Ein falscher Moment für die richtige Liebe - Grace R. Duncan - E-Book

Ein falscher Moment für die richtige Liebe E-Book

Grace R. Duncan

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Beschreibung

Vor fünf Jahren ging Bradens und Rafes Beziehung spektakulär den Bach runter. Zu wenig Kommunikation und nagende Ängste – und als Braden seinen Partner dann auch noch mit einem anderen Mann erwischt und die Situation vollkommen falsch interpretiert, verlässt er Rafe in Panik, ohne ihm die Möglichkeit einer Erklärung zu geben. Doch nach Monaten der Therapie, um die versuchte Vergewaltigung zu verarbeiten, die Braden durch sein unerwartetes Auftauchen verhindert hat, steht für Rafe eins fest: Trotz allem will er Braden nicht aufgeben, den er mehr liebt als alles andere auf der Welt. Mit ein bisschen Geschick landen sie beide auf der gleichen Charity-Kreuzfahrt – und nun hat Rafe achtundzwanzig Tage Zeit, um einen Weg zu finden, Braden wieder für sich zu gewinnen …

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Seitenzahl: 512

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Deutsche Erstausgabe (ePub) April 2023

Für die Originalausgabe:

© 2020 by Grace R. Duncan

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»What About Now«

Published by Arrangement with Grace Duncan

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2023 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock; AdobeStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Druckerei: Amazon KDP

Lektorat: Martina Stopp

ISBN-13: 978-3-95823-990-6

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

Aus dem Englischen von Anne Sommerfeld

Liebe Lesende,

vielen Dank, dass ihr dieses eBook gekauft habt! Damit unterstützt ihr vor allem die*den Autor*in des Buches und zeigt eure Wertschätzung gegenüber ihrer*seiner Arbeit. Außerdem schafft ihr dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der*des Autor*in und aus unserem Verlag, mit denen wir euch auch in Zukunft erfreuen möchten.

Vielen Dank!

Euer Cursed-Team

Klappentext:

Vor fünf Jahren ging Bradens und Rafes Beziehung spektakulär den Bach runter. Zu wenig Kommunikation und nagende Ängste – und als Braden seinen Partner dann auch noch mit einem anderen Mann erwischt und die Situation vollkommen falsch interpretiert, verlässt er Rafe in Panik, ohne ihm die Möglichkeit einer Erklärung zu geben. Doch nach Monaten der Therapie, um die versuchte Vergewaltigung zu verarbeiten, die Braden durch sein unerwartetes Auftauchen verhindert hat, steht für Rafe eins fest: Trotz allem will er Braden nicht aufgeben, den er mehr liebt als alles andere auf der Welt. Mit ein bisschen Geschick landen sie beide auf der gleichen Charity-Kreuzfahrt – und nun hat Rafe achtundzwanzig Tage Zeit, um einen Weg zu finden, Braden wieder für sich zu gewinnen …

Widmung

Für Joe, weil wir immer miteinander reden können, egal, wie schwer es ist.

Und für Sara, wie immer, weil sie sich immer Zeit für mich nimmt, auch wenn sie selbst ein verrücktes Leben hat.

Ich liebe euch beide!

Kapitel 1

Braden betrachtete die Monstrosität, die für die nächsten vier Wochen sein Zuhause sein würde. Er verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen und versuchte, sich daran zu erinnern, dass das eine gute Idee war. Er half einer Wohltätigkeitsorganisation, die ihm viel bedeutete. Er brauchte wirklich einen Urlaub.

Das redete er sich weiter ein, während er mit den anderen Passagieren über die Rampe zur Gangway lief.

Er hatte sich den Rat seiner Mutter zu Herzen genommen, die in Sachen Kreuzfahrten ein alter Hase war und war, nach zwei Uhr angereist, damit er direkt in sein Zimmer konnte. Sie hatte erwähnt, dass er auf dem Schiff etwas essen könnte, sollte er früher ankommen, aber Braden schob das Boarding so lange wie möglich heraus. Da sie um vier Uhr nachmittags ablegen sollten und scheinbar der Großteil der Passagiere bereits an Bord war, hatte es sich angefühlt, als wäre er viel zu schnell von der Straße zur Gangway gekommen.

Er wusste nicht, ob er bereit war, dieses Schiff zu betreten.

Braden schüttelte den Kopf über sich selbst, ging durch die offene Tür, lächelte die uniformierte Dame auf der anderen Seite an und nickte über etwas, das sie sagte. Er hatte keine Ahnung, was er war, möglicherweise Richtungsangaben. Im Moment war er etwas zu überfordert, um sich darüber Gedanken zu machen. Es gab sicher Karten. Damit konnte er umgehen.

Er wusste jedoch nicht, ob er damit umgehen konnte, auf einem Schiff gefangen zu sein, auch wenn es so groß war wie dieses. Mitten auf dem Ozean. Vier Wochen lang.

Tja, jetzt war er hier. Braden blinzelte, als ihm scheinbar ein Glas Champagner gereicht wurde. Er kam zu dem Schluss, dass Alkohol vielleicht helfen könnte und nahm das Getränk an. Irgendwie ging er davon aus, seine Karte aushändigen zu müssen – seine Mutter hatte ihm erklärt, dass man manchmal für Getränke bezahlen musste –, aber die Dame lächelte einfach nur. Er bedankte sich und ging weiter den Flur hinunter, wobei er den Rucksack, sein einziges Handgepäck, höher auf die Schulter schob.

Bevor er jedoch weiterkam, blieb er wieder wie angewurzelt stehen. Er wusste, dass er mit dem offenen Mund möglicherweise wie ein Fisch aussah, aber er konnte nicht anders. Er sah nach oben, dann weiter und schließlich noch weiter nach oben, um das riesige Atrium zu mustern.

Pflanzen, Marmor, Holz, Glas und Gold schienen überall zu sein. An der rechten Seite befanden sich verglaste Fahrstühle, zwischen die sich ein Konzertflügel schmiegte.

Sessel standen in kleinen Gruppen um Glastische in gemütlichen Sitzecken zusammen. Ihm gegenüber konnte er eine Ladenfront erkennen und auf der anderen Seite schien ein Florist zu sein. Links von ihm ergoss sich ein Brunnen über noch mehr Marmor. Und zwei Wendeltreppen aus Gold und Glas führten in den zweiten und dritten Stock.

Jemand stieß gegen ihn und er schüttelte erneut mit roten Wangen den Kopf. »Entschuldigung«, murmelte er und trat aus dem Weg. Da erinnerte er sich an den Drink in seiner Hand und leerte ihn mit einem einzigen großen Schluck.

Er musste die öffentlichen Bereiche einen Moment verlassen und sich sammeln, da er sich albern verhielt und es auch wusste. Mit einem weiteren Kopfschütteln sah er auf den Zettel in seiner Hand, den er beim Einchecken erhalten hatte, und entdeckte eine Karte – oder eher verschiedene Karten für die einzelnen Decks. Ganz oben rechts standen der Name des Schiffes und einige Abkürzungen, die für ihn absolut keinen Sinn ergaben, also ignorierte er sie und konzentrierte sich auf die winzigen Karten. Ein großer roter Pfeil zeigte auf die Mitte der Karte ganz rechts. Braden vermutete, dass das das Atrium war.

Mit zusammengezogenen Brauen sah er auf seinen Boarding-Pass, dann die Karte und kniff die Augen zusammen, um die lächerlich kleinen Zahlen erkennen zu können. Seine Sehkraft war gut, aber er konnte sie kaum lesen. Wo zum Teufel sollte er hingehen?

Auf dem Boarding-Pass fand er seine Zimmernummer. Emerald Deck, Kabine E519. Na ja, er konnte das Deck finden und sich dann um das Zimmer kümmern. Laut Karte musste er drei Treppen hinauf, also hielt er auf die Wendeltreppe im Zentrum des Raums zu, stellte jedoch vorher noch schnell sein Glas auf einem der Tische ab.

Es dauerte nicht lange, bis er das richtige Deck gefunden hatte. Glücklicherweise waren sie durch große Messingtafeln zwischen den Fahrstühlen auf jeder Etage gekennzeichnet. Deshalb ging er einen Augenblick später durch den Flur zur Mitte des Schiffs auf dem richtigen Deck und zählte die Nummern ab. Er atmete erleichtert auf, als er schließlich vor der richtigen Tür stand.

Bradens erster Eindruck war, dass seine Eltern eine absurde Menge dafür bezahlt hatten, damit er für die nächsten vier Wochen in einem Schrank wohnen kann.

Alles wirklich unmöglich klein, trotz des großen Doppelbetts – oder gerade deswegen. Braden hatte es nicht gewusst, aber es gab kaum genug Platz, um sich um das Bett herum zu bewegen. Der winzige Schreibtisch wirkte zu schmalfürseinen Laptop undder LCD-Fernseher an der Wand war noch kleiner als auf den Fotos.

Sein Gepäck war noch nicht da, aber damit hatte er gerechnet. Seine Mutter hatte ihm erklärt, dass es erst ein paar Stunden nach seiner Ankunft kommen würde. Er stellte seinen Rucksack aufs Bett und warf einen Blick aus dem Fenster.

