Eden City, die Stadt des Vergessens - Reinhard Kriese - E-Book

Eden City, die Stadt des Vergessens E-Book

Reinhard Kriese

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Beschreibung

Eden City ist eine Bunkerwelt in den Rocky Mountains, in die sich die Urheber eines Atomschlages zurückgezogen haben. Seither sind viele Jahre vergangen, fast alles ist in Vergessenheit geraten. Eine strenge Hierarchie bringt die genetisch manipulierten Einwohner Eden Citys in eine verhängnisvolle Lage. Dana und Ral gehören mit ihren Gefährten zu den wenigen, die einen Ausweg suchen und das Vergessen überwinden wollen.

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Impressum

eISBN 978-355-50022-7

© 2015 (1985) Verlag Neues Leben, Berlin

Cover: Werner Ruhner

Die Bücher des Verlags Neues Leben erscheinen in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.

www.eulenspiegel-verlagsgruppe.de

Reinhard Kriese

Eden City, die Stadt des Vergessens

Phantastischer Roman

1

Der Gong ertönte. »Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen und beste Effektivität.« Wie Glockenschläge drangen die Worte der Weckautomaten aus der Membran.

Ral lag auf einer elastischen Schlafliege, die seinen Körper aufnahm, als versänke er in weichen Daunen. Er rekelte sich und gähnte genußvoll, ehe er sich erhob, um die Automatik abzuschalten, die sonst in den nächsten zehn Minuten ihren Text immer wieder von sich geben würde. Ral hatte nichts gegen die Weckautomatik, die sich jede Woche einer anderen Stimme bediente. Aber ihm ging ihr monotones Gesäusel dann doch auf die Nerven. Da gefiel ihm das morgendliche Plate-Programm von Eden-TV schon besser. Das brachte ihn wenigstens auf andere Gedanken und ließ ihn nicht länger grübeln.

Er wußte, daß er gut war. Seine Arbeit befriedigte ihn zwar nicht immer, oftmals langweilte er sich sogar, aber Pflichterfüllung lag ihm nun mal im Blut, und es hatte sich bisher ja auch gelohnt, einer der Besten zu sein. Lebte er nicht bedeutend besser als die meisten anderen TC? Er nannte ein Appartement sein eigen, das sich sehen lassen konnte. Stolz blickte er sich im Zimmer um. Da waren die nagelneue Liege oder auch der zwei Meter mal zwei Meter große TV-Plate mit hervorragender Farbwiedergabe, gar nicht zu reden von der Duschkabine mit ihrer prickelnden Frische, die so wohltat.

Seine Wohneinheit bestand aus einem Wohnraum und einer Serviceeinheit. Das wichtigste war jedoch der Kontaktblock ­ auch eine Sonderzuteilung. Er enthielt einige Rückinformationsbereiche, zum Beispiel den Kopulationsvollzugsmelder, bestand aber eigentlich nur aus Programmbereichen mit einem kleinen Schlitz daneben, in den der Eigentümer seine Kennmarke steckte. Nach einem Knopfdruck konnte er den gewünschten Artikel der Ausgabebox entnehmen. Jeder TC trug seine Kennmarke an einem Kettchen um den Hals, denn was war ein TC ohne Marke – noch weniger als ein SC! TC war die allgemeingültige Abkürzung für Thinking Clons, die denkenden Clons.

Ral konnte sich immerhin zehn verschiedene Speisen und fünf verschiedene Getränke auswählen, und wer sonst vermochte das schon? Einmal war er bei einer TC des Sektors L gewesen, deren Kontaktblock nur zwei Speisen und ein Getränk auswies. Höchstwahrscheinlich uneffektiv die Dame, ähnlich wie bei der Kopulation. Nun ja, es war auch fast eine Strafe, im Abfallsektor L, Last Station, zu arbeiten. Wie der Great Calculator auf die gekommen war, wußte er sich bis heute nicht zu erklären.

An und für sich gab es für ihn keinen Grund, mit dem Great Calculator unzufrieden zu sein. Die Kopulationsanweisungen erreichten ihn ebenso regelmäßig wie die Worte der morgendlichen Weckautomatik, und welcher TC konnte das schon von sich sagen? Es lag an jedem selbst, aus dem Leben was zu machen. Jeder wußte, daß die Arbeitsplatzkontrolle alle Handgriffe exakt registrierte und analysierte, um festzustellen, ob effektiv gearbeitet wurde oder nicht. Ebenso war bekannt, daß das Punktekonto bei Effektivität wuchs und bei Uneffektivität sank. Wies es über einen längeren Zeitraum einen regelmäßigen Zuwachs auf, gab es Sonderzuteilungen, die das Leben angenehmer machten. Der andere Fall wurde bestraft. Zunächst kam eine Ermahnung, dann eine Rüge mit deftigem Punkteabzug, und bei großer Uneffektivität mußte der Betreffende sogar mit seiner Liquidierung rechnen. Aber das hatte es in Rals Sektor noch nicht gegeben. Man munkelte nur ab und zu darüber, daß es keine alten TC gäbe. Jedenfalls hatte Ral bisher keinen über fünfundvierzig Jahre gesehen. Aber warum sich darüber Gedanken machen? Er war zweiunddreißig und im Vollbesitz seiner Kräfte. Was gingen ihn da die anderen an! Sollten sie doch machen, was sie wollten, solange es ihm nur gut ging.

Und doch war da etwas, was ihm keine Ruhe ließ. Irgendwie befand er sich auf der Suche. Wonach, das konnte er lange nicht definieren, bis es ihm wie Schuppen von den Augen fiel. In sein Leben waren trotz aller Annehmlichkeiten Gleichgültigkeit und Langeweile eingezogen. Da half auch das heimliche Übertreten einiger Gebote an seinem Arbeitsplatz im College nichts. Es war schon aufregend, wenn er in die Programme seiner Klienten hineinlauschte, um sein Wissen zu erweitern. So erfuhr er, womit sich die anderen in ihren Sektoren beschäftigten, und trat Stück für Stück aus der eigenen Umgebung heraus. Überwacht wurde ja nur die Entnahme von Programmkassetten der Magister. Die TC-Kassetten standen als frei zugängliches Arbeitsmaterial zur Verfügung.

Nur mitlauschen durfte keiner. Das neue Wissen bereitete aber nicht nur Freude, es beunruhigte auch.

Ral stand im Dienst der Alphas, denn sie bewahrten das Leben.

Daran gab es für ihn keinen Zweifel. Ohne die Alphas würde das Leben verlöschen, denn er selbst stammte von ihnen ab, verdankte ihnen seine Existenz. Jedenfalls hatte er es so gelernt. War es da nicht mehr als recht und billig, den Interessen der Alphas alles zu widmen?

Und trotzdem konnte das nicht alles sein, mußte es einen weiteren Halt geben, der das Leben bereicherte. Zu selbständiger Fortpflanzung unfähig, waren den TC eigene Kinder nicht vergönnt. Verblieben war nur das Lustgefühl, dessen Befriedigung durch die Kopulation mit einer ausgewählten Partnerin als Belohnung für besondere Dienste galt. Im sonst so geregelten Tagesablauf bedeutete dieses für die meisten TC seltene Ereignis einen tiefgreifenden Einschnitt in das psychologisch ausgewogene Gleichgewicht und hatte Leistungsminderung am nächsten Tage zur Folge, die durch Punktegutschriften bei der Arbeitsplatzkontrolle kompensiert wurde.

Aber selbst bei den Kopulationen fehlte Ral etwas, was er sich nicht erklären konnte. Körperlich empfand er die Abende mit den ihm zugewiesenen weiblichen TC immer noch anregend. Häufiger jedoch gesellte sich zu der bekannten Erschlaffung am nächsten Tag ein eigenartiges Gefühl der Leere, das auch nach dem Genuß von Erotika, die zur Steigerung der Lebensfreude über den Kontaktblock zur Verfügung standen, vorhanden blieb. An den Partnerinnen konnte es nicht liegen, denn bis jetzt hatte der Great Calculator eine geschmackvolle Fürsorge in diesem Punkt bewiesen, wenige Ausnahmen, wie die aus dem Sektor L, ausgenommen. Rals Suche wurde fast zur Manie, und bei jeder neuen Anweisung hoffte er, den gesuchten Halt oder irgend etwas Neues zu finden. Leider blieb die Enttäuschung bislang nie lange aus.

Ral trat aus der Dusche, vom Heißluftstrom getrocknet, sah sein Gesicht im Spiegel mit den bekannten Sorgenfalten auf der Stirn und strich sich über den weit ausladenden kahlen Schädel, wie um lästige Gedanken zu verscheuchen. Per Knopfdruck lieferte Eden-TV sein morgendliches Unterhaltungsprogramm und verscheuchte Rals trübe Gedanken, während er sein Frühstück zu sich nahm. Seine silbergraue Kombination hing sauber wie immer im Reinigungsschrank. Dieser Tagesanzug ließ Rals kräftigen Körper gut zur Geltung kommen.

Mit sich und der Welt zufrieden, verließ er seine Wohneinheit und betrat den Korridor des Wohnsektors T. Der hellgraue Gang mit seinem braunen Fußboden erstrahlte in gewohnter Eintönigkeit, beleuchtet durch die mattglänzende Decke, und wurde nur durch die Eingänge der Wohneinheiten unterbrochen.

