Ein bisschen Kowalski gibt es nicht - Shannon Stacey - E-Book

Ein bisschen Kowalski gibt es nicht E-Book

Shannon Stacey

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Beschreibung

Moment mal - die hübsche Lady da am Tresen wird belästigt! Doch als Kevin Kowalski, Besitzer der Sportsbar, ihren aufdringlichen Verehrer k.o. schlägt, erlebt er gleich mehrere Überraschungen. Die erste: Das Opfer, Beth Hansen, ist sauer auf ihn, statt dankbar zu sein. Der Typ da auf dem Kneipenboden ist nämlich ihr Boss! Und dank Kevin ist sie jetzt ihren Job los. Die zweite: Nicht lange, und er sieht Beth wieder - was in einem heißen One-Night-Stand endet. Die dritte: Kevin wird Daddy! Und die vierte Überraschung: Beth denkt gar nicht daran, ihn in ihr Leben zu lassen. Aber Kevin nimmt es sportlich. Gewinner ist schließlich der, der zuerst am Ziel ankommt. Und seines ist glasklar: Beth, Baby und Flitterwochen.

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Seitenzahl: 348

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Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind Vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Shannon Stacey

Ein bisschen Kowalski gibt es nicht

Roman

Aus dem Amerikanischen von Alexandra Hinrichsen

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH, Valentinskamp 24, 20354 Hamburg Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2013 by MIRA Taschenbuch in der Harlequin Enterprises GmbH Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe: Undeniably Yours Copyright © 2010 by Shannon Stacey erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln Redaktion: Daniela Peter Titelabbildung: Thinkstock / Getty Images, München Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz Satz: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN 978-3-86278-800-2

www.mira-taschenbuch.de

1. KAPITEL

Oktober

Jedes Mal, wenn die New England Patriots einen Platz in der Tabelle aufrückten, gönnte Kevin Kowalski sich einen One-Night-Stand.

Ein Sieg für sein Team bedeutete einen Sieg für ihn. Es war zwar nicht so, dass er sonntags unbedingt Gesellschaft brauchte, aber es gab immer eine Menge Angebote. Kevin schob ein Glas Bier über den Holztresen der besten Sportsbar der Hauptstadt von New Hampshire – seiner Bar. Dann hob er den Kopf und bemerkte, dass eine Blondine ihn beobachtete. Die Patriots gingen gerade in Stellung, aber statt gebannt auf den Bildschirm zu schauen, sah sie ihn an. Ein sicheres Zeichen, dass heute nicht nur der Quarterback seiner Mannschaft zum Schuss kommen würde.

Seltsamerweise ließ die Blondine mit den aufgespritzten Lippen, Silikonbrüsten und anzüglichen Blicken ihn aber völlig kalt.

Das lag an der Dunkelhaarigen am Ende der Bar. Nicht unbedingt, weil sie hübsch war und eine tolle Figur hatte. Gut, zugegeben, beides schadete auch nicht gerade.

Trotzdem gab es einen anderen Grund, weswegen Kevin sie im Auge behielt. Der Typ, mit dem sie da war, hatte mehr als genug, trank aber lustig weiter. Er mochte spießig aussehen in seinem gebügelten Hemd und den Stoffhosen, benahm sich im Moment aber wie jeder betrunkene Mistkerl. Entweder hatte er schon ein paar Cocktails gekippt, bevor er in die Bar gekommen war, oder er konnte nichts ab. Die paar Scotchs, die er hier getrunken hatte, durften einen Mann eigentlich nicht umhauen.

Jedenfalls wurde er aufdringlich, und der Dunkelhaarigen war deutlich anzumerken, dass sie am liebsten abgehauen wäre. Das war ihrem Begleiter aber offensichtlich egal, denn er versuchte schon wieder, sie zu betatschen. Sie wehrte ihn ab, und sofort ging das Spiel wieder von vorn los.

In Jasper’s Bar & Grille gab es nur drei Regeln: keine Kippen, keine Handgreiflichkeiten, keine sexuelle Belästigung. Wenn eine Frau Nein sagte, dann meinte sie auch Nein. Und damit basta.

Die Patriots machten den nächsten Punkt, und alles johlte vor Begeisterung, sodass die Gläser hinter der Bar klirrten. Die Blondine hüpfte auf ihrem Barhocker auf und ab, und ihre Brüste hüpften mit. Der betrunkene Spießer hob das Glas und schwenkte es in Kevins Richtung, weil er mehr wollte.

Kevin ging zu ihm rüber, allerdings ohne Nachschub zu liefern. „Hör mal, Alkohol gibt es für dich nicht mehr, aber ich mache dir gern einen Kaffee oder bringe dir eine Cola.“

Der Spießer wurde knallrot, und Kevin seufzte. Es war also einer von der Sorte. Als der Typ den Hintern vom Barhocker schwang, nickte Kevin Paulie zu. Die verdrehte die Augen und griff zum Telefon.

„Ich bin nicht blau, gib mir noch einen Scotch!“, rief der Spießer.

Die Dunkelhaarige legte ihm eine Hand auf den Arm, damit er sich wieder hinsetzte. „Komm, Derek, lass uns einfach …“

„Für wen hältst du dich eigentlich, dass du mir Vorschriften machen willst?“, pöbelte er Kevin an.

„Mir gehört der Laden, und deshalb bestimme ich hier die Regeln.“

„Beth, sag diesem Arsch, dass ich jetzt sofort einen Whisky will!“

Kevin schüttelte den Kopf. „Kein Stück.“

Und dann ging alles sehr schnell. Der Spießer wollte ihm wohl eine verpassen, schwankte aber und stieß seine Begleitung mit dem Ellbogen fast vom Barhocker. Sie landete in den Armen des Gastes neben ihr, der offensichtlich erfreut über seinen Fang war. Kevin war dadurch kurz abgelenkt, der Spießer holte aus und traf ihn leicht am Kinn.

Dann starrte er Kevin erschrocken an. Offenbar fiel ihm erst jetzt auf, was er da gerade getan hatte. Bevor er Reißaus nehmen konnte, hatte Kevin ihn am Kragen gepackt. Als ehemaliger Polizist hatte er Erfahrung mit solchen Situationen.

Derek zappelte wie ein Fisch am Haken. Tatsächlich hätte er es fast geschafft, sich zu befreien. Kevin reichte es nun langsam, und er riss einmal kräftig den Arm nach unten, woraufhin Dereks Nase unsanft Bekanntschaft mit dem Tresen machte.

Er heulte auf wie ein Kleinkind … und die anderen Gäste flippten aus. Das Stammpublikum war zwar eher harmlos, aber die Männer hatten natürlich absolut nichts gegen eine gepflegte Prügelei.