Eine gefühlte Ewigkeit hatte er sich über diese Entscheidung den Kopf zerbrochen. Er hatte kein Verlangen danach, das gewaltige, tiefe Wasser zu betrachten, hielt aber auch nicht viel davon, eingesperrt zu sein. Dann hatte er die Zimmer mit der eingeschränkten Sicht entdeckt und war erleichtert, Licht und offenen Himmel zu sehen, ohne aufs Wasser blicken zu müssen.

Als er den Vorhang zurückzog, freute er sich, viel blauen Himmel zu sehen… und ein riesiges rotes Rettungsboot. Wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte, konnte er einen kurzen Blick aufs Wasser erhaschen, aber das war in Ordnung.

Braden ließ den Vorhang los und ließ sich aufs Bett fallen, vergrub das Gesicht in den Händen und zwang sich, tief zu atmen. Einatmen. Ausatmen. Noch mal. Er hasste große Gewässer. Na ja, hassen schien es noch… mild auszudrücken. Er hatte entsetzliche Angst davor.

Aber er hatte zugestimmt mitzukommen. Er hatte die Tickets angenommen, die seine Eltern ihm hatten kaufen wollen, vor allem, nachdem sie erklärt hatten, dass es für das Haus war, für das er Spenden gesammelt hatte, um obdachlosen LGBT-Jugendlichen eine Unterkunft zu bieten. Er hatte ernsthaft darüber nachgedacht, das Ticket zu kaufen und einfach nicht mitzufahren, aber seine Mutter hatte ihn davon überzeugt, dass er sich von seiner Angst hatte bestimmen lassen und er einen Urlaub mehr als nötig hat.

Damit hatte sie recht. Braden hatte in den letzten neun Monaten buchstäblich mehr Zeit im Büro als in seiner Wohnung verbracht. Als führender Entwickler des neuen Spiels seiner Firma hatte er fast jeden Tag 18 Stunden und mehr gearbeitet. Sobald das Spiel veröffentlicht und das erste Update abgeschlossen und hochgeladen war, gab es keine Ausreden mehr. Er hatte ausreichend Geld verdient, das er nicht ausgegeben hatte, als er praktisch auf der Arbeit wohnte. Im Grunde hatte sein Boss ihn angewiesen, sich einen Monat freizunehmen. Als sich die Kreuzfahrt angeboten hatte, wusste er, dass es keinen vernünftigen Grund gab, sie nicht anzunehmen.

Braden gefiel die Vorstellung nicht, sich von seinen Ängsten bestimmen zu lassen. Seine Panik vor tiefem Wasser hatte ihn jahrelang belastet, aber er hatte es größtenteils geschafft, das Meer zu meiden, obwohl er in Los Angeles lebte. Er hatte sich einmal Hilfe geholt, aber diese Hilfe war nicht mehr da und nun lag es an ihm, sich seiner Angst allein zu stellen.

Seine Mutter hatte ihn darauf hingewiesen, dass er nicht viel Zeit an der Reling verbringen musste. Er könnte sich in den Lounges aufhalten, am Pool – der ihm keine Angst machte – oder in einem der anderen unzähligen Innenbereiche lesen, im Fitnessstudio trainieren oder sich die Shows im Innentheater ansehen. Er musste sich dem nicht unnötig aussetzen.

Was er seiner Mutter nicht erzählt hatte, war, dass es einen anderen Grund gab, warum er nicht unbedingt hatte mitreisen wollen. Genau der Grund, da war er sich sicher, warum sie so darauf gedrängt hatte, dass er diese Kreuzfahrt überhaupt mitmachte. Die Leiter der Wohltätigkeitsgruppe auf diesem Schiff konzentrieren sich darauf, LGBT-Singles zu versammeln. Und obwohl Braden wusste, dass mehr als ein paar Lesben an Bord waren, hatte ihm der Koordinator verraten, dass der Großteil der mehr als 300 Passagiere schwule oder bisexuelle Männer waren. Man musste kein Sherlock Holmes sein, um zu erkennen, dass seine Mutter wollte, dass er jemanden fand.

Braden liebte seine Mutter und würde fast alles für sie tun, aber daran hatte er überhaupt kein Interesse. In den letzten fünf Jahren war er Beziehungen aus dem Weg gegangen und hatte nicht vor, diese Bilanz zu zerstören. Nach der letzten hatte er sich geschworen, nicht noch mal dieselben Fehler zu machen. Er weigerte sich zuzugeben, dass sein Entschluss, nicht auszugehen, genauso viel mit der Tatsache zu tun hatte, dass er den Mann noch immer liebte.

Er rieb sich übers Gesicht, atmete tief ein und setzte sich dann auf. Ob nun gut oder schlecht, er war auf diesem Schiff und würde bleiben. Er sollte verdammt sein, wenn er seine Handlungen von seinen Ängsten bestimmen ließ – ob das nun seine Angst vor dem Meer oder verletzt zu werden hieß, war egal. Sie würden ihn nicht bestimmen, keine von ihnen.

Er öffnete seinen Rucksack und nahm das Informationsblatt des Gruppenkoordinators heraus, auf dem der Ort für die Willkommensfeier genannt wurde, und suchte ihn auf der Karte. Anschließend stopfte er den Zettel in seine Tasche. Nachdem er seinen Laptop, die Brieftasche und das Geld in den Safe gelegt hatte, schnappte er sich die Karte, die zur Identifikation, Bezahlung und als Schlüssel diente, und verließ die Kabine.

Mit etwas Glück würde es eine offene Bar geben. Der Champagner im Atrium hatte nicht annähernd gereicht.

***

Rafe Jessen zog sich schnell in einen Alkoven zurück und wartete, bis der Mann vorbeigegangen war. Er hoffte, nicht gesehen oder zumindest nicht erkannt zu werden. Immerhin hatte der Mann keine Ahnung, dass er überhaupt auf dem Schiff war und würde deshalb nicht erwarten, ihn zu sehen. Genau das hatte Rafe gewollt. Zumindest fürs Erste.

Als er sicher war, dass die Luft rein war, trat er wieder hervor und ging denselben Flur hinunter. Ein paar Treppen und einige Ecken später fand er eine ruhige Ecke in der Explorer's Lounge, wo die Willkommensfeier stattfand. Er hielt eine etwas schwächere Whiskey-Cola in der Hand, als er normalerweise trank – aber es störte ihn nicht sehr, da es kostenlos war – und beobachtete den Mann, den er schon seit einer gefühlten Ewigkeit hatte wiedersehen wollen.

Er sah nicht glücklich aus. Das war das Erste, was Rafe auffiel. Seine braunen Haare waren etwas länger, als er sie in Erinnerung hatte, und momentan zerzaust, als wäre er oft mit den Fingern hindurchgefahren. Rafelächelte. Braden hatte das ziemlich oft getan, wenn etwas in dem Spiel, das er gerade entwickelte, nicht funktionierte.

Seine blauen Augen wirkten ein wenig trauriger. Na ja, vielleicht nicht seit dem letzten Mal, als Rafe sie gesehen hatte.

Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, hatten sie unter Bradens Zorn blaue Funken gesprüht. Jetzt waren sie traurig. Aber Rafe erinnerte sich daran, wie sich kleine Lachfältchen um diese Augen bildeten. Er erinnerte sich an Hitze und Verlangen. Er erinnerte sich an Liebe. Für ihn.

Rafe hasste es, für diese Traurigkeit verantwortlich zu sein. Und wie schon in den letzten fünf Jahren, durchbohrte ihn dieses Wissen immer noch. Er trank seine Whiskey-Cola aus und bat den Barkeeper um eine weitere, wobei er den Blick nicht von dem Mann nahm, den er nie aufgehört hatte zu lieben. Braden stand nicht einmal zehn Meter von ihm entfernt und wusste nicht, dass er hier war. Rafes Herz hämmerte, seine Kehle schnürte sich zu und er erinnerte sich daran zu atmen. Luft einziehen. Wieder rauslassen.

Während er an seinem zweiten Drink nippte, sog er den Anblick des schlanken Körpers, der sich unter Muskeln und Stärke verbarg, in sich auf, – sowohl mental als auch physisch. Er verschlang das kurze Lächeln, das Braden der Koordinatorin Janie zuwarf, die gerade einen Witz gemacht hatte. Und er erinnerte sich daran, dass er aus einem Grund auf diesem Schiff war und sein Plan mit etwas Glück funktionieren würde.

Er musste. Er war schon viel zu lange ohne Braden.

Fünf Jahre. Fünf Jahre, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten.

***

»Darf ich um Aufmerksamkeit bitten?«, versuchte Janie, über den Lärm zu rufen.

Braden hielt es für ein hoffnungsloses Unterfangen. Nach einem großen Buffet zum Abendessen und zwei Stunden voller Alkohol schien es unmöglich, die Gruppe zum Schweigen zu bringen.

Ein Mitarbeiter des Schiffs reichte ihr ein Mikrofon und sie lächelte dankbar, ehe sie sich wieder an die Menge wandte.

