Edles Geblüt - Sabine Gronover - E-Book

Edles Geblüt E-Book

Sabine Gronover

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Beschreibung

Tatort Landgestüt: Tödliche Hengstparade in Warendorf "Ein Mord in Warendorf? Da gibt es doch nur Reitunfälle." Hier irrt sich die Freundin des Polizisten Dirk Kemper ganz gehörig. Balthasar Fromm, ein eher unbekannter Autor, wird nämlich ausgerechnet dort nach seiner Lesung in einem Lokal auf offener Straße erschossen. Zuvor hatte er an der Bar etwas über Schuld und Unglück erzählt und mit einer Waffe die Gäste bedroht. Zwei bewaffnete Männer an einem Abend in einem beschaulichen Ort wie Warendorf - das ruft Kommissar Schmitt auf den Plan, der sich zur Verstärkung den Polizisten Dirk Kemper aus Oelde ins Team holt. Beinahe zeitgleich verschwindet ein wertvoller Zuchthengst aus dem Landgestüt. Zwischen diesen beiden scheinbar unabhängigen Verbrechen in einer der wichtigsten Pferdestädte Europas ist schnell ein Zusammenhang gefunden. Doch dann geraten Schmitt und Kemper mit einem Mal in einen wahren Strudel aus kriminellen Vorfällen, Intrigen und der Suche nach einem mysteriösen Manuskript, das sozusagen das Drehbuch für die Vorfälle gewesen sein soll. Und davon profitiert einer ganz besonders: Der tote Autor.

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Sabine Gronover, geboren 1969 in Hamm-Heessen, studierte Diplom-Pädagogik und Kunsttherapie an der WW Universität Münster und arbeitet als Therapeutin an der LWL-Klinik Münster sowie auf einer Palliativstation und im Hospiz. Sie lebt mit ihrer Familie und einigen Tieren auf dem Land in Mersch-Drensteinfurt.

Edles Geblüt ist der zweite Teil ihrer Münsterland-Krimireihe bei KBV. www.sabinegronover.de

SABINE GRONOVER

EDLES GEBLÜT

© 2020 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheimwww.kbv-verlag.deE-Mail: [email protected]: 0 65 93 - 998 96-0Umschlaggestaltung: Ralf Krampunter Verwendung von © virgonira und© AnnaReinert - stock.adobe.comLektorat: Volker Maria Neumann, KölnDruck: CPI books, Ebner & Spiegel GmbH, UlmPrinted in GermanyPrint-ISBN 978-3-95441-513-7E-Book-ISBN 978-3-95441-525-0

Gewidmet dem traditionsreichen HofSchulze Gronover in Greven,den Ingrid und Dirk in seiner langen Geschichteder Pferdezucht inklusive Reiterbetriebso erfolgreich weiterführen.

Inhalt

1. KAPITEL

2. KAPITEL

3. KAPITEL

4. KAPITEL

5. KAPITEL

6. KAPITEL

7. KAPITEL

8. KAPITEL

9. KAPITEL

10. KAPITEL

11. KAPITEL

12. KAPITEL

13. KAPITEL

1. KAPITEL

Bert wischte über den dunklen Tresen, eine Aufgabe, die ebenso notwendig wie sinnlos war. Schon nach kurzer Zeit klebte die Theke ohnehin wieder von den Getränken, die herübergereicht wurden. Verstohlen sah er auf die Uhr und strich sich eine braun-graue Haarsträhne aus dem markanten Gesicht. Zehn Uhr durch, zwei Stunden würde er hier bestimmt noch stehen. Getränke mixen, Geld kassieren, Schirmchen für die Damen in die Cocktails stecken und darauf achten, dass keiner der Gäste seinen Promillewert nicht mehr im Griff hatte und Ärger machte. So etwas musste er spüren, bevor es passierte. Bert war groß, und seine Arme glichen dem Umfang einer ausgewachsenen Python. Und er wusste sie auch einzusetzen, wenn es nötig wurde. Abgesehen davon liebte er ein friedliches Miteinander und hörte sich bereitwillig die kleinen und großen Probleme seiner trinkenden Kundschaft an.

Dass es Ärger geben würde, ahnte er mit dem Gespür eines erfahrenen Wolfes, als ein neuer Gast die Bar betrat. Er war mittelgroß, und seine blonden Haare mussten dringend nachgeschnitten werden. Seine Kleidung war teuer, aber der Mann trug sie ebenso nachlässig wie seine Haare. Er war schlank, beinahe mager, dabei drahtig. Es waren seine blauen Augen, die Bert Sorge machten. Unstet wanderten seine Blicke hin und her, ohne wirklich etwas oder jemanden anzusehen. Sonst wäre sein Blick länger an der außergewöhnlich hübschen, brünetten Dame am Tisch hinten links hängen geblieben. Die konnte man nicht übersehen. Ihre langen Beine ragten in den Gang hinein, und ihr Lächeln traf unbeschwert jeden, der eintrat. Im Augenblick saß sie alleine dort, denn ihre Freundin war zur Toilette gegangen. Es war Bert klar, dass die beiden Frauen es auf einen unkomplizierten Flirt abgesehen hatten. Doch sie waren wählerisch. Zwei junge Männer hatten sie schon kichernd weggeschickt. Der neue Gast trat nun an den Tresen, setzte sich und starrte auf die Getränke an der Wand. Sein Blick streifte den des Barkeepers, dann murmelte er leise: »Einen Glenmorangie bitte. Ohne Eis. Und ein Glas Leitungswasser.«

Bert nickte, ließ das Wasser lange laufen, damit der Mann frisches, kaltes Wasser bekam, und reichte den Whisky dazu. Eine Schale Erdnüsse schob der Mann wortlos zur Seite. Er sah Bert an, die blauen Augen hatten Wimpern wie von einem Kind, kurz und dicht. »Wie lange machst du das hier schon?« Die Bezeichnung »das hier« wurde mit einem Rundblick über die Theke und das Lokal begleitet.

»Ein paar Jährchen sind es wohl«, gab er zurück.

Die Frage war nicht ungewöhnlich. Bert dachte an die dörfliche Eckkneipe, in der er mit fünfundzwanzig Jahren angefangen hatte. Als jeder jeden kannte und sich zum Austausch in der Schänke sehen ließ, zum Frühschoppen oder weil die Frau gerade zur Kur war. Als die Landwirte zwischendurch ein Bier und einen Korn tranken, während sie Viehfutter kauften oder Medikamente beim Tierarzt besorgten. Natürlich wurde auch geraucht. Und stieg man dann zufrieden in seinen alten Wagen, fragte keiner nach einer Promillezahl. Mehr Unfälle gab es deswegen nicht. Über Fußballergebnisse, Politik oder Fleischpreise wurde geredet. Doch die Eckkneipe hatte schon vor langer Zeit ausgedient. Nun musste man den Gästen mehr bieten als Bier und Korn und eine blauweiß karierte Tischdecke, sowie die Frikadelle zum Feierabendbier. In dem Lokal, in dem Bert nun bereits seit acht Jahren hinter dem Tresen stand, gab es diverse Speisen, Cocktails und Longdrinks, Whiskys und Kaffeespezialitäten. Die Gäste sollten sich wahlweise wie in einem italienischen Café oder einem irischen Pub fühlen. Eine Kneipe mit rein westfälischem Angebot gab es nur noch in den Erzählungen irgendwelcher Schützenbrüder oder Kegelclubs. Und somit bediente Bert nun eine etwas andere Kundschaft. Studenten aus aller Herren Länder, Professoren, Frauengrüppchen und einsame Nachtschwärmer. An den Wochentagen kamen zum Glück auch noch ein paar der alten Stammgäste dazu. Die brauchten weder Schirmchengetränke noch ein vegetarisches Risotto. Ein frisch Gezapftes und einen strammen Max, sowie einen guten Schnack über Politik, Fußball oder das Wetter, so wurde der Feierabend eingeläutet.

