Du sollst glücklich sein, mein Kind - Gisela Reutling - E-Book

Du sollst glücklich sein, mein Kind E-Book

Gisela Reutling

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Beschreibung

Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. Es war so heiß an diesem strahlendschönen Augusttag, dass die Luft über den Feldern flimmerte. Die Bäume schienen zu träumen, nur die Bienen und Schmetterlinge blieben geschäftig. Und jetzt flog eine Lerche auf, stieg jubilierend hoch in den tiefblauen Himmel. Margot sah ihr nach und lauschte entzückt ihrem Lied. Ihr Blick schweifte weiter über das sanft geschwungene, liebliche Land, über Täler und Höhen. Die kleinen Dörfer sahen wie Nester aus, in denen die Menschen sich wohl und geborgen fühlen konnten. Hier und da ragte ein Kirchturm wie ein treuer Wächter auf. Und dort, wo das Weideland aufhörte und der Wald begann, lag der Birkenhof, ein helles freundliches Bauernhaus mit leuchtend roten Geranien vor allen Fenstern und Heckenrosen über dem Toreingang. Margot pflückte eine Mohnblume am Feldrain und steckte sie sich ins oberste Knopfloch ihrer weißen Bluse, die sie zu einem einfachen blauen Leinenrock trug. Es war eine gute Idee gewesen, einmal Ferien auf einem Bauernhof zu machen. Wenn man mitten in einer Großstadt wohnte und Tag und Nacht den Verkehrslärm hörte, sehnte man sich nach ländlicher Stille, nach dem Geruch von Erde, Wald und Feld. Ihre Kolleginnen freilich hatten sie ausgelacht. Aber Margot kümmerte sich nicht darum. Sie stand immer etwas abseits; warum das so war, wusste sie selbst nicht. Sie wollte es nicht. Aber wenn die anderen sich zum Beispiel am Montagmorgen über ihre Erlebnisse am Wochenende unterhielten, mit wem sie getanzt und geflirtet hatten, dann konnte sie einfach nicht mitreden, weil sie zu Hause gesessen und gelesen hatte. Es war ihre Lieblingsbeschäftigung. Sie las so gern Gedichte, und das fanden alle sehr komisch. »Du bist wie dein Vater«, sagte ihre Mutter manchmal zu ihr, es klang scharf und abfällig.

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Seitenzahl: 152

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Mami – 2137 –Du sollst glücklich sein, mein Kind

Für dich verzichte ich gern auf alles

Gisela Reutling

Es war so heiß an diesem strahlendschönen Augusttag, dass die Luft über den Feldern flimmerte. Die Bäume schienen zu träumen, nur die Bienen und Schmetterlinge blieben geschäftig. Und jetzt flog eine Lerche auf, stieg jubilierend hoch in den tiefblauen Himmel.

Margot sah ihr nach und lauschte entzückt ihrem Lied.

Ihr Blick schweifte weiter über das sanft geschwungene, liebliche Land, über Täler und Höhen. Die kleinen Dörfer sahen wie Nester aus, in denen die Menschen sich wohl und geborgen fühlen konnten. Hier und da ragte ein Kirchturm wie ein treuer Wächter auf.

Und dort, wo das Weideland aufhörte und der Wald begann, lag der Birkenhof, ein helles freundliches Bauernhaus mit leuchtend roten Geranien vor allen Fenstern und Heckenrosen über dem Toreingang.

Margot pflückte eine Mohnblume am Feldrain und steckte sie sich ins oberste Knopfloch ihrer weißen Bluse, die sie zu einem einfachen blauen Leinenrock trug.

Es war eine gute Idee gewesen, einmal Ferien auf einem Bauernhof zu machen. Wenn man mitten in einer Großstadt wohnte und Tag und Nacht den Verkehrslärm hörte, sehnte man sich nach ländlicher Stille, nach dem Geruch von Erde, Wald und Feld. Ihre Kolleginnen freilich hatten sie ausgelacht.

