Ed und das Geheimnis seines Onkels - Andrea Anderson - E-Book

Ed und das Geheimnis seines Onkels E-Book

Andrea Anderson

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Beschreibung

Als es eines Nachts kurz nach 4:00 Uhr an der Tür klingelt und Ed von einem mysteriösen Fremden einen Umschlag von angeblich allerhöchster Wichtigkeit für seinen Onkel entgegennimmt, ahnt der junge Abenteuerfilm-Fan noch nicht, dass dies den Beginn einer spannenden und rätselreichen Abenteuergeschichte darstellt in der Ed selbst in die Hauptrolle rutscht. Nachdem sein Onkel, ein Physikprofessor und Experte für die Entschlüsselung vornehmlich antiker Artefakte, sich dann auch nach Tagen noch nicht wie sonst immer von seiner neusten Dienstreise aus London bei Ed zurückgemeldet hat, wächst die Befürchtung, dass etwas faul sein könnte. Gemeinsam mit seiner Freundin Nadja begibt sich Ed auf Spurensuche nach seinem Onkel und dringt dabei immer tiefer in die überraschend geheimnisvolle Welt seines Onkels ein, in welcher der Professor anscheinend auch einen festen Platz für seinen Neffen vorgesehen hat - eine Reise, die Ed sogar bis nach Ägypten führt.

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Übersicht der Kapitel

Der Umschlag

Nadja

Eddie

Die rätselhafte Welt des Professors

Die geheimen Memoiren von Prof. Wendhausen

Was jetzt?

London

Vetrauter Fremder

Ägypten

Freunde kommen, Freunde gehen

Das Auge des Horus

Die Wunder der Wüste

Getrennte Wege

Schildkröten und Skorpione

Stimmen des Horus

Der Pavianfelsen

Die Ägyptische Unterwelt

Die Halle der Wahrheit

Manethoths Offenbarungen

Anhang (Bilder, Hinweise, Quellen, Danksagung)

KAPITEL 1     Der Umschlag

Gerade wollte Ed die Früchte einer seiner unwiderstehlichen Flirtattacken ernten und im Dekolleté einer überaus liebreizenden Blondine versinken, als sich plötzlich ein durchdringender Ton, anfangs noch dumpf, dann immer schriller werdend, in seine Gehörgänge bohrte. So sehr er auch den Ton zu ignorieren und sich auf die blonde Schöne zu konzentrieren versuchte, sie entschwand allmählich und leider unwiederbringlich aus seinen Armen in die Dunkelheit der Nacht. Schließlich blieb allein das störende Geräusch in seinen Ohren übrig, das ihm seinen schönen Traum so unbarmherzig abrupt entrissen hatte - wo er sich doch wirklich so gerne noch ein bisschen länger daran festgehalten hätte.

Schlaftrunken schmiss Ed seinen linken Arm mehrmals auf den Nachttisch in der Hoffnung, dabei den Wecker mit seiner Hand zu treffen, aber das Geräusch blieb. So langsam kam er zu Sinnen und mit einem kleinen Adrenalin-Stoß erkannte er plötzlich das Geräusch: Es war die Klingel. Die Uhr zeigte 04.13 Uhr morgens.

Wer klingelte da? War der Professor verfrüht zurückgekehrt? Warum benützte er nicht seinen eigenen Schlüssel? Na ja, es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass er ihn verloren hatte. Eds Onkel war der Inbegriff eines ‚zerstreuten Professors’ und man konnte bei ihm mit beinahe allem rechnen.

Ed lebte seit nunmehr 7 Jahren bei seinem Onkel, einem Physikprofessor, der ein recht großes Landhaus besaß, das die meiste Zeit jedoch leer stand während er im Auftrag der Forschung und Wissenschaft irgendwo in der Welt herumexperimentierte. Als Ed volljährig geworden war, hatten seine Eltern beschlossen, Deutschland den Rücken zuzukehren und nach Kanada auszuwandern, wo sie noch einmal ganz neu anfangen wollten. Kanada kam für Ed allerdings auf keinen Fall in Frage. Zu weit weg, zu anders, zu viel Kälte – und ganz im Ernst eigentlich einfach - zu viel Eltern. Ed wollte sein eigenes Ding durchziehen. Und nicht zuletzt hatten seine Eltern wohl auch ein bisschen darauf spekuliert, dieses Abenteuer allein bestreiten zu können, als sie die Entscheidung fassten, mit dem Auswandern bis zur Volljährigkeit ihres Sohns zu warten. Der Onkel hatte ihm angeboten, jederzeit bei ihm wohnen zu können, und freute sich über die Gesellschaft als Ed kurz entschlossen mit ins Landhaus zog, das er ohnehin meist nur ein paar Monate im Jahr mit seinem Onkel teilen musste. Darüber hinaus kümmerte sich einmal pro Woche sogar eine Haushälterin ums Putzen. Was also hätte einem halbstarken Junggesellen wie Ed wohl Besseres passieren können? Alle waren Gewinner.

Nach einer kurzen Atempause begann es wieder Sturm zu klingeln. Ed hüpfte mit einem Bein in der Jogginghose aus dem Schlafzimmer, stolperte natürlich über das andere Hosenbein, stürzte, fluchte, schrie entnervt „Ja, ich komme doch schon!“ und schaffte es schließlich nach einiger Mühe, halbwegs angekleidet die Treppe hinunter zu steigen und die Tür zu öffnen.

Ein fremder Mann stand vor ihm, verschwitzt, die Augen weit aufgerissen, nach Atemluft ringend. Er verlangte hektisch nach Professor Theodor Wendhausen.

Gähnend antwortete Ed: „Der ist nicht da.“ Noch bevor er ironisch einen Kommentar in Bezug auf die leicht unangebrachte Besuchszeit anbringen konnte, fiel ihm der Fremde ins Wort:

„Wo ist er? Ich, ich muss ihn unbedingt sprechen. Er muss da sein. Er, er ist meine einzige Chance. Ich muss ihn warnen. Er muss da sein.“

Der Mann nahm verzweifelt die Hände vors Gesicht und schüttelte seinen Kopf. Eds Augen erschienen für einen kurzen Augenblick genauso weit aufgerissen wie die des Fremdlings, konnten jedoch nicht lange mithalten. Und auch der letzte Hauch eines Gedankens an seinen jäh unterbrochenen Traum, an den sich Ed bis jetzt immer noch irgendwie zu klammern versucht hatte, war mit einem Mal wie weggeblasen.

„Worum geht’s denn? Kann ich vielleicht irgendwie weiterhelfen?“ fragte Ed und dachte im gleichen Augenblick bei sich: Oh man, kann ich vielleicht weiterhelfen?! Was für einen Mist rede ich denn. Ich werde ihm bestimmt weiterhelfen können. Ich gerade.

Ed grämte sich über seinen unbeholfenen Ausdruck von Nettigkeit. Der Fremde jedoch, völlig in Gedanken versunken, hatte davon überhaupt keine Notiz genommen.

Etwas gefasster setzte er erneut an:

„Hören Sie, ich muss den Professor unbedingt sprechen. Können Sie mir sagen, wo er sich aufhält? Kann ich ihn vielleicht anrufen? Er hat doch sicherlich ein Handy dabei.“

„Ich würde ja gern weiterhelfen, aber mein Onkel hat kein Handy, er hasst die Dinger. Und ich hasse sie mittlerweile auch langsam. Meins ist vor ein paar Tagen heruntergefallen und war sofort kaputt. Das ist mir nun schon zum zweiten Mal passiert, ich hab irgendwie kein Glück mit Smartphones.“

„Ja, schön. Das ist sicherlich schrecklich interessant für einen Handy-Schutzhüllen-Vertreter, aber ich will nur wissen, wie ich Ihren Onkel schnellstmöglich erreichen kann.“

„Entschuldigung, aber ich weiß momentan nicht einmal genau, wo er sich aufhält. Er ist erst vor ein paar Tagen weg und hat gesagt, dass er anruft, sobald er selbst weiß, wie sein Plan aussieht. Das erfährt er ja alles erst vor Ort. Sicher wird er sich in den nächsten Tagen melden, aber wann genau, kann ich wirklich nicht sagen. Ich meine, ich bin ja nun auch nicht seine Ehefrau oder so was.“

„Gibt es denn irgendjemanden, der mir sagen könnte, wie ich ihn erreichen kann?“

„Nicht dass ich wüsste, sorry.“

Die beiden schauten sich kurz ratlos in die Augen, seufzten, dann wendete sich der Fremde ab. Er näherte sich langsam seinem Auto, stockte, drehte sich wieder um und zog einen dicken Umschlag aus seiner Tasche. Er hielt erneut inne, musterte Ed kurz bevor er ihm sichtlich schweren Herzens den Umschlag überreichte.

Mit leiser Stimme und einem Blick, der Ed einen kalten Schauer über den Rücken hinunter jagte, sagte er:

„Bei allem, was Ihnen heilig ist, Sie müssen dafür sorgen, dass Ihr Onkel diese Unterlagen schnellstmöglich bekommt. Ich kann sie nicht länger bei mir behalten. Sie müssen mir versprechen, ausschließlich Professor Wendhausen diesen Umschlag zu übergeben. Es ist von allerhöchster Wichtigkeit. Bewahren Sie ihn sicher auf. Kein anderer darf ihn in die Hände bekommen. Versprechen Sie mir das! Ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg.“

Mit diesen letzten Worten zog der mysteriöse Unbekannte von dannen.

