Dunkelheit tanzt in deinen Augen – 15 unheimliche Erzählungen - W. H. Pugmire - E-Book

Dunkelheit tanzt in deinen Augen – 15 unheimliche Erzählungen E-Book

W. H. Pugmire

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Beschreibung

»… doch mein geistiges Auge sieht nur das Ding, das sich in der Dunkelheit aufbäumte, dass meine Gefährten tötete. – Ich kann nicht umhin, mich zu fragen, ob andere wie es unter dem Boden, den ich betrete, überleben, und wenn ja, wie viele … Ich folge Torrs im Tod, wie ich es im Leben tat. Gemeinsam betreten wir die sich verdunkelnden Hügel.«
W. H. Pugmire war nicht umsonst einer der Lieblingsautoren von ST. Joshi. Er hat mit seinen Geschichten aus dem Sesqua-Tal den Lovecraftschen Kosmos kongenial erweitert, denn er ist mehr als ein bloßer Imitator seines großen Idols H. P. Lovecraft. Pugmire gelingt es mühelos, Motive und Figuren des großen Mannes aus Providence in seine ganz eigene literarische Welt einzuspinnen. Er versteht es, Groteskes und Bizarres, Schreckliches und Erhabenes, Reales und Surreales – dank seines Gespürs für eine lyrisch klingende Sprache – zu vermischen. Am Ende kommt etwas ganz Eigenständiges heraus, nämlich ein großer, unverwechselbarer Autor moderner Weird Fiction.


In diesem Band sind folgende Geschichten enthalten:
› Die Gestalt im Spiegel – W. H Pugmire
› Das Grabmal von Oscar Wilde – W. H Pugmire
› Unheilige Poesie – W. H Pugmire
› Die Kinder des Sesqua-Tals – W. H Pugmire
› In der unheiligen Grube der Shoggoths – W. H Pugmire
› Ekstase der Angst – W. H Pugmire
› Eine Erinnerung und ein Schatten – W. H Pugmire
› Draußen – W. H Pugmire
› Halb verloren im Schatten – W. H Pugmire
› Die Harpyien von Carcosa – W. H Pugmire
› Narr des Gelben Tages – W. H Pugmire
› Dunkelheit tanzt in deinen Augen – W. H Pugmire
› Das Gewicht meines Herzens – W. H Pugmire
› Jenseits der wachen Sinne – W. H Pugmire
› Ein Bewohner der marsianischen Finsternis – David Barker

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Ähnliche


 

 

 

David Barker / W.H. Pugmire

 

 

Dunkelheit tanzt

in deinen Augen

 

 

 

 

Ein Compendium von

15 unheimliche Erzählungen

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © by Steve Mayer nach Motiven, 2022

Übersetzung: Bärenklau Exklusiv / Dr. Frank Roßnagel

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die Handlungen dieser Geschichten sind frei erfunden sowie die Namen der Protagonisten. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht gewollt.

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Die Gestalt im Spiegel 

Das Grabmal von Oscar Wilde 

Unheilige Poesie 

Die Kinder des Sesqua-Tals 

1. 

2. 

3. 

4. 

5. 

6. 

In der unheiligen Grube der Shoggoths 

Ekstase der Angst 

1. 

2. 

3. 

4. 

5. 

Eine Erinnerung und ein Schatten 

Draußen 

1. 

2. 

3. 

Halb verloren im Schatten 

Die Harpyien von Carcosa 

Narr des Gelben Tages 

Dunkelheit tanzt in deinen Augen 

Das Gewicht meines Herzens 

Jenseits der wachen Sinne 

Ein Bewohner der marsianischen Finsternis 

Über die Autoren 

David Barker 

Mein Freund, Wilum Pugmire 

Folgende weitere Bände von W. H. Pugmire & David Barker sind bereits erhältlich oder befinden sich in Vorbereitung 

 

Das Buch

 

 

 

»… doch mein geistiges Auge sieht nur das Ding, das sich in der Dunkelheit aufbäumte, dass meine Gefährten tötete. – Ich kann nicht umhin, mich zu fragen, ob andere wie es unter dem Boden, den ich betrete, überleben, und wenn ja, wie viele … Ich folge Torrs im Tod, wie ich es im Leben tat. Gemeinsam betreten wir die sich verdunkelnden Hügel.«

