Durch die Knochen bis ins Herz - Christoph Heubner - E-Book

Durch die Knochen bis ins Herz E-Book

Christoph Heubner

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Beschreibung

Bascha, Dvorka und Dorota: Die Frauen sitzen auf dem nackten Boden. Erinnerungen brechen in die Dunkelheit ihrer Baracke: an die Kindheit, die Eltern, die Geschwister, die Schule – und das Leben hier und jetzt: Dreck, Gestank und Hunger in einer Welt, in der sie sich selbst nicht sehen können und nicht wissen, ob es überhaupt noch eine Zukunft geben wird. Weil sie wissen, was der Rauch bedeutet. Von Oliven, Ameisen und Ratten handeln die neuen Geschichten von Christoph Heubner, die den Erinnerungen von Auschwitz-Überlebenden gewidmet sind und ihnen Raum geben: auch dem Schmerz und dem Glück ihres Lebens nach dem »Überleben«. Christoph Heubner hat über vier Jahrzehnte Überlebende von Auschwitz begleitet und ihnen zugehört, was sie zu sagen haben: Worte, Gefühle und Bilder, die die Überlebenden ihr ganzes Leben lang nicht verlassen werden und die Forderung, der sie sich selbst immer wieder stellen: Sprecht von denen, die nicht mehr sprechen können!

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Seitenzahl: 135

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Sonja Vrščaj

Elie Wiesel

und all die anderen …

»vernehmlich werden die Stimmen, die über der Tiefe sind.«

Theodor Storm

Inhalt

Cover

Titel

Widmung

Ihr müsst immer tapfer sein

Oliven sind groß

Durch die Knochen bis ins Herz

Eine Ameise kommt immer davon

Das Gesicht eines Menschen

Unter ihnen leben

Nachwort

Über den Autor

Impressum

Ihr müsst immer tapfer sein

Schon bald nach unserer Ankunft in Amerika fing ich an, mich für Tennis zu interessieren. An jedem Platz, an dem mein Bruder und ich vorbeikamen, blieb ich stehen, drückte mich an den Drahtzaun und beobachtete durch die Maschen hindurch die Menschen auf den Spielfeldern, bewunderte ihre weiße Kleidung, die Schnelligkeit des Spiels und die in meinen Augen unübertrefflich elegante Bewegung, mit der die Spielerinnen oder die Spieler den am Boden liegenden Ball mit dem Schläger am Fuß entlang hochzogen und er in Richtung der geöffneten Hand flog, die ihn fest und selbstverständlich auffing und umschloss. Außerdem liebte ich das Geräusch, wenn der Ball auf den Schläger traf. Immer war es Leon, der drängte: Komm, wir müssen weiter, wir können hier nicht ewig herumtrödeln. Murrend hob ich dann die schwere Tasche mit den Zeitungen und Werbeprospekten an, und wir drehten weiter unsere Runde. Einmal würden auch wir auf einem solchen Platz stehen, einmal würden auch wir dazugehören.

Später, als ich längst glaubte dazuzugehören, habe ich mir sogar neben unserem Haus auf dem Land einen Tennisplatz anlegen lassen. Das schien mir der Gipfel meiner Wünsche zu sein, und ich war dankbar, dass mir nach allem Schlamassel das Schicksal so gnädig war und mich sogar mit einem eigenen Tennisplatz beschenkte. Trotzdem ging ich zum Spielen auch in die benachbarten Clubs, in zweien von ihnen war ich sogar Mitglied. All das, was ich hier erzähle, beginnt in einem von ihnen, dem Lake View Country and Tennis Club, der genau elf Minuten Fahrtzeit von unserem Landhaus entfernt liegt. Vor vielen Jahren, nachdem in der Nachbarschaft gemunkelt worden war, dass jetzt auch Juden als Mitglieder akzeptiert würden, hatte ich sofort die Mitgliedschaft beantragt. Sie sollten doch sehen, was sie davon haben. Dass ich gleich in den zwei ersten Jahren meiner Mitgliedschaft Vereinsmeister geworden bin, erfüllte mich damals und erfüllt mich bis heute mit kindischem Stolz, so als hätte ich ihre Ignoranz und ihre Vorurteile endgültig in die Flucht geschlagen.