Ed, dem der Schreck noch ins Gesicht geschrieben stand, riss sich aus seiner Erstarrung als ihm klar wurde, dass er noch nicht einmal wusste, von wem er seinem Onkel überhaupt den Umschlag geben sollte. Er rannte dem Mann hinterher zu dessen Auto und fragte ihn nach seinem Namen.

„Ihr Onkel weiß bescheid wer ich bin. Geben Sie ihm den Umschlag, darin findet er alles, was er wissen muss. Leben Sie wohl.“

Ed stotterte, ob nicht besser irgendjemand anderes den Umschlag nehmen sollte, oder ob der Fremde nicht noch mal wieder kommen könne, wenn der Professor wieder da ist. Aber der Mann reagierte nicht mehr auf ihn, setzte sich in sein Auto und drehte den Schlüssel im Zündschloss herum ohne Ed auch nur einen weiteren Blick zu widmen.

Vielleicht hatte er selbst Angst, er würde seine Meinung noch einmal ändern.

Perplex schaute Ed dem fast filmreif davonpreschenden BMW hinterher, der ihn in eine dicke Staubwolke hüllte. Ein darauf folgender kräftiger Hustenreiz hinderte Ed allerdings daran, das Fahrzeug noch länger wie gebannt im Auge zu behalten und holte ihn wieder auf den recht staubigen Boden der Realität zurück. Für den Augenblick jedenfalls fixierten sich seine Gedanken nun auf ein ganz unspektakuläres Glas Wasser, mit dem er sogleich den Staub wegspülen würde.

Zurück im Haus verschluckte sich Ed heftig an jenem Glas Wasser, dessen Inhalt darauf größtenteils auf seinem T-Shirt landete. Er schmiss das Glas so unglücklich in die Spüle, dass es zur Krönung der Ereignisse auch noch in hundert Einzelteile zersprang. Es war deutlich: Ed stand mehr als neben sich. Um Schlimmeres zu vermeiden, entschloss er sich, die Küche vorsichtig zu verlassen und sicheres Terrain auf der Couch zu erklimmen.

Was für eine Nacht! Was sollte das alles bedeuten? Ein schlechter Witz? Das konnte es doch nur sein. Ein Witz. Ein schlechter.

Die Bilder der letzten Minuten kreisten in seinem Kopf: die süße Blondine, der Unbekannte mit den aufgerissenen Augen, der turbulent abzischende BMW, der Blick dieses Typen, als er den Umschlag übergab.

Der Umschlag, genau, wo war der eigentlich?

Ed war wie ferngesteuert in die Küche gelaufen um das vermeintliche Glas Wasser zu ergattern, dass er sich nicht mehr erinnern konnte, wann und wo er den Umschlag abgelegt hatte.

Tolle Sache! Da hab‘ ich gerade eben mein Versprechen gegeben, dass ich auf den komischen Brief aufpasse und eine Minute später habe ich ihn schon verloren. Ich bin ein echter Held!

Er raffte sich auf, schüttelte den Kopf in Unglauben und begann durch das Haus zu huschen. Nachdem er bereits dreimal den Flur und die Küche hektisch inspiziert hatte, begann er nun auch vergeblich an Plätzen zu suchen, an denen er sich überhaupt nicht aufgehalten hatte. Nach einer weiteren Ehrenrunde durchs Haus gab er schließlich auf. Er ließ sich entnervt zurück auf die braune Ledercouch fallen und landete unbequem auf einer harten Unterlage – ja, in der Tat – es war tatsächlich der vermisste Umschlag, der schon die ganze Zeit neben Ed gelegen hatte, bevor er überhaupt die ganze Suchaktion gestartet hatte.

„Das kann ja wohl nicht wahr sein!“ schrie Ed lauthals heraus, zerknirscht und erleichtert zugleich.

Er betrachtete den Umschlag akribisch – es gab keinen Absender, keinerlei Adresse – ein blanker, dicker, brauner A4 Umschlag, ziemlich schwer, mit einem verstärkten Papprücken, natürlich zugeklebt - sogar mit extra Klebeband. Selbst gegen das Licht gehalten offenbarte der Umschlag leider rein gar nichts über seinen Inhalt. Die Post seines Onkels einfach zu öffnen maßte Ed sich dann aber doch nicht an. Und abgesehen davon, dass es ihm sein Anstand verbot, in den Brief zu schlunzen, so wäre er mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ohnehin nicht schlau aus dem zu erwartenden Inhalt geworden.

Bestimmt irgendwelche Formeln und wilde Berechnungen und Skizzen, die kein normaler Mensch verstehen kann. Irgendwelches „hochinteressantes“ Physikerzeug.

Ernüchtert legte Ed den Brief auf dem Couchtisch ab. Er spürte, dass sein Körper langsam aber sicher auch den letzten Überrest vom Adrenalin abgebaut hatte und sich die Müdigkeit wieder einstellte. Pflichtbewusst schleppte er sich dennoch ins Büro des Professors um möglicherweise doch eine Telefonnummer oder Adresse zu finden, unter der er seinen Onkel erreichen könnte. Er blickte sich um: Der Schreibtisch war aufgeräumt, die Ablagen standen leer, nicht einmal ein Telefonbuch oder Notizblock lag herum. Alles wirkte überaus ordentlich, ja beinahe unbenützt. Das einzige ungeordnete Element in diesem Büro war Ed, der in diesem Moment stark überlegte, ob er den Professor überhaupt schon einmal dieses Zimmer betreten gesehen hatte. Die Antwort war eindeutig ja, oft sogar eigentlich – doch dieser Raum sah so gar nicht nach dem Professor aus.

Irgendwie merkwürdig!

Ed gab sich für diese Nacht geschlagen. Im Büro konnte er nichts entdecken das wie eine Adresse oder Ähnliches aussah, und mit jeder Minute wogen seine Augenlider ein paar Gramm schwerer. Gleich am nächsten Morgen würde er noch einmal richtig nachschauen und vermutlich würde der Professor sowieso anrufen wie jedes Mal, wenn er unterwegs war. Dann würde er ihm alles über den wundersamen Besuch berichten.

Licht aus und ab ins Bett!

Eingekuschelt in seine Bettdecke sehnte sich Ed nach ein paar Stunden Schlaf, doch die Tatsache, dass der Brief unten im Wohnzimmer auf dem Couchtisch lag und Ed hier oben - das waren immerhin mindestens satte 15 Meter – wo er ihn doch wie seinen Augapfel zu hüten versprochen hatte, wurde für Ed mit jeder Drehung im Bett ein kleines Stück unerträglicher. Auf einmal war er sich nicht mehr sicher, ob er die Haustür auch abgeschlossen, ob er das Küchenfenster verriegelt hatte.

Und wenn nun ausgerechnet in dieser Nacht Einbrecher kommen und ausgerechnet diesen Umschlag klauen? Lächerlich!

Ed schmunzelte über seine abwegigen und absurden Gedanken. Ein paar Minuten später quälte er sich dann aber doch noch einmal aus dem Bett, checkte die Tür und das Küchenfenster, schnappte sich den Brief und versteckte ihn schließlich unter seinem Bett.

Deutlich beruhigter sprang er zurück ins Bett, igelte sich ein, versuchte sich von allen Gedanken zu lösen, doch er konnte einfach nicht vom Geschehen der letzten Stunde loslassen, zu viele Dinge gingen ihm durch den Kopf.

Wer war wohl dieser Typ gewesen und was war so wichtig, dass er mitten in der Nacht den Professor sprechen musste? Wieso dachte er überhaupt, dass der Professor da sein würde? Er muss ihn nicht gut gekannt haben.

Bei diesem Gedanken blieb Ed stecken und erinnerte sich an seine eigene Verwunderung über den Anblick des wie leer gefegten Büros seines Onkels.

Wie gut kenne ich eigentlich meinen Onkel?

Seit Jahren lebte er mit ihm im gleichen Haus, aber eine wirklich familiäre Bindung hatten sie eigentlich nie. Schon als Ed noch ein kleiner Junge war, galt sein Onkel in der Familie immer als der exzentrische Professor, der zwar ein gutes Gemüt hatte und jederzeit eine wundersame Geschichte über irgendein fernes Land zu erzählen vermochte, allein an Gelegenheiten dazu mangelte es leider fast immer, denn er war stets auf Reisen und man bekam ihn so gut wie nie zu sehen. Er hatte sein Leben der Wissenschaft verschrieben. Es gab auch irgendwann einmal eine Freundin, aber das ging nicht lange gut. Vielleicht hätte es mit einer Physikerin geklappt, die bei Gesprächen über Wellenfunktionen geladener Teilchen in elektromagnetischen Feldern unter Phasentransformation heiß ins Schwärmen geraten wäre und sich mit dem Professor über die neuesten Witze über nichtrelativistische Quantenmechanik oder so etwas in dieser Art kaputt gelacht hätte, aber so eine Frau war ihm scheinbar noch nicht über den Weg gelaufen.

Der Professor lebte einfach in einer anderen Welt. Das bekam auch Ed sehr schnell zu spüren als er zu seinem Onkel zog. Ed war sehr neugierig, wie eine Wohngemeinschaft mit einem waschechten Physikprofessor wohl so sein würde. Er stellte es sich aufregend vor, mit seinem Onkel am Frühstückstisch über spektakuläre Experimente und Phänomene zu diskutieren und er freute sich auf die Erzählungen des Onkels über seine Erlebnisse, die er in all den Jahren im Ausland gesammelt hatte.

