Dschungelgeflüster - Sarah Julika Schmidt - E-Book

Dschungelgeflüster E-Book

Sarah Julika Schmidt

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Beschreibung

Ein Jahr mit dem Rucksack quer durch Brasilien. Von Weltmetropolen wie Rio de Janeiro bis in die entlegensten Ecken des Amazonas-Beckens. Aussteiger, Selbstversorger und ökologische Kommunen, Begegnungen mit (Lebens)-Künstlern und Musikern, abgelegene Naturschutzgebiete und Reservate, kleine Surfer-Dörfer und die Rolle des Tourismus, Geschichten über das Trampen, Ayahuasca-Rituale im Regenwald, bunte Stadtgeschichten, Permakultur und Waldgarten-Projekte, Feminismus und Aktivismus, das einfache Leben unter Kokospalmen und Kakaobäumen, magische Wüsten, diamantenbesetzte Canyons und rosa Delphine in Regenwaldlagunen - das alles ist Teil ihrer Geschichte. Sarah nimmt ihre Leser mit auf ihre ganz persönliche Reise. Sie erzählt farbenfroh von ihren Erfahrungen, von menschlichen Begegnungen und Erkenntnissen sowie von scheinbar unüberwindlichen Herausforderungen in Brasilien. Gleichzeitig berichtet sie über Hoffnungsträger, vielversprechende Projekte, Aktivismus und Idealismus, Spiritualität und den gemeinsamen Kampf für eine bessere Welt, in diesem kontrastreichen Land. Immer tiefer und intensiver setzt sie sich mit zentralen Fragen des Lebens auseinander. Was bedeutet Glück? Warum sind wir hier? Was ist unsere Aufgabe auf der Erde? Wie können wir lernen, uns selbst wieder zu spüren? Wie können wir es schaffen, in diesen turbulenten Zeiten wieder zu uns selbst zurück zu finden, unser Bewusstsein zu erweitern, uns selbst zu heilen und so zu einer heileren Welt beizutragen? Eines ist sicher. Diese sehr intensive, augenöffnende, konfrontationsreiche, bereichernde und wunderschöne Reise durch Brasilien, hat Sarahs Leben und Weltbild wieder einmal komplett auf den Kopf gestellt.

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Seitenzahl: 610

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Kapitel-Verzeichnis

Kapitel 1 - Amazonia oder die Entdeckung von Kurupira

Kapitel 2 - Eine Schifffahrt, die ist lustig, eine Schifffahrt die ist schön

Kapitel 3 - Manaus - Eine Hauptstadt im Herzen des Amazonas-Regenwaldes

Kapitel 4 - Rio de Janeiro - Eine Weltmetropole mit vielen Gegensätzen

Kapitel 5 - Das Leben in einer spirituellen Kommune

Kapitel 6 - Samba, Carimbó und ein Häuschen im Grünen in Paraty

Kapitel 7 - Rio de Janeiro, das zweite Mal

Kapitel 8 - Eine kleine Öko-Farm in den Bergen von Minas Gerais

Kapitel 9 - Ouro Preto heißt Schwarzes Gold

Kapitel 10 - Eine Reise durch Espirito Santo

Kapitel 11 - Das einfache Leben im Einklang mit der Natur an der Küste von Bahía

Kapitel 12 - Wiedersehen mit Julián in Bahía

Kapitel 13 - Ab in die brasilianische Wüste – Von Bahía nach Petrolina

Kapitel 14 - Fortaleza – Große Stadt, gelebter Feminismus und kleine Projekte des Lichts

Kapitel 15 - Ciclovida – oder der friedliche Kampf für eine bessere Welt im Herzen der Caatinga-Wüste

Kapitel 16 - Ein langer Weg zurück ins Amazonas-Gebiet

Kapitel 17 - Auf einer Insel im Amazonas-Delta

Kapitel 18 - Naturheilung und Bioenergetik – „Heilung für das Volk“ in Belém

Kapitel 19 - Eine etwas andere Kommune im Herzen des Amazonas-Regenwaldes

Kapitel 20 - Das zweite Mal Manaus und zu Hause bei einer Familie im Regenwald

Kapitel 21 - Meine Reise geht zu Ende

Inhalt

Ein Jahr mit dem Rucksack quer durch Brasilien. Von Weltmetropolen wie Rio de Janeiro bis in die entlegensten Ecken des Amazonas-Beckens.

Aussteiger, Selbstversorger und ökologische Kommunen, Begegnungen mit (Lebens-)Künstlern und Musikern, abgelegene Naturschutzgebiete und Reservate, kleine Surfer-Dörfer und die Rolle des Tourismus, Geschichten über das Trampen, Ayahuasca-Rituale im Regenwald, bunte Stadtgeschichten, Permakultur und Waldgarten-Projekte, Feminismus und Aktivismus, das einfache Leben unter Kokospalmen und Kakaobäumen, magische Wüsten, diamantenbesetzte Canyons und rosa Delphine in Regenwaldlagunen – das alles ist Teil ihrer Geschichte.

Sarah nimmt ihre Leser mit auf ihre ganz persönliche Reise. Sie erzählt farbenfroh von ihren Erfahrungen, von menschlichen Begegnungen und Erkenntnissen sowie von scheinbar unüberwindlichen Herausforderungen in Brasilien. Gleichzeitig berichtet sie über Hoffnungsträger, vielversprechende Projekte, Aktivismus und Idealismus, Spiritualität und den gemeinsamen Kampf für eine bessere Welt, in diesem kontrastreichen Land. Immer tiefer und intensiver setzt sie sich mit zentralen Fragen des Lebens auseinander.

Was bedeutet Glück? Warum sind wir hier? Was ist unsere Aufgabe auf der Erde? Wie können wir lernen, uns selbst wieder zu spüren? Wie können wir es schaffen, in diesen turbulenten Zeiten wieder zu uns selbst zurück zu finden, unser Bewusstsein zu erweitern, uns selbst zu heilen und so zu einer heileren Welt beizutragen?

Eines ist sicher: Diese sehr intensive, augenöffnende, konfrontationsreiche, bereichernde und wunderschöne Reise durch Brasilien, hat Sarahs Leben und Weltbild wieder einmal komplett auf den Kopf gestellt.

Vorwort

Lange habe ich darüber nachgesinnt, ob ich dieses Buch überhaupt schreiben möchte.

- Was macht es denn so besonders? - fragte ich mich. Gibt es nicht schon Abertausende von Büchern über das Reisen oder das Leben in fremden Ländern? Muss es unbedingt noch eines geben?

Diese Gedanken, die vor meinem geistigen Auge hin und her sprangen, blockierten mich anfangs. Aber die Idee ließ mich nicht los und mein Bedürfnis danach, das Erlebte in Worte zu fassen und somit auch besser persönlich verarbeiten zu können, reifte langsam und stetig in mir heran. Hinzu kam, dass viele Menschen, darunter mein damaliger Freund Julián, Freunde sowie Mitreisende mich dazu ermutigten, die Reise- und Lebenserfahrungen in Worte zu fassen. So fing ich langsam damit an, Zeile für Zeile aufzuschreiben, wobei allmählich dieses Buch entstand.

Ich schrieb über all die besonderen Orte und Begegnungen mit Menschen, über persönliche tiefe Erfahrungen, lustige und traurige Situationen, lichtvolle Projekte und schier unüberwindliche Konflikte des Landes sowie in mir selbst, mit denen ich im Laufe der Reise in Berührung kam und konfrontiert wurde. So habe ich das Leben, meine innere Wahrheit und mich selbst neu entdeckt. Ich lernte meinen Lebensstil und meine Werte kritisch zu hinterfragen sowie das Leben und mich selbst wieder zu spüren. Sozusagen mir selbst auf den Zahn zu fühlen. Auf meiner Reise ergaben sich viele Fügungen und ich lernte langsam mich ganz jenem Weg hinzugeben, den meine Intuition mir vorgab. Ich kam zu der Erkenntnis, dass jede Situation, in die ich im Leben gerate, mich etwas Tiefes lehren möchte; wenn ich dazu bereit bin hinzuschauen, es zu erkennen und liebevoll anzunehmen. Dann befreit mich das aus meinem selbst geschaffenen Gefängnis. Es öffnet die Tür zu grenzenloser innerer Freiheit.

Jede Reise ist anders, so wie jeder Mensch ein eigenes Universum, mit einer individuellen Wahrnehmung ist. Niemand anderes hätte diese Reise so erlebt, wie ich sie erlebt habe. Auch ich selbst hätte sie ein zweites Mal ganz anders erlebt und wahrgenommen.

Ein Buch ist ein Kunstwerk, individuell und einzigartig. Ein Unikat. Und dieses Buch ist mein Kunstwerk, in dem ich meine persönlichen Erkenntnisse und tiefsten Seelenprozesse verarbeite und ausdrücke; so wie ein Künstler sich mit seinem Gemälde oder ein Musiker sich mit seiner Musik ausdrückt.

Mit diesem Buch lade ich euch dazu ein, auf meine Reise durch Brasilien mitzukommen; sie mitzuerleben und mitzufühlen.

Viel Spaß beim Lesen!

Einleitung – Wie alles begann

Am 11. Januar 2017 trat ich den ersten Schritt einer Reise an. Einer Reise, die mein Leben komplett auf den Kopf stellen wird. Die mich verändern, die Augen öffnen und die mir klar machen wird, dass ich nicht mehr dieselbe bin, wie vor dieser Reise.

Aber nun erst einmal, wie alles begann. Ich brauchte neue Abenteuer, eine neue Mission. Das Leben in Berlin wurde mir zu eng, zu routiniert. Drei Jahre in dieser verrückten, kreativen Stadt konnte ich genießen, aber nun war es genug.

