Durch die Dunkelheit - Dieter Eigler - E-Book

Durch die Dunkelheit E-Book

Dieter Eigler

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Beschreibung

Roman Daniel gerät in eine sehr besondere Situation, als er plötzlich und dauerhaft all seiner Sinneswahrnehmungen beraubt wird. Was denkt er in dieser Situation, empfindet er noch etwas, oder nur noch das "Nichts"? Wie wird es ihm ergehen, wie strukturiert er seine Zeit und seine Gedanken? Daniel ist ein gläubiger Mensch, der gut allein mit Gott zurechtkommt. Doch ist er wirklich ganz allein? Oder gibt es da noch Anknüpfungspunkte zu den anderen Menschen? Dieser Roman wurde 2014 geschrieben und nun gekürzt veröffentlicht.

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Seitenzahl: 105

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Dunkelheit und Finsternis sind beileibe nicht dasselbe. Im Gegenteil, Dunkelheit und Finsternis haben wenig gemein, außer, dass in beiden kaum oder gar kein Licht da ist.

In der Dunkelheit ist aber einfach keine Möglichkeit gegeben, Licht zu sehen, es ist schlichtweg keines da, oder nur so wenig davon, dass man es nicht wahrnehmen kann. In der Finsternis hingegen, muss man nur die Hand von den Augen nehmen, den Vorhang aufreißen oder was immer sonst das Licht verdeckt, entfernen und schon sieht man das Licht.

Finsternis ist immer wie eine Sonnenfinsternis - wenn nur der Mond weg wäre, dann schiene weiterhin die Sonne.

Dunkelheit ist ein Bereich auf der nicht diskreten Skala von völliger Dunkelheit bis zu gleißender Helligkeit, also kein absoluter Wert, sondern ein größerer Bereich verschiedener, aber durchwegs sehr niedriger, Helligkeitsstufen. Finsternis hingegen ist ein absoluter, ja ein binärer Wert. Null ist finster, eins ist hell, es gibt da kein dazwischen. Es gibt kein halbfinster, während es sehr wohl ein halbdunkel gibt. Dunkelheit ist sozusagen immer noch Teil des Lebendigen, Finsternis ist dagegen immer tot.

Dunkelheit hat noch Restlicht und Restwärme, man spricht zwar von völliger Dunkelheit, aber die gibt es in der Realität ebenso wenig wie den absoluten Nullpunkt auf der Temperaturskala oder das perfekte Vakuum.

Von Finsternis hingegen anders zu sprechen als von absoluter, macht überhaupt keinen Sinn. So wie man eben noch Licht wahrnimmt, befindet man sich in keiner Finsternis, sondern immer noch im Licht.

Die Finsternis verhält sich zum Licht in derselben Weise wie der Schatten. Es ist der Kontrast zum Licht, der diese Begriffe definiert und ausmacht: wenn das Licht nicht definiert wäre, so wäre auch die Finsternis unbestimmt, ohne Licht kein Schatten - und auch keine Finsternis.

Von der Dunkelheit immer mehr ins Licht zu kommen, ist aller Menschen Weg. Jeder Mensch beginnt mehr oder weniger in der Dunkelheit, die meisten versuchen aber, sich dem Licht immer mehr zu nähern.

In die Finsternis hingegen gerät, wer das Licht als zu gleißend empfindet und sich bewusst die Hände vor die Augen hält; wer die Finsternis lieber mag, der versteckt sich vor dem Licht, ganz bewusst und willentlich.

Mutter Teresa hat ihr Lebtag lang in Dunkelheit gelebt, sie ist aber nie der Finsternis erlegen.

In solch einem Dunkel war Daniel ganz unvermittelt und von einem Augenblick auf den anderen gelandet.

Diese Dunkelheit betraf nicht nur sein Sehen, sondern alle seine Sinne. Mit einem Mal konnte Daniel weder sehen, noch hören, noch fühlen. Er war all seiner Sinne beraubt.

