Ein Coup für den Killer - Fünf Krimis - Alfred Bekker - E-Book

Ein Coup für den Killer - Fünf Krimis E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Diese Ebook beinhaltet folgende Krimis: (499) Ein todsicherer Coup von Pete Hackett Die Farm des Schreckens von Pete Hackett Rächer ohne Namen von Thomas West Die Gen-Bombe von Alfred Bekker Die Hannover-Morde von Alfred Bekker »Der Junge ist seit gestern Mittag, 13.05 Uhr, spurlos verschwunden«, sagte der Assistant Director. »Um 13.05 Uhr stieg er an der Haltestelle Roosevelt Hospital aus dem Schulbus. Auf den etwa dreihundert Metern zwischen der Bushaltestelle und der elterlichen Wohnung in West 59th Street, Ecke Tenth Avenue, verschwand er.« Special Agent Owen Burke schaute auf seine Uhr. »Es ist jetzt kurz nach 8 Uhr«, murmelte er. »Es ist also cirka neunzehn Stunden her, dass Percy Chewing zum letzten Mal gesehen wurde. Hat man von Seiten des Police Department bei der näheren Verwandtschaft oder im engeren Bekanntenkreis nachgefragt.« »Das haben die Eltern selbst getan«, antwortete der AD. »Erfolglos. Es hat sich auch niemand gemeldet, der irgendwelche Lösegeldforderungen geltend gemacht hätte.« Der AD machte eine kurze Pause. Es mutete an, als müsse er seine nächsten Worte erst im Kopf formulieren. Schließlich fuhr er fort: »Das spurlose Verschwinden des Jungen erinnert sehr an zwei Fälle aus dem vergangenen Jahr. Ein Neunjähriger namens Jeremy Ledbetter verschwand im Juni 2011 hier in Manhattan, Mitte Dezember desselben Jahres verschwand Timothy Devlin, ein Achtjähriger. Die Kinder sind nie wieder aufgetaucht. In keinem der Fälle hat jemand Kontakt mit den Eltern aufgenommen, um Lösegeld zu erpressen.«

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Alfred Bekker, Pete Hackett, Thomas West

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Inhaltsverzeichnis

Ein Coup für den Killer - Fünf Krimis

Copyright

Ein todsicherer Coup

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Die Farm des Schreckens

Rächer ohne Namen

11. Juni 1979

Donnerstag, 3. April 1997 bis Mittwoch, 9. April 1997

Samstag, 12. April 1997 bis Dienstag, 22. April 1997

Dienstag, 15. April, 19.20 Uhr

Dienstag, 29. April 1997 bis Donnerstag, 1.Mai 1997

Die Gen-Bombe

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Die Hannover-Morde: Ein Kubinke Krimi

Ein Coup für den Killer - Fünf Krimis

von Alfred Bekker, Thomas West, Pete Hackett

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Diese Ebook beinhaltet folgende Krimis:

Ein todsicherer Coup von Pete Hackett

Die Farm des Schreckens von Pete Hackett

Rächer ohne Namen von Thomas West

Die Gen-Bombe von Alfred Bekker

Die Hannover-Morde von Alfred Bekker

»Der Junge ist seit gestern Mittag, 13.05 Uhr, spurlos verschwunden«, sagte der Assistant Director. »Um 13.05 Uhr stieg er an der Haltestelle Roosevelt Hospital aus dem Schulbus. Auf den etwa dreihundert Metern zwischen der Bushaltestelle und der elterlichen Wohnung in West 59th Street, Ecke Tenth Avenue, verschwand er.«

Special Agent Owen Burke schaute auf seine Uhr. »Es ist jetzt kurz nach 8 Uhr«, murmelte er. »Es ist also cirka neunzehn Stunden her, dass Percy Chewing zum letzten Mal gesehen wurde. Hat man von Seiten des Police Department bei der näheren Verwandtschaft oder im engeren Bekanntenkreis nachgefragt.«

»Das haben die Eltern selbst getan«, antwortete der AD. »Erfolglos. Es hat sich auch niemand gemeldet, der irgendwelche Lösegeldforderungen geltend gemacht hätte.« Der AD machte eine kurze Pause. Es mutete an, als müsse er seine nächsten Worte erst im Kopf formulieren. Schließlich fuhr er fort: »Das spurlose Verschwinden des Jungen erinnert sehr an zwei Fälle aus dem vergangenen Jahr. Ein Neunjähriger namens Jeremy Ledbetter verschwand im Juni 2011 hier in Manhattan, Mitte Dezember desselben Jahres verschwand Timothy Devlin, ein Achtjähriger. Die Kinder sind nie wieder aufgetaucht. In keinem der Fälle hat jemand Kontakt mit den Eltern aufgenommen, um Lösegeld zu erpressen.«

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER STEVE MAYER

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Alles rund um Belletristik!

Ein todsicherer Coup

Special Agent Owen Burke

Krimi von Pete Hackett

1

Special Agent Owen Burke lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, überlegte kurz und sagte dann: »Also fassen wir zusammen: Das Verbrechen geschah am Mittwoch, dem 1. August. Gegen 19 Uhr fiel einem Mann, der in der Van Dam Street wohnt, der Wagen der Sicherheitsfirma auf. Er schaute nach und fand im Führerhaus die Leiche Robert Jordans. Gegen 17.30 Uhr meldete sich der Beifahrer bei einer Polizeistation in der 54th Street und erklärte, von Robert Jordan niedergeschlagen worden zu sein. Und am 31. Juli, nachmittags gegen 17 Uhr, rief Mrs. Kelly Jordan beim Police Department an und meldete ihre Tochter Liz als vermisst.«

»Ja«, pflichtete Ron Harris, seines Zeichens ebenfalls Special Agent beim FBI New York, seinem Kollegen bei. »Und aus dem Wagen, den Jordan fuhr, fehlen geschätzte 150.000 Dollar. Wir haben einen toten Zweiundsechzigjährigen, eine vermisste fünfzehnjährige und einen einunddreißigjährigen Angestellten der Sicherheitsfirma, der eine große Beule am Kopf und eine Gehirnerschütterung hat.«

»Wo setzen wir an?«, fragte Burke.

»Ich habe eine Liste von Leuten zusammengestellt, die wir der Reihe nach befragen sollten. Fangen wir bei Mrs. Kelly Jordan an, die ihre Tochter als vermisst gemeldet hat. Dann sprechen wir mit James Reagoso, dem Beifahrer. Schließlich und endlich sollten wir uns auch mit dem Mann unterhalten, der den Toten auf dem Parkplatz in der Van Dam Street entdeckt hat.«

Owen Burke blätterte versonnen in der Akte herum, die vor ihm auf dem Tisch lag. Am Morgen hatte ihnen der AD erklärt, dass das FBI den Fall übernommen habe, weil das Sicherheitsunternehmen, dessen Fahrer ermordet worden war, seinen Sitz in Jersey City hat. Der AD hatte Owen Burke und Ron Harris mit der Bearbeitung beauftragt und ihnen eine dünne Akte übergeben, die er vom Police Department per Boten zugestellt bekam.

Jetzt war es kurz vor 10 Uhr. Sie hatten die Akte studiert, irgendwelche Erkenntnisse oder Hinweise auf den oder die Täter beinhalteten die Unterlagen nicht.

»Okay«, murmelte Burke. »So machen wir es. Vorher aber …«

Er schnappte sich den Telefonhörer und rief beim Police Department an. Der Name des Mannes von der Spurensicherung, an den er sich wenden konnte, war in der Akte vermerkt. Gleich darauf hatte Burke den Beamten an der Strippe. »Special Agent Burke, FBI New York«, meldete er sich. »Ich rufe Sie in der Mordsache Robert Jordan an. – Sie wissen Bescheid?«

»Ja, ja, die Sache in der Van Dam Street. Wir waren dort. Was brauchen Sie, Special Agent?«

»Es gab einige Spuren«, antwortete Burke. »Fingerabdrücke, DNA-Material, Zeugenaussagen. Liegen schon irgendwelche Ergebnisse vor?«

»Gar nichts«, antwortete der Beamte vom NYPD. »Die Prints wurden abgeglichen, doch es gibt keine Übereinstimmung mit registrierten Abdrücken. Die DNA-Analysen liegen noch nicht vor. Die Kugel, mit der Jordan getötet wurde, ist ballistisch ausgewertet, aber es gibt keine Übereinstimmung mit Geschossen, die in der Kartei erfasst sind. Kaliber .40, mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«

»Das ist nicht viel«, knurrte Burke sarkastisch.

»Ich sagte es doch«, antwortete der Beamte. »Wir haben so gut wie gar nichts.«

»Sollte die Auswertung der genetischen Fingerabdrücke etwas ergeben, dann informieren Sie mich bitte«, gab Burke zu verstehen, dann nannte er dem Kollegen vom PD noch seine Durchwahlnummer. Danach legte er auf, erhob sich und sagte: »Fahren wir in die 33rd Street und sprechen wir mit Mrs. Kelly Jordan.«

Sie kämpften sich mit dem Dodge Avenger, der ihnen von ihrem Dienstherrn als Einsatzfahrzeug zur Verfügung gestellt worden war, auf dem Broadway nach Norden. Stopp and go! Das Verkehrsaufkommen war immens, die Ampeln standen in der Regel auf rot, hundert von Yellow Cabs schienen sich auf Manhattans Straßen zu bewegen und sie zu verstopfen. Es drohte – wie jeden Tag - der verkehrsmäßige Kollaps. Ein nie enden wollendes Hupkonzert begleitete die G-men. Aber mit diesen Zuständen hatten sich Burke und Harris längst abgefunden.

Irgendwann kamen sie in der 33rd an. Die Wohnung Kelly Jordans lag im Westteil. Es handelte sich um ein Hochhaus, das Apartment lag in der siebten Etage. Es gab einen Doorman, der sie passieren ließ, nachdem sie sich ausgewiesen hatten. Der Aufzug trug sie nach oben. Es war Apartment Nummer 7012. Harris legte den Daumen auf die Glocke. Im nächsten Moment knackte es im Lautsprecher der Gegensprechanlage, eine Frauenstimme erklang: »Wer ist da? Was wünschen Sie?«

»Die Special Agents Burke und Harris vom FBI«, erklärte Ron Harris.

Die Tür wurde geöffnet, vor den beiden G-men stand eine Frau um die vierzig, dunkelhaarig, bleich, mit dunklen Ringen unter den geröteten Augen und einem herben Zug um den Mund. Sie trug eine schwarze Hose und eine ebenfalls schwarze Bluse.

Die beiden Agents zeigte Mrs. Jordan ihre Dienstmarken. Die verhärmt wirkende Frau bat sie in die Wohnung und dort forderte sie die Beamten auf, Platz zu nehmen.

»Zunächst einmal möchten wir Ihnen unsere Anteilnahme am Tod Ihres Vaters ausdrücken, Mrs. Jordan«, begann Owen Burke.