Ich habe einmal mehr für mich festgestellt, dass ich kein Stadtleben führen kann. Das Studium in Berlin hatte ich beendet und ich war frei. Die ganze Welt stand mir offen und so zog es mich erst einmal in das größte Land des südamerikanischen Kontinents, nach Brasilien.

Genauer gesagt, in den Amazonas-Regenwald. Durch Zufall - oder soll ich besser sagen, durch das Schicksal? - erfuhr ich von einem Naturreservat im Amazonas-Becken, am Drei-Länder-Eck (Brasilien, Kolumbien, Peru), im brasilianischen Staat Amazonia.

Ich erkundigte mich, ob man dort Freiwilligenarbeit leisten könne. Man kann!

Kurzerhand ging es dann für mich los und die Reise ins Unbekannte konnte beginnen.

Kapitel 1 - Amazonia oder die Entdeckung von Kurupira

Ein brasilianisches Sprichwort besagt: „Wer einmal in den Amazonas-Regenwald kommt, der wird verzaubert und dort bleiben wollen oder für immer und ewig von “Saudade” (Sehnsucht) geplagt werden.“

Nun, ich muss feststellen, dass ich da auch keine Ausnahme darstelle. Die Saudade nach diesem zauberhaften Ort ist nach wie vor sehr präsent in meinem Innern, auch wenn ich schon lange wieder weiter gereist bin. Aber wer einmal verzaubert wurde, der bleibt verzaubert!

Am Hafen von Tabatinga, einer Stadt im Amazonasgebiet von Brasilien, traf ich mich gegen Nachmittag mit ein paar Mitarbeitern des Naturreservats. Ich war sehr aufgeregt und die erste Begegnung war freundlich, doch ging es etwas chaotisch und hektisch zu. Vieles musste noch organisiert werden, bevor wir alle gemeinsam zum Naturreservat fuhren, was mitten im dichten Regenwald lag. Stadtbesuche kamen nicht so häufig vor und wenn es vorkam, dann musste an alles gedacht werden. Hauptsächlich der Einkauf von Essensvorräten auf dem großen Markt sowie das Abholen der Mitarbeiter, freiwilligen Helfer und Gäste mit dem Boot.

Nach einiger Zeit des Wartens, während zwei der Mitarbeiter noch Waren auf dem Markt besorgten, wie Säcke voll Reis, Bohnen, Mais und Maniok, konnte es losgehen. Von Tabatinga aus nahmen wir erst ein kleines Boot in ein Dorf auf der anderen Seite des Amazonas-Flusses, um von dort aus in ein noch kleineres Boot umzusteigen. Ein Stück mussten wir auch noch mit dem Jeep über Land fahren, da zu diesem Zeitpunkt der Wasserpegel noch nicht hoch genug stand, um die gesamte Strecke mit dem Boot zurückzulegen.

Nachdem sich die erste Aufregung bei mir und den anderen gelegt hatte und wir ruhig den Fluss entlang schipperten, war ich schon voller Vorfreude. Aber auch Ängste und Zweifel spielten eine Rolle in dem Theater, das mein Kopf fabrizierte. Die gemischten Gefühle lösten ein Kribbeln in meinem ganzen Körper aus und viele Fragen gingen mir durch den Kopf.

Wie wird diese Erfahrung werden? Was für Menschen werde ich treffen? Werde ich mit der Kultur zurechtkommen?

Wie wird die Arbeit sein? Und mit welchen Menschen werde ich zusammenarbeiten und in Berührung kommen?

In jedem Fall stand ich am Anfang eines ganz neuen Abenteuers. Und nicht irgendein Abenteuer, sondern ein Abenteuer im größten Regenwald, der Lunge der Erde.

Wie lange hatte ich schon davon geträumt? Schon als Kind habe ich mir vorgestellt, wie Mogli aus dem Dschungelbuch im Regenwald zu leben, mich an Lianen zu schwingen, wilde Tiere als Freunde zu haben, auf riesige Bäume zu klettern und in den Lagunen zu schwimmen. Sollte all das nun wahr werden? Ein Traum wird zur Wirklichkeit, wenn man nur lange genug träumt.

Während wir über die Flüsse, Lagunen und engen Seitenarme schipperten, rechts und links, vorne und hinten nichts als Wasser und Dschungel, fing es langsam an zu dämmern. Keiner sprach. Nur das Dröhnen des Bootsmotors durchdrang die Stille. Der Mond ging langsam auf und Millionen von Sternen erschienen am Firmament. Diese sowie die Taschenlampe des Bootsmanns, die kaum 10 Meter weit reichte, leuchteten uns den Weg durch das Dickicht. Auch zahlreiche Glühwürmchen tauchten um uns herum auf und da wusste ich, dass ich nun in einer ganz anderen Welt gelandet war. Einer Welt, in der die Gesetze der Natur, der Wunder, der Magie, der Mythen und Legenden herrschten. Auf einmal freute ich mich unheimlich auf diese Welt und die anfänglichen gemischten Gefühle der Angst und Zweifel rückten in den Hintergrund. Schon jetzt konnte ich kaum glauben, wie ich es überhaupt so lange in der “anderen” Welt ausgehalten hatte.

Nach der ungefähr vierstündigen Fahrt tauchten langsam die ersten schwachen Lichter in der Ferne auf und bald erreichten wir das Naturreservat.

Bei unserer Ankunft warteten schon die anderen Freiwilligen, Mitarbeiter und einige Gäste auf uns. „Herzlich Willkommen!“, riefen sie fröhlich und begrüßten uns alle herzlich. Besonderes Augenmerk lag auf mir, da ich „Die Neue“ war. Zu diesem Zeitpunkt waren drei weitere freiwillige Helfer aus Kolumbien da. Die festangestellten Mitarbeiter kommen hauptsächlich von den kleinen Dörfern im Umkreis und leben die meiste Zeit im Reservat. Auch eine kleine Forschungsgruppe, bestehend aus drei Biologie-Studenten einer Universität in Bogotá, war hier. Ihre Forschungsarbeit beschäftigte sich mit dem mysteriösen Verschwinden der Otter in der Region, vermutlich zurückzuführen auf die voranschreitende Zerstörung ihrer Lebensgrundlage.

Ich war ziemlich müde und erschöpft von der Reise und das erste was ich tat, war mir das leckere Abendessen schmecken zu lassen, das schon bereit auf dem Tisch stand und nur darauf wartete, von uns verspeist zu werden. Ein herrlicher Geruch von frisch serviertem Essen, von Fisch, frischen Kräutern, Frittiertem und gekochtem Gemüse lag in der Luft und belebte wieder meine müden Geister. Begrüßungen dieser Art mag ich!

Die Köche des Naturreservats wussten wirklich, wie sie uns verwöhnen können und so wurde der Beginn meiner Brasilienreise auch zum Beginn einer intensiven, kulinarischen Geschmacksreise. An gutem und üppigem Essen fehlte es uns jedenfalls nie. Oft standen Fische, aus den Flüssen um uns herum, auf dem Speiseplan, wie beispielsweise den Pirarucu oder auch Piranha. Die Wunderwurzel Maniok gab es, in unterschiedlichen Zubereitungsformen, zu jedem Essen dazu. Maniok wird in anderen Ländern Südamerikas bzw. Afrikas auch Yuka oder Cassava genannt. Sie ist ein Wurzelgemüse, mit einer Konsistenz ähnlich der Kartoffel, jedoch einer härteren Schale. Die Brasilianer in allen Teilen des Landes lieben ihre Maniok und stellen unzählige Mahlzeiten aus ihr her. „Farinha de Mandioka“ (Maniokmehl) wird entweder direkt über das Essen gestreut, so wie Parmesan-Käse, oder es wird mit klein gehackten Zwiebeln, Knoblauch, Tomaten oder Kochbananen angebraten und bildet so eine leckere Beilage. Das nennt man Farofa.

Anders verarbeitet wird Maniok auch zum Backen verwendet, um daraus Fladen herzustellen. Das wird in manchen Teilen Brasiliens Tapioka, in Anderen Beiju genant. Die Konsistenz ist gummiartig, weshalb es auch „Goma de Mandioka“ genannt wird. Zu einer Süßspeise zubereitet nennt man es „Doce de Tapioca“. Natürlich kann man die Maniokwurzel auch einfach wie eine Kartoffel schälen und kochen oder raspeln, um daraus eine Art Kartoffelpuffer zu zaubern. Es ist wichtig zu beachten, dass man sie gut kocht oder brät, denn wenn sie noch ein wenig roh ist, kann sie Magenprobleme verursachen. Eine Maniokart, die „Mandioka Brava“, ist sogar giftig und man nimmt sie nur, um sie zu Farinha zu verarbeiten. Die Maniok zählt also zu den Grundnahrungsmitteln, so wie es in anderen Ländern Reis, Mais, Weizen oder die Kartoffel ist.

Im Naturreservat gab es dazu oft Bohnen, Salate, Kochbananen, Kartoffeln, verschieden zubereitetes Gemüse und Nudeln. Auch frische Säfte aus Mango, Wassermelone, Papaya, Bananen, Copuazu (eine Frucht aus dem Amazonas-Gebiet), Guayaba, Maracuja, oder was die Natur um uns herum sonst hergab, gab es reichlich. Nach jedem Essen wartete ein Nachtisch, wie „Doce de Tapioka“, das so ähnlich ist wie Milchreis, auf uns. Das wird mit Kondensmilch, Kokosmilch oder Kokosraspeln zubereitet. „Brigadeiros“, pralinenartige Kugeln aus Kakao, Kondensmilch und Kokos oder Früchte mit Eiscreme standen auch oft auf dem Speiseplan.