Dabei verlor er nicht einen Moment das Bewusstsein, er war hellwach und auch wenn er nicht gleich wusste, was ihm geschah, so war er dennoch im wahrsten Sinne Augenzeuge des Endes seiner eigenen Sinnlichkeit, wenn, ja wenn es da noch jemanden gegeben hätte, dem er es hätte bezeugen können. Er konnte auch nicht mehr sprechen oder auch nur sonst wie irgendetwas zum Ausdruck bringen, auch das war ihm mit einem Male genommen. Er konnte nur noch mit sich selbst sprechen - in Gedanken - und mit Gott. Doch sich selbst brauchte er ja nicht wirklich zu bezeugen, was ihm geschehen war, und Gott natürlich auch nicht.

Er spürte also nicht, wie er - plump wie ein Sack - völlig reaktionslos zu Boden fiel und sich das Gesicht mit einem dumpfen Aufprall seines Schädels auf dem Boden blutig schlug.

Er realisierte nicht, dass minutenlang die Passanten vorbeigingen, als wäre nichts geschehen. Keiner wollte sich die Zeit nehmen oder vor allem auch die Unannehmlichkeiten antun, den Notarzt zu rufen oder gar erste Hilfe zu leisten, dann womöglich über den Hergang befragt zu werden, zu dem er ja nichts zu sagen wusste. „Wenn er jetzt sterben soll, dann sollte es eben so sein und wenn es noch nicht so sein soll, dann wird er das jetzt auch überleben, was geht´s mich an?“ – eine solch gleichgültige und unbeteiligte Haltung hat in den letzten Jahrzehnten bei uns um sich gegriffen.

Sei dem, wie ihm wolle, jedenfalls lag Daniel fast eine halbe Stunde regungslos am Boden, gerade so, wie er hingefallen war, mit dem Gesicht nach unten in einer kleinen Lacke Blutes, ehe sich doch noch jemand seiner erbarmte, ihn in eine Seitenlage brachte und das Rote Kreuz herbeirief. Aber er bemerkte ja sowieso nichts von alledem.

Die Befindlichkeiten waren Daniel mit diesem Tag vergangen, es kümmerte ihn nichts mehr in dieser Welt, natürlich nicht freiwillig, aber doch. Was sollte ihn bekümmern, dass er so da lag, wie ein Häuflein Elend, wenn er es nicht wahrnahm? Was sollte es ihn kümmern, dass man ihn nun professionell und rasch, aber doch unbeteiligt auf eine Bare verstaute und im bereitstehenden Wagen unterbrachte. Ob tot oder lebendig, so schien es zumindest, war den Sanitätern eigentlich fast einerlei, sie taten, was zu tun war, aber ohne recht Anteil zu nehmen an dem, was da zu tun war.

Bald darauf lag Daniel in der Notaufnahme des Allgemeinen Krankenhauses und auf dem Fußband, das man ihm anpasste, stand „N.N. - coma vigile“ (lat. für Wachkoma). Der Befund war nicht ganz korrekt, denn das, was Daniel eingeholt hatte, war kein klassisches Wachkoma, denn er hatte zwar, wie gesagt, jegliche Sinneswahrnehmung verloren, im Gegensatz zum apallischen Syndrom, dem medizinischen Fachbegriff für den gemeinhin als Wachkoma bezeichneten Ausfall des Bewusstseins war Daniel bei vollem Bewusstsein und hellwach und damit auch nicht in einem Koma, nur war er eben all seiner Sinne beraubt und auch all seiner Möglichkeiten mit seiner Umwelt auch nur in irgendeiner Art zu kommunizieren.

Er war so blind, wie jeder andere Blinde auch, so taub wie jeder Taube, so gelähmt wie jeder Gelähmte, nur eben all dies zugleich.

Aber sein Bewusstsein war aktiv. Natürlich war seine Selbstwahrnehmung mit einem Mal sehr eingeschränkt, dadurch das Selbstbewusstsein auch ungewöhnlicher als bei anderen Menschen, eben weil das Selbstbewusstsein sonst durchaus recht stark mit der Selbstwahrnehmung verquickt ist, und bei Daniel früher auch gewesen war. Dem Spüren des eigenen Atems, dem Hören - wenn auch natürlich nur ganz leise, aber doch so, dass es auffällt, wenn es plötzlich fehlt - des eigenen Herzschlages, das unbewusste, aber doch immer wieder ins Bewusstsein vorstoßende Tasten und Fühlen, das einem vergewissert, dass man einen Körper hat. All das fehlte nun bei Daniel, aber es ist ihm dennoch nicht das Selbstbewusstsein an sich abhanden gekommen.