Wie so oft im Leben allerdings zeigte sich die Realität etwas anders als sie sich in Eds Vorstellungen dargestellt hatte. Es fing schon einmal damit an, dass der Professor überhaupt nicht frühstückte, was eine Diskussion am Frühstückstisch ungemein erschwerte. Er war in der Tat ein gesprächsfreudiger und humorvoller Mensch – das heißt, sofern man seine Witze verstand – aber man bekam ihn eben nie zu Gesicht. Er war ein echter Workaholic. Wenn Ed nachts ins Bett ging – und das war wahrlich nicht zeitig - klopfte, knisterte und rauschte es noch immer aus dem anliegenden Labor des Professors. Und morgens in aller Frühe waren diese gleichen Geräusche neben dem Vogelgezwitscher und dem Hahnengeschrei aus der Umgebung die ersten Begleiter des Tages.

Als wenn dieser Mann keinen Schlaf braucht!

Ed bewunderte seinen Onkel für dessen ungebändigten Tatendrang. Er selbst saß oft stundenlang vor dem PC, aber - bei all seiner jugendlichen Frische – dem Professor konnte er nichts vormachen.

Das Labor des Professors war in einem dem Haus angeschlossenen Seitengebäude untergebracht. Anfangs hatte ihn Ed noch ab und zu dort besucht. Einmal hatte er ihn gefragt, woran er gerade arbeitete. Der Professor gab ihm äußerst bereitwillig und sehr ausführlich Antwort auf seine Fragen. Ed verstand jedoch nicht ein einziges Wort von dem, was der Professor sagte. Nun wollte er sich aber auch nicht die Blöße geben, dies einzugestehen. Also tat er eben so, als verstünde er alles sehr gut, was wiederum den Professor dazu ermutigte, seine Erläuterungen noch ein bisschen detaillierter und engagierter zu gestalten. Für Ed wurde es mit jedem Satz schwieriger, den Weg, den er fälschlicherweise eingeschlagen hatte, wieder zu verlassen. Nach zahlreichen, wahllos eingeworfenen Phrasen wie aha, ja, verstehe, das leuchtet mir ein, hoffte er schließlich, durch ein na, jetzt wird es mir doch ein bisschen zu kompliziert das Gespräch ohne das Gesicht zu verlieren beenden zu können, was sich jedoch als Fehlannahme herausstellte. Denn daraufhin stellte der hilfsbereite Professor eine kleine unschuldige Frage, die Eds mühselig aufgebautes Scheingerüst aus vorgetäuschter Fachkompetenz gnadenlos zum Fall bringen würde. Er fragte ihn „Na, was genau hast Du denn nicht verstanden?“

Was antwortet man einem Menschen, den man mag, auf solch eine Frage, wenn man sich eine viertel Stunde lang intensiv damit beschäftigt hat, so überzeugend wie nur möglich zu suggerieren, dass man alles verstanden hat ohne jedoch überhaupt noch auf den Inhalt gehört zu haben, weil einem schon nach zwei Minuten klar war, dass man eigentlich überhaupt nichts versteht?

„Ähm, …ja, also, was ich nicht verstanden habe, ja …also, eigentlich nur das allerletzte, was Du gesagt hast.“ Ed betete: Bitte, bitte, bitte, lass ihn nicht zurück fragen! Ich tue auch nie wieder so, als ob ich was verstehen würde! Bitte!

Gerade als der Professor erneut ansetzen wollte klingelte just in diesem Moment – beinahe wie ein Zeichen der Erlösung – das Telefon. Der Professor fluchte, sah sich nichtsdestotrotz aber genötigt, den Anruf entgegenzunehmen. Ed atmete auf und nützte die Gelegenheit, sich aus seiner selbst zugefügten Misere zu befreien, indem er seinem Onkel eine bedauernde Geste zuwarf und sodann flink das Labor verließ.

Seit dieser einschlägigen Erfahrung zog es Ed vor, den Professor bei seiner überaus wichtigen Forschungsarbeit auf keinen Fall zu stören und Gespräche mit ihm ausschließlich über Pizza, schönes Wetter und die Vorzüge des Junggesellenlebens zu führen. Auf diese Weise ließ es sich ausgezeichnet miteinander leben, jeder machte mehr oder weniger sein eigenes Ding.

Obwohl es Ed gereizt hätte, mehr von der Arbeit seines Onkels zu erfahren, so war ihm doch klar, dass sein Onkel eben ein Physikprofessor war, von dem man nicht erwarten konnte, dass er die richtigen Worte finden kann, um jemandem, der mit Ach und Krach eine vier in Physik auf dem Zeugnis hatte, seine Welt zu erklären.

Schade eigentlich. Denn die wenigen Dinge, die Ed von seinem Onkel bekannt waren, klangen sehr interessant.

Früher hatte der Professor an der Universität gearbeitet, aber dann war irgendetwas vorgefallen, worüber er nicht so richtig sprechen mochte und er machte sich als freier Wissenschaftler selbständig, was scheinbar ganz gut für ihn funktionierte. Der Mann war ständig unterwegs.

Soviel Ed wusste, war der Professor ein Experte darin, alte Technologien zu entschlüsseln. Er wurde regelmäßig von irgendwelchen Organisationen bestellt um sich irgendein Bauwerk oder ein Artefakt anzuschauen und zu erforschen, wie es wohl hergestellt wurde oder wie es funktionierte, wie es dort gelandet war, oder was es überhaupt war. Solche Untersuchungen liefen oftmals unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab, was die Sache für Ed natürlich noch zehnmal interessanter klingen ließ. Dummerweise war demzufolge auch der Professor selbst daran gehalten, über seine Erkenntnisse teilweise über lange Zeit Stillschweigen zu bewahren.

Und wenn er schon einmal von der einen oder anderen Untersuchung erzählte, so wurde es wiederum sehr schnell sehr fachspezifisch und mindestens drei Horizonte zu hoch für Ed. Somit war das Einzige was der Professor seinem Neffen eigentlich wirklich verständlich vermitteln konnte seine Leidenschaft für seinen Beruf. Des Öfteren ließ er durchblicken, wie die Geschichte ihn immer wieder aufs Neue verblüffe.

Auch diesmal stand er vor seiner Abreise nach London wie unter Strom, angespannt und elektrisiert und ganz in seinem Element. Alles war wie üblich sehr schnell gegangen: ein Anruf, ein paar Emails, die Koffer gepackt und auf in ein neues Projekt. Das Stichwort Scientia war gefallen und der Professor hatte Ed gestanden, dass er schon lange auf solch eine Chance gewartet habe. Worum auch immer es ging, Ed freute sich aufrichtig für seinen Onkel - und auch ein winzig kleines bisschen über die Tatsache, dass er für die nächsten Wochen das Haus für sich allein haben würde. Besonders in Hinsicht auf den Geräuschpegel kam diese Nachricht Ed sehr willkommen, denn ihm selbst stand ein großes Projekt bevor. Als angehender Mediengestalter sollte er für einen einheimischen Sportclub eine Multimedia-Web-Präsentation erstellen, zum ersten Mal in voller Eigenregie. Das brauchte Zeit und vor allem – Ruhe.

Mit der Ruhe war es jetzt natürlich vorbei. Gerade einmal zwei ruhige Tage waren Ed vergönnt gewesen, und jetzt – nach dieser mysteriösen Begegnung - lag er hundemüde und trotzdem hellwach in seinem Bett - die ersten Vögel sangen bereits ihre Lieder und in seinem Zimmer zeichneten sich schon langsam wieder die Umrisse der Inneneinrichtung ab bis schließlich die ersten Lichtstrahlen unwiderruflich den Tag verkündeten.

Ed zog sich protestierend die Bettdecke über den Kopf. Er versuchte sich auszumalen, wovor dieser Fremde seinen Onkel warnen wollte und warum der Professor seine einzige Chance sein sollte. Die Bilder in Eds Kopf überschlugen sich, wurden immer einfältiger und bunter.

Was ist in dem Umschlag? Ist das alles nur übertriebenes Wissenschaftlergequatsche oder ist Theo etwa tatsächlich in Gefahr? Wusste mein Onkel vielleicht Bescheid und ist abgehauen? War das Büro deswegen so leer? Bin ich jetzt etwa in Gefahr? Ich habe jetzt diesen blöden Brief am Hals. Warum konnte dieser Typ ihn angeblich nicht länger behalten? Da ist doch was faul.

Und zurück war er wieder – der Adrenalinschub. Ed setzte sich auf, schaltete das Licht an, zog den Umschlag unterm Bett hervor und hielt ihn an sein rechtes Ohr. Er lauschte - nichts. Aufatmen.

Puh, also eine Bombe scheint es schon mal nicht zu sein.

Argwöhnisch schaute er sich den Brief erneut an, grübelte. Dann stand er auf, lief wie paranoid zum Fenster und schlunzte verdeckt durch die Jalousie auf den Hof, aber alles war ruhig.

Oh man, wenn mich jemand sehen könnte, ich glaube, die würden sich an den Kopf greifen.

Er taumelte zurück zum Bett, ließ sich hineinfallen und schloss langsam seine Augen. Er fragte sich, wo sein Onkel wohl gerade stecken mochte, und erinnerte sich an die Worte, die er so oft von seinem Onkel gehört hatte, dass er sie mittlerweile mit ihm synchron sprechen konnte: ‚Wenn Du Dich mit einem scheinbar unerklärlichen Phänomen konfrontiert siehst, dann kannst Du davon ausgehen, dass mit großer Wahrscheinlichkeit eine so einfache und logische Erklärung direkt vor Deiner Nase tanzt, dass Du sie nicht denken wirst. Das ist das eigentliche Phänomen. Also, was musst Du machen? – Aufhören zu denken und anfangen zu sehen.’

