Du willst mich, aber... - Christina Stöger - E-Book

Du willst mich, aber... E-Book

Christina Stöger

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Beschreibung

Anja hat ihr Leben neu organisiert, ist umgezogen und auch die Affäre mit Alex gehört der Vergangenheit an. Denkt sie zumindest, bis ... bis dieser Brief ins Haus flattert. Hochzeit? Alex wird seine Verlobte Emma heiraten und sie soll dabei sein? Ob das eine gute Idee ist? Alte Wunden reißen auf, lassen Anja zwischen Vergangenheit und Zukunft schwanken. Think pink ist ihr neues Lebensmotto, doch die Welt ist nicht immer rosarot. Wird sie Alex endlich loslassen können? Die heitere und erotische Liebesgeschichte von Anja, Alex und Emma ist die Fortsetzung des Romans: "Ich will dich, aber ...".

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 - Zurück in die Vergangenheit

Kapitel 2 - Der Brief

Kapitel 3 - Das Hochzeitsgedicht

Kapitel 4 - Hochprozentige Wahrheiten

Kapitel 5 - Das erste Mal

Kapitel 6 - Zufall oder Schicksal?

Kapitel 7 - (M)ein letztes Mal

Kapitel 8 - Der Abend vor der Hochzeit

Kapitel 9 - Ein Gefallen für die Braut

Kapitel 10 - Dr. Helfsberg – Nomen est Omen

Kapitel 11 - Rosa, Frösche und Doktoren

Kapitel 12 - Schwungvolle Begegnung

Kapitel 13 - Das Spiel geht weiter

Kapitel 14 - Geburtstagsüberraschung

Kapitel 15 - Alles kommt, wie es kommen muss

Kapitel 16 - Zweieinhalb Monate später

Danksagung

Kapitel 1 - Zurück in die Vergangenheit

»Wie sieht es aus, Anja? Kommst du noch mit auf einen Absacker ins 'Magic IN'?« Fibi steht in der geöffneten Aufzugtür und wartet auf mich.

»Nein, keine Lust. Ich muss noch so viel erledigen«, schüttle ich entschuldigend den Kopf und springe zu ihr in die Kabine. Die metallenen Türen schließen und der Aufzug setzt sich in Bewegung. Meine Arbeitskollegin Fibi ist mir in den letzten drei Monaten sehr ans Herz gewachsen und ich enttäusche sie nur ungern, doch ich habe schlichtweg keinen Bock mich heute Abend noch zu etwas anderem, als meiner Dusche, meinem Bett und meinem Buch aufzuraffen. Mein Kopf dröhnt von den vielen Informationen, die ich wieder erhalten habe und meine Füße schmerzen. Drei Besichtigungen standen allein heute auf dem Programm und die Herrschaften zählten wirklich nicht zur Kategorie 'pflegeleicht'. Doch ich habe es mir selber ausgesucht. Seit Beginn des Jahres hat sich mein Leben wieder einmal um hundertachtzig Grad gedreht. Aus der netten, kleinen Wohnung auf dem Land ist plötzlich ein Haus am Rande der Großstadt geworden. Meine Oma hat es mir vermacht, nachdem sie überraschend ins Altersheim gezogen war. Oder besser gesagt: umgezogen wurde. Freiwillig hätte sie das nie getan. Allerdings weiß ich auch, dass es besser für sie ist, da sie sich alleine nicht mehr versorgen kann. Mir kam das allerdings sehr gelegen, denn wenige Tage vorher hatte ich durch Zufall ein Stellenangebot einer Immobilienfirma in der Zeitung gefunden. Spontan rief ich dort an, wurde noch am selben Tag eingeladen und bekam nach einem kurzen, aber sehr informativen Vorstellungsgespräch den Job. Die Aufstiegschancen sind super und ich habe endlich wieder eine Zukunftsperspektive. Außerdem brachte die Arbeitsplatzverlagerung einige Kilometer Abstand zwischen mich und Alex.

»Na, dann aber nächste Woche, okay?« Fibi reißt mich aus meinen Gedanken und ich nicke automatisch.

»Versprochen«, lächle ich ihr zu und streiche mir eine blonde Strähne meines kurzen Haares aus den Augen. Ich müsste dringend wieder zum Frisör! Aber auch dazu kann ich mich im Moment nicht aufraffen.

»Alles klar, schönen Feierabend«, ruft Fibi mir zu, nachdem sie eilig den Aufzug verlassen hat und zu einer Gruppe wartender Frauen eilt. Ich erkenne Claudia und Sabine, zwei weitere Arbeitskolleginnen, die zusammen mit Fibi und mir im selben Stockwerk arbeiten. Die anderen Damen kenne ich nur flüchtig. Wahrscheinlich aus einer anderen Abteilung, vermute ich. Überschwänglich wird sie begrüßt und die Ladies machen sich auf den Weg in Richtung Feierabend-Cocktail. Irgendwie beneide ich sie schon, doch zurzeit fehlt mir ganz einfach die Kraft. Außerdem folge ich dem sehnsuchtsvollen Ruf meines Bettes. Allein der Gedanke daran lässt meine Mundwinkel nach oben schnellen.