Wenig konnte Bert noch überraschen. Doch die nächste Frage seines Gastes traf ihn unvorbereitet: »Warst du schon einmal schuld am Tod eines Menschen?«, fragte er und trank aus seinem Whiskyglas, ohne den Blick zu senken.

»Du meinst, ob sich bei mir schon mal jemand zu Tode getrunken hat?« Bert stemmte die kräftigen Arme auf die Spüle, so als müsste er sich gleich verteidigen.

»Nein, das meine ich nicht. Trinken tut ja jeder freiwillig. Hast du mal jemandem den Tod gewünscht?«

Bert dachte an seinen Lateinlehrer, dem er damals am liebsten die Pest an den Hals gewünscht hätte, und sagte schnell. »Nein, natürlich nicht.«

»Natürlich nicht? Es ist ziemlich natürlich für uns Menschen, dass wir anderen Übles wünschen, wenn sie unseren Weg behindern.« Er schwenkte seinen Whisky und beobachtete die Wellenbewegung.

Bert starrte ebenfalls darauf und suchte nach der Falle in der Frage. Er nahm ein nasses Glas und rieb es trocken, setzte ein harmloses Gesicht auf. »Ich wünsche anderen nichts Böses und wissen Sie auch, warum? Weil ich mit meinem Leben zufrieden bin. Ich kann großzügig sein.«

Der Gast zuckte mit den Schultern und blickte in das Lokal hinein. »Ich bin nicht zufrieden mit meinem Leben, und ich habe das Gefühl, jede einzelne Person in dieser Bar trägt daran eine Mitschuld.« Der Tonfall, in dem er das sagte, hinterließ bei Bert eine Gänsehaut. Er blickte sich in der Bar um. Hoffentlich wollte der ihn nur provozieren und sich wichtigtun, dachte er und nahm sich das nächste Glas vor.

Die Freundin der hübschen Brünetten kam von der Toilette zurück und bestellte zwei neue Cocktails. Sie war ebenfalls recht apart, aber klein und etwas draller. Ihre strahlenden, blauen Augen musterten den Neuankömmling, doch der reagierte nicht. Entweder war der wirklich so sehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt oder kurzsichtig. Bert lächelte der Kleinen zu, steckte zwei Schirmchen in die Getränke und kassierte mit einem Augenzwinkern zwei Euro weniger. Der Barkeeper solidarisierte sich mit seinen anderen Gästen.

»Warum sollen wir schuld sein? Wie haben wir denn aktuell dazu beigetragen, dass dein Leben dir keinen Spaß mehr macht?« Unbeabsichtigt duzte Bert den anderen.

Die junge Frau nahm ihre Gläser und transportierte sie vorsichtig zum Tisch. Die Brünette erhielt gerade einen Anruf und eilte grinsend aus dem Lokal, das Handy am Ohr. Sie kam nur wenige Minuten später wieder herein. Die Freude über den Abend war beiden anzusehen.

Was sollten diese Grazien dem schlaksigen Mann schon angetan haben? Oder die vier Männer, die sich hier regelmäßig trafen und zwei Flaschen Wein tranken? Dazu aßen sie fast immer einen deftigen Burger. Ein Liebespaar, beide mit üppiger Figur, saß versonnen an einem hohen Tisch, sie hielten Händchen und tranken Sekt. Ihren Burger mit Steakhausfritten hatten die beiden zuvor bereits gegessen.

Bert stellte ein weiteres blitzblank geputztes Glas ab. Dabei überlegte er, ob er den Mann vor sich schon einmal gesehen hatte. Gut möglich. Er bewegte sich in dem Lokal so, als wäre er schon mal hier gewesen.

»Ich möchte noch einen, bitte.« Er schob sein Glas von sich weg. Die Frage des Barkeepers ließ er unbeantwortet. Stattdessen holte er einen Zwanziger aus der Hosentasche und schob ihn über den Tresen. »Das passt schon. Ich brauche ihn nicht mehr.« Dann trank er schweigend das Glas leer.

Der spitze Schrei einer Frau sorgte fünf Minuten später für Aufruhr. Das Liebespaar zog gerade seine Jacken an. Die vier Männer hielten sich auch nur noch an einem warmen Rest im Weinglas auf. Bert kochte sich einen Kaffee und erstarrte förmlich, als er die Pistole sah, die sich plötzlich in der Hand des seltsamen Whiskytrinkers befand, der noch immer an der Theke saß. Eben noch hatte er sein Glas geschwenkt, nun hielt er eine Pistole in der Hand. Und er zielte damit auf die hübschen Freundinnen, die ihm am nächsten saßen.

»Hey Mann, mach doch keinen Scheiß.« Zack, schwenkte die Waffe herum und zeigte nun auf den kräftigen Brustkorb des Barkeepers. »Willst du mir die Pistole abnehmen? Du könntest damit Leben retten. Du könntest deines aber auch verlieren. Wie wichtig ist dir das Leben deiner Gäste? Nehmen wir doch die hübsche Brünette.« Und schon drehte der Mann sich wieder um und zielte auf die größere der beiden Freundinnen. »Bist du ein Held, Barkeeper?« Bert hatte sich bislang in nahezu jede Schlägerei eingemischt, die es während seiner Schichten gegeben hatte. Aber eine Pistole ließ einem Mann wenig Spielraum. Und noch weniger Zeit. Das Gesicht des Barkeepers war für einen Moment wie eingefroren.

Dann ging alles blitzschnell. Bert beugte sich über die Theke und haute dem anderen eine Flasche Gin über den Schädel. Die Hand mit der Waffe schnellte nach oben. Ein Schuss löste sich. Der ohrenbetäubende Knall sorgte erst für Stille, dann für ein Raunen und Kreischen. Bert duckte sich schnell. Sein Gast hielt die Waffe noch immer in der Hand, stand aber zusammengekrümmt kurz vor der Theke und hielt sich mit der freien Hand den Kopf. Als er die Hand wegnahm, war sie voller Blut. Im Hintergrund sah man einen der Wein trinkenden Männer ins Handy tippen. Man konnte sich denken, dass er einen Notruf an die Polizei absetzte. Die Brünette wollte offensichtlich auch kein zweites Mal zur Zielscheibe werden und hatte sich in den hintersten Winkel des Raumes zurückgezogen, ihre Freundin an der Hand im Schlepptau. Das mollige Liebespaar stand starr.

Der Mann mit der Pistole lachte plötzlich. Das laute Gelächter, der teure Gin auf dem Schädel des Angreifers, das alles war bizarr genug. Dann wandte sich der Mann zur Tür. Er schritt durch den Eingang, als wäre nichts gewesen. Nur das tropfende Haar, die Flecken auf dem Jackett und die Pistole in der Hand passten nicht zu der zur Schau gestellten Lässigkeit. Er verließ das Lokal, und wenige Sekunden später war wieder ein Schuss zu hören. Die Tür fiel mit einem Klicken in den Türrahmen zurück.