Sooft Ed auch schon mit den Augen gerollt hatte, wenn der Professor seinen Slogan losließ, in dieser Minute half der Spruch ihn aufzumuntern.

Ok, Herr Professor, hören wir also mal auf zu denken und schauen mal, was wir so sehen können.

Gähnend vergrub sich Ed im Bett. Ganz logisch wollte er die Sache noch einmal erörtern. Doch die Suche nach einer einfachen und logischen Erklärung entwickelte sich ungleich unspektakulärer und in der Tat einschläfernd, dass ihn unerwartet und leise der verdiente Schlaf zu guter Letzt doch noch übermannte.

KAPITEL 2     Nadja

Ein Bilderbuchtag – die Mittagssonne stand hoch am wolkenlosen Himmel und die Temperaturen kletterten auf vorsommerliche 22 Grad Celsius. Nach all dem Schnee und der Kälte, die bis tief in den März hinein das Wetter bestimmt hatten, zeigte sich der April von seiner schönsten Seite.

Ed interessierte das freilich herzlich wenig. Lieber hätte er noch ein, zwei Stunden geschlafen, aber das allgemeine Frühlingserwachen schien ansteckend zu sein. Ed schielte mit einem Auge zum Wecker während sich das andere Auge noch strikt weigerte, sich dem Hell des Tages zu stellen. Die Uhr zeigte kurz vor 13.00 Uhr an. Ed reckte und streckte sich ausgiebig bis er sich einigermaßen wach genug fühlte, um dem Tag ins Auge zu blicken – oder zu mindest - wach genug um Kaffee zu machen.

Während das Kaffeewasser gleichmäßig durch die Maschine blubberte und das gesamte Haus in eine wohlige Kaffeeduftwolke hüllte, schmiß Ed den Computer an um seine Emails zu checken.

Er kämpfte sich durch eine Flut von Spam-Mails, die sich trotz Filter immer wieder beständig und hartnäckig in seinem Postfach einnisteten:

TOPANGEBOTE ZU SCHNÄPPCHENPREISEN -

Toll!

GEWINNEN SIE EINE TRAUMREISE -

Ja, klar! Nur zu!

RUNDUM VERSICHERT? -

Nö!

Übergehend zu den besseren unter den Spams:

YOU ARE A WINNER OF 7 MILLION DOLLARS

1

-

Ja, na das wäre doch mal was!

SCHÜTZEN SIE SICH VOR SPAM!, -

Ha, dass ich nicht lache!

Und schließlich die absolute Krönung unter den ungewünschten Massen-Emails:

PROBLEME MIT IHREM BESTEN STÜCK? BESTELLEN SIE NOCH HEUTE – V..... -

Wieso bekomme

ich

eigentlich immer solche mails?

Die Bandbreite dieser Werbemails war schier unendlich, die Löschtaste kam gar nicht mehr zum Stillstand. Und wer hätte es gedacht - tatsächlich war auch eine richtige Email dabei: TREFFEN WEGEN WEBSITE gesendet vom Präsidenten des Sportvereins höchstpersönlich.

Diese Nachricht hatte Ed gestern noch heiß ersehnt, doch heute konnte er sich nicht recht darüber freuen. Der Vorsitzende des Sportvereins wollte sich mit Ed treffen um die Inhalte und Einzelheiten für die geplante Homepage zu besprechen. Ed hatte bereits ein paar Layout-Vorschläge vorbereitet und war ganz heiß darauf gewesen, endlich die Daten für seine Präsentation zu erhalten.

Das war gestern – heute konnte er nicht den geringsten Nerv dafür aufbringen. Unter keinen Umständen wollte er heute das Haus verlassen, im Falle der Onkel rief an. Und überhaupt, wie hätte er auch nur einen Gedanken an den Sportclub verschwenden können, wenn es doch galt, auf diesen lebenswichtigen – wenn auch äußerlich nichtssagenden – Umschlag aufzupassen.

Vielleicht könnte er dem Professor ja eine Email schreiben wenn es schon keine Möglichkeit gab, ihn telefonisch zu erreichen, denn ein Laptop hatte der Onkel schließlich bei sich. Sicherlich würde er auch auf Reisen im Kontakt mit seinen Auftraggebern stehen, möglicherweise auch per Mail. Daran hatte Ed vorher gar nicht gedacht. Sogleich warf er einen Blick in sein Online-Adressbuch und wurde überraschend fündig. Scheinbar hatte er sich irgendwann vor langer Zeit schon einmal mit dem Professor gemailt, auch wenn er sich nicht daran entsinnen konnte. Egal, es gab eine Adresse, Ed war gerettet und fühlte sich wegen seiner Spitzfindigkeit wie ein kleiner Schneekönig.

Er tippte in die Betreffzeile: GANZ WICHTIGE NACHRICHT!!! Dann stoppte er. Das klang doch wie so eine typische Spam-Mail, die zu Dutzenden jeden Tag in seinem Briefkasten landeten. Ob das der Onkel wirklich ernst nehmen würde war zu bezweifeln, und dass der Onkel Eds Emailadresse erkennen würde war auszuschließen. Ed setzte neu an: VON ED. MUSS DICH GANZ DRINGEND SPRECHEN!! Das hörte sich schon besser an. Er schilderte in kurzen Worten, was sich zugetragen hatte und drängte seinen Onkel, ihn schnellstmöglich zurückzurufen, damit er Ed anweisen könne, wie er mit dem Umschlag verfahren soll. Die Email ging auf die Reise, Ed fühlte sich wesentlich beruhigter und machte sich halbwegs entspannt ans Frühstück.

Gerade wollte er genussvoll in seinen liebevoll zubereiteten Erdnussbutter-Honig-Bananen-Toast beißen, da klingelte es an der Tür.

Jetzt will er seinen Brief zurück haben.

Das war der erste Gedanke, der Ed durch den Kopf schoss, aber an der Tür stand nicht der mysteriöse Fremde sondern Nadja, eine befreundete junge Fotografin aus dem Nachbarort. Die beiden kannten sich durch den Professor. Nadja hatte für ihn von Zeit zu Zeit assistiert und seine Experimente fotografisch dokumentiert. Sie arbeitete regulär im Fotogeschäft ihrer Mutter, war sozusagen in die elterlichen Fußstapfen getreten, aber eigentlich zog es sie hinaus in die weite Welt und so nützte sie jede Gelegenheit die sich ihr bot, dem Fotostudio zu entkommen. Eds anstehendes Multimedia-Projekt war so eine Gelegenheit und sie hatte ihm angeboten, ihm dabei zu helfen, die Fotos für die Homepage zu knipsen.

Ed war mehr als glücklich über dieses Angebot gewesen, nicht zuletzt weil er heimlich ein bisschen für sie schwärmte, obschon er nicht zu hoffen wagte, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhen könnte. Nein, diese Nadja würde es nicht lange hier in der Provinz halten, da war er sich sicher. Ed glaubte an ihr Talent, er bewunderte ihre nach vorn strebende Persönlichkeit und akzeptierte, dass sie in einer anderen Liga spielte als er. Eine kumpelhafte Freundschaft war alles, was je zwischen den beiden laufen würde, damit hatte er sich abgefunden, denn die weite Welt konnte er ihr leider nicht bieten.

„Hi! Na? Bist Du bereit für die Fotosafari?“

Ach ja, die Fotosafari! Die hatte Ed doch glatt vergessen.

„Hey Nadja, komm erst mal rein. Oh man, ich weiß nicht, ob das heute was wird mit den Fotos. Um ehrlich zu sein – es ist was dazwischen gekommen, wofür ich aber nichts kann. Ehrenwort!“

Nadja blieb im Flur stehen, kippte ihren Kopf mit einem Ausdruck der Empörung zur Seite und warf Ed einen eiskalten Blick zu.

„Aber dass ich mich extra für Dich frei gemacht habe, weißt Du schon, ja? Wie wäre es mit einem Anruf gewesen?“

„Ich weiß, ich weiß, es tut mir leid. Aber Du hast ja keine Ahnung, was ich für eine Nacht hinter mir habe. Komm erst einmal rein, bitte. Trinkst Du einen Kaffee mit, ja?“

Immer noch eingeschnappt, aber neugierig geworden, holte sie tief Luft und folgte Ed wortlos ins Wohnzimmer, wo sie sich auf der Couch niederließ.

Ich schätze mal, das heißt – ich nehme einen Kaffee?

Ed war etwas verunsichert, wagte aber nicht, noch einmal zurückzufragen. Immerhin schien sie ihm eine Chance zu geben, sich zu erklären, was mehr war, als er gehofft hatte. Er servierte den Kaffee und gesellte sich zu ihr. Sie vermied demonstrativ jeden Blickkontakt, abwartend, ob seine Erklärung gut genug sein würde, um ihm zu vergeben.

Ed erzählte ihr ausführlich von dem nächtlichen Besuch des Fremden, vom Umschlag, der so schnell wie möglich in die Hände des Professors gelangen müsse und, dass er den Anruf seines Onkels zu Hause abwarten müsse, bevor er irgendwo hin gehen könne, weil ausgerechnet jetzt auch noch sein Smartphone kaputt sei.

Nun verfolgte Nadja doch prüfend jede Geste, jeden Gesichtsausdruck von Ed während er ihr vom vorangegangenen Geschehen berichtete. Sie entschied sich, ihm zu glauben und zu verzeihen. Schließlich war es nicht seine Schuld. Außerdem war ihre Neugier nun erst recht entflammt und sie wollte mehr darüber wissen.