Eine knappe halbe Stunde später stehe ich mit zwei Einkaufstüten in der Hand vor meiner Haustür und zerre den Schlüssel aus der riesigen, roten Handtasche, die perfekt zu meinem schwarzen Businessoutfit passt, bestehend aus einem kurzen Blazer, einer weißen Bluse und dunklen High Heels. Warum Frauen solche Taschenmonster mit sich herumschleppen, war mir bis vor Kurzem noch ein Buch mit sieben Siegeln. Wer braucht schon seinen halben Hausstand am Arm? Geldbeutel, Schlüssel, Taschentücher – reicht doch. So hatte ich zumindest gedacht, bis ich an dem Tag, als ich meinen neuen Arbeitsvertrag unterschrieben hatte, in einem Schaufenster diesen Traum in Leder sah. Groß, rot, auffällig. Meine! Ich liebe sie und könnte auch nicht mehr darauf verzichten. In meinem früheren Leben, das gefühlt bereits einige Jahrhunderte zurückliegt, hätte ich so ein auffälliges Ungetüm niemals gekauft. Doch die Zeiten haben sich geändert. Ich habe mich geändert. Kurz nachdem mich Florian verlassen hatte, um sein Glück in Boston zu versuchen, begann meine Wandlung von der grauen Maus, oder besser gesagt vom blonden Püppchen, zur taffen Geschäftsfrau. Auch die kurze Affäre mit Alex hat mein Selbstbewusstsein aufpoliert und ich habe erkannt, dass ein Singleleben durchaus seine Vorteile haben kann. Zumindest dann, wenn ein gutaussehender Typ die sexuellen Vorlieben befriedigt und einen sonst in Ruhe lässt. Keine nervigen Anrufe, Erklärungen oder Vorschriften. Nicht mal seine Unterhosen oder Socken muss ich waschen. Dafür ist seine Verlobte zuständig. Beim Gedanken an Alex läuft mir eine Gänsehaut über den Rücken und ich schüttle entschlossen den Kopf. NEIN! VERGANGENHEIT! Ich will einfach nicht an ihn und seine magischen Finger denken. »Wir sind nur Freunde! Wir sind nur Freunde …«, murmle ich wie ein Mantra vor mich hin und belüge mich damit nur selbst. Aber was soll ich auch sonst machen? Alex ist vergeben und wird in Kürze Emma, meine damalige Freundin, heiraten. Unsere Lovestory ist damit eindeutig beendet. Ich wollte das damals so. Und ich will es immer noch! Eigentlich...

Genervt seufze ich auf, trage meine schweren Taschen, in denen sich lauter Leckereien befinden, durch den kurzen Flur und stelle sie auf der Küchentheke ab. Warum muss ich nur in letzter Zeit wieder so oft an die beiden denken? Es ist Mitte Mai und das letzte Mal, als ich mit Emma telefoniert habe, war in meiner alten Wohnung. Das ist jetzt drei Monate her. Vielleicht sollte ich mich mal wieder bei ihr melden? Schließlich waren wir mal Freundinnen. Sind wir es noch? Ich weiß es nicht. Kann man auf Dauer mit einem Menschen befreundet sein, auch wenn man sich nicht regelmäßig meldet? Bei manchen mag das klappen. Bei mir und Emma auch? Vielleicht sollte ich sie fragen, wie es mit den Hochzeitsvorbereitungen läuft? Einfach nur so. Ohne Hintergedanken, ohne nach Alex zu fragen … Ach! Wem mache ich etwas vor? Natürlich will ich wissen, ob sie noch zusammen sind oder ob er endlich frei ist. Für mich. Dann würde ich keine Sekunde zögern und...aber wäre es so, dann hätte er sich doch schon lange bei mir gemeldet, oder? Und genau das hat er eben nicht getan! Schon seit Monaten nicht mehr. Ob er mich vergessen hat? Ob seine Worte »Wir bleiben Freunde, Anja«, nur heiße Luft waren? Mein Kopf dröhnt und ich reibe mir mit den Fingerspitzen über meine Schläfen. Wenn dieses Gedankenkarusell nicht bald aufhört, dann werde ich irgendwann echt wahnsinnig...

»Moin, Frau Leger«, schallt eine hohe, weibliche Stimme durch den Flur und ich lasse vor Schreck beinahe die Packung Eier, die ich eben in den geöffneten Kühlschrank schieben wollte, fallen. Mein Herz rast und ich drehe mich ruckartig herum. Die Haustür steht sperrangelweit offen und meine neugierige Nachbarin, Frau Rehnig, füllt den Türrahmen aus. Puh! Vorsichtig lege ich die Eier auf der Theke ab, schließe die Kühlschranktür und trete ihr einige Schritte entgegen. Habe ich es wohl mal wieder nicht geschafft, der Tür mit dem Fuß genug Schwung zu verpassen, sodass sie einrastet oder ist das Schloss kaputt? Muss ich nachher dringend überprüfen. Wenn Frau Rehnig wieder weg ist, was hoffentlich bald der Fall sein wird. »Entschuldigen Sie bitte. Ich wollte Sie nicht erschrecken.«

»Kein Problem, Frau Rehnig. Was gibt es denn? Brauchen Sie wieder mal Eier? Habe gerade welche gekauft. Oder Milch? Alles da.« Die Worte klingen selbst in meinen Ohren patzig, doch ich kann die alte Dame gerade wirklich nicht gebrauchen. Frau Rehnig, Nadine Rehnig, ist nicht unbedingt die Nachbarin, die man sich wünscht. Gut, sie ist alt, etwas über siebzig schätze ich, aber dafür noch sehr rüstig und absolut in der Lage, sich ihre Lebensmittel vom Laden, der sehr gut zu Fuß zu erreichen ist, selbst zu besorgen. Warum muss sie dann zu jeder Tages- und manchmal auch Nachtzeit bei mir vor der Tür stehen und sich etwas 'leihen'? Zurückgegeben hat sie nämlich bisher noch nie etwas.

»Nein, Frau Leger. Ich habe alles. Aber danke der Nachfrage. Dieses Mal habe ich sogar etwas für Sie. Der Postbote hat zwei Briefe bei mir abgegeben, da er offenbar Ihren Kasten nicht finden konnte. Da ich ohnehin gerade im Garten zum Blumengießen war, habe ich sie freundlicherweise entgegengenommen.« Wie nett. Ich bin beeindruckt. Sonst findet der Postbote meinen Briefkasten doch auch. Ich vermute, dass sie einfach nur neugierig war. Wie immer. Doch ich werde mich hüten irgendetwas darüber zu sagen. In den drei Monaten, in denen ich hier wohne, habe ich bereits verstanden, dass es besser ist, sie zur Freundin zu haben. Sie hört und sieht wirklich alles. Kunststück, wenn man den ganzen Tag im Garten oder, wenn es regnet, am Fenster verbringt und die Leute beobachtet. Die einen haben Wachhunde, wir hier haben Frau Rehnig. »Haben Sie schon gesehen wie schön die Blüten dieses Jahr aufgegangen sind?« Schnellen Schrittes eilt die knapp siebzigjährige Frau auf mich zu und schildert mir wort- und gestenreich, was sie heute im Garten alles geschafft hat. Es ist mir sowas von egal! Ich will meine Ruhe! Augenblicklich! Doch wie immer kann ich sie in ihrem Redefluss nicht unterbrechen und höre nur mit halbem Ohr zu.