»Danke«, murmelte die Frau und schniefte. Schon wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen. Ihre Mundwinkel zuckten. »Es ist alles so furchtbar, so schrecklich – es ist wie ein Alptraum«, entrang es sich ihr. »Man hat meinen Vater brutal ermordet. Meine Tochter ist seit vorigem Dienstag spurlos verschwunden. Zwei Beamte vom Police Department waren schon bei mir.« Die Frau schluchzte, ging zu einem Sideboard, holte aus dem Schub ein Päckchen Papiertaschentücher, zog eines heraus und wischte sich damit die Tränen aus den Augen. »Sie denken, dass das Verschwinden meiner Tochter mit dem Mord an meinem Vater zusammenhängt.«

»Gehen Sie davon aus, dass Ihre Tochter entführt wurde?«, fragte Ron Harris.

»Davon bin ich überzeugt«, antwortete die Frau und setzte sich wieder. Ununterbrochen betupfte sie mit dem Papiertaschentuch ihre Augen. Die Hand, die es hielt, zitterte leicht. Sie schien nervlich am Ende zu sein. Kelly Jordan sprach weiter: »Meine Tochter besucht die Middle School in der Upper East Side. Sie hätte spätestens um 14 Uhr zu Hause sein müssen. Als sie um 17 Uhr noch immer nicht angekommen war, rief ich ihre Freundin an, doch die konnte mir nur sagen, dass sie sich in der 39th, wo sie wohnt, von Liz getrennt hat.«

»Wenn sie entführt wurde, dann also zwischen der 39th und der 33rd Street«, bemerkte Owen Burke. »Wann hat sie sich von ihrer Freundin getrennt?«

»Gegen 13.45 Uhr.«

»Sonst ist Ihre Tochter immer zuverlässig nach Hause gekommen?«, erkundigte sich Ron Harris.

»Ja.«

»Hat Ihre Tochter einen Freund?«

»Nicht dass ich wüsste.« Die Frau atmete durch. »Denken Sie nur nicht, dass Liz weggelaufen ist, G-men. Sie ist gekidnappt worden. Und die Entführung steht in einem engen Zusammenhang mit der Ermordung meines Vaters.«

»Sie heißen Jordan«, murmelte Owen Burke. »Sind Sie nicht verheiratet?«

»Ich war es. Vor dreizehn Jahren ließ ich mich von meinem Mann scheiden. Nach der Scheidung nahm ich wieder meinen Mädchennamen an.«

»Wie heißt Ihr Mann?«

»Gordon Snyder. Meine Tochter heißt auch Snyder.«

»Lebt Ihr Mann in New York?«

»Ich weiß es nicht. Nachdem wir geschieden waren, verschwand er spurlos. So entging er seiner Verpflichtung, Unterhalt für mich und Liz zu bezahlen.«

»Hat sich bei Ihnen jemand gemeldet und irgendwelche Forderungen geltend gemacht?«, brachte sich wieder Ron Harris in das Gespräch ein.

Mrs. Jordan schüttelte den Kopf. »Niemand.« Plötzlich schlug sie beide Hände vor das Gesicht, ein trockenes Schluchzen entrang sich ihr, ihre Schulter zuckten. »Ich werde noch verrückt vor Sorge um Liz!«, brach es aus ihr heraus. »Wenn ich daran denke, dass sie vielleicht schon gar nicht mehr lebt …«

»Wir werden sämtliche Hebel in Bewegung setzen, um Ihre Tochter zu finden«, versicherte Owen Burke. »Und sollte sie sich in der Gewalt eines Kidnappers befinden, werden wir alles tun, um sie Ihnen gesund und wohlbehalten zurückzugeben.«

»Zweifeln Sie etwa immer noch daran, dass Liz entführt wurde?« Die Hände der Frau waren nach unten gesunken. Mit starrem Blick schaute sie Burke an.

Der Agent presste einen Moment lang die Lippen zusammen. »Bis jetzt besteht nur die Vermutung«, murmelte er etwas ratlos. »Sicher, es spricht einiges dafür, dass sie gekidnappt worden ist. Der Mord an Ihrem Vater ist in dieser Angelegenheit nicht wegzudenken. Es ist nicht auszuschließen, dass ein Zusammenhang besteht.«

Ron Harris mischte sich wieder ein. »Beim Police Department verdächtigt man Ihren Vater, mit seinem Mörder unter einer Decke gesteckt zu haben. Man ist dort der Meinung, dass Robert Jordan und der Mann, der ihn tötete, gemeinsam den Coup planten. Dass Ihr Vater starb, rechnet man der Habgier seines Komplizen zu.«

»Niemals«, murmelte die Frau. »Mein Vater hat sich Zeit seines Lebens nicht am Eigentum anderer vergriffen. Er war über dreißig Jahre bei M. Warner Security Services in Jersey City beschäftigt. Nein, mein Dad ist kein Dieb oder Räuber. Auch ergäbe die Vermutung keinen Sinn, dass die Entführung meiner Tochter etwas mit dem Mord an meinem Vater zu tun hat.«

»Das ist sicherlich richtig«, gab Ron Harris zu. »Tatsache ist, dass Ihr Vater seinen Beifahrer im Central Park niedergeschlagen und aus dem Auto geworfen hat. Von dort aus muss er direkt nach Queens gefahren sein, wo er in der Van Dam Street wahrscheinlich von seinem Mörder erwartet wurde.«

»Es ist auch nicht auszuschließen, dass Ihr Vater erpresst wurde«, murmelte Owen Burke. »Der Kidnapper Ihrer Tochter hat möglicherweise gedroht, Liz zu ermorden, wenn sich Ihr Vater nicht an seine Anweisungen hält.«

Die Frau starrte den Special Agent an. Sie musste scheinbar erst verarbeiten, was er von sich gegeben hatte. Und plötzlich huschte der Schimmer des Begreifens über ihr bleiches Gesicht.

2

James Reagoso bewohnte ein Apartment in Carnegie Hill, 94th Street. Es handelte sich um ein so genanntes Brownstone Haus mit vier Stockwerken. Sieben Stufen führten zur Haustür hinauf. Die Farbe des Treppengeländers war abgeblättert und es zeigte Roststellen. In der Ecke von Treppe und Hauswand stand ein Müllcontainer. Unrat lag davor auf dem Gehsteig.

Owen Burke und Ron Harris mussten bis in die vierte Etage steigen. James Reagoso persönlich öffnete ihnen die Tür. Nachdem sie sich ausgewiesen hatten, ließ er sie in die Wohnung und bot ihnen Sitzplätze im Wohnzimmer an.

Reagoso war einunddreißig Jahre alt und hatte kurzgeschorene, blonde Haare. An seiner Schläfe war eine Schwellung zu sehen, die blau unterlaufen war.

»Ich nehme an, Sie sind vom Arzt krank geschrieben worden«, leitete Owen Burke das Gespräch ein.

»Ja. Ich habe eine ziemlich üble Gehirnerschütterung davongetragen. Dieser elende Hurensohn! Er hat mich auf dem East Drive aus dem Auto und hinter die Büsche gelockt und zog mir dann eins über den Schädel, dass mir Hören und Sehen verging.«

»Das ist bekannt«, murmelte Owen Burke. »Ich nehme an, sie waren schon seit längerer Zeit Jordans Beifahrer. War er am 1. August anders als sonst?«

»Das kann man wohl sagen«, sagte Reagoso nickend. Er dachte kurz nach. »Es ging am Morgen schon los«, fuhr er schließlich fort. »Robert war übellaunig, ungeduldig, nervös und schien völlig von der Rolle zu sein. Ich fragte ihn, was los sei, aber er fuhr mich nur an und meinte, dass es seine Sache sei und ich ihn in Ruhe lassen solle. Am Nachmittag fuhren wir dann zu den Supermärkten und anderen Geschäften und sammelten die Tageseinnahmen ein. Gegen 16 Uhr hielt Robert auf dem East Drive an und erklärte, dass er mal hinter die Büsche müsse. Er war kaum draußen, als er schon wieder auftauchte, winkte und mir zurief, dass ich kommen solle. Er schien ausgesprochen aufgeregt zu sein, also stieg ich aus und lief hinter die Büsche. Ehe ich mich versah, knallte etwas gegen meinen Kopf, um mich herum schien alles in Flammen aufzugehen, und dann weiß ich nichts mehr. Irgendwann kam ich zu mir. Robert und der Wagen waren weg. Ich machte mich auf den Weg zur nächsten Polizeistation.«

»Sprach er davon, dass am Tag zuvor seine Enkeltochter entführt worden war?«

Die Brauen Reagosos schoben sich düster zusammen. »Von welcher Enkeltochter sprechen Sie?«

»Von Liz. Hat Robert weitere Enkeltöchter?«

»Sicher. Sein Sohn Rich hat zwei Töchter. Carol und Susan. Die beiden sind siebzehn und achtzehn Jahre alt.«

»Erzählte er Ihnen, dass Liz entführt wurde?«, wiederholte Burke seine Frage von eben.

»Nein.« James Reagoso griff sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Wahrscheinlich war das ausschlaggebend für seine schlechte Stimmung am 1. August. Großer Gott, Robert hat das Mädchen geliebt. Ja, sie war sein ein und alles. Ich – ich verstehe das alles nicht. Falls Robert mit den Gangstern, die das Geld gestohlen haben, gemeinsame Sache gemacht hat – weshalb haben sie ihn dann umgebracht?«

»Wenn wir Ihnen diese Frage beantworten könnten, dann wären wir wahrscheinlich ein ganz schönes Stück weiter«, knurrte Ron Harris. »Sie sagen, dass Jordan seine Enkelin Liz über alles liebte. Hatte er seine beiden anderen Enkeltöchter weniger gern?«

»Er hat auch Susan und Carol gemocht. Aber das Verhältnis zu seinem Sohn war nicht das Beste. Rich war immer der Meinung, dass er gegenüber Kelly benachteiligt werde. Sie müssen wissen, dass Robert viel für seine Tochter tat. Nun, sie war allein erziehend und hielt sich nur mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Von ihrem geschiedenen Mann erhielt sie keinen Cent Unterhalt. Also griff ihr Robert immer wieder finanziell unter die Arme.«

»Jordan war verwitwet«, konstatierte Owen Burke.

»Seine Frau starb vor drei Jahren an Lungenkrebs. Er war sehr genügsam. Wenn Kelly ihn oftmals nicht gehabt hätte …«

Der Mann brach ab. Sein Schweigen war viel sagend.

»Was arbeitet Rich Jordan?«, fragte Burke.

