Du bist wie sie - Ana Dee - E-Book

Du bist wie sie E-Book

Ana Dee

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Beschreibung

Nach der Trennung von ihrem Freund will Svea eine Auszeit nehmen und sich beruflich verändern. Sie beschließt, in den Norden zu ziehen und begibt sich auf die Suche nach einem Haus. Ihre Ansprüche sind hoch und es dauert eine Weile, bis sie das passende Heim gefunden hat. Aber kaum ist sie eingezogen, beginnen die Probleme, nachdem sie im Haus eine seltsame Entdeckung macht, die ihr Leben auf den Kopf stellt. Die Vormieterin ist spurlos verschwunden und Svea will Antworten auf ihre Fragen. Aber niemand ist bereit, ihr diese zu geben. Hartnäckig verfolgt sie ihren eigensinnigen Plan, um Licht ins Dunkel zu bringen und bemerkt nicht, dass sie sich damit in Lebensgefahr begibt. Wird sie das Rätsel lösen, bevor es zu spät ist?

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Du bist wie sie

SCHWEDEN-KRIMI

ELIN SVENSSON

ANA DEE

Inhalt

Anmerkung

Protagonisten

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Weitere Bücher der Autorin

Impressum

Anmerkung

Auf das in Schweden übliche Duzen wurde zugunsten der Lesbarkeit verzichtet.

Die Geschichte sowie sämtliche Protagonisten, Institutionen und Handlungen sind in diesem Roman frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Wo tatsächlich existierende Orte erwähnt werden, geschieht das im Rahmen fiktiver Ereignisse. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.

Protagonisten

Svea Sjödin – MieterinLova Sund – VormieterinLars Sund – Ehemann von LovaLily Sund – Tochter von Lova und LarsKaja Brenner – Lovas FreundinJohn Jonasson – HauseigentümerAnders Holgersson – KommissarElmar Nyberg – ermittelnder Beamter

Prolog

LOVA

Rückblende

Ich kann mein sicheres Versteck nicht verlassen, denn ich weiß, dass er noch draußen ist. Wie ein Wolf lauert er auf seine Beute, um im passenden Augenblick zuzuschlagen. Ich kann förmlich fühlen, wie er seine Reißzähne in mein noch warmes Fleisch bohrt. Er wünscht mir den Tod, er hasst mich. Aber das Schlimmste von allem ist die Tatsache, dass ich noch immer nicht weiß, wen ich vor mir habe.

Meine Gedanken kreisen um das Warum, während ich zusammengekauert auf dem Boden zwischen den Kissen hocke und die Decke locker um meine Schultern gehängt habe. Dieses finstere Loch ist der einzige Raum, in dem ich mich einigermaßen sicher fühle. Die Frage ist nur: Wie lange noch? Obwohl ich mich mit Lebensmitteln eingedeckt habe, werde ich mich irgendwann wieder nach draußen begeben müssen. Ich kann mich nicht ewig hier unten verkriechen. Außerdem gibt es keine Steckdose und ohne Handy bin ich aufgeschmissen.

Ruckartig hebe ich meinen Kopf und lausche. Sind das Schritte vor der Tür oder bilde ich mir das nur ein? Mein Zittern wird stärker und ich schlinge die Finger ineinander, damit es aufhört. Wen könnte ich nur so verärgert haben, dass er mir den Tod wünscht? Aber mir fällt niemand ein.

Ich drücke mich in die hinterste Ecke, als ich das leise Knarren einer Tür vernehme. Was ich für eine Täuschung gehalten habe, ist Realität, ich bin nicht allein im Haus. Die Hintergrundgeräusche machen es mir nicht leicht, jeden einzelnen Laut zuzuordnen – das leise Summen der Lüftung, die Rohre, die leicht vibrieren und die Heizung, die in regelmäßigen Abständen anspringt, um das Haus mit der nötigen Wärme zu versorgen. Ich muss mich konzentrieren, um überhaupt etwas wahrzunehmen.

Als es plötzlich klingelt, zucke ich zusammen und die Gedanken rotieren hinter meiner Stirn. Was soll ich nur tun? Mich aus meinem Versteck herauswagen?

Mein Fuß zuckt nervös, weil ich mich schon die Treppe hinaufsprinten sehe. Wahrscheinlich war es nur der Postbote, der schon längst wieder gefahren ist. Ich wundere mich zwar, weil ich kein Motorengeräusch gehört habe, aber das kann auch das Brummen der Heizung übertönt haben.

Es klingelt abermals und mein Mut wächst. Vor der Tür steht jemand, der sich nicht abwimmeln lässt. Ich löse mich aus meiner Starre und erhebe mich. Achtsam schiebe ich einen Fuß vor den anderen und feile an einem Plan. Natürlich weiß ich, dass sich noch jemand im Haus befindet. Aber wenn ich schnell agiere und den Überraschungsmoment ausnutze, könnte ich es bis zur Tür schaffen. Die Frage ist nur, wo sich derjenige gerade aufhält.

Jetzt hämmert die Person lautstark gegen die Tür und ich höre eine vertraute Stimme.

„Lova? Bist du da?“

Jetzt oder nie, sage ich mir und krieche zur Luke. Als es über mir poltert, verlässt mich der Mut. Wie soll ich mich nur entscheiden, ohne mich in Gefahr zu bringen?

Das ist das Ende.

KapitelEins

SVEA

Gegenwart

Svea lief gelangweilt dem Makler hinterher. Sie war müde, hatte Hunger und wollte am liebsten die Besichtigungstour abbrechen, um ins Hotel zurückzukehren.

Nicht so der Makler. Enthusiastisch eilte er voraus, um die Tür aufzuschließen. Er war Mitte dreißig, sehr zuvorkommend und charmant – was man natürlich auch sein musste, wenn man die Kunden um den Finger wickeln will.

„Sie wissen ja, dass es nicht allzu viele Mietobjekte in dieser abgeschiedenen Gegend gibt“, sagte er, nachdem er beim Eintreten Sveas skeptischen Blick bemerkte. „Ein neuer Anstrich zum Beispiel, könnte die Räume deutlich verschönern.“

Nicht nur ein Anstrich, dachte Svea und musterte den Makler verstohlen. Er hatte dieses typische Verkäuferlächeln im Gesicht, das eher abschreckte und von ihm bestimmt nicht so gewollt war. Seine feingliedrigen manikürten Finger umschlossen die Mappe mit dem Exposé. Er hatte sicher noch nie schwer arbeiten müssen, schoss es ihr durch den Kopf und sie hörte seinen Ausführungen nur halbherzig zu.

„Na, was sagen Sie nun?“ Er hatte die Glastür aufgeschoben, die zur Terrasse führte. „Sensationeller Blick in den Wald, nicht wahr?“ Beifall heischend schaute er sie an.

Nein, so dicht am Waldrand war absolut nicht nach ihrem Geschmack. Sie wollte den Blick in die Ferne richten, die Weite der schwedischen Landschaft genießen. Aber allmählich schwante ihr, dass ein Objekt dieser Art nur in ihrer Fantasie existierte. Schade, wirklich schade. Trotzdem sagte sie „schön“.

„Ich habe mir schon gedacht, dass Ihnen dieses Haus gefallen könnte. Sind Sie handwerklich begabt?“

„Na ja, ich kann die Holzvertäfelung austauschen.“

„Das ist doch wunderbar.“

Merkte er gar nicht, dass er zu dick auftrug? Er wollte anscheinend unbedingt verkaufen und vergaß dabei ihre Auswahlkriterien.

„Sie können sich also nicht für dieses Haus begeistern?“ Er bedachte sie mit einem fragenden Blick.

„Nein, nicht wirklich.“ Wenn, dann wollte sie schon bei der Wahrheit bleiben.

„Tja …“ Er zuckte ratlos mit den Schultern und sah seine Felle davonschwimmen. „Entweder, Sie streichen ein paar Wünsche von Ihrer Liste, oder Sie müssen sich woanders umsehen.“

„Die Gegend gefällt mir aber sehr gut“, erwiderte sie.

Er seufzte. „Vielleicht flattert mir in den nächsten Tagen noch ein Angebot ins Haus, das Ihren Wünschen entspricht. Aber machen Sie sich keine allzu großen Hoffnungen, momentan ist der Immobilienmarkt nahezu leergefegt.“

Svea schaute sich ratlos um. Nein, keines der bisherigen Häuser hatte es auch nur annähernd in die engere Auswahl geschafft. Der Makler trat nervös von einem Bein auf das andere und schaute auf seine teure Armbanduhr.

„Ich werde abwarten“, sagte Svea. Er hatte sicher einen weiteren Kunden am Haken, dem er ein Haus verkaufen wollte.

„Soll ich mich wieder bei Ihnen melden?“, fragte er.

„Das wäre nett.“

„Ich muss leider los, ein Termin“, sagte er entschuldigend.

„Kein Problem.“

Der Makler schloss sorgsam die Tür ab und stieg in den Wagen. Zum Abschied hob er kurz die Hand und brauste mit seinem schwarzen Gefährt davon. Nobel geht die Welt zugrunde, dachte Svea bei dem Emblem auf der Motorhaube. Er verkaufte wahrscheinlich nur im obersten Preissegment, weshalb er sich diesen Schlitten mit den getönten Scheiben leisten konnte. Mietobjekte wie ihres waren ganz sicher nur Peanuts für ihn.

Sie atmete einmal tief durch und ließ den Blick schweifen. Der Herbst kündigte sich an und die ersten Blätter verfärbten sich. Schon in Kürze würde er mit seinem goldenen Band die Landschaft verwandelt haben. Ein kühler Wind von Osten ließ sie zittern und sie knöpfte die Jacke zu.