»... und der Gärtner. Also, das kann ich Ihnen sagen ...« Ihre Stimme wird immer aufgeregter und ich weiß genau, dass sie sich wieder einmal über unseren Nachbarn von gegenüber aufregt. Ich kenne die Geschichte mittlerweile auswendig und auch diese interessiert mich nicht im Geringsten! Um mich wenigstens zu beschäftigen und nicht wie apathisch neben ihr zu stehen, räume ich den Rest meiner Tüten aus und verfrachte alles in die Schränke. Ihre Stimme dröhnt wie das Knattern eines Presslufthammers in meinem Kopf und verursacht mir Schmerzen. Aufhören!

»Oder? Was sagen Sie dazu? Frau Leger? Hören Sie mir überhaupt zu?«

»Wer? Ich? Ach so … Natürlich. Ich sehe das genauso«, antworte ich stotternd. Erwischt. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon sie redet. Wie peinlich.

»Das habe ich mir bereits gedacht und Sie deswegen auch angemeldet. Ich bin froh, dass Sie mitmachen.« Ähm … Verdammt. Ich habe eindeutig den wichtigsten Teil verpasst.

»Frau Rehnig«, beginne ich zaghaft. »Bitte entschuldigen Sie, aber können wir darüber ein anderes Mal reden? Mein Tag war anstrengend, ich muss morgen wieder früh raus und ...« Mit hängenden Schultern stehe ich der Frau gegenüber, die noch immer zwei Briefe für mich in den Händen hält und damit herumwedelt.

»Aber natürlich, Kindchen. Sagen Sie das doch gleich. Ich will Sie auch nicht länger aufhalten. Bis Mitte Juli ist schließlich noch etwas Zeit.« Ich nicke, als wüsste ich genau, wovon sie spricht. Das werde ich schon noch früh genug erfahren. Hoffe ich.

»Danke, Frau Rehnig«, lächle ich und zeige gleichzeitig auf die beiden weißen Umschläge. »Meine Briefe?«

»Ach, die hätte ich jetzt beinahe vergessen. Bitte sehr. Und denken Sie endlich daran, Ihr Namensschild am Briefkasten anzubringen. Ihre Großmutter hatte auch immer ein Problem damit, wie Sie bestimmt wissen und deshalb ...« Erneut holt sie tief Luft. NEIN! Bevor mir der Geduldsfaden endgültig reißt, schiebe ich sie sanft aber mit Nachdruck den Flur entlang und auf die Straße hinaus.

»Schönen Abend noch, Frau Rehnig«, rufe ich ihr hinterher und lasse die Tür ins Schloss fallen. Erleichtert lehne ich mich dagegen, streife die High Heels von meinen Füßen und atme befreit auf. Feierabend! Endlich! Die zwei Briefe können auch bis morgen warten. Jetzt gönne ich mir erst mal ein duftendes Schaumbad.

Kapitel 2 - Der Brief

Die Kaffeemaschine blubbert leise vor sich hin, aus dem kleinen Radio im Bad dringt sanfte Musik und ich überlege angestrengt, was mir zur Entspannung noch fehlt. Mein Hirn ist wie leergefegt. Der Tag war eindeutig zu anstrengend. Ach was, nicht nur dieser Tag ...Die ganze Woche war stressig. Der Monat! Ich seufze auf und schlurfe in die Küche. Der Kaffee ist fast fertig und ich greife nach der erstbesten Tasse im Regal. Sie ist riesig, unheimlich schwer und vorne prangt ein rot-weißer Leuchtturm drauf. Ist es Zufall, dass ich gerade diese Tasse erwische? Nachdenklich drehe ich sie in meinen Händen und muss dabei unweigerlich an Alex denken, der sie mir damals mit den Worten: »damit wir immer auf unsere Freundschaft anstoßen können, wenn ich bei dir Kaffee trinke«, schenkte. Ich sehe sein freches Grinsen in diesem Moment fast vor mir. Pah! Freundschaft! Warum hat er sich denn nicht mehr bei mir gemeldet, wenn wir doch so gute Freunde sind? Meine Gedanken triefen vor Sarkasmus. Gut, ich bin umgezogen, hatte viel Stress, den ich immer noch habe, und mich auch nicht bei ihm gemeldet, als ich mich kurz nach dem Besuch mit Emma und den anderen Mädchen im Brautmodengeschäft abgeseilt habe. Und dennoch ... er war doch derjenige, der nur noch die Vorbereitungen für seine Hochzeit im Kopf hatte. Ich war ja auf einmal nicht mehr wichtig. Uhaaa! Idiot. Alles nur leere Worte und scheinheilige Versprechungen. Wütend fülle ich den heißen Kaffee in die Tasse, hole die angebrochene Packung Milch aus dem Kühlschrank und gieße sie darauf. Wenn ich diese Leuchtturm-Tasse nicht so sehr lieben würde, dann hätte ich sie schon lange entsorgt. Doch ich bringe es einfach nicht über mich. Aus welchen Gründen auch immer. In Gedanken noch immer bei Alex und dem Moment, als er mir sein Geschenk übergab, führe ich eben jenes an meinen Mund und nehme sehnsüchtig einen Schluck des göttlichen Gebräus – um es gleich darauf wieder auszuspucken. Die Milch ist schlecht! Scheiße! Ich hasse nichts mehr, als den Geschmack saurer Milch in meinem Kaffe. Wie zum Hohn dringt genau in diesem Moment ein Lied aus meinem kleinen Küchenradio, das ich irgendwann unbewusst eingeschaltet haben muss, an meine Ohren. »Heute gibt’s keine Milch«, schmachtet der Künstler auf Englisch und trotz meines schlechten Geschmacks im Mund, muss ich lachen. Na, das passt. Ich habe zwar eben neue Milch gekauft, doch mir ist die Lust auf Kaffee gründlich vergangen. Dann trink ich eben Sekt. Ist mir ohnehin lieber, denn so muss ich diese Scheißtasse nicht länger anstarren. Vielleicht sollte ich sie doch endlich entsorgen?! Aber ich hänge an ihr. Oder an Alex? Warum dieser sich seit einiger Zeit wieder so vehement in meine Gedanken schleicht, weiß ich echt nicht. Ich dachte wirklich, ich hätte es hinter mir.

