Eiger − Die längste Nacht meines Lebens - Andrea Wisthaler - E-Book

Eiger − Die längste Nacht meines Lebens E-Book

Andrea Wisthaler

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Beschreibung

Paul, Alex, Ludwig, Ruben, Maarten und Andrea – sechs junge Bergsteiger aus Südtirol, Bayern und Belgien – sind auf dem Osteggrat unterwegs in Richtung Eiger. Die Schlüsselstellen der Tour haben sie bereits gemeistert und es trennen sie nur noch ein paar hundert Meter von ihrem Tagesziel, der Mittellegihütte, als es plötzlich anfängt zu regnen. Was am Anfang noch nach einem leichten Sommergewitter aussieht, wandelt sich viel zu schnell zu einem schrecklichen Wettersturz mit Gewitter, stürmischem Wind, Regen, Hagel und Schnee. Binnen weniger Minuten ist der komplette Grat von einer Schnee- und Eisschicht überzogen; Nebel beschränkt die Sicht und die Nacht bricht langsam herein. An ein Weiterkommen ist nicht mehr zu denken. Ein Rettungsversuch der Rega (Schweizerische Rettungsflugwacht) scheitert aufgrund der Wetterlage, auch die Prognosen für den nächsten Tag sind mehr schlecht als recht. Ihnen bleibt nichts übrig als mitten auf dem Grat ein Notbiwak zu errichten. Es beginnt die wohl längste und härteste Nacht ihres Lebens – ein wahrer Kampf ums Überleben, bei dem nur eines zählt: nur nicht einschlafen! Andrea, jüngste und einzige Frau der Runde, erzählt wie sie diese Nacht überlebt hat und teilt ihre Gedanken, Ängste, und Hoffnungen.

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Seitenzahl: 132

Veröffentlichungsjahr: 2022

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„Genieße jeden Moment, selbst wenn er dir gerade noch so miserabel vorkommt. Das Leben ist einfach einzigartig und wunderbar.”

Inhalt

VORWORT

ANREISE

DIE ERSTEN SCHRITTE

ES GEHT LOS

SCHAURIGER SCHAUDER

HEUTE WERDEN WIR HIER ALLE STERBEN

NOTBIWAK AUF 3200 METERN

17 STUNDEN

SENTIMENTAL ANDY

ALLES FÄLLT – GANZ EGAL

DIE LÄNGSTE STUNDE MEINES LEBENS

ALLES WIRD GUT

WIE BRINGE ICH DAS BLOSS SEINER MUTTER BEI?

HEIMREISE

FEHLERANALYSE

DANKSAGUNG

Auf dem Gipfel des Delagoturms

Die Randspalte mit Abbruch bei der Eiskapelle

VORWORT

A m 30. September 2018 besteigen Paul Knollseisen und ich die Watzmann-Ostwand in den Berchtesgadener Alpen. Überschattet wird diese Tour allerdings von einem tragischen Unglück. Ein junger Bergsteiger aus Erding bricht bei der sogenannten Eiskapelle, zusammen mit Unmengen Eis, ungesichert in eine 50 Meter tiefe Randspalte. Wir sind die Ersten vor Ort und eilen zur Unglücksstelle. Da wir nur ein kurzes Seil haben, fragen wir zwei andere Bergsteiger hinter uns nach einem längeren. Die zusammengeknüpften Seilstücke reichen leider immer noch nicht aus, um uns in die Randspalte abseilen zu können. Wir sind machtlos und können nichts tun, außer dem geschockten Begleiter des Verunglückten Beistand zu leisten. Auch die Bergwacht muss den Bergungsversuch ohne Erfolg abbrechen. Der junge Familienvater aus Erding kann erst elf Tage später tot geborgen werden.

Ein paar Tage nach dem Unglück erhalte ich über Instagram eine Anfrage von Alex. Er ist einer von zwei Passauern, die an jenem Tag ebenso Zeugen des großen Unglücks für den jungen Bergsteiger waren. Es wird kurz hin- und hergeschrieben, wir liegen auf einer Wellenlänge und beschließen: Lass uns mal eine Tour zusammen machen. Bereits einen Monat später klettern wir gemeinsam die Delagokante an den Vajolettürmen.