Wo sie nun schon einmal hier war, konnte sie sich ganz in Ruhe alles ansehen und lief zur Rückseite des Hauses. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um durch die Fenster ins Innere zu schauen. Aber auch auf den zweiten Blick wurden die Räume nicht schöner. Das Haus war heruntergewirtschaftet und selbst der günstige Mietpreis würde nichts an ihrer Meinung ändern. Sie war ja gewillt, ihre Ansprüche herunterzuschrauben, aber sie wollte keinesfalls in einer Bruchbude wohnen. Und bis jetzt hatte sich ihrer Meinung nach, der Makler auch nicht sonderlich ins Zeug gelegt. Er schien mehr Zeit vor dem Spiegel zu verbringen, anstatt nach einem passenden Mietobjekt zu suchen.

Nach eingehender Musterung stellte sie fest, dass die Terrasse komplett morsch war. Das hatte sie beim ersten Rundgang gar nicht bemerkt und strich in Gedanken das Haus komplett von der Liste. Wahrscheinlich war es keine so gute Idee gewesen, sich in den dünn besiedelten Norden zurückzuziehen. Aber nach der Trennung von Elias hatte sie aus Göteborg nur noch weggewollt. Je weiter, desto besser.

Sie ging zurück zu ihrem Wagen, stieg ein und startete den Motor. Auf dem Weg hierher war sie an einer Pizzeria vorbeigekommen, allein dafür hatte sich die Fahrt gelohnt. Das Navi lotste sie zur Location und sie stellte den Wagen auf dem Parkplatz ab. Angenehme Wärme und ein appetitlicher Duft empfingen sie, als sie die Pizzeria betrat.

Zum Glück war nicht allzu viel los und sie nahm an einem der Tische Platz. Nachdem sie die Bestellung aufgegeben hatte und auf die Lasagne wartete, checkte sie die eingegangenen Nachrichten. Elias hatte ihr wieder geschrieben, aber sie löschte seine Nachricht ungesehen. Es war aus und vorbei, da konnte er sich noch so ins Zeug legen.

„Darf ich mich zu dir setzen?“

Svea hob ruckartig ihren Kopf. „Äh … ja klar.“ Eigentlich hätte sie lieber ihre Ruhe gehabt, wollte aber nicht unhöflich erscheinen.

Der junge Mann, der sich zu ihr an den Tisch setzte, trug ein kariertes Flanellhemd, abgewetzte Jeans und Cowboystiefel, was im krassen Gegensatz zu seinem Hipsterbart und den hochgebundenen Haaren stand.

„Mistwetter heute“, sagte er. „Wird nicht mehr lange dauern, bis es richtig kalt wird. Schade, der Sommer ist viel zu kurz gewesen.“

„Mhm.“ Gedankenverloren drehte sie das Glas zwischen ihren Händen.

„Du kannst mir ruhig sagen, wenn ich mich an einen anderen Tisch setzen soll.“

„Nein, nein, ist schon okay.“

„Schlechten Tag gehabt?“

„Sieht man mir das an?“

„Nicht unbedingt. Du bist nur ziemlich einsilbig unterwegs.“

Er winkte der Servicekraft zu, um sich eine große Pizza und ein alkoholfreies Bier zu bestellen. „Ich muss noch fahren“, sagte er.

Svea lächelte. „Macht Sinn.“

„Wow, du taust langsam auf.“

„Haha, sehr witzig.“

„Übertreib es nicht mit deinem Humor.“ Er grinste breit. „Kommst du aus dieser Gegend?“

„Warum willst du das wissen?“

Er winkte ab. „Schon gut, ich wollte dir nicht zu nahetreten.“

„Ich schaue mir ein paar Häuser an, um hierherzuziehen. Zufrieden?“

„Was verschlägt dich ausgerechnet in eine Gegend, aus der die meisten jungen Leute so schnell wie möglich wegziehen wollen?“

„Ich möchte hier zur Ruhe kommen und neu anfangen.“

„Frisch getrennt?“

„Könnte man so sagen.“

„Aber deshalb bis ans Ende der Welt? Obwohl, ich mich freue, deine Bekanntschaft zu machen.“ Er streckte ihr seine Hand entgegen. „Mikkel.“

Sie schlug ein. „Svea.“

„So, dann hätten wir das auch geklärt.“

Er war der Typ Kumpel, der durch seine offene Art überall schnell Anschluss fand und an dessen breiten Schultern man sich anlehnen konnte, wenn es einem richtig mies ging. Verstohlen betrachtete sie seine Hände, denen man ansah, dass sie ordentlich anpacken konnten. Aber Svea war klug genug, um zu wissen, dass er diese Show wohl bei jeder sich bietenden Gelegenheit abzog.

„Was schaust du mich so skeptisch an?“

„Sorry, ich war in Gedanken.“

„Was beschäftigt dich?“

Genau in diesem Moment wurde ihre Lasagne serviert.

„Guten Appetit“, wünschte Mikkel.

„Danke.“

Sie nahm einen Bissen und war erstaunt, dass die Lasagne frisch zubereitet und keines dieser Fertiggerichte war. Genussvoll schloss sie die Augen.

„Schmeckt es?“

„Oh ja.“

Mikkel nippte an seinem Bier und wartete geduldig, bis sie aufgegessen hatte. Satt und zufrieden legte sie das Besteck beiseite. Die Pizzeria war klein und ein wenig in die Jahre gekommen, aber der Koch oder die Köchin hatten einen Orden verdient. So eine köstliche Lasagne hatte sie noch nie gegessen, nicht einmal in ihrem gemeinsamen Italienurlaub mit Elias.

„Also, wo drückt der Schuh?“, fragte Mikkel nochmals nach.

„Überall.“ Svea lachte.

„Keine guten Aussichten.“

„Es klappt weder mit der Haussuche noch mit dem Rest.“

„Ich könnte mal herumhorchen, wer etwas zu vermieten hat, und mich dann bei dir melden. Du müsstest mir allerdings deine Nummer geben.“

„Diese Tour zieht nicht bei mir“, erwiderte sie.

„Bist du immer so zickig?“ Er zog fragend die Brauen zusammen.

„Jetzt werd nicht unverschämt.“

„Du hast doch angefangen.“

„Sorry, ist wohl nicht mein Tag“, sagte sie. „Ich habe heute drei Häuser besichtigt und keines ist infrage gekommen. Nicht nur der Makler ist enttäuscht.“

„Mein Angebot war vollkommen ernst gemeint. Wenn du keine Nummern tauschen willst, dann kann ich dir bei Helene einen Zettel hinterlassen.“

„Nein danke, schon gut. Ich weiß ja nicht einmal mehr, ob es überhaupt eine gute Idee gewesen ist, in den Norden ziehen zu wollen.“

„Im Süden hast du garantiert bessere Chancen, ein passendes Objekt zu finden. Aber lass dir eines gesagt sein, so eine traumhafte Landschaft wie hier wirst du nirgends finden.“

„Es wächst mir alles über den Kopf, um ehrlich zu sein. Mein kleines Apartment, das nur als Übergangslösung gedacht war, habe ich bereits gekündigt. Bis Monatsende muss ich ausgezogen sein und etwas Neues ist noch nicht in Sicht.“

„Autsch.“

„Genau.“

„Dann zieh doch einfach mit deinem Krempel hierher und suche dir ganz in Ruhe ein neues Zuhause.“

„Vielleicht sollte ich in Göteborg bleiben“, sagte sie leise.

„Göteborg also.“

„Ja.“

„So eine Großstadt wäre absolut nichts für mich.“

„Das dachte ich mir schon, dein Flanellhemd hat dich verraten“, sagte Svea.

„Hey, das ist hier der letzte Schrei in Sachen Mode.“ Er lachte.

„Ja, der letzte Schrei.“ Auch Svea konnte sich das Lachen nicht verkneifen.

„Will eine Großstädterin wie du mich etwa beleidigen?“

„Nie und nimmer.“ Mikkel hatte es immerhin geschafft, sie aufzuheitern.

Die Kellnerin stellte einen großen Teller vor Mikkel ab.

„Danke Helene, die Pizza sieht fantastisch aus.“

„Extra für dich mit ganz viel Liebe zubereitet“, antwortete Helene augenzwinkernd und lief mit wiegenden Hüften zur Theke zurück.

„Sie hat es immer noch drauf“, sagte Mikkel und machte sich wie ein ausgehungerter Wolf über seine Pizza her, während Svea Helene zuschaute, wie sie ein Bier zapfte. Sie war um die sechzig, wohlproportioniert und hatte sich verdammt gut gehalten. Sowohl Helene als auch Mikkel hatten etwas an sich, das sie sympathisch wirken ließ.

„Du bist so still“, sagte Mikkel zwischen zwei Bissen.

„Es wird langsam Zeit für mich, aufzubrechen.“

„Steht ein weiterer Besichtigungstermin an?“

„Nein, ich bin einfach nur müde und enttäuscht. Ich hatte mir von dieser Tour mehr versprochen“, antwortete sie.

Mikkel tupfte sich mit der Serviette die Mundwinkel ab. „Was suchst du denn genau?“

„Das Haus muss nicht groß sein, aber ich möchte den freien Blick auf die Landschaft genießen. Diese Weite hier oben im Norden hat es mir besonders angetan“, schwärmte sie.