Mit einer kleinen Flasche Sekt, die ich neulich von einer Freundin geschenkt bekommen habe, und einem stilvollen Glas, mache ich mich erneut auf den Weg ins Badezimmer. Der beruhigende Lavendelduft, den ich im Wasser so sehr liebe, dringt bereits bis in die unteren Räume und lockt mich beinahe magisch an. Entspannung ist angesagt. Doch gerade als ich die Treppe nach oben gehen will, fällt mein Blick auf die Kommode im Flur. Da liegen die zwei Umschläge und ...Verdammt! Die Handschrift des oberen ...Nein! Das kann nicht sein! Mein Herz beginnt zu rasen und mein Magen rebelliert. Mir wird schlecht. Langsam lasse ich mich auf die unterste Treppenstufe sinken. Das kann nicht sein ...und doch muss ich es wissen! Jetzt! Sofort! Nachdem sich mein Pulsschlag einigermaßen beruhigt hat, greife ich mit spitzen Fingern nach dem oberen Schriftstück und drehe es hin und her. Auf dem weißen Umschlag, der mit goldenen Blütenranken kunstvoll verziert ist, erkenne ich eindeutig die Handschrift des Absenders. Unter tausend Schriften würde ich dieses geschwungene L erkennen, das mir geradezu entgegenspringt. Der Brief war ursprünglich an meinen alten Wohnort adressiert, wurde aber von der Post richtig weitergeleitet. Dem Nachsendeauftrag sei Dank. Wie lange das Schreiben unterwegs war, kann ich zwar nicht entziffern, doch nun weiß ich mit Bestimmtheit, dass sie meine neue Anschrift nicht kennen. Hätte dieser Brief nicht irgendwo im Nirvana verschwinden können? Ich weiß genau, was ich darin finden werde. Mit zittrigen Fingern reiße ich das längliche Kuvert auf und eine Einladungskarte fällt mir entgegen. Ich könnte kotzen! Hab ich's doch gewusst! Natürlich sind sie noch zusammen und werden heiraten! Verdammt. Bevor ich anfange zu lesen, öffne ich die kleine Flasche, schütte die Hälfte des Inhaltes in mein Glas und trinke einen Schluck. Das Prickeln auf meiner Zunge beruhigt meine Nerven und nach einigen Minuten siegt die Neugier und ich bin bereit, mich dem Text zu widmen.

»Liebe Anja«, steht in goldenen Buchstaben auf einer dunkelroten Karte. Lieb. Lieb?! Ich bin nicht lieb! Ich habe deinen Mann gevögelt, du doofe Kuh! Vorbei ist es mit der Entspannung. Ich bin wütend, enttäuscht und ...traurig. Es hätte so schön sein können.

»Wir freuen uns, Dich und Deine Begleitung zu unserer Hochzeitsfeier am 25.05. einladen zu dürfen. Wir feiern unsere Liebe im Schlosshotel Bad Seelingburg gemeinsam mit unseren Freunden und Verwandten ab 16 Uhr. Die kirchliche Trauung, zu der wir Dich ebenso herzlich einladen, beginnt zwei Stunden früher in der Dorfkirche. Wir hoffen sehr, dass Du Dir die Zeit nimmst und mit uns diesen wundervollen Tag feiern wirst. Bitte gib uns rechtzeitig Bescheid. Herzliche Grüße Emma und Alex.« Begleitung? Ich habe keine! Wen soll ich denn mitbringen, wenn ich solo bin? Sehr lustig. Alex kann ich schlecht fragen. Und wann, bitte, soll ich ihr Bescheid geben? Die Hochzeit ist doch bereits nächste Woche. Oh man! Das bedeutet, ich muss sie wirklich anrufen und absagen. Oder? Was soll ich ihr sagen? Dass ich nicht komme, weil … ja, weil was? Weil ich nicht an ihre Liebe glaube? Wenn Emma wüsste, was ihr Alex so getrieben hat, dann ...Tränen der Enttäuschung, der Hilflosigkeit und der Wut rinnen an meinen Wangen hinunter. Ich weiß, dass ich unfair bin. Aber das ist mir gerade vollkommen egal! Ich sollte diejenige sein, die zum Altar geführt wird. Ich sollte den Ring am Finger tragen und nicht Emma, die doofe Kuh! Der letzte Rest der kleinen Sektflasche wandert in meinen Magen und der Alkohol breitet sich wohltuend in meinem Körper aus. Seit dem Drama mit Florian auf dem Maskenball habe ich keinen Schluck mehr getrunken. Warum dann heute? Warum muss das alles wiederkehren? Gerade als ich die Karte wutentbrannt in die Ecke werfen will – natürlich werde ich da niemals hingehen! - entdecke ich auf der Rückseite noch eine handgeschriebene Nachricht.

»Liebste Anja. Hoffentlich geht es dir gut und du bist glücklich. Ich wünsche mir so sehr, dass du an diesem Tag bei mir sein kannst, denn ich vermisse dich und brauche deine Unterstützung. Auch würde ich mich sehr freuen, wenn wir mal wieder etwas gemeinsam unternehmen. Sei herzlich umarmt von deiner Freundin Emma.« Ich schlucke schwer. Emma! Warum ist sie nur so nett zu mir? Warum nennt sie mich noch immer ihre Freundin? Schließlich habe ich sie mit ihrem Verlobten betrogen! Verdammt! Alkohol! Ich brauche dringend noch mehr zu trinken, um das Drama besser ertragen zu können. Ich hatte doch noch irgendwo eine Flasche Rotwein, die ich neulich als Reserve mitgenommen habe. Als hätte ich es gewusst und ...AH! Das Badewasser! Stolpernd stürze ich die Treppe hinauf und schließe den Hahn gerade noch rechtzeitig, bevor das Wasser über die Kante tritt. Dass ich mir dabei den kleinen Zeh an der Badezimmertür anschlug, registriere ich erst wenige Sekunden später, als der pochende Schmerz mein gestresstes Gehirn erreicht. Was für ein Scheißtag!

