Märchen anders - Dieter Eigler - E-Book

Märchen anders E-Book

Dieter Eigler

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Beschreibung

Ein Märchenerzähler erzählt in einer kleinen Runde Märchen von der Welt und von Gott. Manche Märchen sind besonders, manche eher konventionell. Manche sind sehr traurig und zu manchen muss die Leser*in vielleicht sogar weinen. Hoffentlich regen sie alle zum Nachdenken und Nachfühlen an. Die Märchen sind nicht alle für kleine Kinder geeignet, das Büchlein richtet sich an erster Stelle an Erwachsene, diese sollen dann entscheiden, welche Märchen aus dem Büchlein für ihre Kinder schon geeignet sind und bei welchen sie lieber noch ein paar Jahre warten wollen.

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Seitenzahl: 121

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Der Märchenerzähler

Corinna Naseweis, das Mädchen aus dem Waldreich

Corinna Naseweis´ Reise

Das Königreich ohne Blumen

Der Drachentöter

Der Vater

Die zwei Reiche

Erna

Die Schatzsuche

Der Stein der Weisen

Kein schönes Weihnachten

Der Barde

Der Traumdeuter

Der verdorrte Feigenbaum

Der Regenbogen

Die Mädchen, die nie lesen lernen

Der glücklose Zwerg

Riesen

Der Stern

Der Flüchtling

Die Wiese

Der Mann ohne Namen

Die Frau und ihre Söhne

Die zwei Wege

Gott im Wachkoma?

Der Vater fehlt

Kein Weg zurück

Der König ohne Geld

Zwei Könige

Die Kapelle

Die vierte Kerze am Adventkranz

Das Gedenken an den reichen Mann

Die Herren und Herrinnen des Cornelius

Die zehn Dukaten

Die Geschichte des Diego Agilar

Die Tintenfinger

Der glückliche Tod

Die Coda

DER MÄRCHENERZÄHLER

Es lebte einmal ein Märchenerzähler, den mochte Groß und Klein. Alle kamen gerne, ihm zuzuhören.

Ein paar seiner Märchen habe ich aufgeschrieben, um sie selbst weitererzählen zu können.

Eines Tages saß ich mit einigen Kindern und Erwachsenen bei dem Märchenerzähler um ein Lagerfeuer, und er begann zu erzählen.

Es war einmal am Rande eines kleinen Sees auf einer großen Wiese ein Lotosblatt. Der Morgentau sammelte sich in ihm. Die Bienen und die Wespen, die Mücken und die Fliegen kamen hinzu, um am Tautropfen zu trinken. Der Tautropfen wurde im Laufe des Morgens immer größer.

Irgendwann wurde er zu groß, um vom Lotosblatt getragen zu werden. Er löste sich vom Lotosblatt und fiel zu Boden. Er tränkte den Boden und löste sich dabei auf.

Ein kleiner Teil des Tautropfens blieb jedoch zurück und gleich begann sich an ihm wieder der Tau zu fangen. Er wurde wieder größer und größer, solange, bis auch dieser wieder zu Boden fiel.

So ging es immer weiter, das Spiel begann stets von Neuem. Und wenn nicht ein Bauer gekommen ist und das Lotosblatt abgeschnitten hat, so steht es da auch heute noch und in ihm sammelt sich der Tau stets aufs Neue.

„Ich glaube, das Märchen hat einen tieferen Sinn, den ich nicht verstehe“, sagte da eine ältere Frau. „Ach nein“, antwortete ein Kind, „es ist wie es ist. Mir gefällt die Geschichte so, wie sie der Märchenerzähler erzählt hat.“ „Seid unbekümmert“, sagte auch der Märchenerzähler selbst. „Lass das Märchen einfach auf Dich wirken und frag Dich nicht erst lange, was es bedeutet.

Wenn es Dir gefällt, dann deshalb, weil es Dir gefällt. Wenn es Dir nicht gefällt, dann deshalb, weil eben nicht. Du musst nicht erst einen Sinn finden, damit es Dir gefallen kann.“

Einige aber sagten: „Das Lotosblatt steht für das Leben der Menschen. Die Menschen kommen und gehen, perlen aber am Leben ab und fallen und vergehen, allein das Leben bleibt.“

„Nein, es ist gerade andersrum“, sagten andere, „das Wasser des Tautropfens steht für das Leben selbst. Es gibt den Insekten zu trinken. Es perlt ab und fällt zu Boden, damit tränkt es die Lotosblume selbst.“

„Ihr habt beide unrecht“, sagten die Dritten. „Der Tautropfen steht für die Märchen. Eines nach dem anderen hört Ihr und doch perlen alle an Euch ab. Stetig aber nähren sie Eure Fantasie und daraus erwächst doch am Ende etwas Gutes.“

Statt nun zu urteilen, ob jemand von ihnen recht hatte oder ob er vielleicht doch ganz etwas anderes meinte oder auch gar nichts, erzählte ihnen der Märchenerzähler lieber noch weitere Märchen.