Nach dem Abendessen setzte ich mich noch mit den anderen freiwilligen Helfern zusammen, die mir ein wenig das Konzept des Naturreservats und die Arbeit erklärten.

„Komm mal mit!“, sage David, einer der Freiwilligen freundlich auf Spanisch „wir bringen jetzt erst einmal noch deinen Rucksack in die Maloka und dann zeige ich dir das Gelände.“ „Was ist denn die Maloka?“, fragte ich neugierig. „Die Maloka ist eine große Hütte, hergestellt aus Naturmaterialien wie Holz, Bambus und Palmblättern. Überhaupt wurden alle Gebäude hier aus Naturmaterialien errichtet. Für die indigenen Völker Amazoniens dient(e) die Maloka als Ort für alle möglichen Arten von Treffen und Zeremonien. Für spirituelle Rituale, Feiern, Krisensitzungen oder auch als Arbeitsort, beispielsweise für das Verarbeiten der Maniok-Wurzel oder das gemeinsame Weben von Decken und Gewändern. Hier im Naturreservat dient die Maloka vor allem als gemeinsamer Schlafraum und weniger als Raum für Feste oder spirituelle Rituale. Auch Krisensitzungen finden eher selten statt. Wir Freiwilligen kommen hier unter und auch einige der Besucher. Es gibt zwei Stockwerke und ein paar einfache Matratzen auf dem Boden, die mit Moskitonetzen umspannt werden.“

Moskitonetze sind hier tatsächlich essenziell. Der einzige Ort, an dem man sich halbwegs sicher vor allen möglichen Arten von Insekten, nicht nur vor Moskitos, fühlt, ist unter dem Moskitonetz.

Wir liefen weiter das Gelände ab. Einfache Duschen und Toiletten befinden sich draußen, neben der Maloka. Auf dem Gelände gibt es ansonsten noch einen kleinen Aussichtsturm, Mirador genannt, drei private Häuschen für Gäste, die mehr Geld für ihren Aufenthalt als „Öko-Touristen“ bezahlen, eine Hütte mit Hängematten und den großen Gemeinschaftsraum mit Küche, wo zusammen gesessen und gegessen wird. Oft haben wir uns hier auch gemeinsam, nach einem langen Tag im Dschungel, einen leckeren, eiskalten Caipirinha schmecken lassen. Caipirinha ist ein typischer brasilianischer Cocktail gebraut aus Cachaça, Limonen, braunem Zucker und Eis und die Brasilianer sind Experten in der Herstellung.

„Soweit mal von unserer Seite“, sagte David, den ich von allen am sympathischsten fand „bestimmt bist du auch müde, so wie wir!“, lachte er. „Ja, die Anfahrt, das Gemisch an Gefühlen und die ersten Eindrücke haben mich tatsächlich müde gemacht“, gab ich zu und fing schon an zu gähnen. „Ja, so geht es uns allen. Es ist eine fabelhafte Erfahrung hier im Reservat, aber auch anstrengend und herausfordernd. Aber du wirst deine ganz eigenen Erfahrungen machen. Ich möchte nicht so viel vorwegnehmen. Morgen bei Tageslicht wirst du erst einmal richtig sehen, wo du bist!“, lachte er und wir verabschiedeten uns für heute. Die anderen waren schon in der Maloka und schliefen.

Am nächsten Morgen erwachte ich umgeben von üppigem Dschungel, Flüssen und Lagunen und den dazugehörigen lautstarken Dschungelgeräuschen der Tiere, des Windes, des Wassers. Die Elemente vibrierten vor Leben, um mich herum und in mir.

Überall gibt es Stege oder Pfade, die die Gebäude miteinander verbinden. Das Reservat befindet sich auf dem festen Land, der sogenannten „Terra Firme“. Das heißt auf dem Gebiet, das niemals überflutet wird.

Ich denke, an dieser Stelle ist es angebracht, ein wenig mehr Hintergrundwissen bereitzustellen.

Es gibt drei Waldarten im Amazonas-Regenwald. Der Wald, der ganzjährig überflutet ist, jener, der im Winter überflutet und im Sommer begehbar ist und jener, der so hoch liegt, dass er niemals überflutet wird, die „Terra Firme“ eben. Die Flora und Fauna der drei Waldarten unterscheidet sich natürlich sehr und ist an das jeweilige Gebiet perfekt angepasst. Die Höhe des Wasserpegels während der Regenzeit (Winter) und Trockenzeit (Sommer) schwankt im Durchschnitt zwischen 10 und 15 Meter. Im Sommer gibt es Sandstrände an den Flussufern und im Winter viele Lagunen und überflutete Wälder. Das zu erfahren, war faszinierend für mich.

Woher kommt das ganze Wasser und wohin geht es dann wieder? - habe ich mich immer gefragt. Eine Sache ist es, dies theoretisch und wissenschaftlich zu verstehen. Aber es hautnah mitzuerleben, es zu fühlen, das ist eine ganz andere Sache.

Der Amazonas-Regenwald ist ein riesiges Gebiet und die Wassermengen, die Jahr für Jahr kommen und gehen, sind unvorstellbar. Die Natur ist an diesen Rhythmus angepasst und darauf spezialisiert, dass nicht auszumalen wäre, was passiert, wenn dies alles einmal aus dem Gleichgewicht gerät. Und wir sind nicht weit davon entfernt. Der Wasserkreislauf ist ein hochsensibles System und durch fortschreitende Abholzung sowie daraus resultierende Bodenerosionen an den Flussrändern, ist er gefährdet, durchbrochen zu werden. Auch Minenaktivitäten in den Flüssen, der Anbau extensiver Monokulturen und die Ausdehnung von Rinderfarmen auf riesigen Flächen, machen dem Ökosystem schwer zu schaffen. Und wenn das Ökosystem des Amazonas-Regenwaldes nicht mehr funktioniert, dann sind auch unsere Tage gezählt.

All das wurde mir schlagartig klar, da ich nun wahrhaftig hier war und die Mächte dieses magischen Ortes mit all meinen Sinnen spüren konnte. Jede einzelne Faser meines Körpers wusste, dass der Wasserkreislauf ein untrennbarer Teil der gewaltigen Natur ist, wie ein Mosaik, das nicht vollständig ist, wenn ein Teilchen fehlt. Und so ist es mit allen Wesen, mit allen Menschen, Tieren, Pflanzen und Mineralien; mit allem was lebt auf dieser Erde! Wir müssen endlich begreifen, dass wir ein Teil der Natur sind und diese nicht beherrschen, über ihr stehen oder sie gar besitzen. Wir sind alle nur Gäste, im Fluss der Zeit, ein Teil des großen Ganzen. Lebt alles, so leben auch wir, stirbt alles, so sterben auch wir. Das ist eine einfache Gleichung.

Das Naturreservat ist hauptsächlich auf den Öko-Tourismus spezialisiert. Während meiner Zeit hier kamen also Besucher aus aller Welt, um den tiefen Regenwald hautnah erleben zu können. Auch Forschungsgruppen, wie die Otter-Gruppe, hielten sich hier manchmal für auf, aber die hauptsächliche Einnahmequelle bestand aus dem Öko-Tourismus. Die Besucher bekamen einen einheimischen Gästeführer, der mit ihnen unterschiedliche Touren durchführte, und als Begleitung einen von uns Freiwilligen zugeteilt. Welche Touren genau, das konnten die Besucher oder die Besuchergruppe selbst wählen. So standen beispielsweise verschiedene Kanu oder Einbaum-Touren zur Auswahl, die immer sehr beliebt waren. Ein Einbaum ist ein traditionelles Kanu, das aus einem einzigen Baumstamm gezimmert wird. Auch Wanderungen durch den Regenwald am Tag oder bei Nacht, mit oder ohne Übernachtung in Hängematten, Besuche der kleinen Regenwalddörfer und ihrer Bewohner und gemeinsames Fischen auf traditionelle Art und Weise, wurde geboten.

Unsere Aufgabe als freiwillige Helfer bestand darin, die Besucher zu begleiten und für Fragen zur Verfügung zu stehen. Sozusagen ein Bindeglied zwischen den Mitarbeitern und den internationalen Besuchern zu bilden. Die Gästeführer und Mitarbeiter des Naturreservats sprachen nur Portugiesisch oder Spanisch und die Besucher meist nur Englisch, Französisch oder manchmal auch Deutsch. Auf der einen Seite war da natürlich die Sprachbarriere zwischen den Besuchern, den Gästeführern und den Mitarbeitern, die wir durch gegenseitiges Übersetzen zu überbrücken versuchten. Aber auch, was eigentlich viel wichtiger war, gab es da die kulturelle Barriere, die man keinesfalls unterschätzen darf. Ich fühlte mich oft wie eine Art Vermittlerin zwischen den Kulturen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten und die hier geradewegs aufeinander trafen. Eine Art Botschafter zwischen verschiedenen Welten waren wir, die den Versuch wagten, diese Welten zu vereinen und zu verstehen, dass wir trotz vieler oberflächlicher Unterschiede in ein und derselben Welt leben und uns das Menschsein auf tieferer Ebene verbindet.

Zum einen ging es darum, selbst erst einmal anzukommen und alles Neue um mich herum zu spüren und zu verarbeiten. Es war eine spannende persönliche Reise, die Kultur und das Gebiet kennenzulernen, zu verstehen, wie die Menschen hier ticken und was das Zusammenleben ausmacht. Das ist keine einfache Angelegenheit und viel Fingerspitzengefühl und Empathie ist hier vonnöten. Natürlich sind Geduld und eine ordentliche Portion Humor auch unverzichtbar. Über mich selbst lachen zu können und die Dinge nicht so ernst zu nehmen, das wurde mir hier gelehrt. Die alltäglichen kleineren und größeren Herausforderungen ließen mich mehr und mehr verstehen und ich konnte langsam persönlich und seelisch in meine neue Rolle hineinwachsen.