2. KAPITEL

Es war halb eins in der Nacht von Freitag auf Samstag, als Kommissar Schmitt einen Anruf erhielt, der dafür sorgte, dass er für die nächsten zwei Wochen in die Abgründe der Warendorfer Gesellschaft eintauchte. Hätte er geahnt, was er als verwitweter Kommissar Mitte fünfzig alles zu bewältigen haben würde, er wäre vorher in den Urlaub gefahren und hätte endlich die schon lange geplante Reise mit den Hurtigruten gebucht.

Mit geschwollenen Augen und leichten Kopfschmerzen setzte Schmitt sich in seinen Audi und fuhr nach Warendorf. Er war kurz zuvor von Oelde nach Freckenhorst gezogen und hatte nun einen kürzeren Dienstweg. Er kam um ein Uhr in Warendorf an und ließ sich von seinem Navi in die beschauliche Innenstadt von Warendorf führen, an den Ort, wo man den toten Mann gefunden hatte. Das Lokal nannte sich RoBerta. Schmitt fand es schnell und stellte den Wagen direkt davor ins Halteverbot.

Die Kollegen der Polizei in Warendorf hatten bereits gute Arbeit geleistet. Mit Absperrband war der Tatort eingekreist, von den letzten Gästen aus dem Lokal waren die Personalien aufgenommen worden, sie waren mittlerweile nach Hause gegangen.

Nur der Barkeeper, wie er sich selbst vorstellte, war noch da. »Bert, guten Abend. Ich bin der Barkeeper und Mann für alles hier. Mir gehört der Laden zur Hälfte.«

»Kommissar Schmitt. Guten Abend. Haben Sie auch einen Nachnamen?«

»Ja, aber den benutzt nur der Anwalt meiner Exfrau.«

»Mmmh«, machte Schmitt, überlegte kurz und sagte dann: »Lassen Sie uns den Personenkreis vorsichtig erhöhen, und nennen Sie mir bitte Ihren Nachnamen.«

»Hansmann, Bert Hansmann.« Bert verschränkte die Arme vor der Brust, und Schmitt starrte auf die tätowierten Muster, die die gesamte Fläche der Arme schmückten.

»Hansmann. Okay, ich nenne Sie also Bert.«

In den nächsten Minuten erzählte Bert alles, was am späten Abend vorgefallen war bis zu dem Schuss, den dann er und seine Gäste beim Zufallen der Tür gehört hatten.

»Das war aber mutig bis leichtsinnig von Ihnen, einfach einen Mann anzugreifen, der eine Waffe auf jemanden gerichtet hält.« Schmitt machte sich Notizen in ein kleines Büchlein, das er aus dem Jackett gezogen hatte.

»Ich habe gebetet, dass es gutgeht, und es ist gutgegangen. Na ja, zumindest für uns hier drinnen.«

Schmitt blickte dem bärtigen Barkeeper in die braunen Augen. Er hatte schon dümmere Antworten gehört, aber der Mann vor ihm erstaunte ihn doch. »Gut, erzählen Sie weiter.«

»Wir haben den Schuss gehört und wussten natürlich nicht, ob der Verrückte jetzt einen Passanten erschossen hatte. Oder gleich wieder reinkommen wollte. Also habe ich erst mal die Tür abgeschlossen. Ich trage den Schlüssel immer in der Hosentasche.«

Schmitt blickte automatisch auf die ausgebeulte Jeanshose. »Gut so. Sie haben sich und die Gäste in Sicherheit gebracht. Die Polizei war ja schon informiert, soweit ich weiß.«

Bert nickte. »Einer meiner Gäste hatte bereits eine Nachricht per Handy losgeschickt, als der Mann uns bedrohte. Nicht ganz so leichtsinnig wie meine Aktion, aber auch mutig und sehr geistesgegenwärtig«, gab Bert grinsend zu. »Wir hörten kurze Zeit später das Martinshorn, und da habe ich wieder aufgeschlossen. Ja, und dann lag er da, direkt vor meiner Tür. Ich stehe also verdattert im Türrahmen, da hält auch schon der Streifenwagen und zwei Beamte springen auf mich zu. Zum zweiten Mal an diesem Abend wird eine Waffe auf mich gerichtet, und ich kann Ihnen sagen, dass mir das für die nächsten zwanzig Jahre an Erfahrung reicht. Wollen Sie etwas trinken, Herr Kommissar?«

Schmitt hatte sich umständlich auf einen der Barhocker gesetzt. »Ja, gerne, eine Fanta bitte.«

Bert goss sich eine Cola ein, und für den Kommissar stellte er eine kleine Flasche Fanta und ein Glas bereit.

Der Kommissar nahm das Glas dankend entgegen und goss es voll. »Und Sie sind sich sicher, dass der Mann sich selbst erschossen hat, kaum dass er Ihr Lokal verlassen hat?«

Der Barkeeper lachte und strich sich über seinen kurzen Bart. »Wir sind hier in Warendorf. Hier begegnen Ihnen schon mal mehr als zwei Pferde. Aber zwei bewaffnete Männer in einer Nacht? Unwahrscheinlich. Das kann Ihnen in Chicago passieren, aber doch nicht bei uns. Wo wohnen Sie, Herr Kommissar?«

»Jetzt in Freckenhorst, vor einem Jahr noch in Oelde.«

Bert nickte. »Dann wissen Sie ja, was ich meine.«

»Nun, die Spurensicherung und die Rechtsmedizin werden das herausfinden. Haben Sie eine Idee, warum der tote Mann behauptete, dass Ihre Gäste an seinem Unglück schuld seien?«

»Nein, aber ich weiß, dass dieser Mann nun an meinen Schwierigkeiten die Schuld trägt. Oder glauben Sie, dass einer der Gäste in nächster Zeit wieder in mein Lokal kommt, weil ihm der Abend so gut gefallen hat? Die sind bestimmt alle traumatisiert.«

»Doch, das glaube ich. Die kommen wieder. Und noch viele andere mehr werden kommen und sich den Ort des Schreckens anschauen. Die meisten Menschen lieben in Wirklichkeit solche Dramen. Ihnen gehört der Laden?«

»Ich bin Teilhaber. Zusammen mit Robert Heinemann, der zurzeit im Urlaub auf Teneriffa ist.«

Schmitt schrieb alles auf. Dann blickte er hoch, als ein Beamter der Spurensicherung zu ihm trat. Er war jung und schlaksig und sah als Einziger nicht müde, sondern eifrig aus. Der weiße Papieranzug, den er trug, knisterte bei jeder Bewegung. »Aus der Pistole ist tatsächlich nur ein Schuss abgegeben worden. Das passt schon mal zur Selbstmordtheorie.«

»Nein, tut es nicht«, mischt sich Bert ein und machte ein betroffenes Gesicht. Dann erzählte er den Hergang vollständig.