CORINNA NASEWEIS, DAS MÄDCHEN AUS DEM WALDREICH

Es war einmal ein kleines Königreich ganz am Rand der Welt, völlig vergessen und von niemandem beachtet. Das Königreich bestand vor allem aus Wald, und die meisten seiner Einwohner waren im Wald beschäftigt. Die Armen sammelten Brennholz, und die Reichen verkauften Bauholz in ferne Länder.

Viele Häuser und sogar Paläste, deren Prunksäle, Wände und Decken, aber auch die Schuppen und Ställe vieler naher und ferner Königreiche waren schon mit dem Holz aus diesem kleinen unbedeutenden, aber waldreichen Königreich errichtet worden.

Einer der vielen Wälder in dem Königreich war ein Zauberwald, und in seiner Mitte stand ein zauberhafter, sagenumwobener alter Baum. Der Baum – so sagte man – war sehr weise und wusste auf alle Fragen eine Antwort. Die Menschen hatten trotzdem Angst vor dem alten Zauberbaum, weshalb ihn nur sehr selten jemand aufsuchte. Man munkelte, dass viele, die ihn aufgesucht hatten, nie mehr zurückgekehrt waren.

Eines Tages lebte in diesem kleinen Königreich ein Mädchen, das dadurch auffiel, dass es sehr wissbegierig war und allen Erwachsenen Löcher in den Bauch fragte. Als es heranwuchs und immer klüger wurde, wurde es immer noch neugieriger und wollte alles verstehen.

Das Mädchen hieß Corinna, doch alle nannten es Naseweis, eben weil es so viel wusste und immer noch mehr wissen wollte. „Warum scheint die Sonne?“, wollte es wissen und „Wo kommt der Regen her?“. „Wie viele Bäume hat der Wald, und wie viele die ganze Welt?“ und „Warum kommt nach dem Herbst der Winter?“ Die Erwachsenen waren ratlos. Solche Fragen hatte ihnen noch nie jemand gestellt.

Eines Tages sagte Corinna Naseweis zu Ihren Eltern: „Ich gehe in den Zauberwald zu dem alten Zauberbaum, mal sehen, was mir der zu sagen hat. Ich möchte so gerne wissen, was er alles weiß.“ So sehr die Eltern dem Mädchen auch abrieten, sich in Gefahren zu bringen, das Mädchen ließ sich nicht mehr von seinem Vorhaben abbringen.

Es packte eine Brotzeit und eine genügende Menge Wasser in einen Rucksack, borgte sich einen Wanderstab aus und begab sich auf die Reise. Ganz allein.

Die Reise war mehrere Tagesmärsche lang, sodass das Mädchen ans Übernachten denken musste. In einem Land voller Wälder wollte es wohl überlegt sein, wo man sich zur Nacht niederlässt. Es gab wilde Bären und Wölfe, die es mehr als auf die Reisenden selbst auf deren Proviant abgesehen hatten und sich nur zu gern daran verköstigten.

Kaum hatte Corinna Naseweis ihr Heimathaus verlassen, traf sie auf dem Weg auf ein kleines Kätzchen. Es schien sehr hungrig zu sein. Da erbarmte sich das Mädchen und gab dem Kätzchen einen Teil ihrer Reiseverpflegung ab. Das Kätzchen fraß hastig und bald schon schien es weniger hungrig zu sein. Es blieb auf der Seite von Corinna Naseweis und folgte ihr auf ihrem Weg. Nun war Corinna schon nicht mehr so allein. Von nun an wanderten sie zu zweit. Corinna marschierte stramm voraus, und das Kätzchen schlich in einiger Entfernung hinterher.

Als die Nacht kam, kamen sie in einer verlassenen Scheune unter. Es gab weiches Heu, auf dem es sich bequem schlafen ließ. Das Kätzchen schmiegte sich an Corinna, und beide schliefen tief und fest die ganze Nacht. Corinna aber hatte einen Traum. In dem Traum erschien ihr ein mächtiger Bär und gab ihr einen Brief in die Hand.