W. H. Pugmire war nicht umsonst einer der Lieblingsautoren von ST. Joshi. Er hat mit seinen Geschichten aus dem Sesqua-Tal den Lovecraftschen Kosmos kongenial erweitert, denn er ist mehr als ein bloßer Imitator seines großen Idols H. P. Lovecraft. Pugmire gelingt es mühelos, Motive und Figuren des großen Mannes aus Providence in seine ganz eigene literarische Welt einzuspinnen. Er versteht es, Groteskes und Bizarres, Schreckliches und Erhabenes, Reales und Surreales – dank seines Gespürs für eine lyrisch klingende Sprache – zu vermischen. Am Ende kommt etwas ganz Eigenständiges heraus, nämlich ein großer, unverwechselbarer Autor moderner Weird Fiction.

 

In diesem Band sind folgende Geschichten enthalten:

 

› Die Gestalt im Spiegel – W. H Pugmire

› Das Grabmal von Oscar Wilde – W. H Pugmire

› Unheilige Poesie – W. H Pugmire

› Die Kinder des Sesqua-Tals – W. H Pugmire

› In der unheiligen Grube der Shoggoths – W. H Pugmire

› Ekstase der Angst – W. H Pugmire

› Eine Erinnerung und ein Schatten – W. H Pugmire

› Draußen – W. H Pugmire

› Halb verloren im Schatten – W. H Pugmire

› Die Harpyien von Carcosa – W. H Pugmire

› Narr des Gelben Tages – W. H Pugmire

› Dunkelheit tanzt in deinen Augen – W. H Pugmire

› Das Gewicht meines Herzens – W. H Pugmire

› Jenseits der wachen Sinne – W. H Pugmire

› Ein Bewohner der marsianischen Finsternis – David Barker

 

 

***

 

 

Die Gestalt im Spiegel

 

von W. H. Pugmire

 

 

 

Die alte Frau führte ihn die alte Holztreppe hinauf, und er fühlte einen Schauer der Begeisterung, an diesem Ort zu sein, von dem er so oft geträumt hatte. Es war nicht leicht gewesen, das Geld zu sparen, das ihm den Flug nach Paris ermöglicht hatte – aber in diesem Moment wusste er, dass sich die Mühe durchaus gelohnt hatte. Sie erreichten den obersten Treppenabsatz und standen vor der Tür zur berüchtigten Dachkammer, wo die verhutzelte Alte zögerte, bevor sie den Schlüssel ins Schloss steckte.

»Es ist seltsam, Monsieur. Ich habe immer das Gefühl, dass ich die Ruhe in diesem Zimmer nicht stören will. Es ist albern, ich weiß, aber ich erwarte immer, dass es bewohnt ist – von ihm. Man sollte meinen, sein Selbstmord hätte dem Raum eine Aura von Tod und Düsternis verliehen, aber stattdessen spürt man seine Jugendlichkeit. Sie haben ihn in diesem albernen Film furchtbar dargestellt. Ich komme ursprünglich aus England und hatte keine Ahnung von der Legende dieses Mannes, als ich meinen französischen Mann heiratete, möge er in Frieden ruhen. Die Legende des Künstlers begann in Ihrem eigenen Land sich zu entwickeln, als Hollywood beschloss, seine erfundene Geschichte über Honoré Radin zu verfilmen. Und jetzt sagen Sie mir, dass Sie eine Biografie über den Maler schreiben.«

»Madame Dupin« ist ein Roman. Der Erfolg des jüngsten Horrorfilms, der sich auf sein berüchtigtes Gemälde und dessen angeblichen Fluch bezieht, hat ein großes Interesse an dem Künstler selbst geweckt. Ich bin nicht qualifiziert, eine authentische Biografie zu schreiben, Fiktion ist mein Metier; und in Wahrheit ist so wenig über Radin bekannt, dass ein tatsächlicher Bericht über sein Leben ein sehr kurzes Buch wäre.«

»Und so sind Sie in seine Dachkammer in Paris gekommen, um Ihnen bei der Schaffung seiner Qualität zu helfen?«