Kapitel 3 - Das Hochzeitsgedicht

Jetzt brauche ich die Entspannung noch viel dringender. Seufzend lasse ich mich in das duftende Badewasser gleiten, das mich komplett umgibt, und die Spannung fällt langsam von mir ab. Es ist, als würde das Nass meine Sorgen einfach so hinfort spülen. Ich bin froh, dass das Haus meiner Großmutter Johanna eine Badewanne hat. Ohne könnte ich nicht leben. Genauso wenig, wie ohne meinen geliebten Kaffee oder mein Himmelbett. Allerdings ist das Letztere neu. Es war schon immer mein Traum, mir eine große, kuschelige Schlafstätte zuzulegen. Und genau diesen Traum habe ich mir kurz nach dem Einzug erfüllt. Jeden Abend ist es ein Genuss, wenn ich mich in die weichen Kissen und Decken fallen lassen kann und mich sicher und behütet fühle. Das kleine Haus am Rande der Großstadt war mit seiner großen Küche, dem gemütlichen Wohnzimmer und dem lichtdurchfluteten Badezimmer genau neben dem Schlafzimmer im ersten Stock, schon früher ein Traumhaus für mich. Ich hatte damals sogar mein eigenes Kinderzimmer. Heute wird es als Abstellkammer zweckentfremdet. Vielleicht werde ich irgendwann einmal eigene Kinder haben, die lachend durch Haus und Garten toben. Doch das hat noch viele Jahre Zeit. Ich fühle mich schlichtweg nicht reif dafür. Ich möchte leben, Spaß haben und die Welt bereisen. Bisher will ich einfach keine Verantwortung für so ein kleines Wesen übernehmen müssen. Außerdem fehlt mir noch immer der richtige Mann dazu. Als ich selbst Kind war, verbrachte ich fast jede Ferien hier und spielte im Garten. Oft war ich die Prinzessin und der Nachbarsjunge – wie hieß er doch gleich? - ach richtig, Kaj, war der Prinz. Ab und zu erzählte Großmutter uns auch Märchen. Einfach so aus dem Kopf. Ich bewunderte sie immer dafür. Heute bin ich diejenige, die Kindergeschichten schreibt. Zumindest ab und zu. Mein Neffe Noah liebt es, wenn ich ihm eine erzähle. Erst zu Weihnachten las ich ihm meine Geschichte von der kleinen Tanne vor. Vielleicht sollte ich wieder anfangen zu schreiben? Ich schließe meine Lider, sinke vollständig unter Wasser und vor meinem inneren Auge entsteht eine Kindergeschichte. Lächelnd tauche ich nach einigen Sekunden wieder auf und nehme mir fest vor, die eben entstandenen Gedanken aufzuschreiben. Vielleicht werde ich sie Noah irgendwann vorlesen. Eine Geschichte von einer Prinzessin und ihrem Prinzen auf einem weißen Pferd. Er rettet sie aus den Klauen irgendeines finsteren Schurken und ...Verdammt! Der Prinz sieht genauso aus wie Alex. Mein Traummann auf einem Schimmel. Na super. Genau das wollte ich verhindern. Ich will nicht an ihn denken. Doch meine Gehirnwindungen scheinen Samba zu tanzen. Sie hören nicht auf mich und meine verzweifelten Versuche mich abzulenken. Zu allem Überfluss taucht nun auch noch Emma in einem weißen Kleid auf und der Prinz hoch zu Ross, lässt mich zurück in den Matsch fallen, wendet sich ihr zu und gemeinsam reiten sie in den Sonnenuntergang. Doofe Geschichte! Und doch führt sie mir meine Probleme vor Augen. Was soll ich nur machen? Muss ich mich wirklich auf dieser Hochzeit sehen lassen? Ich weiß, dass alle, die im Dorf Rang und Namen haben, bei diesem Megaevent des Jahres anwesend sein werden. Da ansonsten in dem Kaff nicht viel passiert, sind Hochzeiten immer etwas ganz Besonderes. Und wenn ich fehle, dann fällt das auf sie zurück. Dann wird sich das Maul zerrissen und sie müssen sich den Fragen stellen, warum ich nicht gekommen bin, sollte ich doch eine der Trauzeuginnen werden. Das kann ich den beiden einfach nicht zumuten. Ich werde dort hingehen, beiden zu ihrem großartigen Tag alles Gute wünschen, mir am Büfett den Bauch vollschlagen und danach schnellstmöglich verschwinden. Dann habe ich meine soziale Pflicht getan und es kann sich keiner beschweren. Damit ist die Sache für mich aber auch durch. Guter Plan. Ich werde neue Freunde finden, vielleicht sogar mal mit Fibi und unseren Arbeitskolleginnen einen Cocktail trinken gehen und Alex aus meinen Gedanken streichen. Schließlich gibt es noch mehr gutaussehende Männer auf dieser Welt. Eine mir wohlbekannte Stimme in meinen Gedanken beginnt leise zu lachen. Du willst ihn vergessen? Wie denn? Er hat dir den besten Sex deines Lebens beschert. Okay, es waren bisher nur zwei Schwänze in dir, da ist das nicht so schwer ...Aber trotzdem! Du wirst ihn niemals vergessen. Ich hasse diese Stimme, die sich immer wieder im unpassendsten Augenblick einmischt. Warum kann mein Unterbewusstsein nicht einfach die Klappe halten?!? Nur zwei Männer, na und? Reicht doch, um zu wissen, was mich glücklich macht, oder? Ergo ...Ich muss und ich werde Alex vergessen! So schwer kann das ja wohl nicht sein! Und am Tag ihrer Hochzeit werde ich damit beginnen ...aufhören ...beginnen aufzuhören ...also ...ach verdammt.

Kurz nach einundzwanzig Uhr steige ich aus dem mittlerweile kalt gewordenen Wasser, trockne mich ab und schlüpfe in meinen kuschligen Schlafanzug mit den Bären darauf. Irgendwie brauche ich den heute. Normalerweise trage ich, wenn es warm wird, nur Nachtunterwäsche aus zarter Seide, die sanft meinen Körper umspielt. Doch heute bin ich so angreifbar, dass ich die Sicherheit von dickem, flauschigem Flanell auf meiner Haut spüren muss. Sieht schließlich niemand. Nun noch etwas beruhigende Hintergrundmusik, mein geliebtes Buch und dann kann die Nacht kommen. So ist zumindest mein Plan. Doch schnell merke ich, dass daraus nichts wird. Ich kann mich nicht wirklich konzentrieren und der heiße Protagonist aus dem Buch erscheint in meiner Vorstellung mit eisblauen Augen und braunen, seidenweichen Haaren. Alex. Das Unterbewusstsein ist wirklich ein Arsch. Und wieder diese nervige Stimme, die mich auszulachen scheint. Du wirst ihn niemals vergessen können. Doch! Werde ich! Das wirst du schon merken. Das imaginäre Kichern macht mich fast wahnsinnig und wutentbrannt stehe ich auf. Bin ich schizophren? Wer hat schon eine innere Stimme, die kichert? Es ist ja nicht so, als höre ich echte Worte. Es fühlt sich nur so an, als würde mich mein Unterbewusstsein auslachen ...Egal wie, wer oder was mich da nervt - so kann ich jedenfalls nicht einschlafen. Zum Glück habe ich morgen frei und kann liegen bleiben, so lange ich will.