Abends versumpfen wir mit viel bayerischem Bier und italienischem Wein und schmieden bereits den nächsten Plan. Der Eiger, der wär’s doch mal! Gleich wird der 13. bis 15. Juli 2019 im Kalender notiert, Urlaub beantragt und die Hütten sind auch schon bald reserviert. So steht diesem großen Abenteuer nichts mehr im Weg.

ANREISE

S amstag, 13. Juli – fünf Uhr. Der Wecker klingelt. Ich bin sofort hellwach. Auch wenn ich sonst gerne lang schlafe, fällt mir das Aufstehen heute kinderleicht – immerhin ist es doch der Versuch, einen lang ersehnten Traumberg zu besteigen, für den ich mich aus dem warmen Bett winde. Etwas zum Anziehen habe ich mir schon am Vorabend bereitgelegt: Bequeme Jogginghosen und einen kuscheligen Schlabberpulli, um die lange Autofahrt möglichst angenehm zu verbringen. Auch der Rucksack ist schon gepackt. Habe ich wirklich an alles gedacht? Ich checke gedanklich nochmals alles durch, von Kopf bis Fuß, von Socken bis Mütze und von Steigeisen bis Friends1, damit ja nichts übersehen wird. Wäre ganz schön blöd, in Grindelwald zu stehen und etwas Wichtiges vergessen zu haben. Nein, es müsste passen, ich bin ja sicher alles 15 Mal durchgegangen. Licht aus, Rucksack aufsetzen und schon fällt die Tür hinter mir ins Schloss. Ich laufe die Treppen hinab, meine bequemen grauen Sneakers federn mich ab. Das wird sich in den nächsten Tagen mit den klotzigen Bergschuhen wohl ändern.

Mein Bergkumpel Paul Knollseisen ist pünktlich wie immer und wartet schon im Auto vor meinem Haus. „Hooooi, wie schaugs aus, bisch du aa soffl motiviert wia i??“, (Hallo, wie schaut es aus, bist du auch so motiviert wie ich?) lacht er mir entgegen. „Jo faalz lamma, i bin soffl nervees“, (Ja bist du wahnsinnig, ich bin so dermaßen nervös) kann ich ihm nur zustimmen.

Treffpunkt mit den deutschen Jungs – Alex und Ludwig – ist am Innsbrucker Flughafen, von dort fahren wir gemeinsam weiter. Aber zuerst brauchen wir einen Kaffee, und zwar einen italienischen, da sind wir uns einig. Paul hat dafür die passende Idee: Eine Raststätte, die ich selbst immer nur für eine Art Museum hielt, beschert uns ein gutes Frühstück. Cappuccino und Schokogipferl für mich, Latte Macchiato und ein Spitzbub (ein großer Doppelkeks mit Marmelade) für Paul. Ein wenig zu heiß ist der Latte, weshalb Paul länger braucht und wir uns wohl fünf Minuten verspäten werden. Team Deutschland wartet bereits am Flughafen und teilt das über unsere WhatsApp-Gruppe mit. „Team Südtirol wird sich fünf Minuten verspäten, italienischer Kaffee musste noch sein“, antworte ich keck mit einem Zwinker-Smiley. „Frechheit“, kontert Ludwig aus dem deutschen Team bissig. Aus den fünf Minuten werden zehn und endlich sind wir da. Ludwig frühstückt noch und beißt genüsslich in sein belegtes Brot. Paul muss ihn natürlich sofort mit der Frage necken, ob er nicht ohnehin schon zu dick wäre. Wir müssen lachen.

Es wird relativ schnell entschieden, mit Pauls Auto zu fahren, das mehr Beinfreiheit an den hinteren Sitzplätzen bietet. Nach dem Umzug der kompletten Ausrüstung unserer deutschen Mitfahrer sitzen endlich alle im Wagen. „Und, seid ihr bereit?“, fragt Alex. „Was denkst, ich bin so heiß auf die Tour!“, kommt es von Ludwig wie aus der Pistole geschossen. Ich schaue ihn an und sehe sein breites Grinsen, seine leuchtenden Augen. Auch wir bekunden äußerste Motivation und starten. Sechs Stunden mindestens werden wir im Auto verbringen, ich sichere mir daher gleich den besten Schlafplatz, hinten rechts. Das Kissen liegt bereits in Position und wartet nur darauf, dass ich meinen Kopf hineinkuschle – und so nicke ich bereits nach der ersten Kurve ein.

