Dublin. Eine Stadt in Biographien - Ralf Sotscheck - E-Book

Dublin. Eine Stadt in Biographien E-Book

Ralf Sotscheck

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Beschreibung

Dublin. Eine Stadt in Biographien - Eine Stadt wird nicht nur von Gebäuden und Straßenzügen geprägt, die Identität von Dublin entsteht erst mit den Geschichten seiner Bewohner. Denn was wäre die Stadt ohne Sigtrygg Silkbeard, James Joyce oder James Connolly? 20 ausgewählte Biographien zeichnen ein lebendiges, historisches wie auch aktuelles Bild der Stadt. Die Porträts werden durch Adressen ergänzt, die eine Stadterkundung auf den Spuren der porträtierten Personen ermöglichen. Dieser Band umfasst Porträts von: Sigtrygg Silkbeard, Jonathan Swift, Arthur Guinness, Daniel O'Connell, Bram Stoker, Oscar Wilde, Constance Markievicz, William Butler Yeats, James Connolly, James Joyce, Ivan Beshoff, Grace Gifford, Francis Stuart, Flann O'Brien, Maureen O'Hara, Ronnie Drew, Mary Robinson, Thom McGinty, Veronica Guerin, Sinéad O'Connor. Autor: Ralf Sotscheck

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Seitenzahl: 165

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Ralf Sotscheck

DUBLIN

Eine Stadt in Biographien

TRAVEL HOUSE MEDIA GmbH

Herausgegeben von Norbert Lewandowski

INHALTSVERZEICHNIS

DER AUTOREDITORIALAUF EINEN BLICKORIENTIERUNGSIGTRYGG SILKBEARDJONATHAN SWIFTARTHUR GUINNESSDANIEL O’CONNELLBRAM STOKEROSCAR WILDEWILLIAM BUTLER YEATSJAMES CONNOLLYCONSTANCE MARKIEVICZJAMES JOYCEIVAN BESHOFFGRACE GIFFORDFRANCIS STUARTFLANN O’BRIENMAUREEN O’HARARONNIE DREWMARY ROBINSONTHOM MCGINTYVERONICA GUERINSINÉAD O’CONNOR
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DER AUTOR

Ralf Sotscheck, geboren in Berlin, studierte Wirtschaftspädagogik an der Freien Universität Berlin. 1985 zog er nach Dublin um und arbeitet seitdem als Korrespondent für die »taz«, die »tageszeitung«. Er hat mehr als 20 Bücher über Irland und Großbritannien geschrieben sowie zahlreiche Radio- und Fernsehdokumentationen produziert.

Was fällt Ihnen spontan zu Dublin ein? Literatur, irischer Freiheitskampf, Pubs, aus denen Gesänge erschallen? Tatsächlich ist die Stadt ohne seine Autoren und Rebellen, ohne Guinness und Kneipen kaum denkbar.

Selbstverständlich kann die Hauptstadt der Republik Irland mit alten Kirchen, der historischen Universität Trinity College, mit einem Schloss und Parks aufwarten, doch wie alle Metropolen wird auch Dublin nicht nur von Gebäuden geprägt, sondern von den Menschen, die hier geboren wurden, gestorben sind oder entscheidende Jahre verbracht haben. MERIANporträts lässt die Leser von 20 Personen durch die Stadt begleiten.

Wir gehen zurück ins Mittelalter bis zu Wikingerkönig Sigtrygg Silkbeard, stoßen auf den Geistlichen und Satiriker Jonathan Swift, erinnern uns bei einem Pint Stout an Arthur Guinness, den Begründer der Brauerei-Dynastie, erweisen auf der O’Connell Street dem irischen »Befreier« Daniel O’Connell unsere Referenz.

Natürlich ist es schwer, die »richtigen« 20 Personen auszuwählen, vermutlich ist es sogar unmöglich, schließlich wurde Dublin in seiner langen Geschichte von weitaus mehr als 20 Menschen geprägt. Doch in der Summe soll unsere subjektive Auswahl das unverwechselbare Kaleidoskop dieser Stadt ergeben.

