Du füllst mein Herz mit Staunen - Silke Töpke - E-Book

Du füllst mein Herz mit Staunen E-Book

Silke Töpke

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Beschreibung

In ihrem Andachtsbuch nimmt die Autorin Silke Töpke den Leser in 52 Andachten mit auf eine Reise durch die Jahreszeiten und die Welt der Natur. Wussten Sie z.B., dass Glühwürmchen wie ein Orchester rhythmische Leuchtkonzerte geben können? Oder haben Sie schon vom Nebeltrinkerkäfer gehört, der auch in der trockensten Wüste nicht verdurstet? Und ist es nicht erstaunlich, dass Schallwellen die Mauern von Jericho zu Fall gebracht haben könnten? Staunend entdeckt der Leser in den Andachten tausend kleine Wunder. Nicht selten weisen die Vorgänge in der Natur Parallelen zu biblischen Botschaften auf – wie moderne Gleichnisse. Jede Andacht enthält eine persönliche Geschichte und den Bezug zur Bibel. Anschaulich. Leichtfüßig. Überraschend. "Ich bin keine Naturwissenschaftlerin. Da es in meiner Kindheit bei uns zu Hause jedoch jeden Abend eine Andacht über die Wunder der Natur gab, habe ich seit dieser Zeit nicht mehr aufgehört, Fragen zu stellen und weiterzulesen, und entdecke voller Begeisterung immer wieder Neues." Silke Töpke

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Silke Töpke

DU FÜLLSTMEIN HERZmit Staunen

52

naturverliebte

ANDACHTEN

Für meinen Vater,der mir den Sternenhimmel erklärtund die Glühwürmchen gezeigtund mich das Staunen gelehrt hat

Bibelzitate folgen, wo nicht anders angegeben, dem Bibeltext von Neues Leben.Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Witten/Holzgerlingen.

Ferner wurden verwendet und sind wie folgt gekennzeichnet:Hfa – Hoffnung für alle®, Copyright © 1983, 1996, 2002 by Biblica, Inc.®.Verwendet mit freundlicher Genehmigung von Fontis – Brunnen Basel.NGÜ – Neue Genfer Übersetzung – Neues Testament und Psalmen.

Copyright © 2011 Genfer Bibelgesellschaft; Sprüche © 2015 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart; Genesis u. Exodus © 2020 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Brunnen Verlag GmbH, Gießen.

L – Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017,

© 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

GNB – Gute Nachricht Bibel, durchgesehene Neuausgabe,

© 2018 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

© 2021 Brunnen Verlag GmbH Gießen

www.brunnen-verlag.de

Lektorat: Konstanze von der PahlenUmschlagillustration:

Umschlaggestaltung: Daniela Sprenger

Satz: DTP Brunnen

ISBN Buch 978-3-7655-3901-5

ISBN E-Book 978-3-7655-7618-8

Inhalt

Gottes Liebesbrief an dich

1Über die Einzigartigkeit der Schneeflocken

2Erschöpfung

3Tellerjongleur

4Was wir nicht wissen

5Über die Langmut des Papageientauchers

6Über das Klagen und Murren

7Zerbrochen

8Sonnenlicht

9Der große Durcheinanderbringer

10Hirnwürmer

11Der Herr ist mein Hirte

12Gottes Gurkentruppe

13Begeisterung

14Über die Kraft des Lebens

15Hühnerei Teil I

16Hühnerei Teil II

17Was mich der Schmetterling lehrt

18Die kleine Raupe Nimmersatt

19Auferstehung

20Schlupfwespen

21Gift

22Trojanische Pferde

23Glühwürmchen

24Keine Zeit zu sterben

25Gemeinsam sind wir stark

26Gefährliche Strömungen

27Liebevolle Kleinigkeiten

28Ein Zuhause für unsere Seele

29Die dunkle Nacht der Seele

30Frequenzen

31Ehrfurcht

32Übers Wasser laufen

33Resignation

34Das Thermometerhuhn

35Die Kirche

36Kellerspinnengedanken

37Ankerfäden

38Versuchungen

39Deine Aufgabe

40Be prepared!

41Über die Angst des Igels

42Gut behütet

43Gegen das Vergessen

44Liste der Ratlosigkeiten

45So ein Mist

46Der geheime Wandschrank

47Deine Bestimmung

48Oberflächlichkeiten

49Dankbarkeit

50Sternenlicht

51Meeresleuchten

52Du füllst mein Herz mit Staunen

Danke

Anmerkungen

Gottes Liebesbrief an dich

Als Kind nahm ich an einem Luftballonwettbewerb teil. Man konnte einen Preis gewinnen, wenn man den Ballon fliegen ließ, der die meisten Kilometer zurücklegte. Ich wählte einen dicken roten, vielversprechend aussehenden Ballon und war ein bisschen aufgeregt, als ich die Karte mit meinem Namen und meiner Adresse an die Schnur knotete. Vielleicht würde meiner sogar bis Amerika fliegen!

Leider teilte der Ballon meine Interessen nicht. Nachdem ich ihm einen kräftigen Schubs gegeben hatte, stieg er zwar wie eine Rakete in den Himmel, machte es sich dann aber in den Zweigen des nächsten Baumes bequem und hatte auch nicht die Absicht, dort jemals wieder herunterzukommen.

Ein wenig neidisch starrte ich dem Luftballon meines kleinen Bruders hinterher, der sich unternehmungslustig auf den Weg zum Horizont machte. Von dort aus flog er immer weiter in Richtung Osten, überquerte die Mauer und gelangte bis in die damalige DDR, wo er schließlich auf einem Feld in Bad Schmiedeberg landete.

Ein Mädchen, das ihn dort fand, löste die Karte von der Schnur und sandte sie an meinen Bruder zurück. Mein Bruder schickte ihr als Dankeschön eine Ansichtskarte mit Bildern aus unserer Stadt. Als Antwort folgte eine Postkarte aus Bad Schmiedeberg und wurde mit einer Weihnachtskarte von uns erwidert. Aus den Postkarten wurden Briefe. Aus vielen Fragen und kleinen Erzählungen wurde eine Brieffreundschaft und aus der Brieffreundschaft eine echte Freundschaft mit gegenseitigen Besuchen, die auch noch andauerte, als die Mauer längst gefallen war und wir Kinder erwachsen waren.

Postkarten und Briefe gelten in unserer schnelllebigen und digitalen Welt als altmodische Relikte, aber ich freue mich immer noch über einen echten Brief in meinem Briefkasten. So ein Brief ist etwas ganz Besonderes. Da hat sich jemand hingesetzt und sich die Zeit genommen, mir etwas von sich zu erzählen. Ich erfahre in so einem Brief viel mehr über den Schreiber als in einer kurzen WhatsApp-Nachricht und die Worte auf dem Papier haben ein ganz anderes „Gewicht“ als die Worte, die schnell am Telefon gesprochen werden. Ich kann mir Zeit nehmen, sie zu lesen und in Ruhe darüber nachzudenken, bevor ich antworte.