Aber Margot kümmerte sich nicht darum. Sie stand immer etwas abseits; warum das so war, wusste sie selbst nicht. Sie wollte es nicht. Aber wenn die anderen sich zum Beispiel am Montagmorgen über ihre Erlebnisse am Wochenende unterhielten, mit wem sie getanzt und geflirtet hatten, dann konnte sie einfach nicht mitreden, weil sie zu Hause gesessen und gelesen hatte. Es war ihre Lieblingsbeschäftigung. Sie las so gern Gedichte, und das fanden alle sehr komisch.

»Du bist wie dein Vater«, sagte ihre Mutter manchmal zu ihr, es klang scharf und abfällig.

Margot blieb stehen und versuchte, ein Steinchen aus ihrer Sandalette zu schütteln. Als es ihr nicht gelang, setzte sie sich ins Gras und zog den Schuh aus. Ah, wie gut das tat, das weiche kühle Gras am bloßen Fuß zu spüren. Sie schlüpfte auch noch aus dem linken Schuh, und dann ließ sie sich zurücksinken und streckte sich wohlig.

Das war ein hübsches Plätzchen hier, am Rand eines Weizenfeldes. Die Halme standen mannshoch, schwer neigten sich die goldenen Ähren herab. Sicher würde dieses Feld auch in den nächsten Tagen abgeerntet werden.

Eine ganze Weile träumte sie so in den Himmel hinein. Ja, die Mutter hatte schon recht, den Hang zum Träumen, ihre Liebe für Bücher und Musik hatte sie vom Vater geerbt. Aber dafür konnte sie doch nichts, ebenso wenig wie für die Tatsache, dass sie ihm ähnlich sah. Auch das schien ihr die Mutter, so absurd es klang, heimlich zum Vorwurf zu machen.

Vielleicht war es gar nicht so absurd. Der Vater hatte sie vor zehn Jahren verlassen, und ihr Anblick mochte die Erinnerung an ihn immer wieder in ihrem Herzen lebendig werden lassen und es mit Bitterkeit erfüllen.

Margot und ihr Bruder Egon, damals zehn und zwölf Jahre alt, hatten in den darauffolgenden Jahren oft hören müssen, dass ihr Vater ein schlechter Mensch war. Verantwortungslos und leichtfertig. Das hatte weh getan, und sie hatte darüber heimlich viel geweint. Sie konnte nicht glauben, dass er schlecht war, er war nur anders, ganz anders als die Mutter.

Einmal hatte er sich eine Flöte gekauft, und sie hatte deshalb so lange mit ihm gezankt und ihn verspottet, bis er sie in eine Schublade legte und nie mehr hervorholte. Auch aus anderen, nichtigen Gründen hatte sie mit ihm gezankt. Margot erinnerte sich noch gut an sein müdes resigniertes Gesicht. Das Kind hatte hilflos dabeigestanden und das Gefühl gehabt, ihm helfen zu müssen, aber es hatte nicht gewusst, wie. Manchmal hatte er ihr über das Haar gestrichen oder sie flüchtig an sich gedrückt, und es war dann wie ein geheimes Band zwischen ihnen gewesen.

Eines Tages, nach einem Abend, an dem die Mutter ihm eine besonders hässliche Szene gemacht hatte, war er fortgegangen und nicht wiedergekommen. Aber er schickte regelmäßig Geld, damit sie keine Not leiden mussten. Und dann bat er seine Frau aus einem weit entfernten Ort, wohin er gezogen war, schriftlich um die Scheidung. Er wollte alle Schuld auf sich nehmen.

Dieser Nachsatz hatte der Mutter glühende Zornesröte ins Gesicht getrieben.

»Ja, habe ich mir denn vielleicht etwas zuschulden kommen lassen?«, rief sie empört aus.

Es war gewiss sehr schlimm, wenn ein Mann seine Familie im Stich ließ, und doch spürte schon das Kind Margot, dass ihn nicht die alleinige Schuld traf. Vor dem Gesetz vielleicht, nicht aber vor dem menschlichen Gewissen.

Die Sonne neigte sich schon dem Westen zu, ihr Schein wurde sanfter und goldener.

Margot stand auf, schüttelte ihr weiches hellbraunes Haar zurück, als wollte sie damit auch die Gedanken abschütteln. Sie war ja dumm, trüben Gedanken nachzuhängen! Schließlich hatte sie Urlaub, und die Welt war so schön hier.

