noch immer vorhanden.

Aber der, der dort saß und kaufen wollte, war vielleicht einfach schon angeknallt. Oder nervös. Oder vielleicht war es deswegen, weil Piet mitten in der Nacht Erik angerufen hatte, wegen dieses Gefühls, dass etwas nicht stimmte, dass dieses Gefühl aber so stark war, dass er es am Telefon nicht hatte in Worte kleiden können.

Es roch nach Blumen, Tulpen.

Hoffmann saß zwei Stühle weiter, nahm es aber deutlich wahr.

Der Käufer hatte die gelbweiße, harte Masse zu etwas zerhackt, das aussah wie Pulver, er hatte es auf die Rasierklinge geschoben und in ein leeres Wasserglas geschüttet. Er zog zwanzig Milliliter in einer Spritze auf und drückte sie ins Glas und auf das Pulver, das sich zu einer klaren, aber dicklichen Flüssigkeit auflöste. Er nickte, zufrieden. Es hatte sich rasch aufgelöst. Es war zu einer klaren Flüssigkeit geworden. Es war Amphetamin, und es war genauso stark, wie der Verkäufer es versprochen hatte.

»Tidholm. Vier Jahre. War das so?«

Es hatte professionell ausgesehen. Aber das Gefühl war noch immer nicht gut.

Piet Hoffmann zog den Teller mit den Kapseln zu sich, wartete auf Antwort.

»Siebenundneunzig bis zweitausend. Hab aber nur drei abgesessen. Kam nach der Hälfte raus.«

»Welche Abteilung?«

Hoffmann musterte das Gesicht des Käufers.

Keine Muskelzuckungen, kein Blinzeln, keine anderen Anzeichen von Nervosität.

Er sprach schwedisch mit einem leichten Akzent, aus irgendeinem Nachbarland, Piet tippte auf Dänemark, vielleicht Norwegen. Plötzlich sprang der andere auf, eine irritierte Hand ein wenig zu dicht vor Piets Gesicht. Es sah noch immer gut aus, war aber zu spät, solche Dinge spürt man, er hätte viel früher beleidigt sein, von Anfang an mit der Hand herumfuchteln müssen, hast du etwa kein Vertrauen zu mir, du Arsch.

»Du hast das Urteil doch gesehen. Oder was?«

Wirklich, es war so, als ob er den Beleidigten nur spielte.

»Noch mal. Welche Abteilung?«

»Haus C. Siebenundneunzig bis neunundneunzig.«

»Haus C. Wo?«

Auch das kam zu spät.

»Was zum Teufel soll das eigentlich?«

»WO?«

»Haus C. Die Abteilungen in Tidholm haben keine Nummern.«

Er lächelte.

Piet Hoffmann lächelte zurück.

»Mit wem hast du zusammen gesessen?«

»Jetzt muss es aber reichen, verdammt.«

Der Käufer wurde lauter, er wollte sich offenbar noch genervter anhören, noch beleidigter.

Hoffmann hörte etwas anderes.

Jemanden, der unsicher war.

»Machen wir jetzt weiter oder nicht? Ich dachte, du hast mich herbestellt, weil du etwas verkaufen willst?«

»Mit wem hast du gesessen?«

»Schonen. Mio. Josef Libanon. Virtanen. Dem Grafen. Wie viele willst du haben?«

»Mit wem noch?«

Er stand noch immer, trat den ersten Schritt auf Hoffmann zu.

»Jetzt ist Schluss.«

Er trat dicht vor ihn hin, das Silber um Handgelenk und Finger funkelte, als er die Hand vor Piet Hoffmanns Gesicht hielt.

»Du kriegst nicht mehr. Das reicht jetzt. Du entscheidest, ob wir weitermachen.«

»Josef Libanon ist auf Lebenszeit ausgewiesen und verschwunden, als er vor dreieinhalb Monaten in Beirut gelandet ist. Virtanen sitzt seit einem Jahr in Säters in der Geschlossenen und sabbert unansprechbar in einer chronischen Psychose. Mio ist begraben …«

Die beiden mit den teuren Anzügen und den rasierten Köpfen hatten die lauten Stimmen gehört und die Küchentür geöffnet.

Hoffmann winkte ihnen, nicht näher zu kommen.

»Mio ist begraben im Sand bei Åstaket auf Värmdö, mit zwei Schüssen durch den linken Hinterkopf.«

Jetzt befanden sich drei Männer im Raum, die eine fremde Sprache sprachen.

Piet Hoffmann registrierte, dass der Käufer sich umschaute, als ob er nach einem Ausweg suchte.

»Josef Libanon. Virtanen, Mio. Ich mache weiter mit Schonen, der säuft nur noch und kann sich nicht mehr erinnern, ob er in Tidholm gesessen hat oder in Kumla oder warum nicht auch in Hall. Und der Graf … den hat das Personal runtergeschnitten, als er sich mit einem Laken in der U-Haft von Härnösand aufgehängt hat. Das waren deine fünf Namen. Du hast sie schlecht ausgesucht, da keiner bestätigen kann, dass du auch gesessen hast.«

Einer von denen in den dunklen Anzügen, der, der Mariusz hieß, trat einen Schritt vor, eine Pistole in der Hand, sie war schwarz, ein polnisches Fabrikat, sie sah neu aus, als er sie gegen den Kopf des Käufers hielt. Piet Hoffmann schrie uspokój sie do diabla, er schrie mehrere Male uspokój sie do diabla, Mariusz solle verdammt nochmal ruhig bleiben, keine Scheißpistolenläufe an irgendwelche Schläfen.

Den Daumen an der Sicherung, schob Mariusz sie langsam nach hinten, lachte und ließ die Pistole sinken, und Hoffmann redete weiter, jetzt wieder auf Schwedisch.

»Weißt du, wer Frank Stein ist?«

Hoffmann sah den Käufer an. Die Augen, die eigentlich irritiert aussehen sollten, beleidigt, jetzt sogar wütend.

»Das weißt du doch.«

»Gut. Wer ist er?«

»Haus C. Tidholm. Ein sechster Name. Zufrieden?«

Piet Hoffmann hob sein Mobiltelefon vom Tisch auf.

»Dann würdest du vielleicht gern ein wenig mit ihm plaudern? So unter alten Knastbrüdern?«

Er hielt dem anderen das Telefon vor das Gesicht, fotografierte die Augen und wählte eine Nummer, die er auswendig gelernt hatte.