Okay, okay, Prügelei war in diesem Fall stark übertrieben. Derek hielt sich die Hand unter die Nase, versuchte, die Blutung zu stoppen, und schrie wie am Spieß. Die Gäste zuckten zusammen, als wäre eine Sirene losgegangen.

„Ruhe jetzt, Mann, oder ich geb dir eins auf die Zwölf“, schrie Kevin ihn an, was seine Gäste natürlich weiter anstachelte.

„Ja, los, zeig’s ihm!“

„Oh Gott, seine Nase!“ Beth befreite sich aus der Umarmung des Gastes neben sich und schnappte sich ein paar Servietten von der Bar. Die wollte sie unter Dereks Nase halten, aber der stieß sie weg.

Als in dem Moment zwei Polizisten hereinkamen, wurde es endlich still in der Bar, und das Gejohle erstarb. Derek hörte auf zu kreischen und begann stattdessen, verzweifelt zu stöhnen.

„Hey, Kowalski!“, rief der ältere der beiden Gesetzeshüter.

„Hey, Jonesy. Hat dein Vater sich über die Karten für das Spiel gefreut?“

„Machst du Witze? Zehnte Reihe, genau an der Fünfzig-Yard-Linie! Er war begeistert! Ich soll dich herzlich von ihm grüßen.“

„Hab ich gern gemacht“, sagte Kevin, ohne Dereks Kragen loszulassen. Er nutzte jede Gelegenheit, um seine guten Beziehungen zum örtlichen Polizeirevier zu pflegen. Nicht nur, weil er früher in Boston selbst für die Truppe gearbeitet hatte, sondern weil jeder kluge Barbesitzer das tat. „Ich hab hier einen Kandidaten für dich.“

„Was ist dem denn passiert?“

„Ist mit dem Gesicht auf den Tresen geknallt. Passiert immer wieder mal, du weißt ja, wie das ist.“

Kevin ließ Derek los, und bevor Jonesy dessen Handgelenke packen konnte, versuchte der Idiot, aus der Bar zu fliehen.

Jonesys junger Kollege wollte ihn stoppen, stolperte aber über Beths ausgestrecktes Bein. Ob das Zufall gewesen war, durfte bezweifelt werden, aber zumindest sah es nicht zu offensichtlich nach Absicht aus. Der Polizist landete auf dem Boden. Jonesy sprang über seinen Partner hinweg und sprintete, so schnell es in seinem Alter noch ging, hinter Derek her.

Beth hyperventilierte beinahe.

Entschlossen warf Jonesy sich schließlich mit der vollen Wucht seiner einhundert Kilo auf Derek und brachte ihn zur Strecke, während sein Partner sich gerade wieder aufrappelte. Der zückte die Handschellen, und Applaus brandete in der Bar auf. Allerdings waren die Handschellen wohl überflüssig – es sah nicht so aus, als würde Derek noch weiter Widerstand leisten wollen.

„Warum tun Sie ihm das an?“

Kevin musterte die Dunkelhaarige, die genauso wütend zu sein schien wie ihr am Boden liegender Begleiter. „Ich tu ihm doch gar nichts! Und Sie scheinen vergessen zu haben, dass er Sie geschlagen hat!“

„Hat er doch überhaupt nicht! Er ist nur aus dem Gleichgewicht gekommen, als er Sie schlagen wollte!“

Klar, das machte die Sache natürlich besser! „Aber betatscht hat er Sie, oder habe ich mir das etwa auch eingebildet?“

Jetzt verdrehte diese Frau doch tatsächlich die Augen! „Das hatte ich voll unter Kontrolle.“

„Nein, unter Kontrolle ist der Kerl jetzt.“

„Hören Sie mal, es ist nicht so, wie Sie … Ach, vergessen Sie’s! Jedenfalls müssen Sie ihm jetzt helfen.“

Kevin schaute zu Derek hinüber. Der schwergewichtige Jonesy saß auf ihm drauf, und der junge Polizist ließ gerade die Handschellen zuschnappen. Im Moment hätte Kevin nichts für den Kerl tun können, selbst wenn er gewollt hätte – was nicht der Fall war.

„Ich werde Sie verklagen und Ihnen den letzten Cent abknöpfen!“, brüllte Derek über die Schulter hinweg. „Und du bist entlassen, du blöde Kuh!“

Oops. Kevin schaute Beth an. „Ich dachte, Sie hätten einfach nur ein mieses Date.“

Sie kletterte wieder auf den Barhocker und schüttelte genervt den Kopf. „Sie haben mich gerade meinen Job gekostet!“

Dank jahrelanger Erfahrung schaffte er es gerade noch, ihr nicht zu sagen, dass sie damit Riesenglück hatte. „Wie wäre es mit einem Bier?“, fragte er stattdessen.

Ein Bier? Glaubte dieser Rambo wirklich, dass ihr ein Bier jetzt noch helfen würde? Beth Hansen ballte die Fäuste, um ihn nicht an den Schultern zu packen und zu schütteln wie einen trockenen Martini.

Natürlich war Derek, so betrunken wie er war, ein echter Idiot. Das wusste sie auch. Aber damit kam sie klar. Sie hatte gelernt, ohne größere Probleme mit ihm fertigzuwerden. In den drei Monaten, die sie für ihn gearbeitet hatte, war er regelmäßig einmal die Woche in irgendeiner Bar abgestürzt.

Nachdem er die ersten drei Scotchs gekippt hatte, rief er sie an und behauptete, er hätte vergessen, irgendwas Wichtiges zu unterschreiben, und sie müsste sofort mit den Unterlagen in die Bar kommen. Als pflichtschuldige Sekretärin wies sie ihn natürlich nicht darauf hin, wie fadenscheinig seine Ausreden waren, sondern setzte sich in Bewegung und brachte den Vertrag vorbei. Auch sonntags. Anschließend versuchte Derek jedes Mal erfolglos, sie abzuschleppen, irgendwann bugsierte sie ihn ins Taxi, und am nächsten Tag taten sie beide so, als wäre nichts gewesen.

Das mochten vielleicht keine idealen Arbeitsbedingungen sein, aber sie hatte definitiv schon schlimmere Chefs gehabt.

Bedauerlicherweise war Dereks Lieblingsbar heute wegen Renovierung geschlossen gewesen, und so war er in Jasper’s Bar & Grille gelandet. Mit dem Effekt, dass er nun eine gebrochene Nase hatte und sie ihren Job los war.

Da half ein Bier weiß Gott auch nichts mehr.