»Es ist das Ambiente, ganz einfach.«

Die ältere Frau nickte, dann zuckte sie leicht zusammen und drehte den Schlüssel im Schloss. Sie betrat den Raum nicht selbst, sondern winkte ihm mit einer gebrechlichen Hand zu. »Entrez, Monsieur Blake.« Der junge Mann ging an ihr vorbei in den Raum, und dabei stellte er sich vor, dass er eine andere Welt, ein älteres Reich betreten hatte. Die Frau an der Tür redete weiter. »Als die Leute aus Hollywood kamen, um die Eröffnungssequenz zu filmen, gaben sie ein Vermögen aus, um die Wohnung so zu restaurieren, wie sie an jenem Abend des Jahres 1848 ausgesehen haben könnte. Das ist ihnen ziemlich gut gelungen, wie Sie sehen können – die Gaslichter, die nachgemachten antiken Einrichtungsgegenstände. Ich habe die Henkersschlinge, die sie am Balken befestigt haben, entfernt – das war doch ein bisschen viel. Oh ja, es stand in unserem Vertrag, dass sie den Raum genau so verlassen, wie sie ihn restauriert haben – es war die einzige Bezahlung, die wir verlangten, da wir wussten, dass wir dann den Neugierigen den Besuch der Kammer in Rechnung stellen konnten.«

Aber Blake konnte sich nicht auf sie konzentrieren, denn er war ganz auf das Gemälde über dem Kaminsims konzentriert.

»Das ist die Replik, die Sie malen ließen?«

Sie nickte. »Sie wissen natürlich, dass sie das Original erworben haben, als sie die Sequenz von Radins Selbstmord gefilmt haben. Das war ein wilder Tag. Sie haben mich eigentlich eingeladen, den originalen Propriétaire im Film zu porträtieren, aber ich konnte einfach nicht im selben Raum sein mit diesem Ding in Öl! Diese Imitation fängt nicht die Aura des Originals ein. Wir hatten an diesem Tag hohe Sicherheitsvorkehrungen – das Museum wollte uns das Gemälde nur für einen Tag überlassen – wegen seines Rufs. Natürlich wissen Sie von den Verrückten, die spüren, dass das Bild böse ist, und von ihren Versuchen, es im Museum zu zerstören, wo es jetzt in einer geheimen Kammer weggeschlossen aufbewahrt wird. Ich stand hier, als sie das Original an seinem Platz anbrachten – und ich fühlte eine solche Vorahnung. Der Raum nahm eine andere Atmosphäre an. Ich habe nie an törichten Aberglauben festgehalten, und ich hielt das Böse für etwas, das nur im Menschen existiert. Aber als ich das Originalgemälde betrachtete, wusste ich, dass es das Werk einer makabren Seele war, eines Künstlers, der Kenntnis von geheimen Dingen hatte; und obwohl er sich das Leben nahm, starb das Böse, das er mit seinen Ölen heraufbeschwor, nicht, sondern wirft weiterhin seinen Schatten auf jeden, der zu genau auf das Geheimnis auf der Leinwand blickt. Ein geistiger Schatten, heraufbeschworen von einem kranken Künstler; und der Schatten bringt etwas Bösartiges mit sich.«

Obwohl er mit dem Rücken zu ihr stand, konnte der junge Schriftsteller das Zittern spüren, das ihre zierliche Gestalt erschütterte. Er drehte sich zu ihr um und sagte: »Wie dramatisch Sie es ausdrücken, gute Frau.« Ihre gequälten Augen hielten ihn einige Augenblicke lang fest, und obwohl er von ihrer seltsamen Sprache ergriffen war, zauberte er ein Lächeln hervor und schenkte es ihr. Dann kehrten ihre Augen zu dem Gemälde zurück, ebenso wie seine.

Ihre Stimme war nur ein leises Flüstern, als sie sprach. »Ich werde Sie dann mit Ihrem Sensenmann allein lassen.«

 

Er wandte sich um, um ihr zuzuwinken, und sah, dass er allein war. Plötzlich wurde er von einem absurden Gefühl der Panik ergriffen. Er wollte nicht allein in dem Zimmer sein, dieser Dachkammer der Stille und des Schattens und der Erinnerung. Einige der ursprünglichen Habseligkeiten des Künstlers, so munkelte man, befanden sich noch in dem Zimmer, das seine seltsame alte Vermieterin nach dem Selbstmord des Malers verschlossen hatte und nicht mehr vermieten wollte. Der Romanautor schaute nach oben und betrachtete den Deckenbalken, an dem das Seil befestigt war, das dem Künstler geholfen hatte, seine Sterblichkeit auszulöschen – ein Akt, der den Maler nun in eine Art Unsterblichkeit geführt hatte, wegen der reißerischen Legende seines Gemäldes und seines Fluchs. Ein Hauch dieser Legende verweilte im Raum und konzentrierte sich auf die Replik des berühmt-berüchtigten Ölgemäldes.