Sie musterten einander schweigend, während das Foto gesendet wurde und er die Nummer ein weiteres Mal wählte.

Die beiden im Anzug, Mariusz und Jerzy, redeten wütend aufeinander ein. Z drugiej strony. Mariusz solle aus dem Weg gehen, er solle auf der anderen Seite stehen, auf der rechten Seite des Käufers. Blizej glowy. Er solle noch näher treten, er solle die Waffe heben, sie gegen die rechte Schläfe halten.

»Du musst meine Freunde aus Warschau entschuldigen, sie sind ein bisschen nervös.«

Jemand antwortete.

Piet Hoffmann sagte kurz etwas und hielt dann das Display des Telefons hoch.

Das Bild eines Mannes, der seine langen dunklen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte und dessen Gesicht nicht mehr so jung aussah, wie es tatsächlich war.

»Hier. Frank Stein.«

Hoffmann begegnete unruhigen Augen, die dann auswichen.

»Und du … du behauptest noch immer, dass ihr euch kennt?«

Er schaltete das Telefon aus und legte es auf den Tisch.

»Meine beiden Freunde sprechen kein schwedisch. Das hier sage ich nur zu dir.«

Ein kurzer Blick auf die beiden, die jetzt noch näher getreten waren und weiter darüber diskutierten, auf welcher Seite sie stehen sollten, wenn sie die Pistole auf den Kopf des Käufers richteten.

»Du und ich, wir haben ein Problem. Du bist nicht der, für den du dich ausgibst.«

»Ich verstehe nicht, was du meinst.«

»Komm mir nicht so. Kein Scheißgerede. Dazu ist es zu spät. Sag einfach, wer verdammt nochmal du bist. Und zwar sofort. Denn anders als meine Freunde hier finde ich, dass Leichen ein Problem bedeuten und außerdem verdammt mies bezahlen.«

Sie warteten. Aufeinander. Darauf, dass einer lauter redete als das monotone Schmatzen aus dem Mund des Mannes, der seine Pistole härter gegen die dünne Gesichtshaut drückte.

»Du hast dir ziemliche Mühe gegeben, um dir einen glaubwürdigen Hintergrund zurechtzulegen, und du weißt, dass er gerade eben geplatzt ist, weil du dein Gegenüber unterschätzt hast. Diese Organisation wurde von Offizieren im polnischen Nachrichtendienst aufgebaut, und ich kann über dich alles erfahren, was ich verdammt nochmal will. Ich kann fragen, wo du zur Schule gegangen bist, und du kannst so antworten, wie du es einstudiert hast, aber ein einziger Anruf, und ich weiß, ob es stimmt. Ich kann fragen, wie deine Mutter heißt, ob dein Hund geimpft ist, welche Farbe deine neue Kaffeemaschine hat. Jetzt habe ich das getan, habe ein Gespräch geführt. Und Frank Stein hat dich nicht erkannt. Ihr habt nicht zusammen in Tidholm gesessen, weil du da niemals gesessen hast. Du lügst, du tust nur so, als ob du fabrikneues Amphetamin kaufen willst. Und jetzt noch mal von vorn. Sag uns, wer du bist. Und vielleicht, aber nur ganz vielleicht, sage ich diesen beiden hier, dass sie nicht abdrücken sollen.«

Mariusz umklammerte den Pistolenkolben, das Schmatzen war wieder zu hören. Er hatte nicht verstanden, worüber Hoffmann und der Käufer da redeten, aber ihm war klar, dass da etwas überhaupt nicht stimmte. Er schrie auf Polnisch, wovon redet ihr, zum Teufel, wer ist der Kerl, und entsicherte seine Waffe.

»Na gut.«

Der Käufer spürte die Mauer aus unmittelbarer Aggressivität, sie war ruhelos, unberechenbar.

»Ich bin von der Polizei.«

Mariusz und Jerzy sprachen kein schwedisch.

Aber das Wort »Polizei« brauchte keine Übersetzung.

Sie schrien einander wieder an, vor allem Jerzy. Er schrie, dass Mariusz verdammt nochmal abdrücken solle, während Piet Hoffmann beide Arme hob und einen Schritt näher trat.

»Zurück mit euch!«

»Der ist von der Polizei!«

»Ich knall ihn ab.«

»Nicht jetzt!«

Piet Hoffmann sprang auf die beiden zu, würde aber zu spät kommen, und der, dem Metall gegen den Kopf gedrückt wurde, spürte das, er zitterte, sein Gesicht war verzerrt.

»Ich bin von der Polizei, verdammt nochmal, halt ihn zurück!«

Jerzy hatte die Stimme eine Spur gesenkt und war blizey fast ruhig, als er Mariusz befahl, näher zu treten und z drugiej strony wieder die Seite zu wechseln, das war trotz allem doch besser, als durch die andere Schläfe zu schießen.

ERLAGNOCHim Bett, es war so ein Morgen, wenn der Körper nicht aufwachen will und die Welt zu weit fort ist.

Erik Wilson atmete die feuchte Luft ein.

Es war noch immer kalt, als das offene Fenster den frühen Morgen in Südgeorgia hereinließ, aber bald würde es warm werden, noch wärmer als am Vortag. Er versuchte, den Flügeln des großen Deckenventilators zu folgen, die über seinem Kopf spielten, gab es aber auf, als seine Augen tränten. Er hatte immer nur eine Stunde geschlafen. Sie hatten während der Nacht viermal miteinander gesprochen, und Paula hatte bei jedem Gespräch gehetzter geklungen, eine Stimme mit fremdem Unterton, gestresst und verzweifelt auf eine Weise, die an Flucht grenzte.

Er hörte jetzt schon seit einer geraumen Weile die vertrauten Geräusche vom großen Übungsplatz des FLETC, es war sicher schon nach sieben, früher Nachmittag in Schweden, bald würden sie so weit sein.

Er setzte sich auf, ein Kissen im Rücken. Vom Bett aus konnte er aus dem Fenster blicken, auf den Tag, der schon längst zur Stelle war. Die harte Asphaltfläche, auf der der Secret Service am Vortag geschossen und einen Präsidenten gerettet hatte, war zwar leer, nur die Stille nach den vorgetäuschten Schüssen hallte noch wider. Aber zweihundert Meter weiter auf dem nächsten Übungsplatz waren etliche Morgenfrische von der Border Patrol angetreten, militärische Uniformen stürzten einem in ihrer Nähe landenden grünweißen Hubschrauber entgegen. Erik Wilson zählte acht Mann, die an Bord stiegen und gen Himmel verschwanden.