Wir erleben die dunkle Fantasie von Bram Stoker, den Sprachreichtum von James Joyce und Oscar Wilde, den Witz von Flann O’Brien, die Erzählkraft von William Butler Yeats und Francis Stuart. Wir erfahren von der Tragödie von James Connolly, begegnen starken Frauen wie Gräfin Markievicz, Grace Gifford, Maureen O’Hara, Veronica Guerin und Mary Robinson. Wir lassen uns verblüffen vom Leben eines Ivan Beshoff. Und sind versunken in die Musik des »Dubliners«-Gründers Ronnie Drew. Da kann auch eine irre Sängerin wie Sinéad O’Connor nichts dran ändern …

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AUF EINEN BLICK

Ohne ihre Bewohner wäre die Stadt eine andere. Ohne Bram Stoker, James Connolly und Sinéad O’Connor … wäre Dublin nicht Dublin.

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ORIENTIERUNG

Farbige Kästchen mit Ziffern 1 und farbige Buchstaben-Ziffern-Kombinationen (▶D 3) verweisen auf die Orientierungskarte.

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SIGTRYGG SILKBEARD

ca. 970–1042

Alles begann mit den Wikingern und einem gerissenen König, der verbissen um Dublin kämpfte und sogar nach Rom pilgerte. Er hinterließ eine normannische Kathedrale, das älteste Gebäude der Stadt.

Blickt man vom Wood Quay( ▶ E 5) am Fluss Liffey nach Süden, so versperren einem zwei hässliche weiße Büroblocks die Sicht – ein düsteres Kapitel in der Architekturgeschichte der Stadt. Hier landeten im Jahr 841 die Wikinger, bauten einen Hafen und gründeten eine Siedlung: Dyfflin oder Dubh Linn. Der Name, der im Laufe der Zeit zu Dublin wurde, bedeutet: schwarzer Teich. Die Wikinger hatten diese Stelle ausgewählt, weil hier die Liffey am leichtesten zu überqueren ist. Darauf deutet auch der irische Name der Stadt hin: Baile Átha Cliath, die Stadt an der Hürdenfurt.

Archäologen hatten seit Ende der 1960er-Jahre am Wood Quay die Fundamente der Siedlung freigelegt. Sie fanden die Überreste der Straßenmauer, Straßen, Feuerstellen, Arbeitsgeräte von teilweise organischer Substanz, Spielsachen. Es war die bedeutendste Ausgrabung zur Erforschung der Wikingerzeit. Doch die Dubliner Stadtverwaltung ließ sich nicht beeindrucken. Trotz Massendemonstrationen, höchstrichterlicher Entscheidungen und Appellen von Wissenschaftlern aus aller Welt wurden die Büroblocks gebaut und begruben das wichtigste Zeugnis von Dublins Frühgeschichte unter sich. Die Archäologen kletterten auf die Lastwagen, mit denen der Bauschutt abtransportiert wurde, und durchsuchten ihn nach Artefakten, um zu retten, was noch zu retten war.

Diese Artefakte sind im National Museum of Ireland20( ▶ H 6) ausgestellt. Im ersten Stock in der Kildare Street dokumentieren die Ausstellungsstücke die Ära der Wikinger in Irland von 800 bis 1150. Im Mittelpunkt stehen die Funde von Wood Quay. Die Ausstellung enthält auch Beispiele von religiösen Edelmetallarbeiten aus dem 11. und 12. Jahrhundert, die zum Ende der Wikingerzeit eine Verschmelzung ihrer Kunst mit dem irischen Stil belegen.Als Ersatz für das Original am Wood Quay spendierte die Stadt »Dublinia«10( ▶ E 5), eine interaktive Ausstellung. »Reisen Sie zurück in das Dublin der Wikingerzeit«, fordern die Prospekte auf. »Ziehen Sie die Wikingerkleidung an, besuchen Sie ein enges und verrauchtes Wikingerhaus.«

Die Wikinger waren in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts von der Orkney-Inselgruppe im Norden Schottlands gekommen und erkannten die strategische Bedeutung der Gegend. 841 bauten sie ihren ersten Hafen, unternahmen von hier aus Beutezüge und trieben Handel mit den Nachbarn. Im Laufe der Zeit vermischten sie sich immer mehr mit den keltischen Ureinwohnern, gingen Ehen mit ihnen ein und übernahmen ihre Bräuche.