„Und, was ist in dem Umschlag?“ fragte sie Ed in der Annahme, dass er natürlich sofort nachgeschaut hatte.

„Ich habe keine Ahnung.“

„Was, Du hast nicht nachgesehen?“

„Wo denkst Du hin, ich mach doch nicht einfach die Post von meinem Onkel auf. Das gehört sich nicht.“ belehrte er Nadja, die sich aber keineswegs beirren ließ.

„Du willst mir doch nicht erzählen, dass Du nicht wenigstens mal hineingeschlunzt hast?“

„Da war sowieso nichts zu sehen.“ murmelte Ed in seinen nicht vorhandenen Bart.

Das wollte Nadja hören, sie triumphierte lächelnd:

„Du hast hineingeschlunzt!“

Ed zuckte mit den Schultern, sie hatte ihn durchschaut.

„Ich hab es versucht, aber der Brief ist mit speziellem Klebeband versiegelt und aus dickem Karton, da ist nix mit Schlunzen.“

„Und Du kannst den Professor wirklich nicht erreichen?“

Ed schüttelte den Kopf. Eigentlich brauchte er Nadja nichts zu erzählen, denn sie wusste genauso wie der Professor tickte. Doch dann fiel ihm sein Geistesblitz wieder ein und er berichtete stolz, dass er immerhin eine Emailadresse gefunden hatte, an die er seinem Onkel geschrieben hatte in der Hoffnung, er würde sich dann vielleicht schneller melden.

Nadja gab sich damit jedoch nicht zufrieden.

„Es muss doch irgendeinen Anhaltspunkt geben, wo er sich aufhält. Du hast ihn doch bestimmt zum Flughafen gefahren. Da musst Du doch wissen, wohin er geflogen ist.“

Ed rollte mit den Augen. Natürlich hatte er ihn zum Flughafen gefahren und natürlich wusste er, wohin sein Onkel geflogen war, aber das war ja nun wirklich ein bisschen wenig Information, um ihn ausfindig machen zu können. Leicht gereizt erwiderte er:

„Oh ja, wie dumm von mir. Ich habe ihn nach Frankfurt gefahren. Von Frankfurt aus ist er direkt nach London geflogen, wo er von einem Kollegen oder so abgeholt wurde, der ihn dann irgendwo anders hingefahren hat, möglicherweise innerhalb von London, vielleicht aber auch ganz wo anders hin. Wenn Du daraus einschätzen kannst, unter welcher Telefonnummer der Professor jetzt zu erreichen ist, ziehe ich meinen Hut vor Dir, im Ernst.“

Nadja musste über Eds Antwort lachen. Er hatte natürlich Recht und es war ihr nun ein bisschen peinlich, dass sie diesen Kommentar abgegeben hatte. Wesentlich kleinlauter fragte sie ihn weiter, ob er schon im Büro nachgesehen habe.

„Hab ich!“ kam es von Ed wie aus der Pistole geschossen. „Nichts, nicht einmal ein Papierknüll im Papierkorb. Das Büro ist praktisch leer.“

„Leer?“ Das überraschte Nadja, denn solang sie den Professor kannte, war sein Büro geradewegs überschüttet gewesen mit Papierstapeln, Ordnern und Zettelchen.

Sie fragte weiter: „Die Schubladen waren alle leer geräumt?“

Damit hatte sie ihn allerdings wieder erwischt. In den Schubladen hatte Ed in der Nacht nicht mehr nachgeschaut und nach dem Aufstehen war er noch nicht dazu gekommen.

Um jeglichen zu erwartenden Sticheleien aus dem Wege zu gehen, schlug er vor, dass sie das Büro ja noch einmal gemeinsam durchsuchen könnten. Nadja war einverstanden und ging zielstrebig voran. Ed trottete hinterher und war selbst gespannt, ob irgendetwas Brauchbares in den Schubladen des Schreibtisches zu finden sein würde.

Sie betraten das Büro und bestätigten sich nach einem kurzen Rundblick gegenseitig, dass sie es noch nie so gesehen hatten. Nadja widmete sich dem Schreibtisch während Ed den Aktenschrank unter die Lupe nehmen wollte, den er jedoch abgeschlossen vorfand.

Die Schubfächer des Schreibtisches waren teilweise mit Unterlagen gefüllt, die physikalische Formelwerke, Skizzen und dergleichen Aufzeichnungen enthielten, aber keinerlei Hinweise auf den möglichen Aufenthaltsort des Professors preisgaben, beinahe als wenn der Professor alle Spuren beseitigt hätte. Ein bisschen unheimlich war das ihnen schon, aber die beiden beschlossen, nicht gleich zu viel in ein aufgeräumtes Büro hineinzuinterpretieren und fanden sich damit ab, dass sie einfach geduldig auf den Anruf des Professors warten müssen würden.

Doch als Nadja die mittlere Schublade gerade wieder zuschieben wollte, entdeckte Ed einen kleinen Notizzettel, auf dem neben einem Haufen von Zahlen unter anderem auch sein eigener Name gekritzelt war. Er zog den Zettel heraus, schaute ihn sich näher an, wurde aber nicht schlau daraus. Merkwürdig daran war vor allem, dass sein Name gleich am Anfang fast wie eine Anrede geschrieben stand, gefolgt von einem Ausrufezeichen und dann jeder Menge Zahlen, die keinen Sinn zu ergeben schienen.

Sollten diese zwei- bis siebenstelligen, teilweise mit Kommastellen versehenen Zahlenreihen Telefonnummern sein? Sie sahen nicht wirklich danach aus und höchstwahrscheinlich hatten die Kritzeleien überhaupt nichts zu bedeuten, aber Ed behielt den Zettel doch erst einmal bei sich um sich die Zahlen etwas näher anzuschauen:

Eddie!

31003!

3439 738319 43008

3704 3430709 73818

34315 5. 1-5-4, 5. 8-9-5 5317!

53 51 41.0739 438739 43538 2704 4380

381378 7134

4130 73940

Keine einzige Kombination begann mit einer 0, dass man auf eine Vorwahl hätte schließen können. Außerdem waren die Zahlenketten zu lang für Telefonnummern. Sie sahen am ehesten nach Seriennummern oder Aktenzeichen aus, aber jede Zahlenreihe war anders zusammengesetzt. Spaßeshalber wählte Ed eine der Zahlenreihen am Telefon, ließ es durchrufen. Wie befürchtet ertönte sofort die Ansage, dass diese Nummer nicht vergeben sei.

Das sind keine Telefonnummern. Davon war Ed überzeugt. Immer noch rätselnd, was sein Name in dieser Notiz zu suchen hatte, steckte er den Zettel behutsam in seine Hosentasche.

Ein wenig enttäuscht von der geringen Ausbeute, machten es sich die beiden wieder auf der Wohnzimmercouch bequem und berieten, was sie noch tun könnten. Sie kamen auf das Labor zu sprechen. Das war immerhin der wahre Arbeitsplatz des Professors. Möglicherweise hatte er sich dort ein paar Notizen gemacht die den beiden bei der Suche nach ihm weiterhelfen konnten.

Ed holte den Schlüssel und sie machten sich auf den Weg. Das Labor erweckte schon eher den Eindruck, dass der Professor hier noch vor Kurzem gewerkelt hatte. Die Arbeitstische standen voll mit den verschiedensten Geräten und Werkzeugen. Überall waren Lautsprecherboxen und Verstärkeranlagen verteilt und kleine Pyramidenmodelle schmückten den gesamten Raum. Der Arbeitsschreibtisch bot den gewohnten Anblick: Skizzen über Skizzen, Berechnungen, Baupläne und Haftnotizen, wohin das Auge blickte.

„Das sieht doch vielversprechend aus.“ Nadja stürzte sich sogleich auf die Unterlagen.

Indessen stand Ed wie hypnotisiert im Raum und bestaunte all die ungewöhnlichen Apparaturen und die zahllosen verschiedenen, von der Decke herunterhängenden Lampen. Er war schon lange nicht mehr hier gewesen, weil dieser Platz - jedenfalls wenn der Professor anwesend war – irgendwie eine demoralisierende Wirkung auf ihn hatte und er sich so schrecklich unbedeutend und klein vorkam. Dennoch faszinierte ihn dieser Ort, der für ihn so viele Geheimnisse innehatte. Ironischerweise war er sich in keinster Weise darüber bewusst, was für wahre Geheimnisse hier in der Tat versteckt lagen. Für Ed stellte das Labor seines Onkels ganz im Allgemeinen eine kleine Welt der Wunder dar.

Nadja seufzte merklich frustriert, ein Zeichen, dass es höchste Zeit für Ed war, ihr unter die Arme zu greifen. Doch mürrisch blockte sie ihn ab:

„Hier ist auch nichts zu finden, brauchst Du gar nicht erst anzufangen, ich habe schon alles durchforstet. Du wirst einfach warten müssen, bis er sich meldet.“

Nadja war so enthusiastisch und überzeugt gewesen, hier etwas zu finden, dass all ihre gute Energie in schlechte Laune umzuschlagen drohte.

„Danke trotzdem fürs Suchen helfen. Ich schätze mal, hier werden wir wohl keine passenden Fotos für die Sportclub-Homepage knipsen können. Obwohl – so viel anders sieht das Clubhaus auch nicht aus.“ Ed versuchte Nadja mit ein paar harmlosen Witzchen aufzumuntern und Nadja ließ sich gern darauf ein. Warum soll man sich ärgern wenn man auch Spaß haben kann? Die beiden konnten ja eh nichts an der Situation ändern.