Er verließ das Bett und duschte kalt, und das half ein wenig, die Nacht wurde deutlicher, das Gespräch mit der Angst.

»Ich will, dass du aussteigst.«

»Du weißt, dass das nicht geht.«

»Du riskierst bis zu vierzehn Jahre.«

»Wenn ich das hier nicht durchziehe, Erik, wenn ich jetzt einen Rückzieher mache, wenn ich das ohne brauchbare Erklärung mache … dann riskiere ich noch mehr. Mein Leben.«

Erik Wilson hatte bei jedem Gespräch und auf immer neue Weise versucht zu erklären, dass eine Lieferung und ein Verkauf ohne seine Unterstützung nicht durchgeführt werden konnten oder durften. Damit war er nicht durchgedrungen, nicht, wenn Verkäufer und Mulis schon in Stockholm waren.

Es war zu spät gewesen, um auszusteigen.

Er würde ein eiliges Frühstück schaffen, Blaubeerpfannkuchen, Speck, dieses helle luftige Brot. Eine Tasse schwarzen Kaffee und die »New York Times«. Er saß immer am selben Tisch, in einer stillen Ecke in dem großen Speisesaal, er zog es vor, den Morgen für sich zu haben.

Er hatte niemals Leute wie Paula gehabt, solche, die so tief in eine Organisation eingedrungen waren, solche, die so intelligent, aufmerksam, kalt waren, im Moment arbeitete er mit fünf anderen zusammen, und Paula war besser als alle fünf zusammen, zu gut, um kriminell zu sein.

Noch eine Tasse schwarzen Kaffee, eilig lief er auf sein Zimmer, er war zu spät.

Vor dem offenen Fenster stand der grünweiße Hubschrauber hoch über dem Boden, und drei Uniformen von der Border Patrol hingen an dem Seil, das unter dem Hubschrauber heraushing, etwas voneinander entfernt, sie kletterten in die gefährlichen Grenzgebiete vor Mexiko hinunter, noch so eine Übung, hier gab es immerzu Übungen. Erik Wilson wohnte seit zwei Wochen auf dem Militärstützpunkt im Osten der USA, zwei Wochen blieben ihm diesmal noch, er nahm an einer Ausbildung für europäische Polizisten über Information, Infiltration, Zeugenschutz teil.

Er schloss das Fenster, die Putzfrauen ärgerten sich, wenn es offen stand, das hing mit der neuen Klimaanlage des Offiziershotels zusammen, die nicht mehr funktionierte, wenn alle auf eigene Faust lüfteten. Er wechselte das Hemd, sah im Spiegel einen großen und ziemlich blonden Mann mittleren Alters, der bereits auf dem Weg zu einem Tag auf der Schulbank sein sollte, mit Polizisten aus vier Bundesstaaten der USA als Kurskameraden.

Er blieb stehen. Drei Minuten nach acht. Sie müssten es jetzt über die Bühne gebracht haben.

Paulas Mobiltelefon lag ganz rechts neben den anderen auf dem Schreibtisch, wie alle anderen mit nur einer einzigen einprogrammierten Nummer.

Erik Wilson konnte nicht einmal nachfragen.

»Irgendetwas ist schiefgegangen.«

SVENSUNDKVISTKONNTEden langen, dunklen und bisweilen reichlich staubigen Gang der Ermittlungsabteilung noch immer nicht leiden. Er arbeitete nun schon sein ganzes erwachsenes Leben lang bei der Citypolizei und hatte von einem Zimmer an dessen Ende, nicht sehr weit von Postfach oder Kaffeeautomaten, jedes im Strafgesetzbuch definierte Vergehen ermittelt. An diesem Vormittag war er gerade unterwegs durch das Dunkle und Staubige, als er an der offenen Zimmertür seines Chefs vorbeikam und plötzlich stehen blieb.

»Ewert?«

Der große und ziemlich klobige Mann kroch vor einer Zimmerwand herum.

Sundkvist klopfte vorsichtig an den Türrahmen.

»Ewert?«

Ewert Grens hörte ihn nicht. Er kroch weiterhin zwischen zwei großen braunen Pappkartons herum, und Sven verdrängte ein Gefühl von Unlust. Einmal früher hatte er den bulligen Kriminalkommissar auf einem Boden des Polizeigebäudes gesehen, achtzehn Monate zuvor, Grens hatte in einem Kellerraum gesessen, mit einem Papierstapel aus einer alten Ermittlung auf den Knien, und langsam zwei Sätze wiederholt. »Sie ist tot. Ich habe sie umgebracht.« Eine siebenundzwanzig Jahre alte Voruntersuchung über Gewalt gegen eine Beamtin im Dienst, eine junge Polizistin, die schwer verletzt worden war und danach das Pflegeheim nie mehr verlassen konnte. Sven Sundkvist hatte, als er später den Bericht gelesen hatte, an mehreren Stellen ihren Namen gefunden. Anni Grens. Er hatte nicht einmal gewusst, dass die beiden verheiratet gewesen waren.

»Ewert, was machst du denn da?«

Grens verpackte etwas in große braune Pappkartons. Das war immerhin zu sehen. Aber nicht, was er verpackte. Sven Sundkvist klopfte noch einmal. Im Zimmer war es ganz still, aber Ewert Grens hörte ihn trotzdem nicht.

Hinter ihnen lag eine seltsame Zeit.

Ewert hatte wie alle anderen Trauernden zuerst mit Leugnen reagiert – das ist nicht passiert – , dann mit Wut – warum tun sie mir das an? –, und dann hatte er es nicht geschafft, die nächste Phase zu erreichen, er war im Zorn verharrt, seiner Art, mit den meisten Dingen umzugehen. Ewerts Trauerprozess hatte vermutlich gerade erst begonnen, vor einigen Wochen, er war nicht mehr so wütend, sondern verschlossener, nachdenklicher, er sprach weniger und dachte vermutlich mehr.