»Er ist Außendienstmitarbeiter bei der American National Insurance Company.«

Burke richtete den Blick auf seinen Partner und Freund Ron Harris. »Hast du noch Fragen, Ron?«

Der Special Agent schüttelte den Kopf. »Im Moment nicht.«

Die beiden Beamten verabschiedeten sich von James Reagoso. Als sie im Dodge saßen, meinte Ron Harris: »Vielleicht sollten wir uns auch mal mit Rich Jordan unterhalten.«

»Keine schlechte Idee.« Owen Burke fuhr den Bordcomputer hoch, suchte die Telefonnummer der New Yorker Zweigstelle der Versicherung heraus, die ihren Hauptsitz in Galveston, Texas, hatte, dann rief er dort an. Man erklärte ihm, dass Rich Jordan am 2. August telefonisch Urlaub bis zum 10. August beantragt habe, weil sein Vater unter höchst dramatischen Umständen ums Leben gekommen sei. Als Burke nach der Wohnanschrift Jordans fragte, erklärte man ihm, dass man diese ihm aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht bekannt geben dürfe.

Burke bedankte sich. Dann rief er bei Kelly Jordan an, deren Telefonnummer er sich notiert hatte. Sie gab ihm die erbetene Auskunft. Rich Jordan wohnte in Morningside Heights, 121st Street, Hausnummer 512, gleich beim Morningside Park. Burke vermerkte die Anschrift in seinem Notizbuch, dann sagte er: »Wir haben mit James Reagoso, dem Beifahrer Ihres Vaters gesprochen. Er erzählte uns, dass das Verhältnis Ihres Vater zu Ihrem Bruder nicht das Beste gewesen sei.«

»Das stimmt. Dad und Rich stritten sich oft. Rich warf Dad immer vor, dass er mich und Liz seiner Familie gegenüber bevorzugen würde. Dad hingegen vertrat den Standpunkt, dass Rich in finanzieller Hinsicht keine Sorgen hatte und dass er denjenigen unterstützen müsse, der darauf angewiesen sei. Und das waren nun mal wir – Liz und ich.«

»Ihr Vater liebte Liz.«

»Ja. Carol und Susan vertreten die Auffassung ihres Vaters. Auch sie sind der Meinung, von Dad benachteiligt worden zu sein. Mein Vater mochte die beiden auch, sehr sogar. Aber an Liz hing sein Herz.«

»Okay, Mrs. Jordan. Das war's. Vielen Dank.«

»Werden Sie mich informieren, wenn Sie mehr wissen?«, fragte Kelly Jordan.

»Das kann ich Ihnen nicht versprechen. Aus ermittlungstaktischen Gründen sind wir oftmals zum Stillschweigen verpflichtet. Aber das wissen Sie sicher.«

Nachdem Burke das Gespräch beendet hatte, schaute er Ron Harris, der am Steuer saß, von der Seite an. »West 121st Street, Nummer 512. Marsch, marsch!«

»Yes, Sir, yes, my General«, knurrte Ron Harris und salutierte lässig. Dann chauffierte er den Dodge zur Transverse Road Nummer 4, auf ihr wechselten sie von der East- auf die Westside, befanden sich in der 96th Street und kämpften sich schließlich auf der Amsterdam Avenue fünfundzwanzig Seitenstraßen nach Norden. Dort, wo die Gebäude der Columbia University endeten, bog Harris nach rechts ab. Ein ganzes Stück vor sich konnten sie die Bäume und Büsche des Morningside Parks sehen.

»Da ist es!«, entfuhr es Owen Burke.

Ron Harris rangierte den Dodge in eine Parklücke zwischen einen Ford Ranger Pick Up und einen grünen Toyota. Die Wohnung Richard Jordans lag in der vierten Etage. Es gab eine Außentreppe. Die Agents betraten das Gebäude. Eine Doppeltür aus Edelstahl und Knöpfe an der Wand verrieten, dass das Gebäude über einen Lift verfügte. Die beiden FBI-Leute konnten sich also einen mühevollen Aufstieg ersparen.

Sie fanden die Wohnungstür unter neun anderen heraus, Ron Harris läutete. Eine blondhaarige Frau Ende dreißig öffnete. Fragend schaute sie die Agents an.

»Wir sind die Special Agents Harris und Burke vom FBI New York«, stellte Owen Burke sich und Harris vor und hielt der Frau seinen Ausweis hin. »Können wir Ihren Mann sprechen?«

»Wer ist da?«, ertönte eine dunkle Stimme in der Wohnung.

Die Frau drehte den Kopf. »Zwei FBI-Beamte. Sie wollen zu dir.«

»Sollen hereinkommen.«

»Bitte«, sagte die Frau und vollführte eine einladende Handbewegung.

Richard Jordan saß im Wohnzimmer in einem Sessel. Der Fernsehapparat lief. Jordan rauchte. Auf dem Tisch stand ein Aschenbecher mit mindestens zehn Kippen. Der Tabakrauch stieg den beiden Agents, die beide Nichtraucher waren, mit Vehemenz in die Nasen.

»Sie kommen wegen der Ermordung meines Vaters, nicht wahr?«, empfing sie Rich Jordan. »Hat man den Fall also an das FBI übertragen. Bitte, Gentlemen, setzen Sie sich. Möchten Sie etwas trinken? Eine Tasse Kaffee vielleicht?«

»Sie sind sehr freundlich«, murmelte Owen Burke und ließ sich nieder. »Aber machen Sie sich unsretwegen keine Mühe. Wir haben nur ein paar Fragen – Routinefragen. Und dann sind Sie uns auch schon wieder los.«

Mrs. Jordan verschwand durch eine Tür in einen angrenzenden Raum.

Jordan drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. Er schaute von Burke auf Harris, dann heftete er den Blick wieder auf Burke und sagte: »Eine schlimme Sache, das mit meinem Vater. Ich kann es noch immer nicht begreifen. Das alles übersteigt mein Begriffsvermögen. Wie es aussieht, steckte mein Vater mit dem Gangster - vielleicht auch den Gangstern - unter einer Decke. Und weil sie die Beute nicht mit ihm teilen wollten, erschossen sie ihn.«

»Ja, so sieht es aus«, bestätigte Burke bedächtig. Er ließ Jordan nicht aus den Augen. Sein Blick war forschend, einschätzend, es war, als versuchte er im Gesicht Jordans zu lesen und jedes Muskelzucken zu analysieren. »Aber da ist etwas, das die ganze Sache in ein anderes Licht rückt. Sie wissen sicher von der Entführung Ihrer Nichte Liz Snyder.«

Jordan, der unter dem Druck, den der Blick Burkes auf ihn ausübte, sichtlich nervös wurde, nickte. »Das ist mindestens ebenso furchtbar wie die Ermordung Dads. Haben die Kidnapper schon Verbindung mit Kelly aufgenommen? Ich meine wegen einer Lösegeldforderung. Wenn Kelly Geld benötigt …«

»Es gibt keine Forderung«, erklärte Harris. »Es wird auch keine geben. Wir denken, dass nicht Kelly Jordan erpresst werden soll, sondern dass Robert Jordan erpresst wurde.«

Rich Jordan schaute verständnislose drein.

Jetzt ergriff wieder Owen Burke das Wort, indem er sagte: »Es ist wohl so, dass man Ihren Vater nötigte, mit dem Wagen der Sicherheitsfirma, mit dem die Tageseinnahmen einer Reihe von Geschäften befördert wurden, zu einem bestimmten Platz zu fahren. Dort musste er dem Gangster – möglicherweise auch den Gangstern das Geld übergeben. Und als das geschehen war, erschoss man ihn.«

»Sie meinen …« Jordan brach ab und strich sich mit Daumen und Zeigefinger über das Kinn. Dabei starrte er versonnen vor sich hin. »Ja«, stieß er dann hervor, »das ist plausibel. Aber wenn man Liz als Druckmittel benutzte, warum hat man sie dann nicht laufen lassen, als der Coup erfolgreich abgewickelt war?«

»Diese Frage können wir Ihnen leider nicht beantworten«, murmelte Owen Burke.

»Heute ist der 6. August!«, entfuhr es Jordan. Jähes Entsetzen brach sich Bahn in sein Gesicht, er stieß hervor: »Hoffentlich hat man Liz nicht auch …« Er brach ab, schluckte würgend, schüttelte den Kopf und murmelte: »Nein, o mein Gott! Das – das darf nicht sein. Wenn Liz auch tot ist, verkrafte ich das nicht. Ich – ich mochte das Girl doch.« Ein Laut, der sich anhörte wie trockenes Schluchzen, folgte seinen Worten. Er atmete stoßweise.

»Wo waren Sie am 1. August zwischen 17 und 18 Uhr, Mr. Jordan?«, fragte Owen Burke.

Jordan starrte den Agent an. »Warum – fragen – Sie?«, stammelte er.

»Überlegen Sie sich auch gleich eine Antwort auf meine nächste Frage«, knurrte Burke. »Haben Sie ein Alibi für Dienstag, 31. Juli, 13.45 Uhr?«

In Jordans Augen trat ein unruhiges Flackern. Er begann seine Hände zu kneten. »Was soll das? Ich war an beiden Tagen in der Arbeit. Denken Sie etwa, ich habe etwas mit der Sache zu tun? Halten Sie mich für einen Kidnapper und Vatermörder?«

Während er sprach, vibrierte seine Stimme leicht. Es war ihm nicht gelungen, ihr Sicherheit und Ruhe zu verleihen.

»Kann jemand bezeugen, dass sie zu den angegebenen Zeitpunkten irgendwo in New York bei Kunden waren?«

»Ich fahre meine Touren allein. Und ich schreibe mir nicht minutiös auf, wann ich wo bei wem war. Ich beginne morgens um 9 Uhr den Dienst. Gegen 20 Uhr komme ich nach Hause. Manchmal etwas eher, manchmal arbeite ich aber auch bis 21 oder 22 Uhr. Ich muss mich nach den Kunden richten. Und ich muss eine gewisse Zahl an Abschlüssen abliefern, sonst kann ich mir eine andere Arbeit suchen.«

»Sie haben also kein Alibi!«, stellte Ron Harris fest.

Rich Jordan schluckte mühsam, als würde ihn eine unsichtbare Hand würgen.

3

Die Adresse des Mannes, der den toten Robert Jordan entdeckt hatte, war den beiden G-men aus der Akte bekannt. Burke hatte sie in seinem Notizbuch vermerkt. Sie beschlossen, noch an diesem Tag mit dem Mann zu sprechen. Also wechselten sie wieder auf die Eastside von Manhattan, nahmen die Triborough Bridge, um nach Queens zu gelangen und wandten sich dort südwärts. Es war spät am Nachmittag, als sie in der Van Dam Street ankamen.