Einer der Wikinger war Sigtrygg II. Silkbeard Olafsson. In irischen Texten taucht er meist als Sitric oder Sitrick auf. Er kam um 970 in Dublin auf die Welt, sein Vater war Olaf Cuarán, der König von York und Dublin, seine Mutter war Gormflaith, die Tochter des Königs von Leinster. Danach war sie mit Máel Sechnaill, dem Hochkönig von Irland, verheiratet. Scheidungen waren in Irland damals üblich, bevor sie jahrhundertelang verboten waren und erst 1995 durch Volksentscheid wieder legalisiert wurden. Auch Sigtryggs Vater hatte einen älteren Sohn mit einer anderen Frau: Glúniairn, das »eiserne Knie«, war von 980 bis 989 König von Dublin.

MAL GEWANN SIGTRYGG, MAL DIE ANDEREN

Ob Sigtrygg sein Nachfolger wurde, ist ungewiss, weil es nur wenige Aufzeichnungen gibt. Möglicherweise kam zunächst sein Rivale Ivar von Waterford an die Macht, doch der wurde spätestens 993 von Sigtrygg verjagt. Es folgten Jahre der Kriege, Eroberungen und Rückeroberungen. Dublin war aufgrund des relativen Reichtums der Stadt ein attraktives Angriffsziel. So musste Sigtrygg sich Verbündete suchen. Er fand einen in Máel Mórda, seinem Onkel mütterlicherseits und König von Leinster, nördlich von Dublin. Im Jahr 999 besiegten die beiden Sigtryggs Cousin Donnchad mac Domhnaill, den König von Leinster, und sperrten ihn in ein Verlies in Dublin. Doch als sie sich im selben Jahr mit Brian Boru, der inzwischen Hochkönig war, anlegten, zogen sie in der Schlacht von Glenmama den Kürzeren.

Nach seinem Sieg griff Brian Boru Dublin an, plünderte die Stadt und schlug Sigtrygg in die Flucht. Die führte ihn zunächst nach Norden, aber als die dort angesiedelten Stämme ihm Hilfe verweigerten, kehrte er nach Dublin zurück und unterwarf sich Brian Boru, der ihn wieder als Herrscher in Dublin einsetzte. Um den Frieden mit Brian Boru zu festigen, heiratete Sigtrygg dessen Tochter aus erster Ehe, Sláine. Brian Boru wiederum heiratete Sigtryggs Mutter Gormflaith, nachdem Olaf Cuarán gestorben war und sie sich von ihrem zweiten Ehemann, Máel Sechnaill mac Domnaill, getrennt hatte. Brian Boru wurde dadurch Sigtryggs Stief- und Schwiegervater. Dank der Heiratspolitik erfreute sich Dublin einer ausgedehnten Friedenszeit, während Sigtryggs Soldaten in der Armee Brian Borus kämpften und Rache an den Stämmen nördlich von Dublin nahmen, die Sigtrygg ihre Hilfe verwehrt hatten.

Aus jener Zeit stammt auch die »Sigtryggsdrápa«, eine isländische Sage, die Gunnlaug Illugason zu Ehren Sigtryggs verfasst hat, von der aber nur Fragmente erhalten geblieben sind. Sigtrygg wollte sich dafür mit Schiffen und Gold erkenntlich zeigen, überlegte es sich jedoch anders und schenkte dem Poeten statt dessen einen neuen Anzug.