Sven betrat das Zimmer. Ewert hörte ihn, drehte sich aber nicht um, sondern seufzte laut, wie immer, wenn er gereizt war. Etwas störte ihn. Nicht Sven. Etwas störte ihn seit seinem Besuch im Pflegeheim, der ihn sonst doch beruhigte. Susann, die Medizinstudentin, die sich so lange so gut um Anni gekümmert hatte und jetzt Unterärztin war, ihre Kommentare, ihre Gemeinplätze. Sie können Ihre Trauer nicht in einen Zeitplan pressen, es war doch verdammt leicht für ein kleines Mädchen aus Lidingö, ihre fünfundzwanzig Jahre alte Lebensweisheit zu verstreuen, das, wovor Sie sich fürchten, ist bereits passiert, was zum Teufel wusste sie über Einsamkeit?

Er war auf der Rückfahrt vom Pflegeheim schneller gefahren, als er es vorgehabt hatte, war dann sofort ins Magazin des Polizeigebäudes gegangen und hatte vier Umzugskartons geholt, und ohne zu wissen warum, war er dann in sein Büro gegangen, das er schon ebenso lange hatte wie die Erinnerungen. Dann hatte er eine Weile vor dem Regal hinter dem Schreibtisch gestanden, vor dem Einzigen, das ihm etwas bedeutete, den Kassetten mit Siw Malmkvists Liedern, die er selbst aufgenommen und dann zusammengestellt hatte, die frühen Plattenhüllen aus den sechziger Jahren waren noch immer farbfrisch, die Fotos von Siw, die er eines Abends im Folkets Park von Kristianstad gemacht hatte, alles, was zu der Zeit gehörte, in der noch alles gut gewesen war.

Er hatte angefangen einzupacken, hatte alles in Zeitungspapier gewickelt und einen Karton auf den anderen gestapelt.

»Es gibt sie nicht mehr.«

Ewert Grens saß auf dem Boden und starrte die braune Pappe an.

»Hast du gehört, Sven? Sie wird nie wieder in diesem Zimmer singen.«

Verleugnung, Wut, Trauer.

Sven Sundkvist stand dicht hinter seinem Chef und sah eine kahle Schädelstätte und dann Bilder von den vielen Malen, wenn er gewartet hatte, während Ewert Grens einsam im Zimmer hin und her humpelte, unter der ziemlich tristen Lampe, an frühen Morgen und späten Abenden, und dazu Siw Malmkvists Stimme, er hatte dort gestanden und mit einer getanzt, die es nicht gab, hatte sie an sich gepresst. Sven ahnte, dass ihm diese irritierende Musik fehlen würde, die Texte, die sich ihm aufgedrängt hatten, bis er sie auswendig summte, ein eigener Teil der vielen Jahre seiner Zusammenarbeit mit Ewert Grens.

Die Bilder würden ihm fehlen.

Er hätte lachen müssen, weil sie endlich verschwunden waren.

Ewert war mit einer Krücke unter jedem Arm durch sein Erwachsenenleben gegangen. Anni. Siw Malmkvist. Jetzt würde er allein gehen. Sicher kroch er deshalb auf dem Boden herum.

Sven setzte sich auf das müde Besuchersofa und sah zu, wie Ewert den letzten Karton aufhob und auf die anderen drei in der Zimmerecke stellte, um sie dann langsam und mühselig mit Klebeband zu sichern. Ewert Grens war verschwitzt und zielstrebig, er boxte an den Kartons herum, bis sie genauso dastanden, wie er das wollte, und Sven wollte fragen, wie es ihm eigentlich ging, aber er tat es nicht, es wäre falsch gewesen, Fürsorge eher aus eigenem Interesse, und was Ewert jetzt machte, war schwer genug, er war auf dem Weg, wusste es aber noch nicht.

»Was hast du gemacht?«

Sie hatte nicht angeklopft.

Sie war einfach ins Zimmer gekommen und war erstarrt, als die Musik fehlte und das Regal hinter dem Schreibtisch ein leeres Loch geworden war.

»Ewert? Was hast du gemacht?«

Mariana Hermansson schaute Sven an, der zuerst zum Loch und dann zu den Pappkartons hinübernickte. Sie hatte das Zimmer noch nie besucht, ohne die Musik zu hören, die Vergangenheit, Siw Malmkvist, sie erkannte es nicht wieder, ohne dieses Geräusch.

»Ewert …«

»Wolltest du etwas?«

»Ich wollte wissen, was du gemacht hast.«

»Es gibt sie nicht mehr.«

Hermansson ging weiter zu dem leeren Regal, fuhr mit dem Finger die geraden Staubränder ab, hinterlassen von Kassetten, Rekorder, Lautsprechern, sogar von dem schwarzweißen Foto der Sängerin, das in all den Jahren an derselben Stelle gestanden hatte.

Sie zog eine Wollmaus hervor, wiegte sie in der Hand.

»Es gibt sie nicht mehr?«

»Nein.«

»Wen denn?«

»Sie.«

»Wen? Anni? Oder Siw Malmkvist?«

Ewert drehte sich zum ersten Mal um und sah sie an.

»Wolltest du etwas, Hermansson?«

Er saß noch immer auf dem Boden, lehnte sich an die Kartons und an die Wand. Er trauerte seit fast anderthalb Jahren und wanderte zwischen Zusammenbruch und Wahnsinn hin und her. Es war eine schreckliche Zeit gewesen, und sie hatte ihn mehrmals aufgefordert, sich zum Teufel zu scheren, und ebenso oft hatte sie danach um Verzeihung gebeten. Zweimal hätte sie fast aufgegeben und gekündigt, um der Verbitterung dieses verletzten Menschen zu entgehen, die einfach kein Ende zu nehmen schien. Sie hatte langsam zu glauben begonnen, dass er eines Tages aufgeben und vollends zugrunde gehen würde, sich hinlegen, um niemals wieder aufzustehen. Aber dieses Gesicht, das zeigte mitten in aller Qual etwas Zielgerichtetes, eine Entschlossenheit, die so lange Zeit anderswo gewesen war.

Einige Pappkartons, ein großes Loch in einem Bücherregal, solche Dinge konnten eine unerwartete Erleichterung bedeuten.

»Ja. Ich wollte etwas. Eben ist ein Alarm reingekommen. Västmannagata 79.«

Er hörte zu, das spürte sie, er hörte ihr auf diese intensive Weise zu, die sie fast vergessen hatte.