Der Arbeitsbeginn rückte näher, und Ral fand rege Betriebsamkeit vor. Am Lift werden sie sich wieder stauen, dachte er. Wie er dieses Gedränge haßte! Ein Blick in die Gesichter der Vorübereilenden verriet neben der Hast nur die Gleichgültigkeit. Morgen würde er eher losgehen, nahm er sich vor, als er am Lift anlangte und den um diese Stunde üblichen Stau antraf. Diszipliniert rückten die Wartenden zum Eingang vor, und Ral sah im Gedränge seine Kollegin Kora, die mit einer Fremden zusammenstand. Sein Blick blieb an dieser haften und verlieh dem Wunsch Ausdruck, die Fremde möge sich umdrehen. Ganz gegen die übliche Disziplin drängte Ral zu dieser Fremden an Koras Seite hin und erntete allgemeine Mißbilligung seines ordnungswidrigen Verhaltens. Endlich stand er hinter ihr und betrachtete sie heimlich. Was zog ihn eigentlich zu dieser Frau? Hatte er nicht vorhin bemerkt, wie Kora und sie einige Worte wechselten? Vielleicht weckte dieses für TC unübliche Verhalten sein Interesse.

Die Schlange der Wartenden rückte nach, und Ral berührte wie unabsichtlich die vor ihm Stehende, die ihm daraufhin ihr Gesicht zuwandte. Sein Blick fiel in blaue Augen, die unter einer hohen Stirn dem Gesicht mit seinem schmalen Mund einen ernsten Ausdruck verliehen.

Im Lift richtete es Ral so ein, daß er der Fremden gegenüberstand. Sein Blick fiel auf ihre Identifikation. TC/B0-174. Sektor Biologie, aus einer Clonserie: Etwas enttäuscht und zugleich überrascht stellte er fest, daß sie einem anderen Sektor als er angehörte. Zwei TC aus unterschiedlichen Sektoren sprachen miteinander – merkwürdig. Ihre Augen wichen den seinen aus und Ral vermutete, daß sie anders sein mußte als alle anderen, Kora ausgenommen. Die war schon immer irgendwie schrullig gewesen. Aber jetzt merkte er, daß beide etwas Gemeinsames hatten. Ihre Nähe drückte nicht die übliche Kälte und Gleichgültigkeit aus sondern spendete Wärme und Anteilnahme. Warum wich sie seinem Blick aus? War da nicht auch ein Funken der Angst zu sehen?

Leben und leben lassen – das war seine Devise. Wozu sich und anderen Schwierigkeiten bereiten? Er hatte schon manche Erfahrung machen müssen, aber diese Frau erschien ihm merkwürdig in ihrer ängstlichen Verklärtheit, die so ganz aus dem üblichen Rahmen fiel. Er sah gut aus und wußte das. Dann war aber diese unterschwellige Ablehnung ihrerseits, die deutliche Mißbilligung ausdrückte, erst recht nicht zu verstehen.

Als der Lift im Arbeitssektor B hielt und sie ausstieg, trafen sich ihre Blicke fur Sekunden wieder, und Ral entdeckte erneut die Angst in ihren Augen. Sein Blick folgte der Fremden bis sich die Türen schlossen.

2

Am Eingang zum Arbeitssektor T, für Teacher, allgemein in Anlehnung an frühere Begriffe College genannt, warteten schon mehrere von Rals Kollegen auf das Einlaßsignal. Alle Augen folgten mechanisch der digitalen Zeitanzeige über der Eingangstür. Das bekannte Gingong ertönte, und fauchend fuhren die Türflügel auseinander. Eben waren die letzten TC dieses Sektors schnellen Schrittes angelangt. Es passierte äußerst selten, daß jemand zu spät kam, denn wer handelte sich schon gern auf eine solch unnotige Art Minuspunkte ein.

Dichtgedrängt passierten die TC den Eingang und begaben sich so schnell wie möglich an ihren Arbeitsplatz, um der Kontrollautomatik mit ihrer Kennkarte ihre Anwesenheit zu melden. Dreißig Sekunden später schloß sich die Eingangstür. Wer jetzt kam, mußte sie mit seiner Kennmarke öffnen, war dann aber sofort als verspätet registriert und mußte unweigerlich mit Minuspunkten rechnen.

Ral begab sich an seinen Arbeitsplatz und meldete unverzüglich seine Anwesenheit. Jeder Arbeitsbereich enthielt drei Arbeitsplätze. Im Grunde genommen hatte der Sektor T mehr mit einem Krankensaal gemein als mit einem College. Um eine Säule mit Meßinstrumenten und der Kassettenaufnahme gruppierten sich drei Liegen im Winkel von hundertzwanzig Grad, die mit ihrem Kopfende zur Säule zeigten. Alles erstrahlte in makelloser Sauberkeit. Dominierend war ein steriles Weiß. An den Wänden befanden sich mehrere Magazine mit den Programmkassetten, die alle katalogisiert und numeriert waren. Ein besonderer Bereich enthielt die Programmkassetten der Alphas und Magister. Alle Kassetten lagen hinter Glasscheiben in kleinen Boxen, die nur bei den Alphas und Magistern besonders gekennzeichnet und bei den Magistern sogar mit einem Kennmarkenschlitz gekoppelt waren.

Die sechseckigen Arbeitsbereiche lagen in einer Ebene um den Haupteingang des Sektors T verteilt. Zwar kannten sich die einzelnen TC durch ihre jahrelange gemeinsame Tätigkeit, jedoch konnte unter ihnen keine Kollegialität aufkommen. Sie war auch nicht erwünscht. Allein die Trennung der Arbeitsberetche verhinderte Kontakte unter dem Bedienungspersonal. Selbst in den Arbeitsbereichen beschränkten sich die Gespräche nur auf dienstliche Angelegenheiten, und das auch nur, wenn unbedingt erforderlich.

Lediglich seine beiden Kollegen Nol und Kora machten da eine Ausnahme. Sie benahmen sich sowieso oftmals nicht ordnungsgemäß. Immer wenn sie sich unbeobachtet fühlten, führten sie private Gespräche oder faßten sich überflüssigerweise an den Händen. Manchmal standen sie auch nur so beisammen und sagten gar nichts. Das war dann noch schlimmer, mit anzusehen, wie sich beider Blicke durchdrangen. Dabei konnte man nicht einmal sagen, daß sie ihre Klienten vernachlässigten, nur daß diese für sie eben nicht die Hauptrolle spielten. Sie nahmen die Beobachtung der Armaturen und das Verfolgen der Programmeingabe eben nicht so ernst wie Ral, der sich in diesen Momenten mit dem Wesen auf der Trage eins fühlte. Allerdings hatte das oft zur Folge, daß er mitlauschte, was den beiden anscheinend gar nicht so unrecht war, weil sie sich dann unbeobachtet wähnten.

Ab und zu traten bei Kora geringe Unzulänglichkeiten auf, die sie jedoch mit Nols Hilfe wieder wettmachte. Es war für Ral eine unbestreitbare Tatsache, daß sie sich gegenseitig halfen und unterstützten. Und das nicht nur ab und zu, sondern wo immer es ihnen angebracht schien.

Nol nahm ihr Arbeiten ab, Kora räumte für ihn auf, überhaupt fand man sie immer zusammen. Wenn es nicht so absolut von der Norm abweichen würde, könnte man vermuten, daß ihre Beziehung auch über den Arbeitsplatz hinaus bestünde und sogar in der ständigen Unterhaltung intimer Beziehungen gipfelte.

Ral konnte sich die Unterhaltung einer ständigen monogamen Beziehung zu einer TC zwar nicht vorstellen, aber allein durch die Tatsache, daß im gesamten Leben Eden Citys solche Beziehungen verpönt waren, mußten sie doch mit großen Schwierigkeiten verbunden sein. Wie kamen die beiden da überhaupt ihrer Pflicht zur Befolgung der Kopulationsanweisungen des Great Calculator nach, wenn sie dies überhaupt taten?

Während man Ral laufend bei Kontaktaufnahmen für Kopulationsvollzüge sah, trat Nol in dieser Beziehung überhaupt nicht in Erscheinung, vielleicht mißachtete er sogar die Anweisungen? Das war dann aber sehr egoistisch den abgelehnten Partnern gegenüber.

Vielleicht nahmen die beiden sogar an, daß Ral ihre Heimlichkeiten billigte und sie deswegen nun schon einige Jahre unbehelligt gewähren ließ. Wenn das so war, dann täuschten sie sich in ihm. Für Ral war entscheidend, daß die Administration augenscheinlich noch keine Ursache gesehen hatte, die ein Eingreifen erfordern würde. Warum sollte er dann etwas beanstanden, was die Administration bisher tolerierte? Für ihn waren sie nichts weiter als zwei Außenseiter, die eben geschickt genug durch die Netze der Kontrollen schlüpften, und diese Geschicklichkeit wäre noch das einzige gewesen, was ihn dabei interessiert hätte.

Zunächst erforderte aber das Ertönen des Gongs seine Aufmerksamkeit, da ihm eine Arbeitsanweisung folgen mußte.

Aha, wieder ein neuer TC zur Prägung, registrierte er. Eine alltägliche Sache. Der Sektor Medizin schickte ihnen die zur Hypnopädie vorbereiteten, im hypnotischen Schlafzustand liegenden Klienten per Lift nach oben.

Ral nahm seinen Klienten am Lift in Empfang und blickte in ein unbekanntes Gesicht, dessen Blässe und dunkle Augenringe typisch für die Behandlung durch den Sektor M waren. Die nun folgenden Handgriffe bedeuteten für Ral nichts anderes als Routine. An der Zentralsäule hing der Helm mit den Kontakten für das Abtasten der Hirnrinde und den Vertiefungen für die Ohrmuscheln, so daß kein Laut von außen den Ablauf des Lehrprogramms stören konnte. Der kahle Schädel des Klienten glänzte von der an ihm haftenden Kontaktflüssigkeit.