Um 1010 ließ sich Brian Boru von Gormflaith scheiden, woraufhin sie versuchte, ihren Sohn gegen ihn aufzuwiegeln. Der suchte sich Verbündete auf Orkney. Graf Sigurd von Orkney zögerte zunächst, gegen Brian Boru in den Krieg zu ziehen, willigte jedoch ein, nachdem Sigtrygg ihm versprochen hatte, dass er Gormflaith heiraten und Hochkönig von Irland werden könne. Dasselbe versprach Sigtrygg allerdings auch Bróðir von der Isle of Man. Am Karfreitag, dem 23. April 1014, kam es zur Schlacht bei Clontarf, heute ein Stadtteil Dublins im Norden. Sigtrygg blieb während der Schlacht in seiner Garnison in Dublin. Brian Borus Truppen gewannen zwar die Schlacht, doch er selbst sowie Sigurd und Bróðir starben auf dem Schlachtfeld.

Damit hatte sich zwar das Problem des doppelten Versprechens für Sigtrygg gelöst, doch die Macht der Wikinger war gebrochen. Als Dublin 1015 von der Pest heimgesucht wurde, ergriff Brian Borus Nachfolger, Máel Sechnaill, die Gelegenheit und brannte Dublins Vororte nieder. Sigtrygg zog danach noch in einige Schlachten, doch nach Máel Sechnaills Tod im Jahr 1022 entstand ein Machtvakuum, das mehrere Stammeskönige füllen wollten. Um ihre Ambitionen zu verfolgen, benötigten sie die finanziellen Mittel, und die waren nur in Dublin zu holen.

Die Stadt geriet unter wiederholte Attacken, und als Sigtryggs Sohn Olaf1029 als Geisel genommen wurde, musste der Vater einen hohen Preis in Gold und Vieh zahlen. Dennoch erholte er sich wieder, und in den 30er-Jahren des 11. Jahrhunderts gelang es ihm sogar, seinen Machtbereich bis nach Wales auszudehnen. 1035 ließ er Ragnall, den König von Waterford und Enkel seines ersten Rivalen Ivar, in Dublin hinrichten. Doch ein Jahr später verließ ihn sein Glück auf den Schlachtfeldern, er wurde von Echmarcach mac Ragnaill, dem König der schottischen Inseln, zum Rücktritt gezwungen und starb 1042 im Exil an einem unbekannten Ort. Seine sechs Kinder – eines mit seiner Frau Sláine, fünf mit anderen Frauen – waren allesamt vor ihm gestorben, meist auf dem Schlachtfeld. Lediglich seine einzige Tochter Cellach starb im selben Monat wie ihr Vater eines natürlichen Todes.

SILKBEARD REISTE NACH ROM

Das Monument, das Sigtrygg hinterlassen hat, ist die Christ Church Cathedral 6( ▶ E 5). Er war 1028 nach Rom gereist; nach seiner Rückkehr stiftete er die Kathedrale, die zunächst aus Holz gebaut wurde. 1180 ersetzten die Normannen sie durch eine steinerne Kirche. Sie ist heute das älteste Gebäude der Stadt und die einzige von den Wikingern gegründete Kathedrale in Irland und Großbritannien. Obwohl Irland überwiegend katholisch ist, sind beide Kathedralen Dublins – Christ Church und die St Patrick’s Cathedral28( ▶ E 6/7) – heute protestantisch.

Von der alten normannischen Kathedrale ist nur die Krypta erhalten. Im südlichen Querschiff findet man ebenfalls Reste des romanischen Baus. Die Nordwand des Mittelschiffs ist noch das Original aus dem 13. Jahrhundert, die übrige Kirche wurde in den 1870er-Jahren restauriert. Bemerkenswert ist der Fußboden aus Bildkacheln, die im 19. Jahrhundert nach dem Vorbild der Originale aus dem 13. Jahrhundert hergestellt wurden.