Was soll ich den beiden nur schenken? Spielzeug fürs Bett haben sie bereits, wie ich vor nicht allzu langer Zeit unfreiwillig erfahren musste. Also fällt das aus. Schade eigentlich. Ich muss unwillkürlich grinsen. Was könnten sie sonst noch brauchen? Geschirr? Ne, bestimmt nicht. Ein Stofftier? Ganz bestimmt nicht! Und sonst? Oh, wie ich das hasse. Wahrscheinlich sind sie glücklich, wenn man ihnen Geld überreicht. Aber nur in einem Umschlag ist auch doof. Los, Anja! Wo ist deine Kreativität geblieben? Ich feuere mich und mein Unterbewusstsein an, schlüpfe in meinen Bademantel und die Hausschuhe und schlappe zurück in die Küche. Mir muss dringend etwas einfallen, das …ein Gedicht! Das wäre es doch. Auf einer dicken Pappe geschrieben und mit einem Rahmen verziert. Das könnten sie sich dann ins Wohn- oder Schlafzimmer, von mir aus auch in den Keller, hängen und ich wäre immer in ihrer Nähe. Na, zumindest ein Teil von mir. Ein hämisches Grinsen schleicht sich auf meine Lippen und der Gedanke gefällt mir.

Nachdem ich eine Flasche Wein entkorkt habe, setze ich mich an den Küchentisch und öffne meinen Laptop. Dann noch ein leeres Dokument und ...Tja, was soll ich schreiben? Wie toll doch die Ehe ist? Woher soll ich das denn wissen? Ich war noch nie verheiratet. Wie wundervoll die Liebe ist, wenn man sich hintergeht? Das wäre, glaub ich, nicht so sinnvoll. Oder doch? Ein neuerliches Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht und ich greife nach dem Weinglas. Die dunkelrote Flüssigkeit rinnt meine Kehle hinunter und ein wohlig warmes Gefühl macht sich in meinem Magen breit. So viel habe ich schon lange nicht mehr getrunken. Aber irgendwie brauche ich das gerade. Ich stelle mir vor, wie Alex plötzlich hinter mir steht und mich sanft an meinem Nacken berührt. Eine Gänsehaut schleicht sich über meinen Körper und die empfindliche Stelle zwischen meinen Beinen beginnt zu pulsieren. Ich liebe diese Art von Fantasie. Seufzend lehne ich mich zurück und vor meinen geschlossenen Lidern erscheinen seine eisblauen Augen. Wie gerne würde ich jetzt mit beiden Händen in seine braunen Haare greifen und ihn zu mir hinunter auf meinen Schoss ziehen. Wie gerne würde ich ihn jetzt überall an seinem fantastischen Körper mit meiner Zunge liebkosen und mich ihm ganz hingeben. Beinahe rieche ich seinen ganz eigenen, männlichen Duft, gepaart mit seinem mir wohlbekannten Aftershave. Erneut dringt ein tiefer Seufzer über meine leicht geöffneten, trockenen Lippen. Ich befeuchte sie mit meiner Zunge, die jetzt so gerne mit seiner gespielt hätte. Wie gerne würde ich ...doch er ist nicht hier. Schon so lange nicht mehr! Der Traum zerplatzt wie eine Seifenblase und ein schales Gefühl bleibt in mir zurück. Frustriert öffne ich die Augen, greife erneut nach meinem Glas und leere es in einem Zug. Dann starre ich wieder auf das noch immer blütenweiße Dokument. Mir muss jetzt dringend etwas Gutes einfallen. Es ist bereits kurz vor zweiundzwanzig Uhr. Ich will ins Bett. Ich will schlafen und mich aus der Realität zurückziehen. Vielleicht sollte ich das Gedicht erst morgen schreiben? Wäre das nicht sinnvoller? Ich glaube schon, denn erstens bin ich nicht mehr ganz nüchtern, zweitens will mir beim besten Willen nichts einfallen und drittens ...sind das alles nur Ausreden. Verdammt! Ich habe mir vorgenommen etwas zu schreiben, also ziehe ich das jetzt auch durch. Jawohl! Wann ist der Termin? In genau einer Woche? Die haben sich wirklich Zeit gelassen mit dem Verschicken der Karten. Das ist doch nicht normal, oder? Vielleicht hat auch die Post geschlampt und irgendwas mit dem Nachsendeauftrag hat nicht geklappt. Was weiß denn ich! Jedenfalls muss mir jetzt echt was einfallen! Kaffee! Ich brauch Koffein. Der Wein ist mir doch sehr zu Kopf gestiegen. So kann ich nicht denken. Jedenfalls nichts poetisches. Ein Kichern dringt über meine Lippen und ich stemme mich von meinem Stuhl hoch, fülle Wasser in den Kocher, krame das Glas mit dem Instantkaffeepulver hervor, öffne die neue Packung Milch und wenige Minuten später halte ich eine frische Tasse – ohne Leuchtturm! - mit dem braunen Wachmacher in meiner Hand. Heiß! Doch bereits der erste Schluck scheint den Schleier vor meinen Augen zu lichten. Ich bin weit davon entfernt, nüchtern zu sein. Allerdings war das auch nicht mein Ziel. Irgendjemand sagte mal, dass man die besten Texte schreibt, wenn man emotional aufgewühlt ist. Und genau das bin ich im Moment. Erneut starre ich auf das leere Dokument und langsam formen sich Sätze in meinem Gehirn. Ich reihe Wörter aneinander, verwerfe sie wieder und bilde sie neu. Verdammt! Noch ein großer Schluck Kaffee. Heiß, schwarz und wohltuend. Was für eine Mischung! Das Gedicht muss gut werden. Voller Emotionen. Voller Gefühle. Voller Liebe. Die beiden lieben sich schließlich, wollen heiraten. Dass ich nicht lache. Wie gerne würde ich jetzt etwas Lustiges schreiben, etwas Peppiges, etwas, das sie vom Hocker haut. Lustig? Ne! Wie soll ich das, wenn ich doch nicht lustig bin, wenn ich heulen könnte. Die zwiespältigen Gefühle treiben mich beinahe in den Wahnsinn. In einer Woche ist der Termin? Dann habe ich doch noch Zeit, oder? Aber, was ist, wenn ich nicht dazu komme und mich die Arbeit wieder einmal auffrisst? Also doch jetzt? Mensch, Anja! Nun reiß dich zusammen! Meine innere Stimme tritt mir virtuell in den Hintern und ich richte mich auf. Dann lege ich meine Finger auf die Tasten und beginne zu tippen. Eine knappe Stunde und zwei weitere Tassen Kaffee später, klicke ich auf 'speichern' und schließe den Deckel meines Laptops. Na bitte. Hat doch geklappt. Dann kann ich nun ins Bett gehen. Gute Nacht.