Sie hob den Kopf und stützte das Kinn in die Hände. „Mussten Sie unbedingt gleich die Polizei rufen?“

„Ja.“

„Warum?“

Kevin lehnte sich an den Tresen und schaute sie an. Der Mann war wirklich beeindruckend groß. Und dann hatte er auch noch breite Schultern, blaue Augen, süße Grübchen und dunkle, leicht zerzauste Haare.

Sie schätzte ihn auf Mitte dreißig.

„Schon vergessen? Er hat mich ins Gesicht geschlagen!“

„Das konnte man wohl kaum einen Schlag nennen“, widersprach sie kleinlaut, weil er ja eigentlich recht hatte. „Außerdem hatte ich Derek schon fast im Taxi! Aber Sie mussten ja gleich ausflippen!“

„Hey, Kevin!“, rief ein junger Gast. „Machst du mir eine Kalte Ente?“

„Du bist hier in einer Sportsbar und nicht beim Sonntagsbrunch!“ Kopfschüttelnd drehte er sich wieder zu ihr um. „Ich habe ihm nur gesagt, dass er hier nichts mehr bekommt. Das ist als Eigentümer dieser Bar nicht nur mein gutes Recht, sondern sogar meine Pflicht, wenn jemand so offensichtlich betrunken ist. Außerdem halte ich nicht gern auch noch die andere Wange hin, wenn mir jemand eine verpasst.“

Okay, das sah sie ja ein. Es war wirklich nicht seine Schuld, dass ihr Chef ein Idiot war. Ihm jetzt Vorwürfe zu machen war ungerecht. Trotzdem liefen Dereks Besäufnisse sonst immer glimpflich ab. „Und da müssen Sie ihm die Nase brechen?“

„Das war keine Absicht. Er ist mir weggerutscht … gewissermaßen.“ Sein Lächeln war so unwiderstehlich, dass Beth kurz vergaß, wie verzweifelt und wütend sie war.

Sie wollte gerade etwas erwidern, als er sich zum oberen Fach des Regals hinterm Tresen hinaufstreckte und ein Geschirrhandtuch herunterholte. Dabei rutschte sein T-Shirt hoch und gab den Blick auf sein Sixpack frei. Beth machte den Mund wieder zu, weil ihr plötzlich entfallen war, was sie sagen wollte.

Kevin ging um den Tresen herum zu ihr, um Dereks Blut aufzuwischen. Sie verzog das Gesicht und rutschte einen Barhocker weiter. Nicht weil sie zimperlich gewesen wäre, sondern weil Kevin genauso gut roch, wie er aussah.

Dann wurde ihr der Blick auf ihn plötzlich von einer vollbusigen Blondine in einem aufreizend knappen Outfit versperrt. Die Blonde hielt Kevin eine Serviette hin, auf die sie etwas mit ihrem Lippenstift notiert hatte.

„Hi, Kevin“, hauchte sie wie Marilyn Monroe in ihren besten Zeiten. „Ich hab dir mal meine Nummer aufgeschrieben. Nur falls du mich vielleicht anrufen willst … oder so.“

Er nahm die Serviette und zwinkerte ihr zu. „Danke, Püppi. Könnte durchaus passieren.“

Beth schaffte es gerade noch, sich zu beherrschen, bis Barbie davonstöckelte, dann verdrehte sie die Augen. „Püppi? Wie abgeschmackt!“

„Hey, die weiblichen Gäste bei Laune zu halten gehört zu meinem Job.“

„Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Und die war bestimmt genau Ihr Typ!“

Sein Lächeln erstarb.

„Woher wollen Sie bitte wissen, wer mein Typ ist?“

Betont gleichgültig zuckte sie mit den Schultern. „Passen Sie nur gut auf, dass Sie ihre Nummer nicht verlieren. Ich muss jetzt nach Hause und die Stellenanzeigen studieren.“

„Das tut mir wirklich leid, obwohl ich eigentlich gar nichts dafür kann.“

„Ich werd’s überleben.“ Sie stieg vom Barhocker und ging zur Tür. „Schönes Leben dann noch, Püppi.“

Kevin lächelte in die Kamera. Und dann noch einmal. Und noch mal und noch mal und noch mal.

„Okay!“, rief die herrische Fotografin. „Jetzt ein paar von der Braut und ihren Mädels. Danach der Bräutigam und seine Brüder.“

Mit einem Seufzer der Erleichterung traten Kevin, seine Brüder Joe und Mike und sein Schwager Evan ein paar Schritte zur Seite. Diese Foto-Folter dauerte bereits geschlagene zwanzig Minuten, und obwohl es schon Anfang Oktober war, schwitzten sie alle in ihren Smokings.

Joes Hochzeitsempfang fand in einem auf solche Feiern spezialisierten Hotel statt, dessen Garten zahlreiche Motive für weitere Fotos bot. Vor dem verdammten Brunnen. Unter dem verdammten Rosenbogen. Neben dem Teich. Kevins Wangenmuskeln taten vom vielen Lächeln langsam weh.

Mike zupfte an seinem engen Hemdkragen, wagte es aber nicht, ihn aufzuknöpfen, weil sonst die Tyrannin mit der Kamera sofort Stress gemacht hätte. „Gott, ich brauch einen Drink.“

Kevin nickte nur, verkniff sich aber lautstarke Unmutsäußerungen, weil seine Mutter ihm gerade einen strengen Blick zuwarf. „Wenn das hier nicht ein bisschen fixer geht, Joe, ziehen wir uns aus, und du musst später erklären, was die Chippendales auf deiner Hochzeit gemacht haben.“

„Wenn ich gewusst hätte, dass ihr beide so empfindlich seid, hätte ich euch zu Brautjungfern gemacht und mir andere Trauzeugen gesucht. Rosa steht euch bestimmt super.“

Kevin stieß einen verächtlichen Laut aus. „Willst du an deinem Hochzeitstag unbedingt Prügel kassieren?“

„Terry sieht umwerfend aus in dem Kleid“, stellte Evan fest. „Am liebsten würde ich sie sofort …“

„Klappe!“, riefen die drei Brüder im Chor.

Ihr Schwager machte ein beleidigtes Gesicht. „Nie darf ich mal so einen Spruch bringen.“

Mike lachte. „Joey und Danny sind alt genug, um nachher auf die Kleinen aufzupassen. Lisa und ich haben also ein Zimmer für uns allein. Da werde ich mich richtig mit ihr amüsieren.“

Ja, das würden sie nach der Hochzeit alle machen. Joe und seine Braut Keri. Mike und Lisa. Evan und Terry.

Kevin hingegen konnte sich nur darauf freuen, den steifen Kragen und die unbequemen Schuhe loszuwerden.