Welch ein eigenwilliges Aufwachen ist es, wenn man nichts hört, sieht oder spüren kann. Daniel hat nun schon seit langem keinerlei Sinneseindrücke mehr. Dies kam so plötzlich, dass er sich schon gar nicht mehr genau erinnern kann, wie es begonnen hat. Er weiß nur, dass er bei vollem Bewusstsein war, als er plötzlich in ein Nichts fiel, aber selbst ohne das Fallen ins Nichts überhaupt zu spüren. Aber das Erlebnis (oder genauer gesagt eigentlich das Ende seiner Erlebnisse) war derart schockierend, dass er sich dennoch nicht mehr genau erinnern kann, wie das kam, noch was er zuletzt getan hatte, bevor er seine Sinne verlor. Ihm fehlt da schlichtweg ein Stück der Erinnerung, aber er könnte nicht sagen, nicht einmal annähernd, wie viel ihm fehlt, ob Minuten oder Stunden.

Er weiß nicht einmal mehr mit Sicherheit, ob er zuhause war oder unterwegs und er weiß auch nicht sicher, ob er allein war, aber eigentlich ging er davon aus, denn es wäre doch wirklich fast schon etwas Besonderes, wenn er nicht allein gewesen wäre, und dann würde er sich wohl auch daran erinnern. Daher war er, das nimmt Daniel an, wohl alleine gewesen. Aber sonst kann er sich nicht erinnern, weder an den Tag noch an die Stunde noch sonst an irgendwelche genaueren Umstände.

Er weiß nur, dass er seither von völliger Dunkelheit und Stille umgeben ist und auch sonst keine Sinneseindrücke mehr hat, er hat keine wirkliche Ahnung wo oben und wo unten ist, wo er jetzt ist, nichts, rein gar nichts.

Er hat kein wirkliches Körperbewusstsein mehr, keinen Pulsschlag, kein Temperaturempfinden, eigentlich gar nichts von all dem, was normale Menschen spüren und fühlen, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein.

Daniel spürt zwar eine Position und Lage im Raum, kann aber nicht sagen, ob diese der Wirklichkeit entspricht oder nur eine Einbildung ist. Er hat auch so etwas wie ein fiktives Körperbewusstsein, aber dieses gründet nicht auf einem Spüren seiner selbst, sondern wohl eher auf der Macht der Gewohnheit, den eigenen Körper irgendwie auch dann noch präsent zu spüren, auch wenn er eben gar nicht mehr präsent spürbar oder sonst irgendwie wahrnehmbar ist.

Daniel kann sich in keiner Weise bewegen, noch sonst irgendetwas wahrnehmbar oder auch nur bewusst tun oder machen. Er spürt keinen Atem, oder auch nur das Schlucken des eigenen Speichels, er spürt rein gar nichts Reales. Und er spürt auch die Phantomempfindungen nicht deutlich, die Einbildungen von Sinneseindrücken, die er hat oder glaubt zu haben, sind so zart und schwach, dass er Tage brauchte, um sich ihrer überhaupt gewahr zu werden. Da ist zunächst einmal das Wachheitsbewusstsein selbst. Noch bevor Daniel sich langsam über die – wenngleich wenigen - Indizien seines Restbewusstseins überhaupt klar wurde, hatte er immer schon das ganz reale Bewusstsein, wach zu sein. Er wusste genau, dass er nicht schlief und etwa träumte. Dieses Wachheitsbewusstsein ist in so einer eigenartigen Situation ja keineswegs selbstverständlich, und es handelt sich dabei ganz offenbar um nichts Derivatives, das sich aus anderen Empfindungen ergäbe, nein, es ist die erste der Gewissheiten, die Mutter des Bewusstseins sozusagen: ich schlafe nicht; ich träume nicht – nein! - ich bin ganz sicher wach, auch wenn ich sonst nichts – oder nichts mit Sicherheit - weiß, so weiß ich doch eines ganz bestimmt, nämlich, dass ich wach bin.