„Verständlich. Aber du würdest ziemlich einsam wohnen und wenn im Winter der Strom ausfällt, kann es ganz schön ungemütlich werden.“

Das Szenario, das Mikkel aufzeigte, behagte ihr gar nicht. „Ich möchte es trotzdem nicht so negativ sehen. Falls die Wetter-App einen Schneesturm ankündigt, kann ich mich darauf einstellen und mich mit Lebensmitteln bevorraten. Dann lasse ich den Wagen einfach stehen und bleibe im Haus.“

„Und beruflich?“

„Ich habe ein bisschen was gespart und will einen Blog schreiben.“

„Und damit kann man Geld verdienen?“ Mikkel neigte skeptisch seinen Kopf.

„Ich versuche es zumindest.“

„Na dann, viel Glück.“

„Danke.“ Sie stand auf und zog sich ihre Jacke über.

„Soll ich mich umhören?“, fragte er.

„Schaden kann es nicht.“

„Gut, ich hinterlege einen Zettel bei Helene.“

„Nein, das musst du nicht.“ Sie stellte das leere Glas zur Seite und kritzelte ihre Nummer auf den Untersetzer. „Dann kannst du mir eine Nachricht schicken, falls sich etwas ergibt. Danke nochmals.“

„Kein Ding.“

Sie lief zur Theke, um zu zahlen, winkte Mikkel anschließend noch einmal zu und verließ die Pizzeria. Nachdem sie den Wagen gestartet hatte, drehte sie die Heizung auf die höchste Stufe und fuhr zurück ins Hotel. Es führte kein Weg daran vorbei, sie musste ihren Plan noch einmal überdenken. War sie wirklich bereit, sich in dieser Einöde niederzulassen? Wo es mit Sicherheit schwer werden würde, neue Freundschaften zu schließen? Außerdem durfte sie nicht die Entfernung nach Göteborg unterschätzen. Sich mal eben mit ihrer Mutter zum Kaffee zu treffen, wäre einfach nicht drin.

Sie beschloss, die zwei restlichen Tage, die sie gebucht hatte, zu bleiben und sich dem Urlaubsfeeling, falls es denn noch vorhanden war, hinzugeben. Wandern in der Natur, falls das Wetter mitspielte, sich mit gutem Essen verwöhnen oder einfach nur die Füße hochlegen, um Filme zu gucken. Sie würde die Zeit bis zur Abreise schon irgendwie überbrücken.

Svea angelte das Smartphone aus ihrer Tasche, nachdem eine neue Nachricht eingegangen war. Sie wischte über das Display, um sich das Exposé, das der Makler ihr geschickt hatte, genauer anzusehen. Bereits beim ersten Foto schlug ihr Herz einen Takt schneller. Das Haus lag in der Nähe eines Sees und dahinter erhoben sich die sogenannten Fjäll. Das waren runde, teils schneebedeckte Inselberge, die sich hinter der flachen Landschaftskulisse auftürmten.

„Wahnsinn“, murmelte sie, als sie sich die gesamten Fotos angeschaut hatte. Leider fehlten die Innenaufnahmen, was ihre Freude ein wenig dämpfte. Dennoch wollte sie das Haus unbedingt anschauen und rief den Makler an.

„Hallo, hier ist Svea. Wann kann ich das Haus besichtigen?“ Sie spürte, wie vor Aufregung ihre Wangen glühten.

„Ich müsste kurz mit dem Vermieter Rücksprache halten. Aber ich möchte Sie gleich vorwarnen, das Haus liegt über Ihrem Budget.“

„Oh …“

„Es ist keine große Summe, ich wollte Sie nur darauf hinweisen. Möchten Sie es trotzdem sehen?“

„Gerne.“

„Einen Moment bitte, ich rufe Sie gleich zurück.“

Bevor sie noch etwas erwidern konnte, hatte er aufgelegt. Sie betrachtete noch einmal die Fotos. Das Haus war gut in Schuss, gar keine Frage, aber wahrscheinlich würde auch das wieder ein Reinfall werden. Zu teuer und zu schön, um wahr zu sein.

Nach mehreren Minuten Wartezeit wurde sie endlich erlöst.

„Falls Sie noch Interesse haben, können wir uns in einer Stunde vor dem Objekt treffen.“

„Sehr schön, ich freue mich schon.“

Mit einem Satz sprang sie auf und lief ins Badezimmer, um sich frisch zu machen. Etwas Trockenshampoo auf die Haare, die sie seit zwei Tagen nicht mehr gewaschen hatte. Wozu auch, weder Mikkel noch der Makler hatten sich gemeldet, und sie würde morgen nach dem Frühstück so oder so abreisen. Anschließend noch etwas Lippenstift und Lidschatten aufgetragen und sie konnte sich auf den Weg machen. Zufrieden betrachtete sie sich im Spiegel. Für diese abgeschiedene Gegend reichte es völlig aus.

Sie tauschte die bequeme Jogginghose gegen ihre Jeans und ein frisches Sweatshirt aus, schlüpfte in die Wanderschuhe und den Parka und brach auf. Im Wagen tippte sie die Adresse ins Navi und scherte aus der Parklücke. Sie war keine zehn Minuten unterwegs, da zwängte sich die Sonne zwischen den tiefhängenden Wolken hervor. Svea deutete es als ein gutes Omen und genoss den Blick auf die Landschaft.

Sie kam eine Viertelstunde zu zeitig an und stieg aus dem Wagen, um die Umgebung auf sich wirken zu lassen. Nicht einmal in ihren kühnsten Träumen hatte sie sich dieses hübsche Fleckchen Erde so ausgemalt. Sie breitete die Arme aus und drehte sich einmal um die eigene Achse. Es war einfach nur grandios. Das Gras hatte sich bereits golden verfärbt und die einzelnen Bäume würden bald folgen. Der See war riesig und die Wasseroberfläche so glatt, dass sich die Berge im Hintergrund darin spiegelten. Svea sah sich schon mit einer Tasse Tee auf der Terrasse sitzen, um diesen atemberaubenden Ausblick zu genießen.

Das Haus war nicht sonderlich groß, aber top in Schuss. Sie schwebte förmlich in dessen Richtung, um einen ersten Blick zu riskieren. Wahnsinn, einfach nur der Wahnsinn. Die Stufen führten zu einer Veranda, die den Vordereingang vor den Witterungseinflüssen schützte. In Lappland konnte es bisweilen ganz schön rau und ungemütlich werden.

Svea begab sich zur Rückseite des Hauses, um sich die Terrasse anzusehen, von der man einen gigantischen Blick auf die Berge hatte. Die Terrasse verlief über die gesamte Breite der Rückfront und wurde an beiden Seiten von einem Sichtschutz aus weiß lackiertem Holz begrenzt. Was Svea sah, gefiel ihr auf Anhieb. Aber sie ahnte auch, dass sie sich dieses Haus nicht würde leisten können.

Das Motorengeräusch eines herannahenden Wagens riss sie aus ihrer Schwärmerei.

„Hallo“, sagte der Makler zur Begrüßung und reichte ihr seine Hand. „Na, wie finden Sie es?“

„Top.“ Sie hob den Daumen. „Aber bevor wir reingehen, möchte ich gern wissen, was ich drauflegen muss, um in diesem Schmuckstück zu wohnen.“

Der Makler nannte ihr die Summe.

„Mhm.“

„Wir sollten uns erst einmal umsehen, das Objekt hat eine Menge zu bieten.“

„Okay.“

Eine wohlige Wärme empfing sie beim Eintreten.

„Wird alles per Knopfdruck gesteuert“, sagte der Makler und zog seine Jacke aus. „So können im Winter die Leitungen nicht einfrieren.“

„Sehr gut“, erwiderte Svea.

Sie durchquerten einen schmalen Flur und standen mitten im Wohnzimmer. Über ihr wölbte sich das mit Holz vertäfelte Satteldach, weil auf eine Zwischendecke verzichtet wurde. Der Raum wirkte dadurch riesig und ging offen in die Küche über. Die verglaste Fensterfront gab den Blick auf die Berge frei.

„Ich hoffe, ich habe nicht zu viel versprochen?“

„Es ist unglaublich“, sagte sie und kam aus dem Schwärmen nicht mehr heraus. In der modernen Küche gab es sogar eine Insel mit Barhockern.

„Das Haus ist mit einigen technischen Spielereien ausgestattet, es handelt sich um ein sogenanntes Smart Home“, erklärte der Makler.

„Was bedeutet das?“

„Sie können das Tool so programmieren, dass es auf Ihre Stimme reagiert.“

„Wenn ich das Licht anmachen will?“

„Zum Beispiel.“

„Warum wohnt der Eigentümer nicht selbst in diesem Haus?“, fragte sie.

„Er hat es anscheinend nur als Wertanlage errichtet“, antwortete der Makler.

„Was für eine Verschwendung.“

„So gesehen, schon.“

„Zumindest die Wochenenden würde ich hier verbringen.“

Der Makler winkte ab. „Das Haus, in dem der Vermieter wohnt, toppt alles um Längen.“

„Kaum vorstellbar.“

„Nein, für uns Normalsterbliche nicht.“ Er lachte. „Jetzt zeige ich Ihnen das Schlaf- und das Badezimmer.“

Letzteres war ein moderner Traum in Weiß mit Dusche und Wanne. Svea staunte nicht schlecht, wie geräumig das Innere dieses besonderen Hauses wirkte. Von außen sah es bedeutend kleiner aus. Das Schlafzimmer befand sich gegenüber vom Bad und durch das Fenster konnte sie den angrenzenden Wald sehen. Es war gemütlich eingerichtet und Svea hätte sich am liebsten probeweise in das große Doppelbett fallen lassen.

