Ein Elch zum Verlieben - Jytta Rasmussen - E-Book
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Jytta Rasmussen

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Beschreibung

Am Telefon hatte die weiche Bassstimme des Firmenberaters, den ihre Schwester in den Elchpark geschickt hatte, fast sogar sympathisch geklungen. Zumindest so sympathisch, dass Alva für einen winzigen Augenblick gehofft hatte, es handle sich bei ihm nicht um einen der üblichen affektierten, arroganten Krawattenträger, die normalerweise für ihre Schwester arbeiteten. Doch da hatte sie sich leider getäuscht. Wie sollte es auch anders sein. Natürlich schickte Diana einen absoluten Stadtschnösel, der vom Landleben soviel Ahnung hatte wie ein Elch von der Rechtschreibung. Aber für Diana stand ja auch das Ergebnis seines Kontrollbesuches bereits fest. Der Elchpark war nicht rentabel. Alva sollte die Tiere an einen Zoo verkaufen. Oder besser noch gleich schlachten lassen... // Verzweifelt beginnt Alva um ihren Elchpark zu kämpfen. Dabei entpuppt sich der Mann, den ihre Schwester geschickt hat, als wertvolle Hilfe. Und lässt sich nicht einmal davon abschrecken, dass Alva ihn zum Ausmisten ins Elchgehege sperrt. Und schon bald, beginnt ihr Herz höher zu schlagen, sobald er in ihrer Nähe ist. Aber kann sie ihm wirklich vertrauen. Schließlich ist er im Auftrag ihrer Schwester nach Nusnäs gereist. Ein weiterer Wohlfühl-Liebesroman der Autorin von "Glück beginnt mit G wie Gotland".

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Ein Elch zum Verlieben

Ein Wohlfühl-Liebesroman vor der herbstlichen Kulisse Wald-Schwedens

 

von Jytta Rasmussen

I. Teil

1. Kapitel

Alva trat das Gaspedal so weit durch, dass die Reifen ihres alten roten Pick-ups quietschten, als sie auf der schmalen Landstraße am Ortsausgang von Nusnäs beschleunigte.

Hoffentlich kam sie nicht zu spät!

Emil hatte ihr am Telefon nicht gesagt, wie schlimm das Elchkalb verletzt war. Aber ihr sonst so gelassener bester Freund hatte ehrlich besorgt geklungen und sie zur Eile gedrängt. 

Das war kein gutes Zeichen.

Gar kein gutes Zeichen! 

Ächzend hüpfte der Pick-up über ein besonders tiefes Schlagloch. Gut, dass Ende August nur noch wenige Touristen auf den Straßen der Provinz Dalarna unterwegs waren. Es hätte ihr gerade noch gefehlt, dass sie hinter einem Ortsfremden festhing, der aus Angst um seinen Neuwagen im Schritttemo um die Schlaglöcher kurvte. Statt auf den grasbewachsenen Randstreifen auszuweichen, um sie auf der schmalen Teerstraße vorbei zu lassen. 

Jede Sekunde zählte, wenn sie das Elchkalb retten wollten!

Was wohl mit seiner Mutter passiert war?

Alva schluckte.

Bestimmt hatte irgendein Idiot nicht aufgepasst und sie tot gefahren.

Unwillkürlich hob Alva ihren Fuß ein wenig vom Gaspedal. Wenn ihr bei Tempo einhundertfünfzig auf der Landstraße ein Elch begegnete, hatte auch sie keine Chance auszuweichen.Und wenn sie einen Unfall baute, war dem verletzten Elchkalb erst recht nicht geholfen. 

Das arme Elchkalb war vermutlich nicht nur verletzt, sondern auch traumatisiert. Der Verlust der Mutter war das Schlimmste, was einem Jungtier passieren konnte. Und nicht immer gelang es ihnen, das mutterlose Kalb zu retten. Moses, ihr letzter Schützling, hatte es nicht geschafft. 

Das hellgraue Band der schmalen Landstraße verschwamm vor Alvas Augen. Ärgerlich zog sie die Nase hoch und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen von der Wange.

Noch lebte das Elchkalb! Und sie würde alles dafür tun, damit das so blieb! 

Sie kurbelte das Seitenfenster herunter und versuchte sich von den Erinnerungen an Moses abzulenken, indem sie sich auf die vorbeifliegende Landschaft konzentrierte. Die Blätter des lichten Birkenwaldes, der die Landstraße beidseits säumte, leuchteten noch in sattem Grün. Doch der Fahrtwind, der ihr trotz des sommerlichen Spätnachmittags mit blauem Himmel und orange glühender Sonne kühl ins Gesicht blies, roch bereitsnach Herbst. Nach Nebel, feuchter Erde und nassem Laub. Es würde nicht mehr lange dauern, bis nachts der erste Frost kam und die Blätter der Birken sich gelb färbten.

