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Frederike Gillmann

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Beschreibung

"Bournout? Ich doch nicht", denkt sich Maia. Obwohl sie sich eingestehen muss, dass Leben gerade besser laufen könnte. Ihr berufliches Leben geht gerade den Bach runter und von ihrem Privatleben ganz zu schweigen. Aber braucht sie deswegen gleich eine Auszeit? Erst als sie mit der Finnin Okka ihre Wohnung in Hamburg tauscht, wird ihr bewusst, dass es sich lohnt auch mal einen Gang zu zurückzuschalten.

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Frederike Gillmann

Ei Ole Kiire

Das Leben läuft Dir nicht davon

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Epilog

Danksagung

Impressum neobooks

Kapitel 1

Burnout. Burn-out.

Ich versuchte diesen Gedanken zu fassen.

Burn out – ausbrennen. Ausgebrannt.

Ich konnte es einfach nicht fassen. Ich doch nicht. Klar, in letzter Zeit hätte es besser laufen können, gerade beruflich, aber ich dachte, das wäre irgendwie nur so eine Phase. Das hat schließlich jeder Mal.

Und dann war ich beim Arzt, um mir Schlaftabletten verschreiben zu lassen und er meinte einfach so nebenbei, dass das wohl ein Burnout sei. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht loszulachen. So ein Quatsch. Ich doch nicht. Doch der Dr. Keimel hatte das wohl vollkommen ernst gemeint und meinte, alles, was ich ihm erzählt habe – die Schlaflosigkeit, die negativen Gedanken, die Müdigkeit, dieses Gefühl der inneren Leere, wenn man nichts schafft und so weiter – , seien Anzeichen dafür, dass ich mich mal ernsthaft mit mir auseinandersetzen sollte. Noch besser: einfach mal `nen Gang zurückschalten, vielleicht ein paar Tage Urlaub machen. Ja, der hat gut reden, der verdient ja auch genug und kann sich einfach mal so Urlaub leisten. Ich kann das nicht. Mein Honorar hängt davon ab, was ich abliefere und mein Verleger hat schon angedeutet, wenn sich meine Bücher weiter so schlecht verkaufen, dann wird er sich überlegen, ob er mich noch weiter vertritt. BÄM! Das hat gesessen, als er mir das gesagt hat. Doch was sollte ich tun? Dr. Keimel kam mir gleich mit einer Liste von spezialisierten Therapeuten, die er mir empfehlen könnte, aber ich war in dem Moment einfach so überfordert, dass ich sie nur wortlos entgegengenommen habe.

„Denken Sie mal drüber nach!“, hatte er mir noch im Hinausgehen mitgegeben.

Nachdenken worüber? Ich denke mein ganzes Leben schon nach. Mit mir war doch alles in Ordnung. Dachte ich…

Sollte ich mit jemanden darüber reden? Eigentlich hatte ich keine große Lust darauf, denn ich kannte meine Mitmenschen gut genug, dass eine solche Nachricht zumindest bei einigen – allen voran meiner Mutter – die Alarmglocken schrillen ließ. Ich hörte sie schon etwas sagen wie „Ich habe es doch gewusst. Ich habe dir doch gesagt, du siehst blass aus. Und abgenommen hast du auch“. Nee, nee, so etwas wollte ich nun wirklich nicht.

Meinen Freund Guillaume, der immer ein offenes Ohr für mich hatte? Aber auch bei ihm wollte ich nicht, dass er sich Sorgen machte.

Erst einmal abwarten, das war bestimmt alles halb so wild. Bestimmt wollte mir der Arzt auch nur einschärfen, dass ich von nun an auf mich aufpassen soll. Ärzte neigen ja manchmal zur Übertreibung…

In dem Moment klingelte mein Telefon: meine Mutter. Als hätte sie es geahnt (allerdings passierte etwas erstaunlich oft, dass genau dann das Telefon klingelte, wenn ich mir über irgendetwas den Kopf zerbrach).

„Was gibt’s?“, begrüßte ich sie, nachdem ich auf den grünen Hörer gedrückt hatte.