Schmitt seufzte. Nun würde er den Fall doch nicht so schnell zu den Akten legen können. »Also, dann machen Sie sich als Nächstes auf die Suche nach dem Projektil«, wandte er den Blick zu dem Mann von der Spurensicherung. »Ich fasse den Abend also wie folgt zusammen: Ein Mann kommt in das Lokal RoBerta, trinkt Whisky und erzählt, dass die ganze Welt und vor allem die anderen Gäste schuld an seiner aktuellen und grundsätzlichen Unzufriedenheit seien. Nach dem zweiten Whisky will er sich dann rächen oder zumindest die Truppe aufmischen und zieht eine Pistole. Nachdem Sie, Bert, dem Mann Paroli boten, löste sich ein Schuss, und der Typ lachte laut auf. Und dann verließ er mit seiner Waffe in der Hand das Lokal und wurde im gleichen Moment von einer anderen Person erschossen, just als er nach draußen trat.«

»Das klingt wie aus einem John-Wayne-Film.« Bert trank seine Cola aus und goss sich dann einen Eierlikör ein.

Sowohl der Mann von der Spusi als auch Schmitt staunten nicht schlecht, als der große, kräftige Mann das Glas ausschleckte wie eine Katze süße Milch und dann entschuldigend sagte: »Das brauchte ich jetzt für meine Nerven. Sagen Sie es nicht weiter, aber ich stehe total auf dieses Alte-Tanten-Getränk. Könnte es sein, dass dieser Typ mit seiner Waffe bereits andere Leute zuvor bedroht hat und jemand sich dachte, dass er dafür nun bezahlen muss? Nach dem Motto: Bevor du mich umbringst, bringe ich dich um?«

Kommissar Schmitt rutschte unbeholfen von dem Barhocker und sagte: »Das werden ich und meine Leute nun herausfinden müssen. Aber nicht mehr heute Nacht. Morgen werden wir die Gäste befragen, die bedroht worden sind, und nach Zeugen auf der Straße suchen. Und Bert, Sie überlegen noch mal ganz genau, ob Sie den Mann gekannt haben und inwieweit er wütend auf Sie hätte sein können. Das kann das schlecht gezapfte Bier sein oder der Parkplatz, den Sie ihm mal weggenommen haben. Menschen können sehr unterschiedlich wahrnehmen, was beleidigend ist und was nicht.« Kurz hielt er inne, dann blaffte er: »Wieso weiß ich noch nicht, wie der Tote heißt?« Strafend blickte er den Mann von der Spurensicherung an.

Der lief sofort los.

Während der rundliche Kommissar die letzten Instruktionen verteilte, formte sich ein Gedanke in seinem Kopf, der nicht ohne Trost war. Er wusste nun, wen er sich als rechte Hand in diesem Fall zu Hilfe holen würde.

Der Spusi-Mann kam nach zwei Minuten zurück und referierte hastig: »Der Tote heißt Balthasar Fromm, wohnhaft in Warendorf, Seewiese. Er lebte allein. Mehr wissen wir noch nicht.« Noch immer eifrig tippte der Beamte mit einem Stift an seinen Block, von dem er die Notiz abgelesen hatte.

»Gut, danke. Wir werden uns morgen beziehungsweise heute früh um etwaige Angehörige kümmern.« Schmitt holte sein Handy heraus und suchte eine Nummer. Dafür setzte er eine Lesebrille auf, die er in der Jackentasche trug. Dann wählte er und hielt sich das Mobilteil ein wenig steif ans Ohr. Offenbar war es dem Kommissar bei diesem Anruf egal, dass es mitten in der Nacht war. Nicht jeder litt unter Schlaflosigkeit und freute sich, wenn dann um zwei Uhr nachts das Handy bimmelte. Entsprechend lange musste der Kommissar warten, bis eine genervte Stimme verkündete. »Dirk Kemper, wer immer gerade anruft, ich hoffe, es ist verdammt wichtig.«

»Hier spricht Kommissar Schmitt. Entschuldigen Sie die Störung, guten Morgen oder gute Nacht. Ich habe einen Toten mitten in Warendorf vor einer Bar liegen und würde Sie gerne wieder an meiner Seite haben. Sie sind doch noch bei der Polizei, oder?«

Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille. Schmitt kannte den jungen Polizisten Dirk Kemper von einem Fall aus Oelde, als sie sich gemeinsam um Wölfe, rumänische Einbrecher und einen skurrilen Mörder hatten kümmern müssen. Schmitt dachte nur ungern an den Fall zurück. Während der ganzen Ermittlung waren ihm einfach zu viele große Tiere begegnet.

»Ja, ich bin noch bei der Polizei. Wo sollte ich sonst sein? Ab wann brauchen Sie mich?«

»Morgen um acht Uhr im Kommissariat in Warendorf. Ich kläre das mit Ihrer Dienststelle. Sie können doch samstags arbeiten, oder?«

»Ich habe eigentlich … Doch das geht. Bis morgen, Herr Schmitt.«

Dirk Kemper starrte noch eine Zeitlang auf sein Handy, bevor er schließlich den Wecker stellte. Neben ihm regte sich seine Freundin Ella. Kemper wohnte zwar in Oelde, doch am Wochenende übernachtete er gerne bei Ella in Münster. Diese Stadt hatte einfach mehr Nachtleben und Flair für ein junges Paar. Er liebte es, mit Ella am Samstagvormittag über den Wochenmarkt am Domplatz zu gehen, frischen Käse und Blumen zu kaufen und danach einen Cappuccino im Marktcafé zu genießen oder an einem der duftenden Kaffeestände vor dem Dom. Das Bummeln auf dem Markt würde nun leider ohne ihn stattfinden. Schade, aber die Tatsache, dass Kommissar Schmitt ihn erneut zu einem Mordfall rief und er somit Teil des Ermittlerteams werden würde, freute den jungen Mann ungemein. Ella arbeitete für den NABU und war selbst oft genug für eine gute Story unterwegs. Er wusste, dass sie dafür Verständnis haben würde.

»Was’n los?«, meldete sich ihre dumpfe Stimme. Halb unter der Decke vergraben und mit geschlossenen Augen fragte Ella nach dem Grund der Störung.

»Schmitt hat mich zu einem Mordfall nach Warendorf beordert. Ich muss um halb sieben Uhr aufstehen.«

Ella richtete sich abrupt auf und strich sich die zerzausten blonden Haare aus den Augen. »Ein Mord in Warendorf? Da gibt es doch nur Reitunfälle. Und außerdem bist du doch dafür gar nicht zuständig, oder?«

»Jetzt schon«, grinste er, und gab ihr einen Kuss auf die Nase. »Kommissar Schmitt will ausdrücklich mich dabeihaben.«

»Cool, du erlebst noch was. Sind wieder wilde Tiere im Spiel?«

Auch Ella erinnerte sich gerne an den letzten Fall, als ein Wolf und ein Rottweiler die Ermittlungen um den Tod einer Bäuerin ordentlich durcheinandergebracht hatten.

Dirk schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste. Ein Mann ist auf offener Straße erschossen worden.«

Ella ließ sich zurück ins Kissen fallen.

Dirk Kemper war viel zu aufgekratzt, als dass er noch richtig in den Schlaf zurückfand.

Früh am Samstagmorgen setzte er sich in seinen Wagen und genoss die Ruhe der Stadt. Um diese Zeit war die Verkehrslage in Münsters Innenstadt relativ entspannt, das würde sich in zwei, drei Stunden ändern. Er schaffte es in einer halben Stunde, an der Direktion der Polizei in Warendorf anzukommen. Nachdem er seinen Ausweis vorgezeigt hatte, brachte ihn eine freundliche, dralle Frau zum Büro von Kommissar Schmitt. Der saß vor einem modernen Schreibtisch und las in einer Akte. Sie hatten sich ein paar Monate nicht gesehen, aber der Kommissar sah mit seinem Bürstenhaarschnitt, der Stoffhose und dem feinen Hemd genauso souverän aus, wie Kemper ihn in Erinnerung hatte. Das konnte man von dem Polizisten allerdings nicht behaupten. So traf den jungen Mann erst ein fragender Blick, bis Schmitt schließlich genauer hinsah und statt eines Morgengrußes das Gesehene kommentierte.