So jung war er auch einmal gewesen, ging es ihm durch den Kopf, als er den Helm anpaßte und dem TC die Elektroden für die Überwachung der Körperfunktionen anlegte. Sechzehn Jahre war es her, daß er seine Abschlußprägung erhalten hatte, die ihn befähigte, seinen Platz in der Hierarchie Eden City gemäß seiner Bestimmung einzunehmen.

Das Programm lief, und Wissen strömte in das Hirn des Klienten.

Ral vertiefte sich in das Leben der Armaturen, die ihm anzeigten, wie der Organismus vor ihm auf der Trage die konzentrierte Vermittlung des Kassetteninhalts aushielt.

Im Gegensatz zu Kora gab es bei ihm fast keine Schwierigkeiten, die bei ihr vor allem bei überstellten Amokalphas auftraten. Amokalphas waren kranke Alphas, die durch ihr unkontrollierbares Verhalten den Bestand der Lebensträger gefährdeten und aus diesem Grund aus deren Reihen ausgeschlossen werden mußten. Diese armen Wesen konnten nur die Löschung ihres Alphabewußtseins und die Neuprägung als TC vor dem psychologischen Chaos retten.

Ral verstand nicht, daß eine erprobte Fachkraft wie Kora ausgerechnet mit einem so simplen Vorgang wie der Bewußtseinslöschung Probleme haben konnte und dabei immer wieder Fehler beging. Was war da schon Großartiges dran? Haube aufsetzen, Magnetfeld einschalten, Kassette einlegen, Zeit nehmen – und fertig. Aber jedesmal, wenn in seinen Arbeitsbereich ein Amokalpha eingeliefert wurde, geriet Kora außer Fassung. Sie wurde nervös, manipulierte an ihren Instrumenten und lieferte als Endergebnis Löschungsfehler, deren Folge leistungsgeminderte TC darstellten.

Das seltsamste an der ganzen Sache war jedoch, daß sich Nol, der sonst laufend mit ihr zusammenhockte und ihr die Wünsche von den Augen abzulesen versuchte, bei solchen Anlässen zurückzog und ängstliche Teilnahmslosigkeit an den Tag legte.

Der Speisesaal war der einzige Ort, wo keine Trennung der Arbeitssektoren vorlag und Kontakte zwischen den TC möglich wurden.

Die Zusammenfassung aller Sektoren an diesem Ort hatte aber mehr praktische Gründe als humane Regungen als Ursache. Die Versorgung der TC gestaltete sich so bedeutend einfacher, und außerdem konnten hier auch ausgewählte Kopulationspartner ohne Schwierigkeiten Kontakt aufnehmen.

Ral empfing das übliche verhaltene Gemurmel zumeist belangloser Gespräche der an den Tischen verteilten TC. Aus versteckt angelegten Lautsprechern erklangen unaufdringliche Melodien. Er hatte, wie schon so oft, wenig Interesse an Konversation, die ihn doch nur ermüdete, und so suchte er mit den Augen irgendeinen Platz am Rande des Saales, möglichst etwas abseits, wo ihn keiner störte und er in Ruhe seinen Gedanken nachhängen konnte.

An der Speisenausgabe verschwand seine Kennmarke im Kontaktschlitz, und die Ausgabebox öffnete sich. Mit seiner Mahlzeit, die wie üblich aus hochwertigen Konzentraten bestand und einfallslos mit Folie verpackt auf einem Teller stand, wandte er sich dem Saal zu und entdeckte neben der Mahlzeit wieder mal einen blau schimmernden Metallchip, auf dem eine Nummer stand.

Im Gegensatz zu den anderen TC erfüllte ihn dieser Chip nicht so vorbehaltlos mit Vorfreude auf die damit angewiesene Kopulation. Die Erwartung wurde überschattet von der Frage, ob es sich wieder nur um die sattsam bekannte Zeremonie handeln würde, die ihm zwar körperlich nicht gerade unangenehm war, ihn aber immer wieder zweifeln ließ, ob das allein wirklich alles sein sollte. Die Anweisung wies die Nummer TC/S0-046 aus, und Ral versuchte sich zu erinnern, ob er sie schon einmal gesehen hatte, aber einen anderen TC mit einer Nummer in Zusammenhang zu bringen war für ihn schon immer ein Ding der Unmöglichkeit gewesen.

Der Great Calculator mußte heute seinen guten Tag haben, denn am Kontaktpunkt warteten schon mehrere Personen, die teilweise in angeregte Unterhaltungen verwickelt waren, deren Inhalt ihm nicht unbekannt war. Worüber sollte man sich schon an diesem Ort unterhalten.

»Guten Tag. Ich bin Bel.«

Ral hatte seine Partnerin gefunden. Der Great Calculator meinte es wieder gut mit ihm. Mit Kennerblick musterte er die vor ihm stehende Frau, deren körperliche Reize von der Tageskombination kaum verdeckt wurden. Sein Blick erfaßte zunächst die langen Beine, deren wohlgeformte Oberschenkel sich deutlich unter dem Anzug abzeichneten und in einer Hüfte endeten, die jedem TC das Prickeln der Begierde in die Adern treiben mußte. Auch Ral konnte seine aufsteigende Erregung nur mühsam beherrschen.

Fast zu lange starrte er ihre üppigen Brüste an. Als er beim Gesicht anlangte, umspielte ihren schön geformten Mund ein wohliges Lächeln.

Ral fühlte sich ertappt, und das ernüchterte ihn. Er las unverhohlene Genußsucht in ihren Zügen und war überzeugt, daß ihm diese Partnerin in gewissen Dingen sehr entgegenkommen würde.

Er zwang sich, ihren Augen standzuhalten, die von ihm Besitz ergreifen wollten.

»Guten Tag. Ich bin Ral. Wenn ich mich nicht irre, sind wir beide dazu ausersehen worden, uns näher miteinander bekannt zu machen.

Darf ich Sie fragen, ob der heutige Tag für Sie erfolgreich war?«

Die Sache beginnt wie üblich, dachte Ral. Eigentlich war es Blödsinn, sich darüber aufzuregen. Wie sollte man es denn sonst beginnen? Die Regeln, die bei der Begegnung mit einem weiblichen TC zu beachten waren, hatten sie mit den Prägungen empfangen. War es dann soweit, sagte man die gewohnten Worte her, und alles ging klar, da es der andere ebenso machte. Außerdem wurden damit Mißverständnisse von vornherein ausgeschlossen. Ral wußte jedoch nicht so recht, ob er der Administration dafür danken sollte. Obwohl er bei anderen immer auf Abweichungen von dem üblichen Austausch von Floskeln wartete, verfiel er selbst wieder auf sie. Nun lief alles wie automatisch. Es war ja auch so bequem.

»Vielen Dank der Nachfrage. Ich glaube schon, sonst wäre ich wohl kaum dazu bestimmt worden, mich mit Ihnen hier zu treffen.«

Rals Augen waren nun wieder bei ihrem Busen angelangt, und ihren Lippen entsprang wieder dieses wohlige Lächeln.

»Gefalle ich Ihnen?« fragte sie ihn und legte dabei den Kopf auf die Seite, während sie die Hüfte einknickte, um das Gewicht auf ein Bein zu verlagern, wodurch ein Teil ihres prallen Gesäßes sichtbar wurde.

Ral war weit davon entfernt, sich verlegen zu fühlen. Wenn er anfänglich auch ertappt worden war, so ließ er jetzt seine Routine spielen, da er wußte, woran er mit dieser Bel war.

»Das kann ich wohl kaum abstreiten. Daß Sie sehr anziehend wirken, muß ich Ihnen kaum sagen. Dieses Kompliment haben Sie doch schon von verschiedenen Seiten gehört. Ich bin jedenfalls hocherfreut, hinter der Kennung meiner Anweisung einen solchen Genuß für das Auge zu finden. Sie werden meine Direktheit verzeihen.«

Nun müßte sie eigentlich ein bißchen die Verlegene spielen. Das paßte zu der ganzen Erscheinung, dachte Ral.

Sie hingegen tat ihm diesen Gefallen nicht. Im Gegenteil.

»Ich danke Ihnen. Sie haben schon recht, ich höre so etwas nicht zum erstenmal. Ich muß Ihnen aber zugestehen, daß auch ich sehr erfreut über die Vermittlung Ihrer Person bin. Man weiß ja wirklich nicht, was sich hinter einer Kennung verbirgt. Da kann die zugedachte Belohnung schon zur Strafe werden. Aber ich glaube, bei Ihnen muß man diese Befürchtung nicht haben.«

Diesmal mußte Ral lächeln. Die ist nicht übel, stellte er fest.

»Worauf führen Sie das zurück?«

»Ich bitte Sie. Eine Frau sieht so was auf den ersten Blick. Und bei Ihnen habe ich den Eindruck, daß Sie die blaue Marke nicht gerade selten finden.«

»Ich kann mich nicht beklagen«, antwortete Ral. »Aber das liegt doch wohl an jedem selbst, meinen Sie nicht?«

»Da haben Sie recht. Man tut, was man kann, oder?« entgegnete sie zweideutig.

»Gestatten Sie, daß ich Sie einlade, diesen Abend mit mir zu teilen?