Im Lake View spielte ich oft mit Barry, der nur wenige Straßen von meinem Büro in Manhattan entfernt sein Geschäft hatte. Er handelte mit Fliesen und Kacheln, renovierte Badezimmer und reparierte Heizungsanlagen. Im Lauf der Jahre hatte er sich selber zugekachelt, er war stockkonservativ und beurteilte das Leben ausschließlich auf Grund seiner Umsätze. Wenn man ihn fragte, wie geht’s, Barry?, hob er die Hand, zeigte vier Finger und sagte: Vier Angestellte. Was immer das heißen sollte. Aber er spielte ein verflixt gutes Tennis, so als liefe auf dem Platz der gute alte Barry herum, der Barry, den es gegeben haben musste, bevor er beschlossen hatte, sich mitsamt seinen Kacheln und Fliesen einzumauern. An einem Tag Anfang Mai hatten Barry und ich uns wieder einmal zu einem Match verabredet. Die Sonne brachte uns schon tüchtig ins Schwitzen, und als wir nach dem Spiel auf dem Weg zu den Duschen waren, die Handtücher lässig um den Hals gelegt, zeigte Barry beiläufig auf meinen Unterarm und fragte: Da, wo du warst, was gab es dort für Sportmöglichkeiten? Hast du dort mit dem Tennis angefangen?

In diesem Moment kam mir blitzartig ein Abend vor vielen Jahren in den Sinn, als Hannah, Eve, Ben und ich noch jung waren und uns regelmäßig einmal im Monat zum Dinner bei Katz‘s Delicatessen in der Lower East Side trafen. Auch das muss im Frühling oder Sommer gewesen sein, denn mein Freund Ben und ich trugen kurzärmelige Hemden und Hannah und Eve ärmellose Kleider. Bei keinem von uns hatten sie damals an Tinte für die Nummern gespart. Sie waren groß, krakelig und schwer zu übersehen. Nicht, dass es bei Katz‘s irgendwie aufgefallen wären. Dort saßen in diesen Jahren, die man ohne Übertreibung noch zu den Nachkriegsjahren rechnen konnte, viele, die auch Gezeichnete waren, aber dennoch entspann sich an diesem Abend zwischen uns vieren eine Diskussion, ob man sich die Nummer nicht doch besser entfernen lassen sollte, weil sie im alltäglichen, sommerlichen Umgang zu auffällig war und Menschen verschreckte oder auf Distanz hielt. Wir wollten nichts Besonderes mehr sein, wir wollten dazugehören. Das war alles. Es war Ben, der schließlich sagte: Auch wenn wir sie wegmachen lassen, wird sie nicht weg sein. Und es käme mir vor, als ließe ich meine Eltern und Geschwister im Stich, die dort geblieben sind. Ich kann sie nicht allein lassen. Sie lassen mich auch nicht allein. Das war das Ende der Debatte. Alle unsere Nummern sind geblieben. Und das ist der Grund, warum Barry nach diesem Match auf meinen Arm zeigen und seine Frage loswerden konnte.

Gleich nachdem ich vom Tennisplatz nach Hause gekommen war, rief ich Leon an, der mittlerweile Arzt am Mount Sinai Hospital in Chicago war. Ich erzählte ihm von Barrys Frage, die mich immer noch empörte, und hoffte, dass er in meine Empörung einstimmen und die Ignoranz dieser ahnungslosen und oberflächlichen Welt der Barrys mit mir verdammen würde. Aber Leon blieb ganz ruhig und sagte bloß: Erzähl ihm, wie es war. Setz dich mit ihm im Clubhaus an die Bar und rede. Du bist von uns beiden der Redner. Du musst es erzählen. Und du musst bald anfangen, sonst werden immer mehr solcher Fragen auf uns alle zurollen. Sie könnten auch fragen, ob wir beim Mittagessen die Wahl zwischen verschiedenen Menüs hatten oder ob sie für die Juden koscheres Essen angeboten haben. Oder ob wir Radio hörten und in der Lagerbibliothek Bücher ausleihen durften, ergänzte ich ihn. Wir lachten, und ich legte auf.