Dieses Mal löste ihr »Ich bitte um Aufmerksamkeit« Stille im Raum aus. »Zuerst möchte ich mich bei allen bedanken, dass Sie hier sind. Allein die Einnahmen durch die Ticketverkäufe für diese Kreuzfahrt werden uns bei unseren Zielen helfen. Jacob's Place steht kurz vor dem Bau und das alles dank Ihnen.« Sie hielt inne, als alle inklusive Braden applaudierten, und hob dann eine Hand. »Danke. Aber wir haben noch viel vor uns. Bis dahin haben wir auf dieser Kreuzfahrt viele Aktivitäten geplant, um Geld für die Unterkunft zu sammeln. Wir haben Kunstwerke, die von Rich Paulson gespendet wurden.« Sie deutete auf das Gemälde, das auf der Staffelei neben ihr stand. »Es sind noch andere außer diesem hier verfügbar, die Sie in der Piazza ausgestellt finden. Außerdem gibt es einige Preise bei der Tombola, darunter handgefertigten Schmuck, andere Kunststücke, Bücher von LGBT-Autoren und vieles mehr, was ich jetzt nicht aufzählen kann. Die vollständige Liste finden Sie in Ihrer Broschüre. Die Preise werden am letzten Abend ausgelost. Sie können Karten dafür jederzeit bei mir, meiner Frau Meg oder unserer Tochter Jenna kaufen. Allerdings gibt es auch heute Abend schon einige Tombola-Preise zu gewinnen, da wir Ihnen eine Chance geben wollen, sie zu nutzen. Wir haben unglaublich viele Tickets verkauft und ich möchte mich bei den Junggesellen und Junggesellinnen bedanken, die sich bereit erklärt haben, sich verlosen zu lassen.«

Einige Leute lachten und applaudierten, doch Braden runzelte die Stirn und betrachtete die Broschüre, die Janie ihm beim Reinkommen ausgehändigt hatte. Ihm war nicht klar, dass es jetzt schon eine Tombola geben würde. Wenn er das gewusst hätte, hätte er ein paar Tickets gekauft, wenn auch nur, um die Unterkunft zu unterstützen.

»Unser erster Preist ist… meine Tochter Jenna.«

Braden sah auf, als eine gertenschlanke Frau, die, seiner Schätzung nach, zwischen 25 und 40 Jahren alt sein könnte, neben ihre Mutter trat. Sie lächelte breit und hatte sich die langen braunen Haare hinters Ohr geschoben, ebenso wie Janie, obwohl diese mittlerweile auch ein paar graue Strähnen hatte. Jenna war wohl sehr hübsch, obwohl er natürlich kein Ticket für eine Frau gekauft hätte.

»Die Gewinnerin bekommt ein Date ihrer Wahl mit Jenna. Princess Cruises hat großzügigerweise ein Abendessen für zwei in einem der speziellen Restaurants für das Date gespendet.« Sie nahm einen kleinen Stoffbeutel von einer anderen Frau entgegen, die vermutlich ihre Ehefrau war, zog ein Ticket heraus und murmelte den Namen leise vor sich hin, bevor sie aufsah. »Und ich habe… Angel? Angela! Angela Simmons.«

Braden musste unwillkürlich lächeln, als jemand, der offensichtlich Angela Simmons war, anfing zu schreien und auf und ab hüpfte. Hastig lief sie nach vorn, blieb dann jedoch vor Jenna stehen und schwankte auf den Zehenspitzen, während sie tiefrot anlief. »Äh, hi.«

Jenna lachte. »Hi. Freut mich, dich kennenzulernen, Angela. Also… wie wäre es mit einem Date?« Sie streckte die Hand aus.

Angela kicherte tatsächlich und nickte, nahm dann Jennas Hand und die beiden gingen zur Seite, um sich zu unterhalten.

Janie grinste, fasste sich dann aber wieder und wandte sich erneut an die Gruppe. »Alles klar. Unser erster Junggeselle. Sehen wir mal…« Sie warf einen Blick auf ihre Liste. »Marcus Jameson?«

Ein großer, schlanker Mann mit schulterlangen schwarzen Haaren und einem herzlichen Lächeln, das sein sonst wohl sehr hartes Gesicht weicher werden ließ, trat nach vorn.

Braden sah zu ihm auf und konnte sich nicht entscheiden, ob er eingeschüchtert oder angezogen sein sollte.

Er kam zu dem Schluss, dass Anziehung besser zum Urlaub passte und runzelte bei dem Gedanken, dass er ganz sicher ein Ticket für diesen Mann gekauft hätte, die Stirn. Vielleicht wäre er nicht an einer Langzeitbeziehung interessiert gewesen, aber er hätte eine gemeinsame Nacht nicht ausgeschlagen, vor allem, da er seit Beginn der Vorbereitungen für die große Spieleveröffentlichung enthaltsam gewesen war. Solange es bei einer gemeinsamen Nacht blieb.

Meg reichte Janie einen weiteren Beutel, in dem sich offenbar die anderen Tickets befanden. Marcus stand mit vor dem Körper verschränkten Händen vor ihnen und sah sich im Raum um. Braden vermutete, dass er abschätzte, wer wohl ein Ticket gekauft haben könnte.

»Ah, da haben wir ihn!« Janie drehte die Karte um. »Äh… Harry? Ja! Harry.«

»Das ist nicht so schwer zu lesen«, schimpfte Meg.

»Ha. Dann liest du sie vor.« Sie reichte die kleine Karte an Meg weiter, die die Stirn runzelte und sie Janie zurückgab. Janie grinste. »Siehst du? Wie auch immer. Harry Zimmer?«

Braden achtete nicht darauf, wer sich seinen Preis abholte. Er sah sich um und versuchte zu entscheiden, ob es unhöflich wäre, wenn er sich an der Bar noch einen Drink holte. Da er selbst kein Ticket gekauft hatte, interessierte ihn das Ganze nicht wirklich. Daher bemerkte er erst, dass etwas vor sich ging, als der Lärm im Raum anstieg. Er drehte sich wieder nach vorn, wo Janie ihn erwartungsvoll ansah.»Braden!«, rief Janie und winkte ihm zu.

Braden blinzelte sie an und hob die Brauen. »Ich?«

Janie nickte.

»Aber… ich hab mich nicht freiwillig gemeldet.« Er runzelte die Stirn.

Janie grinste. »Uns wurde versichert, dass du gern aushilfst.«

Die Falte zwischen seinen Brauen wurde tiefer. Er musste nicht raten, wer ihn angemeldet hatte.

Wenn sie in Hawaii anlegten, würde er ein ernstes Wort mit seiner Mutter reden müssen. Er dachte einen Augenblick darüber nach, kam aber zu dem Schluss, dass ein Date für einen guten Zweck nicht schlimm wäre.

Abendessen, vielleicht etwas laute Musik, bei der sie sich nicht unterhalten mussten und am Ende möglicherweise der Aufriss, an den er vorhin gedacht hatte. Das war in Ordnung, also trat er vor und bemühte sich zu lächeln.

»Alles klar.«

»Gut!« Janies Grinsen wurde breiter, also war ihm das Lächeln wohl gelungen. Sie wandte sich an Meg, die ihr einen weiteren Stoffbeutel reichte. Braden blinzelte ihn an. Das Teil war riesig. »Sehen wir doch mal, wer ein Date mit dir bekommt.« Sie zog eine Karte heraus und wandte sich dann an die Menge. »Auch hier bekommt der Gewinner ein Essen für zwei in einem der speziellen Restaurants.« Sie betrachtete die Karte.

Aber Braden hörte den Namen nicht. Denn in diesem Moment trat die letzte Person aus der Menge hervor, die er wiedersehen wollte.

Ein Mann, den er jahrelang geliebt hatte. Den er in den vergangenen fünf Jahren verzweifelt hatte vergessen wollen, es aber nicht konnte.

Der, den er für den Rest seines Lebens lieben würde. Rafe Jessen.

Kapitel 2

»Nein.« Braden starrte Rafe lange an, doch er zwang sich zu lächeln. Damit hatte er gerechnet.

»Wie bitte?«, fragte Janie sichtlich verwirrt.

»Nein. Er kann mich nicht gewinnen.«

Janie öffnete den Mund, doch Rafe hob die Hand und bemühte sich weiterzulächeln. »Schon okay. Zieh ruhig einen anderen Namen.«

Janie sah von Braden zu Rafe, der ihr zunickte. Sie sah besorgt aus, zog aber eine weitere Karte aus dem Beutel. »Äh… Rafe Jessen.«

Bradens Miene verfinsterte sich. »Nein. Mach weiter.«

Rafe versuchte, sich von Bradens Reaktion nicht verletzen zu lassen. Er erinnerte sich daran, dass er gewusst hatte, was passieren würde und nickte Janie stumm zu, die eine weitere Karte herauszog.

»Nun…« Erneut sah sie zwischen den beiden hin und her und zuckte schließlich hilflos mit den Schultern. »Rafe.«

Braden nahm ihr den Beutel ab und zog die Karten heraus, die er nach dem Lesen an Janie weiterreichte. »Du hast das Ganze manipuliert?« Er wandte sich an Janie. »Hattest du etwas damit zu tun?«

Janie schluckte und runzelte die Stirn. Offensichtlich war sie ratlos.