Sie würden mir eine Freude bereiten.« Da erlebe ich wenigstens nicht so eine Pleite wie damals, als ich im Sektor L weilte, dachte Ral. Schließlich möchte man seinen Komfort gerade bei einer so delikaten Angelegenheit nicht missen.

»Aber mit dem größten Vergnügen. Ich nenne zwar ein nettes Appartement mein eigen, bin aber sehr interessiert daran, das Ihre kennenzulernen.«

»Sie werden nicht enttäuscht sein. Leider müssen wir uns verabschieden, sonst reicht die Pause nicht mehr für die Mahlzeit. Ich hoffe, Sie sind mir deswegen nicht böse.«

Sie lächelte wieder ihr wohliges Lächeln, das ihm nun beinahe maskenhaft vorkam, wobei ihr Blick diesmal ihn taxierte. »Wir sind dazu da, schön zu sein, und ein Mann muß stark sein. Wann darf ich bei Ihnen erscheinen?« fragte sie.

»Sagen wir gegen zwanzig Uhr, Sektor T, Wohnungseinheit acht. Ich darf mich von Ihnen verabschieden.«

Ihre Hand ruhte in der seinen, und Ral merkte, wie sie einen leichten, aber deutlichen Druck ausübte, der kaum zu mißverstehen war. »Bis heute abend«, sagte sie und schwebte davon, wobei Ral nicht umhinkonnte, dem Spiel ihrer Hüften zu folgen.

Der Tag verging in gewohnter Routine. Kora hatte mit einem Amokalpha zu tun gehabt und ließ sich ihre überspannte Nervosität deutlich anmerken. Nol stürzte sich wieder in seine Arbeit und schien Kora seltsamerweise fast zu übersehen.

Der Weg zu Rals Wohneinheit war angefüllt mit heimströmenden TC, deren ausdruckslose Gesichter an eine Roboterwelt erinnerten. Ral sah in die Gesichter und versuchte in der Monotonie ihres Ausdrucks Unterschiede zu erkennen. Seit seiner Begegnung mit dieser Fremden wußte er, daß es Augen gab, die die Welt anders sahen, nicht so verklärt und ausdruckslos. Er konnte aber hier nichts Derartiges entdecken. Vielleicht war sie auch so eine arme Außenseiterin wie Kora? Gab es etwa für die TC/B0-174 auch einen Nol? Ral wußte nicht, daß er damit der Wahrheit näher gekommen war, als er erwartet hätte.

In seiner Wohnung wurde er ruhiger und dachte an seine bevorstehende Begegnung mit Bel. Er nahm sich vor, diesmal keine Erotika unter das Abendessen zu mischen, denn er wollte diese Begegnung mit klarem Verstand erleben. Das Einstecken der Kopulationsmarke in den Kontaktschlitz lieferte auf dem TV-Plate ein für diesen Anlaß vorgesehenes Stimulationsprogramm. Eine spärlich gekleidete Ansagerin kündigte die Sendefolge an, die helfen sollte, das bevorstehende Ereignis zu einem lustvollen Erlebnis werden zu lassen.

Ral kannte schon ähnliche Sendungen und sah mit halber Aufmerksamkeit den sich im Geschlechtstaumel wälzenden und gurrende Laute ausstoßenden Gestalten auf dem Plate zu, während er sein Konzentrat, das trotz seines erweiterten Kontaktblocks eintönig wie immer schmeckte, zu sich nahm. Vorbereitungen für den Besuch von Bel brauchte er nicht zu treffen, denn sein Kontaktblock lieferte ihm alles Notwendige. Außerdem, wozu große Vorbereitungen?

Sie wollte was von ihm und er von ihr, und diese Bel würde ohnehin alle Vorbereitungen außer acht lassen.

Ein Blick zur Uhr verriet ihm, daß noch genug Zeit blieb, um sich frisch zu machen und für Atmosphäre zu sorgen. Alles war Routine. Die Hauptbeleuchtung dürfte für solche Zwecke ungeeignet sein. Dafür befanden sich in den Ecken kleine Zierleuchten, die das Zimmer mit anheimelndem Dämmerlicht ausfüllten. Schnell noch einen Cocktail auf den Tisch und die Funktion der automatischen Klappliege überprüft. Alles in Ordnung, Bel konnte kommen.

Als die Türklingel schellte, öffnete er.

»Guten Abend, da bin ich. Habe ich mich verspätet?« Bel trällerte, fixierte ihn und übergab ihm ihre Anweisungsmarke.

»Keineswegs. Bitte treten Sie ein.«

Wieder faszinierte Ral das Wiegen ihrer Hüften und ließ das Verlangen in ihm aufsteigen, sie zu umfassen und an sich zu pressen. Bel ging an ihm vorbei auf die Sitzgarnitur mit dem kleinen Tisch zu, während Ral ihre Marken in den Kopulationsvollzugsmelder steckte.

»Ihre Wohnung ist ganz reizend. Sie hat was von Ihnen und verrät, daß Sie Wert auf Annehmlichkeiten legen. Ich gestehe, da kann ich nicht mithalten. Sie müssen sehr erfolgreich sein. Ich habe Ihnen gleich angesehen, daß das nicht nur für Ihre Tätigkeit gilt. Aber warum sind wir eigentlich so förmlich? Ich gefalle Ihnen, und Sie gefallen mir.«

»So?«

»Habe ich das noch nicht gesagt? Nein? Hast du was zu trinken?

Ach ja, ist dir doch recht, oder? Ich rede heute wieder zuviel, ich weiß, aber du hast mich auch völlig durcheinandergebracht. Ich bin den ganzen Tag nicht zur Ruhe gekommen. Weißt du, daß du auf Frauen wirkst?« Ral setzte sich zu ihr und prostete ihr zu. Er wußte, daß er seinen Partnerinnen gefiel, aber das schien bei Bel nicht der einzige Grund für ihre Nervosität zu sein. Eher stand sie unter dem Einfluß einer gehörigen Dosis Erotika und sprudelte aus diesem Grund über.

»Meinst du?« fragte er beinahe beiläufig. Da war es schon wieder, das leidige Spiel mit den Floskeln, dachte er. Aber Bels Erscheinung wirkte stark genug, um das in ihm aufsteigende Unbehagen zu überdecken.

»Nun sei doch nicht so zurückhaltend. Das weißt du doch ganz genau. Setz dich zu mir, du bist so weit weg.«

Ral rückte zu ihr heran. Ihm wurde heiß, als sein Knie ihren Oberschenkel berührte. Schade, daß sie im Rausch war. Das störte ihn.

»Du hast auf mich sofort einen starken Eindruck gemacht«, ging er auf ihren Frontalangriff ein. »Du hast eine bewundernswerte Figur. Ich konnte kaum die Augen davon lassen.«

Zunächst antwortete ihm ein verlangender Blick ihrer Augen.

»Ich habe gesehen, wie du versucht hast, diese Bewunderung zu verbergen. Es gelang dir nicht sehr gut.«

»Und ich merkte, daß dich das sehr angeregt haben muß.«

Ihr Bein übte auf das seine einen deutlich spürbaren Druck aus.

»O ja, das hat es.« Sie legte ihm ihre Hand auf den Oberschenkel, und Ral fühlte, wie ihre Finger vor Erregung zitterten. Er schob seinen Arm hinter ihren Rücken und spürte, daß seine gespielte Selbstkontrolle nicht mehr lange funktionieren würde. Sein Blick fiel auf den Reißverschluß ihrer Kombination. Bel bemerkte dies.

»Ich kann es kaum erwarten, dich zu spüren«, sagte er und zog sie an sich.

Sie küßte ihn heftig, dann lehnte sie sich zurück. Langsam öffnete er ihren Reißverschluß, und der Druck ihrer Brüste ließ die Kombinationsteile auseinanderklaffen. Das Knacken des Reißverschlusses wurde nur unterbrochen von Bels schwerem Atem.

Während seine Finger tiefer glitten, spürte er, wie Bels Hand seinen Oberschenkel emporwanderte. Seine Hände fuhren in den Ausschnitt ihres Anzugs. Wild gab er sich den Liebkosungen ihrer Brüste hin. Auch Bel hatte inzwischen Rals Kombination mit einem Ruck geöffnet. Sie brauchte ihre Lust nicht wie Ral durch Geduld zu steigern. Erregt fanden ihre Hände, was sie suchten.

Er kam nicht mehr dazu, seine Klappliege zu betätigen. Hart drang er in die unter ihm liegende Bel ein, der ein Schrei der Lust entfuhr. In wilder Ekstase wanden sich beide auf dem Fußboden.

Ral wurde es schwer, ehe er Bel in ihrem immer wiederkehrenden Verlangen zufriedengestellt hatte. Deutlich spürte er den Egoismus in ihrer Sucht nach Befriedigung. Beim Ankleiden trat sie an ihn heran, drückte ihm einen kalten Kuß auf die Wange und hauchte: »Du warst wunderbar.«

»Ich weiß«, sagte Ral mit einer Kälte, die ihn nach alldem erschreckte, doch seine Gedanken waren schon nicht mehr bei ihr.

3

Dana hatte es am nächsten Tag so eingerichtet, daß sie früher als sonst zu ihrem Arbeitssektor ging. Ihr waren die Blicke dieses Mannes nicht entgangen, und Unsicherheit befiel sie bei dem Gedanken daran. Kein TC interessierte sich sonst so auffällig für einen anderen TC. Diese Aufmerksamkeit mußte Gründe haben, aber welche?