Jetzt lag der Ball bei mir. Und so machte ich mich am nächsten Morgen auf zu Barry, um einen Termin für ein Match und ein Gespräch danach zu verabreden. Er stand in einem dunkelblauen Overall hinter dem Ladentisch und suchte mit gesenktem Kopf etwas in einer Schublade. Wie wäre es mit einem Match am kommenden Sonntag und zwei Stunden deiner Zeit danach, fragte ich ihn, ich will dir etwas erzählen, hob meinen Unterarm etwas an und drehte die Nummer zu ihm hin. Barry war verlegen, er wurde sogar etwas rot und stand immer noch mit gesenktem Kopf vor dieser Schublade. Die ganze Sache war ihm offensichtlich peinlich. Hör zu, Sportsfreund, sagte er, als er den Kopf endlich ziemlich ruckartig anhob: Ich wollte dir nicht zu nahe treten, ich bin nur ein einfacher irischer Klempner, ich verstehe wenig von der ganzen Sache, und er zeigte auf meine Nummer. Ich war einfach nur neugierig und habe gefragt. Am liebsten hätte ich mir gleich darauf die Zunge abgebissen. Wie komme ich dazu, in deine Geschichte einzudringen. Ich entschuldige mich dafür. Schon ok, Barry, antwortete ich ihm: Was sagst du zu meinem Angebot? Ok, antwortete Barry bloß und fiel mit seinem Blick schnell in die Schublade zurück. Und ich ging hinaus auf die Straßen Manhattans, auf denen an diesem frühen Morgen kaum Autos und Menschen zu sehen waren, und hatte zum ersten Mal seit vielen Jahren das Gefühl, dass es möglich sein könnte, der Angst etwas Entscheidendes entgegenzusetzen und nicht nur diesen Straßen, sondern auch dem Leben zu vertrauen. Bevor ich losgegangen war, hatte ich mit Hannah und den Kindern gefrühstückt. Das war wohl der Grund.

Am Freitag vor unserer Verabredung rief Barry mich an, druckste erst um das Wetter herum und fragte dann, ob es nicht einfacher wäre, wenn wir zusammen zum Tennis-Club fahren würden. Er könnte mich am Sonntag nach der Messe abholen und wir hätten schon auf der Fahrt Gelegenheit, ein bisschen zu quatschen. Was dazu führte, dass ich wie geplant mit der Familie am Freitag zu unserem Landhaus fuhr und am Sonntag früh alleine nach New York zurückrauschte, um mich von Barry abholen zu lassen. Die ganze Sache begann mich zunehmend zu verunsichern, und ich fragte mich ernsthaft, ob ich mir von Leon nicht etwas hatte aufhalsen lassen, was meine Möglichkeiten überstieg. Barry war noch im Sonntagsstaat, als er vor unserem Haus vorfuhr, schwarzer Anzug, dunkelblaue Krawatte, und als ich in das Auto stieg, meinte ich, Weihrauch zu riechen, der sich im schweren Stoff seines Anzugs festgesetzt hatte. Wir hatten noch keine halbe Meile zurückgelegt, als Barry mit der ersten Frage loslegte, und die Verlegenheit, die sich zwischen uns hatte ausbreiten wollen, verdrückte sich in Sekundenschnelle. Warum sind die so groß, fragte er und zeigte mit dem Finger auf die Zahlen auf meinem Arm: Sieht aus, als hätten Kinder geübt. Und obwohl ich noch nie darüber nachgedacht hatte, wo der Anfang meiner Erzählung war und wie sich das alles in Worte fassen ließ, was wir erlebt hatten, begann ich zu berichten.