Der Name des Mannes war Mike Mercer. Er ging mit den Agents zu der Stelle, an der der Wagen des Sicherheitsunternehmens mit dem Toten gestanden hatte. Es handelte sich um einen Parkplatz, eine ruhige Stelle, die von Sträuchern begrenzt war. »Ich bin mit meinem Hund spazieren gegangen«, erklärte Mercer. »Als ich fünfundvierzig Minuten später zurückkam, stand der Wagen immer noch da. Ich sah den Mann hinter dem Lenkrad, und dachte, dass er schläft. Es fiel mir jedoch auf, dass die Hecktüren des Transporters nicht richtig geschlossen waren. Ich wollte den Fahrer darauf aufmerksam machen, doch er war nicht wachzukrie­gen. Also öffnete ich die Tür. Ich sah das Blut und begriff, dass der Mann entweder besinnungslos oder tot war und verständigte sofort die Polizei und den Emergency Service.«

»Sonst ist Ihnen nichts aufgefallen?«

»Nein. Aber das habe ich bei der Polizei schon alles ausgesagt.«

Ein Buick parkte auf dem Platz, an dem der Transporter mit dem Leichnam gestanden hatte. Burke schritt um den Wagen herum, den Blick auf den Boden geheftet. Da lag eine Menge Unrat herum. Papiertaschentücher, Zigarettenkippen, Kaffeebecher von Starbuck und McDonalds sowie einige Behältnisse aus Plastik, in denen von den Fastfood-Betrieben Burger ausgegeben werden. Ein Abfalleimer in der Nähe quoll über. Owen Burke dachte sich seinen Teil über das Reinigungsunternehmen, das für diesen Teil von Queens zuständig war.

Plötzlich läutete sein Handy. Er fischte es aus der Jackentasche und ging auf Empfang, hob das Mobiltelefon an sein Ohr und meldete sich. »Burke. Guten Tag, Sir.« Er hatte auf dem Display abgelesen, dass es sich um den Assistant Director handelte.

Es war der Direktor des FBI New York, der sagte: »Man hat Liz Snyder gefunden, Agent. Sie lag tot unter einigen Müllsäcken und Kartons in einem abbruchreifen Haus in der Lower East Side.«

Burke krampfte sich der Magen zusammen. Er verspürte eine Gänsehaut. »Sie – wurde – getötet!«, stammelte er betroffen und fassungslos. »Gütiger Gott!«

»Ja. Dem ersten Augenschein nach wurde sie brutal erwürgt. Bei dem Haus handelt es sich um das Gebäude Nummer 365 in der Montgomery Street. Die Leute von der SRD sind verständigt worden. Ich möchte, dass Sie sofort hinfahren, Agent.«

»Natürlich, Sir.« Owen Burke hatte noch immer an der Hiobsbotschaft zu knabbern. Es war, als weigerte sich sein Verstand, das Ungeheuerliche zu akzeptieren.

»Erstatten Sie mir bitte sofort Bericht, Agent, wenn Sie ins Federal Building zurückgekehrt sind. Ich bleibe so lange im Büro.«

»Wir befinden uns in der Van Dam Street, Sir«, gab Burke zu verstehen. »Der Mann, der den Toten entdeckt hat, ist bei uns. Er hat uns die Parkbucht gezeigt, in der der Wagen von Warners Security Services gestanden hat. Um den Platz herum liegt eine Menge Unrat. Ich werde veranlassen, dass er eingesammelt und von jedem einzelnen Stück, sei es eine Zigarettenkippe oder ein Kaffeebecher, ein DNA-Profil erstellt wird. Vielleicht bringt es uns weiter.«

»Wir müssen alles tun, um den Mörder Robert Jordans und seiner Enkelin zu überführen«, erklärte der Assistant Director überflüssigerweise. »Es ist in Ordnung, Agent. Wir dürfen nicht die kleinste Kleinigkeit außer acht lassen.«

Nachdem das Gespräch beendet war, ging Burke um den Buick herum und sagte zu seinem Partner Ron Harris: »Fahren wir. Das Ziel heißt Montgomery Street, Lover East Side.«

»Ich habe einiges von deinem Gespräch mitbekommen«, knurrte Ron Harris. »Wer wurde getötet? Lass mich nicht dumm sterben, Kollege.«

»Im Auto«, murmelte Burke. »Vorwärts, verlieren wir keine Zeit.«

Mike Mercer fixierte Owen Burke mit einer Mischung aus Verärgerung und Neugierde. »Um mich zu fragen, ob mir sonst irgendetwas aufgefallen ist, sind Sie nach Queens gekommen?«, blaffte er. »Und jetzt lassen Sie mich einfach hier stehen und …«

»Es ist etwas Unvorhergesehenes eingetreten, Mr. Mercer«, unterbrach ihn Burke. »Mir war daran gelegen, zu erfahren, wo genau der Wagen mit dem Toten gestanden hat. Sie haben uns sehr geholfen. Vielleicht müssen wir Sie noch einmal sprechen. Wir werden Sie entsprechend informieren. Aber nun …«

Burke setzte sich in Bewegung. Sein Ziel war der Dodge. Ron Harris hetzte hinterher.

»Das ist Verschwendung von Steuergeldern!«, rief ihnen Mike Mercer erzürnt hinterher.

Owen Burke winkte ab. Er warf sich auf den Beifahrersitz, Ron Harris klemmte sich hinter das Steuer und startete den Motor. Harris steuerte den Wagen zum Interstate 278, folgte der Autobahn nach Südwesten und schließlich fuhr er über die Williamsburg Bridge zurück nach Manhattan. Die Sonne war im Untergehen begriffen, als sie in der Montgomery Street ankamen. Die Straße lag im Schatten der Häuser, die die Westseite der Straße säumten. Das Gebäude Nummer 365 war mit einem gelben Trassenband abgesperrt. Einige uniformierte Polizisten gaben acht, dass die Neugierigen außerhalb der Absperrung blieben. Vor dem Gebäude standen drei Einsatzfahrzeuge der City Police mit rotierenden Lichtern auf den Dächern, der Wagen des Coroners und der Kastenwagen der SRD.

Ron Harris fand einen Parkplatz. Die beiden Agents mussten etwa hundertfünfzig Yards zu Fuß zurücklegen, um zum Einsatzort zu gelangen. Sie bahnten sich einen Weg durch die Gaffer, die Schulter an Schulter standen, wiesen sich einem der Officer gegenüber aus und durften schließlich passieren.

Im Keller des verwahrlosten Gebäudes, in dem nur noch Ratten und Mäuse ihr Unwesen trieben, waren die Beamten von der Spurensicherung am Werk. Sie trugen weiße, sterile Anzüge, Überziehschuhe und Handschuhe sowie Mützen aus demselben Material. Der Coroner hatte seine Arbeit an der Leiche beendet. Die Umrisse der Toten waren mit Kreide auf den Boden gezeichnet worden. Der Leichnam selbst lag bereits in einen Leichensack verpackt im Wagen des Coroners. Auch ein Vertreter der Staatsanwaltschaft war vor Ort. Die meisten der Anwesenden kannten Burke und Harris persönlich. Nach ein paar Informationen durch den Leiter des Teams von der SRD wandte sich Burke an den Coroner. »Wann, schätzen Sie, ist bei Liz Snyder der Tod eingetreten?«

Der Coroner verzog leicht den Mund, wiegte den Kopf und murmelte: »Ich denke, die Kleine ist seit drei oder vier Tagen tot, es können aber auch fünf oder sechs Tage sein. Der Verwesungsprozess hat bereits eingesetzt. Näheres wird der Pathologe herausfinden müssen. Sicher ist, dass sie erwürgt wurde. Der Täter hat wahrscheinlich einen Schal oder ein Kopftuch benutzt.«

Der Vertreter der Anklagebehörde trat heran. »Ein Obdachloser hat sie gefunden, der sich für die kommende Nacht in diesem Keller einen Schlafplatz gesucht hat. Er wollte sich aus den Plastiksäcken und Kartons ein Lager bauen, und stieß auf den Leichnam. Die Personalien des Mannes haben wir. Allerdings hat er keinen Wohnsitz. Wir haben ihm auch die Fingerabdrücke abgenommen. Aber als Täter scheidet der Bursche wohl aus. Ich denke nicht, dass wir ihn noch einmal brauchen. Was er zu sagen hatte, wurde protokolliert und von ihm unterschrieben.«

Owen Burke wandte sich an den Leiter des Teams von der Spurensicherung. »Irgendetwas gefunden, was auf den Täter hindeutet?«

»Hier liegt alles mögliche herum«, murmelte der Mann. »Es ist anzunehmen, dass dieses Gebäude und somit auch dieser Keller immer wieder von Obdachlosen frequentiert wird. Es gibt also Fingerabdrücke en masse. Ebenso ist es mit dem DNA-Material, das wir hier sicherstellen werden. Die Auswertung wird Wochen in Anspruch nehmen.«

»Es gibt dort, wo der Transporter mit dem toten Großvater des Mädchen stand, ebenfalls eine Menge Material, das ausgewertet werden muss«, sagte Burke. »Ich möchte daher sofort morgen Früh mit einem Ihrer Teams in die Van Dam Street fahren, damit eventuelle Beweismittel sichergestellt werden.«

»Soviel ich weiß, geschah der Mord am 1. August«, murmelte der Beamte von der SRD. »Heute haben wir den 6. Denken Sie nicht, dass der Parkplatz zwischendurch einmal gereinigt worden ist?«

»Er sieht nicht so aus. Aber sicher lässt sich das Unternehmen feststellen, das für die Reinigung in dem Gebiet zuständig ist.«

»Wir kümmern uns drum«, versicherte der Beamte.

Owen Burke wandte sich an den Vertreter der Staatsanwaltschaft. »Weiß die Mutter des Mädchens schon Bescheid?«

»Ich habe zwei Beamte der City Police zu ihr geschickt. Das ist üblich so. Es handelt sich um ältere Kollegen, die selber Kinder haben. Sie werden es Mrs. Jordan so schonend wie möglich beibringen.«

Burke wandte sich an seinen Partner Ron Harris. »Für uns gibt es hier nichts zu tun, Ron. Der Chef wünscht noch heute unterrichtet zu werden. Fahren wir ins Büro.«

Und als sie auf dem Weg zur Federal Plaza waren, sagte Ron Harris: »Es handelt sich möglicherweise um einen Täter aus dem Bekanntenkreis Robert Jordans und seiner Enkeltochter.«

»Wie kommst du zu diesem Schluss?«, fragte Owen Burke.

»Es gibt keinen einzigen Hinweis, dass Liz gewaltsam entführt wurde, nachdem sie sich von ihrer Freundin getrennt hatte. Irgendjemand hätte es beobachtet, wenn sie in ein Auto gezerrt worden wäre. Und derjenige hätte sicherlich die Polizei verständigt. Liz muss freiwillig in den Wagen gestiegen sein.«

»Das klingt plausibel und schlüssig«, murmelte Burke. Und sogleich fügte er hinzu: »Und weil Liz den Täter kannte, musste sie sterben. Ebenso ihr Großvater. Er wusste, wer ihn erpresste. Und als er dem Täter das Geld ausgehändigt hatte, nötigte dieser ihn, sich in das Führerhaus zu setzen und erschoss ihn. Wahrscheinlich benutzte er einen Schalldämpfer. Nach dem Mord ist er in aller Seelenruhe verschwunden.«

»An wen denkst du?«, fragte Ron Harris und schoss seinem Kollegen einen schnellen Seitenblick zu.