»Wo haben Sie denn Ihre Uniform gelassen? Und was ist das für eine Unart, dass alle Männer sich wieder lange Haare wachsen lassen? Ich dachte, das hätten wir seit einhundertfünfzig Jahren überwunden.« Schmitt blickte konsterniert auf den jungen Mann mit dem blonden Pferdeschwanz, der in Jeans und Sweatshirt vor ihm stand. »Sie sehen aus, als wollten Sie mich zum Shoppen abholen.«

Dirk Kemper grinste. »Genau das stand bis heute Nacht ja auch auf meinem Programm. Ich habe das Wochenende eigentlich frei und bin bei meiner Freundin in Münster. Meine Uniform liegt in Oelde in meiner Wohnung. Ella und ich sind seit unserem letzten Fall ein Paar. Sie haben sie ja kennengelernt.«

»Das war doch diese Umweltaktivistin, die den Wolf am liebsten im Hundekörbchen mit in ihr Wohnzimmer genommen hätte und damals im Kindergarten für Ärger sorgte. Aber hübsch anzusehen, das weiß ich noch.« Die leichte Andeutung eines Lächelns zeigte sich im Gesicht des älteren Mannes. Dann stand Schmitt auf und reichte Dirk die Mappe. »Machen Sie sich schnell einen Überblick. Wir fahren gleich los.«

Dirk blätterte die wenigen Seiten durch, die es zu dem Fall gab. Die ballistische Untersuchung war noch nicht abgeschlossen, aber es war eindeutig, dass der Mann nicht mit seiner eigenen Waffe erschossen worden war. Das hieß, jemand musste auf der Straße darauf gewartet haben, dass er aus dem Lokal herauskam, um ihn dann aufs Korn zu nehmen. Der Tote hieß Balthasar Fromm, war achtunddreißig Jahre alt und wohnte in Warendorf. Er arbeitete beim LWL in der Personalabteilung. Seine Eltern lebten in Freckenhorst. Diese mussten sie nun als Erstes befragen.

Erst als Dirk bei Kommissar Schmitt in dessen Audi einstieg, erinnerte er sich wieder an die unruhige und sehr schnelle Fahrweise. Er hatte sich kaum angeschnallt, da bretterte Schmitt auch schon aus der Einfahrt auf die Straße hinaus, und Dirk hatte den Eindruck, als hätte der Mann nicht mal ordentlich nach rechts und links geschaut. Nach Freckenhorst, einem Vorort von Warendorf, fuhren sie zügig und standen wenig später vor einem Einfamilienwohnhaus mit langweiligem Vorgarten, wie der junge Polizist bemerkte. Der biedere Vorgarten bestand hier aus einem Platz mit grauem Schotter. Links und rechts vom gepflasterten Weg standen zwei kleine Bäumchen, und neben der Haustür befand sich ein Blumentopf mit roten Geranien. Pflegeleicht, ordentlich und völlig uninteressant für die heimische Vogel- und Insektenwelt.

»Solche Gärten setzen sich immer mehr durch und werden ein echtes Problem für Bienen und Schmetterlinge«, bemerkte Dirk abfällig, als sie sich der Haustür näherten.

Schmitt klingelte und trat dann einen Schritt zurück. Dirk tat es ihm gleich. Wenig später öffnete eine gepflegte Dame Anfang sechzig die Tür. Ihre blonden Haare trug sie zu einem lockeren Zopf gebunden, das Gesicht war trotz der frühen Tageszeit sorgfältig geschminkt. Sie war klein und zierlich und setzte ein fragendes Gesicht auf.

Kommissar Schmitt stellte sich und Kemper vor und zeigte seinen Dienstausweis. »Dürfen wir eintreten, Frau Fromm?«

Sie trat einen Schritt zur Seite und schien eher neugierig als besorgt. »Natürlich, kommen Sie rein. Um was geht es denn? Hat ein Schüler etwas angestellt? Mein Mann ist kurz zur Schule gefahren. Er hat dort ein Treffen mit einem Architekten.«

»Es geht um Ihren Sohn Balthasar.«

Kurz hielt Frau Fromm, die nun vorausging, inne, führte die Herren dann aber weiter in eine gemütliche Küche und bat sie, Platz zu nehmen. Ohne zu fragen, nahm sie zwei Kaffeebecher aus einem Schrank und stellte sie unter einen Kaffeeautomaten. Ratternd setzte sich dieser in Bewegung. Ihr eigener Becher stand noch auf dem Tisch. Daneben befand sich ein gebrauchtes Glas Sekt, das der Kommissar nun mit einem interessierten Gesichtsausdruck streifte. Immerhin war es ein früher Samstagmorgen im März.

Frau Fromm schob das Glas zur Seite. »Ich habe oft Probleme mit dem Kreislauf. Ein kleines Gläschen ab und an wirkt da Wunder. Wussten Sie, dass man dies noch vor dreißig Jahren sogar schwangeren Frauen empfohlen hat? Also, was hat Balthasar angestellt? Hat er es mit seinen Recherchen übertrieben?«

Sie sprach nun schneller, ihr linkes Augenlid zuckte leicht. Kommissar Schmitt schien zu überlegen, wie er mit dem Gespräch beginnen sollte, und fragte zunächst. »Welche Art von Recherche meinen Sie?«

»Na, für seine Schreiberei recherchiert er doch immer irgendwo und interviewt Hinz und Kunz. Er schreibt Romane.« Sie schien nicht so viel davon zu halten, sondern wedelte eher abfällig mit der Hand. »Er hatte gestern Abend eine Lesung in Warendorf. Mein Mann und ich waren auch dort, aber es sind nicht sehr viele Leute gekommen. Mein Sohn ist ein unbekannter Autor mit sehr viel Leidenschaft, wobei man dies wörtlich nehmen kann. Es schafft Leiden. Er fühlt sich nicht gesehen, nicht unterstützt und ist bislang nur bei einem kleinen, unbekannten Verlag untergekommen.« Sie trank ihren Kaffee und schob unbewusst wieder ihr Sektglas näher zu sich.