Womit habe ich angefangen? Dass zwei Jungen mit ihren Eltern und vielen anderen Ende August 1944 aus einem Zug geklettert sind – kein normaler Zug, Viehwagen, verstehst du –, sie heißen Roman und Leon und sind knapp fünfzehn und dreizehn Jahre alt. Der Fünfzehnjährige ist relativ klein, hat aber ein altes Gesicht. Der Dreizehnjährige steht mit dem Gesicht eines Kindes neben den Gleisen, aber er ist hoch aufgeschossen. So kommen beide davon. Ihre Eltern, die noch jung, aber hier schon viel zu alt und ausgezehrt sind, stehen schon auf der anderen Seite einer unsichtbaren Linie, die Leben und Tod voneinander trennt. Das aber wissen sie jetzt noch nicht. Leon dreht sich oft zu den Eltern hin und kämpft mit den Tränen. Ihr seid meine großen Jungs, hat die Mutter im Zug gesagt, ihr müsst immer tapfer sein, egal was kommt, und Leon will tapfer sein. Dann führt man sie davon. Die Eltern werden im Hintergrund immer kleiner, bis sie ganz verschwunden sind. Jetzt geht es um eine langgezogene Ecke, hier kann man vom Anfang des Zuges bis zum Ende sehen. Es ist ein langer Zug, der schließlich in einem großen Backsteingebäude endet, wo sich alle in einem großen kahlen Raum entkleiden müssen. Das alles geht nicht gemütlich ab, oder zivilisiert, sondern es wird gebrüllt, geschlagen und getreten. Und dann, Barry, stehen wir nackt in einer langen Reihe, die sich schnell vorwärts bewegt. Einige recken die Hälse, um über die anderen hinwegzusehen und zu erhaschen, was dort vorne vor sich geht: Eine relativ kleine Kammer, über deren Eingang die Deutschen freundlicherweise angeschrieben haben, wozu dieser Raum dient: »Haarschneideraum« steht dort, und das heißt, dass zwei Männer in gestreiften Anzügen auf dich warten: Der eine hält dich auf dem Stuhl fest und der andere schert dir in Blitzesschnelle mit einer elektrischen Maschine die Haare ab. Das tut weh, und wo sich die Maschine in deiner Haut verbissen hat, blutet es auch. Dann, Barry, wirst du weitergeschoben. Du kannst dich nur kurz umdrehen, ob Leon noch hinter dir ist: Jetzt sitzt er auf dem Stuhl, und die Maschine beginnt erneut zu surren und zu beißen. Ein paar Meter weiter greifen dich wieder zwei der Gestreiften, und jetzt Barry, musst du aufpassen. Der eine reißt deinen rechten Arm hoch, bis er etwa waagerecht liegt, und wieder wirst du festgehalten, wie ein bockiges Schaf. Der andere kommt näher mit seiner Nadel, und ehe du dich versiehst, hat er dir mit Tinte eine Nummer eingestochen, die irgendwo in einer Liste vorgegeben war, weder gerade noch schön, es sieht aus als hätte er die Zahlen geohrfeigt und dich mit dazu. Das ist jetzt deine Nummer, das ist jetzt hier dein Name, denn du bist kein Mensch mehr, sondern ein Häftling, ein Sklave, ein Untermensch, so wie ich und wie Leon auch.