Corinna nahm den Brief, öffnete ihn und las: „Tapferes Mädchen, frag bitte den alten Baum auch für mich.“ Was sie aber fragen sollte, stand nicht in dem Brief.

Am nächsten Morgen regnete es sehr. Das gefiel Corinna wenig, dem Kätzchen aber noch viel weniger. Nichtsdestotrotz machten sich beide nach einem kurzen Frühstück wieder auf die Reise. Nach einer Weile stießen sie auf einen verletzten Raben, der am Boden lag. Er hatte sich den Flügel gebrochen und konnte nicht mehr fliegen. Corinna hatte Erbarmen mit dem armen Vogel. Sie schiente den Flügel des Vogels mit einigen Zweigen und ihrem Kopftuch und nahm ihn in ihrem Rucksack mit. Von nun an waren sie zu dritt. Ein vierter Reisekamerad sollte noch folgen.

Und dies kam so: Als Corinna des Abends wieder begann, sich um einen Platz für die Nacht für sich und ihre beiden Begleiter umzusehen, fiel ihr Blick auf eine verlassene Pferdekoppel. Aber weit und breit war kein Pferd zu sehen. Es war ganz unerklärlich, aber kein einziges Tier, geschweige denn ein Mensch, war zu sehen. Dabei hätte die Pferdekoppel sicher gut und gerne zwanzig Tieren Platz geboten.

„Egal“, sagte Corinna, „hier wollen wir diese Nacht bleiben.“

Sie legte sich eine Ruhestätte zurecht und legte sich mit den beiden Tieren schlafen.

Als Corinna und ihre beiden Begleiter schon tief eingeschlafen waren, weckte sie plötzlich ein Geräusch. Es war ein Esel in die Koppel gekommen und hatte sie aufgeweckt. Corinna gab dem Esel zu fressen, bis dieser satt war. Danach legte sie sich mit ihren Begleitern wieder zur Ruhe. Von nun an waren sie also zu viert. Von nun an schloss sich niemand mehr der Vierschaft an. Die weitere Wegstrecke bestritten sie gemeinsam, aber nur diese vier: das Kätzchen, der Rabe, der Esel und Corinna Naseweis, die Anführerin. Des Tags wanderten sie, des Nachts ruhten sie.

Corinna nahm kleinere Gelegenheitsarbeiten in den kleinen Dörfern entlang des Weges an, um sich und ihre Gefährten mit Nahrung zu versorgen. Auch der Esel war zu Diensten mit kleineren Arbeiten, Lasten zu heben und kleinere Transporte durchzuführen.

Eines Tages war es dann so weit, sie hatten den Zauberwald erreicht. Eigentlich bemerkten sie es die längste Zeit gar nicht, ja sie waren schon tief in dem Zauberwald drinnen, als sie sich erst gewahr wurden, dass sie den Zauberwald schon erreicht hatten. Ein Zauberwald ist anfänglich gar nicht so verschieden von einem ganz normalen Wald, bemerkten sie.

Und doch, er war anders. Die Bäume waren nicht einfach stumm und starr, wie in einem normalen Wald. Nein, sie bewegten sich, wenn sie unbeobachtet waren und tuschelten untereinander. Auch war der Zauberwald irgendwie undurchdringlicher als normaler Wald. Wo eben noch ein Weg offen war, war plötzlich nur noch undurchdringliches Dickicht und wo eben noch die Sonne schien, war es ganz unvermittelt finster wie mitten in der Nacht. Das Moos war dicker und die Bächlein geheimnisvoller als anderswo. Wie aber sollten sie den alten Zauberbaum überhaupt finden? Nun, das war das geringste Problem.

Nicht die vier Wanderer mussten den Baum finden, nein, er fand sie. So kam es, dass sie viel eher vor dem Zauberbaum standen, als sie es sich erträumt hätten. Wenn man vor ihm steht, fragt man sich nicht länger. Die Gewissheit, vor ihm und keinem anderen Baum zu stehen, manifestiert sich mit fulminanter Sicherheit.

Wumm.

Ja, da ist er! Den haben wir gesucht.

Er hat uns gesucht.