Geht man von der Kathedrale unter der Synod Hall Bridge die Winetavern Street hinunter, sieht man bei der John’s Lane die Grundrisse zweier Wikingerhäuser. John’s Lane führt auf die Fishamble Street, eine schmale Straße aus dem 10. Jahrhundert, die damals die Hauptverbindung zwischen dem Wikingerhafen und der Handelsstraße, der heutigen High Street, war. Hier stand früher die Musick Hall, wo Georg Friedrich Händel seinen »Messias« uraufgeführt hat. An der Fishamble Street beginnt die Temple Bar( ▶ E 5), die sich bis zur Westmoreland Street und von der Liffey bis zur Dame Street erstreckt. Die kleinen Gassen und Häuser des alten Kaufmannsviertels sollten in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts einem Busbahnhof weichen. Bis es so weit war, vermietete man die Häuser und Läden billig, und so siedelte sich eine kreative Szene an, die den Stadtverordneten das Potenzial des Viertels aufzeigte. Statt es abzureißen, begann man mit der Sanierung. Es entstanden Cafés und Restaurants, ein Marktplatz, ein Kindertheater und das Irish Film Institute 14( ▶ F 5) mit seinem umfassenden Filmarchiv, einem Restaurant und zwei Programmkinos. Heute ist die Temple Bar das lebendigste Viertel der Stadt, nachts kommt es kaum zur Ruhe.

Am Rande von Temple Bar, am Essex Quay( ▶ E/F 5) neben der Bushaltestelle nahe der Fishamble Street, wird an die Wikinger erinnert: Aus dem Boden ragen Bug und Heck eines Wikingerschiffes aus dem Beton heraus. Die Skulptur hat Symbolkraft: Auf der anderen Seite der Fishamble Street am Wood Quay erheben sich die Büroblocks der Stadtverwaltung, die Dublins Wikingergeschichte unter sich begraben haben.

CHRIST CHURCH CATHEDRAL 6▶E 5

Christ Church Place, Dublin 8

www.christchurchdublin.ie

▶ Bus: Christchurch Place

DUBLINIA 10▶E 5

St Michael’s Hill, Christchurch, Dublin 8

www.dublinia.ie

▶ Bus: High Street

NATIONAL MUSEUM OF IRELAND 20▶H 6

Kildare Street, Dublin 2

www.museum.ie

▶LUAS: St Stephen’s Green (5 Min. Fußweg)

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JONATHAN SWIFT

1667–1745

Er studierte Theologie und sehnte sich nach England. Dann aber kam der Wandel: Aus dem Geistlichen wurde ein bissiger Satiriker, der sich vehement für das unterdrückte Irland einsetzte.

Jedes Kind kennt »Gullivers Reisen«. Doch kaum ein Werk der Weltliteratur ist so verhunzt worden wie dieses Buch von Jonathan Swift; es ist immer wieder seiner scharfen Satire beraubt und zum Kinderbuch verstümmelt worden. Dabei ist das Buch antikolonialistisch, es prangert die englische Politik, die Parteien und die Regierung, das Parlament und das Königshaus an. Es kritisiert das Bildungssystem, die Justiz und die Staatskirche. Und Swift beschreibt zwei Marsmonde, die erst 150 Jahre später entdeckt wurden. Der größte Krater auf dem Mond Deimos wurde nach ihm benannt.

Jonathan Swift geht im »Gulliver« auch auf das Verhältnis zwischen England und Irland ein, wenn er über Balnibari und die fliegende Insel Laputa schreibt. Beide sind aufeinander angewiesen, doch der gemeinsame König sitzt auf Laputa und hat kaum Interesse an Balnibari. Aber wenn dort eine Rebellion droht oder die Abgaben nicht gezahlt werden, fliegt Laputa über das meuternde Balnibari und entzieht ihm Sonne und Regen, sodass Hungersnöte und Seuchen ausbrechen. Manche von Swifts Anspielungen sind so heikel, dass sie vom Verlag zensiert wurden. Eine vollständige Ausgabe erschien erst 150 Jahre nach dem Tod des Verfassers.