»An Rich Jordan«, versetzte Owen Burke. »Das Verhältnis zu seinem Vater war nicht das Beste. Er hat weder für den Zeitpunkt, als Liz entführt wurde, ein Alibi, noch für die Stunde am 1. August, in der Robert Jordan ermordet wurde.«

»Wenn er es war, müssen wir es ihm beweisen«, gab Harris zu bedenken. »Ich denke, dass er – vorausgesetzt, es handelt sich bei ihm um den Täter -, mit ausgesprochener Akribie vorgegangen ist. Er wird nicht die geringste Spur hinterlassen haben, die zu ihm führen könnte.«

»Ich vermute, dass er Liz unmittelbar nach der Entführung erdrosselt hat. Dazu hat er sich einen Platz ausgesucht, an dem er absolut ungestört war. Irgendwann in der Nacht brachte er den Leichnam in die Ruine in der Montgomery Street und versteckte ihn dort.«

»Wenn es so ist, dann wird er die Leiche in seinem Wagen befördert haben. Und dann hat Liz auch irgendwelche Spuren hinterlassen.«

»Wir erwirken einen Beschlagnahmebeschluss«, murmelte Burke. »Und dann überlassen wir den Wagen der SRD. Und wenn Liz auch nur eine Hautschuppe in dem Fahrzeug zurückgelassen hat, dann wird uns Mr. Richard Jordan einige Fragen zu beantworten haben.«

4

Am nächsten Morgen fuhren die Special Agents mit einem Team von der Spurensicherung zu dem Parkplatz in der Van Dam Street. Die letzte Reinigung des Parkplatzes war am Montag, dem 30. Juli erfolgt. Das Fahrzeug der Stadtreinigung fuhr den Parkplatz in einem zweiwöchentlichen Turnus an.

Nachdem Burke den Beamten den Platz gezeigt hatte, den er für relevant hielt, kehrten die beiden Special Agents nach Manhattan zurück. Während der Fahrt telefonierte Owen Burke mit Karen Jordan, der Gattin Richard Jordans. Er erfuhr, dass ihr Mann in der Wohnung seines Vaters anzutreffen wäre, die er mit Hilfe eines Unternehmens namens Alpha-Trans auflösen wolle.

Owen Burke und Ron Harris begaben sich nach Stuyvesant Town, wo Robert Jordan ein Apartment bewohnt hatte. Sie trafen Richard Jordan an. Einige Männer in Overalls, die die Aufschrift 'Alpha Trans' trugen, schleppten Möbel aus der Wohnung.

»Meine Frau hat Sie bereits angekündigt«, begrüßte Jordan die beiden Beamten. Er gab sich reserviert. Dabei war er bemüht, Ruhe zu vermitteln, was ihm aber nicht so richtig gelingen wollte. Er zwinkerte unablässig. Seine Mundwinkel zuckten. Sein Blick irrte ab.

»Hat Sie Ihre Schwester schon informiert?«, fragte Burke.

Jordan legte die Stirn in Falten. »Weswegen?«

»Man hat Ihre Nichte tot in einem Abbruchhaus in der Lover East Side aufgefunden. Sie wurde dort abgelegt. Ihr Kidnapper hat sie - schätzungsweise schon wenige Stunden nach ihrer Entführung -, brutal erwürgt.«

Rich Jordan atmete plötzlich dermaßen hart, dass zu befürchten war, dass er an akutem Luftmangel leide. Er wankte zu einem Sessel und ließ sich schwer hineinfallen. »Liz wurde ermordet?«, keuchte er. Mit fahriger Geste strich er sich über das Gesicht. »Die – die Kleine ist tot!« Entsetzen und Fassungslosigkeit, Erschütterung und Verzweiflung vermischten sich zu einer Gefühlswelt in seinem Blick, eine Reihe von Gemütsbewegungen lief über sein Gesicht.

»Es ist so«, erklärte Owen Burke. Er wusste nicht, was er von dem Gefühlsausbruch Jordans halten sollte. War er echt, oder war Jordan ein so guter Schauspieler? »Wir gehen jetzt ganz sicher davon aus, dass Ihr Vater vom Kidnapper Ihrer Nichte erpresst wurde und sich aus Angst um das Mädchen zum Handlanger des Verbrechers degradierte.«

Jordan schien sich wieder gefasst zu haben. »Aber warum hat er die beiden umgebracht?«

»Weil sie ihn kannten«, stieß Owen Burke hervor. »Und weil der Gangster keine Zeugen am Leben lassen durfte. Er wollte den perfekten Coup durchziehen. Und er schloss jegliches Risiko für sich aus.«

Jordan starrte den G-man wortlos an.

Ron Harris mischte sich ein, indem er sagte: »Sie haben weder ein Alibi für den Zeitpunkt, als Liz entführt wurde, noch besitzen Sie ein Alibi für die Stunde, in der Ihr Vater starb.«

Jetzt nahm Jordans Gesicht einen zornigen Ausdruck an. Seine Augen versprühten regelrecht Blitze. »Versuchen Sie mir bloß nicht die beiden Morde in die Schuhe zu schieben.«

»Führen Sie so etwas wie ein Fahrtenbuch?«

»Sie meinen, ob ich mir meine Termin notiere, wie?«

»Genau das meine ich.«

»Sicher notiere ich meine Termine. Allerdings geschieht das elektronisch. Sobald ich den Kundenbesuch wahrgenommen habe, lösche ich den Termin im Computer.«

»Wie ist es um Ihre Finanzen bestellt, Mr. Jordan?«, fragte Owen Burke.

Jordan schürzte die Lippen. »Was ich verdiene geht Sie gewiss nichts an, G-men. Ich frage Sie ja auch nicht nach der Höhe Ihres Gehalts.«

»Wir stehen ja auch nicht im Verdacht, zwei Morde begangen und über 150.000 Dollar geraubt zu haben.«

Ein Schatten schien über Jordans Gesicht zu huschen. »Und ich weise jeden Verdacht diesbezüglich von mir. Es muss Ihnen genügen, wenn ich Ihnen sage, dass es mir und meiner Familie finanziell an nichts mangelt.«

»Noch eine Frage, Mr. Jordan. Stellt …« Plötzlich brach Burke ab. Seine Hand fuhr wegwerfend durch die Luft. »Die Frage ist uninteressant. Wir wollen Sie nicht länger aufhalten, Mr. Jordan. Auf Wiedersehen.«

»Was wolltest du ihn fragen?«, erkundigte sich Ron Harris, als sie mit dem Dodge in Richtung Federal Plaza rollten.

»Ich wollte wissen, ob ihm für seine Kundenfahrten von der Versicherungsgesellschaft ein Fahrzeug zur Verfügung gestellt wird. Aber das fragen wir lieber seinen Arbeitgeber. Denn wenn es so ist, dann ist nicht auszuschließen, dass das Mädchen in seinem Dienstwagen entführt wurde. Den Leichnam brachte er wahrscheinlich mit seinem Privatwagen in die Montgomery Street. – Ich wollte verhindern, dass Jordan gegebenenfalls Spuren in dem Dienstfahrzeug beseitigt, ehe wir einen Beschlagnahmebeschluss erwirkt haben.«

»Warum rufst du die Versicherungsgesellschaft nicht an?«

»Das mache ich jetzt.« Owen Burke suchte aus dem elektronischen Telefonbuch im Bordcomputer die Nummer des Versicherungsunternehmens in New York heraus, tippte sie ins Handy der Freisprechanlage, und als sich jemand meldete, bat er, mit der Personalverwaltung verbunden zu werden. Eine Frau meldete sich. Ihr Name war Ferguson. Burke stellte seine Fragen. Kurze Zeit verstrich, dann sagte die Lady am anderen Ende der Leitung: »Es ist ein Honda. Der Wagen steht zurzeit in der Tiefgarage, weil Mr. Jordan Urlaub hat. Während der Freizeit ist es unseren Mitarbeitern nämlich nicht gestattet, den Dienstwagen zu benutzen.«

»Nennen Sie mir bitte das amtliche Kennzeichen«, bat Burke.

Die Frau gab die Zulassungsnummer durch. Burke notierte sie. Dann sagte er: »Nun ist es nur noch wichtig für mich, zu erfahren, bei welcher Bank Mr. Jordan sein Gehaltskonto hat.«

Wieder dauerte es einige Sekunden, dann sagte die Frau: »Wells Fargo Bank, Broadway. Die Kontonummer kann ich Ihnen leider nicht nennen. Sie wissen schon – Datenschutz.«

»Die finden wir heraus«, erklärte Burke, bedankte sich und unterbrach die Verbindung. »Okay«, knurrte er. »Wir werden beide Fahrzeuge beschlagnahmen. Außerdem benötigen wir von Rich Jordan eine DNA-Analyse. Und ich will wissen, wie es auf seinem Konto aussieht. Ich glaube ihm nicht, dass er finanziell so gut abgesichert ist.«

»Wir brauchen also vier richterliche Beschlüsse«, resümierte Ron Harris.

»Ja. Und der AD wird dafür sorgen, dass wir nicht ewig auf sie warten müssen.«

5

Sie hatten die Beschlüsse drei Stunden später in Händen. Zwei Teams vom NYPD wurden beauftragt, die beiden Kraftfahrzeuge sicherzustellen und zur SRD zu schaffen. Die Überprüfung des Bankkontos wollten die beiden Agents selbst durchführen, außerdem wollten sie sich bei Richard Jordan die Speichelprobe für den DNA-Test selbst besorgen.

Sie präsentierten dem zuständigen Abteilungsleiter in der Wells Fargo Bank den richterlichen Beschluss. Daraufhin suchte der Mann die Kontonummer Richard Jordans her und holte die Kontobewegungen der vergangenen drei Monate auf den Bildschirm seines Computers. »Jordan steht mit über 3.000 Dollar im Minus«, gab der Mann zu verstehen. »Außerdem wurde ihm vor zwei Jahren ein Kredit in Höhe von 15.000 Dollar gewährt, den er seit sechs Monaten nicht mehr tilgt.«

»Die Bank schaut da einfach so zu?«, fragte Ron Harris ungläubig.

Der stellvertretende Bankdirektor öffnete eine andere Seite. Er überflog einen Eintrag mit den Augen, dann sagte er: »Die Rückzahlung des Kredits wurde für ein Jahr gestundet, das heißt, er muss ihn für zwölf Monate nicht bedienen, was allerdings einen gewissen Zinszuwachs zur Folge hat. Was sein Girokonto anbetrifft, so ist ihm ein Überziehungskredit bis zu 4.000 Dollar eingeräumt worden.«

»Können Sie uns einen Ausdruck seiner Kontobewegungen des vergangenen halben Jahres fertigen?«, fragte Burke.

Der stellvertretende Bankdirektor nickte.