»Eine Hinrichtung.«

PIETHOFFMANNSAHaus einem der großen Fenster der schönen Wohnung. Es war eine andere Wohnung in einem anderen Teil der Stockholmer Innenstadt, aber sie hatten durchaus Ähnlichkeit miteinander, beide hatten drei behutsam renovierte Zimmer und hohe helle Wände. Aber in dieser Wohnung hier lag kein mutmaßlicher Käufer auf dem abgeschliffenen Holzboden, mit einem Loch in der einen Schläfe und zwei Löchern in der anderen.

Unten auf dem breiten Bürgersteig standen Gruppen von Menschen, herausgeputzt und erwartungsvoll unterwegs zu einer Nachmittagsvorstellung in dem großen Theater und etwas lockerflockig Grotesk-Burleskem, Menschen, die auf der Bühne aus Türen stürzten und ihre Repliken schrien.

Er sehnte sich manchmal nach einem solchen Leben, nur Alltag, nur normale Menschen, die gemeinsam normale Dinge taten.

Er verließ die Herausgeputzten und Erwartungsvollen und das Fenster mit Aussicht auf Vasagata und Kungsbro, ging durch die großen Zimmer der Wohnung, seine Zimmer, das Arbeitszimmer mit dem antiken Schreibtisch und den zwei verschlossenen Waffenschränken und einem offenen Kamin, der inzwischen sehr gut funktionierte. Er hörte das letzte Muli in der Küche kotzen, sie kotzte das jetzt schon lange, sie war nicht daran gewöhnt, dazu waren etliche Reisen vonnöten. Er ging hinüber, Jerzy und Mariusz standen mit gelben Plastikhandschuhen vor dem Spülstein und fischten Stücke aus den beiden Eimern, in die die junge Frau die braune Gummimasse zusammen mit Milch und etwas anderem gespuckt hatte. Sie war das fünfzehnte und letzte Muli. Das erste hatten sie in der Västmannagata geleert, den Rest hatten sie hier leeren müssen. Piet Hoffmann gefiel das nicht. Diese Wohnung hier war sein Schutz, seine Fassade, er wollte keine Verbindung zwischen Drogen und Polen hierher. Aber es hatte geeilt. Alles war zur Hölle gegangen. Einem Menschen war die Schläfe durchschossen worden. Er musterte Mariusz, der Mann mit dem rasierten Schädel und dem teuren Anzug hatte erst vor wenigen Stunden getötet, aber er ließ sich nichts anmerken, sei es, dass nichts vorhanden war, sei es, dass er einfach nur professionell war. Hoffmann hatte keine Angst vor ihm, und er hatte keine Angst vor Jerzy, aber er hatte Respekt vor der Grenzenlosigkeit der beiden, davor, sie nervös gemacht zu haben, misstrauisch, was seine Loyalität anging, der Schuss, der ausgelöst worden war, hätte ebenso gut seinen eigenen Kopf treffen können.

Wut jagte Frustration jagte Unlust, und es fiel ihm schwer, während dieser Jagd stillzustehen.

Er war dort gewesen und hatte es nicht verhindern können.

Es zu verhindern hätte seinen eigenen Tod bedeutet.

Und deshalb war ein anderer Mensch gestorben.

Die junge Frau vor ihm war so weit. Er kannte sie nicht, war ihr noch nie begegnet. Es reichte, dass er wusste, dass sie Irina hieß und aus Danzig kam, dass sie zweiundzwanzig Jahre alt war und Studentin, und dass sie Risiken einging, die so groß waren, dass sie sie nicht einmal begriff. Sie war ein perfektes Muli. Gerade nach solchen suchten sie, nach dieser Art. Es gab natürlich auch noch die anderen, die Junkies, die zu Tausenden aus den Vororten der Großstädte kamen, bereit, ihre Körper als Container herzugeben, für noch kleinere Summen als Irina sie bekam, aber sie heuerten keine Drogenabhängigen mehr an, die waren unzuverlässig und sorgten oft dafür, lange vor ihrem eigentlichen Ziel auf eigene Faust loszukotzen.

In ihm, Wut und Frustration und Unlust, eigentlich noch viel mehr Gefühle, noch viel mehr Gedanken.

Es hatte keine Operation gegeben. Sondern eine Lieferung, über die sie keine Kontrolle gehabt hatten.

Es hatte kein Resultat gegeben. Die beiden Polen hätten jetzt schon wieder in Warschau sein müssen, seine Instrumente, um einen weiteren Arbeitspartner zu untersuchen und zu identifizieren.

Es hatte kein Geschäft gegeben. Sie hatten fünfzehn Mulis vergeblich hereingebracht, zehn erfahrene, die sie schon vorher benutzt hatten, mit je zweihundert Kapseln, und fünf neue mit je einhundertfünfzig, insgesamt mehr als siebenundzwanzig Kilo fabrikneues Amphetamin, das zum Straßenverkauf gestreckt einundachtzig Kilo zu einhundertfünfzig Kronen das Gramm ergab.

Aber ohne Unterstützung gab es keine Operation, kein Resultat, nicht einmal ein Geschäft.

Es wurde eine unkontrollierte Lieferung, die mit einem Mord geendet war.

Piet Hoffmann nickte kurz zu der jungen blassen Frau namens Irina hinüber. Das Geld steckte seit dem Morgen als aufgerollte Bündel in seinen Hosentaschen, er zog das letzte hervor und blätterte durch die Scheine, sie sollte sehen, dass die Summe stimmte. Sie war eine der Neuen, und ihr fehlte noch die Kapazität, die die Organisation erwartete, sie hatte auf der ersten Reise nur fünfzehnhundert Gramm geliefert, in gestreckter und verkäuflicher Form dreimal so viel und insgesamt 675 000 Kronen wert.

»Deine vier Prozent. Siebenundzwanzigtausend Kronen. Aber ich runde auf. Dreitausend Euro. Wenn du beim nächsten Mal mehr zu schlucken wagst, bekommst du mehr. Bei jeder Lieferung dehnt sich dein Magen ein wenig.«

Sie war schön. Auch wenn ihr Gesicht blass war und ihre Kopfhaut schweißnass. Auch wenn sie zwei Stunden lang kotzend in einer schwedischen Dreizimmerwohnung auf den Knien gelegen hatte.