„Dir auch einen guten Tag, mein Kind“, sagte sie mit belehrender Stimme.

Ich hatte mir einfach abgewöhnt, mich bei bekannten Nummern mit meinem Namen zu melden. Manchmal musste ein einfaches Ja auch ausreichen. Und manchmal eben noch nicht einmal das. Ich war eben momentan nicht in der Stimmung für viele Worte.

„Hallo Mama, wie komme ich zu der Ehre deines Anrufes?“, wiederholte ich etwas übertrieben und konnte mir vorstellen, wie meine Mutter am anderen Ende der Leitung die Augen verdrehte.

„Ich wollte nur mal hören, wie es dir geht. Das ist schon ein Weilchen her, dass wir miteinander gesprochen haben. Und deine alte Mutter macht sich eben Sorgen.“

„Mama, ich bin schon groß. Ich kann ganz gut auf mich alleine aufpassen“, sagte ich mit einem Seufzer.

„Aber du bleibst doch immer mein Kind…das haben Mütter nun mal so an sich…“, hörte ich sie sich verteidigen.

„Also Mama, warum rufst du wirklich an? Du rufst doch nicht einfach so an, nur um zu fragen, wie es mir geht. Und du kennst die Antwort.“ So langsam hatte ich keine Lust mehr auf dieses Spielchen.

„Ja…also da gibt es tatsächlich etwas…“, setzte sie nun an. „Dein Vater und ich haben beschlossen, dass wir eine Kreuzfahrt machen wollen und nun ja…wir brauchen jemanden, der hin und wieder mal nach dem Haus schaut, den Briefkasten leert und so weiter.

„Kann Tim das nicht machen?“, kam es fast wie aus der Pistole geschossen. Tim war mein älterer Bruder.

„Du weißt doch…der ist immer so beschäftigt…“, sagte meine Mutter.

„Ich bin auch beschäftigt“, erwiderte ich empört.

„Ja, aber du kannst dir doch aussuchen, wann du arbeitest“, kam es wieder von der anderen Seite.

„Mama…ich mache das doch immer“, jammerte ich fast. Ich hatte wirklich keine Lust, schon wieder den Haussitter für meine Eltern zu spielen, denn das war es, was sie eigentlich wollten. Sie hatten nahezu panische Angst davor, dass man in ihrer Abwesenheit in ihr Haus einbricht, sodass sie am liebsten immer jemanden haben wollten, der da war. Und dieser jemand war eben ich, denn dass ich Schriftstellerin und von Zeit zu Zeit auch freiberufliche Journalistin war, zählte für meine Eltern eben nicht unter eine regelmäßige Tätigkeit.

„Ich habe dieses Mal wirklich keine Zeit“, versuchte ich eine letzte verzweifelte Abwehr.

„Ach ja? Was musst du denn machen?“, fragte meine Mutter inquisitorisch.

„Ähh…“ Verdammt. „Ich habe da ein neues Projekt. Das ist riesig groß und ich habe kaum Zeit.“ Gut, dass sie nicht sehen konnte, wie ich langsam rot anlief und betete, dass sie mir diese Story abnahm.

„Ja, aber wer kümmert sich denn um Schnorri?“ Meine Mutter gab einfach nicht auf. Schnorri – oder besser gesagt Schnorrbert – war unsere Katze.

„Wie lange seid ihr denn weg?“, fragte ich und mir fiel ein, dass ich das auch gleich am Anfang des Gesprächs hätte tun sollen.

„Zwei Wochen.“

„Und wohin?“ Warum musste ich meiner Mutter jegliche Informationen immer aus der Nase ziehen.

„Skandinavien“, kam die kurze Antwort. Aha.

„Ach bitte Maia…mein Bienchen…mein allerliebstes Lieblingsbienchen…“, flehte meine Mutter nun fast. Eigentlich hieß ich Marlene, aber ich habe in meiner Kindheit wohl zu viel Biene Maja geschaut und irgendwann habe ich dann wohl verkündet, dass ich von jetzt an nur noch Maia genannt werden möchte.