»Wo hatte Ihr Sohn gestern eine Lesung?«

»In der Buchhandlung mitten in der Stadt.« Ihre schlanken Finger umschlossen den Hals des Glases. Jetzt mischte sich Dirk Kemper ein. »Die Buchhandlung Ebbeke? Die liegt doch direkt neben dem Lokal RoBerta.«

»Ja, ich glaube, neben der Buchhandlung gibt es ein Lokal. Aber da waren wir noch nie. Mein Mann und ich sind da ein wenig verwöhnt. Wenn wir mal essen gehen, speisen wir gerne im Engel, Sie wissen schon, dem Hotel.«

Schmitt straffte nun die Schultern und sagte: »Frau Fromm, es tut mir sehr leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Sohn heute Nacht verstorben ist. Er wurde vor dem Lokal RoBerta erschossen.« Da die Dame des Hauses zunächst keinerlei Reaktion zeigte, sprach Schmitt vorsichtig weiter. »Es ist so, dass es Zeugen gibt, die behaupten, Ihr Sohn habe in dem Lokal kurz zuvor mit einer Pistole ein paar Gäste sowie den Barkeeper bedroht. Dieser hat das Schlimmste verhindert, indem er Ihrem Sohn eine Ginflasche über den Kopf geschlagen hat. Daraufhin soll sich Ihr Sohn lachend nach draußen begeben haben, wo er unmittelbar später von einer anderen Person erschossen wurde.«

Frau Fromm starrte Schmitt an, ihre Hände krampften sich um das zarte Sektglas, sodass der Kommissar die Hand ausstreckte und ihr vorsichtig das Glas aus der Hand nahm. Er gab Dirk ein Zeichen, ihr nachzuschenken und zeigte auf den Kühlschrank. Erstaunt blickte der junge Polizist in den Kühlschrank, in dem gleich zwei Flaschen Sekt lagerten, eine dritte stand offen in der Tür. Schmitt nickte wissend, er schien geahnt zu haben, dass die Dame nicht nur ausnahmsweise ein Gläschen Sekt zum Frühstück genoss.

Ihre nächste Frage brachte beide Herren aus dem Konzept. »Dann wird er jetzt berühmt, oder? Ein Autor, der nach seiner Buchvorstellung erschossen wird. Unglaublich.« Gleichzeitig liefen ihr aber auch Tränen die Wangen herunter, und sie nahm das gefüllte Sektglas entgegen.

»Vielleicht sollten Sie Ihren Mann anrufen, damit er herkommt.«

»Wer bringt denn den Balthasar einfach um? Das war bestimmt eine Verwechslung. Oder er ist jemandem beim Recherchieren auf die Füße getreten.«

»Woher hatte Ihr Sohn eine Pistole, Frau Fromm? Immerhin hat er zuvor selbst mit einer geladenen Pistole in dem Lokal agiert.«

Sie schüttelte den Kopf. »Das weiß ich doch nicht. Sie müssen mit Manfred reden, vielleicht weiß er davon. Er ist in der Schule. Mein Mann ist Direktor der städtischen Gesamtschule.« Sie stützte ihren Kopf in einer Hand auf, in der anderen hielt sie das Sektglas. »Bitte rufen Sie ihn an«, bat sie. »Ich kann das jetzt nicht.«

Schmitt reichte ihr ein Taschentuch, stand auf und griff nach seinem Handy. In dem Moment konnte man draußen quietschende Reifen hören und eine Autotür, die laut zugeknallt wurde. Dann öffnete sich die Haustür, und noch ehe Frau Fromm sich wundern konnte, stürmte ein kräftiger, großer Mann in die Küche und erstarrte.

»Also doch. Balthasar ist tot.« Er fuhr sich mit einer großen, sehr gepflegten Hand, die ein Siegelring zierte, über das Gesicht und ließ die Schultern hängen.

Schmitt machte einen Schritt auf den Mann zu, der ihn um einen ganzen Kopf überragte, und stellte sich vor. Dann bat er ihn: »Bitte nehmen Sie Platz und erzählen Sie mir, wie Sie bereits vom Tod Ihres Sohnes erfahren haben.«

Herr Fromm setzte sich zu seiner Frau und nahm sie in den Arm. Er sagte: »Irgendeiner von den Leuten, die dabei waren, hat ein Foto auf Facebook gepostet. Ein Kollege sprach mich an. Auf dem Foto konnte man das Lokal erkennen und eine Person, die eine Waffe in Richtung Barkeeper hielt. Er glaubte, in der Person meinen Sohn erkannt zu haben. Ich dachte erst, dass das sicher nur eine Übung für eine Romanszene war, aber dann wurde behauptet, dass der Mann kurz darauf erschossen wurde. Da habe ich alles stehen und liegen gelassen und bin nach Hause gefahren. Was ist denn bloß passiert? Wir haben doch gestern Abend noch seine Lesung besucht. Da war doch alles in Ordnung mit ihm. Kann ich ein Glas Wasser haben?« Herr Fromm fragte das in einem Ton, als säße er gar nicht in seiner eigenen Küche.

Dirk Kemper blickte um sich, nahm ein Glas aus einem Schrank mit Sichtfenster und füllte es aus der Flasche Wasser, die er im Kühlschrank gesehen hatte. Er reichte es dem Mann und lehnte sich dann an die Arbeitsplatte.

»Was für einen Eindruck hat Ihr Sohn gestern Abend auf Sie gemacht?«, fragte Schmitt und holte nun sein kleines Notizbuch aus der Jacke.

»Naja, er war schon enttäuscht, dass nur so wenige zur Lesung erschienen waren. Ungefähr fünfzehn Leute waren da, fünf Bücher sind verkauft worden. Aber er muss ja nicht davon leben. Er hat einen wirklich guten Job beim Landschaftsverband in Münster.«

»Können Sie sich erklären, warum er mit einer Waffe auf die Gäste des Lokals gezielt hat und behauptete, jeder von denen sei schuld an seinem Elend?«

»An seinem Elend?«, mischte sich nun Frau Fromm ein. »Es ging ihm nicht elend. Es hat ihm nie an irgendetwas gemangelt. Diese Schreiberei kann er doch nicht so hochgehängt haben.« Sie trank ihr Glas leer und schnäuzte leise in ihr Taschentuch.

Ihr Mann nickte wissend und sagte: »Ich bin mir sicher, dass das alles mit einem neuen Buchprojekt zusammenhängt und er bei der Recherche jemandem auf die Füße gestiegen ist. Fragen Sie doch mal seine Exfreundin. Nicole Quante. Sie hat einen kleinen Bauernhof zwischen Freckenhorst und Warendorf. Balthasar hat sich erst vor Kurzem von ihr getrennt.«

Schmitt schrieb den Namen auf und fragte dabei: »Warum hat er sich getrennt? Wissen Sie das zufällig?«

Herr Fromm guckte seine Frau an, die hob erst die Schultern und murmelte dann, dass die Dame nur eine passende Arbeitskraft für ihren Hof gebraucht habe. »Mein Balthasar ist ein Büromensch. Er liebt gute Kleidung und gute Restaurants und verreist gerne mal. Mist wegfahren, Zäune reparieren und der ewige Gestank von Tieren, das ist nicht sein Ding, und das hat er Nicole auch immer wieder gesagt. Aber sie hatte wohl andere Erwartungen.«

»Ja, große Tiere sind nicht jedermanns Sache«, sagte der Kommissar. Laufen dort denn viele Tiere frei herum?«

Hierauf erhielt Schmitt keine Antwort, was er missmutig registrierte. Danach besprachen sie noch mehrere organisatorische Dinge, die es zu regeln galt. Ein Elternteil sollte den toten Balthasar identifizieren. Die Wohnung des Toten musste natürlich genau durchsucht werden, um den Computer würde sich ein Fachmann von der Spurensicherung kümmern, und das ganze Privatleben von Balthasar Fromm würde nun die Polizei genauestens unter die Lupe nehmen. Auf all das bereitete Schmitt die Eltern nur zum Teil vor, alles mussten sie gar nicht wissen.