„Dachboden gibt es keinen, aber dafür einen ausgebauten Keller. Wollen wir nach unten gehen?“

„Unbedingt.“

Sie stieg hinter dem Makler die Stufen nach unten und staunte nicht schlecht. Trotz der fehlenden Fenster wirkte auch hier alles hell und modern. Der Makler öffnete eine Tür.

„Diesen Bereich können Sie als Abstellplatz nutzen, für Koffer, Kartons oder was auch immer.“

„Super.“

Er drückte die Klinke zur nächsten Tür herunter.

„Diesen Raum würde ich als i-Tüpfelchen bezeichnen – die Sauna.“

„Wow, das ist ja der pure Luxus.“

Der Makler nickte. „Hier kann man es aushalten.“

„Garantiert.“

„Daneben befindet sich der Heizungsraum. Meist läuft die Wärmepumpe, aber bei Temperaturen unter 0°C schaltet sich die normale Heizung ein. Für besonders kalte Wintertage gibt es im Wohnzimmer auch noch den Kamin.“

„Gut zu wissen.“

„Diese schmale Tür führt in die Schaltzentrale des Hauses.“

Svea sah jede Menge blinkende Lichter und die Lüftung gab ein summendes Geräusch von sich. „Beeindruckend“, sagte sie.

„Da haben Sie recht, zu diesem Haus würde ich auch nicht Nein sagen. Gehen wir wieder nach oben.“

Diesmal ließ der Makler sie vorangehen und schaltete am Ende der Treppe das Licht aus.

„Ich will mich ganz sicher nicht beschweren, aber ich finde die Miete für dieses außergewöhnliche Haus fast schon zu niedrig. Die Sache hat doch sicher einen Haken“, sagte sie am Ende des Rundgangs.

„Ja, das Carport befindet sich nicht direkt am Haus.“

„Das meinte ich nicht, die wenigen Schritte bis dahin machen mir nichts aus“, sagte sie. „Wie viele Mieter hat es vor mir gegeben?“

„Ich vermiete dieses Haus zum ersten Mal. Aber mir wurde von zwei Mietern berichtet, einem jungen Mann und einer Frau. Beiden soll es hier draußen dann doch zu einsam gewesen sein. Viele unterschätzen die Lage.“

Sie konnte ihm ansehen, dass er das auch von ihr dachte.

„Nichts ist für die Ewigkeit“, antwortete sie. „Falls es mir in dieser Gegend gefallen sollte, würde ich mir irgendwann ein eigenes Haus zulegen.“

„Dann könnte ich Ihnen, wenn es so weit ist, wieder behilflich sein.“

„Vielen Dank, ich werde zu gegebener Zeit auf das Angebot zurückgreifen.“ Sie ließ ihren Blick noch einmal schweifen. „Bis wann muss ich mich entschieden haben? Ich fahre morgen schon zurück.“

„Der Eigentümer möchte, dass Sie gleich unterschreiben.“

„Sofort?“

„Ja.“

Sie atmete geräuschvoll aus.

„Könnte ich mich noch einmal umsehen?“

„Selbstverständlich.“

Sie sah dem Makler an, dass er unter Zeitdruck stand. Aber sie hatte angenommen, wenigstens eine Nacht darüber schlafen zu können. Gar keine Frage, das Haus war eine absolute Traumimmobilie. Allerdings war sie kein Mensch für schnelle Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Sie hatte sich angewöhnt, alles genau abzuwägen.

Im Wohnzimmer genoss sie noch einmal den fantastischen Ausblick und drehte sich wieder zum Makler um. „Wo muss ich unterschreiben?“

Seine Miene erhellte sich und er klappte die Mappe auf. „So, hier wären die Papiere, alles in zweifacher Ausfertigung. Einmal für sie und einmal für den Eigentümer.“

Sie unterzeichnete schwungvoll und der Makler drückte ihr den Mietvertrag und den Schlüssel in die Hand.

„Herzlichen Glückwunsch, ab jetzt wohnen Sie in diesem Haus“, sagte er. „Ich werde mich mal wieder auf den Weg machen, der nächste Kunde wartet schon.“

„Auf Wiedersehen und vielen Dank.“

„Nichts zu danken.“

Die Tür fiel mit einem leisen Klicken ins Schloss, dann war sie allein. Verloren stand sie im Flur und wusste nichts mit sich anzufangen. Sie konnte nicht begreifen, dass sie tatsächlich hier wohnen würde. Mit einem Mal war alles so schnell gegangen. Erneut durchstreifte sie die Räume und öffnete die Tür zur Terrasse. Der Blick auf den See und die Berge war gigantisch. Sie sah sich schon mit einer Tasse Tee auf der Terrasse sitzen, um den Sonnenuntergang zu genießen. Eine fantastische Vorstellung, hier wohnen zu dürfen.

Elias kam ihr wieder in den Sinn. Sie könnte es ihm so richtig heimzahlen, wenn sie die Fotos vom Haus und der Landschaft in ihrem Feed postete. Voller Vorfreude rieb sie sich die Hände. Jetzt musste sie nur noch den Umzug stemmen. Die meisten Möbel waren bei Elias geblieben und ihr Hab und Gut beschränkte sich auf einige wenige Kartons. Das sollte wohl zu schaffen sein, wenn sie Ben, einen guten Freund, darum bat, ihr den Transporter zu leihen. Ihr graute zwar davor, die lange Strecke allein hin und zurück zu fahren. Aber es gab weitaus Schlimmeres.

Tja, und nun?

Sie war mit der Situation ein wenig überfordert, besser gesagt, der Makler hatte sie komplett überrumpelt. Dieses technische Wunderwerk würde nun ihr Zuhause für die nächsten Monate sein. Zum Glück war das gesamte Mobiliar vorhanden, sie musste nicht tief in die Tasche greifen, um sich einzurichten. So konnte sie einen Teil der Miete wieder ausgleichen. Neugierig öffnete sie die Küchenschränke und war überrascht, dass diese mit feinem Porzellan und alltäglichen Dingen ausgestattet waren. Sogar die Küchengeräte wie Toaster, Mixer und eine Kaffeemaschine würden ihr in Zukunft zur Verfügung stehen.

Aber wo könnte es eine Waschmaschine geben? Im Keller vielleicht?

Da im Badezimmer keine Anschlüsse vorhanden waren, lief sie die Stufen hinunter. Und tatsächlich, neben der Sauna, hinter einer zweiflügeligen Tür versteckt, stand eine Waschmaschine samt Trockner. Diese Nische hatte ihr der Makler gar nicht gezeigt. Sie brauchte ihren Kram tatsächlich nur zusammenzupacken, in den Transporter zu laden und die Sache wäre gegessen.

Ihr Handy gab einen leisen Ton von sich und sie schaute aufs Display. Eine Nachricht von Mikkel war eingegangen, in der er ihr mitteilte, dass er ein passendes Objekt für sie gefunden hatte. Um die ganze Sache abzukürzen, rief sie ihn einfach an.

„Hallo Mikkel, danke, dass du mich nicht vergessen hast.“

„Wie könnte ich.“ Sie hörte sein kehliges Lachen. „Hast du Interesse, dir das Haus anzuschauen? Es ist zwar nur ein Ferienhaus, aber frisch renoviert und vor allen Dingen, gut isoliert.“

„Zwei Angebote an einem Tag“, sagte sie.

„Eins vom Makler?“, fragte er.

„Ja, und ich habe den Vertrag bereits unterschrieben.“

„Dann bin ich wohl zu spät gekommen.“

„Sorry, aber trotzdem vielen Dank, dass du an mich gedacht hast.“

„Schon okay, es werden sich andere Mieter finden. Aber es freut mich, dass du in der Gegend bleibst.“ Er räusperte sich. „Darf ich fragen, welches Objekt dir der Makler angeboten hat?“

„Natürlich darfst du das.“ Sie nannte ihm die Adresse.

„Oh, das Haus dieses Eigenbrötlers.“

Sie fand seine Antwort eine Spur zu abfällig.

„Stimmt etwas nicht mit dem Haus? Oder liegt es an dem Eigenbrötler?“

„Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber er ist bei uns Einheimischen nicht sonderlich beliebt.“

„Warum?“

„Weil er eine Ausnahmegenehmigung erhalten hat, um dort, mitten im Naturschutzgebiet, ein Haus bauen zu dürfen. Er musste nur genügend Kronen auf den Tisch legen, damit ihm mit einem Fingerschnippen die Baugenehmigung erteilt wird. So läuft das heutzutage.“

„Okay, ich kann deinen Groll verstehen. Aber davon habe ich nichts gewusst.“

Es ärgerte sie, dass Mikkel sie in den Rechtfertigungsmodus drängte. Schließlich hatte nicht sie die Baugenehmigung erteilt, sie war nur Mieterin.

„Egal. Wie gefällt dir das Haus?“

Mikkel hatte ihre Vorfreude gedämpft. „Es ist nett.“

„Dann auf eine gute Nachbarschaft.“

„Ja“, erwiderte sie knapp und beendete das Gespräch. Das Glücksgefühl von eben war der Skepsis gewichen. Würden alle Einheimischen mit Abneigung reagieren? Und hatte sie sich mit diesem Mietobjekt die ersten Feinde gemacht? Aber wie albern war das denn?

Nach drei anstrengenden Umzugstagen betrat Svea glücklich aber erschöpft ihr neues Reich. Im Flur stapelten sich die Kartons und sie schlängelte sich zwischen ihnen hindurch, um sich in der Küche einen Kaffee zu kochen. Ben hatte ihr das Fahrzeug geliehen und sie war unglaublich lange unterwegs gewesen, um den ganzen Krempel hierherzubringen. Anschließend hatte sie Ben den Transporter vollgetankt zurückgegeben, noch eine Nacht in ihrem Apartment in Göteborg verbracht und war erneut in Richtung Norden aufgebrochen. Jetzt war sie fix und fertig und sehnte sich danach, die Beine hochzulegen.