Auch wenn Daniel bei ganz genauem Hinhören die Stille hören kann, es ist ein geräuschloses Geräusch der unendlichen Weite und Ferne, ein klein wenig so wie ein Tinnitus, aber doch ganz anders, aber doch recht real, nicht nur eine Einbildung sondern die hörbare Stille selbst eben; und auch wenn Daniel bei genauem Hinsehen die Leere sehen kann, es ist nicht das Fehlen jeden Sehens, wie das wohl bei Blindgeborenen gegeben sein dürfte, sondern eben das Sehen der Stockdunkelheit als etwas unsichtbar Sichtbarem; auch wenn Daniel trotz Abwesenheit allen Tast- und Orientierungssinnes dennoch seinen eigenen Körper in einem – sonst nicht genauer spürbaren – leeren, dunklen, aber nicht unangenehmen Raum in dennoch präzise beschreibbarer Lage und Position fühlt: all diese schwachen Eindrücke sind es nicht, die seine Gewissheit, wach zu sein, bewirken oder auch nur bestärken, es sind eher relativ ungewisse und unbestimmte Nebenwirkungen seines trotz allem felsenfest und als unabrückbare Tatsache gegebenen Wachheitszustandes.

Nun aber ist das Aufwachen in einen derartig eigenwilligen Wachheitszustand hinein doch etwas ganz Außergewöhnliches und verwundert Daniel jeden Tag aufs Neue – oder jedes Mal, wenn er eben aufwacht, er nimmt nämlich in Ermangelung anderer Anhaltspunkte dieses jeweilige Aufwachen als den Beginn eines neuen Tages an, indem er einfach definiert, dass dann ein neuer Tag beginnt, wenn er erwacht. Er kann es ja ohnehin nicht weiter überprüfen und ist daher wohl oder übel gezwungen, sein eigenes Aufwachen, den einzigen ihm noch gegebenen externen Anhaltspunkt, als Tagesbeginn anzunehmen.

Nachdem ein gefühlloser Mensch ja sein eigenes Einschlafen noch weniger spürt als ein normal fühlender, es gibt da ja nicht wirklich allzu viel an dem der Gefühllose seine Müdigkeit und Schläfrigkeit feststellen könnte, ist das Einschlafen für Daniel nichts, was er noch irgendwie bewusst wahrnimmt, auch nicht in der Vorbereitung darauf. Jeder normale Mensch wird – auch wenn der konkrete Moment des Einschlafens auch bei diesem unterbewusst bleiben muss – dennoch wissen, dass er sich am Abend auf die Bettruhe vorbereitet, vielleicht noch ein Betthupferl zu sich nimmt, den Wecker stellt, die Zähne putzt, sich zu Bett legt. All dies fehlt bei Daniel völlig, sodass ihn der Schlaf eigentlich immer völlig unvorbereitet übermannt und ihm dieses unkontrollierbare Einschlafen auch als eines der deutlichsten Symptome seines mit dem Gefühlsverlust einhergehenden weitgehenden, ja fast kompletten, Kontrollverlustes auch wirklich ärgert.

Umso bewusster aber geschieht das Aufwachen.

Auch ohne Vogelgezwitscher durch das offene Fenster, auch ohne hereinblitzende Sonnenstrahlen, auch ohne Kaffeeduft oder all die anderen Eindrücke, die sonst einen guten Morgen ausmachen mögen: das Aufwachen ist – gerade weil der sonstige Tagesablauf nicht mehr durch irgendwelche ihm von außen vorgegebenen Ereignisse unterbrochen wird, sondern sich in völliger Gleichmütigkeit und Ruhe gerade dadurch auszeichnet, dass sein Tag eben nicht mehr abläuft – das Aufwachen ist gerade vor diesem Hintergrund doch der schönste Moment des ganzen Tages für Daniel.

Daher nimmt es auch nicht weiter wunder, dass das Morgenlob fester Bestandteil des Aufstehens Daniels ist.

Ist der erste Gedanke des Tages nun seit dem Gefühlsverlust Daniels zwar der, dass es doch höchst merkwürdig ist, dass er überhaupt noch aufwacht oder überhaupt merkt, dass er aufwacht, so ist der zweite doch immer gleich der Lobpreis auf Gott, dass dies eben so ist.