Wieder im Auto blickte Schmitt den jungen Kollegen an. »Mir wäre es lieber, wir laden diese Nicole Quante zu einem Gespräch ins Kommissariat ein, aber wir wissen beide, dass das nur unnötig Zeit kostet. Trauen Sie sich das Gespräch alleine zu? Ich würde dann jetzt erst zu meinen Leuten in die Wohnung des Toten fahren. Die sind da schon seit sieben Uhr zugange und haben hoffentlich ein paar Ergebnisse für mich. Wir treffen uns dann später in meinem Büro.« Schweißperlen standen auf seiner Stirn, als er Dirk Kemper fragend anschaute.

Der nickte nur. »Natürlich.«

»Wir fahren aber erst ins Büro, damit Sie sich eine Uniform leihen und einen Wagen der Polizei nehmen. Das soll schön offiziell aussehen, und das dürfen auch die Nachbarn sehen.«

Eine halbe Stunde später machte Dirk Kemper sich mit einer geliehenen Uniform, die am Oberkörper überall spannte, auf den Weg. Das lag nicht an dem Genuss zu vieler Hamburger oder Grillwürstchen, sondern an seinen breiten Schultern und dem etwas einseitigen Kraftsportprogramm für die Arme. Neben ihm saß ein Kollege, der den Hof Quante kannte und ihm unterwegs ein paar Informationen liefern konnte. So erfuhr Dirk, dass Nicole den Hof mit ihrem älteren Bruder zusammen führte und die beiden Geschwister ihn von ihrem Vater geerbt hatten. Robin Quante kümmerte sich um die Bestellung der Felder und den Viehhandel, Nicole übernahm das Füttern und Sauberhalten der Stallungen. Im Winter hatte sie mehr zu tun, im Sommer ihr Bruder, denn dann waren die Kühe auf der Weide.

»Nicole ist ein netter Mensch, aber sie hat ein paar Macken. Sie steht extrem früh auf und verschreckt damit jeden Verehrer, der bei ihr übernachten möchte und sich auf ein langes Frühstück freut. Wenn Nicole dir dann um fünf Uhr ein Spiegelei und eine Scheibe Toast serviert, wird das für den Magen eine echte Herausforderung. Doch richtig Probleme bekommst du, wenn sie vor dem Spiegelei noch Sex möchte.« Der Kollege namens Mark betonte diesen Satz. »Ich kann so früh jedenfalls noch nicht, dabei ist gegen ihren Körper nichts einzuwenden.«

Dirk fragte: »Wann warst du denn mit dieser Nicole zusammen?«

»Das ist schon sieben Jahre her, mittlerweile bin ich glücklich verheiratet, meistens zumindest.« Er grinste und fuhr fort. »Da vorne musst du links rein, gleich sind wir da.«

Dirk folgte dem Feldweg und sah bereits den Hof vor sich liegen. Er war größer, als er gedacht hatte. »Könnte Nicole Balthasar Fromm erschossen haben? Weil er sie abgewiesen hat? Oder Nicoles Bruder?«

»Schießen können sie beide, sie haben auch beide einen Jagdschein. Aber ich halte Nicole nicht für so leidenschaftlich, dass sie aus verschmähter Liebe einen Mann umbringt. Sie ist sehr pragmatisch. Als ich mit ihr Schluss gemacht habe, weil ich meine Frau kennen und lieben gelernt hatte, hat sie nur gefragt, ob ich vorher noch, wie versprochen am Wochenende die Tiere versorgen würde. Da sei sie doch mit ihrer Freundin im Wellness-Hotel verabredet.«

»Und was ist mit dem Bruder?«

»Robin ist verwitwet und hat einen fünfzehnjährigen Sohn, der immer mal Ärger macht. Der Bengel hat zu früh seine Mutter verloren und musste schon zeitig mit anpacken. Wie das so ist auf den Bauernhöfen. Die Kinder werden allzu schnell kleine, unbezahlte Mitarbeiter. Nicole hat ihre eigene Wohnung und bewohnt die obere Etage des Hauses.«

Sie waren an ihrem Ziel angelangt und wurden auch gleich neugierig von einer Frau beäugt, die zwei unglaublich dicke Brillengläser auf der Nase hatte, die die Augen zu Maulwurfsäuglein machten. Da ging sein Blick lieber zu ihrer wirklich sehr schönen Figur, der man ansah, dass sie körperlich arbeitete. Ihre rotblonden, langen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, und ihr großer Mund verzog sich spöttisch, als sie die beiden Polizisten sah.

»Mark, hat sich jemand über eine entlaufene Kuh beschwert, oder was treibt dich her?« Dann blickte sie plötzlich besorgt drein und fragte weiter: »Oder hat Jonas etwas angestellt? Er ist heute Morgen schon früh zum Training gefahren.«

»Nein. Wir sind wegen Balthasar Fromm hier.« Bevor er weiterreden konnte, winkte Nicole ab und machte Anstalten, nach der Schubkarre mit Mist zu greifen, die vor ihr stand. Ein wenig flatterten ihre Lieder dabei und eine Hand griff kurz ins Leere, doch sie sagte betont gleichgültig: »Diesem schöngeistigen Schreiberling habe ich zu viel gearbeitet und zu wenig Zeit für die Bewunderung seiner Werke aufgebracht. Der hat doch nicht wirklich damit gerechnet, dass ich gestern zu seiner Lesung aufgetaucht wäre, oder? Was will er?«

»Dass wir seinen Mörder finden«, mischte sich Dirk Kemper wenig diplomatisch ein und stellte sich vor. Mit wenigen Worten erklärte er der Bäuerin von dem gestrigen Abend. In dem Moment kam ein riesengroßer Bernhardiner langsam über den Hof getrottet und stellte sich dicht neben Nicole, als hätte er geahnt, dass sie schlechte Nachrichten erhielt. Dirk konnte froh sein, dass er nicht mit seinem Chef hergefahren war. Alles, was über die Größe eines Beagles hinausging, führte zu Schnappatmung und panischem Verhalten. »Wenn Sie nicht auf der Lesung waren, was haben Sie und Ihr Bruder dann gestern gemacht?«

»Aha, die Überprüfung meines Alibis. Balthasar wäre begeistert, wenn er lebend daran beteiligt gewesen wäre. Entschuldigung, aber ich war über zwei Jahre mit ihm zusammen und erfahre hier neben einer Schubkarre mit Mist, dass er ermordet wurde. Ist es zu viel verlangt, wenn ich einen Augenblick für mich bekomme? Ich gehe jetzt ins Haus und trinke ein Glas Wasser. Danach rufe ich euch rein, und ihr könnt eure Fragen stellen.« Und dann drehte sie sich einfach um und marschierte davon, der Bernhardiner trottete treu hinter ihr her.

»Die hat Stil«, bemerkte Dirk, und Mark ergänzte: »Und sie hat recht. Wir sind zwei Trampel. Komm mit, ich zeige dir den Hof.«

Zehn Minuten später stand Nicole mit einer großen Tasse dampfenden Tees in der Tür und bat die beiden hinein. Von der großen Diele mit einem offenen, alten Kamin ging eine Holztreppe nach oben, und alle drei setzten sich in eine gemütliche Küche mit bunten Kacheln und alten Holzdielen. Es duftete nach einem aromatisierten Tee und nach Apfelkuchen, den die Bäuerin heute Morgen schon gebacken haben musste. Sie bot den Polizisten ein Stück an, und beide Männer nickten begeistert. Man sah Nicole Quante an, dass sie ein paar Tränen um ihren Exfreund vergossen hatte, doch nun hatte sie sich wieder im Griff. Sie setzte sich mit ihrem Tee zu ihnen an den Tisch und schwieg.