Als einfachste Erklärung erschien ihr noch, daß dieses Interesse sexueller Natur war und sie ihm als Frau gefiel. Sie war hübsch, wenn auch nicht gerade das, was man »sexy« nannte, und konnte einem Mann durchaus gefallen. Aber nein, das war ja ausgeschlossen; TC gefielen und begehrten sich nur, wenn es ihnen die Administration erlaubte und die optimalen Partner bestimmte. Illegale intime Kontakte waren verpönt und wurden mit mitleidigem Kopfschütteln belächelt.

Ach, diese Armen. Sie wußten doch gar nicht, worüber sie sich lustig machten. Viel würden die Freunde da noch zu tun haben. Sie kannte zwar Beispiele für Interesse am anderen, ja sogar Liebe und Aufopferung, aber das waren alles Freunde und keine Durchschnitts-TC. Und der Fremde war kein Freund, das wußte sie, denn leider war die Zahl der Freunde noch sehr leicht überschaubar.

Sollte es sich bei dem Fremden um einen TC handeln, der als Einzelgänger wieder menschliche Eigenschaften und Regungen entwickelt hatte? Das war möglich, aber Dana wollte nicht daran glauben.

Sie versuchte sich die Begegnung mit dem Fremden wieder ins Gedächtnis zu rufen und vergegenwärtigte sich die Gestalt dieses Mannes. Er sah nicht schlecht aus, war groß und kräftig gebaut, seine dunkelbraunen Augen hatten sie mit Blicken geradezu durchbohrt. Darunter lagen etwas vorstehende Backenknochen und schmale Lippen. Früher hätte man ihn als ausgesprochenen Frauentyp bezeichnet, dachte Dana aber heute galt das alles dank der »Segnungen« des Great Calculator und der Administration nichts mehr.

Aus der Erinnerung heraus versuchte sie aus dem Aussehen des Fremden auf seinen Charakter zu schließen, aber es wollte ihr nicht gelingen. Sein Mund verriet tiefen Ernst, jedoch seine Blicke hatten einen Anflug von Arroganz und Egoismus, so daß die Erscheinung widersprüchlich blieb.

In letzter Zeit hatte sie an sich selbst festgestellt, daß sie allem, was ihr begegnete, nur Mißtrauen entgegenbrachte. Über allem schwebte eine dumpfe Angst. Sie wußte, es war nicht einfach und in gewissem Maße sogar riskant, anders als die anderen, eben eine Freundin, zu sein. Aber galt dies nicht auch für die anderen Freunde? Vielleicht fürchtete sie sich nicht allein, und den anderen ging es genauso? Es konnte natürlich auch etwas anderes eingetreten sein, und das wäre genauso beunruhigend!

Ihre Arbeit machte sie, so gut es eben ging, konnte sie aber nicht mit ihrer Existenz als Freundin in Einklang bringen. Dazu kam noch diese innere Unruhe, die manchmal die einfachsten Handgriffe mißlingen ließ. Dann wieder schweiften ihre Gedanken ab, und sie begann zu träumen. Wenn nun alle TC so wären wie sie?

Das beste wäre, wenn sie sich mal mit And unterhielte. Er war der Älteste und wußte viel. Aus seinem Mund hatte sie auch ein Wort aus der Vorzeit gehört, das ihr Leben charakterisieren sollte – Illegalität.

Dieses Wort hatte einen eigenartigen Klang und schien all seine Bedeutungen offenbaren zu wollen: Kampf, Zusammenhalt, Liebe, Vertrauen, Siegesgewißheit, aber auch Angst, Gewalt, Brutalität und Liquidierung.

Da war es, dieses Wort, das sie seit der Erkenntnis ihres Seim und seit dem Wissen um ihre Mission fürchtete. Welcher TC fürchtete die Liquidierung denn nicht? Die Angst davor bestimmte doch ihre gesamte Existenz, war Motor ihrer Arbeit und Grund für Gleichgültigkeit und Blindheit. Sie konnte nicht verdrängt werden, solange die TC effektiv waren. Und wenn nicht mehr? Was war dann?

Einmal hatte sie eine Liquidierung mit ansehen müssen. Es traf einen älteren TC, der nicht mehr in der Lage war, sein Tagessoll zu bringen. Immer tiefer sank sein Punktekonto, bis es ins Manko umschlug. Er erhielt Mahnungen, Rügen, flehte andere um Hilfe an, als er merkte, daß er sich nicht mehr allein herausarbeiten konnte. Keiner half ihm, denn alle hatten die gleiche Angst wie er und lebten nur für das Ziel, ihr Punktekonto so groß wie möglich werden zu lassen, um allen Eventualitäten vorzubeugen.

Heute wußte sie, wie sinnlos diese Anstrengungen waren. Das System der Kontrolle und der Strafen gestattete keine großen Punktepolster.

Acht Jahre war das her. Damals war sie erst zwanzig Jahre alt gewesen und kannte noch keine Probleme. Ihr Leben war Dienen und Erfolg haben. Doch dann kam dieser Tag, den sie nicht vergessen konnte und auch nicht vergessen wollte, denn er gab ihr die Kraft, zu helfen und eine Freundin zu werden, eine Freundin, die die anderen als Sonderling belächelten.

Vor ihren Augen hatten die LSC, die Law Special Clons, den TC liquidiert. Sie machten sich nicht einmal die Mühe, ihn hinauszuschaffen, denn jeder sollte sehen, was verminderte Leistungsfähigkeit bedeuten konnte.

Ohnmächtig wimmernd hatte der TC am Boden gelegen und seine angstgeweiteten Augen auf die Stäbe der LSC gerichtet, die Hände abwehrend von sich gestreckt.

Als ihn die LSC mit den Stäben berührten, zuckte sein Körper unter dem Elektroschock zusammen und erschlaffte dann. Sie hatte sich abwenden müssen und dabei die Gesichter der anderen gesehen. Alle hatten Angst, und trotzdem sah man ihnen an, wie wenig sie das Ganze berührte. Es passierte ja einem anderen. Nicht einmal Bedauern konnten diese Gestalten ausdrücken. Damals haßte sie alle.

Heute wußte sie, daß man ihnen helfen mußte, obwohl sie selbst keinem halfen, auch ihr nicht.

Dana hatte Schwierigkeiten. Ihre Lage war zwar noch nicht bedrohlich, aber auch nicht beruhigend. In letzter Zeit häuften sich bei ihr die Punktabzüge, und sie konnte machen, was sie wollte, es gelang ihr nicht, die immer wieder eintretenden Rückschläge zu vermeiden. Sie kannte jedoch genau den Grund für diese Rückschläge. lm Grunde genommen war es ja ihre Schuld, wenn sie sich gegen gewisse Ordnungsprinzipien der Administration stemmte. Eine Bestrafung war zwar noch nicht erfolgt, aber diese Rückschläge waren Strafe genug. Die Freunde wußten davon und mischten sich nicht in ihre Handlungen ein, hatten ihr jedoch geraten aufzupassen.

Es konnte nicht anders sein, sie war der Administration als ein Querulant, der noch als ungefährlich eingestuft wurde, aufgefallen. Das wurde ihr immer klarer. Wie weit die Aufmerksamkeit der Administration ging, wußte sie nicht. Galt sie wirklich noch als ungefährlich für das System? In letzter Zeit waren Gerüchte aufgekommen. Neben den bekannten LSC-Streifen, in ihrer schwarzglänzenden Uniform mit den metallisch schimmernden Helmen, deren dunkle Visiere keinen Blick ins Innere gestatteten, sollten getarnte LSC unter den TC leben, die unauffällig das allgemeine Klima analysierten und ein besonderes Augenmerk auf Renitente legten. Ob etwas an diesem Gerücht stimmte, wußte keiner. Vielleicht hatte es die Administration selbst in Umlauf gebracht. Eine ihrer Methoden, die Arbeitseffektivität noch mehr zu erhöhen und die Stille in den Arbeitsbereichen unerträglich werden zu lassen.

Doch das wußten nur die Freunde. Die anderen verharrten in tiefer Ergebenheit in ihr Dasein zum Wohl der Alphas. War etwa dieser Fremde ein solcher getarnter LSC, dem sie aufgefallen war, weil sie Ordnungsschemen brach?

An diese Möglichkeit wollte sie eher glauben als an die andere, menschlichere, denn so etwas paßte in diese Roboterwelt. Warum war er dann aber im Sektor T eingesetzt und nicht wie sie im Sektor B? Das wäre doch viel einfacher, fiele weniger auf. So mußte sich doch der Spitzel, wenn er einer war, in fremde Sektoren begeben, um sie zu beobachten, und das konnte den LSC auffallen, die darauf achteten, daß keine nicht angewiesenen Kontakte unter den TC erfolgten. Lauter Widersprüche, mit denen Dana nicht fertig wurde. Wie lange sie ihren jetzt eingeschlagenen Weg würde fortsetzen können, wußte sie nicht, aber über diese Widersprüche mußte sie sich Klarheit verschaffen. Das war die einzige Möglichkeit, ihre Situation zu überblicken.

4

Er erwachte. Rings um ihn war zunächst noch das Dunkel, dessen er sich auch nicht mit stärkster Willensanstrengung erwehren konnte, das ihn einhüllte, zu verschlingen drohte.

Sein Verstand begann zu arbeiten und hatte zunächst nur ein Ziel – zu erkennen. Die Augen geschlossen, spürte er einen dumpfen Druck im Kopf und bemerkte, daß diesen irgend etwas einhüllte. Reste von Gedanken erwachten, die von ihm stammten, aber doch fremdartig waren.