Rafe streckte die Hand nach Braden aus – obwohl er ihn nicht berührte –, um seine Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. »Nein, hat sie nicht.« Rafe schüttelte den Kopf. »Ich würde es auch nicht manipulieren nennen. Ich habe alle Karten legal gekauft. Jacob's Place bekommt das Geld. Ich habe es nur mathematisch… extrem unwahrscheinlich gemacht, dass jemand anderes gewinnt.«

Braden verengte die Augen und Rafefürchtete einen Moment, dass er sich ernsthaft verschätzt hatte. Er hatte darauf gezählt, dass Braden wollen würde, dassJacob's Place das Geld erhält. Bradens Blick huschte durch den Raum und Rafe trat einen halben Schritt nach vorn. Er lächelte Janie an, dann beugte er sich etwas näher zu Braden und senkte die Stimme, obwohl er sicher war, dass sie die Hälfte der Anwesenden trotzdem hören konnte. Selbst ein Flüstern aus dem hinteren Teil hätte er wahrnehmen können.

Er schluckte seine Nervosität hinunter. »Lass uns darüber reden. Falls… falls du es danach immer noch nicht machen willst, kann Janie weiterziehen, bis sie jemand anderen bekommt.«

Braden schwieg lange, ehe er schließlich langsam nickte.

Erleichterung durchflutete ihn, er streckte die Hand zur Seite aus und lächelte Janie unsicher an. Sie sah so erleichtert aus, wie Rafe sich fühlte, und nahm Braden den Beutel ab, ehe sie sich wieder ihrer Liste widmete. Rafe ließ Braden voran in die Lounge und dann in den Flur gehen.

»Warum?«

Auch damit hatte Rafe gerechnet. »Weil…« Er schloss die Augen und atmete tief ein. Er war ziemlich sicher, dass er nur eine Chance hatte, um es richtig zu machen. »Weil ich jede Nacht in den letzten fünf Jahren bereut habe, was passiert ist. Weil ich dich jede Nacht vermisst habe, als würde mir eine Gliedmaße fehlen. Weil ich dich so sehr brauche, wie ich noch nie zuvor oder seitdem jemanden gebraucht habe.«

Braden starrte ihn mit großen Augen an. Rafe wartete und Braden atmete langsam aus. »Wie zum Teufel soll ich auf so was antworten?« Kopfschüttelnd drehte er sich um. Rafe glaubte einige Sekunden, in denen ihm beinahe das Herz stehen blieb, dass Braden trotz allem verschwinden würde.

Doch er ging nur ein paar Schritte, drehte um und kam wieder zurück. Er hielt inne, sah Rafe lange an, schüttelte erneut den Kopf und drehte sich wieder um. Nach der dritten Runde blieb er schließlich stehen.

»Okay. Ein Date.«

Rafe glaubte, vor Erleichterung ohnmächtig zu werden.

»Geht's dir gut?«, fragte Braden und musterte ihn.

»Äh, besser als… seit fünf Jahren«, murmelte Rafe. Er schloss die Augen und atmete tief ein. »Okay. Also, wann?« Es folgte eine lange Pause und als er die Augen öffnete, stellte er fest, dass Braden ihn eindringlich ansah.

»Morgen.«

Rafe nickte schnell. »Das ist… das ist gut. Okay.« Er sah Braden an. »Danke«, flüsterte er.

Braden betrachtete ihn noch einen Augenblick lang undurchdringlich und nickte schließlich. »Ich… ich bin nicht sicher, ob ich 'gern geschehen' sagen soll. Hab mich noch nicht entschieden.«

»Alles klar.« Rafe nickte.

»Morgen. E519. Um sechs.«

»Um sechs. Ich werde da sein.«

Braden schien noch einen Moment mit sich zu hadern. »Es ist… es ist schön, dich zu sehen.« Und bevor Rafe antworten konnte, machte Braden auf dem Absatz kehrt und ging, wobei er kurz davor war zu rennen. Er klang zurückhaltend, aber Rafe vermutete, dass es so vielleicht besser war, weil Braden nicht unbedingt wollte, dass er es wusste.

Rafe sah ihm nach, unsicher, welches Gefühl gerade die Oberhand hatte. Die Angst vor dem Versagen. Erneut. Erleichterung, dass Braden nicht Nein gesagt hatte.

Oder Freude über die Vorstellung, dass Braden ihn vielleicht, nur vielleicht, auch vermisst hatte.

***

Braden verbrachte den nächsten Tag damit, sich davon zu überzeugen, dass er nicht verrückt war.

Da er noch nicht bereit war, sich dem Hauptspeisesaal zu stellen, bestellte er sich Frühstück aufs Zimmer und ging dann aufs Sonnendeck, um sich das Fitnesscenter anzusehen. In der Tür blieb er stehen, um sicherzugehen, dass Rafe nicht hier war, dann strengte er einige Stunden intensiv seine Muskeln an, um bloß nicht nachdenken zu müssen.

Natürlich funktionierte es nicht. Egal wie schwer die Gewichte waren. Oder welche Stufe er auf dem Fahrrad einstellte. Er schien nur denken zu können.

Er fand den Pool, in dem er gegen die Strömung schwimmen konnte, und trieb sich über den Punkt hinaus, an dem er hätte aufhören sollen. Aber jede neue Aktivität schenkte nur ein anderes Bild von Rafe. RafesLächeln bei ihrer ersten Begegnung, als er ins Wohnheim eingezogen war. Rafe bei ihrem ersten Kuss, dieser Ausdruck von Hitze und Erstaunen in seinem Gesicht. Oder wie er nach ihrem ersten Mal ausgesehen hatte. Grünbraune Augen voller Liebe für ihn, Braden.

Er joggte über die kleine Laufbahn außerhalb des Fitnessstudios und richtete den Blick fest aufs Deck. Doch nicht einmal seine Angst vor dem Wasser konnte ihn gut genug ablenken und als er aufgab und sich in die Saune setzte, wurden die Bilder nur schlimmer. Er wollte sie – musste sie verzweifelt – loslassen. Er redete sich ein, dass er ein Date mit Rafe haben konnte. Sie würden essen und wenn es ihm gelang, würde der Abend da enden. Dann wäre es vorbei.

Und er wäre, erneut, frei von Rafe.

Die Saunatür ging auf und Braden öffnete die Augen. Als er den Mann nicht erkannte, schloss er sie wieder, um ihn nicht zu einem Gespräch zu ermutigen, und legte den Kopf für ein paar Minuten zurück. Er redete sich ein, dass es das war, was er wollte. Er wollte, dass Rafe verschwand. Er wollte wieder allein sein.

Aber seine Worte gestern Abend hatten auch der Wahrheit entsprochen. Es war wirklich schön gewesen, ihn zu sehen. Und so gern sich Braden auch an die Idee geklammert hätte, dass Rafe ohne ihn glücklich war, konnte er es nicht mehr, nachdem er die Schatten in seinen grünbraunen Augen gesehen hatte. Rafe hatte ihn vermisst, und obwohl Braden ihm nicht hatte zuhören wollen, hätte es ein Blinder auf Rafes Gesicht erkennen können.

Das passte nicht gut zu seinen Erinnerungen. Er hatte sich in den letzten fünf Jahren davon überzeugt, dass Rafe froh war, ihn los zu sein und er die Trennung gewollt hatte. Aber wenn Rafes Worte von gestern Abend auch nur einen Funken Wahrheit enthalten hatten… konnte er sich nicht mehr an diese Vorstellung klammern.

Rafe hatte offensichtlich einige Mühen auf sich genommen, um das Ganze aufzuziehen. Braden vermutete, dass seine eigene Mutter ihre Finger im Spiel hatte. Seine Eltern hatten Rafe immer gemocht, als sie zusammen gewesen waren. Er hatte mehr als ein paar Feiertage mit Bradens Familie verbracht. Deshalb würde es ihn ganz und gar nicht überraschen, wenn er herausfand, dass sie zusammengearbeitet hatten, um ihn in diese Situation zu bringen.

Der Gedanke ließ ihn die Stirn runzeln. Ihm gefiel die Vorstellung nicht, manipuliert worden zu sein, aber er musste zugeben, dass er nicht freiwillig gegangen wäre, wenn er gewusst hätte, was passieren würde. Ob es ihm also gefiel oder nicht, wusste er, dass es der einzige Weg gewesen war, ihn hierher zu bekommen.

Jedoch verbesserte das seine Laune nicht. Seufzend rieb er sich übers Gesicht.

»Das klingt echt… traurig.«

Braden öffnete die Augen und zwang sich dazu, höflich zu sein. »Ich versuche nur, mich zu entspannen.« Er lächelte gezwungen. »Hab vor der Kreuzfahrt eine Menge gearbeitet.«

Der andere Mann nickte zustimmend. »Ich kann verstehen, was es bedeutet, ein Workaholic zu sein.« Er lachte leise. »Ich neige auch dazu, zu vergessen, die Arbeit ruhen zu lassen. Aiden«, sagte er und beugte sich vor, um die Hand auszustrecken.