Irgendwann wache ich wieder auf und checke, wo wir sind: Kurz vor der Schweizer Grenze. Wir müssen noch die Vignette kaufen und die Jungs haben Hunger. „Hey Siri, wo ist das nächste McDonald’s?“, spreche ich in mein Telefon. Es zeigt mir einen Standort nur fünf Minuten entfernt, top. Nach mittagessen ist mir eigentlich noch nicht zumute, aber wer weiß, wann wir das nächste Mal etwas zwischen die Zähne bekommen. Wir geben fast 20 Franken für ein McMenü aus – herzlich willkommen in der Schweiz –, an die Preise werden wir uns in den nächsten Tagen wohl gewöhnen müssen.

Paul ist müde und fragt mich, ob ich jetzt übernehmen und weiterfahren könnte. Als ich das letzte Mal mit seinem Wagen unterwegs war, platzte nach zehn Minuten der Reifen. Scherzend, ob er denn ein Reserverad dabeihabe, steige ich in den Wagen. Das Navi zeigt nur noch zwei Stunden Fahrzeit an. Ich fahre ganz gemütlich und lasse dabei meinen Blick immer wieder über die Umgebung schweifen. Plötzlich werde ich von einem Anblick fast erschlagen: Majestätisch glänzt zu unserer Linken ein mächtiger Berg in der Sonne und überschattet alles andere um ihn her. Ein weißes Häubchen ziert sein Antlitz – schaut frisch aus, der Schnee. Ich überlege, ob das wohl der Mönch sein könnte und beantworte mir die Frage selbst mit meiner App Peak-Finder2. Die Lust aufs Bergsteigen wird immer größer, doch zuerst müssen wir noch Proviant einkaufen. Denn die Ostegghütte am Eiger, wo wir die erste Nacht verbringen werden, ist eine Selbstversorgerhütte.

Alex und ich packen unsere Rucksäcke auf dem Parkplatz von Grindelwald Grund in der Schweiz

Wir halten an einem Supermarkt und kaufen Nudeln und Tomatensoße fürs Abendessen sowie etwas Brot, Marmelade und Nutella fürs Frühstück. Ich frage die Jungs zweifelnd, ob das Brot wohl reichen wird. Sie glauben schon, trotzdem nehme ich noch eine Packung mehr mit, da ich generell immer zu wenig sehe. Lieber schleppe ich ein paar Gramm mehr mit, als zu verhungern. Eine Viertelstunde Autofahrt später stehen wir am Parkplatz des Bahnhofs Grindelwald Grund.

Wir packen unsere Rucksäcke fertig, sprechen uns noch schnell ab, wer welches Material mitnimmt und schnüren unsere Bergschuhe. „Geh leck, ist der schwer“, ächzt Ludwig, als er seinen Rucksack auf den Rücken hievt. Uns geht es nicht anders, auch unsere Rucksäcke haben ordentlich Gewicht. Das erste Stück werden wir – entgegen dem ursprünglichen Plan – mit der Zahnradbahn zurücklegen, sonst würde die gesamte Tour zu heftig werden, haben Paul und ich entschieden. Alex und Ludwig hatten vorgeschlagen, direkt von Grindelwald ohne weitere mobile Hilfsmittel zu starten. Die Tour wird uns auch so noch einiges abverlangen, weswegen ich es für mehr als vernünftig halte, am ersten Tag die Kräfte noch etwas zu schonen. Außerdem ist die Strecke, die wir mit der Zahnradbahn abkürzen, ein nicht besonders schöner und endloser Haatscher, ein recht freudloser und langer Weg.