Während sie nach Morningside Heights fuhren, widmete sich Owen Burke dem Ausdruck. Es handelte sich um zwei Blätter. Meistens handelte es sich um wiederkehrende Posten. Burke fiel auf, dass Jordan an jedem Monatsersten einen Betrag von 300 Dollar an eine Frau namens Deborah Morris überwies. Und am 15. Juli hatte er auf ihr Konto 5.000 Dollar überwiesen. Das Konto Deborah Morris' wurde bei der Bank of America betrieben.

»Das ist interessant«, murmelte Burke. Dann erzählte er Ron Harris von seiner Feststellung.

»Schau mal nach, ob das Internet oder die Kartei etwas über diese Deborah Morris hergeben«, sagte Harris. »Jeden ersten 300 Dollar. Das sieht mir verdammt nach einer Unterhaltszahlung aus. Sollte der ehrsame Mr. Jordan eine Geliebte und ein Kind haben, von dem seine holde Gattin nichts weiß?«

»Was hat es mit den 5.000 Dollar Einmalzahlung auf sich?«, fragte Owen Burke. »Sollte Mrs. Deborah Morris den guten Mann etwa erpresst haben?«

»Wir werden Jordan fragen«, versicherte Ron Harris. »Und gegebenenfalls befragen wir auch Mrs. Deborah Morris.«

Owen Burke widmete sich der Bedienung des PC's. Schließlich sagte er: »Deborah Morris hat keine Homepage, auch ist sie polizeilich nie in Erscheinung getreten. Aber ich weiß, wo sie wohnt, und ich habe ihre Telefonnummer. – Doch fahren wir erst zu Jordan.«

Der Dodge trug sie den Broadway hinauf. Da es ein warmer Sommertag war, traten sich zu beiden Seiten die Menschen regelrecht gegenseitig auf die Füße. Es war um die Mitte des Nachmittags. Die Klimaanlage im Dodge sorgte für angenehme Temperaturen. Stellenweise war der Broadway – aus welchen Gründen auch immer -, gesperrt, und Ron Harris musste Umwege fahren.

Schließlich kamen sie in der 121st Street an. Harris manövrierte den Dienstwagen in eine Parkbucht, und zwei Minuten später klingelte Burke an Jordans Tür.

Rich Jordan selbst war es, der ihnen öffnete. Er musterte die beiden Agents finster, geradezu feindselig. »Was wollen Sie? Wollen Sie sich davon überzeugen, ob Ihre Kollegen richtig gearbeitet haben, als Sie meinen Wagen abholten?«

»Das unterstellen wir«, versetzte Owen Burke lakonisch. »Die Burschen verstehen nämlich ihr Handwerk. Dürfen wir reinkommen?«

»Nur mit einem richterlichen Beschluss!«, blaffte Jordan.

»Na schön, Mr. Jordan. Den haben wir nicht. Wenn Sie uns nicht in die Wohnung lassen, werden wir Sie mitnehmen. Wir brauchen von Ihnen eine Speichelprobe wegen einer DNA-Analyse.« Burke holte den richterlichen Beschluss aus der Jackentasche, faltete das Blatt Papier auseinander und reichte es Richard Jordan. »Außerdem gilt es, einige Fragen zu klären, die entstanden sind. Wir machen das nicht unter Ihrer Korridortür. Also ziehen Sie sich Schuhe an. Wir warten hier im Hausflur.«

Jordan hatte den Beschluss durchgelesen und stieß scharf die Luft durch die Nase aus. »Ich glaube, Sie sind davon überzeugt, dass ich meinen Vater und meine Nichte ermordet habe.«

Wenn Blicke töten hätten können, dann wäre Owen Burke jetzt tot umgefallen.

Die Backenknochen Jordans mahlten. Es sah aus, als würde er sich im nächsten Moment auf den G-man stürzen.

»Ja, das sind wir. Es geht nur noch darum, Ihnen die Morde zu beweisen. Aber meistens ist es so, dass sich Kleinigkeiten wie Mosaiksteinchen zu einem fertigen Bild zusammenfügen. Und dann, Mr. Jordan, greifen wir zu.«

»Sie sind verrückt! Sie suchen ein Opferlamm, das Sie zur Schlachtbank führen können. Aber an mir werden Sie sich die Zähne ausbeißen.« Trotzig fixierte er die abwechselnd die beiden Special Agents. Vielleicht konnte man seinen Blick sogar als herausfordernd bezeichnen. Während er sprach, hatte er seine Arme in die Seiten gestemmt. Diese Haltung war ebenso herausfordernd wie sein Blick.

Unbeeindruckt knurrte Owen Burke: »Na los, Mr. Jordan. Ziehen Sie Ihre Schuhe an, oder sollen wir Sie in Hausschuhen mitnehmen?«

Richard Jordan schien sich nicht entscheiden zu können. Seine Unentschiedenheit war ihm von der Nasenspitze abzulesen. Schließlich brummte er: »All right, kommen Sie herein.«

Im Wohnzimmer bot er den Special Agents sogar Sitzplätze an. Seine Frau ließ sich nicht sehen. Auch von seinen Töchtern schien keine anwesend zu sein.

Jordan ließ sich nieder. Er zündete sich eine Zigarette an. Seine linke Braue hob sich. Es verlieh seinen Zügen einen überheblichen Ausdruck. »Stellen Sie Ihre Fragen, Gentlemen. Und dann können Sie bei mir den Speichelabstrich durchführen. Ich habe nichts zu befürchten. Was suchen Sie überhaupt in meinem Wagen? Sie haben ihn doch nicht grundlos beschlagnahmen lassen.«

»Okay«, antwortete Owen Burke. »Ihre letzte Feststellung muss ich bestätigen. Grund für die Beschlagnahmung ist, dass wir vermuten, dass Sie mit dem Fahrzeug Ihre tote Nichte in die Montgomery Street beförderten, um sie in dem Abbruchhaus abzulegen. Wenn das so ist, werden wir entsprechende Spuren finden.«

Jordan zog an der Zigarette, stieß den Rauch durch die Nase aus und lachte geradezu spöttisch auf. »Liz hat des Öfteren bei mir im Wagen gesessen und ist mit mir gefahren. Wenn Sie also ihre Spuren in meinem Auto entdecken, ist das wertlos. Ich kann ein Dutzend Zeugen benennen, die aussagen werden, dass Liz immer wieder mal mit mir fuhr.«

»Wie ist das mit Ihrem Geschäftswagen?«, ließ nun Ron Harris seine Stimme erklingen. »Ist Liz während ihrer Arbeitszeit auch mit Ihnen gefahren?«

»Wie… - Wieso Geschäftswagen?«, stotterte Rich Jordan. Die Frage schien ihn ziemlich aus der Fassung zu bringen. Seine arrogante Gelassenheit, die er bis jetzt an den Tag legte, schien jäh zerbrochen zu sein. »Wie kommen Sie darauf, dass ich …«

»Wir haben mit Ihrem Arbeitgeber gesprochen. Für dienstliche Fahrten benutzen sie einen Geschäftswagen. Wir vermuten, dass Sie mit diesem Fahrzeug Ihre Nichte entführten, denn die Entführung geschah während Ihrer Arbeitszeit. Und weil wir diesen Verdacht hegen, wurde der Honda, den Sie geschäftlich nutzen, ebenfalls beschlagnahmt.«

Jordan zog die Unterlippe zwischen die Lippen und kaute darauf herum. Die Farbe in seinem Gesicht schien um eine Nuance bleicher geworden zu sein. Fahrig drückte er die Zigarette aus. »Ich weiß es nicht mehr so genau«, murmelte er dann mit brüchiger, belegter Stimme. »Aber ich schließe nicht aus, dass ich Liz hin und wieder mal auch im Firmenwagen mitgenommen habe.«

»Wir werden es sehen«, knurrte Owen Harris und wechselte das Thema. »Wir waren bei der Wells Fargo Bank und haben uns die Bewegungen auf Ihrem Konto in den letzten sechs Monaten zu Gemüte geführt.«

Jordan schob das Kinn vor. In seinen Augen blitzte der Zorn. »Wie kommen Sie dazu? Wer hat Ihnen Einblick in meine finanziellen Angelegenheiten gewährt? Ich werde dafür sorgen …«

Burke unterbrach ihn. »Ruhig Blut, Mr. Jordan. Es geschah auf eine richterliche Anweisung hin. Ich kann Sie Ihnen gerne zeigen.« Burke ließ seine Worte sekundenlang wirken, Sekunden, in denen Jordan Zeit fand, den Aufruhr in seinem Inneren zu bekämpfen und in den Griff zu bekommen. Er mahlte nur mit den Zähnen. Also sprach Owen Burke weiter: »Wer ist Deborah Morris?«

Jordan zuckte zusammen, als hätte ihn Burke mit einer glühenden Nadel gestochen. Jetzt war es nur noch der namenlose Schreck, der jeden Zug seines Gesichts prägte. Und er hatte endgültig die Farbe gewechselt. Er war nun bleich wie ein Leinentuch.

»Die Nennung des Namens löst bei Ihnen nicht gerade einen Freudentaumel aus«, fuhr Burke fort. Seine Stimme klang gnadenlos präzise. Die Worte schienen Jordan wie Peitschenschläge zu treffen. »Sie haben 15.000 Dollar Schulden, deren Rückzahlung man Ihnen seit einem halben Jahr gestundet hat. Auf Ihrem Girokonto ist darüber hinaus ein Soll von ungefähr 3.000 Dollar aufgelaufen. Sie zahlen monatlich 300 Dollar an Deborah Morris. Und am 15. Juli, vor etwa drei Wochen also, haben Sie ihr 5.000 Dollar überwiesen. Wollen Sie uns immer noch erzählen, dass bei Ihnen finanziell alles im grünen Bereich ist?«

Jordan hatte das Gesicht gesenkt und starrte auf den Boden. Die Ellenbogen hatte er auf seine Oberschenkel gelegt, seine Finger waren ineinander verschränkt, die Hände baumelten zwischen seinen Knien. Plötzlich murmelte er: »Deborah war meine Geliebte. Wir haben ein Kind miteinander. Der Junge ist zwei Jahre alt. Meine Frau weiß nichts davon. Und sie darf es auch niemals erfahren. Sie würde sich auf der Stelle scheiden lassen.«

»Deborah Morris war Ihre Geliebte!«, brachte sich Ron Harris ins Gespräch ein. »Die Betonung liegt auf war. Das Verhältnis ist also beendet.«

Jordan nickte. »Ich habe mich schon vor der Geburt Jimmys von ihr zurückgezogen. Sie drohte, meine Frau in die Sache einzuweihen. Als der Junge geboren wurde, zahle ich ihr 15.000 Dollar Schweigegeld. Darüber hinaus erklärte ich mich bereit, monatlich 300 Dollar an Unterhalt für den Kleinen zu bezahlen. Anfang Juli nun forderte Deborah von mir 5.000 Dollar. Im Falle, dass ich nicht bezahle, drohte sie, Karen alles zu erzählen. Also zahlte ich. Das ist der Grund, weshalb ich mit 3.000 Dollar in den Miesen bin.«

»Was diese Deborah Morris macht, nennt das Strafgesetzbuch Erpressung«, stieß Harris hervor. »Warum sind Sie nicht zur Polizei gegangen, Mr. Jordan?«

»Weil dann alles aufgeflogen wäre und mich Karen verlassen hätte. Es wäre mein Ruin. Meine beiden Töchter besuchen die High School und haben vor, zu studieren. Ich müsste Unterhalt für sie und Karen zahlen. Dazu kommt der Unterhalt für Jimmy. - Die Leute sind ausgesprochen zurückhaltend geworden, wenn es darum geht, eine Versicherung abzuschließen. Ich bekomme lediglich ein Fixgehalt von 500 Dollar im Monat. Im Übrigen werde ich auf Provisionsbasis entlohnt. Wenn ich also nicht viele Abschlüsse vorzuweisen habe, fällt mein Lohn entsprechend gering aus. Und es wird immer schwieriger …«

Er brach ab und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen.