****

Dies ist der wichtigste Tag in eurem Leben,

soeben habt ihr euch das »Ja Wort« gegeben.

Denkt immer an diesen Tag zurück,

denn heute beginnt für euch das große Glück.

Tragt die Liebe in euren Herzen,

vergesst sie nie, bei Kummer und Schmerzen.

Denkt daran, was ihr euch geschworen habt,

an diesem ganz besonderen Tag.

Und solltet ihr es mal vergessen,

sollte der Alltag mal die Liebe fressen,

dann nehmt dieses Gedicht in eure Hand,

denn die wahre Liebe habt ihr erkannt:

Das ist unser schönster Tag,

an dem ich dir mein Versprechen gab.

In guten wie in schlechten Tagen,

werd ich deine Liebe in mir tragen.

Mein Leben will ich mit dir bestreiten.

Mögen Engel uns begleiten.

Hand in Hand gehen wir zu zweit,

denn unser Weg ist noch sehr weit.

Wir zwei, für einander bestimmt,

wie die Wellen und der Wind.

Unsere Liebe fliegt durch Raum und Zeit

du und ich - in Ewigkeit.

Anja Leger 25.5.

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Kapitel 4 - Hochprozentige Wahrheiten

Die Nacht war grausam. Zumindest das, was ich davon noch weiß. Alex und Emma vor dem Traualtar und meine Seele daneben. Ich will schreien, will sagen, dass ich etwas dagegen habe – die Frage wird doch immer gestellt, oder? Hat jemand etwas dagegen? Dann soll er jetzt sprechen oder für immer schweigen. Ich will ja jetzt sprechen! Schreien will ich! Doch ich bekomme kein Wort heraus. Beide sehen so glücklich aus, wie sie in ihren schimmernden Kleidern, die regelrecht leuchten, neben mir stehen. Sie in einem Traum aus Weiß und er als sexy Bräutigam in Schwarz. Sie lächeln sich an ...und plötzlich verziehen sich ihre Gesichter zu Fratzen. Emma zieht ein Messer aus den Falten ihres Kleides und sticht es Alex in den Rücken, als er sich zu mir herumdreht und ...Rot! Blut! Ich sehe alles wie durch einen Schleier. Auch ich trage ein weißes Brautkleid, das sich in diesem Moment auflöst, und mich in roten Dessous zurücklässt. Mein Spiegelbild grinst mir aus dem goldenen Kelch entgegen, der auf dem Altar steht. Die Menschen in der Kirche schreien auf, Emma lacht hysterisch und Alex bricht blutend in meinen Armen zusammen. Genau an dieser Stelle wache ich schweißgebadet auf. Mein Bettlaken ist feucht und die Decke ist auf den Boden gerutscht. Der leichte Windzug, der in dem Moment durch das gekippte Fenster zu mir hereinweht, lässt mich trotz meines Flanellschlafanzuges frösteln. Was für ein seltsamer Traum. Ich wische mir mit dem Handrücken über meine geschwollenen Augen und merke, dass ich geweint habe. Auch mein Hals ist rau. Hoffentlich werde ich nicht krank! Nicht jetzt! Die nächste Woche wird stressig. Ab Donnerstag ...da gerne. Dann habe ich wenigstens eine Ausrede, warum ich nicht auf diese bescheuerte Veranstaltung gehen muss. Aber das Schicksal ist ein Arsch. Wenn ich mir schon mal etwas wünsche, dann passiert garantiert genau das Gegenteil. Also beschließe ich in diesem Moment, dass ich nicht krank werde und schwinge meine Beine aus dem Bett. Schließlich bin ich immer noch Herr meiner Selbst. Ich lasse mich doch von so einem Traum nicht aus der Fassung bringen. Auf der Kante meines Bettes sitzend, werfe ich einen Blick aus dem Fenster und betrachte die Sonne, wie sie als roter, glühender Ball am Horizont erscheint. Heute wird ein wundervoller Tag. Temperaturen bis zu fünfundzwanzig Grad und Sonnenschein pur. Hochsommer. Zumindest hier im Norden eine Seltenheit, sagt der Radiosprecher, der genau in diesem Moment aus meinem Radiowecker zu mir spricht. Es ist kurz nach sechs Uhr an einem Samstagmorgen und ich Trottel habe gestern Abend vergessen die Weckfunktion zu deaktivieren. Wie kann man nur so dämlich sein?

»Intelligenzbestie«, nuschle ich frustriert vor mich hin und meine innere Stimme kichert. Wo die nur immer herkommt? Hoffentlich fange ich nicht irgendwann wirklich an, reale Stimmen zu hören. Ob ich nicht doch mal einen Arzt aufsuchen sollte? Ist das normal? Schlaftrunken wische ich diesen Gedanken zur Seite. Eigentlich könnte ich heute auch ins Büro gehen, wenn ich ohnehin schon wach bin. Was soll ich auch sonst machen? Noch einmal einschlafen, nachdem ich die Augen geöffnet habe, funktioniert nie. Und darauf, mich sinnlos im Bett zu wälzen, habe ich keine Lust. Dabei hätte ich diesen freien Tag so nötig, nach den vielen Wochen, die ich bis spät abends im Büro verbrachte. Aber es hilft nichts. Die Unterlagen stapeln sich und ich sehe noch immer kein Land. Also strecke ich meine müden Glieder, gähne herzhaft und begebe mich unter die Dusche. Doch vorher bekommt der Wecker noch einen ordentlichen Dämpfer verpasst. Endlich ist Ruhe!