Alva spürte einen bitteren Geschmack im Mund.

Eigentlich liebte sie den Herbst, der die Wälder rund um den Siljansee in ein farbenfrohes Blättermeer verwandelte. Die einzige Zeit des Jahres, in der man sich im kurzärmeligen T-Shirt draußen bewegen konnte, weil die Temperaturen tagsüber oft noch auf Ende zwanzig Grad kletterten, aber die frostigen Nächte die Mücken bereits vertrieben hatten. 

Wenn der Herbst nur nicht gleichzeitig auch die Haupt-Jagdsaison gewesen wäre. Jeden Tag würden die Schüsse der Jäger weit durch die Wälder hallen. 

Nicht, dass Alva grundsätzlich etwas gegen die Jagd hatte, wenn die Jäger sich an Abschusszahlen und Schonzeiten hielten. Doch sie hatte ganz entschieden etwas gegen die herbstlichen Horden alkoholisierter Jäger, die schon früh am Morgen den ersten Schluck aus ihrem Flachmann nahmen und auf alles schossen, was sich bewegte. Selbst wenn es eine Warnweste trug. 

Alva lenkte den Pick-up um eine Linkskurve und stöhnte, als ihr am Horizont ein silbermetallic glänzendes Auto entgegen kam. Sie stöhnte gleich noch einmal, als sie erkannte, dass es sich um einen Tesla handelte. 

Kein Einheimischer fuhr ein Elektroauto. Viel zu unpraktisch, wenn man nachts oder am Wochenende zweihundert Kilometer bis zum nächsten Arzt fahren musste.

Ohne das Tempo ihres Pick-ups zu verlangsamenwich sie nach rechts auf den grasbewachsenen Randstreifen aus. Staub wirbelte auf und drang durch das geöffnete Fenster ins Wageninnere, als sie an dem Tesla vorbeischoss.

Im Augenwinkel sah Alva, dass der Fahrer sie aufgebracht anstarrte. Sollte er doch! Sie hatte Wichtigeres zu tun, als sich um die oberflächlichen Empfindlichkeiten eines Stadtschnösels zu kümmern. Noch dazu eines Stadtschnösels in Anzug und Krawatte.

Krawatte!

Bestimmt hatte der Mann sich trotz Navigationssystem verfahren.

Niemand, weder Einheimischer noch Besucher, trug in Nusnäs eine Krawatte.

Nicht einmal zu einer Hochzeit oder Beerdigung.

Verdammter Idiot!

Wütend starrte Lasse im Rückspiegel dem roten Pick-up hinterher, der ihn beinahe von der Straße gefegt hätte. 

Als der Benzingestank des Wagens in seinen Tesla drang, verzog er angewidert das Gesicht. Diese verdammten Mineralölfresser sollten endlich verboten werden!Aber damit stieß man bei der männlichen Landbevölkerung ja auf taube Ohren. Auch sein Bruder und sein Vater fuhren uralte Pick-ups, die nicht einmal mit einem Katalysator ausgerüstet waren. Dafür jedoch mit vier Extrascheinwerfern vor dem Kühler. 

Lasse drückte auf das Gaspedal und genoss das fast lautlose Schnurren, mit dem sein Tesla vorwärts glitt. Er würde nie verstehen, was seine Geschlechtsgenossen an diesen röhrenden, stinkenden Riesenkisten fanden.  

Nur dass hinter dem Steuer des entgegenkommenden Pick-ups kein Mann, sondern eine Frau gesessen hatte. 

Noch schlimmer.

Bestimmt so ein Mannweib, das ständig in Outdoorhose und Flanellhemd herumlief. Und bei der Jagd mit den Männern um die Wette ballerte. 

Nicht dass er grundsätzlich etwas gegen Frauen oder Gleichberechtigung hatte. Ganz und gar nicht. Er kannte jede Menge Frauen, die es beruflich locker mit Männern aufnahmen. Seine Chefin Diana af Silverkron, die Inhaberin der Af Silverkron Consulting AB, war schließlich auch eine Frau. Eine äußerst Erfolgreiche noch dazu. Ihr Consulting Büro galt als eines der Führensten in ganz Schweden. Wenn nicht sogar in Europa. 