Zum anderen fand ich es wichtig, die Besucher angemessen zu begleiten und sie dabei zu unterstützen an eine Welt herangeführt zu werden, in die ich selbst eigentlich gerade erst eintauchte. Spannend war es allenfalls!

Die Mehrzahl der Besucher kam meist aus westlichen Ländern und viele waren oft das erste Mal in Lateinamerika, geschweige denn im Amazonasgebiet, unterwegs. Da verwundert es nicht, dass oft versucht wurde, die Dinge mit westlichen Maßstäben zu messen und es bestimmte Erwartungshaltungen gab. Das reichte vom Zeitverständnis, das hier sehr dehnbar ist, bis hin zu Erklärungen für bestimmte Naturereignisse, Tiere und Pflanzen, Ökosysteme oder auch das Alter eines Baumes.

Dazu fällt mir eine witzige Anekdote ein: Es gibt eine Ceiba in der Nähe des Naturreservats. Die Ceiba ist die größte Baumart im Amazonasgebiet und für die Ureinwohner des Gebiets ist sie ein heiliger Baum. Zur Veranschaulichung: etwa 28 Menschen, die, sich an den Händen haltend, im Kreis stehen, passen um den Stamm herum, so mächtig ist dieser Baum. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich auch noch keinen Baum gesehen, der die Ceiba an Größe und Mächtigkeit übertroffen hätte. Da ich oft mit unterschiedlichen Gästeführern und verschiedenen Besuchergruppen unterwegs war, musste ich mir immer wieder andere Geschichten über diesen Baum anhören und auch übersetzen. Das Alter schwankte von Gästeführer zu Gästeführer. Mal war der Baum 200 Jahre alt, mal zwischen 500 und 600 Jahre und manchmal sogar mehrere Tausend Jahre alt. Manche der Besucher hinterfragten das, andere nahmen einfach so hin, was ihnen erzählt wurde. Lea und ich machten schon Witze darüber, was für eine Geschichte wir nun wieder zu hören bekämen. Mit Lea verbrachte ich übrigens viel Zeit und gemeinsam erlebten wir spannende, intensive und witzige Momente. Ich persönlich denke jedenfalls, dass solch ein mächtiger und magischer Baum mindestens 800 Jahre alt sein muss und somit schon so einiges gesehen und erlebt hat.

Wir Freiwilligen gingen also täglich mit auf Dschungel-Expedition, wenn Besucher da waren. Meist waren wir drei freiwillige Helfer im Reservat. Als ich anfangs ankam, waren noch die besagten drei anderen Freiwilligen aus Kolumbien da, quasi zur Einweisung. Diese sind nach ein paar Tagen abgereist und Lea, eine Deutsche sowie Oli, ein Kolumbianer, kamen nach.

Der erste Satz, den ich von der verschwitzten Lea bei ihrer Ankunft hörte, war: “Ich zerfließe hier!”

Diese drei Wörter sollte ich in den nächsten sechs Wochen, die wir hier gemeinsam verbrachten, noch ziemlich oft zu hören bekommen.

Für die Besucher und auch für uns war es strengstens verboten, das Reservat ohne Gästeführer zu verlassen. Das Risiko, dass etwas passiert und man sich im Dschungel verläuft oder auf den Flüssen und Lagunen die Orientierung verliert, ist zu groß. Es gibt keinerlei richtige Wege oder Wegmarkierungen im Wald. Die Gästeführer kommen aus der Region, sind hier aufgewachsen, wissen, wie man in der Wildnis überlebt, was bei Notfällen zu tun ist und kennen sich hier so gut aus, wie in ihrer Westentasche (wenn sie eine hätten!). Diese Tatsache musste respektiert werden und in der Regel war das auch kein Problem.

Lea, Oli und ich teilten uns meist auf, vor allem, wenn viel los war. Wir waren dann alle mit unterschiedlichen Gruppen von früh morgens bis spät abends unterwegs. Morgens, Mittags und Abends wurde in der Regel im Naturreservat gegessen, außer wir befanden uns auf einer besonderen Tour, beispielsweise einer Dschungelübernachtung, die mehr Zeit außerhalb des Reservats in Anspruch nahm. An dieser Stelle möchte ich, wie angekündigt noch einmal auf die kulinarischen Erlebnisse hier im Reservat eingehen. Oft standen Fische aus den Flüssen um uns herum auf dem Speiseplan, wie beispielsweise den Pirarucu oder auch Piranha. Die Wunderwurzel Maniok, in Brasilien „Mandioka“ genannt, gab es, in unterschiedlichen Zubereitungsformen, zu jedem Essen dazu. Maniok wird in anderen Ländern Südamerikas bzw. Afrikas auch Yuka oder Cassava genannt. Sie ist ein Wurzelgemüse, mit einer Konsistenz ähnlich der Kartoffel, jedoch einer härteren Schale. Die Brasilianer in allen Teilen des Landes lieben ihre Maniok und stellen unzählige Mahlzeiten aus ihr her. Farinha de Maniok (Maniokmehl) wird entweder direkt über das Essen gestreut, so wie Parmesan-Käse, oder es wird mit klein gehackten Zwiebeln, Knoblauch, Tomaten oder Kochbananen angebraten und bildet so eine leckere Beilage. Das nennt man Farofa.

Anders verarbeitet wird Maniok auch zum Backen verwendet, um daraus Fladen herzustellen. Das wird in manchen Teilen Brasiliens Tapioka, in Anderen Beiju genant. Die Konsistenz ist gummiartig, weshalb es auch „Goma de Mandioka“ genannt wird. Zu einer Süßspeise zubereitet nennt man es „Doce de Tapioca“. Natürlich kann man die Maniokwurzel auch einfach wie eine Kartoffel schälen und kochen oder raspeln, um daraus eine Art Kartoffelpuffer zu zaubern. Es ist wichtig zu beachten, dass man sie gut kocht oder brät, denn wenn sie noch ein wenig roh ist, kann sie Magenprobleme verursachen. Eine Art, die „Mandioka Brava“, ist sogar giftig und man nimmt sie nur, um sie zu Farinha zu verarbeiten. Die Maniok zählt also zu den Grundnahrungsmitteln, so wie in anderen Ländern Reis, Mais, Weizen oder die Kartoffel. Im Naturreservat gab es dazu oft Bohnen, Salate, Kochbananen, Kartoffeln, verschieden zubereitetes Gemüse und Nudeln. Auch frische Säfte aus Mango, Wassermelone, Papaya, Bananen, Copuazu (eine Frucht aus dem Amazonas-Gebiet), Guayaba, Maracuja, oder was die Natur um uns herum sonst hergab, gab es reichlich. Nach jedem Essen wartete ein Nachtisch, wie „Doce de Tapioka“, das so ähnlich ist wie Milchreis, auf uns. Das wird mit Kondensmilch, Kokosmilch oder Kokosraspeln zubereitet. Brigadeiros, pralinenartige Kugeln aus Kakao, Kondensmilch und Kokos oder Früchte mit Eiscreme standen auch oft auf dem Speiseplan.

Nach dem Frühstück, bzw. Mittagessen ging es dann los auf Tour und nach dem Abendessen saßen wir meist gemütlich alle zusammen. Mal war richtig viel los und wir waren bis zu 30 Leute im Reservat. Manchmal waren aber auch nur ganz wenige oder gar keine Besucher da.

Dann gingen Lea und ich meist gemeinsam mit einem Gästeführer auf Tour.

Auch wenn wir immer wieder die gleichen Expeditionen unternahmen, so war es doch niemals dasselbe. Die Natur unterliegt einem stetigen Wandel und jedes Mal erlebten wir andere erstaunliche Dinge.

In der Zeitspanne als ich dort war, von Januar bis März, stieg der Wasserpegel stetig an. Vor allem ausgelöst durch häufige Regenfälle und das Schmelzwasser der Anden, das in das Amazonas-Becken fließt. So konnte man beobachten, wie sich die Natur tagtäglich verändert. Das Wasser stieg und stieg unaufhörlich. Wege, die vorher zu Fuß passierbar waren, wurden bald überflutet und man konnte mit dem Kanu drüber fahren. Schmale, versteckte Seitenarme der Flüsse, die durch das Dickicht des Dschungels führen, wurden zu reißenden Wildwasserflüssen. So war es bald eine gewagte Aktion, diese mit dem Kanu zu passieren und das Ganze unfallfrei zu überstehen. Dazu muss man wissen, dass die Flüsse sich auf natürliche Art und Weise kurvig durch den Regenwald schlängeln. Ist die Strömung zu stark, so fährt man die ganze Zeit im Zickzack, wird von einem Ufer zum anderen katapultiert. Das sah bestimmt immer witzig aus! Hindernisse, wie Baumstämme, die über den Flüssen liegen, Mangroven, Lianen, die von den Bäumen hängen und riesige Spinnennetze, die sich über die Flüsse spannen, machten eine Kanu-Tour zu einem riesigen Abenteuer. Vor allem bei stetig steigendem Wasserpegel. Der Bootssteg, an dem ich das erste Mal im Naturreservat ankam, war schon zwei Wochen nach meiner Ankunft komplett unter Wasser. Die Bäume weisen Markierungen an ihren Stämmen auf, bis wohin das Wasser normalerweise steht. Es ist faszinierend, das alles zu sehen. Faszinierend ist auch, zu erleben, wie angepasst und spezialisiert die Flora und Fauna auf das Klima und die Natur ist. Mir schien es immer, als wäre alles auf magische Art und Weise miteinander verwoben und verflochten. Und ich mittendrin.