»Und meine Fahrkarten.«

Piet Hoffmann nickte zu Jerzy hinüber, und der zog zwei Fahrkarten aus der Innentasche seines dunklen Sakkos. Eine für den Zug von Stockholm nach Ystad und eine für die Fähre von Ystad nach Swinemünde. Er reichte ihr die Fahrkarten, und sie wollte sie gerade nehmen, als er seine Hand zurückzog und lachte. Er wartete, dann hielt er ihr die Karten noch einmal hin, sie griff wieder danach und wieder zog er sie ihr weg.

»Verdammt, sie hat sie verdient!«

Hoffmann riss Jerzy die Fahrkarten aus der Hand und gab sie Irina.

»Wir lassen von uns hören. Wenn wir wieder Hilfe brauchen.«

Zorn, Frustration, Unlust.

Sie waren wieder allein in der Wohnung, die das Büro von einer der größten Stockholmer Sicherheitsfirmen bildete.

»Das hier war meine Operation.«

Piet Hoffmann trat einen Schritt näher an den Mann heran, der am Vormittag einen Menschen erschossen hatte.

»In diesem Land bin ich derjenige, der die Sprache spricht, und ich bin derjenige, der die Befehle erteilt.«

Es war mehr als Zorn. Es war blanke Wut. Er hatte sie seit dem Schuss unterdrückt. Erst mussten sie sich um die Mulis kümmern, sie leeren, die Lieferung sicherstellen. Jetzt konnte er seiner Wut freien Lauf lassen.

»Wenn hier jemand schießt, dann auf meinen und nur auf meinen Befehl hin.«

Er war sich nicht sicher, woher die Wut kam, warum sie so groß war. Ob es an der Enttäuschung darüber lag, dass ein Mitarbeiter nicht identifiziert worden war. Ob es an der Frustration darüber lag, dass ein Mensch, der vermutlich denselben Auftrag gehabt hatte wie er, ohne Grund ermordet worden war.

»Und die Pistole, woher hast du die eigentlich?«

Mariusz zeigte auf die Brust, auf die Innentasche seines Sakkos.

»Du hast einen Mord begangen. Darauf steht lebenslänglich. Und du bist so verdammt blöd, dass du noch immer mit der Waffe in der Tasche durch die Gegend läufst?«

Wut und etwas anderes machten ihm zu schaffen. Ihr müsstet jetzt schon wieder in Polen sein, um Bericht zu erstatten. Er verdrängte dieses Gefühl, das ebenso sehr Angst war, ging auf den Mann zu, der lächelte und auf seine Jackentasche zeigte, blieb dicht vor ihm stehen. Spiel deine Rolle. Nur darum ging es im Grunde, um Macht und Respekt, darum, zu nehmen und dann loszulassen. Spiel deine Rolle oder stirb.

»Das war ein Polizist.«

»Und woher weißt du das, zum Teufel?«

»Das hat er gesagt.«

»Und seit wann sprichst du schwedisch?«

Piet Hoffmann atmete langsam, demonstrierte, dass er genervt und müde war, als er zu dem runden Küchentisch mit dem Metallgefäß ging, das zweitausendsiebenhundertfünfzig aufgeschlitzte und saubergewaschene Kapseln enthielt, an die siebenundzwanzig Kilo ungestrecktes Amphetamin.

»Er hat Polizei gesagt. Ich hab es gehört. Du hast es auch gehört.«

Hoffmann drehte sich nicht um, als er antwortete.

»Du warst in Warschau bei derselben Besprechung wie ich. Du hast gewusst, was Sache ist. Bis wir hier fertig sind, bestimme ich, und nur ich und kein anderer.«

AUFDERKURZENFahrt von Kronoberg nach Vasastan hatte er unbequem gesessen. Genauer gesagt, er hatte auf etwas gesessen. Als Hermansson in die Västmannagata abbog und der Wagen sich der Nummer 79 näherte, hob er seinen schweren Körper ein wenig an und betastete den Sitz mit der Hand. Zwei Kassetten. Gemischte Siw. Er hielt die harten Plastikteile in der Hand und sah die Musik an, die er hätte einpacken sollen, dann schaute er zum Vordersitz und zum Handschuhfach hinüber, wo zwei weitere Kassetten lagen. Er bückte sich und schob sie so weit unter den Beifahrersitz wie möglich, er hatte ebensolche Angst davor, in ihrer Nähe zu sein, wie davor, sie zu vergessen und sie nicht mitzunehmen, die letzten vier Überreste eines anderen Lebens, die eigentlich in einem mit Klebeband verschlossenen Karton liegen sollten.

Ewert Grens wollte lieber dort sitzen, auf der Rückbank.

Er hatte keine Musik mehr, die er abspielen könnte, und auch keine Lust, sich die regelmäßigen Mitteilungen des Polizeifunks anzuhören oder sie zu beantworten. Außerdem fuhr Hermansson in dem dichten Hauptstadtverkehr um einiges besser, als er und Sven das geschafft hätten.

Es war wenig Platz, drei Streifenwagen und der dunkelblaue VW-Bus der Technik standen in doppelter Reihe vor den Autos der Hausbewohner. Mariana Hermansson verlangsamte, fuhr auf den Bürgersteig und hielt vor den beiden uniformierten Polizisten, die die Haustür bewachten. Sie waren beide jung und blass, und der, der am nächsten stand, stürzte fast auf die beiden Männer und die junge Frau in dem roten Wagen zu. Hermansson wusste, was er wollte, und in dem Moment, in dem er an ihre Fensterscheibe klopfen wollte, kurbelte sie das Fenster herunter und zeigte ihren Dienstausweis.

»Wir drei ermitteln in dieser Sache.«

Sie lächelte ihn an, er sah nicht nur jung aus, er war sicher auch um einiges jünger als sie selbst. Sie nahm an, dass er hier seine ersten Wochen ableistete, es gab nicht viele, die Ewert Grens nicht erkannt hätten.

»Ihr habt den Anruf entgegengenommen?«

»Ja.«

»Von wem stammte der?«

»Der war offenbar anonym.«

»Ihr habt eine Hinrichtung gemeldet?«

»Wir haben gesagt, dass es aussieht wie eine Hinrichtung. Das werdet ihr verstehen, wenn ihr es oben seht.«

Die Tür im fünften Stock, die am weitesten vom Fahrstuhl entfernt war, stand offen. Ein weiterer uniformierter Kollege hielt davor Wache. Dieser war älter, war schon länger im Dienst, er erkannte Sundkvist und nickte ihm zu. Hermansson hatte ihren Dienstausweis in der Hand und wollte ihn vorzeigen, sie überlegte, ob sie jemals lange genug irgendwo bleiben würde, um nicht nur vom engsten Mitarbeiterkreis erkannt zu werden, sie glaubte es nicht, sie war wohl keine, die blieb.