Der Schriftsteller ging zu einem hohen Bücherregal und studierte die Titel der Bücher, von denen die meisten auf Französisch waren. Sicherlich konnten dies nicht die Bücher sein, die Radin gehörten, dem man nachsagte, er würde sich mit Zauberei und schwarzer Magie befassen. Der Romanautor hatte an der Miskatonic University Sprachen studiert und sich in die Sammlung arkaner Kenntnisse der Bibliothek vertieft. So waren ihm die Titel in den Regalen vor ihm vertraut. Er berührte den Buchrücken von Cultes des Goules des Comte d’Erlette und mochte nicht, wie glitschig er den Einband fand, als wären die Buchdeckel in Schweiß getränkt worden. Er flüsterte andere Titel: Gaspard du Nords Übersetzung des Buches von Eibon aus dem dreizehnten Jahrhundert, und die seltsame Sorcerie de Démonologie. Er zog ein gebundenes Buch heraus und entdeckte zitternd, dass es sich um die höchst obskure französische Übersetzung des Necronomiconhandelte, von dem ein Exemplar aus einem südfranzösischen Kloster aus dem dreizehnten Jahrhundert verschwunden war. Jahrhundert in Südfrankreich verschwunden war. Nein, diese Titel konnten nicht authentisch sein, sie mussten clevere Requisiten sein, die von den Filmleuten hergestellt wurden.

Und doch war es nicht unwahrscheinlich, dass der Maler tatsächlich eine solche Bibliothek besessen hatte, denn er hatte sich in der Korrespondenz mit seinem Vater damit gebrüstet, mit dem schrecklichen Gott Thanatos gehandelt zu haben, und eine der Legenden, die sich um den Künstler rankten, besagte, dass sein Selbstmord sein letztes Opfer an diese dunkle Gottheit gewesen war. Dieser Teil der Legende war in einer Traumsequenz des Hollywood-Films prächtig, wenn auch reißerisch, dargestellt worden; aber als er in diesem Raum stand, wusste der Schriftsteller, dass der Film nicht die Tiefen erforscht hatte, bis zu denen Radin ein Kenner der dämonischen Künste gewesen war, und diese Erkenntnis veranlasste ihn, sich jetzt umzudrehen, um das Pièce de résistance von Honoré Radins Berühmtheit zu betrachten.

 

Das berüchtigte Gemälde trug den Titel »Der Sensenmann«, und es wurde geflüstert, dass derjenige, der das Bild besaß, eines gewaltsamen Todes starb, und dass seinem Ableben eine Warnung des Gemäldes selbst vorausging, in Form von Stigmata, die auf der Klinge des Sensenmanns erschienen. Er trat näher an die Leinwand heran und berührte mit seiner Hand die gebogene Klinge der Sense, und als er dies tat, spürte er einen echten Schauer des Schreckens, der durch die meisterhafte Darstellung des Todes hervorgerufen wurde. Dann bemerkte er eine in rostroter französischer Schrift gekritzelte Verszeile am unteren Rand des Gemäldes, die er als zu einem von Shakespeares Sonetten gehörig erkannte. Sein Gehirn übersetzte schnell:

 

»Und vor dem Sensenhieb der Zeit nichts wahrt …«

 

War diese Transkription Teil des ursprünglichen Gemäldes? In dem amerikanischen Horrorfilm, der auf der Legende vom Fluch des Gemäldes basiert, hatte es keinen Hinweis darauf gegeben. War dies der Schlüssel zu Radins wahnwitziger okkulter Suche nach der Unsterblichkeit?

Blake drehte sich um und spähte in eine düstere Ecke des Raumes, wo ein großer Gegenstand mit einem schwarzen Tuch verhüllt war. Er ahnte, was das Ding war, da er den Film so oft gesehen hatte. Auch das würde in seinem Roman über Radins verrücktes Leben und seinen geheimen Tod eine Rolle spielen. Er griff nach dem Tuch und riss es dramatisch zu Boden. Vor ihm stand der gerahmte Ganzkörperspiegel, der, wie er wusste, seit jenem trostlosen Abend im Jahr 1848 in dem Zimmer gestanden hatte, als der Künstler ein Ende seines Henkerseils an den Deckenbalken gebunden hatte. Blake starrte auf die Figur, die auf die Oberfläche des Spiegels gemalt worden war, und der kühle Raum wurde noch kälter. Vor ihm, in gedämpften Farben und verschwommenen Details, hatte der verrückte Künstler sein Selbstporträt gemalt. Es war fast vollständig, bis auf den untersten Teil der Hosenbeine und der Schuhe, die fehlten. Es vermittelte Blake den merkwürdigen Eindruck, als sei die lebensgroße Figur in und über die Oberfläche von silbernem Glas getreten. Wie unheimlich war es, vor diesem Bild zu stehen, das dem Raum ein seltsames Gefühl von Präsenz verlieh. Es war, als ob die eingefrorene Reflexion des Malers in die Chemie, mit der der Spiegel konstruiert worden war, eingefangen worden war.