Die Vegetation der drei Waldarten (ganzjährig überflutet, semiüberflutet und nie überflutet) unterscheidet sich komplett von den jeweils anderen. Die Flora und Fauna der nie überfluteten Gebiete ist viel diverser, als die dauerhaft oder semi-überfluteten Gebiete. Ich denke das liegt daran, dass die Pflanzen der Gebiete, die überflutet werden, sich extrem spezialisieren müssen. Es gibt einfach nicht so viele Arten, die diesen extremen Bedingungen und dem Aufwand an Energie gewachsen sind. Bäume stehen die Hälfte des Jahres komplett im Wasser, verlieren ihr Blattwerk, so wie die Bäume in Europa im Winter und müssen sich nach jeder Flut regenerieren. Bäume der nie überfluteten Gebiete müssen das nicht und können ihre Energie mehr in Wachstum und Abwehrmechanismen investieren. So kommt es auch, dass diese Bäume in der Regel größer und stärker sind als ihre Artgenossen, die mit Überflutungen zu kämpfen haben. Auch die Anpassung der Tierwelt ist erstaunlich. Beispielsweise können viele Insekten über das Wasser laufen. So kam es einmal, dass uns eine Tarantel auf dem Wasser entgegen gelaufen kam, als wir seelenruhig in einer Lagune schwammen. Es ist zwar beunruhigend, wenn man immer damit rechnen muss, dass einem beim Schwimmen eine Spinne oder ein Insekt entgegen gelaufen kommt. Und dann auch noch auf „Augenhöhe“. Auf der anderen Seite ist es aber auch einfach faszinierend. Ist es nicht oft so, dass Dinge, die uns am meisten faszinieren, auch am meisten Angst einjagen?

Und überhaupt; schwimmen in den Lagunen Amazoniens? So manch einer möge das für total verrückt halten. Aber ja, wir waren tatsächlich regelmäßig im Amazonas-Regenwald schwimmen. Das hört sich aber verrückter an, als es in Wirklichkeit ist. Klar gibt es Piranhas und Krokodile im Wasser. Und klar, sollte man nicht an den Flussrändern oder in den überfluteten Wäldern schwimmen gehen, wo diese sich tummeln. Aber in die recht tiefen Lagunen verirren sich kaum Piranhas oder Krokodile. Darüber hinaus sind das alles wilde Tiere und von Natur aus scheu. Ganz im Gegenteil dazu, wie sie in blutrünstigen Hollywood-Filmen dargestellt werden, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Das hält wohl viele Menschen davon ab, überhaupt ein so “gefährliches” Gebiet, wie den Amazonas-Regenwald, zu besuchen. Auch ich hatte zugegebenermaßen meine Bedenken und Ängste. Ich wusste ja nie, was in den trüben Tiefen unter mir so schwimmt und kriecht. Aber letztendlich habe ich mich dann doch in die Lagunen fallen lassen. Das war eine große Überwindung für mich, hatte ich doch in Verbindung mit Wasser schon einige ungünstige Situationen erlebt, die sich im Laufe der Zeit zu Traumata entwickelten. Aber loszulassen, das erfrischende Wasser um mich und das Leben in mir zu spüren; das hat mir in diesen Momenten viel gegeben.

Zum Thema Lagunen passt auch diese kleine Geschichte über Leas und meine Lieblingsbeschäftigung. Diese war, mit dem Kanu oder dem Einbaum, hinaus auf die große Lagune vor dem Reservat zu fahren und den Sonnenuntergang zu bewundern. Ob das nur zu zweit, mit unserem Freund und Gästeführer Jazé oder mit einer Gruppe Besuchern stattfand, war zweitrangig. Hauptsache, wir konnten fast täglich inmitten dieses fantastischen Farbenspiels aus rot, blau, rosa, lila, grün, gelb und orange, das im stetigen Wandel ist, sein.

Es war sehr berührend, wie sich Farben, Intensität und Formen am Himmel veränderten, Wolken sachte vorbei zogen und die ganze Pracht sich im seichten Wasser der Lagune spiegelte. Oben war wir unten und unten war wie oben. Alles verschwamm.

Dazu rosa und graue Delfine, die um uns herum schwammen und gelegentlich aus dem Wasser sprangen. Vögel sangen ihr Abendlied und verabschiedeten den Tag. In diesen Momenten erlebte auch ich absolute Ruhe und Frieden in mir. Niemals werde ich das vergessen.

Das war unser ganz persönliches, abendliches „Amazonas-Kino“. Wenn ich die Augen schließe, dann sehe ich das Schauspiel immer noch vor mir, als wäre es gestern gewesen. Und manchmal bin ich mir gar nicht so sicher, ob es nur ein Traum oder Wirklichkeit war. Und wo liegt der Unterschied?

Ist die gesamte Existenz nicht aus dem Stoff gemacht, aus dem auch die Träume gemacht sind? Und ist nicht sowieso alles vergänglich, außer das Selbst, das in den Moment und gleichzeitig in den Fluss der Unendlichkeit gewoben ist?

Ich denke nun ist es an der Zeit, die Geschichte von Kurupira zu erzählen.

Von Kurupira erfuhr ich, als wir, die Freiwilligen und ein paar der Gästeführer, die schon längst zu unseren Freunden wurden, abends bei Kerzenschein, auf der Veranda des Reservates saßen. Wir genossen unseren Caipirinha und ein ausgewachsener, tropischer Regenguss strömte lautstark auf das Dach über uns. Da erzählte Jazé von den Mythen und Legenden des Dschungels:

„Die Ureinwohner erzählen sich hier sehr viele Geschichten, müsst ihr wissen. Diese sind von Region zu Region unterschiedlich. Eine davon handelt von mysteriösen Kindern, die im Dschungel leben und ihn beschützen. Diejenigen, die ihn nicht respektieren, suchen sie heim und tun ihnen etwas Schlimmes an. Eine andere Geschichte handelt vom “Senhor Boto” (Herr Delfin), der halb Mann, halb Delfin ist. Mädchen, die nachts bei Mondschein in den Lagunen schwimmen gehen, können von ihm geschwängert werden.“

Eine weitere Geschichte, für mich die beeindruckendste, ist die des Kurupira. Jazé fuhr fort: „Viele behaupten, dass es ihn gibt und sie ihn schon gesehen oder zumindest gehört hätten. Man kann es sich so vorstellen, wie die Legende vom Yeti im Himalaya. Davon hat mir mal ein Besucher erzählt und ich verband ihn gleich mit Kurupira. Vielleicht ist es auch ein und derselbe Naturgeist? Jedenfalls wird der Kurupira als eine affenähnliche, große Gestalt, mit langen Haaren am ganzen Körper beschrieben. Ein Fuß soll nach vorne und der andere nach hinten gerichtet sein. Laut der Legende liebt er es, mit einem großen Stock gegen die Baumstämme des Dschungels zu schlagen und so einen Höllenlärm zu veranstalten. Seine Funktion ist es, den Dschungel zu beschützen und er kann in jeder beliebigen Gestalt auftauchen, um Menschen, die dem Regenwald etwas Böses angetan haben oder antun werden, in die Irre zu führen. Im schlimmsten Fall führt er diese so tief in den Wald, dass sie nicht alleine wieder heraus finden können und sterben.“

Wir alle hörten gespannt zu. Ich fragte Jazé: „Hast du ihn denn schon einmal gesehen oder gehört?“. Jazé grinste nur spitzbübisch, wir er es oft tat, und antwortete nicht auf meine Frage.

Seit ich die Geschichte gehört habe, dachte ich oft an Kurupira. Jazé und ich scherzten oft im Alltag darüber, dass ich ja gar nicht weiß, ob es wirklich er oder Kurupira ist, mit dem ich da in den Dschungel gehe. Auf einmal war alles Kurupira. Jedes Geräusch im Dschungel, jede Bewegung im Wasser, jeder nächtliche Schatten. Es machte Spaß in diese Welt der Mythen und Legenden einzutauchen, Teil davon zu werden. Angst hatte ich vor Kurupira nie, da ich ja nicht vorhatte, dem Dschungel etwas Böses anzutun. Also hatte ich auch nichts zu fürchten.

Meine erste Übernachtung im Dschungel war sehr aufregend. Lea und ich begleiteten eine Besucherin aus England und den Gästeführer Marcelinho beim nächtlichen Abenteuer. Der Dschungel zeigt sich in der Nacht von einer ganz anderen Seite.

Gegen 16 Uhr ging es los. Mit Gummistiefeln und unseren sieben Sachen, stampften wir durch den feuchten Regenwald. Wir waren mit Hängematte inklusive Moskitonetz, ökologischem Moskitospray, Essen, Taschenlampe, Wasser und Machete bewaffnet. Es ging durch dichten Dschungel, über umgefallene Baumstämme, durch kleine Flüsse, über Hügel, riesige Wurzeln, die sich am Boden entlang schlängeln und über eine unglaublich dicke Humusschicht unserem Ziel entgegen. Gesucht wurde ein geeigneter Platz, um unser Nachtlager aufzuschlagen. Zuerst spannten wir große Plastikplanen auf , die uns vor Regen schützen sollten.

“Der Regen in der Nacht kann von jetzt auf nachher und mit einer unglaublichen Stärke herunter prasseln. Da ist es wichtig, dass die Planen fest zwischen die Bäume gespannt werden, so dass wir nicht komplett nass werden”, sagte Marcelinho und wir machten uns an die Arbeit. Als das erledigt war, ging es darum, die Hängematten darunter aufzuhängen und zwar so, dass sie auch gut gespannt sind. So schläft es sich einfach besser darin. Nun fehlten nur noch die Moskitonetze, die wir um die Hängematten spannten. Das sah witzig aus. Als würden wir in einem riesigen, hängenden Kokon übernachten, jeder in seinem eigenen.