Ihre Sandaletten behielt sie in der Hand, und barfuß lief sie auf dem Rasenstreifen weiter.

»Passen Sie nur auf, dass Sie nicht in eine Distel treten, das könnte Ihren hübschen kleinen Füßen schlecht bekommen!«, rief eine männliche Stimme ihr zu.

Sie wandte sich um, und ein Lächeln des Erkennens ging über ihr Gesicht.

»Hier gibts doch keine Disteln, Herr Althoff!«

»Doch, die gibts hier, Fräulein Camphausen!« Er betonte die beiden letzten Worte, dann lachte er, dass die weißen Zähne in seinem gebräunten Gesicht blitzten. »Müssen wir eigentlich so furchtbar förmlich sein? Wir wohnen in einem Haus, essen am gleichen Tisch. Ich heiße Günter, und wenn Ihnen der Name nicht gefällt, habe ich noch einen zweiten zur Auswahl: Claus. Für welchen entscheiden Sie sich, Margot?«

Nun lachte sie auch. »Woher wissen Sie denn meinen Vornamen?«

»Vom kleinen Willy, der Tante Margot sagen darf.«

»Ach so, natürlich.«

Er ging jetzt neben ihr auf dem Weg; und sie fühlte, dass er sie ansah. Sein Blick war für sie merkwürdigerweise wie eine leise streichelnde Berührung, und dass sie es so empfand, verwirrte sie. Auch bei den Mahlzeiten am großen runden Tisch in der Bauernstube schaute er sie manchmal an.

Zuerst hatte sie geglaubt, er sei auch ein Urlaubsgast, aber er war ein Student, der sich hier als Erntehelfer sein Taschengeld verdiente. Er war gesund, kräftig und schlank, und man sah ihm an, dass er zupacken konnte.

»Haben Sie heute Feierabend?«, erkundigte sie sich freundlich.

»Ja. Morgen früh um fünf gehts wieder raus. Man muss das gute Wetter ausnutzen.«

Sie lächelte. »Sie sprechen schon wie ein richtiger Bauer.«

Er nickte vergnügt. »Mir macht’s Spaß. Ich bin gern hier.« Wieder sah er sie an. »Aber Sie, Margot, wie sind Sie eigentlich in dieses entlegene Nest gekommen? Ist es nicht langweilig für Sie?«

»Nein, gar nicht. Ich las eine Anzeige in der Zeitung und dachte mir, dass es mir hier gefallen würde.« Sie erzählte ein wenig von sich: von der großen Stadt, in der sie lebte, von dem Büro, wo sie täglich acht Stunden arbeitete und nur selten einen Sonnenstrahl sah. »Deshalb genieße ich hier jeden Tag«, schloss sie.

Ein wenig nachdenklich lauschte Günter Althoff ihrer leisen warmen Stimme, und wieder einmal musste er denken, dass sie anders war als alle Mädchen, die er kannte. Und er wusste nicht, worin dieser Unterschied eigentlich bestand, und es reizte ihn, es herauszufinden.

Eine kleine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Der Birkenhof war nicht mehr fern, sie hörten schon das fröhliche Geschrei der spielenden Kinder, das Muhen der Kühe im Stall.

»Ich war eben noch im Dorf, weil ich etwas auf der Post zu tun hatte, deshalb bin ich auch nicht mit dem Bauern auf dem Leiterwagen heimgefahren«, sagte Günter Althoff wie nebenbei. »In der ›Krone‹ ist übermorgen Tanz. Hätten Sie Lust, mit mir dorthin zu gehen?«

Margot fühlte, dass sie rot wurde, und ärgerte sich darüber.

»Ich glaube nicht«, entgegnete sie ziemlich kurz und abweisend.

»Ich verstehe! Eine Großstädterin macht sich nichts aus dörflichen Tanzvergnügungen.« Er sagte es so einfach, als hätte er keine andere Antwort erwartet.

»Nein, das ist es nicht«, versicherte Margot schnell.

»Was ist es dann?« Forschend sah er sie an. »Haben Sie etwas gegen meine Begleitung?« Er lächelte ganz leicht.