Sie begaben sich zurück ins Wohnzimmer. Nadja hatte den ganzen Nachmittag für die Fotosession eingeplant und verspürte wenig Lust, verfrüht in den Fotoladen ihrer Mutter zurückzukehren. Sie beschloss, Ed noch ein bisschen Gesellschaft zu leisten. Um die Wartezeit auf den heiß ersehnten Anruf vom Professor etwas kurzweiliger zu gestalten, bestellte Ed eine große Pizza, während Nadja einen passenden Film aus der umfangreichen DVD-Sammlung ihres Gastgebers zum Anschauen heraussuchte. Es schien als hätte Ed jeden nur erdenklichen Sciencefiction- und Abenteuerfilm der je produziert worden war in seiner privaten Videothek zusammengetragen, angefangen bei historischen Kinofilmen aus den 20er Jahren bis hin zu kompletten Serienstaffeln aktueller TV-Serien. Nadja staunte nicht schlecht, wenn auch mit einem leicht belächelnden Blick, über Eds Sammelleidenschaft.

„Hast Du die alle gesehen?“

Ed wusste nicht recht ob er die Frage eher mit stolz erhobener Brust oder doch eher mit einem Gefühl peinlicher Berührung bejahen sollte. Schließlich war es ein Beweis dafür, dass er unheimlich viel Zeit zu Hause vor der Glotze verbrachte, was eine weltoffene Frau wie Nadja wohl nicht gerade stark beeindrucken durfte.

War dieser Unterton in Nadjas Frage nun Spott oder Bewunderung gewesen?

Ed war sich nicht sicher, aber Nadjas energischer Blick begrub auch jede Hoffnung, die Frage einfach ignorieren zu können. Zu Lügen hatte auch keinen Zweck, das war Ed klar.

Nein, ich habe mir die alle angelegt, um sie irgendwann mal in ferner Zukunft anzuschauen. Jaa, sicher!

Langsam wurde es wirklich Zeit für eine Antwort, und mit jedem Bruchteil einer Sekunde, die Ed länger wartete, wich die Option ein Stückchen mehr, das „Ja“ noch halbwegs stolz klingen lassen zu können. Die zunehmende Röte in seinem Gesicht war ebenfalls nicht wirklich hilfreich. Schließlich blieb nur ein ziemlich deutliches Gefühl peinlicher Berührung übrig.

Ed räusperte sich verlegen und antwortete:

„Na ja - ja - schon - irgendwie.“

Nadja musste lachen.

„Du bist echt verrückt.“

Und wieder wusste Ed nicht so richtig, wie er diese Antwort von Nadja nun deuten sollte.

Spott oder Bewunderung? Bewunderung oder Spott? Oder vielleicht beides? Du bist echt verrückt – das klang stark nach Spott, aber da war dieser Blick in ihren Augen...

Ein Frauenversteher war Ed gerade nicht, und möglicherweise lag dies ja tatsächlich an seiner gar so umfangreichen Filmesammlung, die er sich die meiste Zeit allein zu Hause angeschaut hatte, während andere Jungen seines Alters ihre Zeit damit verbrachten, in diversen Discos und Clubs ihre Erfahrungen mit dem weiblichen Geschlecht zu sammeln.

„Hast Du zufällig den neuen Abenteuerfilm da von dem sie im Moment immer den Trailer im Fernsehen spielen? Weißt Du welchen ich meine?“ fragte Nadja und Ed wuchs sogleich mindestens fünf Zentimeter in die Höhe und antwortete zum Schluss doch noch mit stolz erhobener Brust:

„Ja! Natürlich hab‘ ich den. Sogar die limitierte Uncut-Edition. Auf Blu-ray, versteht sich.“

Nadja grinste wieder ein bisschen, war aber in Wirklichkeit schwer beeindruckt. Ed legte den Film ein und die beiden machten es sich mit dem Telefon in ihrer Mitte vor dem Fernseher gemütlich.

122 Minuten rasant zusammengeschnittene Filmaction sowie weitere 75 Minuten Making-of-Material vergingen wie im Fluge, doch das Telefon war die ganze Zeit still geblieben. Inzwischen begann es draußen schon wieder dunkel zu werden. Nadja musste sich auf den Nachhauseweg machen, doch sie drängte Ed vehement, sich unbedingt bei ihr zu melden, sobald er etwas Neues vom Professor gehört habe.

1 Übersetzung: SIE SIND EIN GEWINNER VON 7 MILLIONEN DOLLAR

KAPITEL 3     EDDIE

Glücklich darüber, so viel Zeit mit Nadja verbracht zu haben, setzte sich Ed erneut an den PC um sein Email-Postfach durchzusehen, aber es gab keine Neuigkeiten – keine Email vom Professor. Schnell legte sich seine gute Stimmung wieder und er begann sich langsam ernste Gedanken zu machen, ob wohl alles in Ordnung war mit seinem Onkel.

Dies war der dritte Tag, dass er fort war, und normalerweise hatte er sich immer recht zeitig gemeldet. Oder hatte es Ed sonst einfach nicht so brennend interessiert, so schnell wie möglich von seinem Onkel zu hören? Ed konnte sich nicht genau erinnern, wann der Professor für gewöhnlich angerufen hatte, doch er wünschte sich innig, die Sache endlich abhaken und dem Professor seinen Umschlag nachschicken zu können. Es war ja nicht gerade so, dass er nichts anderes zu tun hatte.

Ed schaute sich noch einmal seine Website-Entwürfe für den Sportverein an, versuchte sich auf das Projekt zu konzentrieren und neue Ideen für die Homepage zusammenzutragen. Es war sein erstes großes eigenständiges Projekt und das sollte verständlicherweise richtig gut werden. Doch nachdem er um die zwanzig Minuten lang den Bildschirm nur angestarrt hatte ohne eine Taste zu drücken - und sich nun der Screensaver plötzlich aktivierte und Ed, der ganz in Gedanken versunken war, damit einen rechten Schrecken einjagte – wurde ihm klar, dass es keinen Sinn machte, sich seiner Arbeit zu widmen solang der ominöse Umschlag im Haus war.

Er schaltete den PC aus, schnappte sich eine Cola aus dem Kühlschrank und warf sich wieder auf die Couch.

Onkel! Jetzt ruf schon an!!

Hin und her gerissen schnappte er sich erneut den Umschlag des Fremden und überlegte, ob er ihn nicht doch einfach öffnen sollte – einfach, um überhaupt etwas zu tun, besser als hilflos herumzusitzen und auf einen Anruf zu warten, der wer-weiß-wann kommen würde.

Doch der Brief war so gut zugeklebt, dass es gar nicht möglich war, ihn ohne Hilfsmittel aufzureißen. Wenn jemand einen Brief so umständlich verpackte, dann wollte er ganz offensichtlich vermeiden, dass irgendjemand anderes als der Adressat den Inhalt zu Gesicht bekommt. Das stand außer Frage.

Ed konnte nicht mit dem Grübeln aufhören.

Und was, wenn der brisante, möglicherweise sensationelle Inhalt extra so behutsam verpackt ist, weil er zum Beispiel lichtempfindlich oder leicht zerstörbar ist? Und dann reiß ich den Brief auf und bin der Trottel der Nation?

Das war sicherlich ein bisschen sehr weit hergeholt, aber diese Begegnung mit dem rätselhaften Fremden hätte vermutlich die Fantasie eines jeden beflügelt, der sich plötzlich in Eds Situation wiederfand.

Einen Tag würde er noch warten, beschloss Ed letztendlich.

Wenn der Professor bis morgen Abend immer noch nicht angerufen hat, dann ist wirklich was faul, und dann muss der Brief definitiv dran glauben.

Ed legte den Brief weg und war gerade dabei zu überlegen, welche Episode seiner Lieblingsfernsehserie sich wohl am besten zum Kopf-Abschalten eignen würde, da erinnerte er sich an den Zettel mit den Zahlenkombinationen aus dem Schreibtisch seines Onkels. Er zog ihn aus der Hosentasche und studierte ihn.

EDDIE!

Dieser Name war Ed verhasst. Eddie – so wurde er als Kind immer genannt – war eigentlich eine Kurzform für Edward, ein Vorname den er gemessen an den Vornamen seiner Mitschüler für sehr altmodisch hielt. Warum seine Eltern ihn ausgerechnet so nennen wollten hatte er nie verstanden. Dagegen klang Eddie an und für sich ganz niedlich für einen Jungen, wäre da nicht dieses kleine Problem mit ein paar überflüssigen Pfunden Babyspeck gewesen, mit dem sich Ed als kleiner Junge herumschlagen musste, und der ihm – grausam, wie die Schulzeit sein kann – von jeher den Spitznamen Feddie eingebracht hatte.

Als endlich der Tag kam, an dem Eddie – Edward ans Gymnasium durfte, ergriff Ed die Chance und stellte sich seinen neuen Schulfreunden nur als Ed vor. Die fanden das schlicht – cool, und Ed schaffte es unter viel Mühe und unter vollem Einsatz von gut platzierten Wutausbrüchen und Schreianfällen, diesen Namen schließlich auch bei seiner Familie durchzusetzen mit dem Ergebnis, dass er seit seinem 17. Lebensjahr für alle einfach nur Ed war.

Umso merkwürdiger empfand es Ed, seinen Kindernamen, sozusagen, auf diesem Zettel zu lesen. Es war zweifellos die Handschrift – oder besser – die Sauklaue des Professors.