»Da sind Sie auf die Idee gekommen, sich auf andere Weise Geld zu beschaffen!«, gab Owen Burke zu verstehen. »Sie wussten, dass ihr Vater jeden Tag hohe Summen spazieren fuhr. Und Sie kamen auf die Idee, Ihre Nichte zu entführen und Ihren Vater zu erpressen. Sie nötigten ihn, seinen Beifahrer auszuschalten und mit dem Geldtransporter zu dem Parkplatz in der Van Dam Street zu fahren. Als sie das Geld hatten, erschossen Sie Ihren Vater, um zu verhindern, dass er Sie der Polizei ans Messer liefert. Ihre Nichte töteten Sie im Rahmen der Zeugenbeseitigung.«

Sehr schnell fand Richard Jordan zu seiner alten Sicherheit zurück. »Sie saugen sich da etwas aus den Fingern, G-man. Sicher, es gibt einiges, das für Ihre Theorie spricht. Der schlüssige Beweis jedoch fehlt ihnen auf der ganzen Linie. Dieser verbale Erguss von eben ist Spekulation. Denken Sie, Sie können mich aus der Reserve locken? Weit gefehlt, guter Mann. Sie haben nicht den geringsten Beweis für Ihre Vermutungen. Es gibt – um es mit Ihren Worten auszudrücken -, nicht ein einziges Mosaiksteinchen, das Sie zu einem Bild zusammenfügen können. Verschonen Sie mich ab sofort mit derlei Verbalattacken. Ich sagte es Ihnen schon einmal: Sie beißen bei mir auf Granit.«

Wortlos holte Burke ein längliches Päckchen aus der Innentasche seiner Jacke, riss es auf und zog einen kleinen Stab mit einem Wattebausch, ähnlich einem Q-tip, heraus. »Ich mache jetzt bei Ihnen den Speichelabstrich«, erklärte der G-man. »Öffnen Sie bitte den Mund.«

Die Prozedur war schnell durchgeführt und das Stäbchen mit dem Wattetupfer wieder steril verpackt. Burke und Harris wandten sich zur Tür. Ehe er die Wohnung verließ, sagte Owen Burke über die Schulter: »Wir sehen uns wieder, Mr. Jordan. Vielleicht schneller, als Ihnen lieb ist.«

»Sie haben sich in etwas verrannt, Special Agent!«, giftete Jordan. »Gehen Sie zur Hölle!«

»Diesen Gefallen werden wir Ihnen nicht erweisen!«, versetzte Burke ruhig. Dann öffnete er die Tür. Die beiden Agents verließen die Wohnung.

6

Sie fuhren auf der Columbus Avenue nach Süden und waren auf Höhe des Museums of Natural History, als das Telefon klingelte. Burke ging auf Verbindung. Es meldete sich Karen Jordan. Ihre Stimme klang völlig aufgelöst, als sie ins Telefon rief: »Nachdem Sie die Wohnung verlassen hatten, begann mein Mann, Unterwäsche, Socken, Hemden und eine Reihe anderer Kleidungsstücke und Utensilien wie Zahnputzzeug und Rasierapparat in eine Reisetasche zu stopfen. Als ich von ihm wissen wollte, was denn los sei, erklärte er mir, dass er mich verlassen werde. Ich versuchte ihn am Verlassen der Wohnung zu hindern, er schlug mich zusammen und ich verlor sogar kurzzeitig das Bewusstsein. Als ich wieder zu mir kam, war er fort.« Karen Jordan fing an zu weinen. »Sagen Sie es mir: Was ist geschehen? Was hat meinen Mann so aus der Fassung gebracht?«

»Wir halten Ihren Mann für den Mörder seines Vaters und seiner Nichte«, antwortete Owen Burke ohne Umschweife. »Die Schlinge um seinen Hals hat sich immer stärker zusammengezogen. Und jetzt hat er die Nerven verloren.«

»Mein Gott, warum sollte er seinen Vater und Liz umgebracht haben? Rich tut keiner Fliege etwas zuleide. Wahrscheinlich haben Sie ihm dermaßen Angst eingejagt, dass er völlig durchgedreht ist. Er …«

»Ihr Mann wird erpresst. Wussten Sie, dass auf seinem Konto bei der Wells Fargo Bank chaotische Verhältnisse herrschen? Er hat einer Deborah Morris 20.000 Dollar Schweigegeld gezahlt. Insgesamt steht er bei der Bank mit über 18.000 Dollar in der Kreide. Das Wasser steht ihm bis zum Hals. Da hatte er die Idee mit dem Geldraub. Dabei kam ihm gelegen, dass sein Vater Fahrer eines Geldtransporters war.«

»Wer ist Deborah Morris?«, stieß Karen Jordan hervor. »Warum erpresst sie meinen Mann? Vor allen Dingen: Womit ist mein Mann erpressbar?«

»Sie war seine Geliebte. Er hat einen zweijährigen Sohn mit ihr und zahlt dem Jungen monatlich 300 Dollar Unterhalt. Mit 20.000 Dollar hat er sich das Schweigen der Lady erkauft. Ihr Mann wollte mit allen Mitteln vermeiden, dass Sie von seinem Seitensprung erfuhren.«

»Er – hat – ein – Kind?«

»Ja. Und es ist wohl so, dass er nach unserem Besuch eben seine Felle davon schwimmen sah. Wir haben ihn in die Enge getrieben. Ihm ist klar, dass wir in seinem Auto oder in seinem Dienstfahrzeug Hinweise darauf finden werden, dass er der Entführer und damit auch der Mörder seiner Nichte ist. Und jetzt sucht er sein Heil in der Flucht.«

»Großer Gott!«, hauchte die Frau. »Das – das ist zu viel für mich. Ich … Ich …«

Burke vernahm einen dumpfen Aufschlag. »Mrs. Jordan!«, rief er ins Telefon, und gleich noch einmal: »Mrs. Jordan, hören Sie mich?«

Die Leitung war tot.

Burke unterbrach die Verbindung, rief beim Police Department an und sagte, als sich jemand meldete: »Burke, FBI New York. Ein Notfall in 512 West 121st Street, vierte Etage. Der Name ist Karen Jordan. Schicken Sie bitte ein Einsatzfahrzeug vorbei und alarmieren Sie den Emergency Service.«

Der Beamte sagte zu. Burke wandte sich an seinen Partner: »In die Bethune Street, mein Bester. Ich denke, bei Rich Jordan ist eine Sicherung durchgebrannt. Er weiß, dass er verspielt hat, und wahrscheinlich gibt er Deborah Morris die Schuld an seiner Misere. Es ist wohl so, dass er sich mit den 150.000 Dollar absetzen will. Vorher aber möchte er der Lady eine gesalzene Rechnung präsentieren. – Da er kein Auto hat, muss er sich mit der U-Bahn oder einem Taxi begnügen. Allerdings haben wir einen gehörigen Vorsprung, und wir werden vor ihm in der Bethune Street sein.«

»Und wenn er nicht aufkreuzt?«, fragte Ron Harris.

»Dann leiten wir die Fahndung nach ihm ein. Früher oder später wird er uns ins Netz gehen.«

Die Bethune Street liegt in Greenwich Village. Sie fuhren auf der Columbus Avenue bis zur Gansevoort Street, dann ging es auf der Greenwich Street weiter, und als die vierte Seitenstraße kreuzte, waren sie am Ziel. Harris bog nach rechts ab, der Dodge rollte langsam an den Häusern vorbei, und dann erspähte Burke die Hausnummer, zu der sie wollten.

Während Ron Harris im Dodge sitzen blieb, stieg Owen Burke aus und postierte sich etwa fünfzig Yards von dem Gebäude entfernt, in dem Deborah Morris wohnte, in einer Nische.

Das Warten begann. Die Dunkelheit nistete sich langsam in den Straßenschluchten ein. Im Big Apple gingen die Lichter an. Es war etwas kühler geworden. Am Himmel hatten sich Wolken gebildet. Die Geräuschkulisse, die die Agents umgab, veränderte sich kaum. Es war das monotone Brummen von Automotoren, nervtötendes Hupen und von Zeit zu Zeit durchdringendes Sirenengeheul. Die Geduld der G-men wurde auf eine harte Probe gestellt.

Bald war es Nacht. Für einigermaßen Helligkeit sorgten die Straßenlaternen. In der Bethune Street kehrte Ruhe ein. Nur noch selten fuhr ein Auto die Straße entlang oder bewegten sich Menschen auf den Gehsteigen.

Plötzlich aber vibrierte Burkes Handy in der Jackentasche. Er fischte es heraus, ging auf Empfang, und hörte Ron Harris sagen: »Er kommt. Vorsicht ist geboten. Sicher hat er die Waffe bei sich, mit der er seinen Vater erschossen hat.«

»Das ist anzunehmen«, pflichtete Owen Burke bei. Er lugte um die Ecke des Gebäudes, das ihm Schutz bot. Und nach einer Weile sagte er ins Handy: »Ich sehe ihn, Partner. Greifen wir zu.«

Er steckte das Handy ein, zog die SIG Sauer P 226 aus dem Holster, entsicherte sie und lud sie durch. Dann trat er aus seiner Deckung und schritt Richard Jordan entgegen. Burke sah seinen Partner aus dem Dodge steigen, nachdem Richard Jordan ihn passiert hatte.

Rich Jordan durchschritt den Lichtkreis einer Straßenlaterne. Seine Gestalt warf einen kurzen Schatten. Owen Burke konnte Einzelheiten erkennen. Jordan schleppte eine Reisetasche mit sich.

Jetzt erreichte er die Tür des Hauses, in dem Deborah Morris wohnte. Seine Linke legte sich auf den Drehknopf der Tür.

»Jordan!«

Das Wort fiel wie ein Hammerschlag.