Man sagt, die Bibel sei Gottes Liebesbrief an uns. Worte, die viele Jahrhunderte alt sind und immer noch ein großes „Gewicht“ haben, weil sie von so tiefer Bedeutung für unser Leben sind. Platon (ein antiker griechischer Philosoph) lehrte: „Die Natur ist ein Brief Gottes an die Menschheit.“ Kann es sein, dass beides stimmt? Die Bibel und die Natur? Warum nicht? Warum sollte Gott nicht mehr als einen Liebesbrief an uns schreiben?

Unser ganzes Leben lang schicken wir unsere Fragen nach dem Sinn des Lebens und unsere Sehnsucht nach jemandem los, der uns liebt, so wie wir als Kind unseren Luftballon losgelassen haben. Wir hoffen von ganzem Herzen, dass sie irgendwann einmal irgendwo ankommen und wir eine Antwort erhalten.

Und Gott antwortet. Er löst die Karte mit unseren Lebensfragen und unserem Schrei nach Liebe behutsam von unserer „Luftballonschnur“ und schickt sie uns zurück. Seine Antwort ist kurz (es ist ja auch nicht viel Platz auf so einer Karte), aber sie enthält alles, was wir wissen müssen, was unserem Herzen hilft, endlich zur Ruhe zu kommen. Ein kurzer Satz, der so unendlich viel für unser Leben bedeutet: „Ich liebe Dich. Gott“

Dieses „Ich liebe Dich“ zieht sich wie ein roter Faden durch die Bibel, wir finden es in Jesus’ Tod am Kreuz, aber wir können es auch in jeder Blume, in jedem Lebewesen auf dieser Erde und jedem Sonnenaufgang entdecken.

Letzten Endes ist die Schöpfung in ihrer Vielfalt und Schönheit eine einzige große Liebeserklärung an uns. Sie füllt uns mit tiefer Sehnsucht, sie bringt uns zum Lächeln, sie lässt uns den Atem anhalten und Ehrfurcht spüren. Und wenn wir genau hinschauen, können wir gar nicht anders, als begeistert zu sein und diese Liebe zu erwidern.

Wir sind Gott wichtig. Er möchte mehr als eine „Postkarte“ zu Weihnachten. Er möchte auch mehr als ab und zu eine kurze „Danke“- oder „Bitte“-Notiz. Er möchte eine echte Freundschaft zu uns. Gott wünscht sich, dass wir ihn besser kennenlernen und lernen, ihm zu vertrauen. Er sagt: „Wenn du mich suchst, wirst du mich finden.“

Vieles über Gott erfahren wir über die Bibel, aber er hat auch an anderen „Stellen“ Botschaften für uns hinterlassen, die wir entdecken dürfen. Gottes individuellen Fingerabdruck finden wir in seiner Schöpfung, die uns so viel über ihn erzählt und dabei die Aussagen der Bibel wiederholt und für uns veranschaulicht. Sie ist wie ein Buch, in dem wir lesen können.

In meiner Kindheit hatte ich zwei außergewöhnliche und gute Lehrer, die mir geholfen haben, das Lesen im „Buch der Schöpfung“ zu lernen: meine Mutter, die sich sehr gut in der Bibel auskennt und viele Bibelstellen auswendig kann und der es so wichtig war, dass wir jeden Abend eine Familienandacht hielten; und mein Vater, der diese Andacht jeden Abend durch ein naturwissenschaftliches Thema ergänzt hat.

Wenn wir mit meiner Mutter einen Spaziergang machten, sprachen wir über die Fragen des Lebens, über das Sterben, die Auferstehung und darüber, wie es einmal im Himmel sein wird. Wenn wir einen Spaziergang mit meinem Vater machten (irgendwie sind wir insgesamt sehr viel spazieren gegangen), redeten wir über die Erde, die Natur und ihren Schöpfer. Der Spaziergang wurde zur Unterrichtsstunde und der Wald zu unserem Klassenzimmer.

Es war für mich immer ganz klar, dass beides zusammengehört: die Bibel und die Natur, der Himmel und die Erde, der Schöpfer des Universums und Jesus, der am Kreuz sein Leben für mich gab.

Ich möchte dich gerne mit diesem Buch an die Hand nehmen und für dich das tun, was mein Vater für mich getan hat: dir zeigen, wie unglaublich, wunderbar und staunenswert diese Welt ist, in der wir leben. Und natürlich wünsche ich mir, dass du dabei den „Briefeschreiber“ selber ein wenig kennenlernst, den Schöpfer des Universums.

Je mehr wir uns mit Gottes Schöpfung beschäftigen und über sie erfahren, desto mehr lernen wir über Gott, darüber, wie liebevoll und fürsorglich, fantasievoll und kreativ und wie weise und mächtig er ist. Darüber, dass es keinen Grund gibt, uns zu fürchten, wenn wir in seiner Hand sind und er die Kontrolle hat.

Und wir lernen zu staunen. Je mehr wir in Gottes Schöpfung entdecken, desto größer wird unser Staunen. Es gibt jeden Tag einen Grund dazu!

PS: Natürlich bin ich keine Naturwissenschaftlerin. Sollte ich mich also irgendwo geirrt oder etwas falsch wiedergegeben haben, bitte ich um Nachsicht und freue mich über entsprechende Hinweise.

1

Über die Einzigartigkeit der Schneeflocken

Es ist der erste Tag des neuen Jahres, die ganze Welt liegt wie eingefroren vor mir, als würde sie für einen Moment den Atem anhalten. In der Nacht ist so viel Schnee gefallen, dass wir den ganzen Nachmittag Schlitten fahren konnten. Jetzt geht die Sonne hinter den Hügeln unter und wir befinden uns auf dem Rückweg – müde, glücklich und mit der Hoffnung auf einen großen Becher heißen Kakao.

Am schönsten ist der letzte Teil des Weges, wenn es leicht bergab geht und wir uns auf die Schlitten setzen dürfen, die mein Vater dann zieht. Es hat wieder leicht zu schneien begonnen und die Flocken setzen sich auf unsere Jacken und unsere Gesichter. Wir strecken unsere Zungen heraus, um sie aufzufangen.

Mein Vater erzählt uns, dass jede Flocke einzigartig ist und dass jede ein anderes Muster hat. Mit bloßen Augen kann man das nicht erkennen, aber wenn man sie stark vergrößert, sieht man einen wunderschönen Eiskristall und keiner gleicht dem anderen. Kaum vorzustellen, dass diese wirbelnden Flocken um uns herum, die irgendwo in der großen weißen Masse verschwinden oder auf unseren Gesichtern schmelzen, etwas so Besonderes sind und jede ein individuelles Muster hat. Was für eine Verschwendung!