Handelte es sich etwa um einen uralten Zettel, der zufällig noch im Schreibtisch seines Onkels herumschwirrte und der genauso zufällig zwischen Eds Finger geraten war? Aber er hatte ganz oben drauf gelegen, beinahe so als sollte er gefunden werden. War es ein Andenken an alte Zeiten welches sich der Onkel aufbewahrt hatte? Das schien ziemlich unwahrscheinlich. Ohnehin – an was sollte der Zahlenhaufen den Onkel erinnern? An die paar wenig fruchtenden Nachhilfestunden in Mathe, die dem Onkel höchstwahrscheinlich genauso wenig Spaß gemacht hatten wie Ed? Mal abgesehen von den kleinen Zahlenspielereien, mit denen er Ed in so manch hoffnungslos erscheinendem Moment wieder aufzumuntern vermocht hatte.

Der Name Eddie auf diesem Zettel hatte eine ganze Lawine an alten Erinnerungen in Ed wach gerufen. Doch je länger er auf diesen Zettel blickte, desto mehr fiel seine Aufmerksamkeit auf die Zahl, die unter seinem Namen stand und ebenfalls mit einem Ausrufezeichen versehen war. Irgendwie kam sie ihm bekannt vor. Es war keine Telefonnummer, keine Pinzahl, leider auch kein Kontostand – woher kannte Ed diese Nummer? Es arbeitete in seinem Kopf:

einunddreißigtausendunddrei – drei-eins-null-null-drei – Eddie – drei-eins-null-null-drei …

Und plötzlich – als wurde er vom Blitz getroffen – erinnerte er sich an die Bedeutung dieser Zahl, und sein ganzer Körper begann zu beben, denn es wurde ihm mit einem Mal klar, was es mit den Zahlenreihen auf sich hatte. Es wurde ihm unheimlich und das nicht nur ein bisschen. Ed versuchte, sich selbst zu beruhigen.

Das ist bestimmt nichts – das muss ein alter Zettel sein – ganz bestimmt.

Nun wäre es ihm eigentlich lieber gewesen, er hätte die Zahl nicht wiedererkannt.

Noch immer in Unglauben holte er aus seinem Zimmer seinen Taschenrechner. Zurückhaltend tippte er die Zahl ein, holte tief Luft, schloss seine Augen bevor er schließlich langsam den Taschenrechner um 180 Grad nach unten drehte. Er hielt kurz inne, dann riss er seine Augen auf und da war sie – die befürchtete Bestätigung. Ed hatte es sich wirklich nicht eingebildet – da stand es schwarz auf olivgrün. Im Taschenrechnerdisplay las Ed seinen alten Namen – Eddie.

Als Ed noch ein kleiner Junge gewesen war, hatte ihn der Professor einmal völlig verblüfft, als er ihm zeigte, dass man mit einem Taschenrechner auch Namen zaubern konnte. Die ganzen darauf folgenden Sommerferien war Ed nur noch mit dem Taschenrechner herumgerannt und hatte jede Menge Geheimnachrichten verschlüsselt. Er hatte dem Onkel sogar einen kleinen Brief aus Zahlenkombinationen geschrieben und der Onkel hatte ihm wiederum mit einem Brief aus Zahlen geantwortet.

Irgendwann hatte Ed dann aber doch seine kurze Karriere als „Geheimagent“ wieder an den Nagel gehangen und die Lust daran verloren, Geheimcodes zu verfassen, weil es aufgrund der stark begrenzten „Buchstabenauswahl“ einfach zu mühselig wurde, Formulierungen zu finden die sich mit dem Taschenrechner schreiben ließen. Und so war der „raffinierte“ Taschenrechnercode bald wieder in Vergessenheit geraten. Jedenfalls bis zu dieser Minute.

Jetzt war die Erinnerung wieder ganz frisch an kleine, mühevoll zusammengesuchte Sätze wie heisse Eddie oder bin sieben + eins (weil man mit den Ziffern auf dem Taschenrechner weder ein a noch ein c oder ein t nachempfinden konnte, um acht zu schreiben) oder gehe in die shoole (wo die Rechtschreibung ein bisschen zurechtgebogen werden musste).

Vielleicht war auf diesem Zettel ja sogar ein Entwurf des alten Briefes, den er damals von seinem Onkel bekommen hatte. Möglicherweise war er ja doch beim Aufräumen seines Büros wieder darauf gestoßen und hatte ihn als Andenken aufgehoben.

Eine einfache und logische Erklärung – der Professor wäre stolz auf mich.

Ed musste schmunzeln. Ein wenig entspannter legte er sich Schreibzeug bereit und machte sich daran, die Nachricht zu entschlüsseln. In Gedanken scherzte er:

So, Herr Professor, es handelt sich hierbei um ein Artefakt, das einen historischen codierten Text enthält. Zufälligerweise bin ich Experte auf diesem Gebiet und werde mich nun an die schwierige Aufgabe machen, den Code zu dechiffrieren. … Na, die Adresse vom Hotel des Professors wird diese Nachricht wohl kaum offenbaren.

EDDIE!

31003!

3439 738319 43008

3704 3430709 73818

34315 5. 1-5-4, 5. 8-9-5 5317!

53 51 41.0739 438739 43538 2704 4380

381378 7134

4130 73940

Ed gab die ersten Zahlen in den Taschenrechner ein.

Die 31003 ergab wie erwartet seinen Namen EDDIE.

Die zweite Zeile las sich: GEhE GIEBEL BOOEh.

Das ergab keinen wirklichen Sinn. Ed las die Wörter ein paar Mal vor sich hin.

Das muss BODEN heißen.

Er erinnerte sich an die Schwierigkeiten zurück, die er als Kind gehabt hatte, überhaupt Wörter zu finden, die sich mit Zahlen imitieren ließen. Manchmal funktionierte es nur mit einem gehörigen Schuss Fantasie. Und so konnte eine Null eben O oder auch D und eine Vier H oder auch N heißen – je nachdem, was im Kontext den meisten Sinn machte.

GEhE GIEBEL BODEn.

Ed feixte: Da wollte mich der Professor wohl damals auf Schatzsuche schicken.

Die dritte Zahlenreihe ergab:

HOLE GOLDEnE BIBEL.

Die vierte Zeile machte allerdings überhaupt keinen Sinn, sie war unaussprechlich:

SIEhE S. h-S-I, S. S-G-B LIES!

In der fünften und längsten Zeile stand:

ES IS GELD.In GELBEn BESEn hOLZ OBEn

Ed war sich nun sicher, dass ihn sein Onkel mit diesem Zettel irgendwann auf eine Taschengeldsuche geschickt haben musste. Er versuchte, sich daran zu erinnern, aber sein Gedächtnis ließ ihn im Stich.

An so Etwas müsste ich mich doch eigentlich erinnern, wenn es sogar Taschengeld gab.

So sehr er auch seine Erinnerungen ausgrub, an solch eine Schatzsuche konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern.

Vielleicht hatte der Professor ja einst die Idee dazu gehabt und wurde dann wieder kurzfristig auf Reise geschickt, sodass es nie zu dieser Schatzsuche kam. Schade eigentlich. Hätte bestimmt Spaß gemacht.

Ein bisschen unzufrieden ergänzte Ed die letzten beiden Zeilen.

BLEIB hEIL

DEIn OnGEL

Sogleich war Ed wieder aufgeheitert und amüsierte sich herzlich über die lustige Schreibweise. Alles klar, Ongel! Der Ongel wird’s schon richten! Hey Ongel!...

Nachdem er alle möglichen Satzvarianten mit seinem neuen Lieblingswort durchgealbert hatte und sich der Spaß darüber langsam mehr und mehr in Grenzen hielt, las sich Ed den Text noch einmal komplett durch.

EDDIE!

GEhE GIEBEL BODEn

hOLE GOLDEnE BIBEL

SIEhE S. h-S-I, S. S-G-B LIES!

Bei der vierten Zeile stockte er wieder. Er überlegte sich, ob das S. wohl jeweils für Seite stand. Nur so erhielt der Satz Bedeutung: Siehe Seite …Lies! Die Zahlen, welche mit Bindestrichen verbunden waren, standen also nicht etwa für Worte, sondern sie stellten Seitenangaben dar. So konnte man die Nachricht nun in einem Stück lesen:

EDDIE!

GEhE GIEBEL BODEn

hOLE GOLDEnE BIBEL

SIEhE S. 154, S. 895 LIES!

ES IS GELD.In GELBEn BESEn hOLZ OBEn

BLEIB hEIL

DEIn OnGEL

Stolz darüber, das Rätsel gelöst zu haben, lehnte sich Ed mit einem breiten Lächeln zurück. Er dachte an das schöne Taschengeld, das er sich damit verdient hätte und freute sich über den neu gefundenen Spitznamen für den Professor - Ongel.

Doch nur einen Moment später schnellte Ed schlagartig wieder auf und schaute mit erstarrtem Blick auf seine Aufzeichnungen als würde er einen Geist sehen.

Er versuchte, die Zeilen noch einmal durchzulesen, aber das Blut rauschte so durch seinen Kopf, dass es sich wie tausend Hämmer anfühlte. So sehr er sich auch bemühte, die Wörter zu lesen - die Buchstaben verschwommen vor seinen Augen. Er rieb sie sich, aber wohin er auch schaute, er hatte nur noch ein einziges Bild vor Augen: Gelbe Besenstiele.

Die ganze Zeit war Ed so völlig überzeugt gewesen, dass es sich bei diesem Zettel um ein altes Relikt aus Kinderzeiten handelte, dass er die Zeichen überhaupt nicht wahrgenommen hatte.

