Unter den heimlichen Schatten – 9 unheimliche Erzählungen - W. H. Pugmire - E-Book

Unter den heimlichen Schatten – 9 unheimliche Erzählungen E-Book

W. H. Pugmire

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Beschreibung

»Manchmal, spät in der Nacht, wenn ich auf meiner Pritsche in dieser Zelle liege, glaube ich, die Stimmen des Königspaares zu hören, die mir in der Dunkelheit zuflüstern … unirdische Stimmen, die von warmen Winden aus der Wüste herübergetragen werden. Sie sagen mir, dass ich geduldig sein soll, und dass ich, wenn die Stunde gekommen ist, an der rechten Seite ihres Throns sitzen werde, um das neue Reich zu regieren. Und die Herrlichkeit, die vor so langer Zeit in den Wellen versank, wird sich wieder erheben, und die ganze Menschheit wird in Ehrfurcht vor ihrer von den Sternen hervorgebrachten Weisheit und Schönheit erschaudern. Und ich warte in Ekstase.«
David Barker hat in Zusammenarbeit mit W. H. Pugmire zwei Sammlungen mit von H. P. Lovecraft inspirierten Horrorgeschichten veröffentlicht: The Revenant of Rebecca Pascal und In the Gulfs of Dream & Other Lovecraftian Tales (Dark Renaissance Books, 2015) – der vorliegende Band ist eine Auswahl aus In the Gulf of Dream und erscheint in Welterstveröffentlichung in deutscher Sprache.


In diesem Band sind folgende Kurzgeschichten enthalten:
› Die Treppe in der Krypta – David Barker & W.H. Pugmire.
› Dein Elfenbeinturm – W.H. Pugmire
› Unter den heimlichen Schatten – David Barker
› Tausend Zigaretten – W.H. Pugmire
› Der Tempel des Wurms – David Barker
› Ein Trugbild des Schmutzes – W.H. Pugmire
› Die Urnen – David Barker
› Durch das Tor des Sonnenuntergangs – W.H. Pugmire
› Der Einsiedler– David Barker

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Ähnliche


 

 

 

David Barker / W.H. Pugmire

 

 

Unter den

heimlichen Schatten

 

 

 

 

 

9 unheimliche Erzählungen

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © by Steve Mayer nach Motiven, 2022

Übersetzung: Bärenklau Exklusiv / Marten Munsonius

Korrektorat: Antje Ippensen

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die Handlungen dieser Geschichten sind frei erfunden sowie die Namen der Protagonisten. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht gewollt.

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Die Treppe in der Krypta  

1. 

2. 

3. 

4. 

5. 

Dein Elfenbeinturm 

Unter den heimlichen Schatten  

Tausend Zigaretten 

Der Tempel des Wurms 

Ein Trugbild des Schmutzes 

Die Urnen  

Durch das Tor des Sonnenuntergangs 

Der Einsiedler 

Folgende weitere Bände von W. H. Pugmire & David Barker sind bereits erhältlich oder befinden sich in Vorbereitung 

 

Das Buch

 

 

 

»Manchmal, spät in der Nacht, wenn ich auf meiner Pritsche in dieser Zelle liege, glaube ich, die Stimmen des Königspaares zu hören, die mir in der Dunkelheit zuflüstern ... unirdische Stimmen, die von warmen Winden aus der Wüste herübergetragen werden. Sie sagen mir, dass ich geduldig sein soll, und dass ich, wenn die Stunde gekommen ist, an der rechten Seite ihres Throns sitzen werde, um das neue Reich zu regieren. Und die Herrlichkeit, die vor so langer Zeit in den Wellen versank, wird sich wieder erheben, und die ganze Menschheit wird in Ehrfurcht vor ihrer von den Sternen hervorgebrachten Weisheit und Schönheit erschaudern. Und ich warte in Ekstase.«

David Barker hat in Zusammenarbeit mit W. H. Pugmire zwei Sammlungen mit von H. P. Lovecraft inspirierten Horrorgeschichten veröffentlicht: »The Revenant of Rebecca Pascal« und »In the Gulfs of Dream & Other Lovecraftian Tales« (Dark Renaissance Books, 2015) – der vorliegende Band ist eine Auswahl aus »In the Gulf of Dream und erscheint in Welterstveröffentlichung in deutscher Sprache.