»Nein, gar nicht…« Sie bückte sich, um ihre Schuhe anzuziehen, weil der Feldweg hier aufhörte. Und weil sie so verlegen war und es vor Günter Althoff verbergen wollte. Ich bin wirklich schrecklich linkisch und ungeschickt, dachte sie bekümmert. Mutter hat schon recht, wenn sie behauptet, ich würde ewig ein Mauerblümchen bleiben.

»Dann kommen Sie doch mit«, bat er. »Sie tanzen doch bestimmt auch gern?«

Sie richtete sich auf, und ihre Blicke trafen sich. Seine Augen waren blau und strahlten, und er hatte ein Lächeln, das unwiderstehlich war.

»Um die Wahrheit zu sagen: Ich weiß es nicht«, gestand sie mit einem kleinen Seufzer.

»Was wissen Sie nicht?«, fragte er verblüfft.

»Ob ich gern tanze. Ob ich überhaupt tanzen kann.«

»Natürlich können Sie tanzen! Ihre Bewegungen sind so leicht, so anmutig, dass es eine Freude sein muss, mit Ihnen zu tanzen.«

Er blieb stehen, nicht sicher, ob sie ihn nur necken wollte. Aber ihr Gesicht war ernst, und ihre Augen blickten ein wenig traurig.

»Wollen Sie sagen«, kam es langsam über seine Lippen, »dass Sie noch nie getanzt haben?«

»Ja, so ist es. Es kommt Ihnen sicher komisch vor.«

»Komisch? Nein.« Immer noch betrachtete er ihr Gesicht, und er hatte plötzlich den Wunsch, seine beiden Hände darumzulegen. »Ich verstehe es nur nicht. Sie leben in einer Großstadt, wo es so viel Vergnügungen gibt…«

»In einer Großstadt kann man viel mehr allein sein als irgendwo anders«, unterbrach sie ihn und ging weiter, wie um sich aus dem Bannkreis dieser Augen zu bringen, deren Blicke sie verwirrten und ihr Herz schneller schlagen ließen.

Sie war fast erleichtert, als der jüngste Sprössling des Bauern, der vierjährige Willy, ihnen jetzt auf ihrem Weg entgegengesprungen kam und sie dieses Gespräch nicht fortsetzen konnten.

»Tante Margot, Pussi hat Junge bekommen, willst du sie mal sehen?«, rief er und strahlte dabei über sein ganzes kleines pausbäckiges Gesicht.

»Natürlich möchte ich sie sehen!«

Margot ergriff Willys Hand und plauderte munter mit ihm, während Günter ziemlich schweigsam blieb.

Bevor Margot sich an diesem Abend niederlegte, stand sie noch lange am Fenster und blickte auf die vom Mond erleuchtete Landschaft. Im sanften Licht leuchteten die Birken wie reines Silber.

Ob sie seiner Einladung, am Samstag mit ihm auszugehen, folgen sollte? Es war verlockend, und es war zugleich gefährlich. Ja, sie gestand sich jetzt ein, dass sie sich in ihn verlieben könnte. Oder vielleicht war sie schon in ihn verliebt?

*

»Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass Sie tanzen können?«

Übermütig wirbelte Günter seine Partnerin herum, dass der weite Rock ihres bunten Kleides flog, dann fing er sie in seinen Armen auf, als der Tanz zu Ende war.

Sekundenlang lehnte Margot sich gegen ihn, ihr Atem ging rasch, sie hatte immer noch das Gefühl, zu schweben, zu fliegen!

Günter spürte ihren Herzschlag an seiner Brust, ihr Haar war dicht unter seinem Mund, locker und duftend, er streifte es mit seinen Lippen. Sie legte den Kopf zurück, ihr Gesicht war rosig überhaucht, die braunen Augen glänzten.

Da begann die Kapelle einen langsamen Walzer zu spielen, und sie brauchten sich nicht loszulassen, sondern sie bewegten sich im gleichen Takt, und während sie so über das Parkett glitten, war es, als gäbe es nur die einschmeichelnde Musik und sie beide auf der Welt.

Ein verträumtes Lächeln lag um Margots Mund. Sie hatte nicht gewusst, dass das Leben so schön sein konnte.