Nun war es auch schon fast dunkel. Im Amazonasgebiet geht die Sonne immer etwa zur gleichen Zeit auf und unter, da das Gebiet so nahe am bzw. auf dem Äquator liegt. Gegen 18 Uhr ist Sonnenuntergang. Ich war schon recht müde und hungrig von der Wanderung und den Vorbereitungen des Nachtlagers. Die Arbeit hier, so schön und vielseitig sie auch war, stellte auch gleichzeitig eine große Herausforderung dar, physich wie auch psychisch. Ich stellte immer wieder fest, wie sehr ich auf mich und meine Bedürfnisse hören musste, um mit mir selbst im Gleichgewicht zu bleiben. Das erfordert höchstes Fingerspitzengefühl mit sich selbst.

Wir bereiteten langsam das Lagerfeuer vor und aßen unsere mitgebrachten Speisen. Die anderen aßen gegrilltes Hähnchen. Für mich als Vegetarierin gab es Reis mit Sojasoße und Salat. Auf meinen Wunsch hin, ruhten wir uns danach eine halbe Stunde in der Hängematte aus. Hätte ich nicht auf mein Bedürfnis gehört und dieses auch kommuniziert, wären wir gleich nach dem Essen aufgesprungen und losgezogen.

So begaben wir uns ein wenig später gesättigt und ausgeruht auf eine Nachtwanderung, die ich niemals vergessen werde.

Die Dunkelheit hier ist so intensiv, wie wir sie beispielsweise in Europa, auf Grund der kontinuierlichen Lichtverschmutzung, niemals erleben. Man verliert im Regenwald komplett die Orientierung, wenn man die Taschenlampe ausschaltet. So liefen wir erst eine Weile mit der Taschenlampe herum und sahen zahlreiche nachtaktive Tiere. Da war das Opossum, das kopfüber am Baum hing und riesige Vogelspinnen, die bei Nacht aus ihren Höhlen unter den Bäumen kommen. Und wenn ich riesig sage, dann meine ich auch riesig. Von handgroß bis zur Größe eines Kaninchens. Unheimlich, faszinierend und abschreckend zur gleichen Zeit. Sich nur nicht zu sehr nähern, hieß da die Devise. Ansonsten sahen wir noch Schlangen in den Bäumen, einen Rochen im Fluss, riesige Heuschrecken die munter herumsprangen, Frösche und Kröten in allen Größen und Farben sowie alle möglichen Käfer. Doch das Schönste überhaupt, eines der magischsten Dinge, die ich je in meinem Leben sah, waren die leuchtenden Pilze und Würmer.

An einigen Stellen im Dschungel haben wir die Taschenlampen ausgeschaltet und sind einfach stehen geblieben. Erst warteten wir ein wenig, um unsere Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Und nach und nach ploppten in der Dunkelheit langsam immer mehr leuchtende Punkte auf. Es sah aus wie in dem Film Avatar. Ich hatte das Gefühl, ich würde mitten im Universum stehen, die Sterne um mich herum. Es war unbeschreiblich.

Eines Abends, als eine Schulklasse aus Kolumbien im Reservat zu Besuch war, saß ich mit Oli und ein paar der Gästeführer im Gemeinschaftsraum. Wir tranken gerade gemütlich unseren Caipirinha und unterhielten uns, als Lea mitsamt einer Horde Schüler und Lehrer, von einer nächtlichen Bootsfahrt zurückkam. Es herrschte eine allgemeine Unruhe, Lehrer und Schüler riefen auf Spanisch durcheinander. Wir hörten immer wieder “Once metros, once metros!”

Lea kam zu uns herüber und rief “Once metros, en sério?”. Das heißt so viel wie: ”Elf Meter, wirklich?”

Wir schauten sie alle ganz verwundert und fragend an. Lea erklärte uns, dass sie auf der Tour einen Kaiman im Wasser gesehen hätten, der recht groß war. In der Dunkelheit und nur mit der Taschenlampe bewaffnet, konnte man jedoch nicht das ganze Tier sehen, sondern nur den Kopf. Als sie den Gästeführer fragte, wie groß der Kaiman denn in etwa sei, meinte dieser: “In etwa elf Meter!”. Lea war ganz außer sich. So wie die Schüler und auch die Lehrer. “Elf Meter, kann das wirklich sein? Das ist ja riesig!” Eine Lehrerin lief sogar elf große Schritte ab und sagte zu den Schülern: “Schaut her, von dort bis hier, das sind elf Meter”. Ich dachte mir schon, dass das wohl kaum sein kann. Die anderen Gästeführer lachten sich schon kaputt. Lea fragte nochmal und schaute uns mit großen Augen an: “Elf Meter, das kann doch nicht sein?” Da lachten alle noch mehr. Lea, Oli und ich stimmten in das Lachen ein, und da wusste ich, dass einer der Gästeführer mal wieder eine Fantasiegeschichte erzählt hatte. Dieser Moment war aber so lustig, dass er uns allen noch lange im Gedächtnis blieb. Immer wieder machten wir Witze darüber. Über die once metros, über Leas ungläubigen Gesichtsausdruck, als sie ankam und über die Lehrer, die es dem Gästeführer ernsthaft abgekauft hatten. Jedes Mal wenn wir uns unterhielten und etwas zur Sprache kam, wie etwa: “Hey, heute haben wir ein Faultier im Baum gesehen!” Dann war die Frage darauf immer: “Once metros, en sério??” Oder “So einen großen Baum wie heute habe ich noch nie gesehen!” “Once metros, en sério?”

Man kann sich vorstellen, wie es zuging.

Das war eines der Beispiele, das zeigt, dass die meisten Gästeführer nicht wissenschaftlich oder rational denken, sondern sich einfach ihre ganz eigenen Geschichten ausdenken oder das erzählen, was sie vom Hörensagen kennen. Kulturell ist es in Brasilien generell so, dass niemand zugibt, wenn er etwas nicht weiß. In Deutschland würde man einfach sagen: “Ich weiß es nicht!”. Hier aber möchte jeder sein Gesicht wahren und eine Antwort geben können. Und wenn er sie nicht weiß, dann erfindet er einfach eine. Tatsächlich wird ein Kaiman nicht größer als sechs Meter. Das ist aber auch schon eine stattliche Größe.

Einen Abschnitt möchte ich Lea widmen und ein paar Anekdoten auspacken. Ein wenig habe ich ja schon von ihr und unseren gemeinsamen Abenteuern erzählt.

Fakt ist, dass ohne sie mein Aufenthalt hier im Naturreservat nur halb so schön gewesen wäre. Auf Anhieb haben wir uns sehr gut verstanden. Sie kommt aus Deutschland, studierte zu diesem Zeitpunkt an der Universität in Osnabrück Musik und Erdkunde auf Lehramt und war für drei Monate in Südamerika unterwegs. Erst war sie in Kolumbien, da ihr Onkel dort lebt, dann sechs Wochen hier im Naturreservat und danach ist sie noch nach Peru gereist.

Wir haben viel miteinander erlebt, geredet und uns gegenseitig unterstützt, wenn die Dinge nicht so rund liefen. Wir waren sozusagen unser gegenseitiger Anker; aus der gleichen Kultur stammend und ein Stück gemeinsam in die andere Kultur gehend. Unser liebster Ort war der Mirador; ein kleiner Aussichtsturm, der aus Steinen und Holz gebaut wurde und etwa 20 Meter in die Höhe ragte. Nein, keine elf Meter.

Hier verbrachten wir Stunden, wenn wir zwischendurch etwas freie Zeit hatten. Auf dem Mirador fühlten wir uns wie die Königinnen des Dschungels. Hoch oben waren wir weit weg von alltäglichen Herausforderungen. Wenn unser Blick in die Ferne schweifte, rund herum, so weit das Auge reichte, nur Regenwald und Wasser, konnten wir abschalten und einfach nur sein. Und im Aufgehen des Seins wurden wir kreativ – wir praktizierten Yoga und/oder meditierten, beobachteten stundenlang Gewitter, musizierten und sangen gemeinsam, beobachteten Sterne und Sternschnuppen, unterhielten uns, lasen oder hingen einfach nur in der Hängematte herum. Wenn wir mal nicht wussten, wo die Andere gerade ist, dann war die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass sie sich auf dem Mirador befand.

Eines Abends, als wir mal wieder zusammen mit den anderen Caipirinha tranken und sich ausnahmsweise keine Gäste im Reservat aufhielten, fing es auf einmal an wie wild zu regnen. Ein paar Tage zuvor hatten wir noch über Schaukeln in strömendem Regen geredet und was für ein schönes Gefühl das sein müsste. In diesem Moment schauten wir uns nur kurz an. Wir wussten, was zu tun war. Und schon waren wir draußen im strömenden Regen verschwunden und...

schaukelten. Einfach, weil wir Lust drauf hatten. Die Schaukeln sind toll – riesig und direkt über einem kleinen Hang gebaut. So hat man das Gefühl, man fliegt über die Baumwipfel hinweg. Es machte unheimlich Spaß, das innere Kind ungehemmt spielen zu lassen. Austoben, spielen, sich tot lachen. Ein Gefühl grenzenloser Freiheit. Und jedes Mal, wenn ich so aus mir herauskomme und dieses Gefühl zulasse, dann beschenke ich mich selbst. Dann ist die Welt in Ordnung, wie sie ist und ich fühle mich ganz. Und jedes Mal denke ich: das solltest du viel öfter machen!