Um so seltsamer, dass Diana den Auftrag in Nusnäs angenommen und ihn dorthin beordert hatte. Er konnte sich kaum vorstellen, dass es in dem kleinen Dorf am Siljansee eine Firma gab, die sich ihre Dienste leisten konnte. Das Dorf hatte laut Internet ja nicht einmal einen Supermarkt. 

Aus dem Grund hatte Diana ihn vermutlich auch allein nach Nusnäs geschickt. Denn normalerweise arbeiteten sie in einem Team aus mehreren spezialisierten Beratern. Aber normalerweise erhielten sie auch vorab die detaillierten Finanz- und Personaldaten ihrer Auftraggeber und besuchten die zu beratenden Firmen erst persönlich, nachdem sie die Daten analysiert und gegebenenfalls notwendige Marktrecherchen durchgeführt hatten. 

Doch für diesen Auftrag hatte Diana ihm heute Morgen nur einen Zettel mit der Adresse einer Firma namens Wallin AB in die Hand gedrückt. "Die Firma schreibt seit fünf Jahren rote Zahlen. Du hast vier Wochen, um vor Ort einen Sanierungsplan zu erarbeiten! Der Geschäftsführer erwartet Dich heute Nachmittag." 

Und statt mit seinen Kollegen wie geplant in den Flieger nach London zu steigen, um ein aufstrebendes IT-Start-up zu beraten, fuhr er bereits seit Stunden allein durch Schwedens trostloses Outback.

Wie sollte er es bloß vier Wochen in dieser Einöde aushalten?

2. Kapitel

Lasse passierte das blau-weiße Ortsschild von Nusnäs und seufzte er schwer.Das Dorf sah noch schlimmer aus, als er erwartet hatte. Wobei man streng genommen von Dorf gar nicht reden konnte, denn eigentlich handelte es sich um einen weit verstreut liegenden Haufen falunroterHolzhäuser mit weißen Türen und Fenstern. Die dazwischen liegenden ausgedehnten Rasenflächen wurden nur hin und wieder von einer Blumenrabatte oder ein paar Birken unterbrochen. 

Schwedische Landidylle pur. 

Nur, dass er so gar nicht auf Landidylle stand.

Er liebte den Lärm und die Hektik Stockholms. An jeder Straßenecke gab es eine stylische Bar oder ein leckeres Restaurant. Irgendwo fand man immer Menschen, mit denen man zusammen lachen, tanzen und feiern konnte. Und für ein gutes Konzert seiner Lieblingsband musste man nicht durch halb Schweden reisen.

Warum nur musste seine Chefin ausgerechnet ihn in die Einöde schicken, während seine Kollegen gerade in London, Berlin und Göteborg arbeiten durften? So wichtig konnte der Auftrag in diesem Kaff doch gar nicht sein, dass sie ihn nicht auch an einen der Juniorberater hätte delegieren können. Zwar hatte er den Namen der Firma, Wallin AB, schon einmal gehört. Aber da er sich nicht erinnern konnte in welchem Zusammenhang, musste es sich um eine kleine, unbedeutende Klitsche handeln. 

Lasses verlangsamte seinen Tesla und hielt Ausschau nach einem Straßenschild mit der Aufschrift Tallväg, Kiefernweg. 

Oder einem Menschen, den er nach dem Weg fragen konnte.

Sein Navigationssystemhatte mit der Adresse der Wallin AB nichts anfangen können.

Alva verlangsamte ihren Pick-up und bog auf die holprige Schotterstraße nach Fudal ein. Laut Emil befanden er und das Elchkalb sich nur wenige hundert Meter entfernt, unmittelbar neben der Schotterstraße. 

Nach etwa einem halben Kilometer machte die staubige Straße eine leichte Rechtskurve,  an deren Ende mehrere Pick-ups und Geländewagen in einer langen Reihe hintereinander am Straßenrand parkten.Im Schritttempo fuhr Alva daran vorbei, begleitet von wütendem Hundegebell, das aus den Wagen scholl.Am Ende der Schlange erkannte Alva Emils Auto, den schlammbespritzten Geländewagen der Naturschutzbehörde. 

HinterEmils Geländewagen standen mehrere Jägerin kaki und neonorangegemusterten Camouflagejacken am Straßenrand. Mehrere der Männer, die allesamt aus Nusnäs stammten, hatten Gewehre geschultert. Dabei begann die Jagdsaison erst in zwei Wochen. 

Die Jäger starrten auf irgendetwas in Bodennähe.

Alva hielt hinter den Männern an und stieg aus. Mit den Ellenbogen drängte sie sich energisch zwischen ihnen hindurch. 

Und erschrak.