 

In diesem Band sind folgende Geschichten enthalten:

 

› Die Treppe in der Krypta – David Barker & W.H. Pugmire.

› Dein Elfenbeinturm – W.H. Pugmire

› Unter den heimlichen Schatten – David Barker

› Tausend Zigaretten – W.H. Pugmire

› Der Tempel des Wurms – David Barker

› Ein Trugbild des Schmutzes – W.H. Pugmire

› Die Urnen« – David Barker

› Durch das Tor des Sonnenuntergangs – W.H. Pugmire

› Der Einsiedler– David Barker

Originaltitel der Geschichten finden Sie im Anhang.

 

***

 

 

Die Treppe in der Krypta

 

von David Barker & W.H. Pugmire

 

 

 

1.

 

 

Es war ein strahlend schöner Herbstnachmittag, als wir das Haus meines Freundes und Mitarbeiters Ephraim Kant verließen und uns auf den alljährlichen zweistündigen Spaziergang zum Grab seiner geliebten verstorbenen Frau Lunulae Kant (geb. Morelle) begaben.

Normalerweise machte er diese Reise allein, aber dieses Jahr war es irgendwie anders.

Er erzählte mir, dass sich »die Situation« in Bezug auf seine Frau radikal verändert habe und der einsame Weg für ihn nicht mehr die Bedeutung habe, die er früher hatte. In welcher Weise sie sich verändert haben könnte, konnte ich mir nicht vorstellen. Da ich meinem Freund gegenüber nicht unsensibel sein wollte, hielt ich mich zurück, aber in meinem eigenen Kopf schrie ich ihn praktisch an.

Um Himmels willen, sie ist tot, Kant! Wie, um alles in der Welt, konnte sich deine Beziehung zu ihr von letztem Jahr bis heute so sehr verändert haben? An jenem schrecklichen ersten Jahrestag ihres Todes, als du dich im strömenden Regen auf den Weg gemacht hast, hatte sich natürlich alles verändert. Du warst das ganze Jahr über durch die Hölle gegangen, verrückt vor Trauer. Sie sterben zu sehen, während du danebenstandest, unfähig, den Prozess zu stoppen oder auch nur ihr Leiden zu lindern, hatte eine schreckliche Wirkung auf dich. Der Übergang vom Leben zum Tod, vom Atmen zur ewigen Stille, ist ein schrecklicher Vorgang. Beinahe über Nacht wurde sie von einem jungen, lebhaften, schönen und himmlischen Wesen zu – nun ja, verzeih – einem blassen Leichnam, der vor der Tür des Himmels lag.

Unausgesprochene Worte, von denen mein Freund nichts ahnte, als wir schweigend eine breite Strecke der alten Landstraße zwischen der kleinen Stadt in Neuengland, in der wir beide wohnten, und dem Grab von Lunulae auf dem Grundstück der Familie Morelle auf dem High Crest Cemetery entlang schlenderten. »Du weißt es nicht, Elias.«

»Oh, ich weiß. Auch wenn es mir persönlich nicht passiert ist, kann ich …«

»Nein, höre mir zu. Du hast keine Ahnung. Ich habe dir nichts davon erzählt. Es ist nicht – es war nicht so – wie du und alle anderen dachten.«

»Also, ich höre jetzt zu. Sage es mir.«

»Du erinnerst dich«, sagte er mit gedämpfter Stimme und starrte beim Gehen mit auf dem Rücken verschränkten Händen auf den Boden, »sie bekam plötzlich Fieber. Woher die Infektion kam, wurde nie geklärt. In den nächsten Tagen verschlechterte sich ihr Zustand, und in der dritten Nacht rief ich den Arzt. Er gab ihr eine Opiatspritze gegen die Schmerzen, nahm mich dann beiseite, ohne dass sie es hörte, und sagte ganz unverblümt, dass es keine Hoffnung gäbe. Keine Hoffnung, Elias!«

Mein Freund war den Tränen nahe. Ich schüttelte mitleidig den Kopf.