Dirk Kemper holte zwischen zwei Bissen des sehr leckeren Apfelkuchens ein kleines Notizbuch heraus. Das hatte er sich von Schmitt abgeguckt. Dann befragte er Nicole zunächst nach den üblichen Personalien und kam schließlich auf Balthasar Fromm zu sprechen. Zu den Vorfällen in der Bar bemerkte Nicole nur, dass sie so ein Verhalten nicht besonders wundere. Zum einen habe Balthasar immer schon andere für etwaige Probleme verantwortlich gemacht, und zum anderen sei er oft seltsam gewesen, wenn es um Recherche und um seine Schreiberei gegangen sei. »Gut möglich, dass er nur etwas ausprobieren wollte, ohne daran zu denken, dass ihn eine solch dumme Tat in einer öffentlichen Bar ins Gefängnis bringen könnte.«

»Oder in die Leichenhalle. Entschuldigung. Es war jedenfalls keine Schreckschusspistole, die er bei sich hatte. Sie ist in der Bar sogar losgegangen und hätte beinahe jemanden verletzt. Kannst du dir vorstellen, dass er so etwas billigend in Kauf genommen hat?« Mark konnte offenbar nicht fassen, dass seine Exfreundin mit so einem Typen befreundet gewesen war.

Sie zuckte mit den Schultern. »Ich bin Landwirtin, keine Seelenklempnerin. Was weiß ich schon, zu was jemand fähig ist, wenn er einen richtig schlechten Tag erwischt hat. Eventuell wollte Balthasar etwas Spektakuläres machen, damit er als Autor endlich wahrgenommen wird. Es ist ja nicht so, dass er schlecht schreibt, aber es gibt zu viel Konkurrenz. Ich habe ihm immer gesagt, er soll es als Hobby sehen.« Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war dieser Vorschlag ganz schlecht angenommen worden. Plötzlich guckte sie erschrocken. »Himmel, was ist denn jetzt mit Bolle?«

»Wer ist Bolle?«

»Sein Golden Retriever, ein ganz tolles Tier, das er sogar oft mit ins Büro genommen hat. Steckt den Hund bloß nicht ins Tierheim! Ich nehme ihn gerne.«

Dirk machte sich eine Notiz und fragte weiter: »Wissen Sie, an welchem Buchprojekt Balthasar aktuell gearbeitet hat?«

Nicole grinste. »Ach, Balthasar hatte so viele Ideen, aber der Stoff sollte sich ja auch verkaufen lassen. Er wollte mal etwas Aktuelleres machen, so was mit Bezug zur Stadt Warendorf.«

Dirk nickte und schrieb eine Notiz dazu. Das war sehr vage, aber der Autor hätte mit einem aktuellen Thema durchaus schlafende Hunde geweckt haben können. »Gab es Streit bei der Arbeit? Nach dem, was er in der Bar gesagt hat, war er sehr unzufrieden und gab allen möglichen fremden Leuten die Schuld daran.«

»Nicht, dass ich etwas wüsste.«

Zum Schluss wollte Dirk noch die Waffen der beiden Geschwister sehen. Sie verwahrten sie in einem alten Waffenschrank, der vorschriftsmäßig abgeschlossen war.

Als sie gerade in der Diele vor dem massiven Teil standen und eine Pistole begutachteten, erschien der Bruder in einer alten Hose, kariertem Hemd und einem Gesichtsausdruck, als würde seine Schwester soeben überfallen. Er stemmte die kräftigen Arme in die Hüften und stellte sich breitbeinig in den Raum. Sein volles Gesicht mit dem blonden Bart zog sich zusammen, wie beim Essen einer Zitrone. Er war ein paar Jahre älter als Nicole.

»Was schnüffelt ihr hier am Waffenschrank herum? Ich habe doch schon vor vier Tagen gemeldet, dass meine Pistole weg ist.«

Nachdem Dirk sich vorgestellt und erklärt hatte, warum sie da waren, musste Mark zerknirscht zugeben, dass er wohl nicht ausreichend informiert gewesen sei. Derweil machte Nicole ihrem Bruder Vorwürfe, weil er ihr nichts davon gesagt hatte. Es war sehr wahrscheinlich, dass es die Glock von Robin Quante war, die ihr Exfreund am Abend zuvor so missbräuchlich eingesetzt hatte. Dafür reichte ein Telefonat mit der zuständigen Behörde. Die Glock war eine Pistole, die unter Jägern sehr gerne verwendet wurde. Aber auch als Dienstwaffe war sie auf Grund ihres geringen Gewichtes beliebt. Sie war klein, schwarz und in versierten Händen tödlich.

»Konnte Balthasar Fromm schießen, und hat er von der Waffe und dem Aufbewahrungsort gewusst?« Mark blickte dem fülligen Landwirt mahnend in die Augen.

»Ja, er hat mich neulich danach gefragt. Er als Autor müsste doch auch über Waffen Bescheid wissen.« Robin guckte zu Boden, dann zu seiner Schwester. »Wir haben vorletzte Woche ein bisschen geschossen. Ich wusste doch nicht, dass er mit dir Schluss machen wollte, ich mochte ihn. Balthasar war dabei, als ich die Glock wieder in den Schrank geräumt habe, er hat ein Bier am Kamin getrunken, muss mich aber genau beobachtet und das Ding später mitgenommen haben. Es ist mir erst am Dienstag aufgefallen, als ich selbst am Waffenschrank war und neue Munition reingelegt habe.«

Nicole verschränkte zornig die Arme vor der Brust. Im Gegensatz zu ihrem Bruder roch man bei ihr ein frisches Deo, während Robin Quante einen leichten Stallgeruch mit in die Diele gebracht hatte. »Das hättest du mir sagen können. Das bedeutet doch, dass er irgendetwas mit der Pistole geplant hat. Aber ein Überfall auf ein Lokal?« Sie guckte fragend zu ihrem Bruder.

Der machte ein skeptisches Gesicht und sagte: »Also komisch war der in der letzten Zeit schon. Der hat mir beim Schießen so merkwürdige Fragen gestellt. Ob ich mir vorstellen könnte, einen Menschen zu erschießen. Oder was es für ein Gefühl sei, wenn ich bei der Jagd ein Tier erlege.«

Mark schaute verdutzt: »War der nicht ganz dicht, oder was?«

Dirk versuchte, die Frage seines Kollegen ein wenig professioneller zu formulieren. »Gab es Anzeichen, dass er depressiv war oder geistig verwirrt?«

Nicole schüttelte den Kopf, während ihr Bruder noch überlegte, dann aber sagte: »Glaube ich nicht. Er war, hm, schräg drauf. Ich denke, es war eher so eine Art Zynismus.«

Nicole ergänzte: »Balthasar war oft deprimiert, weil es mit seinem Schreiben nicht so gut lief, wie er sich das vorgestellt hat. Er hat alles immer sehr persönlich genommen.«

»Warum hat er mit dir Schluss gemacht?«, fragte Mark sehr direkt.

Nicole grinste ihn an. »Sag du es mir. Warum hast du dich damals von mir getrennt? Vielleicht sind es ähnliche Gründe.«

So richtig betroffen schien die Dame nicht zu sein, dachte Dirk und sah seine Ella vor sich.