Nur fünf Minuten später hatte sie ihren Plan in die Tat umgesetzt, nippte an ihrem Kaffee und griff zur Fernbedienung. Sie rätselte, wofür diese gedacht war, und drückte auf den Knopf. Die Holzvertäfelung über den Kamin öffnete sich und gab den Blick auf einen Fernseher frei. Bei dem Gerät handelte es sich um einen Smart-TV, den sie sogar mit ihrem Handy verbinden konnte.

„Nicht schlecht“, sagte sie anerkennend. Der Eigenbrötler hatte zumindest Stil.

Nachdem sie zwei Folgen ihrer Lieblingsserie regelrecht inhaliert hatte, konnte sie nicht länger das Hungergefühl ignorieren. Leider hatte sie es nicht geschafft, während des Umzugs den großen Kühlschrank zu füllen, und ihr kam die Pizzeria wieder in den Sinn. Sie schaltete den Fernseher aus, schnappte sich die Autoschlüssel und machte sich auf den Weg.

Die Pizzeria war gut besucht und es gab nur einen einzigen freien Tisch, an den sie sich setzen konnte. Von Mikkel war nichts zu sehen, worüber sie auch nicht sonderlich traurig war. Sie hängte die Jacke über den Stuhl, bestellte sich eine Cola und eine große Pizza Margherita. Normalerweise schaffte sie geradeso eine kleine Portion, aber die letzten drei Tage waren unglaublich anstrengend gewesen. Nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Ihre Mutter war mit ihren Plänen absolut nicht einverstanden, dass sie am anderen Ende Schwedens neu anfangen wollte.

„Mädchen, wie stellst du dir das nur vor? Ohne Job, ohne Freunde, ohne Familie?“

Es war ein Kampf gewesen, ihr zu erklären, dass Abstand momentan das Beste für sie wäre. Sie wusste, dass Ihre Mutter nicht aufhören würde, sie zu einer Rückkehr zu bewegen. Aber sie brauchte dringend diese Auszeit, schließlich würde es nicht für immer sein.

Die Pizza hatte genauso gut geschmeckt, wie sie ausgesehen hatte. Svea legte das Besteck beiseite und schaute vom Teller auf. Genau in dem Moment trat Mikkel ein. Sofort senkte sie den Blick, damit er sie nicht entdeckte. Zu spät, er steuerte geradewegs auf sie zu.

„Hej, hej, darf ich mich zu dir setzen?“

„Klar.“

„Noch verschnupft, weil ich nicht in Begeisterungsstürme ausgebrochen bin?“ Er zog seine Lederjacke aus, hängte sie an der Garderobe auf und kehrte zum Tisch zurück, um sich zu setzen.

„Gesundes Selbstbewusstsein“, sagte sie.

Er lachte. „Ich bin keine vierzehn mehr.“

„Dito.“

„Ich entschuldige mich, manchmal gehen die Pferde mit mir durch.“

„Gut zu wissen.“

„Du bist aber auch nicht ohne.“

„Habe ich nie behauptet.“ Sie mochte sein Lachen und ihre Laune hob sich im Minutentakt. „Warum ist mein Vermieter bei euch so in Ungnade gefallen? Weil er sich alles kaufen kann?“

„So ungefähr.“ Mikkel winkte Helene zu sich heran und orderte ein Bier.

„Aber trägt die Person, die sich angeblich hat bestechen lassen, nicht auch eine Teilschuld?“

„Stimmt, so gesehen schon. Irgendeiner in der Behörde hatte sich mit Sicherheit breitschlagen lassen und ihm zu seinen Wünschen verholfen.“

Helene jonglierte das Tablet zwischen den Tischen hindurch. „So, mein Bester, lass es dir schmecken“, sagte sie zu Mikkel und eilte zurück zur Theke, um neue Gläser für die zahlreichen Gäste zu zapfen. Gedämpfte Musik und Stimmengemurmel füllten den Raum. Mikkel trank einen großen Schluck und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum von den Lippen.

„Ich bin nicht so der Typ für Wein.“

„Mehr als zwei Gläser, und ich bekomme tierische Kopfschmerzen davon. Also lasse ich lieber die Finger davon.“

„An manchen Tagen würde ich mir auch wünschen, die Finger davon zu lassen. Aber hey, man ist nur einmal jung.“ Er grinste breit.

„Jeder so, wie er mag. Du, was kannst du mir über meinen Vermieter erzählen?“

„Nicht allzu viel. Jonasson besitzt noch zwei weitere Häuser dieser Art, alle sehr abgelegen und mit jedem erdenklichen Schnickschnack ausgestattet.“

„Könnte es vielleicht sein, dass der Neid an dir nagt?“ Sie musterte ihn aufmerksam.

„Jetzt hör schon auf mit dem Kinderquatsch. Natürlich wäre es toll, auf so ein Vermögen zurückzugreifen. Aber ich bin mit dem zufrieden, was ich habe.“

„Das würde ich jetzt auch sagen.“

„Nicht frech werden.“ In seinen Augen funkelte der Schalk.

„Aber nicht doch. Nein, jetzt mal im Ernst, was habt ihr gegen ihn?“

„Dass er immer eine Extrawurst bekommt. Jonasson ist aus Stockholm hierhergezogen und denkt, dass er sich alles erlauben kann.“

„Hat er sich sein Vermögen selbst erarbeitet?“

„Ich glaube schon.“

„Dann kann dir doch egal sein, wofür er es ausgibt.“

„Wir sollten das Thema wechseln, sonst endet unser Gespräch in einem Streit.“

„Du hast damit angefangen und meine Neugier angestachelt. Was macht Jonasson beruflich?“

„Du könntest mir vielleicht Löcher in den Bauch fragen.“ Mikkel lehnte sich zurück und verschränkte seine Oberarme. „So richtig weiß niemand, was er treibt und woher all das Geld stammt. Ein typischer Neureicher halt.“

„Im Prinzip sollte es mir egal sein“, sagte sie schließlich. „Das Haus ist eine Wucht und ich freue mich drauf, darin zu wohnen.“

„Sorry, ich wollte dir nicht die Freude vermiesen.“

„Schon okay.“

„Wann wirst du einziehen?“

„Bin ich schon.“

„So schnell?“

„Ich besitze nur ein paar Kartons.“

„Wenn ich an das Werkzeug in meiner Garage denke, bekomme ich Herzrasen. Allein dafür würde ich schon einen Sattelzug brauchen.“

Sie mochte seinen Humor, und nicht nur das. Seine sympathische Art, alles anzunehmen, wie es war, und sich auch entschuldigen zu können.

Mikkel beugte sich nach vorn. „Würdest du mir einmal das Haus zeigen?“

„Äh, ja klar. Wann denn?“

„Wie wäre es mit gleich?“

„Jetzt?“

„Schon wieder sorry, ich wollte dich nicht überrumpeln. Ich sollte mir angewöhnen, erst zu denken und dann zu sprechen.“

„An sich wäre das kein Problem, aber es stehen überall Kartons herum.“

„Vergiss es, ich bin ein völlig Fremder für dich. Hier oben im Norden verschließen wir nicht einmal die Haustür, und ich gehe wie selbstverständlich davon aus, dass mir dieser Vertrauensbonus zusteht.“

„Schon okay.“

„Ich bin einfach neugierig, wie das Haus von Innen aussieht.“

„Warum hast du dich nicht als Mieter ausgegeben und einen Besichtigungstermin vereinbart?“, fragte sie.

„Jonasson inseriert seine Häuser nicht. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie er an seine Mieter kommt und nach welchen Kriterien er diese aussucht. Wie ist es bei dir gewesen?“

„Der Makler hat mir eine Nachricht geschickt und die einzige Bedingung war, dass ich mich sofort entscheiden muss. Mir wurde keine Bedenkzeit gewährt.“

„Ein bisschen seltsam, findest du nicht?“

„Na ja, wenn dieser Jonasson tatsächlich so unbeliebt ist, kann ich verstehen, dass er einen anderen Weg wählt.“ Sie leerte das Glas. „Wenn du willst, dann zeige ich dir das Haus, um deine Neugier zu befriedigen.“

„Nein, nein, nur keine Umstände.“ Mikkel hob abwehrend seine Hände.

„Jetzt stell dich nicht so an, schließlich bist du mit der Tür ins Haus gefallen.“

„Und es macht dir wirklich nichts aus?“ Mikkel hatte einen Blick drauf, bei dem man nur unschwer Nein sagen konnte.

„Einen kurzen Rundgang, mehr ist nicht drin.“

„Das ist nett von dir“, sagte Mikkel.

Das war ein Kompromiss, mit dem sie sich arrangieren konnte. Sie winkte Helene zu, um zu zahlen.

„Ihr wollt schon aufbrechen?“, fragte sie und blickte erstaunt von einem zum anderen.

„Ja“, antwortete Svea. „Ich will Mikkel kurz das Haus zeigen, damit er Ruhe gibt.“ Sie lächelte, damit keiner der beiden bemerkte, dass sie das nur gesagt hatte, um sich abzusichern. Sie hielt Mikkel für einen anständigen Kerl. Aber man wusste schließlich nie, wen man vor sich hatte.

„Welches Haus?“, fragte Helene.

„Das von Jonasson“, erwiderte Mikkel.

Helene nickte wissend. „Ach so. Dann wünsche ich euch noch einen schönen Abend.“

Svea und Mikkel zogen sich die Jacken über und verließen die Pizzeria.