Sie zogen weiße Kittel und durchscheinende Schuhbezüge über und gingen hinein, Ewert hatte auf einen Fahrstuhl warten wollen, der sich nur ganz langsam bewegte, er würde bald nachkommen.

Eine ziemlich enge Diele, ein Schlafzimmer mit einem schlichten, schmalen Bett als einzigem Möbelstück, eine Küche mit schönen, in einem Grünton angestrichenen Schränken, und ein Arbeitszimmer mit einem verlassenen Schreibtisch und leeren Bücherregalen.

Noch ein Zimmer.

Sie wechselten einen Blick, gingen weiter.

Das Wohnzimmer besaß im Grunde auch nur ein einziges Möbelstück. Einen großen und rechteckigen Esstisch aus Eiche mit sechs dazugehörigen Stühlen. Vier davon standen am Tisch, der fünfte ein Stück entfernt, er stand schräg, als sei plötzlich jemand davon aufgesprungen. Der sechste lag auf dem Boden, der schwere Stuhl war aus irgendeinem Grund umgefallen, und sie traten näher, um den Grund zu ermitteln.

Aber zuerst sahen sie den dunklen Fleck auf dem Teppich.

Einen ziemlich großen Fleck, bräunlich und mit unregelmäßigen Rändern. Sie tippten auf vierzig, vielleicht fünfzig Zentimeter Durchmesser.

Dann sahen sie auch den Kopf.

Der lag mitten im Fleck, auf dem Fleck, schien darin zu schwimmen. Ein Mann, der ziemlich jung wirkte, was sich aber schwer sagen ließ, da sein Gesicht zerfetzt war, der Körper war jedoch kräftig und die Kleider von einer Sorte, die ältere Männer eher selten trugen, schwarze Stiefel, schwarze Jeans, ein weißes T-Shirt, viel Silber um Hals, Handgelenke und Finger.

Sven Sundkvist versuchte, sich auf die Pistole in der rechten Hand zu konzentrieren.

Wenn er sie nur lange genug ansah, wenn er alles andere aussperrte, würde ihm vielleicht der grauenhafte Tod erspart bleiben, den er niemals verstehen würde.

Sie leuchtete glänzend schwarz, ein Kaliber von neun Millimetern und ein Fabrikat, dem er an Tatorten noch nicht oft begegnet war. Er beugte sich näher zu den Technikern hinüber und damit weiter fort von einem Leben, das verronnen war und auf einem teuren Teppich einen dunklen Fleck hinterlassen hatte. Das Schlussstück der Pistole war offenbar in den Teppichfransen hängengeblieben, Sundkvist konnte deutlich die Kugel sehen, die halbwegs im Lauf steckte, dann sah er sich Rohr, Kolben, Sicherungsstempel an, er suchte nach etwas, an dem sein Blick haften bleiben könnte, egal was, wenn es nur nicht der Tod war. Nils Krantz stand weiter hinten. Neben ihm zwei jüngere Kollegen. Drei Techniker, die gemeinsam jeden Winkel des Zimmers durchsuchten. Einer hielt eine Videokamera in der Hand, filmte etwas an der Wand, an der weißen Tapete. Sven trat einen weiten Schritt weg von dem Kopf und sah das, was die Kamera sah, eine kleine Verfärbung von irgendeiner Art, etwas, das ungefährlich war und weit genug entfernt von den Augen, denen das Leben fehlte.

»Der Tote hat ein Eintrittsloch von nur einem Schuss im Kopf.«

Nils Krantz hatte sich hinter seinen filmenden Kollegen und nahe an Sven Sundkvists Ohr geschlichen.

»Aber zwei Austrittslöcher.«

Sven wandte sich von Tapete und Verfärbung ab und sah den älteren Kriminaltechniker fragend an.

»Und das Eintrittsloch ist größer als die beiden Austrittslöcher, weil da der Gasdruck noch vorhanden war.«

Sven hörte, was Krantz sagte. Aber er begriff es nicht und mochte nicht fragen, weil er es nicht wissen wollte, er folgte stattdessen dem Finger des anderen, der auf die Verfärbung auf der Tapete zeigte.

»Übrigens, das da, was wir vorhin gefilmt haben und was du da ansiehst, das stammt von dem Toten, seine Gehirnsubstanz.«

Sven Sundkvist atmete langsam. Er hatte dem Tod ausweichen wollen und sich deshalb auf eine Verfärbung auf der Tapete konzentriert und noch mehr Tod bekommen, so konkret, wie der überhaupt nur werden konnte. Er ließ den Blick sinken und merkte, dass Ewert den Raum betrat.

»Sven?«

»Ja?«

»Solltest du nicht mit den Kollegen sprechen, die den Anruf entgegengenommen haben? Und vielleicht mit den Nachbarn? Denen, die nicht hier sind.«

Sven sah seinen Chef dankbar an und verließ eilig dunkle Flecken auf Teppichen und Verfärbungen auf der Tapete, während Ewert Grens in die Hocke ging, um dem leblosen Körper nahe zu kommen.

SIEHATTENABERMALSdie Macht verteilt. Es würde wieder geschehen. Und er musste jedes Mal gewinnen.

Spiel weiter. Oder stirb.

Er stand zwischen Mariusz und Jerzy am runden Küchentisch von Hoffmann Security und leerte 2750 Amphetaminkapseln. Die letzte Sendung aus der Fabrik in Siedlce. Weiße Arzthandschuhe aus Plastik hatten zuerst die braune Gummimasse abgepult, die den Magen der Mulis bei einer Leckage schützte, und dann mit einem Messer in der Mitte der Kapsel das Pulver in große Glasschüsseln rieseln lassen, um es dort mit Traubenzucker zu mischen. Ein Teil Amphetamin aus Ostpolen auf zwei Teile Traubenzucker aus dem Supermarkt in der Odengata. Siebenundzwanzig Kilo reines Rauschgift wurden zu einundachtzig Kilo verkäuflicher Straßenware.