Gott, der Schöpfer des Universums, hat uns in diesen kleinen weißen Flocken eine Botschaft hinterlassen wie in so vielen Dingen um uns herum. Wir müssen nur genau hinschauen. Wenn er sich für die kurzlebigen Schneeflocken die Mühe gemacht hat, individuelle Muster zu entwerfen, wird er dann in uns nicht noch viel mehr Mühe investiert haben?

In Psalm 139,14 (Hfa) steht: „Herr, ich danke dir dafür, dass du mich so wunderbar und einzigartig gemacht hast! Großartig ist alles, was du geschaffen hast.“ Die Botschaft lautet: Du bist einzigartig! Darauf weisen schon unsere – ebenso einzigartigen – Fingerabdrücke hin.

Der Fingerabdruck des Menschen entsteht ab dem dritten Schwangerschaftsmonat, also relativ früh, und ist dann für das ganze Leben festgelegt. Trotz Verletzungen (wenn du dich z. B. in den Finger geschnitten hast) bleibt er unverändert dein individueller Fingerabdruck. Niemand sonst auf dieser Welt, nicht einmal dein Zwillingsbruder oder deine Zwillingsschwester, hat dasselbe Muster wie du. Ist das nicht genial?

Du trägst Gottes Muster an deinen Fingern, das dir sagt: Du bist mir so wichtig, dass ich mir für dich ein einzigartiges Muster ausgedacht habe, das niemand sonst auf dieser Welt an seinen Fingern trägt. Du bist wertvoll für mich. Ich liebe dich!

Wenn wir durch unser Leben gehen, hinterlassen wir nicht nur auf allem, was wir anfassen, Fingerabdrücke; wir hinterlassen auch noch andere Spuren, die zeigen wer wir sind. Leben wir unser einzigartiges Leben, das uns geschenkt wurde, oder verschwinden wir in der großen wirbelnden Menschenmasse um uns herum? Ignorieren wir das Muster an unseren Fingern und Gottes Liebesbotschaft oder glauben wir an einen Schöpfer und versuchen in den Spuren, die er in seiner Schöpfung hinterlassen hat, mehr über ihn herauszufinden?

Das neue Jahr liegt vor uns und wir wissen nicht, was uns erwartet. Aber wir können darauf vertrauen, das der, der den Schneeflocken so viel Aufmerksamkeit zukommen lässt, uns durch das neue Jahr begleitet und für uns alles vorbereitet hat, was wir brauchen – was unsere Seele braucht, um zu wachsen.

2

Erschöpfung

Das Jahr ist noch nicht alt, aber schon sind alle guten Vorsätze vergessen. Der Glanz der Weihnachtszeit und der feierliche und Funken sprühende Abschied vom letzten Jahr liegen hinter uns.

Müde schleppe ich mich durch den Tag. Die letzten Wochen waren schön, aber auch anstrengend. Irgendwie ist die Luft raus und ich habe das Gefühl, keine Kraft mehr zu haben. Dies ist eine dunkle Jahreszeit, kein Highlight ist in Sicht. Keine Feier, kein Urlaub, überhaupt nichts Besonderes und der Frühling ist noch weit entfernt. Am liebsten würde ich mich in einer dicken flauschigen Decke auf dem Sofa einrollen und Winterschlaf halten. Schlafen, bis der Sommer kommt. Meinen Alltag ausblenden. Aber der wartet auf mich mit zahlreichen Aufgaben, die erledigt werden müssen.

Ich brauche dringend eine Auszeit und hoffe, dass ein kurzer Spaziergang an der kalten Winterluft mich ein wenig wacher werden lässt. Das triste Januarwetter lässt die menschenleeren Straßen noch grauer aussehen. Nachdenklich biege ich in den Weg ein, der auf die Felder führt. Aber hier draußen sind meine Schritte genauso schwerfällig, meine Müdigkeit bleibt und liegt wie eine schwere Decke auf mir. Da ertönt über mir der Schrei eines Vogels. Ich sehe nach oben und entdecke einen Raubvogel, der am Himmel seine Kreise zieht. Vielleicht ist es ein Adler?

Ein Prediger hat in unserer Gemeinde einmal erzählt, wie Adlereltern sich verhalten, wenn ihre Kinder die ersten Flugversuche unternehmen. Sie fliegen die ganze Zeit direkt unter ihnen, und wenn die jungen Adler die Kraft verlässt, nehmen sie sie auf ihren Rücken und tragen sie zurück nach oben in den Adlerhorst.

In Jesaja 40,31 (L) steht: „Aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“

Dies ist einer meiner Lieblingsverse in der Bibel. Seit ich weiß, dass der Adlervater sein erschöpftes Kind auf seinen Rücken nimmt und auf diese Weise zurück in das sichere Nest bringt, stelle ich mir vor, wie Gott in unserem Alltag die ganze Zeit unter uns „fliegt“. Wenn wir keine Kraft mehr haben und auf ihn vertrauen, dürfen wir uns auf seinem starken Rücken ausruhen. Wir dürfen unsere müden Flügel ablegen und unseren müden Kopf, in dem die Alltagssorgen wie in einem Hamsterrad kreisen. Wir dürfen es Gott sagen, wenn wir keine Kraft mehr haben, und ihn bitten, uns zu tragen.

Wir versuchen immer für alle um uns herum stark zu sein, vielleicht glauben wir auch, dass die anderen das von uns erwarten. Wir kämpfen jeden Tag darum, alles unter Kontrolle zu haben. Aber dann trifft uns das Leben an einer Stelle, die wir nicht kontrollieren können, oder es wird alles einfach zu viel. Vielleicht haben wir uns zu weit vorgewagt, sind eine viel zu weite Strecke alleine aus eigener Kraft geflogen und jetzt scheint jeder weitere Flügelschlag nur mit größter Kraftanstrengung möglich zu sein. Wie sollen wir weitermachen, wie können wir sicher landen?

Die Antwort ist, dass du dich von Gott halten lassen musst. Überlasse ihm die Kontrolle, leg alles in seine Hände. Lass dich von ihm tragen. In Matthäus 11,28 sagt Jesus: „Kommt alle her zu mir, die ihr müde seid und schwere Lasten tragt, ich will euch Ruhe schenken.“ Versuche, bei Gott zur Ruhe zu kommen, ihm in deinem Gebet alles zu bringen, was dich erschöpft, und dann für einige Minuten die Augen zu schließen, die Stille zu genießen und zu spüren, dass Gott da ist.

In dieser Stille kann Gott dir begegnen. In 1. Könige 19,11-12 wird beschrieben, wie Gott an Elia vorübergeht. Zuerst kommt ein Sturm, dann ein Erdbeben, dann ein Feuer. Aber Gott ist in keinem davon. Zuletzt vernimmt Elia einen ganz leisen Hauch. Da begegnet ihm Gott.