„Willst du mir hinterherfahren?“, fragte sie.

„Ja, das wäre die beste Lösung.“

„Gut, dann bis gleich.“

Ihr Unwohlsein verstärkte sich. Im Prinzip wusste sie, dass es ein Fehler war, ihn mitzunehmen. Aber sie hatte wie üblich nicht Nein sagen können. In ihrem Elternhaus war sie darauf getrimmt worden, es allen recht zu machen. Bedauerlicherweise hatte sie noch immer nicht gelernt, auf ihre innere Stimme zu hören und sich auf eine gesunde Weise abzugrenzen. Sie wollte Mikkel nur rasch das Haus zeigen, um es hinter sich zu bringen und wieder Ruhe zu haben. Der Zwist mit Jonasson ging sie nichts an und sie würde sich komplett raushalten.

Die Scheinwerfer erhellten die Dunkelheit und Svea war viel zu schnell unterwegs. Als ein Rudel Rehe die Straßenseite wechselte, trat sie abrupt auf die Bremse. Das war verdammt knapp gewesen. Sie musste sich noch daran gewöhnen, dass hier zahlreiche Wildtiere die Straße überquerten. Nur wenig später setzte sie den Blinker und bog auf die Schotterstraße ab, die zum Haus führte. Der Kies knirschte unter den Reifen. Sie stellte den Wagen unter dem Carport ab und lief zum Haus.

Mikkel hielt direkt vor dem Eingang und stieg aus.

„Ganz schön einsam hier“, sagte er. „Hast du gar keine Angst?“

„Nein, warum sollte ich“, erwiderte sie schulterzuckend. „Ich habe noch keine einzige Nacht in dem Haus verbracht, und falls es nachher spuken sollte, wirst du der Erste sein, der es erfährt.“

Mikkel grinste. „Danke für die Ehre.“

Sie schloss die Tür auf und trat ein. Das Licht ging automatisch an und erhellte den Flur.

„Pass auf, wo du hintrittst“, sagte sie.

Mikkel folgte ihr ins Wohnzimmer und ließ seinen Blick schweifen.

„Wow, tolle Hütte.“

„Das kannst du laut sagen.“

„In meiner typischen Männerbude geht es eher rustikaler zu“, sagte er lachend.

„Das moderne Design ist halt Geschmackssache.“

„Geschenkt würde ich es auch nehmen, gar keine Frage.“ Er trat an das Fenster heran und schaute nach draußen. „Schade, dass man jetzt nicht viel sehen kann. Der Ausblick muss gigantisch sein.“

„Das ist er“, stimmte sie ihm zu. „Die Berge und der See waren ausschlaggebend, dass ich sofort zugesagt habe.“

„Kann ich verstehen.“

„Darf ich dir etwas anbieten?“, fragte sie verunsichert.

„Nein danke, ich wollte mich nur kurz umschauen.“

„Möchtest du noch das Badezimmer sehen?“

„Gerne.“

Sie öffnete die Tür und ließ ihn eintreten.

„Auch hier alles vom Feinsten.“

„Willst du auch noch den Keller inspizieren?“, fragte sie scherzhalber.

„Warum nicht.“

Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er zustimmen würde, und jetzt ärgerte sie sich, weil sie nach der anstrengenden Fahrt nur noch ins Bett wollte. Widerwillig öffnete sie die Kellertür und stieg nach ihm die Stufen hinunter.

„Wow, die Sauna ist der Hammer“, sagte er.

„Das war auch mein erster Gedanke.“ Sie unterdrückte ein Gähnen. „Dahinter befindet sich die Schaltzentrale und daneben ist ein leerer Raum, in dem ich Überflüssiges unterbringen kann.“

Ohne zu fragen, öffnete er die Tür und schaute hinein.

„Ich habe dir doch gesagt, dass der Raum leer ist.“ Ihr Tonfall war eine Spur härter geworden als beabsichtigt.

Er drehte sich zu ihr um. „Danke, dass du mir das Haus gezeigt hast. Ich werde dich jetzt in Ruhe lassen.“ Er stieg die Stufen wieder nach oben und ging zur Tür. „Gute Nacht, schlaf gut.“

„Ebenso.“

Als er in seinen Wagen eingestiegen war, drückte sie die Tür ins Schloss und lehnte sich an die Wand. Endlich, dachte sie erleichtert und atmete auf.

Im Badezimmer entledigte sie sich ihrer Sachen, nahm eine kurze Dusche und verkroch sich im Bett. Für heute hatte sie definitiv genug.

Die Sonne schien durch das Dachfenster und kitzelte Sveas Nase. Sie schlug die Augen auf und rekelte sich. Die Matratze besaß den perfekten Härtegrad, sodass sie tief und fest geschlafen hatte. Sie sah die Wolken über sich hinwegziehen. Das Haus war der absolute Glücksgriff gewesen und bescherte ihr ein gewisses Urlaubsfeeling.

Lächelnd schlug sie die Bettdecke zurück und tappte barfuß in die Küche. Die Kaffeemaschine war ein teures Model und Svea musste sich erst einmal einfuchsen, um sie überhaupt bedienen zu können. Zum Frühstück öffnete sie eine Packung Cracker, weil sie nichts im Haus hatte. Mit der dampfenden Tasse stand sie am Fenster und betrachtete die Landschaft. Es war der pure Wahnsinn, jeden Morgen auf diese Weise aufzuwachen, und sie malte sich aus, wie es wohl im Winter sein würde. Ein Traum aus Schnee und Eis.

Nach dem Frühstück kramte sie in ihrem Koffer, um in bequeme Kleidung zu schlüpfen. Jetzt konnte es losgehen. Zum Glück hatte sie jeden Karton beschriftet und konnte ihr gesamtes Geschirr gleich in den Keller verfrachten. So ging es den gesamten Vormittag über – Treppe rauf und Treppe wieder runter. Der Flur leerte sich zusehends, sie war ein ganzes Stück vorangekommen.

Sie wollte gerade die Tür zum Kellerraum schließen, als ihr Blick auf die kleine Luke fiel. Neugierig, wie sie war, ging sie in die Hocke und zog am Knauf. Mit ihrem Handy leuchtete sie in den dunklen Schacht. Mehrere Rohre waren zu sehen, die in verschiedene Richtungen abzweigten. Wahrscheinlich diente die Luke dazu, um das Lüftungssystem zu warten.

Svea schlug die Tür wieder zu und hörte, dass etwas zu Boden fiel. Erschrocken öffnete sie die Luke, weil sie befürchtete, etwas kaputt gemacht zu haben. Aber auf dem Boden lag nur ein in Leder eingebundenes Buch. Erstaunt griff sie danach, entfernte das Gummiband und schlug die erste Seite auf. Es handelte sich um ein handgeschriebenes Tagebuch. Sie überlegte einen Moment, ob sie es lesen oder wieder zurücklegen sollte, dann hatte sie sich entschieden. Sie brauchte sowieso eine Pause und lief nach oben. Schwungvoll ließ sie sich aufs Sofa fallen und begann zu lesen.

KapitelZwei

LOVA

Rückblende

Ich verkrieche mich im hohen Norden wie ein waidwundes Tier, um meinen Verlust zu überwinden. Der Einzug in dieses Haus steht für einen Neubeginn und ich hoffe, dass ich stark genug dafür bin. Ich bezeichne es als Privileg, hier wohnen zu dürfen, nach alldem, was ich erleiden musste. Der Blick auf die Landschaft ist atemberaubend. Ich möchte endlich ankommen, mich wieder spüren, und nicht von dieser wahnsinnigen Trauer erfasst und zu Boden gerissen werden.

Meine Hände zittern noch immer leicht und ich muss aufpassen, dass ich den Kaffee nicht verschütte. Ich brauche eine kleine Stärkung, denn ich fühle mich noch immer schwach auf den Beinen. Seit jener verhängnisvollen Nacht bin ich nur noch ein Hauch meiner selbst. Die Mahlzeiten schmecken fad, der Himmel hat sich verdunkelt und ich nehme nicht mehr am Leben teil. Es fällt mir schwer, mich aus diesem seelischen Tief zu befreien. Drei Therapeuten habe ich bereits verschlissen, die allesamt nicht in der Lage waren, mir zu helfen.

Aber wie sollten sie auch?

Jemand, der so eine Tragödie nicht selbst durchlitten hat, wird mir auch keinen Trost spenden können. Meine Eltern haben mich sogar zu einer Selbsthilfegruppe begleitet. Aber als die anderen Teilnehmer über ihre Trauer und den Verlust gesprochen haben, bin ich kopflos aus dem Raum gestürmt. Nie wieder, wirklich nie wieder, wollte ich mich dem aussetzen.

Ich glaube, dass die Ruhe und die Einsamkeit mir tatsächlich helfen können, das Trauma zu überwinden. Vergessen kann ich nicht, verzeihen auch nicht, aber ich hoffe, dass der Schmerz irgendwann nachlässt. Gedankenverloren führe ich die Tasse zu den Lippen und bemerke erst jetzt, dass der Kaffee kalt geworden ist. Ich schütte ihn in den Ausguss, schenke mir eine neue Tasse ein und setze mich auf die Terrasse. Wie gut, dass dieses Haus möbliert vermietet wurde. So konnte ich mich von allem trennen, das mich an die Vergangenheit erinnert.