Es war jetzt ungefähr zwei Jahre her, dass seine Ehe gescheitert war. Nach der Trennung war es ihm so mies gegangen, dass er dann auch noch seinen Job vermasselt hatte. Seitdem hielt er sich mit One-Night-Stands über Wasser, die sich meistens aus den weiblichen Gästen seiner Bar rekrutierten. Das war zwar nicht so befriedigend wie eine echte Beziehung, aber auch nicht so gefährlich. Man wurde auch von Fertiggerichten satt, es musste nicht immer ein Fünf-Sterne-Restaurant sein. Außerdem taten solche Affären eben nicht weh.

Und von denen hatte er seit seiner Scheidung so einige gehabt. In letzter Zeit ging er allerdings immer öfter allein hoch in seine Wohnung über dem Jasper’s. Mit Frauen, die die Nacht mit einem Fremden verbrachten, nur weil er halbwegs gut aussah, saß er ungern morgens am Frühstückstisch.

Und er hätte eine solche Frau auch niemals zur Hochzeit seines Bruders mitgebracht.

Erneut musste er an die hübsche Dunkelhaarige von neulich Abend denken. Wenn sie wirklich glaubte, dass dieser blonde Barbie-Verschnitt sein Typ war, hatte sie sich schwer geirrt! Mann, dass er ihrem Chef die Nase gebrochen hatte, war jetzt schon zwei Tage her! Wieso spukte sie ihm noch immer im Kopf herum, verdammt? Und was ihn noch mehr ärgerte: Die Frau hielt ihn für einen oberflächlichen Aufreißer …

Wenn er gewusst hätte, wie sie mit Nachnamen hieß oder wo sie wohnte, hätte er ihr gern bewiesen, dass er in Wahrheit auf einen ganz anderen Frauentyp stand. Okay, vielleicht interessierte sie das auch gar nicht. Trotzdem. Er fand es einfach unfair, dass sie eine so schlechte Meinung von ihm hatte. Sowas war er nicht gewöhnt.

„Gleich kommen wir wieder an die Reihe“, riss Joe ihn plötzlich aus seinen Gedanken. „Und danach sind wir hoffentlich mit den Fotos fertig und können reingehen. Um noch mehr Hochzeitskram über uns ergehen zu lassen. Und alles nur, weil Frauen darauf stehen. Egal. Keri ist so glücklich, also ist es das wert.“

„Das bist du doch auch“, stellte Mike fest. „Ich weiß immer noch nicht, wie ihr das alles so schnell organisiert habt.“

Joe stieß einen verächtlichen Laut aus. „Ganz einfach – mit einem Blankoscheck. Keri wollte gern während des Indian Summer heiraten. Und weil ich kein volles Jahr mehr abwarten konnte, bis sie endlich meine Frau wird, habe ich es mit der geheimen Zauberformel versucht – Geld spielt keine Rolle.“

Joe gab normalerweise nicht mit dem Vermögen an, das er mit seinen kranken Horrorromanen verdiente, aber wenn er jemandem freie Verfügungsgewalt über seine Barschaft einräumte, waren gigantische Summen im Spiel.

Plötzlich brüllte die Foto-Terroristin: „Okay, jetzt die Brüder und der Schwager links und rechts neben dem Bräutigam aufstellen, immer zehn Zentimeter Abstand dazwischen und leicht schräg zur Kamera. Sie – ja, der Große –, Sie gehen nach hinten.“

Die konnte ihn mal! Kevin legte den Arm um Joes Schultern, zog ihn zu sich heran und gab ihm eine Kopfnuss. Joe versuchte, sich aus seinem Griff zu winden, lief dabei aber genau Mike in die Arme, der ihm freundschaftlich mit den Fingerknöcheln gegen die Stirn klopfte, während Evan ihm Hasenohren machte.

Die Fotografin hätte beinahe die große teure Kamera fallen lassen, aber die Mütter des Brautpaars konnten den Moment gar nicht oft genug für die digitale Ewigkeit festhalten.

„Das Bild kommt gerahmt ins Wohnzimmer! Das Kowalski-Hochzeitsfoto des Todes!“, rief die Braut fröhlich. Mikes vier Söhne und Terrys Tochter Stephanie hätten sich am liebsten ebenfalls auf ihren Onkel Joe gestürzt, wurden jedoch von ihren Eltern davon abgehalten. Schließlich erschien der Hochzeitsplaner im Garten und holte die noch immer lachende Familie ins Hotel, damit es endlich weiterging.

Doch bevor die Party richtig steigen konnte, wurden noch mehr Bilder gemacht, dann kamen die Reden und schließlich der offizielle Hochzeitstanz. Stöhnend fragte Kevin sich, wie er das alles ohne Alkohol überstehen sollte. Er brauchte ein Bier, und zwar schnell. Lächelnd machte er einen Abstecher an die Bar … und stand plötzlich Beth gegenüber.

2. KAPITEL

Es gab so viele Hochzeiten auf dieser Welt – warum musste sie, Beth, ausgerechnet auf dieser arbeiten? Kevin im Smoking – na, danke, die Schicht würde ihr vorkommen wie eine Ewigkeit in der Hölle!

Dass er einen Smoking trug, bedeutete, dass er zur Familie des Brautpaars gehörte. Da musste sie auch noch besonders freundlich zu ihm sein, damit keine Beschwerden kamen. Und das ausgerechnet bei diesem Möchtegernrambo, der überhaupt schuld daran war, dass sie hier die Bar schmiss. Ohne ihn hätte sie jetzt gerade nach einem lockeren Tag in Dereks Büro die Füße hochgelegt. Aber stattdessen schenkte sie nun von achtzehn Uhr abends bis ein Uhr morgens Drinks aus.

Als sie in Kevins blaue Augen sah, wurde ihr plötzlich heiß. An dem Abend in der Bar war sie nicht gerade freundlich zu ihm gewesen, was ihr nun leidtat. Dass ihr heiß wurde, lag allerdings nicht am schlechten Gewissen, sondern an dem erotischen Traum, den sie in der Nacht zuvor von ihm gehabt hatte.

Bis eben hatte sie sich eingeredet, dass der Grund dafür wahrscheinlich die Tiefkühllasagne vor dem Schlafengehen gewesen war. Das Zeug war eben ungesund und lag schwer im Magen. Aber wenn sie sich Kevin jetzt so anschaute, musste sie doch zugeben, dass sie ihn wirklich scharf fand. Ein bisschen zumindest. Aber selbst wenn sie gerade auf der Suche nach einem Mann gewesen wäre, dann bestimmt nicht nach einem, der Telefonnummern von lebenden Barbie-Puppen sammelte. Nein, nein, lieber die Schuld an diesem Traum auf fettige Fertiggerichte schieben …

„Was darf es sein, Sir?“, fragte sie und hoffte, dass er sich nicht mehr an sie erinnerte.