Braden wünschte sich, er wäre gegangen, als der Typ aufgetaucht war, schüttelte ihm aber trotzdem die Hand. »Braden. Freut mich.«

»Ebenso.« Aiden lächelte und wenn Braden nicht schon zu sehr in seinem eigenen Chaos gefangen gewesen wäre, hätte er die geraden weißen Zähne, das freundliche Lächeln, die offensichtlichen indigenen Gesichtszüge und die langen schwarzen Haare mehr zu schätzen gewusst. In diesem Fall schlich sich jedoch ein nerviger Gedanke in seinen Kopf: Die Haare des Mannes waren etwas zu lang und glatt und er wirkte etwas zu schlank und ein wenig… nicht wie Rafe. Er musste ein finsteres Gesicht gemacht haben, denn AidensLächeln verblasste.

»Hab ich… was Falsches gesagt?«

Braden schüttelte den Kopf und setzte das Lächeln wieder auf. »Nein, entschuldige. Ich bin einfach nur etwas müde und angespannt. Das Boarding war irgendwie… chaotisch. Ich bin nicht sicher, ob ich gedanklich schon im Urlaubsmodus bin.«

»Na ja, du hast ausreichend Zeit dafür.«

Braden nickte. »Stimmt. Noch 27 Tage.«

Aiden lächelte. »Ja. Bist du zufällig mit Jacob's Place hier?«

Braden hob die Brauen und nickte. »Ja, bin ich.« Der Timer ertönte und erinnerte ihn daran, dass er zu lange in der Sauna gewesen war, also stand er auf und war dankbar für die Unterbrechung.

Das Lächeln wurde breiter. »Das ist schön.«

»Ich muss los. Hab heute Abend ein Date.« Er wusste, dass die Ausrede dürftig war, da noch nicht mal Nachmittag war, aber es interessierte ihn nicht wirklich.

AidensLächeln verblasste ein wenig, aber er nickte. »Stimmt, die Tombola. Na ja, vielleicht sieht man sich?«

»Vielleicht. Viel Spaß auf der Kreuzfahrt«, brachte Braden hervor, ehe er floh.

Er zog sich so schnell wie möglich an, um Aiden nicht noch einmal über den Weg zu laufen, und ging zur Karte an den Fahrstühlen. Enttäuscht stellte er fest, dass es auf diesem Deck nur das italienische Restaurant Sabatini's und eine Bar gab. Er hatte nichts gegen einen Drink –, vielleicht konnte er ja doch in den Urlaubsmodus schalten – aber er war klug genug, um auch etwas zu essen.

Über die Treppe ging er eine Etage nach unten, entdeckte denTrident Grill am Pool und bestellte sich Burger, Pommes und eine Flasche Wasser. Anschließend suchte er sich den ruhigsten Tisch in der Ecke mit Ausblick auf den Neptun-Pool. Er saß mit dem Rücken zur Glaswand und hielt Ausschau nach Rafe, da er noch nicht bereit war, ihm wieder gegenüberzutreten, obwohl er wusste, dass die Chance, seinem ehemaligen Liebhaber über den Weg zu laufen, verdammt gering war. Bei mehr als 3000 anderen Passagieren war es unwahrscheinlich, dass sie in derselben kleinen Ecke des Schiffs mit seinen 19 Decks landeten.

Trotzdem aß er recht schnell und musterte die seltsame Mischung aus Familien, älteren Menschen und jungen Singles. Er hätte die Mitglieder der Jacob's Place-Gruppe nicht einfacher identifizieren können, wenn sie Schilder getragen hätten. Sein Gaydar war schon immer sehr gut gewesen, aber die meisten stachen ohnehin heraus. Andererseits vermutete Braden, dass es nicht viele junge Singles gab, die nicht Teil ihrer Gruppe waren.

Nach dem Essen lehnte er sich zurück und überlegte, ob er das Schiff noch etwas erkunden sollte. Aber er erinnerte sich daran, dass es erst der erste ganze Tag der Kreuzfahrt war. Dafür hatte er noch genügend Zeit – nachdem er Rafe gesagt hatte, dass er sich endlich verziehen sollte. Erneut. Dann würde er sich nicht mehr solche Sorgen machen, ihm über den Weg zu laufen.

Zurück in seinem Zimmer zog er sich aus und warf die verschwitzte Sportkleidung auf einen Haufen am Boden des Schrankes. Hose und Hemd nahm er aus dem noch immer gepackten Koffer und hing sie ins Badezimmer, damit sie während seiner Dusche bedampft werden konnten, dann stellte er sich unter den Wasserstrahl, der ihm beinahe die Haut versengte.

Er blieb viel zu lange darunter stehen, ließ das Wasser über sich fließen und versuchte erneut, nicht über den Fehler nachzudenken, den er sicher machen würde. Er durfte Rafe einfach nicht wieder in sein Leben lassen. Das war eine Katastrophe mit Ansage. Er hatte sich schon einmal schwer von diesem Mann verletzen lassen.

Wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, ging es nicht wirklich darum, Rafe wieder in sein Leben zu lassen. Er hatte es nie verlassen. Braden liebte Rafe immer noch so sehr, dass er nicht atmen konnte. Rafe war nach wie vor der Star in all seinen Fantasien und suchte ihn in seinen Träumen heim. In Bradens einsamsten und ehrlichsten Momenten war er noch immer das Einzige, was er vermisste und mehr als alles andere auf der Welt brauchte.

Ein strahlendes Lächeln, sanft gerundete Wangen, gerade Nase und leichte Stoppeln, die trotz seiner Bemühungen nie wirklich verschwanden. Einfach wunderschön. Das war sein erster Eindruck von Rafe gewesen.

»Hi! Rafe Jessen.« Rafe streckte die Hand aus und Braden ergriff sie ohne nachzudenken, wobei er seinen Rucksack fallen ließ.»Uff!« Er lief tiefrot an, aber Rafe sprang ein, hob den Rucksack auf und nahm zusätzlich auch noch Bradens Koffer.

»Entschuldige. Hab nicht nachgedacht. Äh, ich hab das da genommen.« Rafe deutete mit dem Kopf auf das bereits gemachte Bett auf der anderen Seite des Raums. »Wenn du es lieber willst, ist das okay, ich räume…«

»Nein. Schon in Ordnung.« Bradens Wangen wurden noch dunkler, als ihm klar wurde, wie atemlos er klang. Hör auf. Du verrätst dich. Es ist egal, wie heiß er ist, er ist hetero und dein Mitbewohner, um Himmels willen! Die Mahnung schien seinen Schwanz nicht zu beeindrucken, denn er zuckte, als Rafe sich umdrehte, um Bradens Tasche auf das leere Bett zu stellen, und dabei seinen schicken Hintern zur Schau stellte. Braden konnte nicht anders, als ihn einen Moment lang anzustarren und riss seinen Blick erst los, als Rafe sich wieder zu ihm umdrehte.

»Brauchst du noch Hilfe?«

Braden schüttelte heftig den Kopf und zwang sich, seine Aufmerksamkeit von RafesKörper zu lösen und sich wieder auf seine Aufgabe zu konzentrieren. »Äh, meine Eltern bringen alles rauf. Oh, ach ja, Braden. Braden Kirk.«

Nun, da sie beide nichts mehr trugen, schüttelten sie sich die Hände. Braden musste all seine Kraft aufbringen, um nicht die Augen zu schließen, weil es sich so gut anfühlte. Er zwang sich zu einem Lächeln. »Also, äh, was studierst du?«

Braden schlug mit dem Kopf gegen die Duschwand. Er hatte sich immer etwas tollpatschig und irgendwie weniger als Rafe gefühlt. Rafe hatte immer so viel klüger, cooler und einfach überlebensgroß gewirkt, obwohl Braden zugeben musste, dass er nie so getan hatte, als wäre er besser als Braden.

Nein, Rafe hatte sich mit im angefreundet und nach weniger als drei Wochen verkündet, dass er sein bester Freund war. Eine Woche später, nach einer ins Wohnheim geschmuggelten Flasche Rum, hatte Braden betrunken seine sexuelle Orientierung gestanden. Und Rafe hatte ihn verblüfft, als er es ebenfalls getan hatte.

Es schien von vornherein festzustehen, dass sie sich verliebten. Zumindest für alle um sie herum. Ihre Freunde und Bradens Familie fragten ständig, wann sie es offiziell machten. Mehr als ein Jahr lang beharrten sie darauf, nur Freunde zu sein, obwohl sie den Großteil des Sommers entweder bei Bradens oder Rafes Familie verbracht hatten.

Um Thanksgiving herum in ihrem zweiten Jahr saß Rafe schließlich wieder am Esstisch der Kirks, und Braden wusste, dass er sich etwas vorgemacht hatte. Er versuchte dagegen anzukämpfen, es zu leugnen, zu ignorieren, aber es war zwecklos.

Rafe lachte über etwas, was Bradens Mutter gesagt hatte. Braden konnte mit Rafe am Tisch sowieso nicht aufpassen. Rafe erwiderte etwas und sah Braden dann mit diesemLächeln an. Bradens Herz klopfte heftig und er wusste, dass er verloren war.

Er hatte keine Ahnung, was er damit anfangen sollte. Nicht eine Minute glaubte er daran, dass Rafe seine Gefühle erwiderte. Er versuchte, die Erkenntnis zur Seite zu schieben, sie wenigstens eine Weile zu vergessen, aber von dem Moment an bekam er keinen Bissen mehr herunter.