Die Stunden flogen dahin, die Stimmung wurde immer ausgelassener. Alle diese braun gebrannten, kräftigen Burschen und Mädchen hier im Saal hatten während der ganzen Woche hart gearbeitet, nun betrachteten sie es als ihr gutes Recht, fröhlich zu feiern.

Auch Margot war fröhlich. Sie hatte gar nicht gewusst, dass sie so fröhlich sein konnte.

»Sie sind entzückend, Margot«, sagte Günter, und das Lächeln, mit dem er ihr in die Augen sah, war hell und zärtlich. Es sank in ihr Herz, denn Zärtlichkeit hatte sie noch nie von einem Menschen empfangen.

Kurz nach Mitternacht brachen sie auf; es war jetzt sehr heiß im Tanzsaal und so laut, dass man kaum noch sein eigenes Wort verstehen konnte.

Draußen umfing sie die große Stille der Nacht. Es duftete stark nach Heu, und in der warmen sanften Luft war noch ein wenig von der Kraft der Sonne, die den ganzen Tag lang gebrannt hatte.

Sie ließen das Dorf hinter sich und gingen über eine Brücke, die sich über ein ausgetrocknetes Flüßchen spannte. Eine einsame Laterne spendete ein mattes Licht.

Sie hatten bis jetzt auf ihrem Weg nicht viel gesprochen, doch plötzlich, mitten auf der Brücke, blieb Günter stehen und sagte: »Ich habe heute Abend ein großes Erlebnis gehabt. Ich habe mich verliebt.«

Margot überkam ein Gefühl der Spannung und Erregung wie in einem Augenblick der Gefahr. Aber sie wehrte sich dagegen und versuchte ein Lächeln.

»Das erleben Sie sicher nicht zum ersten Mal, oder?«

Er hob die Hände und legte sie leicht um ihre Arme.

»Aber so war es noch nie«, murmelte er. »Und es geht dir doch genauso wie mir, Margot«, fügte er leise hinzu.

Sie sah sein Gesicht im halben Licht der Laterne, es kam ihr unendlich vertraut vor, als hätte sie es immer gekannt. Ein starkes, lebendiges, entscheidendes Gefühl erwachte in ihr, durchpulste sie und schien sie hoch emporzutragen, dorthin, wo es keine Fragen und Zweifel mehr gab.

»Ja«, sagte sie leise, als Antwort auf seine letzten Worte.

Da nahm er sie in seine Arme. Sie schloss die Augen, und seine Lippen fanden die ihren. Er küsste sie zuerst zart und behutsam, dann heißer und leidenschaftlicher.

»Mein Liebling«, flüsterte er, »ich liebe dich.«

»Ich liebe dich, Günter.«

Es war unaussprechlich süß, diese Worte zu hören und sie zu erwidern. Sie zitterte vor Glück und erwiderte seine Küsse, vom selben Feuer erfasst wie er.

Ein Wind kam auf, fuhr durch die Bäume, dass es klang, als raunten und wisperten die Blätter. Immer, wenn Margot sich später an diese Küsse erinnerte, war es ihr, als höre sie wieder den Nachtwind in den Bäumen rauschen.

Sie brauchten lange für den Heimweg, denn sie blieben oft stehen, um sich zu küssen und zärtliche Worte zu flüstern.

In dieser Nacht schlief Margot mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen ein.

*

In den nächsten Tagen hielt das schöne Wetter unvermindert an, und die Erntearbeiten waren in vollem Gange.

Margot bewunderte Günters Fleiß und seine Tüchtigkeit und freute sich, wenn sie merkte, dass alle ihn gern mochten.

Es war für sie selbstverständlich, dass sie ihre Liebe geheimhielten. Tagsüber sahen sie sich ja auch nur bei den gemeinsamen Mahlzeiten, und wenn sie abends einen Spaziergang zusammen machten, so fanden das der Bauer und die Bäuerin ganz in Ordnung.

Ach, diese Sommerabende voller Zauber und Duft, voll heimlicher Küsse und Zärtlichkeiten!