Meine Eltern sind natürlich dagegen gewesen und haben einige Möbelstücke im eigenen Keller eingelagert. Ich bewundere die beiden, wie sie mit ihrer Trauer umgegangen sind. Aber sie haben einander, während ich niemanden mehr lieben kann. Und will. Nie wieder, das habe ich mir geschworen, werde ich einen Menschen nah an mich heranlassen. Meine Träume für die Zukunft sind geplatzt, ich habe im wahrsten Sinne des Wortes nichts mehr zu verlieren.

Vor meiner Abreise habe ich mir sogar noch ein neues Smartphone zugelegt und das alte bei meinen Eltern zurückgelassen. Es ist voller Erinnerungsfotos, deren Anblick ich momentan nicht ertragen kann. Zu schmerzhaft wäre der Blick in die Vergangenheit gewesen. Die Kronen vom Verkauf der modernen Eigentumswohnung habe ich in Aktienpakete gesteckt und mir ist fast schon egal, ob ich damit Gewinne generieren oder alles verlieren werde.

Das Einzige, was ich bei meiner Planung nicht einkalkuliert habe, ist die Zeit, die einfach nicht verstreichen will. Egal, was ich mir auch vornehme, die Stunden wollen einfach nicht vergehen. Aber bin ich noch nicht bereit, mich der Welt dort draußen zu stellen, und habe sogar Kris, meinen besten Freund, vergrault. Die Gleichgültigkeit verschlingt mich und ich wünsche mir jeden Abend, am Morgen nicht mehr aufzuwachen. Vielleicht wäre ich dann bei ihnen, könnte sie wieder in die Arme schließen. Nur leider glaube ich nicht an ein Leben nach dem Tod. Der Schalter wird umgelegt und dann herrscht ewige Dunkelheit. Nicht umsonst heißt es in Mafiakreisen, dass einem das Licht ausgeknipst wird.

Der Blick auf die Uhr verheißt nichts Gutes, es ist immer noch später Vormittag. Meist bleibe ich nach einer mehr oder weniger schlaflosen Nacht im Bett liegen, weil ich mich zu absolut nichts aufraffen kann. Auch ohne einen Therapeuten weiß ich, dass ich in einer schweren Depression feststecke, aus der ich mich nicht allein befreien kann. Für mich gibt es kein Licht am Ende des Tunnels und keine Hoffnung. Ich kann förmlich spüren, wie das Leben aus mir weicht.

Nichts hält mich mehr auf dieser Welt, ich bin rettungslos verloren.

KapitelDrei

SVEA

Gegenwart

Svea klappte das Tagebuch zu. Diese seelische Negativität war mehr, als sie momentan verkraften konnte. Ihre Vormieterin hatte, genau wie sie, einen Rückzugsort gesucht und auch gefunden. Dem Datum nach zu urteilen, schien sie allerdings nicht lange durchgehalten zu haben, und war wieder ausgezogen. Wahrscheinlich hatte ihre Vorgängerin mit anderen Dämonen zu kämpfen gehabt als sie selbst.

Sie legte das Tagebuch in die Schublade des Nachtschränkchens und widmete sich dem Schloss an der Eingangstür. Dieses konnte man sowohl mit dem Schlüssel als auch mit einem Code öffnen. Sie wollte für den Fall, dass sie sich einmal aussperren würde, das Codeschloss aktivieren und studierte stirnrunzelnd die Anleitung. Auf den ersten Blick erschien ihr das Prozedere zu kompliziert. Aber nachdem sie einige Knöpfchen gedrückt und die Ziffern eingegeben hatte, funktionierte es zu ihrer Überraschung.

Die Technik war wirklich vom Feinsten, hatte aber auch so ihre Tücken. Die Programmiersprache an sich war für Svea ein Buch mit sieben Siegeln. Wie konnte man mit Nullen und Einsen etwas Derartiges erschaffen? Das war in ihren Augen unbegreiflich, obwohl sie tagtäglich eben diese Software nutzte. Ja, sie war auch ein Kopfmensch, aber eher auf einer kreativen Ebene. Sie musste mit eigenen Händen etwas erschaffen und war voller Ideen. Und falls die Technik einmal nicht funktionieren sollte, gab es ja immer noch Jonasson, an den sie sich wenden konnte. Auch wenn sie ihn persönlich nicht kennengelernt hatte, Adresse und Telefonnummer standen im Mietvertrag.

Allmählich wurde es Zeit, sich um den leeren Kühlschrank zu kümmern, obwohl sie lieber gefaulenzt hätte. Sie zog sich Jacke und Stiefel über und verließ das Haus. Noch konnte sie den Weg bis zum Carport bequem zurücklegen. Aber sobald der erste Schnee fällt, würde sie schaufeln müssen. Da nützte auch die beste Technik nichts, hier war die reine Muskelmasse gefragt, dachte sie lächelnd und stieg in den Wagen.

Die Landschaft war traumhaft und sie konnte am Straßenrand sogar eine Herde Rentiere gemächlich grasen sehen. Einige Tiere trugen Halsbänder, wahrscheinlich, um die Herde dem Besitzer zuordnen zu können. Im Schritttempo fuhr sie vorüber und war ganz angetan von den Jungtieren, die ihr erstes Winterfell bekamen. An der nächsten Kreuzung bog sie auf die Hauptstraße nach Kittelfjäll ab. Der Ort war klein und schlängelte sich an einem schmalen Flüsschen entlang. Auf der gegenüberliegenden Seite erhoben sich dichter Wald und die Berge. Die Fassaden der Häuser waren farbenfroh gestaltet, von Blau, Ocker, bis Falunrot war alles dabei. Momentan wirkte der kleine Ort verschlafen, der in der Skisaison hauptsächlich vom Tourismus lebte. Aber das störte sie nicht im Geringsten, je weniger Trubel, desto besser.

Kurz darauf hatte sie ihr Ziel erreicht und betrat den Laden.

„Hej, hej“, wurde sie von einer Frau begrüßt. „Bist du diejenige, die das Haus von Jonasson gemietet hat?“

„Wie kommst du darauf?“, fragte Svea überrascht.

„Die Nummernschilder.“

„Stimmt, ich muss den Wagen noch ummelden.“

„Ich bin übrigens Isa, mir gehört der Laden.“

„Hallo, ich bin Svea.“ Sie reichte ihr die Hand. Isa war Mitte dreißig und hatte ihr rötlich schimmerndes Haar hochgesteckt. Die Nase und die Wangen waren über und über mit Sommersprossen bedeckt und verliehen Isa ein keckes Aussehen.

„Was treibt dich aus Göteborg in den hohen Norden?“, fragte sie.

„Ich möchte mich beruflich verändern“, antwortete Svea, was nicht der ganzen Wahrheit entsprach.

„Dann viel Glück“, erwiderte Isa.

„Danke, ich bin dann mal …“

Svea wandte sich ab, um die Lebensmittel auszusuchen. Das Geschäft war klein, es gab nur das Nötigste. Wahrscheinlich würde sie für einen größeren Einkauf in die zwanzig Kilometer entfernte Stadt fahren müssen. Bedauerlich, aber nicht zu ändern. Sie packte jede Menge Gemüse ein, um frisch und gesund kochen zu können, genau so, wie sie es sich vorgenommen hatte. Dann ging sie zur Kasse und Isa scannte die Ware.

„Wie fühlst du dich im neuen Zuhause? Schon eingelebt?“

„Nicht wirklich, ich bin ja gerade erst angekommen“, antwortete Svea.

„Hauptsache, es ergeht dir nicht wie deiner Vormieterin.“

„Wieso, was ist mit ihr?“

„Sie ist vor einigen Monaten spurlos verschwunden. Ich habe ja immer geglaubt, dass das die meisten Leute abschrecken wird.“

„Davon habe ich nichts gewusst“, erwiderte Svea.

„Hat dir der Makler nichts davon erzählt?“

„Nein, warum sollte er auch. Schließlich ist in diesem Haus niemand gestorben.“

„Okay, dieses Argument lasse ich gelten.“

„Jetzt hast du meine Neugier geweckt“, sagte Svea. „Kannst du mir mehr darüber erzählen? Wohin könnte sie verschwunden sein?“

Isa zuckte ratlos mit den Schultern. „Wenn wir das wüssten. Die Polizei hat überall nach ihr gefahndet, jedoch ohne Erfolg.“

„Wäre es möglich, dass sie sich woanders ein neues Leben aufbauen wollte?“ Svea ahnte, wie naiv ihre Frage war. Das, was sie bis jetzt gelesen hatte, zeugte eher davon, dass ihre Vormieterin sich für den Freitod entschieden haben könnte. Aber das wollte sie Isa auf gar keinen Fall erzählen.

„Glaubst du, dass das heutzutage so einfach möglich ist? Ich meine, ohne Pass kommt man schließlich nirgendwohin.“

„Über die grüne Grenze schon.“

„Wir werden es wohl nie erfahren. Pass trotzdem auf dich auf.“

„Danke, das werde ich. Dir noch einen schönen Tag.“

„Ebenso.“

Svea lief zum Wagen und dachte darüber nach, den Makler anzurufen. Aber dann verwarf sie den Gedanken wieder, weil es irrelevant war. Sie konnte ihm keine Vorwürfe machen, auch wenn sie es vorher gern gewusst hätte. Nicht mehr ganz so optimistisch verstaute sie die Einkäufe im Kofferraum und trat den Rückweg an. Während der Fahrt kreisten ihre Gedanken unaufhörlich um die verschwundene Vormieterin, und als sie angekommen war, blieb sie noch eine Weile sitzen. Fragend musterte sie das Haus. Warum hatte diese Frau ihr Tagebuch nicht mitgenommen? Weil ihr etwas zugestoßen war?