In der Stille vor Gott kommen wir zur Ruhe, fühlen uns geborgen und gehalten und können sein leises Reden hören. Wenn wir aufhören, wie wild mit den Flügeln zu schlagen, wenn wir auf seinem Rücken landen und endlich zur Ruhe kommen, kann Gott unsere Seele wieder nach oben tragen. Dann werden wir neue Kraft finden, um weiterzufliegen.

3

Tellerjongleur

An manchen Tagen komme ich mir vor wie ein Tellerjongleur. Wenn ich morgens aufstehe, stelle ich meine Jonglierstangen auf und packe die vielen Teller aus, die ich in meinem Leben so habe. Nacheinander bringe ich sie in Schwung, und wenn ich es geschafft habe, dass alle sich drehen, muss ich schon wieder bei meinem ersten Teller sein; er hat angefangen, auf seiner Stange zu wackeln, und muss wieder neu angedreht werden. So renne ich den ganzen Tag zwischen den Jonglierstangen hin und her und versuche, alles am Laufen zu halten.

Ich weiß nicht, welche Teller du so auf deinen Stangen hast: Beruf, Studium oder Schule, Haushalt (eigentlich bräuchte man dafür ja mindestens zehn Teller), Partner (ja, auch unser Partner braucht liebevolle Aufmerksamkeit), Kinder, Enkel, Eltern, Geschwister, Gemeinde, Freunde, Ehrenämter, Vereine, Gesundheit …

Was für Teller wir auch immer jonglieren müssen, es kann auf jeden Fall ganz schön stressig sein. Und manchmal ist da diese Angst, dass einer der Teller herunterfallen könnte, weil ich auf ihn nicht genügend geachtet habe. Manchmal frage ich mich, woher ich jeden Tag die Kraft dazu nehmen soll, zwischen meinen Tellern hin und her zu rennen und sie in Bewegung zu halten. Das sind die Tage, an denen meine Schritte langsamer werden, an denen es sich anfühlt, als müsste ich mich mühsam durch tiefen Wüstensand schleppen.

Wie überlebt man in einer Wüste?

Es gibt viele verschiedene Tricks, die die „echten“ Wüstenbewohner anwenden, um Tag für Tag in diesem Lebensraum zu bestehen. Einen davon finde ich besonders faszinierend, weil wir von ihm etwas für unsere Wüstenzeiten lernen können. Angewendet wird er von einem kleinen Käfer in der Wüste Namib. Der Nebeltrinkerkäfer macht sich morgens ganz früh auf den Weg zu einer Sanddüne und begibt sich dort in eine Schräglage. Das heißt, er streckt sein Hinterteil in die Luft und senkt seinen Oberkörper nach vorne, als würde er sich vor der aufgehenden Sonne verbeugen oder beten. Das kann er, weil seine Hinterbeine länger als seine Vorderbeine sind.

Während er das tut, passiert etwas Erstaunliches: Auf seinem unebenen Panzer kondensieren die feinen Tröpfchen aus dem Nebel, der morgens vom Atlantik herüberzieht, und laufen nach unten, direkt in den Mund des Käfers, sodass er sie trinken kann. Auf diese Weise nimmt er bis zu einem Drittel seines Körpergewichts an Wasser zu sich. Das wäre so, als würden wir bei einem Körpergewicht von 75 Kilogramm zweieinhalb große Eimer Wasser leer trinken. Das würde mir auch für einen ganzen Tag in der Wüste reichen!

Aber kann ich daraus etwas über den Umgang mit meiner persönlichen Wüste lernen? Es ist interessant zu sehen, dass es eine Parallele gibt zwischen dem Verhalten des Nebeltrinkerkäfers und der Art und Weise, wie Jesus mit Stress umging. Kannte Jesus überhaupt Stress? Waren die Menschen zu seiner Zeit nicht viel entspannter, als wir es heute sind?

In Markus 1,21-34 wird ein Tag aus dem Leben von Jesus beschrieben, der damit endete, dass die ganze Stadt vor seiner Tür stand. Die Erwartungen an ihn waren hoch. Er hatte den ganzen Tag beide Hände voll zu tun und konnte wahrscheinlich kaum Pausen machen. Wenn er versuchte, sich zurückzuziehen, stöberten ihn die Jünger schnell wieder auf (Vers 37). Wie schaffte es Jesus, in diesem Ansturm von Forderungen seine Ruhe zu bewahren, für alle da zu sein, Einzelne wahrzunehmen, ihre Bedürfnisse zu erkennen, liebevoll zu sein?

Vers 35 gibt uns die Antwort darauf: „Früh am Morgen, als es noch völlig dunkel war, stand Jesus auf, verließ das Haus und ging an einen einsamen Ort, um dort zu beten“ (NGÜ). Jesus und der Nebeltrinkerkäfer sind beide ganz früh am Morgen unterwegs zu einem einsamen Ort. Der Käfer geht in eine „Anbetungsposition“, um Wasser für den Tag zu tanken, und Jesus trifft sich im Gebet mit seinem Vater. Das ist seine Quelle für den Tag. Er ordnet im Gebet Gott seinen Willen unter, er erhält von ihm Anweisungen, er kommt bei seinem Vater zur Ruhe und tankt Kraft für alle Herausforderungen.

Wie startest du am Morgen? Manchmal stolpere ich geradezu in meinen Tag hinein, nachdem ich bei meinem Wecker mehrmals auf die Schlummertaste gedrückt habe, renne mit offener Jacke und heraushängender Zunge zur Haltestelle, um meinen Bus noch zu bekommen, und lasse mich von den Ereignissen des Tages überrollen. Es gibt auch diese Tage, an denen wir als Familie schon mit Streit und schlechter Laune am Frühstückstisch sitzen.

Vielleicht ist es gut, von Jesus und vom Nebeltrinkerkäfer zu lernen, wie man am besten in einen Tag startet. „Begegne zuerst Gott, bevor du einem Menschen begegnest“, meinte auch der englische Baptistenpastor Charles Spurgeon sinngemäß. Vielleicht können wir es zu einer festen Gewohnheit in unserem Leben machen, unseren Wecker fünf Minuten früher zu stellen, um unseren Tag in Gottes Hände zu legen, bevor er begonnen hat.

Fünf Minuten, um auf die Knie zu gehen und Gott für diesen neuen Tag zu danken und ihn als Geschenk anzunehmen. Fünf Minuten, um Gott die Kontrolle für diesen Tag zu übergeben, ihn um seine Begleitung zu bitten und einen Moment still zu werden, bevor wir uns auf den Weg in den Tag machen.

Sich morgens mit Gott zu treffen, ist keine geistliche Pflichtübung. Es ist ein Privileg, mit dem Schöpfer des Universums reden zu können, mit dem, der den Sonnenaufgang gemacht hat und den kleinen Nebeltrinkerkäfer in der Wüste Namib und der weiß, was uns an diesem Tag erwartet.