Als wir pitschnass und triefend, aber glücklich und mit einem breiten Grinsen im Gesicht wieder zu den anderen kamen, schauten sie uns nur verwirrt und kopfschüttelnd an und sagten “As garotas doidas da Alemanha!” in etwa wie “Diese verrückten deutschen Mädels!”.

Unsere liebste Kanu-Tour war die Mata-Mata-Tour, benannt nach einer Lagune, die Mata-Mata heißt. Diese wiederum ist nach einem großen Baum benannt, welcher der großen Ceiba, dem heiligen Baum, ähnelt, jedoch nicht ganz so groß wird. Die Tour ist recht lang und anstrengend, aber auch sehr schön und jedes Mal irgendwie anders. Ein Stück davon musste man anfangs immer laufen, da das Wasser noch nicht hoch genug stand. Das hieß konkret, dass das Kanu, was nebenbei bemerkt sehr schwer ist, aus dem Wasser gehoben, ca. 30 Minuten durch den matschigen Dschungel geschleppt und am anderen Ende, am großen Fluss, wieder ins Wasser befördert werden musste. Das war ein großes Abenteuer und endete meist damit, dass wir durchnässt und von oben bis unten mit Schlamm verschmiert wieder im Reservat ankamen. Aber es lohnte sich trotzdem immer wieder. Am Ende unseres Aufenthaltes war das Stück, das gelaufen werden musste, überschwemmt und man konnte mit dem Kanu fahren. Jedoch hatte man mit einer extremen Gegenströmung zu kämpfen, da nun das Wasser vom großen Fluss in den schmalen Seitenarm gedrückt wurde. In solchen Situationen wurde mir immer wieder am eigenen Körper bewusst, wie stark die Natur ist und dass hier ihre Gesetze gelten. Friss oder stirb!

Wenn Lea und ich zusammen Piranhas fischen waren, so war das zwar weniger erfolgreich, dafür aber umso lustiger. Eigentlich war alles, was ich zusammen mit Lea und/oder Jazé machte lustig. Egal was wir gemeinsam unternahmen. Es machte immer eine Menge Spaß. Wir lachten so viel miteinander und genossen das Leben im Dschungel, als würde es kein Morgen und keine andere Wirklichkeit geben. Der Moment im hier und jetzt, das war das Wichtigste. So war es auch beim Piranhafischen. Da sich Piranhas, wie ich schon erwähnte, meist an den flacheren Flussufern oder den überschwemmten Wäldern aufhalten, mussten wir mit unserem Holzboot immer ein gutes Stück ins Dickicht fahren. So kam es einmal vor, dass wir ein Ameisennest, das sich in einem alten Baumstumpf befand, aus Versehen rammten. Die wütenden Ameisen konnten so auf unser Boot gelangen und zubeißen, wenn man nicht aufpasste. Eine hat mich schön in den Hintern gebissen, durch die Stoffhose hindurch. Man kann sich kaum vorstellen, wie weh es tut, wenn man von einer wütenden, etwa fingergroßen Waldameise gebissen wird. Immerhin habe ich daraus gelernt und nie wieder Stoffhosen auf die Expeditionen angezogen sondern nur noch meine dicke Wanderhose.

Diese Erfahrung war nicht so witzig. Dafür das Fischen umso mehr. Gefischt wurde mit traditionellen Angeln. Das sind einfache Äste mit einer Angelschnur und Haken. Als Köder nahmen wir entweder rohes Fleisch oder Fisch. In kleine Stücke geschnitten und ran an den Angelhaken. Man könnte meinen, dass nun die Piranhas in Scharen kamen, um von uns gefischt zu werden. So war es aber leider nicht. Nur allzu oft dachten wir, etwas hätte angebissen. Als wir dann aber erwartungsvoll die Angel hochrissen, um unsere Beute zu betrachten, offenbarte sich uns nur ein Ast. Oft kam es auch vor, dass wir werkten, wie etwas an unserem Köder knabberte. Bei näherer Betrachtung war aber meist der Köder weg und kein Fisch am Angelhaken. Nach und nach fanden wir heraus, dass kleine Fische nur allzu gerne den Köder Stück für Stück abfressen. Das könnte alles frustrierend sein, aber für uns war es einfach nur ein witziges Abenteuer. Deutsche Mädels versuchen ihr Glück beim Piranhafischen im Amazonas!

Die Gästeführer amüsierten sich natürlich köstlich dabei und hatten offensichtlich weniger Probleme beim Fischen. Fast immer hatten sie einen großen Piranha oder einen anderen Fisch am Hacken. Wenn Lea oder ich dann doch mal einen Fisch geangelt hatten, der sogar so groß war, dass es sich lohnte ihn mitzunehmen, zuzubereiten und zu essen, dann war das natürlich etwas ganz Besonderes.

Noch nie habe ich so viele verschiedene Arten von Tieren und Pflanzen auf einmal gesehen. Die Artenvielfalt Brasiliens ist erstaunlich, besonders aber die vom Amazonasgebiet. Ständig sah oder hörte man etwas neues Außergewöhnliches. Das versetzte mich ständig in Zustände des absoluten Staunens.

Nachts kann man vom Reservat aus die Kaimane sehen oder besser gesagt ihre roten Augen, die das Licht der Taschenlampe reflektieren. Je roter die Reflexion, desto älter ist das Tier. Das lernte ich von Jazé, wenn wir nachts auf dem Mirador saßen, Sterne betrachteten und mit der Taschenlampe auf die Lagune leuchteten.

Bei Dschungelwanderungen und Kanu-Touren kann man Ameisenbären, Faultiere, Otter, unzählige Arten von Vögeln, Schlangen, wie beispielsweise die Boa Constriktor, verschiedene Affenarten, die meist in Familien unterwegs sind, große Adler, die zwischen dem Amazonasgebiet und Kanada oder Alaska hin und her fliegen, Insekten, Pacas (eine Art großes Meerschweinchen), Opossums, riesige Spinnen und so weiter treffen. Ein paar Ereignisse sind mir besonders im Gedächtnis geblieben.

An einem ganz normalen Tag, gegen Nachmittag im Naturreservat, flogen auf einmal Tausende, nein Abertausende von Ameisen aus den Ameisennestern. Innerhalb von nur wenigen Minuten war alles um und über uns herum komplett voll mit diesen fligenden Ameisen und man konnte kaum noch vorwärts kommen, ohne komplett mit fliegenden Ameisen bedeckt zu sein. Das lockte natürlich Vögel aller Art an. Sogar diejenigen, die oft so hoch fliegen oder so tief im Dschungel versteckt sind, dass man sie kaum zu sehen bekommt. Die fliegenden Ameisen waren ein Fest für sie und das konnten sie sich nicht entgehen lassen. Für uns war es dagegen ein Fest, all diese schönen und seltenen Vögel zu beobachten, wie sie ihre Beute aus der Luft schnappten. Ein unglaubliches Ereignis. Mit dem Fernglas standen wir da und beobachteten die Vögel. Nach etwa einer Stunde war der Spuk schon wieder vorbei. Alle Ameisen und Vögel waren verschwunden, als wäre nie etwas passiert.

Wenn man abends auf dem Mirador saß, so konnte man nicht nur wunderbar Sterne betrachten und Sternschnuppen sehen, sondern auch jede menge Tiere hören. Die Frösche fingen an, in allen Oktaven, ihr allnächtliches Dschungelkonzert anzustimmen. Grillen stimmten mit ein. Affen gaben den Rhythmus vor. Verschiedene nachtaktive Vögel beteiligen sich mit ihrem Gesang. Und jede Nacht wiederholte sich das Spiel. Es war einfach schön den Klängen der Natur zu lauschen. Und diese waren, was die Lautstärke betrifft, nicht zu unterschätzen. Wenn die Nachtschicht vorbei war, löste die Morgenschicht bei Sonnenaufgang ab. Sobald die ersten Sonnenstrahlen am Horizont erschienen, wurden die tagaktiven Vögel wach. Vor allem die Oropendolas, die ihre hängenden Nester an einem großen Baum vor der Lagune hatten, hörte man schon von weitem. Sie fingen an mit lauten, glucksenden Tönen, die fast wie Autoalarmanlagen oder Töne von Spezial-Effekten aus Filmen klangen, aktiv zu werden. Fleißig flogen die schönen gold-gelben Vögel (woher auch ihr Name stammt; “Oro” bedeutet Gold und “Pendola” etwas, das hängt, womit ihre Nester gemeint sind) hin und her und verschwanden für einen Augenblick in ihren Nestern, um kurz darauf wieder aufzutauchen, um neues Futter für ihren Nachwuchs zu besorgen. Es war immer interessant und amüsant, ihnen eine Weile dabei zuzuschauen.

Wo ich gerade über Vögel im Naturreservat berichte, komme ich wohl kaum darum herum, über die beiden nervenden “Haus-Aras” Laura und Açaí zu berichten. Ich hatte oft das Gefühl, dass sie eine Mischung aus einem fliegenden Hund und einer Katze sind, die Sachen entführen und kaputt machen, wenn man sie einfach herumliegen lässt und oft herkommen, um gekrault zu werden.