Swift war England gegenüber nicht immer so kritisch. Zwar wurde er am 30. November 1667 in Dublin geboren, doch seine Eltern waren erst wenige Jahre zuvor aus England übergesiedelt. Sein Vater starb sieben Monate vor seiner Geburt, die ersten fünf Lebensjahre verbrachte Swift mit einem Kindermädchen in England. Nach seiner Rückkehr nach Dublin wurde er von Verwandten aufgezogen.

1682 begann er ein Theologiestudium am Trinity College 32( ▶ H 6), das Protestanten vorbehalten war. Als 1689 in Irland Unruhen ausbrachen, ging Swift nach England und nahm eine Stellung als Sekretär von William Temple an, einem pensionierten Diplomaten und entfernten Verwandten seiner Mutter. Temple ermöglichte ihm ein Studium zum Master of Arts an der Universität Oxford. Swift blieb – mit einer kurzen Unterbrechung – zehn Jahre bei Temple auf dessen Landsitz. Als sein Förderer 1699 starb, war Swift arbeitslos, bis er einen Job in der Church of Ireland angeboten bekam. Besonders glücklich war er darüber nicht. Wann immer es seine Zeit erlaubte, reiste er nach London zu seinen Freunden. Im »Holyhead Journal« schrieb er von dem »Land, das ich hasse«, und damit meinte er Irland. Er mochte die Katholiken nicht, und von der keltischen Kulturtradition verstand er damals noch wenig. »Holt mich heraus aus diesem Land der Sklaven«, schrieb er, und das war kaum satirisch gemeint.

1710 bot ihm die englische Tory-Regierung eine Stellung als Chef-Propagandist an, die Swift freudig annahm und derentwegen er nach London übersiedelte. Als Dank erhoffte er sich einen Posten als Dekan oder gar Bischof, denn es war damals durchaus üblich, dass die Regierung solche Ämter an treue Gefolgsleute vergab. Doch er wurde enttäuscht. Man ernannte ihn zum Dekan der St Patrick’s Cathedral28( ▶ E 6/7) in Dublin, was er als minderwertige Stellung empfand, und als Königin Anne 1714 starb und die Tory-Regierung stürzte, siedelte Swift verbittert nach Dublin über. Seine Freundin Esther Johnson, Temples uneheliche Tochter, folgte ihm. In seinen Tagebüchern nennt Swift sie »Stella«. Neben dieser Beziehung hatte Swift eine elfjährige, heimliche Affäre mit Esther Vanhomrigh, von Swift »Vanessa« genannt. Sie wusste nichts von Stella, und als sie die Wahrheit erfuhr, brach sie zusammen und starb bald darauf.

Die Kathedrale von St Patrick’s ist eine von zwei protestantischen Kathedralen Dublins. Die andere, etwas kleinere Christ Church Cathedral6( ▶ E 5) liegt nur einen Steinwurf entfernt. Die ungewöhnliche Konstellation zweier benachbarter Kathedralen erklärt sich damit, dass früher die Stadtmauer zwischen beiden Gebäuden verlief. Christ Church ist der Sitz des Dubliner Erzbischofs, St Patrick’s ist die Nationalkathedrale Irlands.

Ein Kirchengebäude existierte an der Stelle bereits im 5. Jahrhundert. Der heilige Patrick soll hier um 450 bekehrte Gläubige getauft haben. Die heutige Kathedrale wurde zwischen 1191 und 1254 erbaut, musste nach einem Brand 1864 aber renoviert werden. Was nach der Restauration, die von Benjamin Guinness finanziert wurde, von der Kirche übrig blieb, ist unbekannt, weil es keine Aufzeichnungen gibt. Der besterhaltene mittelalterliche Teil ist der Chor. Die Chorschule wurde 1432 gegründet, viele Mitglieder sangen bei der Uraufführung von Händels »Messias« 1742 in der Musick Hall in der Fishamble Street. Die Orgel der Kathedrale gehört zu den größten in Irland, sie besteht aus über 4000 Pfeifen. Teile davon stammen aus dem Jahr 1695. Rund 200 Jahre später wurde die Orgel unter Verwendung vieler Originalteile neu gebaut.