»Ich konnte es nicht ertragen, sie zu verlieren. Ich konnte es einfach nicht ertragen. Ich habe etwas Unheilvolles getan, Elias. Ich weiß, dass es falsch und eitel war und keine wirkliche Lösung darstellte, aber es war die einzige Alternative, die ich zu diesem Zeitpunkt sehen konnte. Mein Verstand wollte nicht akzeptieren, dass sie begraben wurde, dass ihr Körper verwesen würde, dass sich die Würmer an ihrem schönen Fleisch labten. Ich konnte die Vorstellung nicht ertragen. Ich wäre verrückt geworden, sage ich dir. Weißt du noch, wie sehr ich sie verehrt habe? Ich war ein besessener Mann, unsagbar besessen von ihrer greifbaren Schönheit. Das wollte ich nicht zulassen, wie ich es hätte aber doch tun sollen.«

»Ich wüsste nicht, welche Alternative du hättest.«

»Oh, es gab eine Alternative.« Er schwieg eine Weile, dann kam ein fahles Lächeln auf seine Lippen. »Kleiner Mond habe ich sie genannt. Das bedeutete ihr Name auf Lateinisch. Ich konnte sie nicht für ewig in diese Dunkelheit hinabgleiten lassen. Also tat ich etwas, was ich jetzt zutiefst bedaure. Ich habe es nicht selbst getan, aber ich habe es veranlasst! In der letzten Nacht, als es sicher war, dass sie nur noch Stunden von ihrem Tod entfernt war, erlaubte ich einem Arzt mit eher fragwürdiger Ethik, ein gewisses unorthodoxes Verfahren durchzuführen. Ich hatte in der Stadt ein Gerücht von der geschwätzigen alten Hexe gehört, die unten beim Büro der Historischen Gesellschaft einen Kerzenladen betreibt. Sie erzählte mir, dass unser Hausarzt einen ›Partner‹ in einem nahen gelegenen Dorf hätte, der meiner Frau helfen könnte. Es gäbe eine Möglichkeit, das Unvermeidliche hinauszuzögern, oder, wie sie es ausdrückte, ›sie länger hier zu behalten, als es die Natur sonst zulassen würde.‹

 Es war möglicherweise illegal und wurde von den örtlichen Geistlichen definitiv missbilligt, aber sie schwor, dass es wirksam war.

Der betreffende Herr würde das gegen ein beträchtliches Entgelt tun.

Für Lunulae war das mit einem gewissen Risiko verbunden. Dieser ziemlich mysteriöse Herr wandte etwas an, das im neunzehnten Jahrhundert ›Mesmerismus‹ genannt wurde – du erinnerst dich sicher noch daran, wenn du Poe gelesen hast. Die Idee war, dass, wenn ein tiefer hypnotischer Zustand im Moment des Todes herbeigeführt würde, die sterbende Person auf halbem Weg zwischen dieser Welt und der nächsten schweben würde, in einer Art Zwielicht-Dimension, in der sie weder ganz lebendig noch ganz tot war. Sie würden weder atmen, noch sich bewegen oder sprechen, aber die Röte des Lebens würde auf ihren Wangen bleiben und ihr Körper würde sich nicht zersetzen. Theoretisch konnten sie für immer so bleiben, solange die Trance ungebrochen blieb. Unheilig.«

Ich dachte, er würde mich verarschen, aber ein Blick in sein Gesicht überzeugte mich vom Gegenteil.

»Die Handlung von Poes The Facts in the Case of M. Valdemar.«

»Nicht ganz, aber in etwa so. Lange Rede, kurzer Sinn: Der Mann kam zum Haus, ich bezahlte ihn, und er tat es.«

»Hat es funktioniert?«

»Ja. Zu gut. Besser, es wäre gescheitert und ich hätte mein Geld für törichte Hoffnungen vergeudet.«

»Also … sie ist sozusagen gestorben, aber nicht wirklich – was auch immer das bedeutet?«

»Nun, sie hat aufgehört zu atmen. Sie rührte sich nicht. Es gab keinen Puls. Ihre Haut fühlte sich kühl an.