Sein Grinsen machte diese vage Hoffnung jedoch sofort zunichte. „Ein Bier.“

Beth schnappte sich eine Bierflasche und öffnete sie. „Glas?“

„Flasche reicht.“ Statt zu warten, bis sie die Flasche vor ihn hinstellte, nahm er sie Beth aus der Hand. Dabei berührten sich ihre Finger, und Beth überlief ein Schauer. „Freut mich, dass du einen neuen Job hast.“

Sie zuckte mit den Schultern und zog möglichst unauffällig die Hand weg. „Ist nur Teilzeit und befristet, aber besser als gar nichts.“

„Gib mir mal eben dein Handy.“

„Hab keins.“ Andernfalls hätte sie es ihm allerdings auch nicht gegeben. Er musste ihr erst gar nicht seine Nummer einspeichern, weil sie ihn sowieso niemals anrufen würde.

„Du hast kein …“

„Onkel Kevin!“ Ein Teenager im Smoking kam angerannt und packte Kevin am Ellbogen. „Grandma hat gesagt, dass sie dich an den Ohren zu deinem Platz zerrt, wenn du dich nicht sofort an den Tisch setzt.“

Kevin lachte und blinzelte Beth zu. „Bis später.“

Oh Gott, hier konnte sie ihm nicht entgehen. Bedauerlicherweise war im Moment an der Bar nicht viel zu tun, was auch so bleiben würde, bis die Reden vorbei waren und alle wieder aufstehen konnten. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als die Hochzeitsfeierlichkeiten zu beobachten.

Der DJ verkündete, dass die Trauzeugen nun ihre Rede halten würden. Kevin lachte, und der Bräutigam bekam es offensichtlich mit der Angst zu tun. Gespannt stellte sich Beth auf die Zehenspitzen, um an den ganzen Gästen vorbeizusehen, die mit ihren Videokameras in Stellung gingen. Kevin nahm sich das Mikrofon, und auch einer seiner Brüder bekam eines in die Hand gedrückt. Dass die beiden Geschwister waren, verriet die mehr als offensichtliche Familienähnlichkeit.

„Habe ich dir eigentlich jemals gesagt, dass du mein Held bist?“, fragte Kevin nun den Bräutigam und kniete sich vor ihn hin. Hinter ihm versammelte sich sein anderer Bruder samt seiner vier Söhne.

Dann begannen sie zu singen, und die Gäste brachen in Gelächter aus. Wie es aussah, hatten die Kowalskis nicht nur die Grübchen und blauen Augen gemeinsam, nein, sie waren auch allesamt schrecklich unmusikalisch. Während Kevin und der Familienchor nun ,Wind beneath my Wings‘ von sich gaben, wurde Beth auf einmal ganz warm ums Herz. Und das, obwohl es die wohl miserabelste Version des Songs war, die sie je gehört hatte.

Ihre plötzliche Gefühlsaufwallung wurde auch nicht besser, als Kevin dann erst mit seiner Mutter und anschließend mit seiner jungen Nichte tanzte. Man merkte, wie sehr die Kowalskis aneinander hingen. Sie waren eine laute, fröhliche und liebevolle Familie. Ihr Lachen wurde gleichsam zum Soundtrack des Abends.

Nachdem die Pflichttänze absolviert waren, bekam Beth alle Hände voll damit zu tun, Sekt-Cocktails an die Frauen zu verteilen und Bier an die Männer. Sobald die Senioren und die Kinder im Bett waren, würde verstärkt Hochprozentiges nachgefragt werden, das kannte sie schon.

„Und du hast wirklich kein Handy?“

Oh Gott, da war er wieder. „Nein, ganz ehrlich nicht. Noch ein Bier?“

Kevin hielt seine halb volle Flasche hoch. „Ich hab noch. Mike hat mir vorhin eines mitgebracht.“

Was willst du dann an der Bar? „Okay.“

„Sogar meine Mutter hat ein Handy, und die kann nicht mal ihre E-Mails abrufen.“

„Warum hängst du dich eigentlich so daran auf, dass ich kein Handy besitze?“

„Okay, hast du denn wenigstens einen Festnetzanschluss?“

„Ja.“ Sie drehte sich um und mixte der strahlenden Mutter der Braut eine Kalte Ente.

Als sie fertig war, schob Kevin ihr eine Papierserviette hin. „Kugelschreiber?“

Sie nahm den neben der Kasse und hielt ihn Kevin hin. Der rührte sich aber nicht. Er grinste sie nur an und zeigte die ach so süßen Grübchen.

„Oh nein“, sagte sie. „Ich geb dir meine Nummer ganz sicher nicht. Du hast doch bestimmt auch so schon eine hübsche Sammlung.“

„Hab ich nicht. Aber deine Nummer hätte ich wirklich gern.“

Bevor sie etwas erwidern konnte, kam wieder einer der Neffen angerannt und zupfte an seinem Ärmel. „Onkel Kevin, die Torte wird jetzt angeschnitten!“

Beth griff nach der Papierserviette und wischte damit den Tresen ab. Dann warf sie sie weg. Sie war zum Arbeiten hier und nicht um Männer mit unwiderstehlichen Grübchen abzuwimmeln, die sie zu bezirzen versuchten.

Grübchen allein reichten dafür nicht, aber der Rest … die Figur, das Gesicht, der Humor, wie liebevoll Kevin mit seiner Familie umging und natürlich die heißen Blicke, die er ihr zuwarf … das war schon etwas anderes. Trotzdem hatte sie nicht vor, irgendjemandem ihre Nummer auf einer Serviette zuzustecken.

Es war schon fast zwei Uhr morgens, als die Servicekräfte endlich gehen durften. Erleichtert seufzend zog Beth das Gummiband aus ihrem Pferdeschwanz und schüttelte sich das Haar auf. Die Schicht war verdammt anstrengend gewesen.

Dieser Kevin Kowalski ließ sich nicht so leicht entmutigen, das musste man ihm lassen. Sie hatte ihm so lange die kalte Schulter gezeigt, bis er es endlich kapiert zu haben schien. Trotzdem, jedes Mal, wenn sie – natürlich ganz aus Versehen – zu ihm rüberschaute, beobachtete er sie gerade. Als sie das Licht gedimmt hatten, damit auch die letzten Unermüdlichen begriffen, dass die Party vorbei war, hatte er ihr noch einmal einen auffordernden Blick zugeworfen. Sie hatte ihm daraufhin den Rücken zugedreht und schwer beschäftigt getan. Kurz darauf war er verschwunden.