Was war, ist gewesen und kehrt niemals wieder. Dieser Satz versuchte immer wieder von seinem erwachenden Bewußtsein Besitz zu ergreifen. Aber da war auch noch etwas anderes. Was nur?

Wenn doch nicht dieser Druck im Kopf wäre, der durch den Willen, sich zu erinnern, nur noch verstärkt wurde. Wo war er überhaupt?

Was war mit ihm geschehen? Plötzlich kam ihm ein Name in den Sinn: Mona!Seine Mona! Schlagartig war sein Gedächtnis wieder da. Zwar wußte er nicht, wo er sich befand, aber er konnte sich erinnern, was gewesen war, bevor diese Dunkelheit kam.

Er hatte Mona gesucht. Mona, die zu den Magistern gegangen war, um bei ihnen die göttliche Weihe zu erhalten. Er wollte sie wiederhaben und hatte Gebote übertreten, Anstandsregeln verletzt. Deutlich sah er jetzt wieder die mitleidigen und dummen Gesichter der anderen, die seiner Ausweisung aus dem Bereich der Alphas beiwohnten.

Deutlich spürte er jetzt den Helm, der seinen Kopf umschloß, und wußte nun, wo er war: im College, das er noch von seinen Alphaprägungen her kannte. Das hier war aber keine Prägung, wie er immer angenommen hatte. Seine Abschlußprägung hatte er längst hinter sich. Es konnte sich also kaum um einen der üblichen Collegeaufenthalte handeln. Irgendwie wurde sein Erinnerungsvermögen wieder getrübt, und neue Gedanken tauchten auf. Da war sein Arbeitssektor, stumm arbeitende SC, die er anleitete, Ergebenheit der Administration gegenüber, Leben im Dienste der Alphas.

Der Druck in seinem Kopf verstärkte sich wieder. Wenn doch dieser Helm nicht wäre! Er hörte Geräusche und Stimmen. Neben ihm klirrten Instrumente oder Werkzeuge. Dann merkte er, wie an seinem Helm gearbeitet wurde und schließlich ein Lichtschimmer in das Dunkel fiel.

Als sein Kopf frei lag, waren um ihn zunächst gleißende Helle und strahlendes Weiß. Krampfhaft schloß er sofort die Augen, um dieser Helle, die sich in sein Gehirn bohrte, zu entgehen. Den Kopf zur Seite gewandt, blinzelte er und erkannte Einzelheiten seiner Umgebung. Er lag auf einer Trage. Im Hintergrund sah er an einer Wand viele Fächer, in denen Kassetten steckten. Ja, er war im College, das wußte er nun ganz genau.

Über sein Gesicht beugte sich eine Gestalt und nahm viel von der allgemeinen Helle, so daß er die Augen wieder ganz öffnen konnte und über sich das Gesicht einer Frau sah. Etwas abseits konnte er noch einen Mann erkennen, der interessiert zu ihm schaute und sich immer wieder umwandte. Hatte er Angst? Er sah der Frau ins Gesicht. Sie war nicht mehr ganz jung, mußte so Mitte Dreißig sein und hatte warme dunkelbraune Augen, die aus einem Gesicht blickten, das zur Wärme ihrer Augen paßte und lebhaftes Interesse ausdrückte. Dann sah er ihren kahlen Schädel und wußte sofort, daß sie nur eine TC war.

»Wie geht es Ihnen, Kerk?« fragte ihn eine weiche Stimme.

Unschlüssig blickte er um sich. Kerk hatte sie ihn genannt. Ja, sein Name war Kerk, Kerk Ashfield, und er war ein Alpha. »Es geht mir gut – einigermaßen gut wenigstens. Ich habe Kopfschmerzen. Alles geht in meinem Kopf durcheinander. Ich weiß gar nicht mehr, was eigentlich los ist. Wo bin ich? Was ist passiert?«

Kerks Stimme klang erregt und erheischte Antwort. Das Gesicht über ihm begann plötzlich zu strahlen. Die Lippen traten auseinander, und ein befreites Lächeln ließ gleichmäßige Zähne sehen.

Sie drehte sich zu dem andern Mann im Hintergrund. »Nol, es ist geglückt!« sagte sie. »Endlich geglückt, Nol. Ich freu mich ja so. Du auch?«

Der andere trat näher an die Trage heran, blickte ihm ins Gesicht, als versuche er irgend etwas darin zu lesen. »Warte ab, Kora«, sagte er.

Diese Kora schien ganz aus dem Häuschen zu sein. Der andere wirkte ruhiger. »Wer sind Sie?« fragte Nol.

»Seltsame Frage. Das müßten Sie doch am besten wissen!« antwortete Kerk.

»Ich weiß es. Stimmt, aber ich möchte es trotzdem gern von Ihnen hören.«

Kerk war erstaunt über die Art, wie dieser Nol fragte. »Ich weiß, daß ich im College bin. Ich weiß aber nicht, warum und was mit mir gemacht wurde, wie ich überhaupt auf diese Trage gekommen bin. Haben Sie mich angeschnallt? Wer gibt Ihnen als TC überhaupt das Recht, mir Fragen zu stellen? Mir, einem Alpha. Aber meinetwegen. Also ich bin Alpha Kerk Ashfield. Zufrieden?«

»Ja, zufrieden«, antwortete der, der Nol genannt wurde, gedehnt und nicht gerade überzeugend. Dann wandte er sich Kora zu. »Du hast recht, es ist gelungen.«

Kora blickte Nol erstaunt und fragend an. »Was hast du? Freust du dich nicht, daß es uns endlich gelungen ist? So lange haben wir gewartet, einem echten Alpha gegenüberzustehen, der trotzdem kein Alpha mehr ist, sondern zu uns gehört. So lange, Nol. Und immer die Angst, entdeckt zu werden. Und jetzt ist es soweit.«

»Du weißt, daß ich deinen Optimismus nie ganz geteilt habe. Immer versuchte ich dir klarzumachen, in welche Gefahr du dich mit deinen Versuchen begibst und wie zweifelhaft der wirkliche Erfolg sein könnte. Du hast mich immer ausgelacht und einen Pessimisten genannt. Ich weiß, daß du denkst, ich sei ein Feigling ... «

»Nol, bitte ... «

»Laß nur. Es stimmt ja. Ich habe Angst. Bei allem, was du tust, was ihr unternehmt, habe ich Angst, auch Angst um dich, Kora. Du weißt, daß ich nicht ganz so wie du davon überzeugt bin, daß es richtig ist, gegen die Ordnungsprinzipien und sogar gegen das Grundgesetz zu verstoßen, wie es in diesem Fall geschehen ist. Bist du überzeugt, daß ihr richtig handelt? Du weißt doch, ich achte die Alphas. Sie bewahren uns das Leben. Wir können das nicht.

Wir wurden geschaffen, um ihnen zu dienen. Wollt ihr das Leben zerstören?«

»Nein, Nol, das wollen wir nicht. Aber wir wollen das Leben und vor allem unser Leben ändern, indem wir anderen helfen – gewaltlos.«

»Gewaltlos?«

»Ja, warum fragst du?«

»Weil du diesem Alpha hier Gewalt angetan hast. Indem du ihm seine Vergangenheit gelassen hast, nahmst du ihm seine Zukunft.«

»Was für eine Zukunft ist das?« fragte Kora erregt.

»Die einzige Zukunft, die ihm als Amokalpha bleibt. Er war unfähig, unter den Lebensträgern zu leben, und gefährdete ihren Bestand. Also müssen wir ihm helfen, ihnen wenigstens dienen zu können, damit das Leben erhalten bleibt. Meinst du, er vermag das?«

»Ich werde es sehen und hoffe, er kann beides: TC sein und uns als Alpha helfen. Dann wird auch er eine Zukunft haben.«

»Hoffentlich behältst du recht, Kora. Sonst hast du ihn vernichtet. Weißt du das? Du hast sonst seiner Liquidierung vorgegriffen.«

»Ich weiß. Das ist mein Risiko, das ich eingehen mußte. Es ist in meinen Augen der einzige Weg, vorwärtszukommen, unser Wissen um unsere kleine Welt wesentlich zu erweitern. Und Wissen ist Macht, sagt And immer.«

»Ihr und euer And.« Nol schüttelte den Kopf.

»And weiß viel. Er ist unser ältester Freund und besitzt durch Generationen übermitteltes Wissen aus der Vorzeit, als noch alles anders gewesen sein soll.«

»Du irrst dich, Kora, du irrst dich«, antwortete Nol.

»Hab keine Angst, ich frage dich nicht danach.«

»Wonach?« fragte Nol.