Einer der Männer, Kalle, ein kahlköpfiger Mitsechziger mit dem Alva schon mehrfach aneinander geraten war, hielt sein Gewehr im Anschlag und zielte auf ein am Boden liegendes blutendes Elchkalb. "Jetzt geh endlich weg und lass mich das Kalb erschießen!"

Ihr bester Freund Emil hockte neben dem Kalb auf dem Boden.

Rein äußerlich war Emil mit seiner Jagdkleidung, den wasserdichten  wadenhohen Wanderstiefeln und dem dunkelblonden Vollbart, der fast sein komplettes Gesicht bedeckte, nicht von den Jägern zu unterscheiden. Doch seine Körpersprache hätte unterschiedlicher nicht sein können. Er hatte sich schützend über das Kalb gebeugt und seine Hände streichelten beruhigend dessen Hals. "Nein! Erstens ist noch keine Jagdsaison und zweitens dürfen Kälber grundsätzlich nur geschossen werden, wenn sie lebensgefährlich verletzt sind!"

"Die Mutter ist tot. Willst Du das Kalb jämmerlich verhungern lassen?"

"Du solltest froh sein, dass ich Dich nicht wegen Wilderei anzeige. Mach' es nicht noch schlimmer, indem Du nach der Mutter auch noch das Kalb abknallst!"

"Wir haben unsere Hunde trainiert und die Elchkuh hat uns angegriffen! Es ist unser gutes Recht, uns zu verteidigen!"

Alva konnte sich nicht mehr zurückhalten. "Aber das Elchkalb hat Euch ganz bestimmt nicht angegriffen!" Wütend hockte sie sich neben Emil auf den Boden

Erst jetzt bemerkten die Männer Alva. "Ah, die Elchflüsterin kommt." 

"Brauchst wohl Nachschub für Deinen Streichelzoo!"

"Such' Dir endlich 'nen Mann und lass' Dir ein Kind machen! Dann kannst Du dem die Flasche geben!"

Alva kümmerte sich nicht um die abfälligen Kommentare der Männer. Stattdessen konzentrierte sie sich auf das verletzte Elchkalb. Das weibliche Jungtier lag schwer atmend auf der Seite. Es wog sicherlich noch keine vierzig Kilogramm und konnte kaum sechs Wochen alt sein. Viel zu jung, um die Mutter zu verlieren. 

Emil hatte seinen Pullover ausgezogen und dem Kalb über die Augen gelegt. Bevor sie den einfachen Trick kannten, hatten sie mehr als einmal blaue Flecken und Prellungen von den Hufen eines Kalbes davongetragen, das in Panik wild gestrampelt und um sich getreten hatte. 

An den Beinen des Elchkalbes konnte Alva mehrere blutige Bissverletzungen entdecken. "Was ist passiert?"

"Beim Jagdtraining", Emil sprach das Wort so überdeutlich aus, dass Alva verstand, dass  er kein Wort von Kalles Geschichte glaubte, "haben die Hunde eine Elchkuh mit Kalb aufgestöbert. Natürlich hat die Elchkuh angegriffen, um ihr Kalb zu beschützen, statt wegzulaufen. Einen der Hunde hat sie wohl böse am Kopf getroffen. Ich habe Kalles Schuss gehört. Und die kläffende Hundemeute, die das vollkommen erschöpfte Kalb gehetzt hat. Es hat ein paar böse Bissverletzungen an den Beinen." 

"Dann lass es uns auf den Pick-up laden!" Am besten sie verschwanden so schnell wie möglich mit dem Elchkalb von hier, bevor Kalle doch noch einmal abdrückte.

Alva trat hinter das Kalb und umfasste mit einer Hand die beiden Hinterläufe am Unterschenkel. Ihre andere Hand schob sie unter das Becken des Tieres. Emil schob seinen Arme unter dem Hals und dem Brustkorb des Kalbes hindurch. "Eins - Zwei - Drei!" Gleichzeitig hoben sie das Kalb in die Höhe.

Der Pullover rutschte von den Augen und Alva packte fester zu, in der Erwartung, dass das Kalb heftig strampeln würde. Doch es hing weiterhin schlaff in ihren Armen. 

Nur widerstrebend traten die Jäger beiseite, um Alva und Emil zum Pick-up zu lassen.

"Das Kalb schafft es doch sowieso nicht!"

"Das ist ein Wildtier. Das gehört in den Wald. Aber nicht in einen Streichelzoo!"

"Pass nur auf, dass Deine Elche ihr Gehege nicht verlassen! Sonst könnte es sein, dass sie in meiner Gefriertruhe landen!" 