Ein paar Stunden später, nachdem sie seiner Mutter beim Aufräumen geholfen hatten, kletterten Rafe und er in sein altes Baumhaus. Sie setzten sich auf der kleinen Plattform gegenüber und starrten einander lange schweigend an. Nach einer Weile wusste Braden jedoch nicht, was sich geändert und Rafe dazu gebracht hatte, es zu tun.

Schweigend kroch Rafe zu ihm, stützte sich links und rechts neben Bradens Körper ab und beugte sich vor. Wenige Millimeter vor seinen Lippen hielt er inne. »Ich will dich küssen.«

Das war es, mehr sagte er nicht. Braden hielt den Atem an, denn er fürchtete, dass Rafe sich zurückziehen und alles als Scherz abtun würde, wenn er etwas Falsches tat oder sagte.

Aber Rafe bewegte sich nicht. Er lachte auch nicht und schließlich konnte Braden sich nicht mehr zurückhalten. Wenn Rafe nur Witze machte, würde sich Braden im Anschluss damit auseinandersetzen müssen. Aber er musste diese Lippen auf seinen spüren.

Er überbrückte den Abstand und küsste Rafe zaghaft.

Das genügte, um etwas in Rafe zu öffnen, und bevor Braden verstand, was passierte, lagen sie auf dem Boden, die Arme umeinander geschlungen und ihre Lippen miteinander verschlossen. So blieben sie lange, lernten den Geschmack und den Körper des anderen kennen. Diese Nacht in seinem Zimmer würde er bis ans Ende seines Lebens nicht vergessen.

Braden knurrte, gab die Dusche auf und stellte das Wasser ab. Er wischte den Spiegel ab und betrachtete seine Reflektion.

Es war verrückt. Wahnsinnig. Durchgedreht. Irre. Ihn würde nichts anderes als eine Welt aus Schmerz erwarten.

Und obwohl er das wusste, obwohl er sich so sicher war, würde er niemals absagen. Er würde sich rasieren, sich etwas Schickes anziehen. Um sechs Uhr würde er die Tür öffnen – und er wusste, dass Rafe auf die Minute genau da war – und gehen.

Weil er Rafe brauchte. Nach fünf Jahren konnte er ihn nicht abweisen. Er brauchte die Chance, ihn zu berühren und vielleicht wieder zu küssen. Und vielleicht, wenn er sich besonders wagemutigfühlte, könnte er sich vielleicht erlauben, wieder mit diesem Mann zu schlafen.

Und wenn die Kreuzfahrt vorbei war, musste er dringend seinen Kopf untersuchen lassen.

Kapitel 3

Rafe ging in der Lobby mit den Fahrstühlen auf und ab und sah erneut auf seine Uhr. Die Zeit war seit dem letzten Mal kaum vergangen, aber er konnte nicht widerstehen. Noch drei Minuten, bis er den Flur hinuntergehen konnte.

Den ganzen Tag über hatte er sich angestrengt bemüht, nicht verrückt zu werden. Die Zeit wollte einfach nicht verstreichen. Er hatte seine Suite nur verlassen, um persönlich im Restaurant zu reservieren. Der Oberkellner hatte erst keinen Platz für sie gehabt, doch das hatte sich leicht klären lassen und nach einem kleinen grünen Schein wurde ihre Reservierung für 18:15 Uhr bestätigt.

Das Timing war knifflig gewesen. Rafe hatte keine Ahnung, wann sich die Zeitzonen änderten, aber der Kellner hatte es ihm erklärt und Rafe hatte peinlich darauf geachtet, dass er alles richtig machte. Nichtswürde dieses Date vermasseln.

Er hatte in seiner Suite gegessen, um nicht in Versuchung zu geraten, nach Braden zu suchen. Wie er Braden kannte – und obwohl sie sich jahrelang nicht gesehen hatten, war er ziemlich sicher, ihn noch zu kennen –, würde sein ehemaliger Liebhaber ebenfalls alles tun, um ihn noch nicht sehen zu müssen.

Rafe konnte das respektieren. Wenn es funktionieren sollte, dass er Braden zurückbekam, hatte er viel zu tun und ein Teil davon beinhaltete, ihm Raum zu geben. Er musste sich an die Vorstellung gewöhnen, dass sie wieder zusammenkamen und darüber nachdenken, dass die Dinge möglicherweise nicht so abgelaufen waren, wie er sie in Erinnerung hatte.

Auch dafür hatte Rafe einen Plan, aber der würde später kommen. Bis jetzt war er geduldig gewesen und konnte es auch noch eine Weile sein.FürBraden lohnte es sich auf jeden Fall.

Er hatte einmal zugesehen, wie Braden ihn verlassen hatte. Den Ausdruck auf seinem Gesicht würde er bis an sein Ende nicht vergessen. Einen Blick, den er verursacht hatte. Und er sollte verdammt sein, wenn das ein zweites Mal passierte und musste einfach vorsichtig sein.

Er schüttelte über sich selbst den Kopf und drehte sich um, um in die andere Richtung zu gehen. Noch zwei Runden, bevor er nachsehen konnte, ob eine weitere Minute vergangen war. Seufzend schob er die Hände wieder in die Taschen seiner schwarzen Anzughose und lief weiter.

Rafes Uhr piepte und erleichtert drückte er auf den Knopf, ehe er den Flur in den hinteren Teil des Schiffes hinunterging und auf die Zimmernummern achtete. Vor E519 blieb er stehen, wischte sich die schwitzigen Hände an der Hose ab und klopfte.

Rafe wiederholte sein Mantra der letzten 18 Stunden: Entspann dich. Er hätte nicht zugestimmt, wenn er dich nicht noch lieben würde. Aber seine Gedanken kamen kreischend zum Stehen, als die Tür geöffnet wurde.

Rafe vergaß beinahe zu atmen.

Braden war immer umwerfend. Er hatte ihn nach dem Aufstehen gesehen – was unheimlich sexy war – und verschwitzt nach dem Training – ebenfalls sexy. Er hatte Braden verstaubt und müde, krank und zerzaust nach der Arbeit an einem schwierigen Code gesehen. Er hatte all diese Zustände geliebt.

Aber Rafe konnte sich nicht vom Starren abhalten, denn die schwarze Hose schien Braden gerade richtig zu passen. Sie schmiegte sich an seine kräftigen Beine, und das blaue Seidenhemd umspielte seine Brustmuskeln. Ein passender blauer Ohrring baumelte an seinem linken Ohr und er hatte seine Haare so gekämmt, dass sie weniger nach Arbeit und mehr nach Date aussahen. Rafe war ziemlich sicher, dass er sabberte, doch es interessierte ihn nicht.

Das restliche Blut seinesKörpers strömte in seinen Schwanz, als Braden lächelte.

»Wie schön, dass ich die Musterung bestehe.«

Rafe schüttelte den Kopf und wusste angesichts der Hitze, dass sein Gesicht rot war. Er räusperte sich und atmete ein. »Du siehst…« Er hielt inne, denn ihm fehlte kurz das passende Wort. Er entschied sich für großartig, obwohl das zu schwach wirkte.

Bradens Lächeln wurde einen Hauch breiter. »Danke.« Dann wurde er wieder ernst. »Du siehst auch sehr gut aus. Das Rot steht dir.«

»Danke.« Er hatte sich bewusst für Rot entschieden, weil er wusste, dass es Bradens Lieblingsfarbe war. »Bist du so weit?«

»Jap.«

Auf dem Weg den Flur hinunter kämpfte Rafe gegen sein Verlangen an, Braden zu berühren. Er fühlte sich ein wenig wie ein Teenager, der überlegt, ob er auf dem ersten Date Händchen halten soll, aber das war nicht gerade ein typisches Date und Rafe erinnerte sich daran.

Er erinnerte sich auch, dass er einen Plan hatte und sich daran halten musste. Es war seine beste Chance.

Als sie am Fahrstuhl ankamen, drehte er sich zu Braden. »Ich habe für uns im Crown Grill reserviert. Ich… na ja, du hast lieber Steaks als Pasta gegessen und darüber hinaus waren die meisten Tische im Sabatini's am Fenster. Also…« Rafe wand sich etwas, als Braden ihn überrascht ansah.

»Das… das klingt toll.« Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Ich… weiß zu schätzen, dass du daran gedacht hast.«

Das Lächeln breitete sich auf Rafes Gesicht aus, bevor er es aufhalten konnte und er drückte auf den Fahrstuhlknopf. »Ich muss zugeben, dass ich etwas überrascht war, dass du ein Schiff betrittst.«

Braden nickte. »Ich auch.«

Rafe lachte leise.

»Aber… Mom hat mich überzeugt, dass ich mich von meiner Angst beherrschen lasse.«

»Und das gefällt dir nicht.«

Braden schüttelte den Kopf. »Nein. Deshalb bin ich hier.«»Ich bin froh.« Die Worte waren nur geflüstert, doch Braden hatte ihn offenbar gehört und sah zu ihm auf.