»Du weißt schon. Damals, als ich dich bat, einem Magisterprogramm zu lauschen. Ich hatte alles bestens vorbereitet.«

»Das war und ist verboten.« Es schien, als kämpfe Nol mit sich selbst. »Trotzdem gab ich nach. Warum läßt du mich nicht in Ruhe? Ich sagte dir doch damals, daß es nicht gelungen ist, daß die Parallelschaltung mißglückt sein muß.«

»Ich sagte, daß ich nicht mehr frage. Du willst mir nicht sagen, was das Programm beinhaltete, und mußt dafür deine Gründe haben.«

»Kora, glaube mir ... «

»Schon gut, Nol, schon gut. Jedenfalls haben wir nun über diesen Umweg die Möglichkeit, das damals Versäumte oder Mißlungene nachzuholen.«

Kerk hatte dem Wortwechsel mit wachsendem Interesse zugehört und begriffen, daß es um ihn ging. Wie sagte diese Kora: ein echter Alpha und trotzdem kein Alpha mehr? »Was ist hier eigentlich los?« unterbrach er die beiden. »Ich möchte endlich wissen, was mit mir passiert ist. Und schnallen Sie mich endlich los. Undenkbar, ein Alpha angeschnallt. Entwürdigend.«

»Bemerkst du, daß es doch nicht so glatt gegangen sein kann?« fragte Nol, zu Kora gewandt. »Sein Wissen um seine Vergangenheit läßt seine Gegenwart ins Unterbewußtsein treten und alles Neue vergessen oder verdrängen.«

»Es sieht fast so aus, als ob du recht hättest.« Sie wandte sich an Kerk. »Das Anschnallen geschah nur zu Ihrem Schutz, Kerk. Sie sollten vor unbewußten Reaktionen während Ihres Hypnoseschlafs bewahrt werden. Einen Moment, ich werde Sie befreien.«

Nol fiel ihr in die Arme, um sie daran zu hindern. »Warte noch, Kora. Er kennt noch nicht seine neue Identität. Du weißt nicht, wie er sich verhält, wenn er versteht, was er ist.«

Kerk brauste auf. »Das hat es noch nicht gegeben. Niemand glaubt mir das, wenn ich das erzähle! Schluß jetzt mit dem Gerede! Ich verlange, nun endlich aufgeklärt zu werden. Und sagen Sie bitte Ihrer Kollegin, dieser Kora, daß man einen Alpha mit Ihr oder Euch anredet und daß mein Name nicht Kerk, sondern für Sie immer noch Alpha Kerk Ashfield ist.«

Kora blickte ihn mitleidig an. »Ja, Sie sollen aufgeklärt werden. Zunächst einmal muß ich Ihnen sagen, daß es Alpha Kerk Ashfield nicht mehr gibt.«

Kerk schaute sie verständnislos an. »Was soll das heißen? Sie sehen mich doch, oder?«

»Beruhigen Sie sich bitte!« sagte Kora. »Ja, ich sehe Sie, aber formell existieren Sie nur noch als Körper. Ihre Identität wurde gelöscht. Sie sind damit kein Alpha mehr.«

Kerk blickte sie beunruhigt an. »Was bin ich dann?«

»Bevor ich es Ihnen sage, sollen Sie sich selbst überzeugen. Bitte schauen Sie.« Kora hielt ihm einen Spiegel vors Gesicht.

Kerk erblickte seine vertrauten Züge. Plötzlich weiteten sich seine Augen als Ausdruck des Verstehens. »Meine Haare, was ist mit meinen Haaren? Ich sehe ja aus wie ein TC! Bin ich etwa ... ?«

»Ja, Sie sind Kerk, TC/Ll -066 im Dienst der Alphas, der Bewahrer des Lebens. Das einzige, was Sie nun von uns unterscheidet, ist die Eins in Ihrer Kennzahl, die Sie als rehabilitierten Amokalpha ausweist, während die aus der Clonserie stammenden TC eine Null an dieser Stelle tragen. Das ist aber auch der einzige Unterschied. Ansonsten sind Sie ein gleichberechtigtes Glied der Hierarchie Eden Citys, Ebene vier, Wohn- und Arbeitssektor L. Sie erhalten eine Wohneinheit in Ihrem Sektor und einen Arbeitsbereich. Sie haben keine Not zu leiden. Die Hierarchie garantiert allen gemäß ihrer Ebene eine standesgemäße Existenz. Ihren Lebensstandard bestimmt Ihre Effektivität. Aber das wissen Sie ja.

Grundlage Ihres jetzigen Lebens ist das Grundgesetz Eden Citys: ›Alles dient der Erhaltung und dem Schutz der Alphas, denn sie sind Träger des Lebens. Die Magister haben ihr Leben der Fürsorge der Alphas geweiht und tragen als Bewahrer des Wissens und Diener des Lichts die Bürde der Verantwortung. Deshalb sind sie unantastbar. Die Wahrheit prägt ihr Handeln, und ihr Handeln ist Wahrheit. Jeder Verstoß gegen dieses Gesetz hat die Löschung der Identität zur Folge, um eine Schädigung unserer freiheitlichen Gemeinschaft zu verhindern.‹ Für uns TC bedeutet Löschung der Identität – Liquidierung.«

Die letzten Sätze hatte sie eindringlich und traurig zugleich ausgesprochen, während das andere wie schon oft hergeleiert klang.

Kerk hatte ihr aufmerksam gelauscht, und er hatte verstanden. Die Lücke seines Wissens war wieder geschlossen. Nun war wieder alles klar.

Sie hatten ihn daran gehindert, seine Mona zu finden. Sie, das waren die Magister in ihrer scheinheiligen Glorie. Das hatte er allen gesagt. Keiner wollte ihm glauben, und alle hatten ihn nur scheu und verständnislos angesehen, bis sie ihn wie einen Aussätzigen mieden. Sein Unmut machte sich letztlich in Zerstörungswut Luft, und damit gab er der Administration die Möglichkeit in die Hand, ihn wie einen Amokalpha zu behandeln und ihre LSC zu schicken, die ihn aus seiner Welt auswiesen. Er sei einer Existenz als Alpha nicht mehr würdig, sagten sie, weil er sich und andere gefährde.

Mona war zu ihrer Mätresse geworden und damit für ihn verloren.

Er hatte es gewagt, nicht an die göttliche Weihe zu glauben und die Magister niedriger Absichten zu bezichtigen.

Sie hatten seine Identität gelöscht und ihn damit gezwungen, ein Leben außerhalb der Alphawelt zu führen. Lange harrte er vor dem Eingang zu seinem verlorenen Paradies aus, sprach alte Bekannte an. Keiner beachtete ihn. Er kannte das von ähnlichen Begebenheiten her. Hatte er nicht damals ebenso wie sie jetzt reagiert?

Schließlich flehte er die Alphas an, ihn wieder aufzunehmen, obwohl er wußte, daß eine Löschung nicht wieder rückgängig gemacht werden konnte. Vor ihre Füße hatte er sich geworfen und ihre Beine umklammert, um sie daran zu hindern, achtlos an ihm vorbeizugehen. Der einzige Erfolg war, daß sie eine LSC-Streife holten, die ihn beiseite räumte. Diese ferngesteuerten Idioten hatten ihn mit ihren Stäben gepeinigt, mit Elektroschocks gequält, ihn, Alpha Kerk Ashfield.

Dann kamen der Hunger und der Durst. Alles, was früher für ihn selbstverständlich war, wurde nun unerreichbar. Seine Identität war gelöscht, und seine Handlinien öffneten keinen Spalt zum Paradies, sooft er sie auch auf eine Leseplatte am Eingang legte.

Immer unerträglicher wurde der Durst, und Kerk hatte Angst. Er wußte, daß er nicht mehr lange ausharren konnte, da er Entbehrungen dieser Art nicht gewohnt war. Selbst die Einrichtungen der TC blieben für ihn verschlossen, da er keine Kennmarke besaß.

Es gab nur zwei Möglichkeiten: entweder Neuregistrierung oder den Weg zu den SC. Das eine erschien ihm so grauenvoll wie das andere. Offiziell wußte keiner von dieser Alternative, aber bekannt war sie trotzdem. Die SC waren willenlose Spezialclons der fünften Ebene und führten ein Dasein wie Tiere. Ging er zu ihnen, konnte er zwar satt, aber selbst bald zum Tier werden. Für einen Alpha, ein bis gestern noch geradezu göttliches Wesen, das ein Schmetterlingsdasein führte, gebettet auf Blüten und Nektar trinkend, mußte allein diese Vorstellung die Hölle bedeuten.

Ließ er sich neu registrieren, würde er ein TC, ein Diener der Alphas, der, zwar eingeengt in Effektivitätsstreß, ein relativ angenehmes Leben im Vergleich zu den SC führte. Er bekäme seine Kennmarke, verlöre aber gleichzeitig seine Erinnerungen an sein Alphadasein, seine Erinnerungen an Mona. Jeder Alpha, der zum TC wurde, büßte sein Gedächtnis ein, seine Vergangenheit, wurde als Alpha gelöscht, um als vollwertiger TC zu erwachen – das wußte er. Die Magister sprachen dann von einer neuen Existenz in einem anderen Leben, das der Gemeinschaft dienen sollte und in dem sich die Betroffenen bewähren müßten. Sie stellten ihnen die Löschung als ein Weiterleben nach dem Tode für die Alphas dar. So etwas sollte es in der Vorzeit auch gegeben haben, und die Menschen hätten ihre Gebete dafür in kunstvollen Tempeln verrichtet.

Kerk wußte nicht, wie viele sich mit dieser Erklärung zufriedengaben.

Wahrscheinlich kümmerten sie sich nicht darum, solange es sie nicht betraf. Er hielt nichts davon. Für ihn war es eine Lüge neben vielen anderen. Die Löschung der Identität erschien ihm mehr als nur das Erwachen in einem anderen Leben.

Diese Vorstellung erschien ihm noch grausamer als der Weg zu den SC. Lange schwankte er, das eine oder das andere zu tun. Der Hunger zwang ihn zur Entscheidung. Unsägliche Schmerzen peinigten seinen Leib. Schon die dritte Nacht verbrachte er, der gewohnt war, daunenweich eingehüllt zu schlafen, hungernd zusammengekrümmt auf dem Fußboden. Schrecklicher Durst quälte ihn. Kerk wollte so liegenbleiben, aber sein Selbsterhaltungstrieb war stärker. Der Weg zu den SC erschien ihm plötzlich eher begehbar als die Neoregistrierung.