3. Kapitel

Alva presste die Zähne aufeinander, dass ihre Kiefergelenke knackten. Dass einer oder mehrere ihrer fünf Elche aus ihrem Elchpark ausbrachen, war eine ihrer größten Sorgen. Die Jäger von Nusnäs würden nicht zögern, ihre großkalibrigen Bleikugeln in den zahmen, arglosen Tieren zu versenken. Da nützte es auch nichts, dass jedes ihrer Tiere gut sichtbar mit einem breiten, leuchtend orangen Halsband gekennzeichnet war. 

Und genau diese Sorge war der Grund, weshalb sie direkten Konfrontationen mit den Jägern normalerweise aus dem Weg ging. Sie musste die Jäger nicht noch mehr gegen sich aufbringen, als sie es mit der bloßen Existenz ihres Elchparks sowieso schon tat.

Sie spürte die feindseligen Blicke der Jäger hinter ihrem Rücken, aber sie warf keinen Blick zurück.

Auch Emil hatte die Lippen fest zusammengepresst und starrte stur in Richtung ihres Pick-ups. Kein Wunder, dass er bisher niemandem außer ihr anvertraut hatte, dass er homosexuell war. Als Angestellter der Naturschutzbehörde, der dafür verantwortlich war, dass die Jagdvorschriften in der Provinz Dalarna eingehalten wurden, hatte er sowieso schon einen schweren Stand bei der männlichen Landbevölkerung. Sie wollte gar nicht wissen, wie die Jäger reagieren würden, wenn sie von seiner sexuellen Orientierung wüssten. 

Gemeinsam schoben sie das Elchkalb auf die Ladefläche des Pick-ups. Alva kletterte ebenfalls hinauf. Aus der Alukiste, die sie aufder Ladefläche des Pick-ups verschraubt hatte, nahm sie mehrere Decken und breitete sie hinter der Fahrerkabine aus. Sie zog das Kalb darauf und setzte sich dann mit ausgestreckten Beinen so hin, dass das Kalb zwischen ihren Beinen liegen und sie sich mit dem Rücken an der Fahrerkabine anlehnen konnte. 

Emil war bereits eingestiegen und hatte den Pick-up gestartet. 

Mit der flachen Hand klopfte Alva an die Fahrerkabine. Emil konnte losfahren. 

Als der Pick-up sich in Bewegung setzte und auf der Schotterstraße wendete, legte Alva vorsorglich beide Arme auf das Kalb, um es festzuhalten. Die ruckelnden Bewegungen eines fahrenden Autos waren ungewohnt für ein Wildtier und verursachten im ersten Augenblick oft Panik. Doch wider Erwarten blieb das Kalb auch jetzt ruhig liegen. 

Alva schluckte.

Hoffentlich hatte das Kalb nicht bereits zu viel Blut verloren, um zu überleben.

Sie zog ihr Mobiltelefon aus der Tasche und wählte die Nummer der örtlichen Tierarztpraxis.

Nach dem zehnten Klingeln knackte es in der Leitung. "Distriktsveterinärerna Mora, Filip Johansson."

"Hej, Filip, hier ist Alva. Ich habe ein verletztes Elchkalb. Es hat mehrere Hundebisse und ist sehr schwach." 

"Ich bin gerade bei einem Pferd mit Kolik in Bunkris. Im Anschluss komme ich sofort vorbei. Ihr könnt es schon einmal mit Milch füttern und die Wunden desinfizieren." 

"Machen wir!."

Helvete! Bunkris lag fünf Mil, also fünfzig Kilometer, entfernt. Bis Filip hier war, würde mindestens eine Stunde vergehen.

Es gab nicht viele Augenblicke, in denen Alva das Landleben verfluchte. Aber wenn nachts oder am Wochenende ein Elch krank wurde und der einzige diensthabende Tierarzt gerade am anderen Ende Dalarnas weilte, dann schon. Dabei musste sie in diesem Fall noch froh sein, dass Filip 'nur' in Bunkris war. Er hätte auch in Särna sein können. Zwölf Mil entfernt. Oder gar in Idre. Fünfzehn Mil. 

Hoffentlich kam er nicht zu spät, um das Leben des Elchkalbes zu retten.

Nachdem Lasse jede der zehn Straßen von Nusnäs gefühlt zwanzig Mal abgefahren war, ohne ein Straßenschild mit der Aufschrift Tallväg zu entdecken, geschweige denn einem einzigen Menschen zu begegnen, den er nach dem Weg hätte fragen können, parkte er seinen Tesla genervt auf einem geteerten Platz am Ufer des Siljansees. 

Er brauchte dringend einen doppelten Espresso.

Besser noch einen Dreifachen.