„Ich überleg’s mir“, versprach ich. „Aber ich muss jetzt wirklich weitermachen.“

„Danke, mein Schatz, aber überleg‘ bitte nicht zu lange. Ich muss das so schnell wie möglich wissen.“

„Ja, versprochen“, sagte ich mit einer leicht leiernden Stimme. „Gib Papa einen Kuss von mir.“

„Mach ich. Auf bald.“

„Ich hab dich lieb, Mama.“

„Ich dich auch, Maia. Mach’s gut.“

Damit nahm ich den Hörer vom Ohr, wartete noch eine Sekunde und drückte dann auf den roten Knopf.

Einmal tief durchatmen. Ein. Und wieder aus. Vielleicht noch ein zweites Mal. Ein. Und wieder aus. Ja, meine Eltern hatten recht, ihre freie Zeit zu genießen. Aber warum immer ich? Tim konnte sich immer schön rausreden, obwohl ich bezweifelte, dass er wirklich so viel arbeitete.

Natürlich gönnte ich meinen Eltern die Reise und ich kannte mich selbst gut genug, um zu wissen, dass ich zu 99 Prozent zusagen würde, dass ich mich um das Haus und Schnorri kümmern würde, aber trotzdem sträubte sich etwas in mir.

Kapitel 2

„Also gut, ich mach’s“, sagte ich in den Hörer – wieder einmal ohne Begrüßung –, sobald ich am anderen Ende hörte, dass die Leitung frei war.

„Ich wusste es doch! Maia, du bist die beste!“, freute sich meine Mutter. „Herbert, sie macht es!“, hörte ich sie meinem Vater zurufen.

„Was ist los?“, hörte ich meinen Vater fragen.

„Unser Bienchen kümmert sich um unser Haus.“

„Na dann…“, kam die Reaktion von meinem Vater. Ich musste ein wenig in mich hineinlächeln. Mein Vater war diesbezüglich weitaus pragmatischer.

„Gut, also du kommst dann nächste Woche?“, erkundigte sich meine Mutter. „Du weißt ja, du brauchst nichts mitzubringen. Und die Waschmaschine kannst du auch benutzen.“ Wie reizend von meiner Mutter, dass ich die Erlaubnis hatte, mich immer noch frei im Haus meiner Kindheit zu bewegen.

„Ja, ist gut.“ Sofort hatte ich wieder dieses ungute Gefühl, dass das doch nicht die richtige Entscheidung gewesen war.

„Super! Vielen Dank, Maia!“, sagte sie.

„Kein Problem“, sagte ich, wenn auch wenig enthusiastisch.

„Du bist doch meine Lieblingstochter.“ Du hast ja auch nur eine.

„Also, ich komme dann am Montag“, sagte ich und deutete damit an, dass das Gespräch langsam für mich zu Ende war.

„Ja, am Montag dann...oder…kannst du auch schon Sonntagabend? Du, vielleicht kannst du uns dann ja am Montag zum Hafen fahren…“, meinte sie.

Ich verdrehte die Augen und seufzte innerlich.

„Ja, ich denke, dass lässt sich schon irgendwie hinkriegen.“

„Super! Bis denne.“

„Ja, bis dann“, sagte ich und damit war das Gespräch beendet.

***

Auf was hatte ich mich da bloß wieder eingelassen? Und warum ließ ich mich immer breitschlagen?

Vielen Dank auch, schrieb ich an meinen Bruder. Ich war genervt.

Was ist denn los?, kam die Antwort prompt zurück.

Mama und Papa machen eine Kreuzfahrt und ich soll mal wieder den Haussitter spielen.

Davon wusste ich ja noch gar nichts…, schrieb er wieder.

Aha, so lief der Hase also. Meine Eltern erzählen mir, dass mein Bruder nicht kann, obwohl sie ihn noch nicht einmal gefragt hatten. Vielleicht hätte ich doch Nein sagen sollen…

Sie haben mir erzählt, dass du nicht kannst, weil du ja immer so beschäftigt bist. Meine Wut auf meinen Bruder war verflogen, denn offensichtlich war er ahnungslos.