Wenn wir unseren Tag mit Gott beginnen, wird er uns den ganzen Tag begleiten. Wenn wir den Tag in Gottes Hände legen, können wir den Schwierigkeiten, die uns an diesem Tag begegnen werden, gelassener gegenübertreten, weil wir wissen, dass Gott die Kontrolle hat. Und wenn wir den Tag morgens als Geschenk aus Gottes Hand annehmen, werden wir mit dankbaren Augen durch diesen Tag gehen und bewusst auf die liebevollen Kleinigkeiten achten, die uns an diesem Tag begegnen.

Wenn wir unseren Tag in Gottes Hände legen, ist er in den besten Händen.

4

Was wir nicht wissen

Gegenüber von unserem Küchenfenster hängt ein Nistkasten an einem Baum. Im Frühling und im Herbst nisten darin Meisen und man kann in den Tagen, wenn die Jungen geschlüpft sind, zusehen, wie die Meiseneltern hektisch fortfliegen und irgendwann genauso hektisch mit Nahrung im Schnabel für ihre Küken zurückkommen. Sie liefern das Essen kurz ab und fliegen dann sofort wieder los. Das tun sie den ganzen Tag (was für ein Stress!).

Manchmal geht es sehr schnell, manchmal sind die Eltern längere Zeit unterwegs. Ich frage mich, was die Meisenküken in der Zeit empfinden, wenn ihre Eltern nicht da sind. Auf jeden Fall piepsen sie sehr aufgeregt. Ganz bestimmt haben sie Hunger, aber vielleicht empfinden sie auch eine gewisse Ungewissheit. Ob ihre Eltern je wieder zurückkommen und sie weiter versorgen?

Ich empfinde manchmal genauso, wenn es um Gott geht. Er ist mein Vater und ich bin sein Kind und doch scheint er manchmal irgendwo unterwegs zu sein. Ich kann seine Nähe nicht spüren und habe das Gefühl, in meinem dunklen Tal ganz alleine zu sein. In meinem Leben scheint es nicht weiterzugehen, mein klägliches Piepsen, meine Gebete bleiben gefühlt unerhört.

Der Waldfrosch, der zwischen dem Norden Nordamerikas und Alaska und in Kanada vorkommt und der auch Eisfrosch genannt wird, hat eine interessante Strategie, um den Winter zu überstehen. Wenn die Temperaturen in den Minusbereich sinken, erstarrt ein Drittel des in seinem Körper enthaltenen Wassers zu Eis. Diese Eiskristalle kann man durch seine Haut hindurch sehen.

Versucht man, nur eines seiner Froschbeine zu biegen, bricht es ab. Funktionen wie Herzschlag, Blutfluss und Atmung setzen in dieser Phase völlig aus. Der Frosch ist erfroren, förmlich zu Eis erstarrt, praktisch tot. Er kann nur überleben, weil sein Körper bei Einsetzen des Frostes ein körpereigenes Frostschutzmittel produziert, das in den Zellen abgelagert wird, sodass diese durch die Kälte nicht zerstört werden können.

Wenn die Temperaturen tagsüber wieder bei 0 Grad Celsius oder höher liegen, taut der Frosch wieder auf. Sinken die Temperaturen nachts in den Minusbereich, friert er wieder ein, „stirbt“ also erneut. Dieser Wechsel zwischen Auftauen und Einfrieren findet besonders im Spätherbst fast täglich statt, wodurch der Körper immer stärker mit Frostschutzmittel angereichert wird und der Frosch dann im tiefsten Winter auch längere Zeit in seinem vereisten Zustand überstehen kann. Würde man ihn essen, würde er wie ein sehr süßes Wassereis schmecken, weil er so voller Glukose ist …

Bevor es in seinem Leben wieder Frühling wird, befindet sich der Frosch also in einer Art Warteschleife. Einfrieren, sterben, auftauen usw. Wenn er reden könnte, würde er vielleicht fragen, wie viele Tode er noch sterben muss und ob diese schreckliche Kälte jemals aufhört. Denn der Winter scheint endlos zu dauern und wird zunehmend schlimmer. Was der Frosch nicht weiß, ist, dass die Erde sich jeden Tag ein Stück auf der Umlaufbahn um die Sonne bewegt und dem Frühling jeden Tag ein kleines Stückchen näher kommt.

In Johannes 5,17 (NGÜ) sagt Jesus: „Mein Vater hat bis heute nie aufgehört zu wirken, und weil er wirkt, wirke auch ich.“ Gott ist unermüdlich am Werk. Es ist das, was wir nicht sehen können, was wir nicht wissen, so wie der Frosch nicht weiß, dass die Erde in Bewegung ist. Gott hat einen Plan, er hat die Kontrolle, und was uns wie ein sehr schlimmer Winter in unserem Leben vorkommt, ist eine Wartezeit, die wir durchstehen müssen in dem Wissen, dass Gott uns niemals alleine lässt und im Hintergrund alles „vorbereitet“, damit unser Leben sich in eine gute Richtung bewegt.

„Gott hat euch in seiner Gnade durch Christus zu seiner ewigen Herrlichkeit berufen. Nachdem ihr eine Weile gelitten habt, wird er euch aufbauen, stärken und kräftigen; und er wird euch auf festen Grund stellen“ (1. Petrus 5,10).

Gott lässt dich in deiner „Warteschleife“ nicht allein. Er bleibt bei dir und versorgt dich mit allem, was du brauchst, um diese schwierige Zeit durchzustehen – so wie er für den Frosch alles vorbereitet hat, damit dieser den Winter übersteht. Dein Frostschutzmittel ist Gottes Liebe.

5

Über die Langmut des Papageientauchers

In der Dokumentationsreihe „Unser Blauer Planet 2“wird in der letzten Folge von einer Papageientaucherkolonie in der Arktis berichtet. In den Klippen ziehen sie ihre Jungen in Bruthöhlen auf und müssen, um sie mit Nahrung zu versorgen, jeden Tag fast 100 Kilometer weit fliegen. Auf dem Rückflug werden sie von Raubmöwen angegriffen, die versuchen, ihnen ihren Fang abzujagen. Sind die Möwen damit erfolgreich, war der weite und kräftezehrende Flug umsonst.

Der Nachwuchs muss jedoch versorgt werden und so muss dieser Flug wiederholt werden. Wieder macht sich der Papageientaucher auf den Weg – ohne Rückversicherung, beim nächsten Mal erfolgreicher zu sein.