Aber wie es aussah, musste er sich mit frischer, sauberer Landluft zur Stärkung begnügen.

Lasse stieg aus seinem Auto und atmeteein paar Mal tief ein und aus, während er sich umsah. Ein hölzerner Steg führte ins Wasser, neben dem mehrere Segel- und Motorboote dümpelten, die ihre besten Jahre schon gesehen hatten. Langsam schlenderte Lasse über den Holzsteg. Die ausgetretenen Bohlen klapperten unter seinen Füßen, obwohl er Schuhe mit Ledersohlen trug, und übertönten das sanfte Plätschern der Wellen. Mit der Hand schirmte Lasse seine Augen gegen die Strahlen der angenehm warm auf sein Gesicht scheinenden Spätnachmittagssonne ab und ließ seinen Blick über den Siljansee gleiten. Die Wasseroberfläche glitzerte verheißungsvoll im Licht der orangerot scheinenden tiefstehenden Sonne und das gegenüberliegende Ufer des riesigen Waldsees war nur schemenhaft erkennbar. 

Vielleicht konnte er morgens am See Joggen gehen und sich einbilden, dass er sich, wenn schon nicht in einer Großstadt, zumindestam offenen Meer befand. In einem modernen Urlaubsort, dessen Straßen sich alle mit Hilfe eines Navigationssystems finden ließen und der mindestens einen Coffeeshop besaß, in welchem der Espresso mit einer Siebträgermaschine zubereitet wurde. 

Lasse schlenderte zurück zu seinem Auto und wählte die Mobilnummer, die Diana ihm neben der Adresse der Firmanotiert hatte. 

Das Telefon klingelte drei Mal.

Vier Mal.

Fünf Mal.

Nach dem sechsten Klingeln wollte Lasse schon auflegen. 

Doch endlich knackte es in der Leitung.

Eine atemlose Frauenstimme ertönte.

"Hej!"

Lasse runzelte verwundert die Stirn. Die Besitzerin der jungen, durchaus nicht unsympathisch klingenden, Stimme konnte nicht älter als fünfundzwanzig sein. Also vermutlich eine Rezeptionistin oder eine Sekretärin der Wallin AB.Dabei hatte er seine Chefin so verstanden, dass es sich um die Durchwahl des Geschäftsführers handelte. 

"Hej! Lasse Lundgrenhier, Af Silverkron Consulting AB." 

Helvete! Alva biss sich auf die Unterlippe, als sie die tiefe Stimme des Mannes am Telefon hörte. Vor Sorge um das verletzte Elchkalb hatte sie ganz vergessen, dass Dianas Schnüffler heute anreisen sollte. 

Wenn ihre HalbschwesterDiana davon Wind bekam, dass Alva den Mann vergessen hatte, würde sie sich gleich wieder eine Strafpredigtanhören können. "Wo bist Du jetzt?" 

"Am Hafen von Nusnäs", antwortete die Bassstimme, die viel zu warm und sympathisch für einen von Dianas arroganten Angestellten klang. Auch wenn kein normaler Mensch auf die Idee kommen würde, den Bootssteg von Nusnäs als Hafen zu bezeichnen. 

"Wenn Du mit dem Rücken zum Wasser stehst, müsstest Du am Parkplatz eigentlich ein  Holzschild mit der Aufschrift Älgpark, Elchpark, sehen."

"Älgpark?!"

"Ja, Älgpark!"

Ja natürlich Älgpark. Was denn sonst?

Der Pick-up holperte über ein Schlagloch, so dass Alva und das Elchkalb in die Luft geworfen wurden. 

Schnell schmiss Alva ihr Handy neben sich, um das Kalb mit beiden Armen festzuhalten. 

Doch statt in Panik zu strampeln, blieb es auch jetzt beunruhigend ruhig liegen.

Kopfschüttelnd steckte Lasse sein Mobiltelefon wieder ein. Seine Gesprächspartnerin hatte das Telefonat beendet, ohne sich zu verabschieden.  

Bei dem Service war es kein Wunder, dass die Wallin AB die Dienste eines Consultingbüros benötigte. 

Auch wenn die Stimme der Rezeptionistin durchaus sympathisch geklungen hatte. 

4. Kapitel

Im Kopf erstellte Lasse einevorläufige Mindmap.Wallin AB. Service - Telefon - Erreichbarkeit - Gesprächsführung. Besuchsadresse - Ausschilderung - Navigationssystem. 

Dann suchte er den Parkplatz nach einem Hinweisschild mit der Aufschrift 'Älgpark' ab. 