Das warme Wasser umspült meinen Körper und damit verschwinden auch die letzten Gedanken an meinen mysteriösen Traum gluckernd im Abfluss. Nach wenigen Minuten schließe ich den Hahn, trockne mich ab und streife mir meinen seidenen Bademantel über. Meine kurzen, blonden Haare sind schon fast trocken, als ich um kurz nach halb sieben die Kaffeemaschine mit Wasser befülle und mir ein Brot zum Frühstück schmiere. Gestern Abend musste der Instantkaffee herhalten, den ich wirklich nur in Ausnahmefällen trinke. Er schmeckt einfach nicht. Doch morgens brauche ich meine Kanne Filterkaffee. Eigentlich esse ich sonst nie etwas dazu, doch irgendwie ist mir heute danach. Vielleicht sind das die Nachwehen meines gestrigen Alkoholkonsums. Angeekelt ergreife ich die leere Flasche Wein, die noch immer auf dem Küchentisch steht und entsorge sie bei den restlichen Glasflaschen, die dringend den Weg zum Container antreten sollten. Doch allein machen sie das einfach nicht. Und ich komme wirklich zu gar nichts mehr. Gut, dass meine Mutter das Chaos hier nicht sieht. Ich habe meine Eltern bisher noch nicht eingeladen. Mir war einfach nicht danach, obwohl sie nur wenige Kilometer entfernt wohnen. Mama würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und mich mit strafendem Blick mustern. Genau mit dem gleichen Blick, den ich meinem Laptop in diesem Moment zuwerfe. Wie unter Zwang öffne ich den Deckel, fahre die Kiste hoch und klicke auf das Dokument vom vergangenen Abend. Als ich mir die Zeilen noch einmal durchlese, wird mir fast schlecht. Eigentlich sind sie echt romantisch ...aber ...ich sollte diese Frau an seiner Seite sein. Nicht sie. Ich sollte mein Leben mit ihm verbringen. Wir würden uns lieben, uns begehren und die Welt würde sich um uns drehen. Doch ich bin nicht diese Frau. Emma ist es. Wut mischt sich mit Trauer und ein Kloß bildet sich in meinem Hals. Hoffentlich ist diese verdammte Hochzeit bald vorbei und ich kann Alex endlich vergessen. Wer braucht schon Männer! Ich nicht! Ganz bestimmt nicht! Und meine innere Stimme lacht mich mal wieder schallend aus...

Wütend schlage ich den Deckel wieder zu und seufze ergeben auf. Ich werde nächste Woche eine Leinwand kaufen, die Verse in geschwungener Handschrift darauf verewigen, romantisch verzieren und einige gefaltete Geldscheine darum drapieren. Das muss genügen. Am Tag ihrer Liebe werde ich mein Kunstwerk feierlich den beiden Turteltauben überreichen und sie werden selig lächeln. Allein bei dem Gedanken an diese Scheinheiligkeit dreht sich mir der Magen herum. Doch mir soll es egal sein. Für mich ist dieses Thema danach beendet. Ich werde Emma schlichtweg sagen, dass ich in meinem neuen Leben Menschen kennengelernt habe, denen ich meine Zeit widmen möchte. Immer wieder liest man in einschlägigen Zeitungen oder auf Kalenderabreißblättern, dass man die Vergangenheit hinter sich lassen soll, um glücklich zu sein. Ich mag diese Sprüche nicht! Doch an diesem ist wirklich etwas Wahres dran. Ich nehme einen Schluck aus meiner Kaffeetasse und die heiße Flüssigkeit erwärmt mich von innen. Gut, dass ich gestern eine frische Packung Milch gekauft habe.

Mit neuem Schwung und Elan stehe ich auf, räume das Geschirr weg, natürlich habe ich das Brot nicht gegessen, und steige die Stufen ins Schlafzimmer hinauf, um mich anzuziehen. Die Sonne scheint durch die Fenster und kleine, helle Kreise tanzen über den Parkettfußboden. Heute wird ein schöner Tag! Beschlossene Sache.

Dass man nicht alles einfach so beschließen kann, merke ich schon nach den ersten Stunden in der Agentur. Nichts klappt so, wie ich es gerne hätte. Doch ich beiße mich durch und kurz vor siebzehn Uhr habe ich den Aktenberg auf ein erträgliches Maß reduziert. Na bitte, geht doch. Am Montag kann ich dann genau an dieser Stelle weitermachen. Ich lehne mich in meinem Schreibtischstuhl zurück und strecke meinen Rücken durch. Eine Massage wäre jetzt was Wunderbares! Vielleicht sollte ich auch mal wieder einen ausgiebigen Wellnesstag einlegen? So mit Sauna, Schwimmbad und Ruhe. Vor allem mit Ruhe. Warum bin ich da nicht schon früher draufgekommen? Das hätte ich auch schon heute haben können. Aber vielleicht dann morgen? Oder am nächsten Wochenende ...Ich kann den Gedanken noch nicht einmal zu Ende denken, da legen sich bereits schwarze Wolken über mein eben noch so lichtvolles Vorhaben. Nein. Nächstes Wochenende habe ich bereits eine Verabredung. Meine Mundwinkel sinken nach unten und mir wird schlecht. Ich will da verdammt nochmal nicht hin. Und was ist, wenn ich einfach behaupte, dass ich krank bin? Dann habe ich eine Ausrede und muss mir das scheinheilige Schauspiel nicht antun. Doch diese Idee verwerfe ich gleich wieder. Sie ist eindeutig zu unglaubwürdig. Da ich selbst mit Fieber noch arbeiten gehe, würde mir niemand glauben, dass ich krank im Bett liege. Verdammt! Also muss ich da wirklich durch. Vielleicht wird es gar nicht so schlimm. Gutes Essen, nette Musik und ein bisschen Smalltalk mit den Gästen. Die meisten, die ich noch von früher kenne, finde ich sogar relativ sympathisch. Von Alex versuche ich mich fernzuhalten, soweit es möglich ist. Ein Lächeln umspielt meine Lippen. Ich lasse mir doch von anderen Menschen nicht meine gute Laune verderben! Ich doch nicht!