Der Maler war ein stattlicher Bursche gewesen. Der amerikanische Film hatte Radin als einen Mann im frühen mittleren Alter porträtiert; aber wenn dieses Spiegelbild exakt war, war der Künstler so jung wie Blake selbst gewesen. Nur die Augen schienen gealtert, wie die von jemandem, der durch schändliches Studium eine Welt von seltenem Wissen, wenn nicht gar Weisheit erlangt hatte. Das Gesicht des jungen Mannes, so wie es gemalt worden war, war sehr blass; und Blake bemerkte eine Stelle an der Stirn, an der die Oberfläche des Spiegels leicht zerkratzt worden war, so dass sich eine Art seltsames, verwobenes Symbol in der Mitte von Radins Stirn gebildet hatte. Blake untersuchte die Hände, die der Künstler seitlich nach unten hielt, mit den Handflächen nach außen, und es verblüffte ihn, in der Mitte einer Handfläche das gleiche Symbol zu sehen, das auf den Spiegel gekratzt worden war; aber das Symbol auf der Handfläche war ein Teil des gemalten Bildes.

Blake starrte in die Schönheit der Augen des Künstlers. Die Lippen des Porträts waren leicht geschürzt, als ob sie im Begriff waren, einige seltene Worte zu flüstern. Von irgendwo im Raum begann sich eine Brise zu regen, die zu dem Romancier trieb und in sein Ohr seufzte. Blake kniete sich hin und studierte das Bild auf der Handfläche, während sich die Schatten hinter der gemalten Figur zu verschieben begannen. Ohne zu verstehen, was ihn motivierte, schloss Blake die Augen und presste seinen Mund gegen die bemalte Handfläche.

Wind rauschte an seinem Ohr. Er küsste ihn. Die Handfläche bewegte sich von seinem Mund weg und wob ihre Finger in sein Haar. Er konnte bewegte Schatten auf seinen Augenlidern spüren. Die Hand in seinem Haar straffte ihren Griff und hob ihn in eine stehende Position. War es der samtene Wind, der seine Augen so sanft küsste, der so leise gluckste? Blake öffnete seine brennenden Augen und konnte die wirbelnde Leere, in der er sich befand, nicht begreifen. Es war ein Ort außerhalb von Zeit und Raum, ein Reich zwischen den Sternen und dem Irrlicht. Es war nicht unbewohnt. Überall um ihn herum konnte Blake eine allwissende, körperlose Präsenz spüren. Sie lauerte vor ihm, blasphemisch, spukte durch die Dunkelheit. Sie verhöhnte ihn mit ihrem freudlosen Gelächter. Es nahm die Gestalt einer unheiligen Silhouette an, die sich ihm wie ein ungeordneter Makel näherte, ein Gespenst, eingehüllt in ein Gewand aus obsidianfarbener Widerlichkeit.

Er zitterte vor Angst und konnte sich doch nicht abwenden. Das seltsame Dunkle lächelte mit einem Zynismus, der die Sterblichkeit verachtete; und als es eine Hand hob, zitterte Blake, als die Leere zerfiel, als die Zeit zerfiel. Nichts entkam dem Kriechenden Chaos. Blake sah zu und verstand die Unsterblichkeit. Eine Essenz der Seele würde immer verweilen, wurzellos und zerstört, in dem Verfall von allem. Der Schriftsteller wollte die Augen schließen, konnte es aber nicht; und so sah er zu, wie das Phantom vor ihm in die Leere griff und zwei blasse Kugeln hervorholte. Blake wusste irgendwie, dass es die letzten sterbenden Sterne des zerrissenen Himmels waren, und er weinte, als er sah, wie schwach sie funkelten. Er keuchte, als der Äußere die Sterne zusammenschlug, so dass ein Blitz von ihnen ausging und auf das Ding aus Lehm und Knochen und Blut zuschoss. Er fühlte das Symbol, das auf seiner Stirn eingebrannt war, und konnte sich endlich von dem Alptraum abwenden und um Gnade schreien. Vor ihm erblickte er eine Glasscheibe. Er starrte durch das Glas in eine gasbeleuchtete Kammer, die unbewohnt war. Er sah, vage, sein Spiegelbild und das Symbol, das auf seiner Stirn pulsierte, mit Licht. Mit wahnsinniger Kraft schlug er die Stirn gegen die Glasscheibe.