Und tatsächlich, halb verborgen zwischen den Blättern eines Schlehdornbusches, stand ein pfeilförmiges dunkelbraunesHolzschild, dessen rostrote Aufschrift bereits verblasste. Das spitze Ende des Schildes zeigte nach rechts. 

Zumindest hatte es früher einmal nach rechts gezeigt, bevor das Schild so schief stand, dass es geradewegs in den Himmel wies. 

Lasse setzte sich wieder in seinen Tesla und fuhr in die Richtung, in die der Pfeil früher gezeigt hatte. Nachdem er wusste wonach er suchen musste, war es kein Problem der weiteren Beschilderung zu folgen. 

Bis er zu einem Hinweisschild kam, das nach links in einen unbefestigten Weg wies, der durch einen dichten Birkenwald führte. Der Weg war so schmal, dass keine zwei Autos aneinander vorbei passten. Und wurde zusätzlich noch durch die von beiden Seiten weit über die Fahrspur reichenden Äste verengt. 

Das war ein Scherz, oder? Er musste nicht wirklich diesen schmalen Weg entlang holpern, um zu seinem Arbeitsplatz zu gelangen?

Lasse hielt am Straßenrand an und schaute sich suchend um. Doch es gab weit und breit keine andere Straße, die gemeint sein konnte.

Achselzuckend gab er Gas.

Ein roter Pick-up schoss hupend an ihm vorbei.

Erschrocken stemmte Lasse seinen Fuß auf die Bremse.

Mit quietschen Reifen bog der Pick-up vor ihm in den Waldweg ein.

Staub wirbelte auf und Erdbrocken flogen durch die Luft, als der Wagen mit unvermindertem Tempo über den unbefestigten Waldweg raste. Ungeachtet der Äste, die von beiden Seiten über den Lack kratzten.

Mit hochgezogenen Augenbrauen wartete Lasse, bis der Staub sich verzogen hatte.

Schon wieder diese rücksichtslose Idiotin mit ihrem roten Pick-up. 

Dann runzelte er die Stirn.

Hatte er sich getäuscht, oder hatte tatsächlich ein Mensch auf der Ladefläche gesessen?

Wie verantwortungslos.

Wenigstens schien der Weg tatsächlich irgendwohin zu führen. 

Diesmal schaute Lasse sich sorgfältig um, bevor er anfuhr und ebenfalls in den Waldweg einbog. Dabei versuchte er, so gut es ging, denin den Weg ragenden Ästen auszuweichen. Was kaum möglich war, weil es dafür viel zu viele waren. Schmerzhaft verzog er das Gesicht, als ein besonders großer Ast laut kreischend über den Lack seines Tesla kratzte. 

Lasse fügte seiner gedanklichen Mindmap 'Instandhaltung Zufahrt' hinzu. 

Je länger Lasse den Waldweg entlangfuhr, desto mehr Fichten und Kiefern mischten sich zwischen die Birken. Bis der Weg von einem reinen Kiefernwald gesäumt wurde, dessen Baumstämme einen ansehnlichen Durchmesser von bis zu einem halben Meter aufwiesen.

Der Wald war ein Vermögen wert.

Erst recht bei den derzeitigen Holzpreisen.

Gemeinsam trugen Alva und Emil das Elchkalb durch das große, dunkelbraun gestrichene, Holzschiebetor ins halbdunkle Innere der im Blockhausstil gebauten Scheune und legten es in die dick mit Stroh gepolsterte Krankenbox an der gegenüberliegenden Seite. Alva hockte sich neben das Kalb  und nahm ihm die Augenbinde ab. 

Die meisten Kälber zappelten und versuchten aufzustehen, sobald sie die fremde Umgebung sahen.

Doch dieses blieb genauso ruhig liegen wie zuvor.

Entweder hatte es zu viel Blut verloren, um sich noch bewegen zu können. Oder es litt an einem Schock. 

Beides war lebensgefährlich.

Sanft kraulte Alva seine Stirn. "Du musst durchhalten, hörst Du?!"

Immer tiefer führte der Weg in den Kiefernwald, ohne dass Lasse an einer Wendemöglichkeit vorbei kam. Als Lasse schon dachte, er müsse doch falsch sein und den ganzen Weg im Rückwärtsgang zurückfahren, öffnete sich der Kiefernwald zu einer Lichtung in Fußballplatzgröße, auf der drei dunkelbraun gestrichene Blockhäuser mit Grasdach standen. Ein ebenfalls dunkelbraun gestrichener Torbogen, auf dem in rostroten Buchstaben 'Alvas Älgpark' zu lesenwar, überspannte das Ende des Waldweges. 