Im Lift ging es hinab, vorbei an den Wohn- und Arbeitssektoren der TC, zum Sektor der SC. Das Abwärtsgleiten des Liftes schien kein Ende zu nehmen. Schließlich langte er an.

Ihn würgte nicht nur das Gefühl der Entwürdigung, sondern auch maßloses Erschrecken. Diese Welt war stumm. Zwar gab es Geräusche, aber die rührten von Bewegungen, nicht von Stimmen her, denn Stimmen oder eine Sprache besaßen die SC nicht. Ihr Leben bedeutete arbeiten und bedienen, gehorchen und blind Anordnungen ausführen. Eine Sprache war da unnötig. Fast instinktgemäß befolgten sie ihr einmal eingegebenes Arbeitsschema. Die Gabe des selbständigen Denkens war ihnen genommen worden. Was sie brauchten, waren Muskeln oder angepaßte Atmungsorgane für schwere Schachtarbeiten bei der Erweiterung Eden Citys oder das ewige unterwürfige Lächeln der Diener oder die Friedfertigkeit derer, die den Kindern der Alphas als Spielzeug dienten und oftmals gequält wurden. Sie unterhielten keine Beziehungen untereinander. Es gab nicht einmal Sexualität, denn sie waren Neutren. Für sie waren Geschlechtsorgane unnötig. Sie existierten als Sklaven mit festem Lebensschema.

Kerk sah in ausdruckslose Gesichter, die mechanisch ihre Umgebung registrierten. An Schönheit gewöhnt, wurde er hier gequält mit dem Anblick der Häßlichkeit. Ihm begegneten Monsterwesen mit rüsselartig verlängerten Nasen, von Narben durchzogen, kräftige, sehnige Wesen, Spielzeuge, die Blutergüsse aufwiesen.

Alles lief in engen Gängen scheinbar ziellos durcheinander. Die spärliche Beleuchtung verstärkte das Gespenstische an dieser Szenerie voll stummer Wesen, die wie Insekten lebten und handelten.

Kerk erkannte nach längerer Beobachtung ein Ziel im Gedränge und mischte sich unter die SC. Keiner beachtete ihn, der doch so anders war als sie, denn sie waren unfähig, diesen Unterschied zu bemerken. Anfangs erschauerte er, wenn er von einem vorbeidrängenden SC berührt wurde, doch der Hunger half ihm, den Ekel zu überwinden.

Allmählich ahnte er das Ziel der drängenden Menge. Am Ende ihres Weges mußte die Nahrungsaufnahme stattfinden, denn es roch immer stärker nach Essen. Der Druck in Kerks Magen verstärkte sich und ließ ihn vorwärtsstreben. Schließlich drängte und schob er mit den anderen, bis er im Speisesaal stand. Hier also wurden die SC beköstigt oder, besser ausgedrückt, gefüttert.

Angewidert blickte Kerk um sich. Der Saal war unterteilt in mehrere Abteilungen, die durch Säulen voneinander abgegrenzt wurden. Vor den Wänden standen Sitzbänke, auf denen, wo man hinblickte, SC saßen und einen Schlauch im Mund hatten, der aus der Wand kam. Neben jedem Schlauch brannte eine rote Kontrolllampe neben einem Schalter. An Kerk, der wie angewurzelt das Geschehen um sich herum beobachtete, drängten SC vorbei. Immer mehr von ihnen schoben sich an die Bänke und versuchten, die vor ihnen Dagewesenen beiseite zu schieben. Diese wollten sich meist nicht von ihren Schläuchen trennen. Entweder wartete der Neuankömmling, bis der vor ihm Sitzende gesättigt den Platz freigab, oder es kam zu einer Balgerei, in deren Verlauf der Schwächere verdrängt wurde. Der Nahrungsbrei strömte dabei weiter aus dem Schlauch und besudelte die miteinander Ringenden und die Sitzbank. Der Sieger kümmerte sich nicht darum. Er wollte seinen Hunger stillen, hatte keinen Sinn für Nebensächlichkeiten und setzte sich auf die über und über besudelte Bank. Diese Szene wiederholte sich an allen Plätzen.

Der Essengeruch begann Kerk zu quälen, so daß er sich trotz allen Ekels hinter einem SC wiederfand, der aus einem Schlauch den Nahrungsbrei in sich hineinschluckte. Auch er saß auf einer besudelten Bank. Neben ihm hatte sich ein übereifriger SC den Schlauch zu tief in den Hals gesteckt und erbrach den Mageninhalt an Ort und Stelle zu dem anderen Unrat. Als wäre nichts gewesen, begann er im Anschluß daran erneut Nahrungsbrei in sich hineinzuwürgen. Kerk mußte krampfhaft schlucken. Hätte er etwas im Magen gehabt, er hätte sich übergeben müssen, aber es blieb beim Ekeln.

Der SC vor ihm war satt und ging weg. Kerk stand unentschlossen vor dem leeren Platz. Ein anderer SC drängte vorbei und schaute ihn mit seinen dummen Augen an, dann stopfte er sich sofort den Schlauch in den Mund, drückte auf den Schalter und schlang den Nahrungsbrei gierig hinunter. Kerk wartete auch noch den nächsten SC ab und schaute dessen Nahrungsaufnahme zu. In seinem Innern fochten der Hunger und der Ekel einen schrecklichen Kampf aus. Lange währte der Kampf, obwohl der Hunger als Sieger von Anfang an feststand.

Kerk saß nun auf der Bank, sah auf das Mundstück am Schlauchende, von dem noch der Brei tropfte und das so viele vor ihm im Mund gehabt hatten. Mit einer heftigen Bewegung überwand er seinen Widerwillen, stopfte sich das Mundstück zwischen die Lippen und drückte auf den Schalter. Die rote Kontrollampe leuchtete auf, und sein Mund wurde mit Brei gefüllt. Wollte er sich nicht ebenfalls besudeln, mußte er schlucken.

Der Brei schmeckte nicht gut und nicht schlecht, er schmeckte einfach nach gar nichts. Wahrscheinlich handelte es sich um irgendeine Konzentratbrühe. Aber es machte satt, das merkte er. Der Druck im Magen verschwand, je länger er am Schlauch saugte. Kerk hatte Glück. Er konnte seinen Hunger stillen, ohne daß ihn ein SC verdrängte. Was hätte er gegen einen solchen muskelstarrenden Bergwerkssklaven ausrichten können. Hinter ihm wartete nur geduldig ein Bedienungssklave, bis er an der Reihe war und Kerk Platz machte. Und über allem lag dieses unheimliche Schweigen, nur unterbrochen von Schmatzen und Poltern.

Nun, als ihn der Hunger nicht mehr quälte und auch der Durst verschwunden war, nahm er die Welt um sich wieder klar auf und hätte dabei in Erinnerung an die vorherigen Szenen und den Anblick, der sich ihm bot, das eben zu sich Genommene beinahe wieder von sich gegeben.

Die Menge drängte weiter, und Kerk ging mit. In einem engen Gang strömte plötzlich ununterbrochen Wasser mit ziemlich hohem Druck auf die darunter Gehenden, die auf diese Weise gereinigt wurden. Kerk lief mit, und ihm war nicht einmal unangenehm, daß er völlig durchnäßt wurde, denn er dachte an den Unrat auf den Bänken, dessen Spuren auch an ihm klebten. Hinter dieser

Dusche durchschritten sie ein Warmluftgebläse, das ihn und auch die anderen nur unvollkommen trocknete.

Auf den Trockengang folgte der Schlafsaal. Muffiger Geruch vieler Leiber schlug ihm entgegen. Kerk trat in diesen Raum, der riesige Ausmaße hatte. Wohin man schaute, standen in drei Etagen übereinander Plastpritschen, die zum größten Teil schon belegt waren. Es gab keine Decken, keine Matratzen, nur blanke Pritschen.

Und über allem diese gespenstische Wortlosigkeit. Hier wollte er nicht länger bleiben. Lieber auf dem Fußboden vor dem Eingang zur Alphawelt schlafen als hier unter diesen Monsterwesen, die nur ihren Instinkten folgten. Sein Rückweg wurde zu einer Schlacht. Er hatte jetzt nur noch ein Ziel – raus!

Rücksichtslos arbeitete er gegen den Strom aus Leibern. Wenn er nicht vorwärts kam, schlug er um sich. Die Getroffenen wichen aus, und er hatte wieder einen Meter gewonnen. So durchquerte er die Trocken- und Duschzone und stand wieder im Speisesaal.

Wild gestikulierende Gestalten standen vor den Schläuchen und hantierten an den Schaltern. Aber keine Kontrollampe leuchtete auf. Kerk begriff den Grund für das Gedränge und die Balgereien. Die Speisungszeit war begrenzt, und der Mangel trieb alle an. Wer zu spät kam, ging leer aus und war dafür am nächsten Tag um so rücksichtsloser beim Stillen seines Hungers.

Gesättigt verbrachte er die Nacht wieder auf dem Fußboden. Später zwang er sich so lange wie möglich, seinen Hunger zu bekämpfen, aber dieser war stärker. Also mußte Kerk wieder zu den SC, wieder der gleiche Ekel und die gleiche Szenerie. In den Schlafsaal ging er nicht mehr. Er entdeckte, daß der Speisesaal automatisch gereinigt wurde, als der letzte SC ihn verlassen hatte.