„Corinna Naseweis“, sprach der Zauberbaum. „So bist Du also tatsächlich gekommen!“

„Doch wie ich sehe, nicht allein. Wen hast Du mir denn da mitgebracht?“ Corinna war nicht auf den Mund gefallen:

„Nun, das sind meine Freunde, das Kätzchen, der Rabe und der Esel. Aber eigentlich wollte ich hier die Fragen stellen.“

„Nur Geduld, nur Geduld“, sprach der Zauberbaum, „du wirst noch Gelegenheit haben, Deine Fragen zu stellen. Was liegt Dir denn am Herzen?“

„Nun,“ sagte Corinna, „zunächst einmal wäre da die Frage des Bären zu lösen. Das Verzwickte ist nur, er hat sie gar noch nicht gestellt, ich weiß gar nicht, was ich in seinem Namen fragen soll.“

„Ach ja, der Bär. Das ist alles in Ordnung. Ich weiß schon Bescheid. Sag ihm: Du hast gefunden, wonach Du suchst. Es wird alles so kommen, wie es kommt. Und nun Du, Corinna Naseweis, was führt Dich zu mir?“

„Da sind so viele Fragen, die mir niemand beantworten kann, und ich wollte einfach alles wissen, was Du weißt. Sag es mir.“ Der alte Zauberbaum antwortete: „Ach, ich weiß nichts im Allgemeinen und wenig im Besonderen. Du musst schon genauer fragen, dann werden wir sehen, ob ich Dir helfen kann.“ Corinna wusste zum ersten Mal im Leben nicht recht, was fragen, womit sollte sie anfangen. Was war am wichtigsten? So vieles schien ihr wichtig, aber auch wieder nicht wichtig genug, um jetzt erfragt zu werden.

Nach einer Weile fasste sie einen Entschluss und fragte doch:

„Alter Baum, sag mir, wozu ist mein Leben gut?“

„Mein Mädchen“, antwortete der Baum, „das also ist Deine Frage der Fragen?“

„So viele Fragen hast Du, die Dir niemand beantworten kann, und doch stellst Du mir die einfachste, die Du schon selbst beantwortet hast.“

„Wie meinst Du das, ich hätte sie schon selbst beantwortet?“, fragte Corinna.

„Wüsste ich die Antwort, so hätte ich doch gar nicht erst gefragt!“

„Doch, doch, liebes tapferes und mutiges Mädchen, Du weißt die Antwort.“

„Du sahst die Not Deiner Begleiter, des Kätzchens, des Raben und des Esels, und hast einfach getan, was zu tun war.“

„Und bevor Du überhaupt an Dich dachtest, hast Du die Frage des Bären aus Deinem Traum vorgebracht.“

„Dazu ist Dein Leben gut.“

„Und nun geh rasch wieder nach Hause, sieh, Deine Eltern machen sich bestimmt schon Sorgen um Dich.“

Und auch wenn Corinna noch nicht gleich alles verstehen konnte, was der Baum ihr sagte, so tat sie doch, was er sagte. Sie machte sich auf den Heimweg. Unterwegs dachte sie darüber nach, was ihr der Zauberbaum gesagt hatte. Und sie verstand immer mehr.

Als sie schon fast zuhause war, traf es und ihre drei Begleiter, die immer noch treu an ihrer Seite marschierten, auf den Bären aus dem Traum.

„Du hast gefunden, wonach Du suchst. Es wird alles so kommen, wie es kommt“, sagte Corinna zu dem Bären, ohne recht zu wissen, was es bedeuten sollte.

„Ja, Du hast recht, Corinna, ich habe gefunden, was ich gesucht habe, nämlich Dich. Und alles wird kommen, wie es kommt.“

„Willst Du meine Frau werden, Corinna?“

Corinna nahm ihn zum Mann, und er wurde vom Bären zu einem Prinzen, wie im Märchen. Corinna zog in sein Schloss ein, und ihre Eltern, das Kätzchen, der Rabe und der Esel mit ihr. Das Kätzchen war die Brautjungfer, der Rabe der Herr Kaplan und auf dem Esel ritt die nunmehrige Prinzessin ein durch das Stadttor.

Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben die Prinzessin Corinna und ihr Gemahl, der ehemalige Bär, noch heute glücklich und zufrieden in ihrem Schloss.

Die Tochter des Märchenerzählers fand, das frühe Heiraten passte nicht zu einem so selbständigen Menschen wie Corinna, daher hat er das Märchen auf ihren Wunsch noch einmal anders erzählt.

CORINNA NASEWEIS´ REISE

Es war einmal ein kleines Königreich ganz am Rand der Welt, völlig vergessen und von niemandem beachtet.

Einer der vielen Wälder in dem Königreich war ein Zauberwald, und in seiner Mitte stand ein zauberhafter, sagenumwobener alter Baum. Der Baum aber war sehr weise und wusste auf alle Fragen eine Antwort.

Der Märchenerzähler erzählte die ganze Geschichte noch einmal. Doch kurz vor dem Schluss änderte sich die Erzählung: