Für immer geliebt - Grace R. Duncan - E-Book

Für immer geliebt E-Book

Grace R. Duncan

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Beschreibung

Als Erics Seelengefährtin ihr Gefährtenband zerreißt, überlässt Eric in seiner Verzweiflung seinem Wolf das Ruder und verwandelt sich erst neun Jahre später wieder zurück. Davon überzeugt, seine Freunde durch seinen Zusammenbruch verloren zu haben, isoliert er sich nach wie vor von seinem Rudel. Erst ein Fremder kann ihn ins Leben zurückholen: Ben wuchs bei einer Mutter auf, die seinen Wolf als Dämon ansah, der ausgetrieben werden muss. Im Pittsburgh-Rudel findet er Akzeptanz und zudem in Eric seinen Gefährten. Doch es braucht einige Zeit, bis die beiden Männer ihre Vorbehalte überwinden und die Geister der Vergangenheit gemeinsam ein für alle Mal bezwingen können…

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Seitenzahl: 428

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Deutsche Erstausgabe (ePub) Juni 2019

Für die Originalausgabe:

© 2018 by Grace R. Duncan

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Forgiveness«

Originalverlag:

Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2019 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

ISBN-13: 978-3-95823-760-5

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

Aus dem Englischen von Jessica Hartmann

Liebe Leserin, lieber Leser,

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem die Autorin des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

Klappentext:

Als Erics Seelengefährtin ihr Gefährtenband zerreißt, überlässt Eric in seiner Verzweiflung seinem Wolf das Ruder und verwandelt sich erst neun Jahre später wieder zurück. Davon überzeugt, seine Freunde durch seinen Zusammenbruch verloren zu haben, isoliert er sich nach wie vor von seinem Rudel. Erst ein Fremder kann ihn ins Leben zurückholen: Ben wuchs bei einer Mutter auf, die seinen Wolf als Dämon ansah, der ausgetrieben werden muss. Im Pittsburgh-Rudel findet er Akzeptanz und zudem in Eric seinen Gefährten. Doch es braucht einige Zeit, bis die beiden Männer ihre Vorbehalte überwinden und die Geister der Vergangenheit gemeinsam ein für alle Mal bezwingen können…

Für alle, die jemals eine zweite Chance brauchten.

Für Tricia, die bei meinem grammatikalischen Unsinn die

Geduld einer Heiligen beweist.

Und für Joe, Sara, Phyllis, Wendy, Robin, Vic, Tempe und Lex, weil ihr meine Cheerleader seid und mich daran erinnert, dass die Worte immer noch da sind, selbst wenn sie nicht so schnell

rauskommen wollen, wie ich es gern hätte.

Kapitel 1

Sie roch seltsam. Oder besser gesagt, sie roch nicht wie etwas, das er kannte. Sie sah menschlich aus, aber sie roch nicht wie ein Mensch, was ihn verwirrte. Und sie lief barfuß über den Waldboden.

Als sie auf ihn zukam, legte er den Kopf schräg und versuchte, das Rätsel zu lösen. Sie trug eine schlichte, dunkle Hose, ein einfaches, tunikaartiges Oberteil und hatte ein Bogen über ihrer Schulter hängen, zusammen mit einem Köcher voller Pfeile auf dem Rücken. Sein Instinkt sagte ihm jedoch, dass er nichts von ihr zu befürchten hatte.

Sie kniete sich vor ihn, wobei ihr das lange, dunkle Haar über eine Schulter fiel, und streckte die Hand aus, um ihm mit den Fingern über den Kopf zu streichen. »Mein armer, verlorener Wolf«, murmelte sie und neigte genau wie er den Kopf, während sie ihn betrachtete. »Ich verstehe deinen Schmerz, aber du bist noch nicht bereit dafür, gänzlich als Wolf zu leben. Du hast noch etwas in deiner menschlichen Gestalt zu erledigen und du brauchst dein Rudel. Meine Wölfe sind nicht dafür geschaffen, allein zu sein, nicht auf diese Weise. Es ist Zeit – höchste Zeit –, zu deinem Rudel und zu denen, die dich lieben, zurückzukehren.«

Obwohl ihn die sanfte Berührung beruhigte, winselte er leise, denn ihm gefielen diese Worte nicht. Er war aus einem bestimmten Grund gegangen. Für ihn gab es dort nichts mehr. Er hatte sich von ihnen abgewandt. Sie würden ihn jetzt nicht mehr haben wollen.

»Oh, Eric, das ist nicht wahr«, sagte sie kopfschüttelnd.

Eric. Er hatte diesen Namen schon vor Jahren vergessen – vielleicht absichtlich. Er scheute sich vor dieser Erinnerung an die menschliche Seite in ihm, vor dem Echo alten Schmerzes.

»Sie vermissen dich mehr, als du weißt. Und es gibt mittlerweile noch andere. Andere, die dich auf eine Weise verstehen werden, wie du vorher nicht verstanden worden bist.« Sie legte eine Hand auf seinen Kopf und seine Augen fielen zu.