Steine knirschten, als er auf den geschotterten Platz zwischen den Häusern fuhr. Außer dem zweistöckigen Haupthaus gabeseine große Scheuneund eine winzige Stuga, die kaum größer als drei auf drei Meter sein konnte.Die Fenster und Türen der Gebäude hatten die gleiche rostrote Farbe wie die Aufschrift auf dem Torbogen und bildeten einen interessanten Kontrast zum leuchtenden Grün der grasbewachsenen Dächer. 

Vor der winzigen Stuga baumelte ein Holzschild mit der Aufschrift "Shop."

Doch das konnte wohl kaum die Wallin AB sein. 

Alva spürte, dass Emil ihr tröstend die Hand auf die Schulter legte. Er wusste, wie sehr sie an jedem ihrer Findelkinder hing. Und dass sie tagelang weinte, wenn eines davon nicht überlebte.

Doch noch würde sie die Hoffnung nicht aufgeben. Und alles in ihrer Macht Stehende dafür tun, das verletzte Elchkalb zu retten. "Kümmere Du Dich schon einmal um die Wunden, während ich Milch warm mache." 

Auf Zehenspitzen schlich Alva aus der Scheune. Doch vermutlich war ihre Vorsicht unnötig. Das Kalb hätte sie auch nicht gehört, wenn sie aus der Scheune gestampft wäre. 

Am Ausgang warf Alva einen letzten sorgenvollen Blick zurück. 

Und prallte prompt mit dem Ellenbogen gegen das Scheunentor.

5. Kapitel

"Au!" Alva rieb sich den schmerzhaften Ellenbogen. 

"Kannst Du nicht aufpassen?!"

Erschrocken wandte Alva sich zu der aufgebrachten Stimme um. 

Eine türkis glänzende Krawatte baumelte unmittelbar vor ihrer Nase.

Gerahmt von den Aufschlägen eines steingrauen Businessanzugs.

Sie war nicht gegen das Scheunentor geprallt.  

Sondern gegen den überraschend muskulösen Oberkörper eines Krawattenträgers. 

"Heute findet keine Führung mehr statt. Du kannst morgen um zehn Uhr wieder kommen." Alva drängte sich an dem Krawattenträger vorbei nach draußen.

Ihr Blick fiel auf den silbernen Tesla, der neben ihrem Pick-up parkte, und sie verzog das Gesicht als hätte sie Zahnschmerzen. War ja klar, das der krawattentragende Anzugträger zu dem Tesla gehörte, dem sie heute bereits einmal begegnet war. 

Der Krawattenträger hatte sich nicht abwimmeln lassen und war ihr gefolgt. "Ich bin Lasse Lundgren von der Af Silverkron Consulting AB."

Helvete! Jetzt hatte sie den Schnüffler ihrer Schwester bereits zum zweiten Mal vergessen.

"Ich habe jetzt keine Zeit. Komm in zwei Stunden wieder!" 

Diana würde gar nicht erfreut darüber sein, dass sie den Mann warten ließ. Aber sie hatte jetzt Wichtigeres zu tun. Sie musste das Leben eines Elchkalbes retten. 

Alva öffnete ihre Haustür, sie schloss nie ab, und betrat ihren Flur. 

Bevor der Mann ihr folgen konnte, knallte sie ihm die Haustür vor der Nase zu.

Lasse schnellte rückwärts, um die Tür nicht gegen den Kopf zu bekommen.

Was bildete diese Frau sich eigentlich ein?! Erst fegte sie ihn mit ihrem Pick-up zwei Mal fast von der Straße. Dann tackelte sie ihn mit einem schmerzhaften Ellenbogen-Check in den Magen. Und jetzt schlug sie ihm die Tür gegen den Kopf! 

Am liebsten hätte Lasse die Tür wieder aufgerissen und ihr ordentlich die Meinung gesagt.

Aber er traute diesem gewalttätigen Biest durchaus zu, dass es dann mit einem Besen auf ihn losging. Oder mit einem Jagdgewehr. 

Wutschnaubend drehte er sich um und steckte seine geballten Fäuste tief in die Taschen seiner Anzughose. Wenn die Frau dachte, er würde den schmalen Waldweg zurückfahren, nur um in zwei Stunde erneut dort entlang fahren zu müssen, dann hatte sie sich getäuscht. 

Mit großen Schritten stampfte er zurück zu seinem Auto und lehnte sich dagegen. Die Frau würde schon wieder rauskommen.

6. Kapitel

Wütend kickte Lasse gegen einen Stein, dass er in hohem Bogen über die Lichtung flog.

---ENDE DER LESEPROBE---