Praktisch gesehen schien sie tot zu sein. Der Arzt unterschrieb die Sterbeurkunde, und ein Bestatter wurde geholt. Ich gab ihm die ausdrückliche Anweisung, dass mit ihrem Körper keine traditionellen Bestattungsvorbereitungen getroffen werden sollten. Ich wollte nicht, dass sie einbalsamiert oder eingeäschert wird, nichts von alledem. Sie sollte einfach nur gewaschen und in ein weißes Seidenkleid gekleidet werden und in einer würdigen Position in den Sarg gelegt werden. Ich bat um einen besonderen Sarg: einen mit einer Glasabdeckung, damit man sie in ihrer Ruhe betrachten konnte. Ich bin sicher, dass er mich bestenfalls für exzentrisch, wenn nicht gar für verrückt hielt, aber er tat, was ich verlangte. Ihre Familie war zu erschüttert, um irgendetwas davon in Frage zu stellen. Sie fügten sich stillschweigend meinem Wunsch, dass ihr Sarg im Erdgeschoss des Familienmausoleums aufbewahrt und nicht in die unteren Krypten hinuntergebracht werden sollte.«

An diesem Punkt des Gesprächs kamen wir in einen schönen Abschnitt einer von Zypressen gesäumten Straße, die dicht mit Laub in goldenen Herbsttönen bedeckt war. Die Straße war mit einer dicken Schicht abgefallener gelber und brauner Blätter bedeckt, die den Eindruck erweckten, als würden wir über ein riesiges Vermögen an Goldmünzen stolpern.

»Hier, einmal durch eine Gasse Titanic …«, zitierte Ephraim.

»In Cypress bin ich mit meiner Seele herumgewandert«, fuhr ich fort. »Of Cypress, with Psyche, my Soul«, stimmte ich an und ergänzte den Satz aus »Ulalume«.

Er lachte leise, aber es war mehr Schmerz als Heiterkeit darin.

»Damals war mein Herz ein lodernder Vulkan«, sinnierte er. »Ich habe für sie gebrannt. An den Tagen und in den Nächten brannte ich lichterloh.«

»Und da lag sie, in ihrem Grab, perfekt, unversehrt, immer noch schön«, ergänzte ich.

»Ganz genau. Es war krank. Ich weiß, dass es krank war. Bei jedem Besuch brachte ich einen kleinen antiken Silberspiegel mit, den ich von meiner Urgroßmutter geerbt hatte, und hielt ihn an Lunulaes Lippen, um zu sehen, ob das Glas vielleicht beschlagen würde.

Das tat es nicht.

Sie atmete nicht, aber sie war auch nicht tot. Sie schwebte einfach in einer zeitlosen Traumwelt, fern und für immer unerreichbar. Ich sehnte mich danach, sie in meinen Armen zu halten, sie zu streicheln, ihre Wärme an mir zu spüren und zu sehen, wie sich ihre Augen weiteten und ihre Nasenlöcher aufblähten. Oder einfach nur ihr goldenes Haar zu streicheln, wenn sie seufzte. Weißt du, manchmal habe ich mein Gesicht ganz nah an ihr Gesicht gelegt, während sie unbeweglich auf ihrem Satinkissen lag, und ich schwöre, ich konnte ihre Süße riechen, den honigartigen Geschmack ihres Speichels. Ich konnte mich nur schwer davon abhalten, ihre Wange zu berühren, um zu testen, ob sie warm ist.«

»Du würdest dorthin gehen, in die Krypta, und den Glasdeckel anheben?«

»Ja – ich würde.«

Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte, und sagte nichts. Wer war ich, dass ich meinen Freund in seiner Verzweiflung verurteilen konnte?

Nun kamen wir in eine dunkle Gegend, ein Waldgebiet an einem Bergsee, wo die Sonne durch den dichten Bewuchs, der sich von allen Seiten an die nun schmale Straße drängte, verdeckt wurde. Ein oder zwei Mal glaubte ich, eine flüchtige, verstohlene Bewegung wahrzunehmen – ein silbriges Aufblitzen in den dunklen Zwischenräumen zwischen den Bäumen –, aber ich führte das auf die Verschiebung der Schatten zurück, die durch den Wind verursacht wurde.

»Siehst du sie auch?«, fragte Ephraim.