Eigentlich war sie total erledigt und wollte sich nur noch ein Taxi rufen und nach Hause fahren. Aber der Garten des Hotels mit dem kleinen Teich war so wunderschön, dass sie erst noch einmal hinausging. Der Mond spiegelte sich auf der glatten Wasseroberfläche, alles war still, und Beth konnte sich endlich entspannen.

„Du siehst wunderschön aus im Mondlicht.“

Kevin saß auf einer kleinen Steinmauer neben dem Teich, eine halb leere Flasche Bier in der Hand, hatte seine langen Beine ausgestreckt und das offene Hemd aus der Hose gezogen. Jacke und Fliege hatte er wohl drinnen schon abgelegt. Beth musste sich sehr zusammenreißen, um nicht fasziniert auf seine entblößte Brust und das Sixpack darunter zu starren. Nur eine Blinde wäre nicht scharf darauf gewesen, die harten Muskeln zu streicheln.

Kevin beugte sich nach unten und griff nach einer noch geschlossenen Bierflasche. Dann drehte er den Verschluss auf und hielt sie Beth hin.

Das sollte sie besser bleiben lassen. Ihre Schicht war zwar schon zu Ende, aber sie arbeitete hier, und er war ein Gast. Andererseits … Drinnen hatte er gerade noch die halbe Gesellschaft unterhalten, jetzt aber wirkte er auf einmal schrecklich einsam. Beth brachte es nicht übers Herz, ihn einfach abzuweisen und allein zu lassen.

„Danke.“ Ein ganzes Stück entfernt von ihm setzte sie sich ebenfalls auf die Mauer und trank einen Schluck eiskaltes Bier. Worüber sollte sie nun mit ihm reden? Ihr fiel nichts ein.

Er grinste sie an, und im Mondschein konnte sie seine Grübchen erkennen. „Hat deine Chefin dir erzählt, dass wir versucht haben, dich mit ihrer Erlaubnis für einen Tanz von der Bar loszueisen?“

„Oh Gott, was hast du zu ihr gesagt?“ Wenn sie jetzt noch mal seinetwegen gefeuert wurde, zog sie am besten schnell weg. Sonst würde sie wohl nie wieder lange im selben Job arbeiten.

„Joe – der Bräutigam und mein ältester Bruder – hat deine Chefin gefragt, ob du vielleicht einen Song lang Pause machen darfst. Aber sie war nicht damit einverstanden. Also hat er einen Zuschlag auf die Rechnung angeboten. Sie hat sich unheimlich darüber aufgeregt und meinte, sie würde ihre weiblichen Angestellten nicht vermieten.“

Er ahmte die leicht arrogante Stimme ihrer Chefin nach, und Beth musste lachen, obwohl sie kaum fassen konnte, was er da schon wieder angestellt hatte. „Und wie ist Joe auf so eine Schnapsidee gekommen?“

„Weil ich mit dir tanzen wollte.“

Beth erschauerte und fühlte Begehren in sich aufsteigen. „Heute Abend waren mindestens ein Dutzend Frauen da, die liebend gern vollkommen umsonst mit dir getanzt hätten.“

Ernst schaute er sie an. „So ein Typ bin ich nicht.“

„Was denn für einer?“

„Der Typ, für den du mich hältst.“

Beth bemühte sich sehr, ihn nicht so ungeheuer attraktiv zu finden, scheiterte damit aber kläglich. „Ich hab gar keine bestimmte Meinung von dir. Ich kenne dich doch kaum.“

„Komm, lass uns den Tanz nachholen.“

Sie lachte, was in der Stille der Nacht sehr laut klang. „Ich habe seit Jahren nicht mehr getanzt.“

Er stellte das Bier weg, nahm ihre Hand und zog Beth in die Arme.

Sie verschränkte die Finger hinter seinem Hals.

„Tanzt du nicht manchmal in der Küche? Wenn du allein bist und dich niemand sieht?“, fragte er.

„Nein, nicht mal, wenn mich niemand sieht.“

„Solltest du aber. Ist gut für die Seele.“

Im Mondlicht eng umschlungen mit ihm zu tanzen war bestimmt nicht gut für ihre Seele, aber auf jeden Fall für ihren Körper.

„Flippst du aus, wenn ich jetzt versuche, dich zu küssen?“

Sie schaute ihn an. „Kommt darauf an, wie gut du küsst.“

Kevins Miene hellte sich auf. Zärtlich ließ er die Finger in ihr Haar gleiten. Beth schloss die Augen, seufzte, und dann spürte sie seine Lippen auf ihren.

Der Mann konnte küssen! Sofort waren alle Erinnerungen an ihren Traum von ihm wieder da, und Beth zitterte vor Verlangen.

„Bleib heute Nacht bei mir“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Die Stimme der Vernunft riet Beth dringend davon ab, aber sie hörte einfach nicht hin. „Ja.“

Er nahm ihre Hand, sie sammelten die Bierflaschen ein und liefen dann über den Rasen zurück zum Hotel. In der Lobby blieben sie stehen. Hoffentlich sieht uns niemand vom Personal, betete Beth im Stillen. Sie entsorgten die Flaschen und gaben dann ihr Bestes, um sich im Aufzug zu beherrschen.

Kevin schaffte es tatsächlich, seine Zimmertür mit einer Hand aufzuschließen, ohne Beths loszulassen. Als sie im Zimmer waren, schloss er die Tür und drückte Beth dagegen.

„Dich den ganzen Abend nur beobachten zu können, hat mich halb umgebracht“, sagte er und küsste sie dann wieder.

Sie schlang ihm die Arme um den Hals und verlor sich ganz in diesem Kuss. Als er ihr die Bluse aufknöpfte, wehrte sie sich nicht. Ihr letzter Kuss war viel zu lange her, ganz zu schweigen davon, wann ein Mann sie zum letzten Mal so berührt hatte. Atemlos half sie ihm dabei, ihre Bluse zu öffnen, damit es schneller ging. Dann ließ sie die Hand über seinen Bauch gleiten. Die harten Muskeln spannten sich an.

Ungeduldig schob er ihr die Bluse von den Schultern. Beth zog den BH aus und ließ ihn ebenfalls zu Boden fallen. Die Art, in der Kevin sie anschaute, war genauso verlangend wie sein Kuss.

Kurz darauf gesellte sein Hemd sich zu den anderen Kleidungsstücken auf dem Boden. Beth kam nicht dazu, seinen nackten Oberkörper zu bewundern, weil Kevin sie erneut küsste und überall streichelte. Dann hob er sie hoch, und sie schlang ihm die Beine um die Hüften.