»Ist das immer so bei Verliebten«, sagte sie jetzt, als sie sich lächelnd und etwas atemlos aus seinen Armen frei machte, »dass sie zu keinem vernünftigen Gespräch kommen?«

»Was nennst du ein vemünftiges Ge?spräch?«, entgegnete er und strich ihr verliebt eine Haarsträhne aus der Stirn. »Gibt es etwas Wichtigeres, als dir zu sagen, dass du süß bist und dass ich dich liebe?«

Diesmal entschlüpfte sie ihm, als er sie wieder an sich ziehen wollte.

»Ich möchte dich noch so vieles fragen, Liebster. Nächsten Samstag ist mein Urlaub zu Ende, dann muss ich heim…« Sie stockte. Heim? Ihr war, als sei ihre Heimat jetzt bei dem geliebten Mann.

»Denke noch nicht daran«, sagte er rasch. »Es ist noch eine ganze Woche.«

»Nein, ich will noch nicht daran denken. Aber ich möchte mir vorstellen können, wenn wir... nicht mehr beisammen sind«, ihre Stimme zitterte ein bisschen, »wie du lebst, was du tust…«

»Ich studiere Volkswirtschaft, Margot, und ich lebe wie jeder andere Student. Ich höre Vorlesungen und pauke in meiner bescheidenen Bude für das bevorstehende Examen. Es ist nur ein Zwischenexamen, denn ich bin ja erst zweiundzwanzig, und bis ich fertig bin, werden noch einige Jahre vergehen.« Es klang nicht sehr fröhlich.

Unwillkürlich griff Margot nach seiner Hand und sah ihn an mit einem Blick, in dem ihre ganze gläubige Liebe lag.

Das macht nichts, sagte dieser Blick, ich werde auf dich warten!

»Mein Vater«, fuhr Günter fort, »hat eine kleine Fabrik irgendwo im Rheinland – der Ort ist so winzig, dass du ihn bestimmt nicht einmal dem Namen nach kennst. Aber er befindet sich ständig in Schwierigkeiten, die großen Konkurrenten erdrücken ihn. Es fällt ihm gar nicht so leicht, mich studieren zu lassen. Aber ich bin der einzige Sohn, und er möchte, dass ich es einmal leichter habe als er. Vater hat ganz klein angefangen.«

Still hörte Margot ihm zu, und sie liebte ihn sehr, während er so erzählte. Denn auch das gehörte nach ihrer Meinung zur Liebe: Dass man einander vertraute und auch die Sorgen gemeinsam trug. Doch Günter schien anderer Meinung zu sein.

»So, aber jetzt genug davon«, unterbrach er sich, »wir wollen lieber fröhlich sein und die Stunden genießen! Sieh mal, da unten ist ja die alte Wassermühle, von der der Bauer uns erzählt hat!«

Margot folgte seinem Blick und stieß einen Laut des Entzückens aus. Mitten im Wald lag das kleine Haus aus dunkelbraun verwitterten Baumstämmen. Fast genauso hoch wie das weit übergezogene Dach war das große Mühlrad an der Seite des Hauses, neben dem plätschernd der Mühlbach floss. Es war ein Anblick wie aus einem alten Bilderbuch.

Mit halblauter Stimme und einem kleinen Lächeln zitierte Margot:

»In einem kühlen Grunde, da geht ein Mühlenrad, mein’ Liebste ist verschwunden, die dort gewohnet hat.«

Als sie schwieg, fuhr Günter lächelnd fort:

»Sie hat mir Treu’ versprochen, gab mir ein’n Ring dabei, sie hat die Treu’ gebrochen, das Ringlein sprang entzwei.«

Verträumt schaute Margot auf die Mühle, die im letzten Schein der Abendsonne vor ihnen lag.

»Wie schön, dass du das Lied auch kennst…«

»Das haben wir doch in der Schule gelernt!«, antwortete Günter lebhaft. »An diesem romantischen Platz fallen einem wahrhaftig die alten Volkslieder wieder ein.«

Er setzte mit einem Sprung über zwei umgestürzte Baumstämme und half ihr herüber. Margot blieb vor ihm stehen und sah ihm in die Augen.

»lch werde dir nie die Treu’ brechen, Günter«, kam es leise und innig über ihre Lippen.