Ich habe auch immer viel zu tun, momentan geht’s aber. Wie läuft es bei dir? Mein Bruder war aber heute gesprächig…

Geht so, tippte ich zurück. Ich hatte wenig Lust, mit meinem Bruder meine Gefühlslage auszudiskutieren.

Ok, war seine Antwort und damit wussten wir beide, dass die Konversation beendet war. Kein Schreib, wenn du etwas brauchst, denn das war einfach nicht sein Stil. Und wir wussten beide, dass wir uns aufeinander verlassen konnten, wenn wir die Hilfe des anderen brauchten. Tim arbeitete als Wirtschaftsprüfer und daher kam es eher vor, dass ich Hilfe von ihm brauchte als er von mir und ich hatte schon immer das Gefühl, dass meine Eltern meinen Bruder bevorzugten – nicht nur, weil er finanziell besser dastand als ich.

Sagen wir mal…ich war eher so das Zufallsprodukt, als meine Eltern zehn Jahre nach meinem Bruder eigentlich schon damit abgeschlossen hatten, noch ein weiteres Kind zu bekommen. Ich meine, unsere Eltern haben uns beide geliebt beziehungsweise tun es immer noch, aber na ja…ein fader Beigeschmack bleibt immer.

***

Ich habe es schon wieder getan, schrieb ich an Guillaume. Bei ihm erwartete ich keine sofortige Antwort, denn er hatte selten sein Handy griffbereit.

Guillaume hatte ich bei einer Reise für ein neues Werk in Paris kennengelernt. Ich war gerade in einem Café am Frühstücken, als er – wie ein echter Franzose – mich ansprach und nachdem wir uns unterhalten und ein paar weitere Male getroffen hatten, hatte er sich ein paar mehr Hoffnungen gemacht, die ich ihm dann aber leider zunichte gemacht habe. Trotzdem waren wir seit dem Zeitpunkt gut befreundet.

Nachdem das also geklärt war, überkam mich wieder diese Leere. Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Na ja, eigentlich schon, denn ich musste irgendetwas schreiben. Etwas, was präsentabel war, was ich abgeben konnte. Etwas, was mir den Lebensunterhalt über die kommenden paar Wochen sicherte. Ich nahm meinen Laptop, öffnete das Schreibprogramm und starrte auf den blinkenden Cursor, der nur darauf wartete, dass ich in die Tasten haute. Bitte, nur ein einziger Gedanke, ein Geistesblitz. Ich glaubte nicht an Gott oder sonst ein göttliches Wesen, aber das war einfach intuitiv. Stattdessen hörte ich wieder die Stimme meines Verlegers in meinem Kopf: Maia, Deine Sachen waren auch schon mal besser. Ja, das tat weh, aber ich wusste, dass er recht hatte. Aber was sollte ich denn tun? Irgendwann war nun einmal alles gesagt. Und mein Metier waren eben diese einfachen Frauenromane. Sollte ich mich etwa neu erfinden und mal versuchen Krimis oder Thriller zu schreiben? Nein, das war einfach nicht meine Art. Ich musste das schreiben, was ich fühlte, aber in letzter Zeit war da einfach nichts. Noch dazu kam, dass alle Menschen um mich herum gefühlt in glücklichen Beziehungen waren und nur ich war Single. Ich meine, für mich war das nicht so schlimm, aber man bekommt dann immer von der Umwelt suggeriert, dass mit einem nicht alles in Ordnung sei.

Ich starrte weiter auf den Cursor und er schien zurückzustarren. Unbarmherzig blinkend, als würde er mich dazu auffordern wollen, dass ich nun endlich etwas auf dieses virtuelle Papier brachte. Los, komm Maia. Jetzt hörte ich auf einmal schon Stimmen, wie der Computer mit mir sprach. Geht’s noch? Ich tippte fünf Buchstaben: ein L, dreimal E und ein R – Leere. Ja, das war es, was ich fühlte. Und auf einmal fühlte ich mich ein wenig besser. Einfach nur, weil ich es aufgeschrieben hatte. Ich brauchte keinen Therapeuten, was ich brauchte war einfach nur ein Schreibprogramm.