Sie ärgerte sich auch im Nachhinein, bei Isa nicht nachgefragt zu haben, ob nach dem Verschwinden der Vormieterin persönliche Dinge im Haus zurückgeblieben waren. Ob Mikkel Näheres wusste? Vielleicht würde sie ihn in der Pizzeria wiedertreffen. Das wäre ein annehmbarer Grund, um das Haus zu verlassen und sich eine warme Mahlzeit zu gönnen. Das Gemüse konnte warten.

Erneut schaute sie mit gemischten Gefühlen zum Haus. Von außen sah es nur halb so spektakulär aus wie von innen. Fahrig strich sich Svea eine Strähne hinter das Ohr, als sie darüber nachdachte, was geschehen sein könnte. Die Frage nach dem Warum löste ein gewisses Unwohlsein in ihr aus, das sich nicht so leicht abschütteln ließ. Mit Sicherheit hatte sie bei diesem Mietobjekt zu schnell zugegriffen und zu wenig nachgefragt. Das rächte sich jetzt. Wiederrum waren die Tagebucheinträge auch sehr problembehaftet gewesen und vielleicht reagierte sie über.

Sie stieß die Autotür auf, schnappte sich die Einkäufe aus dem Kofferraum und war dankbar, das Zahlenschloss aktiviert zu haben. Trotz der vielen Tüten konnte sie bequem mit einem Finger die Ziffern eintippen und die Tür sprang mit einem leisen Klicken auf. Wohlige Wärme umfing sie, als sie den Flur betrat. Das Haus war lichtdurchflutet und von einem negativen Karma absolut nichts zu spüren. Was immer mit dieser Frau geschehen war, es betraf nicht sie. Ende der Geschichte.

Mit einem erleichterten Seufzen stellte sie die Einkäufe auf der Küchentheke ab, dann entledigte sie sich ihrer Stiefel und der Jacke. Erst jetzt bemerkte sie einen leichten Lavendelduft in den Räumen. Laut Aussage des Maklers sollte das Haus über ein ausgeklügeltes Lüftungssystem verfügen, was in ihren Augen ziemlich genial war. So musste sie nicht ständig die Fenster aufreißen. Apropos Lüftungssystem, dachte sie und beschloss, den Raum noch einmal genauer zu untersuchen. Vielleicht hatte die Vormieterin noch mehr hinterlassen, was Aufschluss bringen könnte, warum sie spurlos verschwunden war.

Nachdem Svea wieder in bequemere Kleidung geschlüpft war, nahm sie das Smartphone und stieg in den Keller hinunter. Natürlich stellte sie sich die Frage, warum die Polizei das Tagebuch nicht gefunden hatte, wenn sie doch angeblich Himmel und Hölle in Bewegung versetzt hatten, um die Frau zu finden.

Ein wenig mulmig war ihr schon zumute, als sie in die Hocke ging, um die schmale Luke zu öffnen. Zuerst leuchtete sie zu der Stelle, an der das Tagebuch gelegen hatte, und entdeckte eine Art Halterung direkt über der Luke. Dort musste ihre Vorgängerin das Tagebuch befestigt haben. Jetzt war ihr natürlich klar, warum die Polizei es übersehen hatte. Kein Mensch würde dort einen Hinweis vermuten.

Sie überlegte, das Tagebuch der Polizei auszuhändigen, entschied sich aber dagegen. Ihr Ehrgeiz war geweckt und sie wollte selbst Licht ins Dunkel bringen. Schließlich war sie die einzige Person, die davon wusste, und ohne Isa würde sie noch immer ahnungslos sein.

Sie ließ den Lichtstrahl in den hinteren Bereich wandern und entdeckte, dass man dort aufrecht stehen konnte. Um ihre Neugier zu befriedigen, kroch sie in den Schacht hinein. Das war gar nicht so leicht und die Rohre behinderten sie am Vorwärtskommen. Sie atmete auf, als sie die Nische erreicht hatte und sich wieder aufrichten konnte. Die Luft war stickig und warm und Svea begann sofort zu schwitzen.

Aufmerksam schaute sie sich um. Die Rohre machten eine leichte Biegung und dahinter entdeckte sie mehrere Kissen und eine Fleecedecke. Sie kniete sich auf den Boden, um alles genau zu untersuchen, und schüttelte sogar die Decke aus. Aber sie fand nichts. Erst bei genauerem Hinsehen entdeckte sie hinter einem der Rohre mehrere Wasserflaschen und Tüten mit Crackern und Chips. Das war sehr seltsam und in ihren Augen fast schon neurotisch. Wieso hatte sich ihre Vorgängerin in diesen unzugänglichen Bereich zurückgezogen?

Nachdem sie einige Fotos von ihrem Fund gemacht hatte, kehrte sie in die obere Etage zurück. Genau in diesem Moment traf eine Nachricht von Mikkel ein. Er fragte Svea, ob sie Lust hätte, ihn auf eine Party zu begleiten. Einer seiner Kumpel würde noch ein letztes Mal den Grill anschmeißen und das Essen bei ihm wäre hervorragend.

Sie war sich unsicher, ob sie ihm zusagen sollte, weil sie befürchtete, irgendwo abseits zu stehen. Wiederum könnte sie Mikkel aushorchen, was es mit dem Verschwinden der Vormieterin auf sich hatte, sodass sie sich ein genaueres Bild machen konnte. Am liebsten hätte sie den ganzen Abend im Tagebuch gelesen, um herauszufinden, was geschehen war. Es reizte sie zu sehr, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen.

Sie ließ sich mit der Antwort einige Stunden Zeit, in denen sie die restlichen Kartons nach unten schaffte, damit es nicht so aussah, als wäre sie auf seine Einladung angewiesen. Aber schließlich sagte sie zu. Mikkel freute sich und bot ihr an, sie abzuholen. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass sie sich sputen musste, wenn sie einen guten Eindruck hinterlassen wollte. Sie sprang unter die Dusche, stylte ihr langes Haar und legte ein dezentes Make-up auf. Dann stand sie unschlüssig vor dem Kleiderschrank. Was sollte sie anziehen?

Mikkel hatte geschrieben, dass sie die gesamte Zeit über draußen verbringen würden. Es gab mehrere Sitzgelegenheiten unter einer überdachten Terrasse und überall würden Feuertonnen zum Aufwärmen stehen. Also holte sie eine strapazierfähige Jeans, einen warmen Sweater und eine gefütterte Jacke aus dem Schrank. Zufrieden betrachtete sie sich im Spiegel. Nicht overdressed, aber auch nicht zu salopp. Nur wenige Minuten später fuhr Mikkel vor und drückte zweimal auf die Hupe. Hastig schlüpfte sie in ihre Stiefel, schnappte sich die Tasche und eilte nach draußen.

„Hi“, sagte sie und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen.

„Schön, dass du mitkommst.“ Mikkel startete den Motor, wendete und fuhr zurück auf die Hauptstraße. „Wie geht es dir? Schon eingelebt?“

„Ganz gut, ich bin noch dabei, mich zurechtzufinden.“

„Falls du irgendwann einmal Hilfe brauchst, dann schick mir einfach eine Message. Ich kann sogar einen kaputten Toaster reparieren.“ Er lachte.

„Gut zu wissen.“

Mikkel hatte sichtbar gute Laune und sie überlegte, ob sie ihn schon jetzt auf das heikle Thema ansprechen sollte. Wahrscheinlich wäre es besser, sich die vielen Fragen für die Rückfahrt aufzuheben. Schließlich konnte sie nicht wissen, wie er darauf reagieren würde. Mit Sicherheit würde sich schon ein passender Moment ergeben.

„Fühlst du dich einsam?“ Er warf ihr einen fragenden Seitenblick zu.

„Absolut nicht. Ich bin viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, meinen Krimskrams auszupacken und die Kartons in den Kellerraum zu verfrachten.“

„Warum hast du nichts gesagt? Ich hätte dir helfen können.“

„Ach was, selbst ist die Frau.“

„Ich finde es gut, wenn eine Frau ihren Mann steht.“ Er grinste breit. „Übrigens, Nils schmeißt so ziemlich alles auf den Grill, nur für den Fall, dass du kein Fleisch magst. Seine Gemüsespieße sind der Hammer, und das will was heißen, wenn ich das sage. Wer bei Nils nicht satt wird, ist selbst schuld.“

„Hoffentlich passe ich mit meiner Plauze anschließend noch auf den Beifahrersitz.“

Mikkel lachte erneut. „Ich mag deinen Sinn für Humor.“

„Die beste Medizin in der heutigen Zeit.“

„Auch wieder wahr.“

Inzwischen hatten sie ihr Ziel erreicht. Musik und lautes Stimmengemurmel hallten zu ihnen herüber.

„Die Party ist schon in vollem Gange“, sagte Mikkel und schob sie durchs Gartentor. „Hallo Leute, darf ich euch Svea vorstellen?“

Sie wurde freundlich begrüßt und sofort in der Runde aufgenommen. Jemand drückte ihr ein Glas Bier in die Hand.

„Du kannst ruhig trinken, ich muss fahren“, sagte Mikkel. Er nickte ihr noch einmal zu und verschwand zwischen den Gästen in Richtung Grill.

Verloren schaute sie sich um. Genau vor diesem Moment hatte sie sich gefürchtet, wenn sie verlegen das volle Glas zwischen ihren Händen drehte und nicht wusste, mit wem sie reden sollte. Verstohlen beobachtete sie die Gäste, bis ihr jemand auf die Schulter tippte.

„Hallo Svea, schön, dass du da bist.“ Isa strahlte sie an. „Knüpfst du die ersten Kontakte?“

„Mehr oder weniger.“