Die gelben Besenstiele passten nämlich so gar nicht in Eds Kindheitserinnerungen, sondern waren vielmehr Teil seiner sehr realen Gegenwart. Erst vor ein paar Tagen war er über so einen doofen Besen mit provokativ gelbem Stiel gestolpert und hatte sich das Knie ordentlich aufgeschlagen. Als er den Übeltäter daraufhin zu seinen Kameraden in die Besenkammer gestellt hatte, war ihm aufgefallen, dass alle Besen, Schrubber und sonstige langstielige Stolpergeräte diese gleichen merkwürdigen überdimensional langen gelben Plastikkappen besaßen. Er hatte sich noch gewundert, was der Professor damit wohl anstellen wollte.

Ed rannte zur Besenkammer und schnappte sich solch ein gelbes Ungetüm. Mit zitternden Händen versuchte er, die Kappe vom Stielende zu entfernen. Sie war mit einer Schraube befestigt. Mit Hilfe eines Messers gelang es ihm schließlich, die Schraube zu lösen. Er zog die Kappe langsam ab und traute seinen Augen nicht. Der Holzstiel selbst war gekürzt worden, sodass ein kleiner Hohlraum in der Kappe entstand, der Platz genug für ein eingerolltes Bündel mit Geldscheinen bot.

Ed blieb das Herz stehen. Er zog das Bündel heraus und wickelte es aus. Es waren alles Zweihundert-Euro-Scheine – um die zehn Stück. Und es standen noch fünf weitere Geräte mit gelben Stielen in der Besenkammer. Ed nahm sie kurz entschlossen alle unter den Arm und trug sie ins Wohnzimmer. Der Schweiß lief ihm nun die Stirn hinunter. Es war ihm so heiß, dass er kaum atmen konnte, doch sein Gesicht blieb kreideweiß. Er öffnete die anderen Stielkappen mit dem gleichen Ergebnis – jede Kappe enthielt Geldbündel, einige mit Einhundert- andere mit Zweihundert-Euro-Scheinen bestückt.

In Rage versetzt zählte sich Ed durch die Scheine. Das waren insgesamt Zehntausend Euro, die er da in seinen schwitzigen Händen hielt. Er schüttelte seinen Kopf in Unglauben.

Wo kommt das ganze Geld her? Wieso versteckt es der Onkel in Besenstielen? Was läuft hier eigentlich?

Er konnte sich keinen Sinn zusammenreimen. Nochmals ging er zur Besenkammer und raus in den Hof um nachzuschauen, dass er auch keinen Besenstiel vergessen hatte. Es blieb bei den Zehntausend Euro.

Wie leichtsinnig! dachte er, Wenn die Haushälterin das gemerkt hätte!

Doch die Haushälterin, wäre nie auf die Idee gekommen an einer Schraube herumzudrehen. Ohnehin gehörten Schraubendreher zu den Geräten, die für gewöhnlich nicht in ihren Händen zu landen pflegten, es sei denn, sie benötigten eine Reinigung.

Der Professor hatte schon eine komische Vorstellung von sicherem Versteck, doch warum musste er überhaupt Geld verstecken? Ed war verwirrt. Über den Anblick des Geldes hätte Ed beinahe vergessen, dass ja noch mehr in der Nachricht stand als „gelbe Besenstiele“.

GEhE GIEBEL BODEn - hOLE GOLDEnE BIBEL

Nun konnte er keinen klaren Gedanken mehr fassen, wie ferngesteuert stieg er die Treppen hoch zum Dachboden, konnte dort aber keinen Lichtschalter finden. Ohne Licht war überhaupt nichts zu erkennen, denn draußen war es mittlerweile dunkel. Es half nichts, er brauchte eine Taschenlampe. Er rauschte die Treppe wieder hinab und suchte verzweifelt nach irgendetwas, das wie eine Taschenlampe aussah. In der Eile fand er natürlich nichts. Er rannte wieder hinauf, pustete laut die Luft durch seine Lippen, dass es sich wie ein Walross anhörte, und setzte mutig den ersten Schritt ins Dunkel des Dachbodens. Millimeterweise kämpfte er sich durch den Raum, mit einem Arm nach vorne tastend, während er den anderen vorsichtshalber schützend vor das Gesicht hielt. Aber er eckte natürlich trotzdem überall an.

Als es dann heftig krachte und ein ziemlich schwerer Gegenstand umfiel und direkt auf seinem Fuß landete, brach er schmerzgeplagt die Aktion ab und kroch rückwärts wieder zurück zur Tür hinaus. Es blieb dabei, eine Lampe musste her.

Und wieder ging es die Treppe hinunter – diesmal allerdings im Humpelschritt. Wütend über seine eigene Ungeduld besorgte sich Ed aus der Besenkammer eine Kabeltrommel und aus seinem Zimmer die Schreibtischlampe. Eine Minute später hatte er Licht auf dem Dachboden.

Und siehe da, unweit von der Tür entfernt lag die Taschenlampe, die er überall gesucht hatte, auf dem Boden. Jetzt brauchte Ed sie nicht mehr. Als er aufblickte, entdeckte er auch den Lichtschalter, den er einen guten halben Meter tiefer gesucht hatte.

Wer setzt einen Lichtschalter auch so hoch an.

Ed betätigte ihn, aber es tat sich nichts. Wahrscheinlich war die Lampe kaputt. Der Professor musste kürzlich hier oben gewesen sein, die Taschenlampe gebraucht und sie dann liegen lassen haben. Ed fand seine Idee mit der Schreibtischlampe ziemlich clever, denn damit hatte er mehr Licht als mit der Taschenlampe und noch dazu die Hände frei.

Er betrachtete den vermeintlichen Unfallort von soeben – eine gut bestückte Hantelbank, die offensichtlich schon sehr lange nicht mehr benützt worden war – und er schätzte sich ausgesprochen glücklich, dass nur die 2,5-Kilo-Scheibe auf seinen Fuß gerollt war und nicht die daneben lehnende 10-Kilo-Scheibe.

Glück im Unglück.

Diese kleine Freudensekunde half Ed, ein Stück seiner Verspannung abzuschütteln. Er rollte die Schultern nach hinten, streckte seinen Kopf in die Höhe und setzte schließlich neu an, den Ort zu inspizieren.

Der Raum war ziemlich voll gestellt mit allem möglichen Kram der Kategorie Werde-ich-zwar-nie-mehr-benützen,-aber-kann-ich-doch-nicht-einfach-wegschmeißen. Da standen alte Sofas, Schränke und Fernseher, voll gepackt mit Kabelbergen, alten Klamotten, abgedankten Rechnern und jeder Menge mehr oder weniger definierbarem Haushaltszeug.

Ed war nun doppelt froh, dass er sich die Minute Zeit genommen hatte, ein Licht zu installieren, denn es wimmelte hier nur so von potenziellen Unfallquellen. Mit seiner Hand-Tast-Methode wäre er wirklich nicht sehr weit gekommen. Von einem Bücherregal allerdings war nichts zu sehen – mit oder ohne Licht.

Hole Goldene Bibel, da stand aber nichts von ‚Kriech durch den Müll‘. Onkel, was soll das nur alles?

Noch immer schmerzte sein Kopf – und sein Fuß, und Ed wusste nicht, was er von all dem halten sollte.

Was war das für Geld? Warum diese Geheimnachricht? Und was hatte es mit dieser Goldenen Bibel auf sich?

Fragen über Fragen, aber keine Antworten. Er holte tief Luft und stürzte sich ins Chaos. Nachdem er den Möbel-Parkour mit Bravur überwunden und sich durch diverse Kleinkram-Berge gequetscht hatte, stach ihm in der alleräußersten Ecke eine Kiste ins Auge, die in der Tat Bücher zu beinhalten schien. Nun schlug ihm das Herz wieder etwas schneller und lauter. Ed, der aufgrund der Anstrengung sogar ein bisschen Farbe ins Gesicht bekommen hatte, spürte, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten. Würde er hier das Buch finden, mit einem erklärenden Brief seines Onkels? Er hoffte es sehnsüchtig.

Er arbeitete sich zur Bücherkiste vor. Bis hierher reichte das Licht der Schreibtischlampe nun jedoch auch wieder nicht und er konnte weder Farbe noch Schrift der Bücher erkennen. Die Taschenlampe lag indes brav neben der Schreibtischlampe auf der anderen Seite des Dachbodens.

Clever! knirschte Ed.

Er musste die Kiste irgendwie ins Licht transportieren. Das bedeutete – den ganzen Hindernislauf wieder zurück, aber jetzt mit fünfzig Kilo Büchern im Gepäck. Ed stöhnte, aber was blieb ihm anderes übrig, als sich die Kiste zu packen?

Dummheit muss bestraft werden.

Völlig außer Atem und mit äußerst schlechter Laune erreichte Ed zu guter Letzt die Schreibtischlampe. Normalerweise hätte er sich spätestens jetzt ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank geholt und mindestens eine halbe Stunde lang vor sich her geflucht, aber die Spannung auf den Inhalt der Kiste und die Hoffnung auf Antworten begruben jedes andere Verlangen.

Ed nahm Buch für Buch aus der Kiste und beäugte jedes argwöhnisch, und dann - dann sah er sie tatsächlich – die Goldene Bibel. Sie war nicht zu verkennen: ein altes, schweres Buch mit goldenem Einband und alter Schrift. Das Adrenalin schoss nur so durch Eds Körper. Fast ohnmächtig zog er mit beiden Händen das Buch vorsichtig aus der Kiste, beäugte es von allen Seiten, und trug es schließlich herunter ins Wohnzimmer, wo er es behutsam neben seine Aufzeichnungen legte.