 

Madame Dupin hörte das Krachen aus dem gemiedenen Zimmer. Sie hielt vor der Tür inne und fragte sich, warum sie geschlossen worden war. Schließlich stieß sie die Tür auf und zog eine Grimasse bei dem Geruch, der ihr entgegenwehte, dem Geruch von etwas Abscheulichem, Verbranntem. Sie zögerte wieder, bevor sie vorsichtig in die Kammer schlich. Wie schwach flackerte das Gaslicht, als fürchtete es sich vor irgendeiner grässlichen Erscheinung. Es war niemand im Zimmer, und doch war die ältere Frau sicher, dass der junge Mann es nicht verlassen hatte. Ihr erster Schock kam, als ihr Blick auf der Replik von Honoré Radins verdorbener Leinwand ruhte – dort, auf dem Bild der Klinge des Sensenmannes, war eine dicke Schicht aus Wundflüssigkeit, eine stinkende Sauerei, die ein Blutfleck der Nacht hätte sein können. Der Gestank des Raumes ging von dieser Schicht aus. Als sie sich von dem abscheulichen Anblick abwandte, sah sie, wo das Glas des Spiegels zerbrochen war und den Boden mit Scherben übersät hatte. Wie konnte das mit einem Relikt passieren, das so viele Jahrzehnte überdauert hatte? Was hatte der Amerikaner in dem Raum getan, und wo hatte er sich versteckt? Sie bückte sich, um eine Glasscherbe aufzuheben, auf der das gemalte Bild einer Hand zu sehen war. Sie hielt es zärtlich, bis sie das Rinnsal von Blut bemerkte, das an ihrem Finger herunterlief. Wie seltsam war es, zu sehen, wie ihr Blut, das auf das von ihr gehaltene Stück des Spiegels glitt, irgendwie in die Textur des Glases absorbiert wurde. Sie warf die Scherbe von sich.

Dann bemerkte die alte Frau eine Bewegung auf dem Boden, ein dunkles Bild, das sich auf der größten Scherbe zu winden schien, die zwischen den Trümmern des zerbrochenen Spiegels lag. Sie beugte sich herunter, hob mit ihrer blutbefleckten Hand die schwere Scherbe auf und starrte auf das Gesicht, das darin zitterte. Sie verstand nicht, warum das gemalte Bild, von dem sie wusste, dass es das des selbstmordgefährdeten Künstlers sein sollte, der sich vor so langer Zeit in dem Zimmer erhängt hatte, nun das des jüngsten Besuchers des Zimmers war, des Schriftstellers Blake. Als dieses Gesicht seine geschwollenen Lippen öffnete und ein verletztes Heulen ausstieß, floh Madame Dupin für immer aus dem Zimmer, während die große Scherbe des verzauberten Spiegels, die ihr aus der zitternden Hand fiel, in tausend Stücke zersplitterte.

 

 

ENDE

Das Grabmal von Oscar Wilde

 

von W. H. Pugmire

 

 

 

Und fremde Tränen werden für ihn füllen

Des Mitleids längst zerbrochene Urne,

Denn seine Trauernden werden Ausgestoßne sein,

Und Ausgestoßne trauern immer.