Braden betrachtete ihn eine Weile. »Ich auch.«

Rafe wusste nicht ganz, was er damit anfangen sollte. Vielleicht… vielleicht würde es nicht so schwer werden, wie er gedacht hatte. Er schüttelte sich gedanklich. Wenn er anfing, so zu denken, würde er es in den Sand setzen. Raferäusperte sich und sah zu den Fahrstuhlnummern auf, die sich viel zu langsam zu bewegen schienen. »Weißt du was? Das Restaurant ist nur eine Etage tiefer.«

»Ach, na dann. Lass uns laufen. Das ist albern.«

Ein paar Minuten später meldeten sie sich beim Host. Während sie auf ihren Tisch warteten, wurde die Stille etwas unangenehm.

Braden durchbrach sie. »Also, äh, wie läuft die Firma?«Rafe legte den Kopf schräg. »Ich werde ganz ehrlich sein. Sie würde besser laufen, wenn wir unseren genialen leitenden Designer zurückhätten.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber wir kommen klar. Ich habe das Unternehmen etwas abwechslungsreicher gestaltet. Wir haben jetzt eine mobile Gruppe. Aber trotzdem… wären wir mit dir besser.«

Braden lächelte, aber Rafe freute sich über die leichte Röte auf seinen Wangen. »Ich habe keinen so großen Unterschied gemacht«, murmelte er und wandte den Blick ab.

»Ich bin anderer Meinung. Aber… nicht nur wegen deines Talents. Wir… wir haben einfach so gut zusammengearbeitet. Es fühlt sich… komisch an, WASD allein zu führen.«

Braden sah auf. »Ist es das? Ein Trick, um mich in die Firma zurückzuholen?«

Rafe zuckte zusammen, bevor er es unterdrücken konnte und wandte sich ab. Er ballte die Hände in den Taschen zu Fäusten und atmete ein paarmal tief ein, um seine Emotionen zu sammeln, ehe er sich wieder umdrehen konnte. Doch als er es tat, kam Braden ihm zuvor.

»Tut mir leid, das war unter der Gürtellinie. Ich…« Er klappte geräuschvoll den Mund zu und wurde rot.

»Es ist… schon okay. Ich verstehe, warum du das von mir denkst.« Rafe überprüfte seinen Gedanken von eben. Das würde viel schwieriger werden, als er gedacht hatte. Nicht leichter.

»Ich… fuck, Rafe. Ich sollte nicht…«

Rafe hob eine Hand. »Nein, wirklich. Es ist in Ordnung.« Er sah Braden in die Augen und hielt seinen Blick einen Moment lang fest, wobei er ihn so aufmunternd wie möglich ansah.

Braden zögerte einen Moment und nickte dann. »Okay.« Er senkte den Blick und wandte sich ab.

Rafe hatte Schwierigkeiten, ein sicheres Gesprächsthema zu finden, doch bevor ihm etwas einfiel, kam der Oberkellner.

»Mr. Jessen, Ihr Tisch ist fertig.«

»Danke«, erwiderte Rafe und sie folgten ihm.

Sobald sie saßen und die Speisekarten bekommen hatten, sah Rafe Bradenüber den Rand hinweg an. »Ich habe gehört, dass derNew York Stripsehr gut sein soll.«

Braden nickte. »Sie haben auch Kalb und Lamm.«

Rafe lächelte. Offensichtlich war er nicht der Einzige, der sich an Lieblingsessen erinnerte.

Nachdem sie bestellt und jeweils ein Glas Wein vor sich hatten, spielte Braden mit dem Stiel und Rafe versuchte erneut, ein lockeres Gespräch zu beginnen. »Spielst du noch immer Spiele?«Braden lachte leise. »Wenn ich sie nicht entwickle, ja. Äh… wir hatten erst vor ein paar Monaten eine große Veröffentlichung.«

Rafe nickte. »Und dann den Patch. Ich hab's gehört. Glückwunsch.«

Braden zuckte mit den Schultern. »Ich bin nicht derjenige, dem die Glückwünsche gebühren. Aber… ja, ich spiele, wenn ich kann. Du?«

Rade lächelte. »Wenn ich nicht so viel arbeite.«

»Scheinbar waren wir beide etwas mit, äh, Arbeit beschäftigt.«

»Es ist alles, was ich hatte«, erwiderte Rafe, bevor er sich zurückhalten konnte. Braden hob den Kopf, aber Rafe konnte ihn nicht ansehen. »Also, irgendwie Multiplayer-Spiele?«

Braden schüttelte den Kopf und Rafe war dankbar, dass er ihn nicht auf seinen Ausrutscher ansprach. »Nein, ich hab meine Accounts gelöscht. Ich war nicht oft genug zu Hause, um sie zu spielen. Vielleicht mache ich es wieder, wenn ich zurückkomme und nichts Neues aufkommt, was meine Zeit frisst.«

»Ich habe seit… Himmel, keine Ahnung seit wann keins mehr gespielt. Irgendwann hatte ich keine Zeit zum Spielen, wenn die anderen online waren, also…«

»Ja.« Braden nickte. »Und wenn man ohnehin allein spielt…«

»Richtig. Warum für den Online-Zugang bezahlen?«

»Wir waren auch da sehr gut.« Braden sah ihn an.

Rafelächelte erneut. »Ja. Eigentlich sogar unschlagbar.«

Braden lachte. »Na ja, nicht unschlagbar. Aber ziemlich gut.« Er schüttelte den Kopf. »Verdammt, das hat Spaß gemacht.«»Also… erzähl mir, wie es deinem Bruder geht.«

Kapitel 4

Licht flutete das Zimmer und vertrieb die Dunkelheit von den Bildern an der Wand, dem Fernseher in der Ecke und dem Spiegel gegenüber seines Bettes. Seine Ohrstöpsel verhinderten, dass er das Meer vor seinem Fenster hören konnte. Stattdessen sang Elton John in Dauerschleife über seine Liebe.

Wie schon seit etwa einer Stunde, nachdem er zugesehen hatte, wie Rafe gegangen war.

Braden hatte versucht, einfach einzuschlafen und sich die Vorstellung aus dem Kopf zu schlagen, wieder mit Rafe zusammen zu sein.

Aber er war viel zu erregt, verwirrt und geradezu betäubt gewesen, damit das funktionierte. Er konnte sich nicht erinnern, dass Rafe jemals Sex abgelehnt hatte. Die erste halbe Stunde oder so hatte er damit verbracht, in seinen Erinnerungen zu wühlen, aber ihm fiel kein einziges Mal ein, mit Ausnahme der seltenen Fälle, in denen Rafe wirklich krank gewesen war.

Das war dieses Mal offensichtlich nicht der Fall.

Also hatte er zu viel Geld für internationales Roaming ausgegeben, um den Elton-John-Song herunterzuladen, und hörte ihn seitdem immer wieder.

Er hatte kein Auge zugetan, sich hin und her gewälzt und verzweifelt versucht, das Bild von Rafes Gesichtsausdruck aus dem Kopf zu bekommen. Aber dieses Bild verschwand einfach nicht. Erstaunen, Lust, Liebe und... Angst.

Die ersten drei konnte er verstehen. Die hatte er auch gefühlt, zusammen mit einer gewissen Verwirrung, aber das war auch verständlich. Wovor Rafe Angst haben musste, konnte er nicht ganz nachvollziehen. Es war ja nicht so, dass ihm vor fünf Jahren das Herz gebrochen worden war.

Oder?

Das war die Frage, die Braden den Schlaf geraubt hatte. Trotz seines Schocks hatte er gesehen, wie steif Rafe weggegangen war, als ob er versucht hätte, sich zusammenzureißen.

Gegen drei Uhr – dank der Bilder von Rafes Gesicht und der Art und Weise, wie er weggegangen war – musste er sich eingestehen, dass er mit einigen seiner Annahmen falschlag. Dieser Gedanke sorgte dafür, dass er sich noch mehr hin und her wälzte. Er drehte sich um und starrte auf eine Stelle an der Wand über seinem Bett, völlig verärgert darüber, dass er gezwungen war, Dinge zu hinterfragen. Er war nicht glücklich; das konnte er nicht behaupten. Aber er war an einem Punkt gewesen, an dem er mit dem Leben ohne Rafe zurechtkam.

Er weigerte sich zuzugeben, dass man das Leben auf der Arbeit nicht wirklich als zurechtkommen bezeichnen konnte. Er hatte sich in die Entwicklung gestürzt und ein Projekt nach dem anderen angenommen. Als er die Spielefirma verlassen hatte, die er und Rafe in ihrem letzten Studienjahr gegründet hatten, war er ein wenig schockiert gewesen, schon weniger als 48 Stunden nach Veröffentlichung seines Lebenslaufs mehr als ein Angebot erhalten zu haben. Und weniger als eine Woche später saß er in einem Sitzungssaal und diskutierte die Grundlagen eines neuen Spiels. Seitdem hatte er sich nicht mehr als einen Tag am Stück freigenommen.

Tatsächlich hatte ihm sein Chef Stephan sogar gedroht, ihn zu entlassen, wenn er sich nicht für diese Reise Urlaub nehmenwürde. Nur durch die Tatsache, dass seine Reiseunterlagen ins Büro geschickt worden waren, wusste Stephanüberhaupt davon. Sie waren falsch adressiert worden und gingen an Stephans Assistentin. Als sie den Umschlag geöffnet und die Papiere gesehen hatte, war sie sofort zu seinem Chef gegangen.