Sein Kuss wurde immer fordernder. Kevin drückte sie wieder gegen die Tür, und Beth stöhnte auf.

Er nahm sich zurück und hauchte sanfte Küsse auf ihre Brüste, liebkoste abwechselnd ihre harten Brustwarzen. „Du bist … so … verdammt heiß …“

Beth wollte jetzt nicht reden, wollte ihn nur noch spüren, fühlen, wie seine Hüften sich so rhythmisch bewegten wie eben bei ihrem Tanz im Mondlicht. Aber es war noch zu viel Stoff im Weg.

Als ob er ihre Gedanken gelesen hätte, trug er sie zum Bett. Lachend landete Beth auf der Matratze, verstummte aber sofort, als Kevin sich Hose und Boxershorts auszog.

Ja, es war definitiv die richtige Entscheidung gewesen, die Nacht mit ihm zu verbringen.

Zehn Minuten später hatte Kevin auch sie vom Rest ihrer Kleidung befreit und so heiß gemacht, dass sie frustriert aufstöhnte, weil es ihr nicht mehr schnell genug gehen konnte. Er lachte leise und machte weiter mit dieser wunderbaren Folter – streichelte, küsste und leckte sie, ohne ihr das zu geben, wonach sie sich am meisten sehnte. Als Beth schon dachte, sie würde gleich wahnsinnig werden, hörte sie, wie er die Verpackung eines Kondoms aufriss.

Kevin glitt zwischen ihre Beine und stützte sich auf die Ellbogen, sodass er sie ansehen konnte. Liebevoll lächelte er sie an, aber sein Blick verriet, wie erregt er war. Beth strich ihm übers Haar, dann schob er die Hand zwischen ihre Oberschenkel und gab ihr endlich das, was sie brauchte.

Als er in sie eindrang, stöhnten sie beide auf. Seine Stöße waren kurz und sanft, und Beth hob ihm verlangend die Hüften entgegen. Immer wieder flüsterte Kevin ihr ins Ohr, wie scharf sie sei, wie unglaublich es mit ihr sei und dass er wünsche, es würde nie enden.

Schließlich wurde er schneller. Beth streichelte ihm den Rücken, spürte seine weiche Haut und das Spiel seiner harten Muskeln unter ihren Fingern. Sie versank im Blick seiner blauen Augen, fühlte, wie ihre Erregung sich weiter steigerte, vergaß alles um sich herum und erreichte einen unglaublichen Höhepunkt. Stöhnend beschleunigte Kevin das Tempo weiter, stieß schneller und schneller zu, bevor auch er Erlösung fand.

Zitternd legte er sich auf sie, und Beth schlang die Arme um ihn. Er war schwer, aber das machte ihr gar nichts aus. Zärtlich küsste er ihren Hals, während Beth ihn lächelnd streichelte. So blieben sie noch ein paar Minuten liegen, bis sie beide wieder zu Atem kamen, Kevin sich neben sie legte und sie eng an sich zog.

„Ich bin so froh, dass du bei mir geblieben bist“, sagte er leise.

„Ich auch.“ Und wie froh sie darüber war!

Da sie die Nacht erst mit Arbeiten und dann mit Kevin im Bett verbracht hatte, ohne zwischendurch etwas zu essen, wachte Beth am nächsten Morgen zu einer höchst unchristlichen Zeit auf. Ihr knurrte der Magen. Donuts, dachte sie. Okay, darauf gab es nur eine Antwort. Sie würde sich jetzt runter in den Frühstücksraum schleichen, Donuts und Kaffee holen und damit zurückkommen, bevor Kevin aufwachte.

Es dauerte, bis sie all ihre Kleidungsstücke wiedergefunden hatte, dann suchte sie in Kevins Hosen nach dem Zimmerschlüssel.

Was sie fand, waren Servietten. Genau die Servietten, die sie an der Bar mit den Cocktails ausgegeben hatte. Da hatten allerdings noch keine Frauennamen mit dazugehöriger Telefonnummer darauf gestanden. Und so lustige Sprüche. Ich mache Yoga und kann die Füße hinterm Kopf verschränken. Ruf mich an!

Als sie einen verächtlichen Laut ausstieß, drehte Kevin sich um und öffnete die Augen. „Mach bitte die Tür richtig zu, wenn du gehst.“

Beth erstarrte. War sie etwa eben wirklich noch glücklich gewesen? Ach, er war also nicht so ein Typ? Ja, klar!

Augenblicklich hörte sie auf, nach dem Schlüssel zu suchen. Leise schlich sie sich hinaus und passte auf, dass die Tür wirklich zu war, wie Kevin sie eben gebeten hatte. Den Kerl würde sie in ihrem ganzen Leben nicht mehr wiedersehen.

Und das war ihr verdammter Ernst!

3. KAPITEL

Drei Wochen später drückte Beth sich in der Apotheke herum. Volle zehn Minuten analysierte sie erst die Inhaltsstoffe der Hustenbonbons und wandte sich dann den neuen Erkältungsmitteln zu. Vielleicht ein paar Salbeidragees für ihre Mutter? Die hatte bald Geburtstag und liebte Salbei.

Und dann entdeckte sie in einer Ecke den Grund für ihr Kommen. Nur nicht hinsehen. Oh Gott! Da standen die Schwangerschaftstests.

Eigentlich war es ja ganz unmöglich, immerhin hatten sie ein Kondom benutzt! Und sie war auch erst eine Woche überfällig. Am besten kaufte sie jetzt die Salbeidragees und ging dann gemeinsam mit ihrer Paranoia wieder nach Hause.

Andererseits setzte ihre Periode sonst immer pünktlich ein. Ihr Zyklus war so genau wie ein Schweizer Uhrwerk. Und Kondome hatten eben eine Versagensquote von zwei Prozent. Beth beschlich das ungute Gefühl, dass sie möglicherweise gerade als Negativbeispiel in diese Statistik einging.

Okay, sie konnte sich die Tests ja mal ansehen. Nach kurzem Suchen entdeckte sie einen, der schon am ersten Tag nach Ausbleiben der Regel ein zuverlässiges Ergebnis versprach. Nur um ganz sicherzugehen, kaufte sie noch fünf andere dazu und schleppte sie dann nach Hause.

Im ersten Stock, in dem sich ihre Wohnung befand, roch es nach Katzenurin und Verwahrlosung. Eigentlich hätte sie sich inzwischen an den Geruch gewöhnt haben müssen, schließlich lebte sie hier schon seit drei Monaten. Aber gegen Katzenurin wurde man nicht so leicht immun. Andererseits war das auch nicht so schlimm, weil sie ohnehin noch vor dem nächsten Sommer in eine andere Stadt ziehen wollte.