Richard Jordan riss es regelrecht herum. Er sah die Gestalt, die zehn Schritte von ihm entfernt auf dem Gehsteig stand, und die Erkenntnis, dass es sich um Special Agent Owen Burke handelte, fuhr ihm wie ein eisiger Guss ins Bewusstsein. Seine Rechte öffnete sich, die Reisetasche klatschte auf den Boden, Jordans Hand zuckte unter die Jacke.

»Rühren Sie sich nicht!«, rief hinter Jordan Ron Harris. »Zwingen Sie uns nicht, auf Sie zu schießen!«

Jordan warf sich herum und spurtete los. Mit langen Sätzen überquerte er die Fahrbahn. Während des Laufens zog er die Glock heraus, die in seinem Hosenbund steckte, entsicherte und lud sie durch. Hinter einem Chevy ging er auf Tauchstation.

Auch Owen Burke war gestartet. Zwei Sprünge nach Jordan kam er auf der gegenüberliegenden Straßenseite an, und auch er ging hinter einem Auto in Deckung. Ron Harris war auf der anderen Fahrbahnseite geblieben und befand sich ebenfalls im Schutz eines parkenden Fahrzeuges.

Owen Burke ließ seine Stimme erklingen. »Geben Sie auf, Jordan. Sie haben keine Chance. In wenigen Minuten wird es hier von Polizisten nur so wimmeln. Sehen Sie ein, dass Sie verloren haben. Legen Sie die Waffe auf den Boden und gehen Sie mit erhobenen Händen bis zur Mitte der Fahrbahn.«

»Einen Dreck werde ich!«, schrie Jordan hysterisch. »Ich gehe nicht für den Rest meines Lebens nach Sing Sing. Lieber sterbe ich.«

»Haben Sie wirklich gedacht, Sie könnten mit Mord und Raub ihr Leben wieder in den Griff bekommen?«

»Ich diskutiere nicht mit Ihnen, Burke. Die Pest an Ihren Hals. Diese Hure da oben und der kleine Bastard haben mein Leben zerstört. Sie ist mit einer Kaltschnäuzigkeit sondergleichen vorgegangen. Ihre Habgier kennt keine Grenzen. Der Teufel soll sie holen.«

»Geben Sie wirklich der Frau die Schuld, Jordan? Gütiger Gott, fehlt es Ihnen denn total am Unrechtsbewusstsein? Sie haben wegen einer Handvoll Dollars Ihren eigenen Vater und Ihre fünfzehnjährige Nichte brutal ermordet. Trotz allem sehen Sie sich noch immer als Opfer?«

Plötzlich sprang Jordan auf. Sein Kopf, seine Schultern und ein Teil der Brust wuchsen über den Chevy hinaus. Er begann in Burkes Richtung zu feuern. Nach dem zweiten Schuss rannte er geduckt los. Er lief in Richtung West Street. Jenseits der West Street waren die Piers, die weit in den Hudson River hinein ragten. Und er schoss weiter. Er gab sich sozusagen selbst Feuerschutz.

Ron Harris eilte schräg über die Straße und folgte auf dem Gehsteig dem Mörder. Owen Burke setzte sich ebenfalls in Bewegung und hetzte, den Schutz der parkenden Fahrzeuge ausnutzend, ebenfalls in Richtung West Street.

Jordan hörte zu schießen auf. Denn er musste sich nach vorne konzentrieren, um auf dem schadhaften Gehsteig nicht zu stolpern und zu stürzen. Keuchend erreichte er die West Street. Im Hudson spiegelten sich die Lichter der Hochhäuser, die die breite Straße säumten. Der Verkehr floss in beide Richtungen. Eine Blechlawine, die sich von Süden nach Norden und von Norden nach Süden bewegte. Eine wahrhaftige Kette aus weißen und roten Lichtern.

Der Verbrecher hielt an, drehte sich herum und schaute in die Richtung, aus der die beiden Agents kommen mussten. Er war nur noch ein zitterndes und vibrierendes Nervenbündel. Seine Zukunft lag so schwarz vor ihm wie die Nacht. Er hatte nichts mehr zu verlieren.

Jordan erspähte einen seiner Verfolger, riss die Hand mit der Glock hoch und schoss. Dann wirbelte er wieder herum und sprang in die West Street. Autoreifen quietschten. Jordan wurde von dem Wagen erfasst, hochgeschleudert und prallte auf die Motorhaube. Von ihr rutschte er vor dem Wagen auf den Asphalt. Ein nachfolgendes Fahrzeug konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen. Es gab einen dumpfen Knall, als es auffuhr. Das Auto, in das Jordan gelaufen war, wurde regelrecht einen Yard nach vorne katapultiert und überrollte den Mörder. Wasserdampf von einem geplatzten Kühler breitete sich aus und hüllte alles ein.

Atemlos kamen erst Ron Harris und dann Owen Burke beim Schauplatz der Karambolage an. Der Verkehr auf der Fahrspur, auf der der Unfall geschah, kam zum Stehen. Einige Fahrer sprangen aus ihren Fahrzeugen und rannten nach vorne. Stimmen wurden laut.

Owen Burke und Ron Harris holsterten ihre Dienstwaffen und liefen zu Jordan hin, der unter einem Ford lag. Harris kniete nieder, bückte sich und zog den linken Arm des Verunglückten zu sich heran, um den Puls zu fühlen. Schließlich schüttelte er den Kopf und sagte: »Jordan ist tot.« Nachdem er sich aufgerichtet hatte, fuhr Ron Harris grollend fort: »Er hat sich der irdischen Gerechtigkeit entzogen. Nun steht er vor seinem himmlischen Richter. Aber der ist nicht nur ein Gott der Liebe, wenn man der Bibel Glauben schenken darf, sondern auch ein Gott der Rache und des Zorns. Und ich hoffe, dass niederträchtige, skrupellose Mörder wie Jordan seinen ganzen göttlichen Zorn zu spüren kriegen.«

Owen Burke schaute zweifelnd.

E N D E

Die Farm des Schreckens

Special Agent Owen Burke

Krimi von Pete Hackett

1

»Der Junge ist seit gestern Mittag, 13.05 Uhr, spurlos verschwunden«, sagte der Assistant Director. »Um 13.05 Uhr stieg er an der Haltestelle Roosevelt Hospital aus dem Schulbus. Auf den etwa dreihundert Metern zwischen der Bushaltestelle und der elterlichen Wohnung in West 59th Street, Ecke Tenth Avenue, verschwand er.«

Special Agent Owen Burke schaute auf seine Uhr. »Es ist jetzt kurz nach 8 Uhr«, murmelte er. »Es ist also cirka neunzehn Stunden her, dass Percy Chewing zum letzten Mal gesehen wurde. Hat man von Seiten des Police Department bei der näheren Verwandtschaft oder im engeren Bekanntenkreis nachgefragt.«

»Das haben die Eltern selbst getan«, antwortete der AD. »Erfolglos. Es hat sich auch niemand gemeldet, der irgendwelche Lösegeldforderungen geltend gemacht hätte.« Der AD machte eine kurze Pause. Es mutete an, als müsse er seine nächsten Worte erst im Kopf formulieren. Schließlich fuhr er fort: »Das spurlose Verschwinden des Jungen erinnert sehr an zwei Fälle aus dem vergangenen Jahr. Ein Neunjähriger namens Jeremy Ledbetter verschwand im Juni 2011 hier in Manhattan, Mitte Dezember desselben Jahres verschwand Timothy Devlin, ein Achtjähriger. Die Kinder sind nie wieder aufgetaucht. In keinem der Fälle hat jemand Kontakt mit den Eltern aufgenommen, um Lösegeld zu erpressen.«

Der AD nahm die dünne Akte, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag, und reichte sie Owen Burke. »Ich beauftrage Sie beide mit der Klärung der Angelegenheit, Special Agents«, gab er zu verstehen. »Wenn Sie den Fall Percy Chewing lösen, erfahren wir möglicherweise auch, was aus den beiden anderen Jungs geworden ist, die im vergangenen Jahr spurlos verschwunden sind.«

Burke nahm die Akte, er und Ron Harris, sein Freund und Partner, erhoben sich.

»Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, Gentlemen«, murmelte der AD.

Burke und Harris verließen das Büro. Amalie Shepard, die Sekretärin des AD, bearbeitete mit verbissenem Gesichtsausdruck die Tastatur ihres Computers. Einige Strähnen ihrer grauen Haare hatten sich aus ihrer strengen Frisur gelöst und hingen ihr ins Gesicht.

»Grrrrh!«, machte Ron Harris. Ein Laut, der dem Grollen eines zornigen Schäferhundes nicht unähnlich war.

Amalie Shepard, die den beiden Agents die Seite zuwandte, fuhr herum, als hätte Harris sie mit einem glühenden Draht berührt. Ihre blaugrauen Augen versprühten Blitze. »Sie sticht wohl der Hafer, Special Agent! Nehmen Sie eine kalte Dusche. Vielleicht kühlt das Ihren Übermut etwas ab.«

»Wow, wow!«, ahmte Ron Harris das Bellen eines Hundes nach.

Amalie Shepard griff entschlossen nach dem Locher, der neben der Tastatur auf dem Schreibtisch stand.

»Rette sich wer kann!«, stieß Owen Burke hervor und schob seinen Partner in Richtung Tür. Als sie draußen waren und Burke die Tür hinter sich zugezogen hatte, knurrte er: »Und da wunderst du dich, warum sie uns keinen Kaffee kocht.«

Ron Harris grinste. »Mutter Courage reizt mich, sobald ich sie zu Gesicht bekomme. Ich glaube, ich will gar keinen Kaffee von Amalie. Sicherlich versetzt sie ihn bei mir mit Strychnin.«

»Davon bin ich überzeugt.« Burke machte ein ernstes Gesicht. »Aber Spaß beiseite, Partner. Damit, dass sie einen Reiz auf dich ausübt, kann ein tief in deiner Psyche verborgenes sexuelles Verlangen zum Ausdruck kommen. Du …«

»Witzbold!«

Sie lachten.

Die beiden Agents begaben sich in ihr Büro. Ihre Schreibtische waren zusammengeschoben und nahmen die Mitte des Raumes ein. »Wo können wir ansetzen?«, fragte Ron Harris, als sie saßen.

»Wir sollten uns erst mal die Akte zu Gemüte führen«, murmelte Owen Burke. »Nach dem, was wir gehört haben, gibt es nicht einen einzigen Hinweis auf eine Entführung. Wenn den Jungen auf der Straße jemand ins Auto gezerrt hätte, wäre das sicher einem Passanten oder Autofahrer aufgefallen und er hätte sich bei der Polizei gemeldet.«

»Das ist gar nicht so sicher«, verlieh Ron Harris seinen Zweifeln Ausdruck. »Fünfundneunzig Prozent der Menschheit sind Ignoranten. Und wenn von den anderen fünf Prozent zum Zeitpunkt einer eventuellen Entführung keiner in der Nähe war, dann gibt es auch keinen entsprechenden Hinweis.«

»Du hast ja eine hohe Meinung von unserer Spezies.«

»Das ist so.«