Ich hörte, wie mein Telefon eine neue Nachricht ankündigte: Salut Chérie. Qu’est-ce qu’il y a? Guillaume.

Ich war zwar für einen Moment etwas verwundert, dass er doch so zeitnah geantwortet hatte, aber das freute mich umso mehr. Außerdem hatte mich dieses Klingeln mal wieder in die Realität befördert, bevor ich mich wieder ganz diesen depressiven Gedanken hingegeben hatte. Ach was, was heißt denn depressiv? Ich doch nicht. Das hat doch jeder mal.

Ich musste auch ein wenig über Guillaumes Chérie lächeln. Wir wussten beide, dass das nicht ernst gemeint war und trotzdem machte er sich einen Spaß daraus, mich hin und wieder so zu nennen, als wären wir ein Paar.

Da ich nichts Besseres zu tun hatte, beschloss ich, ihm direkt zu antworten und erklärte ihm die Situation mit meinen Eltern. Je me sens nulle – ich fühle mich schlecht, setzte ich noch hinterher, denn irgendwie hatte ich dann doch das Bedürfnis, einem meiner besten Freunde meine Gefühle zu offenbaren. . . .

Je t’appelle ce soir. Bises, kam die Antwort. Gut, dann musste ich also noch bis heute Abend warten, bis er mich zurückrief. Ich drückte auf das rote Kreuz des Schreibprogramms. Möchten Sie die Änderungen an Dokument 1 speichern? Für einen Moment zögerte ich, dann drückte ich auf Ja, gab als Titel nur einen Buchstaben – L – ein, klappte dann meinen Laptop zu und atmete noch einmal tief durch.

Kapitel 3

Donc, dis-moi, chérie, sagte Guillaume, nachdem ich den Anruf entgegengenommen hatte. Natürlich sprach Guillaume ein nahezu perfektes Deutsch, aber er machte sich doch hin und wieder einen Spaß daraus, mit mir Französisch zu sprechen.

Ich wiederholte das, was ich ihm am Vormittag geschrieben hatte und dass es mir nur wenig besser ging. Mittlerweile fühlte ich mich auch ein wenig schlecht, weil ich meine Eltern angelogen hatte.

„Aber das ist doch nicht schlimm“, meinte mein Freund. „Ich kann verstehen, dass du deine Eltern nicht beunruhigen möchtest.“

„Aber was ist, wenn es wirklich mit mir bergab geht? Wenn meine Karriere jetzt schon vorbei ist?“, jammerte ich.

„Ma chère Maia“, begann Guillaume. „Das ist ganz normal. C’est la vie. Mach dir doch nicht so viele Gedanken.“

Ich schätzte Guillaume wirklich für seine Worte, allerdings half mir das in diesem Moment nicht weiter.

„Mais quoi faire?“, fiel ich ebenfalls ins Französische. Was sollte ich tun?

„Wie wäre es denn mal mit Urlaub?“, schlug Guillaume vor. „Wann warst du denn das letzte Mal richtig weg?“

„Öh…“, machte ich und musste einmal wirklich überlegen.

„Eh ben…tu vois?“, sagte er und ich konnte eine Spur Triumph in seiner Stimme hören.

„Ja, vielleicht hast du recht…“, gab ich zu, wenn auch etwas widerwillig.

„Willst du mich vielleicht besuchen kommen?“, schlug er vor. „Vielleicht bringt Paris dich auf andere Gedanken.“

„Na ja, erst einmal muss ich auf das Haus meiner Eltern aufpassen. Danach werde ich weitersehen.“

„Überleg’s dir. Du bist hier immer willkommen.“

„Je sais.“ – Ich weiß.

„Bon…Mach dir nicht zu viele Sorgen. Das macht Falten“, sagte Guillaume. Ich musste lächeln, auch wenn er das nicht sehen konnte.

„Ich versuche es. Ich melde mich bald wieder bei dir“, versprach ich. „Salut.“

„Salut, mon amour“, antwortete Guillaume und ich musste noch einmal kichern. Er gab es wohl nie auf.