Die beiden wurden von Mitarbeitern des Reservats aus einer grausamen Gefangenschaft bei Privatleuten gerettet und es ist leicht zu erkennen, dass sie immer noch einen ziemlich großen Schaden davontrugen. An eine Rückführung in die Wildnis war nicht zu denken. Sie sind fester Bestandteil des Reservats geworden und gehen allen hier kräftig auf die Nerven. Laura hat ihren Namen daher, da sie immer wieder “Laura, Laura, Lauuuuuuraaaa, Lau, Laura,...” schreit. Und das den lieben langen Tag und ziemlich laut. Sie kann noch fliegen, was das ganze nicht verbessert. Dafür fehlt ihr aber eine Kralle, die von der Kette, an der sie gefangen gehalten wurde, so entzündet war, dass man sie nicht mehr retten konnte und amputieren musste. Das hielt Laura aber nicht davon ab, uns täglich beim Essen auf Trab zu halten, da sie Essen, Besteck oder andere Sachen aus der Küche stahl. Oftmals lässt sie diese Sachen dann aus der Höhe herunterfallen, was böse enden kann. Insbesondere dann, wenn es sich um Messer oder andere spitze Gegenstände handelte. Mit ihr zu schimpfen half da nichts. Sie wusste genau, was sie tat und wir wussten, dass sie nicht einen Augenblick daran verschwendete, auch nur in Erwägung zu ziehen, schonender mit unseren Nerven umzugehen. Wir schüttelten dann nur resigniert den Kopf und murmelten: „Laura, Laura...“, während sie schelmisch von oben auf uns herab schaute.

Açaí, der nicht fliegen kann, da seine Flügel in der Gefangenschaft gebrochen wurden, nervt dafür umso mehr mit seiner lauten, krächzenden Stimme. Vor allem, wenn sich Laura und Açaí streiten, während man in Ruhe nach dem Mittagessen ein Nickerchen machen möchte. Açaí hat vor allem durch seine Behinderung gelernt, mit uns Menschen perfekt zu kommunizieren und klar zu verstehen zu geben, was er will. Möchte er auf eine Bank oder den Tisch gehoben werden, so kommt er auf dem Boden angewatschelt wie eine Ente und beißt dem oder der Auserwählten kräftig in den Fuß. Wenn er von irgendwo herunter möchte, dann schreit er so lange, bis jemand kommt und ihm auf den Boden hilft. So geht das den ganzen Tag. Aufgrund der fehlenden Flügel ist sein Schnabel dafür umso besser ausgebildet. Damit klettert er auch Bäume oder Wände hoch, die aus Moskitonetzen bestehen. Und er knabbert so ziemlich alles an, was nicht vor ihm in Sicherheit gebracht wird. So auch das Ladekabel meines Laptops, das ich einmal auf dem Schreibtisch im “Büro” des Reservats vergessen hatte. Tja, dieses war dann, dank Açaí, nicht mehr zu gebrauchen, was nicht so schlimm gewesen wäre, hätte es sich nicht um das Kabel eines Apple-Laptops gehandelt. Später werde ich noch feststellen, dass es hier in Brasilien ziemlich schwierig ist und wenn dann teuer, ein solches zu bekommen. Aber das ist eine andere Geschichte, für einen anderen Tag.

Für die Gäste sind Laura und Açaí das Highlight überhaupt und das wussten die beiden ganz genau. Sie genossen das zurecht und trotz all ihrer nervigen Eigenschaften, sind die beiden doch fester Bestandteil des Naturreservates. Am Ende des Tages hat jeder sie sehr gerne. Tatsächlich sind sie so verrückt, dass man sie irgendwie einfach gerne haben muss.

Das Dörfchen, das sich neben dem Naturreservat befindet und den gleichen Namen trägt, ist ein sogenanntes traditionelles Dorf oder auch Semi-Indigenes Dorf genannt. Das heißt, die Bewohner können nicht als indigene Gruppe bezeichnet werden, da sie schon moderne Lebensweisen übernommen haben, wie Kleidung, die christliche Religion, Elektrogeräte, Alkohol, und so weiter. Sie führen jedoch weiterhin das Leben inmitten der Natur und geben ihr Wissen über Generationen weiter. Diese Menschen sind größtenteils abhängig von ihrem eigenen Anbau und ihrem Land, das in der Regel an einem Fluss liegt. Traditionell gilt der Fischfang, die Jagd, der Anbau von Maniok, Mais, Gemüse und Früchten sowie das Sammeln von Früchten, Nüssen, und Kräutern als Hauptnahrungsquelle. Ihre Fortbewegungsmittel sind Kanus, Einbäume oder Boote und die Kanäle, Flüsse und Seitenarme sind ihre Straßen. Diese traditionellen Dörfer findet man überall im Amazonasgebiet an den Flussufern. Man nennt sie Ribeirinhos.

Vom Naturreservat aus gelangt man zu Fuß in 15 Minuten oder mit dem Boot in 5 Minuten in das Dorf. Je nach freier Zeit und Lust oder aber mit Gästen, welche das Dorf sehen wollten, statteten wir Freiwilligen den Dorfbewohnern einen Besuch ab. Viele der Gästeführer und Mitarbeiter des Reservates leben in dem Dorf oder haben zumindest Familie dort. Jeder ist mit jedem, und wenn auch nur über Ecken, verwandt.

Es war meist eine schöne Sache, das Dorf zu besuchen. Einfach nur, um ein wenig mit den Bewohnern zu plaudern, den Kindern beim Spielen im Fluss zuzuschauen, um bei der Mandiokaernte und -verarbeitung mitzuhelfen oder um den Jungs beim Fußballspielen auf dem Sportplatz zuzuschauen. Dieser war meist ziemlich matschig und rutschig, was die eifrigen Fußballspieler aber keineswegs davon abhielt, ihrem Lieblingssport nachzueifern.

Ziemlich oft fanden auch Feste in dem Dorf statt.

Das lief meist so ab, dass sich vor der “Bar” (die einzige im Dorf) getroffen wurde, Musik (meist brasilianischer Funky, Forro, Samba oder Sertanejo) mit schlechten Boxen in voller Lautstärke gehört und eine Menge Bier oder Cachaça dazu getrunken wurde. Getanzt wurde später auch, aber erst, wenn alle einen bestimmten Alkoholpegel erreicht hatten. Eigentlich nicht anders, als in vielen anderen Teilen der Welt, aber tatsächlich wollte es nicht in mein „Bild“ passen, das ich von einem traditionellen Dorf im Amazonasgebiet hatte. Das war wieder eines der Beispiele, um mich daran zu erinnern: „Sarah, sieh die Welt, wie sie ist und mal sie dir nicht schön!“.

Diese Feste sah ich ziemlich kritisch an, nachdem ich sie mir einige Male angeschaut und festgestellt habe, was eigentlich alles dahinter steckte. Oder besser gesagt, nicht die Feste an sich kritisierte ich, sondern den Alkohol, der dabei immer in großen Mengen floss. Alkohol wurde in der Zeit der Kolonialisierung von den Europäern gebracht. Indigene Völker kannten ihn damals so, in dieser Form nicht. Klar, es gab beispielsweise gegärten Mais. Dieser wurde aber zu heiligen, zeremoniellen Zwecken sehr bewusst eingesetzt oder zu Heilzwecken gebraucht. Auch Entheogene, wie Ayahuasca, wurden seit langer Zeit und werden immer noch von indigenen Völkern für spirituelle Erfahrungen und tiefe innere Entwicklungsprozesse eingesetzt.

Das alles hat aber nichts mit dem Alkoholkonsum der heutigen traditionellen Dörfer an den Flussrändern zu tun, die diese Angewohnheit leider von den Europäern übernahmen. Das Problem bei der ganzen Sache ist, dass der Konsum schnell zu Missbrauch wird, was zur Betäubung und Trennung vom Selbst führt. Weltweit führt der Alkoholkonsum zu erhöhter Gewalt, familiären Problemen und viele Menschen finden durch die Alkoholsucht einen frühen Tod. Diese Gedankengänge, die ich bei solchen Festen hatte und das erdrückende Gefühl, das diese Gedanken begleitete, wollte ich an dieser Stelle einfach mal zu Papier bringen.

Eine weitere Problematik, die im Amazonasgebiet viele semi-indigene und indigene Völker betrifft, sind die Minen-Aktivitäten, die seit kurzem von der brasilianischen Regierung zugelassen wurden. Es ist ja nicht so, dass es davor nicht schon Minen-Aktivitäten (Gold, Diamanten, Eisen, etc.) gab. Diese waren jedoch illegaler Natur. Jetzt sind die Aktivitäten leider legalisiert worden, was heißt, dass diese weiterhin zunehmen werden und viele Bereiche des magischen Amazonasbeckens werden betroffen sein. Die Flora und Fauna leidet, Flüsse werden verpestet und die Menschen, die mit und von der Natur und den Flüssen leben, sind gezwungen zu gehen. Oft werden sie aber schon vorher von den Firmen, Großgrundbesitzern und der Regierung, unter Umständen auch gewaltsam, gezwungen, ihr heiliges Land zu verlassen und von nun an für die Minenfirmen zu arbeiten oder in die Städte zu ziehen, um dort unter schlechten Bedingungen ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Es ist wahrhaftig ein unfassbarer Zustand, der in dieser Region leider immer mehr zur Realität wird. Gemeinnützige Organisationen helfen manchen betroffenen Dörfern wie sie können. Das ist jedoch für deren Mitarbeiter eine heikle und manchmal sogar tödliche Angelegenheit. Aber dazu werde ich in späteren Kapiteln noch viel mehr und ausführlicher berichten.

Die Zeit verging schnell, aber auch wiederum langsam. Wie es oft ist, wenn man voll und ganz im Moment lebt. Ich war erstaunt, wie schnell ich mich an das Leben hier gewöhnt hatte. Als hätte ich niemals woanders gelebt, niemals andere Fortbewegungsmittel als meine Beine oder ein Kanu genutzt, als hätte ich schon immer komplett umgeben von Natur und Wundern gelebt. An ein Leben in einer großen hektischen Stadt, mit Autos, riesigen Gebäuden, gestressten Menschen, Tagen vollgestopft mit Terminen und Verpflichtungen, war gar nicht mehr zu denken. Spätestens hier wurde mir klar, dass ein solches Leben für mich einfach unvorstellbar ist.