Am Westende des Kirchenschiffs gibt es eine Tür mit einem Loch, das Lord Kildare 1492 hineingeschnitten haben soll, um seinem Widersacher Lord Ormonde, der sich in der Kirche verschanzt hatte, die Hand zum Frieden anzubieten. Daher soll der englische Ausdruck »chancing your arm« stammen – ein Risiko eingehen.

In der St Patrick’s Cathedral fanden die Beerdigungsfeiern für zwei irische Präsidenten statt: Douglas Hyde und Erskine Childers. Bei Hydes Begräbnis blieben 1949 fast alle Parlamentarier im Foyer der Kirche, weil es Katholiken damals verboten war, andere als katholische Kirchen zu betreten. Childers hingegen bekam 1974 ein Staatsbegräbnis, und weil er im Amt gestorben war, reisten viele ausländische Staatsoberhäupter oder ihre Repräsentanten an.

SWIFT WIRD DEKAN VON ST PATRICK’S

Jonathan Swift trat seine Stelle als Dekan von St Patrick’s zunächst recht widerwillig an, doch im Laufe der Zeit erfuhr er durch sein Amt immer mehr von den zum Teil erbärmlichen Lebensumständen der Bevölkerung. Dadurch – und vielleicht auch aus Rache an der britischen Regierung in London – veränderte sich Swifts Haltung; er setzte sich immer stärker für die unterdrückten Iren und gegen die Einmischung Englands ein. Berühmt sind die »Briefe des Tuchhändlers M. B. in Dublin«, in denen er das neue englische Kupfergeld in Irland schmähte.

Seine beißenden Satiren gipfelten in dem Vorschlag, irische Kinder zu mästen und sie im Alter von einem Jahr der englischen Aristokratie als Speise vorzusetzen, um so der Armut in Irland Herr zu werden. Er lässt seinen Protagonisten abwägen, ob man die Kinder besser als Braten, Kochfleisch, Ragout oder als Frikassee serviert. Die Häute, so schlug Swift vor, sollten zu Handschuhen oder Stiefeln verarbeitet werden, um die Wohlfahrtsinstitutionen zu entlasten. Da seine Satiren unter Pseudonymen (Isaac Bickerstaff, A Dissenter, A Person of Quality und viele andere) erschienen und das Nationalbewusstsein in Irland stärkten, lobte die englische Regierung für die Enttarnung des anonymen Verfassers 300 Pfund aus.

Swift nutzte für seine Studien eifrig Marsh’s Library 17( ▶ E 7), Irlands erste öffentliche Bibliothek, die 1701 unter Erzbischof Narcissus Marsh hinter der Kathedrale gebaut wurde. Sie umfasst rund 25 000 Werke aus dem 16. bis 18. Jahrhundert und 300 handschriftliche Manuskripte. Das Interieur der Bibliothek mit den dunklen Eichenholzregalen und den drei Alkoven, in die Leser mit den wertvollen Büchern eingeschlossen wurden, ist seit der Eröffnung unverändert. Unter den Schätzen der Bibliothek befindet sich Swifts Exemplar von Clarendons »History of the Great Rebellion« mit handschriftlichen Anmerkungen des Dekans.

Swift verbrachte seine Zeit aber nicht nur mit Arbeit und Studium, sondern gehörte auch zu den regelmäßigen Besuchern des Brazen Head 5( ▶ D 5) in der Bridge Street, nur einen kurzen Spaziergang von der Kathedrale entfernt. Es ist das älteste Wirtshaus Irlands, wenn nicht sogar Europas, wenn die Werbung stimmt. Hier wurden schon vor über 800 Jahren, ab 1198, Getränke ausgeschenkt, lange bevor man dafür eine Lizenz benötigte. Das jetzige Gebäude ist freilich jünger, es stammt aus dem Jahr 1700