Nach dem Gespräch mit Guillaume fühlte ich mich wirklich ein wenig besser. Und wenn sogar er sagte, dass ich mal Urlaub machen sollte…Ich war halt immer so beschäftigt und darauf bedacht, meine Projekte rechtzeitig abzugeben. Schließlich hing ja mein Unterhalt davon ab, aber irgendwie war mir das für einen Moment egal. Nun ja, erst einmal würde ich mich um das Haus meiner Eltern kümmern und dann würde ich weitersehen.

Ich machte wieder meinen Laptop an und rief noch einmal das Dokument mit dem Namen „L“ auf. Leere. Zumindest war das Dokument jetzt nicht mehr ganz so leer. Leere – ein Wort, das Leere/leer bedeutet, aber eigentlich gar nicht so leer ist. Ein Wort, das nichts und doch alles bedeutet, ein Wort, das leer ist und doch so viel Inhalt halt. Zumindest dieses Dokument war jetzt nicht mehr leer. Komisch wie sehr einem erst die Bedeutung eines Wortes oder seine Gegensätzlichkeit bewusst wird, wenn man erst einmal darüber nachdenkt. Leere. Was ist Leere?, tippte ich auf den Bildschirm, um meine Gedanken auf dieses imaginäre Papier zu bringen. Mir war bewusst, dass das eigentlich nur Worthülsen waren, aber manchmal tat es gut, so etwas aufzuschreiben.

Ich wusste schon früh, dass ich am liebsten Schriftstellerin werden wollte. Oder eben irgendwas mit Schreiben, denn ich konnte mich schon immer besser auf Papier ausdrücken, als wenn ich Dinge gesagt habe. Beim Sprechen hatte ich immer das Gefühl, ich kann gar nicht so viel sagen, wie ich denke. Papier ist da sehr viel geduldiger. Ja, öfters hat man mir sogar gesagt, ich würde so wenig sagen und ich solle doch mal den Mund aufmachen. Ich habe das nie so richtig verstanden, denn warum sollte ich denn mehr sagen als notwendig, wenn ich den Rest aufschreiben kann?

Schließlich habe ich mich dann für ein Journalismus-Studium entschieden, denn damit – so redete ich es mir zumindest ein – hätte ich am ehesten Chancen, in der Branche zu landen. Das Studium hat mir auch sehr viel Spaß gemacht, bis ich dann ein paar Jahre später mit der harten Welt der Branche konfrontiert wurde. Ich habe es zwar irgendwie immer geschafft, irgendwie über die Runden zu kommen, aber so ganz zufriedenstellend war das dann doch nicht. Ich war dann echt glücklich, als ich meine ersten kleinen Geschichten – Liebesgeschichten – erfolgreich veröffentlichen konnte. Damit hatte ich das Rad nicht neu erfunden, denn es ging immer mehr oder weniger um Frauen, die das Glück suchten – meistens in Form einer glücklichen Beziehung. Ich weiß nicht so genau, warum ich gerade solche Geschichten geschrieben habe. Vielleicht, weil es mir so einfach erschien, die Welt zu idealisieren. Wünscht sich nicht fast jede Frau eine glückliche Beziehung beziehungsweise definiert man sein Glück nicht allzu oft darüber, ob man in einer Beziehung ist oder nicht?

Vielleicht war das ja auch einfach Wunschdenken, weil ich das Gefühl hatte, dass mein Leben einfach so unglaublich chaotisch war und ich in der Liebe offensichtlich auch kein Glück hatte.

„Du musst mal mehr rausgehen“, war der ständige Ratschlag meiner Mutter, wenn sie sich erkundigte, ob ich denn einen Freund hätte und ich jedes Mal verneinte. Offensichtlich hatte sie bereits Angst, dass sie enkellos sterben würde. Na ja, da gab es zumindest noch Tim.

„Irgendwann, Mama“, versprach ich ihr dann immer. Und manchmal glaubte ich es selbst.