Dieses Verhalten beeindruckt mich sehr. Geduld gehört nicht gerade zu meinen Stärken, Langmut (ruhiges, beherrschtes, nachsichtiges Ertragen) erst recht nicht. Das merke ich immer deutlicher, seit unsere Kinder in der Pubertät angekommen sind. Für kleine Kinder sind Eltern das Allergrößte (ihre Superhelden) und es gibt nichts Besseres für sie, als ihren Eltern bei irgendetwas helfen zu dürfen. Man kann sie mit Kleinigkeiten zum Strahlen bringen.

Wenn die Pubertät beginnt, wird es schwieriger, sich als Eltern wie Superhelden zu fühlen. Eher als sehr unerwünschte und lästige Personen. Manchmal auch als unsichtbar. Und an manchen Tagen bekommt man das Gefühl, dass eine Umarmung das Schlimmste ist, was man jemandem antun kann. Dass eine Familie eine „Wohngemeinschaft“ ist, zu der jeder etwas beitragen muss, und dass wir es als Eltern auch lästig finden, die Spülmaschine auszuräumen, sorgt für großes Staunen und ungläubiges Gelächter. Der Mülleimer ist übrigens seit kurzer Zeit ebenfalls unsichtbar geworden.

Manchmal staunen wir als Eltern, was für wunderbare, hübsche und talentierte Kinder wir haben, und sind dankbar. Manche Erlebnisse sind schön. Manches ist lustig, aber manches ist auch verletzend (vermutlich auf beiden Seiten). Es gibt Auseinandersetzungen, nach denen es schwierig ist, wieder aufeinander zuzugehen. Ich finde es viel leichter, meine Geduld zu verlieren, zurückzuzicken, wilde Strafen zu verhängen oder das „Pubertier“ zu ignorieren und mich selbst zu bemitleiden, als an die zugeschlagene Zimmertür zu klopfen und mein Kind, das mich gerade „voll nervig“ findet, in die Arme zu nehmen.

Vielleicht hast du keine pubertierenden Wesen in deiner unmittelbaren Umgebung, aber vielleicht brauchst du stattdessen jede Menge Geduld für altersstarrsinnige Eltern, einen Partner, der dich öfter mal auf die Palme bringt, oder einen Kollegen, der jeden Tag in der Woche „Montagslaune“ hat.

Es ist eine Herausforderung, eine Übung in Barmherzigkeit, immer wieder loszugehen und Liebe zu verschenken an Menschen, die durch ihr Verhalten eigentlich kein „Anrecht“ auf unsere Liebe und Fürsorge haben. Es ist so viel einfacher, sich zurückzuziehen und zu schmollen. Und so viel schwieriger, auf den anderen zuzugehen und ihm etwas Gutes zu tun, nett zu ihm zu sein, ihn trotzdem in den Arm zu nehmen. Für ihn zu beten. Vielleicht über viele Wochen, Monate und Jahre und auch dann, wenn wir zurückgewiesen werden.

Das ist die Langmut des Papageientauchers. Das nachsichtige Ertragen einer Situation und die Bereitschaft, sich immer wieder auf den anstrengenden Weg zu machen, auch dann, wenn man nicht weiß, ob die nächste Begegnung besser verlaufen wird.

Gott ist liebevoll und barmherzig und erwartet von seinen Kindern, es ebenfalls zu sein, jeden Tag, immer wieder. Er möchte, dass wir uns bewusst dafür entscheiden, egal wie anstrengend und aussichtslos es ist. In Kolosser 3,12 (Hfa) lesen wir: „Ihr seid von Gott auserwählt und seine geliebten Kinder, die zu ihm gehören. Darum soll jetzt herzliches Mitgefühl euer Leben bestimmen, ebenso wie Güte, Bescheidenheit, Nachsicht und Geduld.“

Wir können uns aus dem Konflikt zurückziehen und schmollen, auf Distanz gehen zu dem Menschen, der uns verletzt hat, und auch zu Gott, der von uns Barmherzigkeit und Langmut erwartet, statt uns wütend sein zu lassen. Wir können uns verstecken und die Situation einfach ignorieren. Aber Gott wird uns immer hinterhergehen und uns wieder auf den Weg schicken. So wie er es auch mit Jona gemacht hat, der keine Lust hatte, einem Haufen undankbarer Menschen Gottes Warnung und damit Gottes Barmherzigkeit zu bringen.

Wie schafft es der Papageientaucher, Tag für Tag diesen Flug zu absolvieren, der ihm so viel abverlangt? Er kann es nicht schaffen. Deshalb hat er eine „Regenerationszeit“. Die Eltern wechseln sich nämlich immer mit dem Fliegen ab. Einer fliegt den weiten Weg, der andere bleibt in der Bruthöhle und ruht sich aus.

Gott hat für uns auch eine „Regenerationszeit“ in unsere Woche eingebaut. Doch wir denken oft, dass wir es uns leisten können, diesen Ruhetag zu ignorieren, und dass es uns nicht schaden wird, wenn wir diese Zeit für die vielen wichtigen Aufgaben verwenden, die während unserer Arbeitswoche liegen geblieben sind.

Ich merke: Je mehr mir in schwierigen Beziehungen abverlangt wird, desto wichtiger ist diese geistige und emotionale Regenerationszeit für mich. Es ist wichtig, dass mein Körper einmal zur Ruhe kommt, aber es ist besonders wichtig, dass meine Gedanken und Gefühle einmal auf etwas anderes ausgerichtet werden als auf die ständigen Konflikte um mich herum. Wenn ich an einem Tag in der Woche bei Gott zur Ruhe kommen kann, mir seine Liebe und Barmherzigkeit bewusst mache, wird es mir leichter fallen, wieder „loszufliegen“ und anderen gegenüber liebevoll und barmherzig zu sein.

Gott erwartet von uns die Bereitschaft loszugehen und uns auf den schwierigen Weg zu Menschen zu machen, zu denen wir eigentlich gar nicht nett sein wollen. Es kostet uns eine Menge Überwindung und Kraft, uns in Bewegung zu setzen, vielleicht haben wir sogar Angst. Aber wir sollten nie vergessen, dass Gott uns begleitet und dass er alles in der Hand hält. Wir gehen los und er kämpft unsere Kämpfe für uns.

6

Über das Klagen und Murren

„Du führst Selbstgespräche“, sagt meine Tochter zu mir. „Das ist echt cringe. Was ist dein Problem?“

Sie hat mich gerade dabei ertappt, wie ich vor mich hin grummelnd die Hausarbeit erledige. Was mein Problem ist? Ich ärgere mich darüber, dass niemand mir hilft und offenbar keiner außer mir sieht, was getan werden muss. „Du könntest auch mal die Spülmaschine ausräumen oder den Müll rausbringen“, entgegne ich.

„Sag das doch“, antwortet sie erstaunt. „Woher soll ich das denn wissen? Und was jetzt, Spülmaschine oder Müll?“

Ach ja, was Worte alles vermögen: Durch einen einzigen Satz werden unsichtbare Spülmaschinen und Mülleimer wieder sichtbar!