»Was soll ich sehen?«

»Die Leichenfledderer! Sie verfolgen mich jedes Mal, wenn ich hier vorbeikomme. Ich glaube, sie spüren die Unreinheit in meinem Herzen. Sie kennen das Böse in mir und wollen es mir aus der Brust reißen.«

»Mein Gott, was sagst du da?«

»Es ist beängstigend, ich weiß. Dem kann man nicht entkommen. Früher musste ich mich stählen, um die Reise anzutreten. Aber aus irgendeinem Grund fühle ich mich in diesen Tagen vor ihnen geschützt. Vielleicht durch meine Liebe zu Lunulae. Sie ist meine Muse. Ihr Geist hält sie in Schach, die uns gierig, aber beherrscht beäugen.«

»Es ist nur der Wind in den Bäumen, der die Schatten verschiebt. Das ist alles. Dort gibt es nichts, was uns schaden könnte.«

»Es ist angenehm, das zu glauben«, sagte er. Doch er lächelte dabei nicht.

 

 

 

2.

 

 

Als wir den düsteren Wald verließen, erzählte mir Ephraim von einem Traum, den er im ersten Jahr hatte. Es war ein paar Tage nach einem Besuch an ihrem Grab. Er ging oft dorthin, fast wöchentlich, zusätzlich zu seiner jährlichen Pilgerfahrt am Jahrestag ihres Todes.

 

»In diesem Traum tat ich das, wonach ich mich im Wachleben sehnte, was ich aber nie zu tun wagte. Ich lag neben Lunulae, meine Arme um ihre Taille. Es war ein keuscher Traum – wir waren beide vollständig bekleidet – und doch war er wild erotisch. Ich starrte in ihre Augen, diese herrlichen, leuchtenden Kugeln, und ich murmelte das eine Wort, das sie mir immer verboten hatte, in Bezug auf sie zu benutzen: ›Schön‹.

Es gefiel ihr nicht, dass ich sie wegen ihrer Schönheit liebte. Sie hielt das für billig und niedrig, für banal. Sie wollte nur für die Essenz ihres Wesens geliebt werden – ihren brillanten Verstand und ihre ewige Seele. Und natürlich habe ich sie für diese Dinge geliebt, aus tiefstem Herzen, ebenso wie für ihre sehr realen körperlichen Reize. Gleichzeitig hatte ich eine große, irdische Begierde nach ihr, und ich schäme mich nicht, das zuzugeben. Ich konnte sehen, dass sie wegen dieses Ausrutschers wütend auf mich werden würde, also versuchte ich ein unbeholfenes Wiedergutmachen – als könnte ich was retten – und fügte hinzu: ›… Augen. Was für schöne Augen du hast.‹ Sie waren wunderschön. Blassblaue Iris mit dunkelblauen Gewitterwolken, die über sie hinwegziehen, gesprenkelt mit feurigen Blitzen aus Rot, Braun und Gold – wie lebende Opale.«

Der Nachmittagshimmel war hier heller und die Straße breiter. Es gab keine weiteren unheimlichen Anzeichen für die Nähe von Ghulen. Vielleicht war er auf irgendeine mysteriöse Weise geschützt.

»Dann, im Traum, tat Lunulae etwas Schreckliches. Sie griff mit ihrer Hand zu ihrem linken Auge, das nur wenige Zentimeter von meinem rechten Auge entfernt war, und zog die Haut des Augenlids so weit wie möglich nach oben, so dass der beunruhigende Anblick ihres Augapfels in seiner fleischigen Augenhöhle zum Vorschein kam, der zu groß und korpulent aussah, wie ein fetter, weißer Friedhofswurm.

Ich wachte auf und keuchte entsetzt.

 Elias, es war, als würde sie mir sagen, dass mein schmutziger kleiner Plan nichts taugte, dass er völlig hoffnungslos war. Egoistischerweise wollte ich sie hier bei mir behalten, in diesem schönen Körper, aber sie war in andere Gefilde weitergezogen, und der Organismus, der ihr Wesen einst beherbergt hatte, war dem Verfall und der Auflösung geweiht. Irgendwann würde das Grab sie endgültig holen.«

Die Straße endete abrupt an einem unregelmäßigen Felsvorsprung, in dessen Mitte vor unzähligen Jahren Stufen in den Stein gemeißelt worden waren, die nach unten führten.

---ENDE DER LESEPROBE---