Braden hatte zu diesem Zeitpunkt ernsthaft überlegt, nicht mitzufahren. Ganz abgesehen von der Tiefe des Ozeans und dem Kuppel-Fokus der Kreuzfahrt hatte er nicht um eine Auszeit bitten wollen.

Stephan rief ihn in das große Eckbüro, sicher nur wenige Augenblicke nach dem Öffnen der Post. Wann wolltest du um eine Freistellung bitten?«, fragte er einen Moment, nachdem Braden das Büro betreten hatte.

»Äh... ich, äh, gar nicht.« Braden runzelte die Stirn. »Warum?«

Stephan hob eine Augenbraue. »Wolltest du kündigen?«

Braden schüttelte den Kopf. »Nein. Ich... was ist los?«

Stephan reichte Braden die Unterlagen.

Er betrachtete sie mit finsterem Blick. »Ich wollte eigentlich nicht fahren.«

»Du hast ein Ticket gekauft, das du nicht benutzen wolltest?«

»Meine Eltern haben es gekauft. Ich wollte herausfinden, ob ich das Geld zurückbekomme, und wenn nicht, es einfach selbst bezahlen.«

»Aber... warum gehst du nicht?«

Braden sah auf und zuckte mit den Schultern. »Ich bin... kein großer Fan von Kreuzfahrten. Außerdem kann ich es mir nicht wirklich leisten, einen Monat Urlaub zu nehmen.«

Stephan zog beide Brauen nach oben. »Du hast weit über einen Monat Urlaub angespart. Laut Evie hast du sogar drei Monate Urlaub zur Verfügung.« Er warf einen Blick auf ein anderes Papier auf seinem Schreibtisch.

»Nein, ich meine, ich werde hier gebraucht. Die Entwicklung des neuen Spiels beginnt in ein paar Wochen...«

Stephan hob eine Hand. »Ich denke, wir kommen ein paar Wochen ohne dich zurecht.« Er lächelte reumütig.

Braden wurde rot. »Also, ich wollte nicht...«

»Das war ein Scherz.« Stephan schüttelte den Kopf. »Du musst dir eine Auszeit nehmen. Es gibt keinen besseren Zeitpunkt als jetzt.« Er deutete mit dem Kopf auf die Unterlagen in Bradens Hand.

»Aber...«

»Muss ich es zu einer Anordnung machen?«

Braden blickte finster drein. »Nein, aber...«

»Oder vielleicht muss ich das tun – nimm Urlaub, oder du bist gefeuert.«

Braden blieb der Mund offen stehen, und er starrte seinen Chef an. Sie hatten sich immer gut verstanden und er betrachtete Stephan als Freund, wenn auch nicht als engen. Er schloss den Mund, schüttelte den Kopf und öffnete ihn dann wieder, um zu sprechen, aber es kam nichts heraus.

Stephan grinste. »Nun, sprachlos ist neu für dich.«

»Das ist nicht lustig«, brummte Braden.

Stephan grinste breiter. »Es ist urkomisch. Und wahr. Also, du machst diese Reise. Sag Evie Bescheid, wann du losfährst und wann du zurückkommen willst.«

»Aber...«

Stephan fuhr fort, als ob Braden nicht gesprochen hätte. »Und dann werden wir die ersten Entwicklungstreffen festlegen.« Er hielt inne und starrte Braden einen Moment lang an. Braden öffnete den Mund, und Stephan hob erneut eine Augenbraue. »Oder ich könnte für eine Kündigung sorgen.«

Braden schaute erneut verärgert drein. »Das würdest du nicht.«

»Das würde ich. Wenn du nicht bald Urlaub nimmst, bin ich mir ziemlich sicher, dass du stattdessen eine Reise ins Krankenhaus machen wirst. Du arbeitest zu viel. Geh.«

Braden atmete aus und runzelte die Stirn. »Es ist ein Monat, Stephan, das ist zu viel. Ich nehme den Freitag frei...»

»Die Reise, Braden. Oder du bist gefeuert.«

»Ich... Du meinst das ernst.« Braden schüttelte den Kopf. Stephan lächelte und Bradens finsterer Blick kehrte zurück. »Na schön. Die Reise.«

Braden hatte sich am Ende sogar ein paar Tage vor der Kreuzfahrt freigenommen, obwohl er das gar nicht wollte. Stephan hatte ihn davon überzeugt, dass er sich für die Vorbereitungen lieber Zeit nehmen sollte, anstatt alles überstürzt nach Feierabend zu organisieren. Braden gab nur ungern zu, dass er froh war, dass Stephan darauf bestanden hatte.

Aber die arbeitsfreie Zeit gab Braden zu viel Raum zum Nachdenken und um jemanden zu vermissen. Und als er so gegen fünf Uhr morgens darüber nachdachte, musste er sich eingestehen, dass er mit dem Leben ohne Rafe nicht gut zurechtkam. Nicht sehr gut, ganz und gar nicht.

Aber das bedeutete nicht, dass er Rafe zurück in seinem Leben haben wollte. Er war verletzt worden. Heftig. Und Rafe war der Grund dafür. Es musste einen anderen Weg geben, darüber hinwegzukommen.

Aber als er Rafe am Abend zuvor gesehen hatte, war ihm diese Entscheidung schwerer gefallen, als ihm lieb war. Denn er war nicht so glücklich gewesen, wie Braden gedacht hatte. Die Schatten in Rafes Augen sprachen von langen, ruhelosen Nächten. Sie deuteten auf Einsamkeit hin – die besondere Art, die durch das Vermissen einer bestimmten Person verursacht wird. Sie hatten Braden die Bilder in den Kopf gesetzt, wie Rafe die Nächte im Büro verbrachte.

Genau wie er selbst.

Braden wollte nicht an so etwas denken. Er war mit der Vorstellung zufrieden gewesen, dass Rafe ohne ihn glücklich war. Das machte die Wut leichter, den Schmerz gerechter.

Aber wenn Rafe genauso unglücklich war, musste er gezwungenermaßen in Erwägung ziehen, dass vielleicht auch andere Dinge nicht so waren, wie er gedacht hatte. Und er war einfach nicht bereit, das zu akzeptieren.

Er drehte sich wieder um und starrte an die Decke. Der Raum war noch heller geworden, und Braden gab den Versuch zu schlafen auf. Er setzte sich auf, hob die Beine aus dem Bett, zog die Ohrstöpsel heraus und schaltete sein Handy aus, dann vergrub er das Gesicht in den Händen und versuchte sich zusammenzureißen.

Er konnte nicht gehen, konnte es nicht tun. Wenn er es tat, wenn er Rafe zurück in sein Leben ließ, sein Herz wieder öffnete, würde es ihn zerstören, wenn es nicht funktionierte.

Aber, oh Gott, er wollte es. In diesem Moment wünschte sich Braden nichts sehnlicher, als Rafe wieder bei sich zu haben, ihn in seinen Armen zu spüren, diese Küsse wieder zu schmecken. Seinen Namen in Rafes tiefer Stimme zu hören. In grünbraune Augen zu schauen, die voller Liebe für ihn waren.

»Was soll ich tun?«, fragte er den leeren Raum.

Als er keine Antwort bekam, stolperte Braden unter die Dusche. Einen Moment lang konnte er sich nicht zwischen brühend heiß und eiskalt entscheiden.

Wenn er sich erlaubte, an den Kuss von gestern Abend zu denken, würde sein Schwanz in lächerlich kurzer Zeit halbsteif sein. Die ganze Nacht über hatte er sein Bestes getan, um ihn zu ignorieren, aber er war sich nicht sicher, ob eine kalte Dusche wirklich helfen würde. Also stellte er das Wasser kochend heiß und trat unter den Wasserstrahl.

Da er sich zur Eile zwang, hatte er das Einseifen und Haarewaschen quasi in Rekordzeit hinter sich gebracht. Anschließend bemühte er sich, beim Rasieren und Zähneputzen nicht zu denken, aber eine Diashow von Rafe lief in seinem Kopf ab, egal, worauf er sich zu konzentrieren versuchte. Nach der Hälfte der Rasur hielt er inne und betrachtete sein Spiegelbild, während ihn eine Erinnerung überkam.

»Stopp!« Rafe lachte. »Du verteilst es noch überall.«

»Ich wische es auf. Komm her.« Braden zog an Rafes Hand, und bevor dieser sich losreißen konnte, rieb er sein Gesicht mit Rasierschaum ein.

Rafe lachte noch lauter, hielt aber inne, als Braden mit dem Rasierer näher kam.

»Warum willst du nicht, dass ich das mache?«

»Das ist albern. Ich kann mich selbst rasieren.«

»Ach was. Ich wollte nur... Ich mag...« Braden ließ es dabei bewenden und seine Wangen wurden rot, als ihm klar wurde, wie albern er sich aufführte.

»Ich mag es, wenn du mich anfasst«, murmelte Rafe, und Braden sah in seine grünbraunen Augen. »Danke.«