Oscar Wilde

 

 

»Warum hast du mich hierher gebracht?«, murmelte ich und wandte mich vom dem grotesk verunstalteten Anblick ab. »Ich finde den Anblick äußerst deprimierend. Bitte, lass uns gehen.«

Aber die Dichterin, die sich »Celaeno« nennt, lachte nur über meine offensichtliche Theatralik. »Sei nicht albern, Yakov. Was du für verunstaltet hältst, sind die echten Liebesbeweise unzähliger Bewunderer.«

»Das Grab eines Dichters mit Graffiti zu verunstalten, ist das Gegenteil von bewundernswert. Wie viele der Dummköpfe, die ihre bemalten Lippen auf dieses Grab gedrückt haben, haben jemals ‚Die Sphinx‘ oder ‚Das Haus der Hure‘ gelesen? Oder« – und ich zeigte mit einem langen Finger auf sie – ‚Das Grab von Keats‘? Wenn sie Wilde huldigen wollen, sollen sie ein Gedicht schreiben. Aber sein Grab auf diese Weise zu verunstalten! Ich habe von diesen hässlichen Lippenstiftflecken gehört, aber ich hatte keine Ahnung, dass es so viele davon gibt. Sie haben diesen heiligen Ort mit ihren Judasmäulern verunstaltet und das getötet, was sie lieben. Hinfort, hinfort!« Aber meine Begleiterin lächelte nur und summte ein paar Takte von Chopins düsterem Prélude Nr. 24. »Jedenfalls sollten wir zu dieser grässlichen Stunde nicht hier sein, und das Letzte, was ich brauchen kann, ist, verhaftet zu werden, weil ich diesen Ort betreten habe, nachdem er geschlossen wurde. Woher du von dem anderen Tor wusstest und wie man es öffnet, ist ein Geheimnis, über das ich nicht nachdenken möchte. Nein, lass uns gehen, Rochel.«

»Aber es gibt noch so viel mehr zu sehen. Wir pfeifen an Chopins Grab, nachdem wir hier etwas Magie heraufbeschworen haben.« Sie hob die Teile ihres schwarzen Gewandes auf, das ihr von den Schultern zur Erde fiel, und sah dabei einem geflügelten, mythischen Wesen sehr ähnlich. Mich verzauberte sie damit nicht. Irgendein geflügeltes Ding schwebte über uns in den Pariser Nachthimmel.

»‚Beschwören‘? Nein, nein, ich möchte nicht mit dem Dichter kommunizieren, außer durch die Alchemie seiner Seiten. Keine Gespenster müssen sich hier melden. Ich brauche an diesem Ort keine deiner ausgefallenen Zaubereien. Oscars Poesie ist Zauberei genug.«

Sie zeigte hinauf zum Himmel. »Es ist Rosh Chodesh, Yakov.«

Ich folgte ihrem Finger und blickte auf den Ausschnitt des Mondes. »Ich weiß nicht, was das bedeutet.«

»Erinnerst du dich an Wildes ‚La Fuite de la Lune‘?« Ohne meine Antwort abzuwarten, begann sie den ersten Vierzeiler zu singen, so wie ihn der amerikanische Komponist Charles Griffes vertont hatte:

 

»Für die äußeren Sinne gibt es Frieden,

Eine verträumte Ruhe auf beiden Seiten,

Tiefe Stille im schattigen Land,

Tiefe Stille, wo die Schatten aufhören.«

 

Wie von ihrem Gesang herbeigezaubert, kroch ein Frösteln in die Abendluft, und ein Wolkenvorhang verdeckte für kurze Zeit den Mond. Der Engel aus der Zeit der Moderne auf Wildes Grab wurde zu einer dunkleren Kreatur und wirkte nun wie eine düstere Sphinx, die jeden Moment ein unergründliches Rätsel flüstern konnte. Ich stand in der tiefen Stille eines Schattenlandes, in dem die Erinnerung an welkes Leben in einer sanften Brise zu mir herüber wehte. Als wäre ich seltsam besessen, kam mir wieder eine Erinnerung an Wilde in den Sinn, und ich flüsterte einen Vers seiner Lyrik: »Eine schöne und stille Sphinx beobachtete mich durch die wechselnde Düsternis.« Kaum hatte ich meinen Vers gesprochen, verzogen sich die Wolken vor dem Mond, und Sternenlicht küsste meine Augen. »Hast du nicht eigene Verse in Erinnerung an Wilde geschrieben?«, fragte ich, mein Gesicht immer noch zum Himmel erhoben.

 

»Mein Lied, gefangen in dieser Höhle meines Schädels,

Kann dieser plumpe Mund nicht singen;

Meine Lippen werden so von Dichters Trunkenheit verzehrt,

Mein Lied wird zu einer Hymne, unausgesprochen, nichtig.

Und so singe ich mit feuchten Augenglanz,

Ein unausgesprochenes Gebet zum silbernen Mond

Wie Flüssigkeit von den Lippen eines dumpfen Idioten tropft,

Der sich sehnt, Poesie in den Himmel zu trällern.