Ich habe erzählt und erzählt. Die Worte stürzten aus meinem Mund, als wären sie über Jahre eingekerkert gewesen und würden jetzt in die Freiheit entlassen. Wie groß waren die Lager I und II, wo kamen die Züge an, wie viele Menschen waren in einem Waggon eingesperrt, was bedeutete die Selektion, aus welchen Ländern kamen die Menschen, warum die Juden, warum die Roma, warum die Polen, warum die Russen, waren Leute aus Frankreich da, aus Italien, aus welchen anderen Ländern: warum, warum, warum. Wir waren längst auf dem Parkplatz am Club angekommen, aber wir stiegen nicht aus. Barry hielt das Lenkrad des Wagens mit beiden Händen fest, er hatte sich in den Sitz gepresst und guckte geradeaus, so wie ich auch. Ich sprach von unserem Hunger, vom Dreck, von den Sterbenden und den Toten. Und von unseren Eltern, die wir nie wiedergesehen haben. Als ich von den Kindern sprach, hatte ich Angst, dass er das Lenkrad zerbrechen würde. Immer wieder gingen Clubmitglieder über den Parkplatz und schauten neugierig zu unserem Wagen herüber. Der dicke Dave, der für seinen watschelnden Gang und seinen schalen und glucksenden Humor bekannt war, rief zu uns herüber: Na, habt ihr da ein Rendezvous, ihr zwei Hübschen? Lasst euch nicht stören! Ich bin sicher, dass Barry weder ihn noch irgendetwas anderes gehört hat. Er hatte sich aus seiner gefliesten Welt aufgemacht und auf meine Erinnerungen eingelassen, er empfand mit mir und er litt wie ein Hund. Ich hätte heulen können. Und musste eine Pause machen, weil ich sonst genauso zu weinen begonnen hätte wie Barry, dem lautlos die Tränen die Wangen hinunterliefen, während er noch immer das Lenkrad festhielt.

Als die Stille schon einige Zeit gedauert hatte, fragte Barry leise: Hat sich denn niemand gewehrt? Da war einer mit einem Nagel, antwortete ich, als ich im Baukommando war. Ein polnischer Jude, so wie Leon und ich. Er war etwa fünf Jahre älter als ich und hieß Wolf mit Vornamen. Wolf kam aus Koło, nicht dass du das kennen müsstest, eine kleine Stadt im Westen Polens, an einem Fluss gelegen, der Warthe heißt und in die Oder mündet. Entschuldige, dass ich das hier so aufsage wie ein Gedicht, aber ich höre immer noch die Stimme von ihm, wie er beim Steineschleppen von seiner Stadt erzählt und von der Schönheit des Flusses, in dem oft Inseln aus Gras Richtung Meer geschwommen sind. Und obwohl Wolf eher ein mickriger und ängstlicher Bursche gewesen ist, muss er irgendwo bei der Arbeit einen Nagel abgezweigt haben. Das war natürlich verboten, und wenn sie ihn erwischt hätten, hätten sie ihn vielleicht totgeschlagen, aber Wolf hat den Nagel nie bei sich getragen, sondern in einer Mauerritze versteckt. Ab und zu, wenn wir für einige Minuten unbeobachtet waren, hat er mit den Augen schnell zur Sicherheit nochmal alle Richtungen abgesucht, dann eine kurze Drehung zu mir, Finger an den Mund, Psst, und schon ist er Richtung Mauerritze losgetrabt und mit dem Nagel am Ende des Appellplatzes um die Ecke von Block 6 verschwunden. Nach zwei, drei Minuten kam er zurückgerannt, der Nagel verschwand in der Mauerritze und er reihte sich zur Arbeit ein. Das habe ich über die Wochen, die wir gemeinsam geschuftet haben, immer wieder beobachtet. Und du kannst dir vorstellen, Barry, dass ich verdammt neugierig war, was um Himmels willen Wolf mit dem Nagel anstellte. Und so habe ich ihn eines Tages gefragt: Wolf, du weißt, dass es jedes Mal lebensgefährlich für dich und auch für uns ist, wenn du aus dem Kommando verschwindest, was zum Teufel machst du mit dem Nagel? Ich habe Angst, dass sie mich umbringen, dass ich das hier nicht schaffe, dass ich einfach verschwinde. An die hintere Außenwand von Block 7 ritze ich meinen Namen und meine Adresse ein, zusammen mit der Nummer, die sie mir verpasst haben. Verstehst du? Das ist mein Beweis. Ich habe kein Gewehr, aber ich habe einen Nagel, wenigstens etwas.