Allerdings konnten sich diese Pläne ganz schnell ändern, wenn sie gleich eine blaue Linie im Kontrollfeld des Schwangerschaftstests entdeckte.

Noch auf der Treppe zückte sie den Schlüssel, damit sie möglichst wenig Zeit im stinkenden Hausflur verbringen musste. In der Wohnung angekommen, knallte sie sofort die Tür zu. Hier war es nicht viel wärmer, weil ihr Vermieter wenig von modernen Heizungsanlagen und vernünftiger Gebäudedämmung hielt. Aber es roch zumindest sehr viel besser. Das hatte sie einer kräftezehrenden Putzaktion zu verdanken – und nicht ihrem Vermieter.

Sie warf die Tüte von der Apotheke auf den Tisch im Wohnzimmer und ging dann zu dem alten Schaukelstuhl, den sie vom Sperrmüll gerettet hatte. Seufzend setzte sie sich darauf und zog sich die Schuhe aus. Abgesehen von dem Klappstuhl am Tisch befand sich sonst nur ein weiteres Möbelstück – ihr Bett – in der gesamten Wohnung. Das hatte sie im Secondhandladen der Heilsarmee erstanden. Und genau dahin würde sie es auch wieder zurückbringen, wenn sie in ein paar Monaten hier wegzog. Wann immer ihr eben danach war.

Nein, sie konnte unmöglich ein Kind bekommen. Dafür brauchte man ein richtiges Zuhause. Keine spartanische Wohnung oder gar nur ein Zimmer im Motel. Und einen Minivan. Alle Mütter fuhren Minivan.

Beth hingegen besaß nicht mal einen Kleinwagen. Sie fuhr lieber mit dem Greyhound-Bus, weil es sie an die Zeit der Tramps und Hobos erinnerte. Auch wenn die illegal mit dem Zug durchs Land vagabundiert waren. Sie liebte es, immer wieder eine neue kleine Stadt für sich zu entdecken. Dort suchte sie sich dann einen Job, bis sie genug Geld verdient hatte, um weiterzuziehen.

Ihr Vagabundenleben machte aus jeder Steuerklärung eine wahre Horrorshow, weil sie ständig den Bundesstaat wechselte, aber sie liebte es nun einmal. Nur mit einem Rucksack und einem Koffer in einer neuen Wohnung zu stehen war wie ein Neuanfang – und das meistens zweimal im Jahr. So war sie niemandem verpflichtet, insbesondere ihren Eltern nicht. Ihre Umzüge sorgten dafür, dass die beiden nicht zu sehr klammerten.

Beth trödelte so lange herum, wie es nur ging, um den Moment der Wahrheit hinauszuzögern. Die Wohnung war blitzsauber, aber immerhin fand sie in der Spüle noch einen Becher und einen Löffel, die sie abwaschen konnte. Sie sortierte die Wäsche und schaute dabei in alle Hosentaschen. Das machte sie neuerdings besonders gründlich, seit sie vor Kurzem ihr Handy mit in die Maschine gestopft hatte. Das war erst kein großes Problem gewesen, weil Saufkopf Derek ihr als Ersatz dafür ein Blackberry gegeben hatte. Aber nach der Kündigung hatte er es zurückhaben wollen. Den Festnetzanschluss hatte Beth vor allem wegen ihres Vaters. Der regte sich sonst auf. Er hatte sie auch dazu überredet, ihre Kreditkarte zu behalten. Die bot allerdings keinen großen finanziellen Spielraum, und Beth nutzte sie ungefähr so häufig wie das Telefon. Ihre Eltern hofften immer noch, dass sie irgendwann mal erwachsen werden und sich eine richtige Wohnung mieten oder – noch besser – kaufen würde. Sie begriffen nicht, dass sie mit ihrem Auszug bei ihnen tatsächlich erwachsen geworden war. Sie hatte weit wegziehen müssen, um sich von ihnen zu lösen. Anders hätte das nie geklappt.

Als es schließlich wirklich absolut nichts mehr in der Wohnung zu tun gab, nahm Beth sich die Schachtel mit dem Schwangerschaftstest und las die Gebrauchsanweisung. Und dann … klingelte das Telefon. Dieses verdammte Ding! Obwohl die Nummer des Anrufers nicht angezeigt wurde, wusste sie auch so, dass es nur ihr Vater oder ihre Chefin sein konnten. „Hallo?“

„Willst du eigentlich über die Feiertage nach Hause kommen?“

Ihre Mutter hielt sich nie mit Begrüßungsfloskeln auf, sondern plapperte immer sofort drauflos.

„Weiß ich noch nicht.“

Bis zum Testergebnis konnte sie überhaupt keine Pläne machen. Normalerweise fuhr sie zweimal im Jahr mit dem Bus nach Florida, um ihre Eltern zu besuchen. Weihnachten verbrachte sie üblicherweise bei ihnen.

„Adelle und Bob haben uns gefragt, ob wir mit ihnen die Kreuzfahrt machen wollen, weil die Donaldsons kurzfristig abgesagt haben. Die Schiffspassagen könnten sie auf uns übertragen, aber es geht schon in sechs Wochen los. Sechs! Kannst du das glauben? Hat man so was schon gehört?“

„Und wer übernimmt dann deine Tanzkurse? Und deinen Strickunterricht? Und die hundert anderen Kurse, die du gibst?“

Shelly Hansen seufzte. Das tat sie oft und gern. „Dein Vater ist der Meinung, ich sollte mal etwas kürzertreten. Vielleicht hat er recht, wir werden schließlich auch nicht jünger.“

„Du bist erst zweiundfünfzig, Mom.“ Und genau in dem Moment traf Beth die Erkenntnis – sie war sechsundzwanzig Jahre alt. Genauso alt wie ihre Mutter bei ihrer Geburt. Beth war das einzige noch lebende Kind ihrer Eltern. „Scheiße.“

„Was ist denn? Stimmt was nicht?“

„Nein. Ich … hab mir nur den Zeh gestoßen.“ Am liebsten hätte sie sich jetzt sofort bei ihrer Mutter ausgeweint.

Aber sie kannte das Testergebnis ja noch gar nicht, also war es verfrüht, ihrer Mom irgendwelche Hoffnungen zu machen. Obwohl ihre Eltern enttäuscht gewesen waren, als sie ihr Wirtschaftsstudium abgebrochen hatte, um durch halb Amerika zu ziehen, liebten sie sie doch bedingungslos. Und bei der Aussicht auf ein Enkelkind wären sie vor Freude bestimmt durchgedreht. Außerdem wäre das etwas gewesen, was Beth in ihren Augen gezwungen hätte, nun endlich sesshaft zu werden.