Mein Mund ist fest verschlossen, aber jetzt wird meine Seele gleiten

Zum alten Mond als Schmerz einer stillen Hymne

In dem ich huldige, wie grimmig auch immer,

Auf einen, dessen anmutige Sprache nie gestorben.

Lieber Oscar, nimm mein Lied als stilles Zeichen.

Es ist mein Geschenk, wie zerbrechlich und gebrochen auch immer.«

 

Sie beendete ihre Rezitation, schaute mich an und zuckte die Schultern. »Nun, es ist ziemlich schlecht, ich weiß. Eines Tages werde ich es aufpolieren und drucken lassen – vielleicht.«

Ich zuckte ebenfalls die Schultern und lächelte, dann schaute ich wieder auf das riesige Grab vor uns. Ein schwaches Verlangen, das Kaddisch zu flüstern, überkam mich, obwohl ich nicht über einen Minjan verfügte. Ich erinnerte mich daran, dass dies Rosh Chodesh war, der erste Tag im jüdischen Monat, nach Neumond. Und das ließ mich an Oscar denken, der in seinen letzten Jahren seiner sterblichen Existenz dem Vergessen anheimgefallen war; doch wie der Mond kehrte Wilde zurück und wuchs zu ganzer Fülle, so dass er jetzt in ewigem Opalglanz durch die Magie seiner Werke und die Tragik seiner Geschichte erstrahlt. Und so flüsterte ich einen Teil des Gebetes auf Hebräisch, das auf Englisch etwa so lauten würde: »Du hast Deinem Volk die Feier des Neumonds gegeben, eine Zeit der Sühne für alle ihre Generationen.«

Rochel schnaubte. »Kaphar?«, sagte sie auf Hebräisch. »Was, du würdest Wilde bereuen lassen? Pah. Dieser Dichter verdient es, dass man zu einer dunkleren Gottheit betet. Wie wäre es damit?«

Ich runzelte die Stirn, als sie begann, ihre Hymne an die Dunkelheit zu rezitieren, und doch konnte ich nicht anders, als zu staunen, wie ihr kleiner Mund diese arkanen Worte so perfekt aussprach.

»Y'ai, Shub-Niggurath! Y'gai h'yeh Aklo shoggoth! Ygnaiih … ygnaii … Shub-Niggurath!« 

 

*

 

Wieder breitete sich die Dunkelheit am Himmel aus, und Wind kam auf. Ich sah zu, wie sich Rochels langes Gewand hinter ihr wie dämonische Flügel ausbreitete, während ihr falkenartiges Gesicht mich in bewegenden Schatten anglotzte. Ich erinnerte mich daran, warum sie ihr Pseudonym angenommen hatte. Sie fuhr fort, diese widerwärtige Sprache zu murmeln, aber jetzt kombinierte sie sie mit dem Hebräischen eines Gebetes, mit dem ich nicht vertraut war. Der monströse Klang ließ meine Seele verdorren und mein strömendes Blut gefrieren.

»Mein Herz!« Ich stöhnte auf. »Du hast es mit deiner teuflischen Kunst ausgezehrt. Es verwelkt und wird bald nutzlos und nichtig sein. Ich werde als herzloser Unhold auf der Erde wandeln, ohne Leidenschaft und Poesie. Oh, oh!«

Die Hexe lachte und schob sich von mir weg, zum Grab hin und drückte ihren Mund zwischen die grässlichen Lippenstiftflecken. Ich wollte sie verfluchen, aber meine Glieder ließen mich im Stich, und ich fiel zu Boden, während sich namenlose Schemen im gespenstischen Himmel tummelten und das Sternenlicht auslöschten. Ein Ding aus monströsem Nebel begann, in der Kluft der Nacht zu brodeln, und ich hatte keinen Zweifel, dass dies die »Gottheit« war, die Rochel mit ihrer unheiligen Kunst herausbeschworen hatte. Von Düsternis umhüllt, grub ich meine Nägel in die Erde neben Oscars Grab. Ich sah seinen eingravierten Namen, schwer lesbar auf dem Stein, verunstaltet durch die grässlichen roten Schmierereien von Lippenstift, dessen tierische Fette den Stein des Denkmals verwüsten und irreparablen Schaden anrichten würden.

---ENDE DER LESEPROBE---