Ich kaufe für alle Tickets am Schalter der Bahn, und da wir noch genügend Zeit haben, führe ich mit der Ticketdame ein nettes Gespräch. Sie erklärt mir, dass maximal 5000 Leute pro Tag auf das Jungfraujoch fahren dürfen, im Sommer wird dieses Kontingent fast regelmäßig ausgeschöpft. Die Kopfrechnung ist schnell gemacht, bei einem Preis von etwa 200 Franken für Berg- und Talfahrt sind das dann ... Waaas?, das macht ja eine Million Franken pro Tag! Ich bin überrascht. Was für eine enorme Summe! Der Großteil der Besucher stammt dabei aus Asien. Blickt man in die Runde, sieht man Grüppchen nicht sehr großer, zarter Männer und Frauen mit Spiegelreflexkameras und dunklen Sonnenbrillen. Der Wechselkurs sei extrem gut, erklärt mir die Dame hinter dem Schalter. Sie erzählt mir auch, dass sie in Südtirol oft Urlaub macht und wie schön wir es dort haben. „Erzähl mir etwas, was ich noch nicht weiß!“, erwidere ich lächelnd. Wir berichten ihr natürlich auch von unserem Vorhaben, den Eiger zu besteigen. Nach einer halben Stunde netter Plauderei habe ich den Eindruck, ihr sympathisch zu sein und frage sie, ob sie nicht ein Schweizer Souvenir für uns hätte. „Natürlich, en Schwiizer Pass kriegt ihr fe mir“, (Natürlich, einen Schweizer Pass bekommt ihr von mir) kontert sie schlagfertig und mit vollem Ernst. Ich hätte zwar eher an eine Jungfraujoch-Anstecknadel oder einen Eiger-Magnetsticker für den Kühlschrank gedacht, aber auch das kleine Faltblatt mit Infos über die Zahnradbahn, das Jungfraujoch, die Eiger-Erstbesteigung usw., das auch jeder andere Gast kostenlos haben kann, nehmen wir dankend und schmunzelnd an. Wenige Minuten später sitzen wir in der Zahnradbahn. Mein Blick schweift durch die Reihen. Wirklich sehr viele Asiaten hier. Eine chinesische Frau trägt einen Mundschutz. Wovor hat sie wohl Angst? Ich knipse schnell heimlich ein Foto, da es mir ehrlich gesagt lächerlich vorkommt. Dass ein paar Jahre später kein Mensch mehr ohne Mundschutz in die Öffentlichkeit darf, war an diesem Tag noch in keiner Weise vorstellbar.

Zwischen all den belegten Sitzreihen finde ich zwei mal vier freie Plätze. Perfekt – einmal für uns und einmal für unsere Rucksäcke. Wir nehmen Platz und ich habe das Gefühl, von allen Seiten angestarrt zu werden. Köpfe werden zusammengesteckt, Geflüster hier, Gekicher da. Was diese Leute wohl über uns denken? Eigentlich egal. Ich blättere in meinem ,Schweizer Pass‘ und lese von der Erstbesteigung der Eiger-Nordwand mit dem tragischen Unglück, und warum diese Wand schon so viele Todesopfer forderte und auch heute noch fordert. Ich bin der Meinung, die Eiger-Nordwand ist eines der ganz großen Ziele eines Alpinisten. Es muss einfach überwältigend sein, solch eine Wand durchsteigen zu können.

MIt der Zahnradbahn geht es Richtung Alpiglen

Vor gewissen Typen wie zum Beispiel Roger Schäli, dem Mr. Eiger, der bereits über 50 Mal die Eiger-Nordwand durchstiegen hat, ziehe ich den Hut. Der Eiger ist zwar sein Hausberg, aber eben auch eine große Hausnummer, mit einer Wand, die man nicht einfach mal so nach dem Nachmittagskaffee durchsteigt – außer man heißt eben Roger Schäli. Auch Ueli Steck, die Swiss Machine, war ein solcher Kandidat. Ihn durfte ich sogar einmal bei einer Hochtourenwoche in der Schweiz kennenlernen und ein paar Worte mit ihm wechseln. Er hält bis heute den Speed-Rekord an der Eiger-Nordwand. In unglaublichen zwei Stunden und 22 Minuten hat er es geschafft, die 1800 Meter hohe Fels- und Eiswand zu durchsteigen. Unfassbare Leistungen. Leider ist Ueli 2017 bei einer Trainingstour im Himalaya mit nur 40 Jahren verunglückt. Ich wäre schon überglücklich, wenn unser – vergleichsweise noch recht harmloser – Plan aufgehen würde: Die komplette Gratüberschreitung des Mittellegigrats von der Ostegghütte aus – Eiger Integral genannt.