Das mit der Wahrnehmung ist so eine Sache. Was unser Auge sieht, wird über den Sehnerv an unser Gehirn übermittelt und dann dort ausgewertet. Als Menschen sehen mit unseren Augen eigentlich alle dasselbe Bild. Aber andere nehmen dieses „Bild“ ganz anders wahr als wir, je nachdem, worauf wir achten, wie wir es für uns auswerten.

Bei Tieren verhält sich das mit dem Sehen und Wahrnehmen noch mal anders. Viele Insekten und Vögel können z. B. UV-Licht sehen, für unsere menschlichen Augen ist es unsichtbar. Dadurch haben sie ein anderes Farbspektrum, einige Objekte treten hervor, andere sind nicht so wichtig.

Vor Kurzem wurde entdeckt, dass der gepunktete Baumfrosch in Südamerikas Urwald leuchtet, wenn man ihn mit UV-Licht von 450 bis 470 Nanometer Wellenlänge anstrahlt. Nur dann fluoresziert er ziemlich intensiv blaugrün. Das kann allerdings niemand außer den Fröschen selbst wahrnehmen. Eine UV-Strahlung dieser Wellenlänge liegt nämlich genau in dem Spektralbereich, den die Lichtrezeptoren der Frösche sehen können. So können sie sich gegenseitig in der Nacht gut erkennen, während (vermutlich) alle anderen Lebewesen (wie auch wir Menschen) nur Dunkelheit wahrnehmen, wo in Wirklichkeit ein kleiner leuchtender Frosch sitzt.

Offensichtlich ist unsere Wahrnehmung ziemlich eingeschränkt. Könnte es also sein, dass wir manchmal unsere Umgebung, unseren Alltag, unser Leben nicht so sehen können, wie sie in Wirklichkeit sind, sondern wie durch eine „Linse“, die alles verzerrt und nur das Negative hervortreten lässt?

Manchmal sind wir so unglücklich und frustriert, dass alles, was gut ist, für unsere Augen unsichtbar wird. Das, was wir dann noch sehen, führt dazu, dass wir uns ärgern, schimpfen, dagegen aufbegehren, mit zusammengepressten Lippen und geballten Fäusten durch unseren Tag gehen und gerne irgendjemandem die Schuld dafür geben würden, dass es uns so schlecht geht.

An wen wenden wir uns mit unserem Ärger? Lassen wir ihn an jemandem aus? Reden wir mit jemandem darüber oder pflegen wir einfach nur unsere schlechte Laune? Geben wir Gott die Schuld und murren darüber, wie undankbar er ist nach allem, was wir für ihn getan haben, oder gehen wir zu Gott und bringen ihm unseren Frust?

Interessant ist, was die Bibel dazu sagt. Klagen ist grundsätzlich nicht verboten. Das, was Gott nicht ausstehen kann, ist, wenn sein Volk über ihn murrt. Dieses Murren gegen Gott zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Volkes Israel, nachdem Gott es aus Ägypten geführt hat. Gott hat durch die ganzen Plagen und die Teilung des Roten Meeres bewiesen, wie mächtig er ist und dass er sein Volk retten will. Aber das Volk hört nicht auf, sich in seine Angst zu steigern und Gott zu unterstellen, dass er sie nur herausgeführt hat, um sie sterben zu lassen.

Gott bleibt dabei die ganze Zeit sehr geduldig, er versorgt sie mit Manna, mit Fleisch, mit Wasser. Aber als die Israeliten Kanaan erreichen und es für uneinnehmbar halten und darum unter viel Gemurre beschließen, Mose abzusetzen und unter einem neuen Anführer nach Ägypten zurückzukehren, sagt Gott zu Mose: „Wie lange wird mich dieses Volk noch verachten? … Wie lange soll es mir noch Vorwürfe machen? Ich habe ihre Klagen gehört“ (4. Mose 14,11.27).

Das Volk Israel beschwert sich über Gott hinter seinem Rücken und natürlich hört er es (er ist ja Gott) und ist verletzt und verärgert darüber. Sie sehen in ihm einen „Feind“, jemanden, der sie aus einem Land, in dem es ihnen ihrer verklärten Erinnerung nach gut ging, herausgelockt und sich dann von ihnen abgewendet hat, um sie vor den Toren des versprochenen Landes sterben zu lassen. Das ist ihre Wahrnehmung. Gott reagiert darauf, indem er ihre falsche Wahrnehmung zur „Realität“ werden lässt. Sie müssen weitere 40 Jahre durch die Wüste ziehen, jeder Angriff auf das Land Kanaan, den sie in dieser Zeit starten, wird ohne Erfolg sein. „Ihr sollt erleben, was es heißt, wenn ich mich abwende“ (Vers 34 Hfa).

Ganz anders reagiert Gott, wenn Menschen nicht hinter seinem Rücken gegen ihn aufbegehren, sondern mit ihren Klagen direkt zu ihm kommen. Hiob ist ein Beispiel dafür: „Ich will meiner Klage freien Lauf lassen und über meine tiefe Verbitterung reden. Ich will zu Gott sagen …“ (Hiob 10,1-2) und „Ich will meine Sache Gott selbst vortragen“ (Hiob 13,3).

Auch Jeremia bringt seinen Frust zu Gott: „Warum hören meine Schmerzen nicht auf? Warum wollen meine Wunden nicht heilen? Du hast mich enttäuscht, du bist wie ein Bach, der versiegt“ (Jeremia 15,18 Hfa). Gott hört Jeremia zu und antwortet ihm dann. Aber er verhängt keine Strafe, sondern gibt ihm eine neue Perspektive: „Kehr um zu mir, dann nehme ich dich wieder in meinen Dienst. Wenn du nicht leichtfertig daherredest, sondern das sagst, was Wert hat, wirst du mein Bote bleiben … Ich werde dich ihnen gegenüber stark machen wie eine Mauer aus Bronze. Sie werden dich bekämpfen – doch ohne Erfolg, denn ich bin bei dir und werde dich retten und bewahren“ (Jeremia 15,19-20).

Jeremia ist frustriert über seine Situation, er sieht zu diesem Zeitpunkt nur Dunkelheit in seinem Leben und bringt seine negativen Gefühle zu Gott. Gott hört ihm zu und antwortet ihm dann ungefähr so: „Deine Gefühle, Jeremia, sind verständlich, aber nicht angemessen. Irgendwie klingt da ziemlich viel Selbstmitleid durch. Wende dich von diesen Gefühlen ab und denke noch einmal darüber nach, was deinem Leben Wert gibt.“

Jeremia ist frustriert, weil er erkennt, dass seine ganzen Reden an das Volk Israel überhaupt nichts bringen, aber Gott sieht weiter und schenkt Jeremia neue Motivation. Er gibt ihm recht, dass es sich um boshafte, gewalttätige Menschen handelt, hilft ihm aber auch zu sehen, dass er als Gott bei ihm ist und ihn am Ende retten wird.