„Herbert, sag doch auch mal was. Oder willst du, dass wir komplett ohne Enkel von der Erde verschwinden?“

„Hm…“, war dann die typische Reaktion meines Vaters, dem das Thema offensichtlich weniger wichtig war als meiner Mutter. Meistens war das Thema dann allerdings auch schon vorbei und es gab Wichtigeres zu besprechen.

Leere ist nicht leer, tippte ich weiter. Einfach, weil ich nichts Besseres zu tun hatte. Und dann: Leer ist auch nicht leer. Was sollte das denn jetzt? Ich überlegte, den Satz wieder zu löschen, ließ ihn aber dann doch stehen.

Fühlte ich mich leer? Physisch gesehen war ich es jedenfalls nicht, aber je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr musste ich wieder an die Worte von Doktor Keimel denken. Und auch an das Angebot von Guillaume, ihn zu besuchen. Aber eigentlich hatte ich gar nicht so viel Lust auf Paris. Hamburg war für mich von der Größe schon grenzwertig, aber Paris war mir dann doch eine Nummer zu viel. Zu viele Menschen…

Alles mit der Ruhe, sagte ich mir und atmete noch einmal tief durch. Es wird alles gut.

Kapitel 4

Ich hatte keine Ahnung, wie ich den Rest der Woche überstanden hatte. Mein Tag bestand in der Regel aus Aufstehen, Frühstücken und dann irgendwie die Zeit zwischen den Mahlzeiten totschlagen. Ich hatte wirklich versucht, aus meiner aktuellen Krise (eigentlich wollte ich meine Situation so nicht beschreiben) herauszukommen, indem ich spazieren ging und vielleicht beim Anblick eines Baumes, durch ein Geräusch oder sonst irgendeinen Input einen Geistesblitz zu bekommen. Aber da war nichts. Und ich hatte das Gefühl, je krampfhafter ich es versuchte, desto weniger Ideen hatte ich, welche ich doch so unbedingt brauchte. Ich hatte mich auch zwischendurch hin und wieder bei Guillaume ausgejammert, doch wir beide wussten, dass er mir auch nicht weiterhelfen konnte. Ça va aller, chérie, hatte er immer nur wieder geschrieben – es wird alles schon irgendwie gehen.

Jeden Tag das gleiche: Aufstehen, Frühstücken, nichts tun. Und am nächsten Tag wieder: Aufstehen, Frühstücken, nichts tun.

Darum war ich nahezu froh, als ich mich am Sonntagnachmittag ins Auto setzte und zu meinen Eltern fahren konnte, die etwas außerhalb von Hamburg wohnten.

„Da bist du ja endlich!“, rief meine Mutter aus, als sie mir die Tür öffnete. Endlich? Ich dachte schon, ich wäre zu früh.

„Hallo Mama“, begrüßte ich sie und beugte mich etwas runter, um sie auf beide Wangen zu küssen.

„Dein Vater ist im Wohnzimmer“, wies sie mich an, als ich über die Türschwelle getreten und an ihr vorbeigegangen war. Eigentlich wusste ich bereits, wo mein Vater zu finden war, denn er verbrachte ungefähr achtzig Prozent des Tages damit, in seinem Sessel zu sitzen und zu lesen.

„Hallo Papa“, begrüßte ich ihn. Er schaute von seinem Buch auf und über seine Brillengläser hinweg.

„Na, wer macht uns denn mal wieder die Ehre?“, fragte er rhetorisch. Ich schaute leicht schuldbewusst drein.

„Gibt halt viel zu tun“, meinte ich so zerknirscht wie möglich.

„Jaja, die Leute von heute immer. Die haben ja immer sooo viel zu tun“, sagte er und machte dabei eine leicht theatralisch-dramatische Handbewegung.

„Herbert, jetzt lass doch mal Maia in Ruhe“, beschwerte sich meine Mutter, die gerade ins Wohnzimmer getreten war.

„Ach, ich mach doch nur Spaß“, erwiderte er.

„Maia, Schatz, möchtest du etwas essen? Ich habe extra Kuchen gebacken.“