„Nächster Halt Alpiglen, Halt nur auf Verlangen“, ertönt es durchs Mikrofon. Alex eilt zum Stopp-Knopf, damit wir auch aussteigen dürfen. Das urige Bergdorf auf 1600 Meter Meereshöhe ist der Startpunkt unserer Tour. Ab jetzt sind es nur mehr unsere Füße, die uns Schritt für Schritt und Meter für Meter bis auf die 3967 Meter Höhe des Eigers führen sollen.

1 Klemmgerät in verschiedenen Größen – dient als mobiles Sicherungsmittel im Fels.

2 Applikation, die ein 360°-Panorama mit den Namen aller Berge anzeigt.

DIE ERSTEN SCHRITTE

D ie ersten Schritte sind immer so anstrengend, bis man sich an das Gewicht des Rucksacks und die schweren Schuhe gewöhnt hat. Ich gehe etwas nach vorne gebeugt leicht in die Knie, federe mich nach oben und gebe meinem Rucksack damit einen Kick, er hebt sich von meinem Rücken ab und zeitgleich verstelle ich schnell den Hüftverschluss, bis er eng anliegt. Nun trage ich das Gewicht des Rucksacks mehr auf den Hüften als auf den Schultern, das ist angenehmer. „Stopp mal!“, schreit Paul von hinten. Er möchte ein Foto von mir vor der Eiger-Nordwand und kniet bereits mit seiner Spiegelreflexkamera im Anschlag, die er eigens mitgenommen hat, um ein paar tolle Schnappschüsse zu machen. Mit dem Zeigefinger Richtung Nordwand deutend lächle ich in die Kamera und denke dabei an Julia Engelmanns3 Worte: One day, baby ... Wir gehen mit gemächlichem Schritt weiter, Stress haben wir heute keinen. Wir müssen nur etwa zwei Stunden und rund 800 Höhenmeter bis zur Ostegghütte marschieren. Die Temperatur ist angenehm, eigentlich recht kühl, ich schwitze aber trotzdem, weil ich einfach immer schwitze. Ich bin froh, eine kurze Hose zu tragen, der Rest der Truppe ist in langen Hosen unterwegs. Laut Tourenbericht soll uns kurz vor der Hütte ein kleiner Klettersteig erwarten, nicht schwierig, aber oft nass. Klettersteigset haben wir keines dabei. Wenn wir den Eiger und einige V4-er Seillängen meistern wollen, werden wir die kurzen Klettersteig-Passagen wohl ohne Sicherung klettern können, war unser Gedanke. Wir stehen bereits vor der mit dicken Drahtseilen gesicherten Wand, die tatsächlich verdammt nass wirkt. Wir beschließen, schnell ein improvisiertes Klettersteigset aus einer Bandschlinge und einem Karabiner zu basteln, um wenigstens den Totalabsturz zu vermeiden, sollte jemand abrutschen. Das Drahtseil ist nass und kalt, doch um die Handschuhe auszupacken, ist die Strecke zu kurz – Bergsteigerfaulheit lässt wieder mal grüßen. Wir klettern die paar Meter hoch, die Schwierigkeiten lassen auch gleich wieder nach.

Am Fuße der Eiger-Nordwand geht es gemütlich los

Herrlicher Ausblick auf das grüne Grindelwald

Zustieg zur Ostegghütte

Ludwig ist uns ein paar Schritte voraus und wir hören ihn rufen: „Ich kann die Hütte sehen!“ Motiviert durch seine Worte legen wir einen Schritt zu, und ums nächste Eck biegend sehen wir bereits die kleine Hütte in greifbarer Nähe. Idyllisch und einsam steht sie da. Ich freue mich und hoffe, dass wir die Einzigen sind, die heute hier übernachten. Plötzlich höre ich jemanden aus der Ferne rufen, blicke bergauf und sehe zwei Männer, die gerade im Abstieg sind. Die werden sich wohl noch den Einstieg angeschaut haben, bin ich mir ziemlich sicher. Die Hütte ist offen, ich trete ein und sehe mich um. Ein Ofen, Holz, eine Kochzeile, Bier, Wasser, Wein und Säfte, die neben dem Waschbecken stehen, dreistöckige Betten für insgesamt zwölf Personen, ein großer Tisch, ein Hüttenbuch, Tourenbeschreibungen, kurzum – eine perfekt ausgestattete Selbstversorgerhütte. Sicher werden wir hier eine gute Nacht verbringen.