Die französische Karmelitin Thérèse von Lisieux sagte: „Mit Gott zu reden, so scheint mir, ist stets besser, als über ihn zu reden.“1 Und der Schweizer Hochschulevangelist Hans Bürki bemerkte einmal: „Wer aufhört, Gott zu klagen, der fängt an, sich über Gott zu beklagen – und endet womöglich kläglich.“

Gott findet es nicht gut, wenn wir hinter seinem Rücken über ihn murren. Natürlich weiß er, was uns ärgert. Aber genau wie meine Tochter fordert er uns auf: „Sag das doch! Komm zu mir und bitte mich um Hilfe. Breite deinen Ärger vor mir aus.“

Wenn wir im Gebet unsere Dunkelheit, unsere Einsamkeit, unseren Zorn und unsere Zweifel zu Gott bringen, hört er uns an und schenkt uns oft einen neuen Blick auf unsere Situation. Der Sturm in uns wird gestillt und unsere Wahrnehmung verändert sich. Da, wo vorher nur Dunkelheit war, erkennen wir auf einmal die „leuchtenden Frösche“, die die ganze Zeit da gewesen sind, die unsere Augen nur nicht sehen konnten, weil sie auf die falsche Frequenz eingestellt waren: Gottes Hand, die uns geführt und gehalten und vor dem Schlimmsten bewahrt hat, liebevolle Kleinigkeiten, mit denen wir auch an den dunkelsten Tagen versorgt werden, und Gottes Liebe und Nähe, die uns immer umgeben.

Dazu passt sehr gut eine Geschichte aus 2. Könige 6,15, in der Elisas Diener morgens aus dem Haus tritt und sieht, dass die ganze Stadt von feindlichen Soldaten umstellt ist, die der König geschickt hat, um Elisa zu holen. Der Diener ist voller Angst, aber Elisa bittet Gott, ihm die Augen zu öffnen, und da kann auch er sehen, was die ganze Zeit da war: Sie sind umgeben von feurigen Pferden und Streitwagen, die Gott ihnen zum Schutz gesandt hatte.

Ich wünsche dir das, was Paulus an die Epheser schreibt: „Er öffne euch die Augen des Herzens, damit ihr erkennt, was für eine Hoffnung Gott euch gegeben hat, als er euch berief, was für ein reiches und wunderbares Erbe er für die bereithält, die zu seinem heiligen Volk gehören“ (Epheser 1,18 NGÜ).

7

Zerbrochen

Ich liebe es, Geschichten zu erzählen, allerdings habe ich es als Kind damit einmal ziemlich übertrieben. Ich war etwa acht Jahre alt. Es war ein trister, trübsinniger Tag und ich hatte schon seit dem Morgen schlechte Laune, die sich auch nicht besserte, als ich mittags von der Schule nach Hause kam. Vor mir lag ein langweiliger Nachmittag mit nichts anderem in Aussicht als Hausaufgaben und lärmenden kleinen Geschwistern. Ich wollte am liebsten für den restlichen Tag in eine Decke gewickelt schmollend auf dem Sofa sitzen und in Ruhe gelassen werden.

Aber meine Mutter wollte unbedingt meiner schlechten Laune auf den Grund gehen und hörte gar nicht mehr auf, Fragen zu stellen. Da beschloss ich, dem Nachmittag etwas mehr Farbe und Drama zu verleihen und mir selbst ein wenig Mitleid zu sichern. Also erfand ich eine Geschichte von einem Mann, der mir am Morgen auf dem Schulweg aufgelauert und versucht hatte, mich zum Einsteigen in sein Auto zu überreden.

Leider hatte diese, wie ich fand, spannend erzählte Geschichte nicht den gewünschten Erfolg. Meine Mutter rannte mit Panik in den Augen zum Telefon und rief meinen Vater an seinem Arbeitsplatz an. Dieser kam sofort nach Hause und fuhr mit mir zum Polizeirevier. Dort musste ich alles noch einmal erzählen und viele Fragen beantworten, die die Erfindung vieler Details erforderten. Danach fuhren wir den restlichen Nachmittag in unserem Stadtteil herum auf der Suche nach einem kleinen roten Auto, das nur in meiner Fantasie existierte.

Gut, dass wir als Erwachsene keine Geschichten mehr erzählen. Jedenfalls keine über finstere Männer in kleinen roten Autos. Aber wir tun etwas anderes: Wir spielen Rollen. Schlüpfen in eine nach der anderen. Der kompetente Arbeitskollege, die kreative Mutter mit ihrem Bastelblog, der witzige Kumpel, die fürsorgliche vernünftige Tochter, der gelassene Familienvater, die Freundin, die immer einen Rat weiß und ihr Leben voll im Griff hat. Wir malen nach außen ein Bild von uns, das die anderen davon überzeugen soll, dass wir alles unter Kontrolle haben und dass es sich lohnt, uns zu kennen. Das ist auch eine Art von Geschichtenerzählen.

Manchmal verstecken wir uns auch hinter unserem Besitz und lassen ihn vor anderen ausposaunen, was für eine tolle Person wir sind. Kennst du noch die Werbung: „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“? Spielen wir unsere Statussymbolkarten ab und zu mal aus, um den anderen eine Geschichte darüber zu erzählen, wer wir angeblich sind?

An der australischen Ostküste lebt der Seidenlaubenvogel, der in der Balzzeit aus Zweigen und Ästen eine Liebeslaube baut. Aber welches weibliche Wesen lässt sich schon gerne in eine langweilige Holzlaube locken? Also beginnt der Vogel nach Fertigstellung, die Seitenwände und den Vorplatz zu dekorieren. Dabei bevorzugt er die Farbe Blau. Blaue Beeren, Blütenblätter, Schmetterlingsflügel, aber auch menschlichen Müll wie Wäscheklammern oder Trinkhalme werden als Schmuck verwendet. Und zuletzt malt das Männchen seine Laube auch noch blau an, wofür blaue Beeren mit den Füßen zertreten und entweder mit dem Schnabel oder mit einem kleinen Holzstückchen als Pinsel auf die Laube aufgetragen werden.

Jetzt sieht die Laube nicht mehr wie ein unscheinbarer Zweighaufen aus, sondern hat etwas Märchenhaftes und unterstreicht das glänzende Metallicblau der Seidenlaubenvogelfedern. Welches Weibchen kann da noch widerstehen? Natürlich sucht sie sich das Männchen mit der coolsten Deko aus! Es gibt übrigens auch noch einen Gelbnackenlaubenvogel, der nur gelbe Gegenstände verwendet, den Fleckenlaubenvogel, der auf die Farbe Grün spezialisiert ist, und den Graulaubenvogel, der alles in Weiß und Grau dekoriert.