Piet Hoffmann stellte eine Metallbüchse auf eine Küchenwaage und füllte sie mit genau tausend Gramm gestreckten Amphetamins. Ein Streifen Alufolie wurde vorsichtig über das Pulver gelegt, dann kam etwas auf die Folie, das aussah wie ein Stück Würfelzucker. Er hielt ein Streichholz an die Metatablette, und als das weiße Viereck anfing zu brennen, drückte er den Deckel auf die Dose, die Flamme würde verlöschen sowie der Sauerstoff zu Ende ginge, und ein Kilo Amphetamin wäre vakuumverpackt.

Er wiederholte dieses Manöver, immer eine Büchse, einundachtzig Mal.

»Benzin?«

Jerzy öffnete die Flasche Waschbenzin, goss etwas von der farblosen Flüssigkeit auf Deckel und Seiten der Büchse und rieb mit Wattebäuschen über die Metallflächen. Wieder ein Streichholz, es loderte auf, eine bläuliche Flamme, die er zehn Sekunden darauf mit einem Stofffetzen erstickte.

Jetzt waren auch alle Fingerabdrücke verschwunden.

DIEBLUTFLECKENAUFder Tapete in der Diele waren sicher die kleinsten, ein wenig größer waren sie an der Wand auf der anderen Seite des großen Wohnzimmers, am Esstisch wuchsen sie dann noch ein wenig und wurden um den umgekippten Stuhl dann richtig groß. Sie wurden auch dunkler und kompakter, je näher man der Leiche kam, am deutlichsten war der große Fleck auf dem Teppich, auf dem der leblose Kopf ruhte.

Ewert Grens saß nahe genug, um ein plötzliches Flüstern des am Boden Liegenden zu hören. Er wirkte wie nichts, dieser Tod, er hatte nicht einmal einen Namen.

»Das Eintrittsloch. Ewert. Hier.«

Nils Krantz hatte gefilmt und fotografiert und war auf allen vieren herumgekrochen, er war einer der wenigen Kollegen, denen Grens vertraute, und er hatte oft genug bewiesen, dass er keiner von denen war, die sich mit einer einfachen Antwort zufriedengaben, um nach Hause zu gehen und sich eine Stunde früher vor den Fernseher setzen zu können.

»Jemand hat ihm die Pistole an den Kopf gepresst. Der Gasdruck zwischen Waffenmündung und Schläfe war deshalb gewaltig. Du siehst es ja selbst. Die halbe Seite ist weggesprengt.«

Die Gesichtshaut war jetzt schon grau, die Augen leer, der Mund ein gerader Strich, der niemals wieder sprechen würde.

»Ich verstehe das nicht. Ein Eintrittsloch. Aber zwei Austrittslöcher?«

Krantz hielt die Hand über das Loch, das mitten auf der rechten Seite des Kopfes in Tennisballgröße klaffte.

»Ich habe das in dreißig Jahren nur zweimal gesehen. Aber es kommt vor. Und die Obduktion wird es bestätigen. Dass wir es hier mit einem einzigen Schuss zu tun haben. Da bin ich mir sicher.«

Er zog am Ärmel von Grens’ weißem Kittel, seine Stimme klang fast eifrig.

»Ein einziger Schuss in die Schläfe. Es war ein Teilmantelgeschoss, eine Hälfte Blei, die andere Titan, und sie hat sich beim Aufprall auf den Schädelknochen geteilt.«

Krantz erhob sich und streckte einen Arm in die Luft. Es war eine ältere Wohnung, die Wände waren drei Meter zwanzig hoch. Ein, zwei dünne Risse, ansonsten alles gut erhalten, mit Ausnahme dessen, worauf der Kriminaltechniker zeigte, eine tiefe Wunde im weißen Anstrich.

»Da haben wir die eine Hälfte der Kugel gefunden.«

Kleine Betonstücke waren herabgerieselt, als vorsichtige Finger hartes Metall hervorgegraben hatten.

Ein Stück weiter gab es im weichen Holz eine um einiges größere Wunde.

»Und hier war die andere Hälfte. Also war die Küchentür geschlossen.«

»Ich weiß nicht, Nils.«

Ewert Grens saß noch immer bei dem Kopf, der zu viele Löcher aufwies.

»Der Anrufer hat etwas von einer Hinrichtung erzählt. Aber wenn ich mir das hier so ansehe … das könnte sich doch genauso gut um einen Selbstmord handeln.«

»Jemand wollte, dass es so aussieht.«

»Wie meinst du das?«

Krantz stellte einen Fuß vor die Hand, die die Pistole hielt.

»Es sieht arrangiert aus. Ich glaube, irgendwer hat ihn erschossen und ihm dann die Waffe in die Hand gedrückt.«

Er verschwand in der Diele, kam sogleich zurück, mit einer schwarzen Tasche in der Hand.

»Aber das werde ich überprüfen. Eine Schusshandprobe. Dann werden wir es genau wissen.«

Ewert rechnete, seinen Blick auf Hermansson gerichtet, sie tat dasselbe.

Eine Stunde und fünfundvierzig Minuten seit dem Anruf, sie hatten noch immer Zeit genug, die Leiche hatte noch nicht genügend Fremdpartikel anziehen können, dass eine Schusshandprobe wertlos wäre.

Krantz öffnete die Tasche und nahm eine runde Tube mit Fingerabdruckband an einem Ende heraus, drückte das Band mehrmals auf die Hand des Toten, vor allem zwischen Daumen und Zeigefinger. Dann lief er in die Küche und zu dem Mikroskop, das auf dem Spülstein bereitstand, legte das Fingerabdruckband auf eine Glasscheibe und studierte es durch das Okular.

Einige Sekunden waren genug.

»Keine Pulverreste.«

»Wie du geglaubt hast.«

»Die Hand, die die Pistole hält, hat also nicht geschossen.«

Er drehte sich um.

»Das hier war Mord, Ewert.«

ERHOBDENlinken Arm an die rechte Schulter und verschob den Lederriemen, bis der Druck über den Schultern nachließ und er das Waffenholster mit einer Hand halten konnte. Er öffnete es und zog eine neun Millimeter Radom heraus. Er steckte die letzte Patrone ins Magazin, und nun waren alle vierzehn vorhanden.

Piet Hoffmann blieb einen Moment stehen und atmete laut genug, um es selbst hören zu können.