Vor seinem inneren Auge tauchte das Bild eines Hauses auf, das am Rand eines Flusses in der Nähe eines Wasserfalls stand. Ein sehr vertrauter Geruch gesellte sich zu dem Bild und Eric winselte wieder. Er wollte ihn nicht, diesen Geruch, wollte nicht zugeben, dass er ihn vermisste. Er wollte nicht darüber nachdenken, was er verpasst hatte.

Das Bild wandelte sich zu einem offenen Feld, auf dem ein Welpe mit rötlichem Fell auf ihn zusprang. Er knabberte an seinem Ohr, schubste ihn um. Er neckte ihn zurück, knurrte leise, als er wieder aufstand, um sich zu rächen.

Er verdrängte das Bild. Diese Zeit war vorbei. Er hatte den Weg zurück zu ihnen vergessen, wollte sich nicht daran erinnern, wie er dort hinkam.

Ihre Stimme ertönte wieder, mehr in seinem Kopf als laut ausgesprochen. »Du erinnerst dich. Du wirst es finden. Du weißt, wo das ist. Jetzt geh, mein verlorener Wolf. Und sei nicht mehr verloren.«

Eric öffnete die Augen. Sie war weg. Er sah sich um und schnupperte, aber da war keine Spur von ihr. Er legte sich hin und bettete seinen Kopf auf die Pfoten, während er versuchte zu verstehen, was da gerade passiert war.

Aber er wusste es, selbst wenn er es nicht akzeptieren wollte. Er wusste, was er tun musste. Er wusste nur nicht, ob er sich dazu überwinden konnte.

»Geh«, flüsterte sie in seinem Kopf und mit einem Seufzen erhob sich Eric und machte sich zögerlich auf den Weg den Berg hinunter.

Er lag auf dem Hügel, von dem aus er den Wasserfall und den Fluss sehen konnte, und versuchte, nicht darüber nachzudenken, was er tun sollte. Ein seltsam riechender Gestaltwandler saß auf der oberen Terrasse am hinteren Teil des Hauses und machte irgendwas an einem Laptop. Auch nichts von dem, was er von dem Mann sehen konnte, war Eric vertraut.

Während er darüber nachdachte, fuhr ein großer, blauer SUV an der Vorderseite des Hauses vor und hielt an. Eric konnte die Person nicht sehen, als sie ausstieg, aber den Geruch, der von einem Windhauch zu ihm hochgeweht wurde, würde er immer wieder erkennen. Er setzte sich etwas auf und sein Herz raste bei dem Gedanken daran, die lächerlich kurze Distanz zwischen ihnen zu überwinden.

Er fragte sich kurz, ob Tanner ihn auch wittern konnte. Vermisst er mich überhaupt? Fragt er sich, was aus mir geworden ist? Es waren ungebetene Fragen, die seine tiefsten Ängste an die Oberfläche trieben, aber bevor er versuchen konnte, sie sich selbst zu beantworten, kam die Antwort von irgendwoher – von irgendjemandem?

Ja, ständig.

Erics Herzschlag verdreifachte sein Tempo. Er erhob sich, schien sich aber nicht dazu überwinden zu können, sich in Bewegung zu setzen. Dann spürte er etwas, fast wie ein Stupsen in seinem Hinterkopf, und ohne zu bemerken, was er tat, folgte er dem schmalen Pfad an der Seite des Hügels und lief in das Tal hinunter.

Als er aus dem Wald trat und am Rande des Flusses stehen blieb, setzte sich der Gestaltwandler auf dem Balkon auf und sah zu ihm herunter. Eric wand sich, nicht sicher, was er tun sollte, nun da er dort war. Sollte er sich einfach verwandeln? Sollte er auf das Haus zugehen?

Doch bevor er eine Entscheidung treffen konnte, öffnete sich eine Tür zu seiner Linken.

Und dort stand, mit einem Ausdruck puren Schocks im Gesicht, Erics allerbester Freund.

»Eric?« Es war nur ein Flüstern, als hätte Tanner Angst, seinen eigenen Augen zu trauen.

Eric winselte leise und ließ den Kopf dabei hängen.

»Heilige Scheiße, du bist es!«

Eric hatte die Worte kaum registriert, als sich zwei menschliche Arme um seinen Hals schlangen.

»Ich dachte, du wärst... Ich war mir sicher, du bist... Verdammt.« Tanners Worte klangen leicht zittrig, aber er räusperte sich und ließ ihn los. »Kannst du... verwandelst du dich? Redest mit mir?«

Eric atmete nicht annähernd tief genug durch, dann trat er zurück. Tanner wirkte enttäuscht, doch als Eric sich nicht weiter zurückzog, breitete sich ein hoffnungsvolles Lächeln auf seinem Gesicht aus. Weiter tief durchatmend und mit noch immer rasendem Herzen stupste Eric seinen Wolf zurück.

Es dauerte länger, als er es in Erinnerung hatte, aber vielleicht lag das nur daran, dass seine letzte Verwandlung so lang her war. Obwohl es länger dauerte, fühlte es sich so natürlich an wie eh und je. Seine Knochen sortierten sich neu, Muskeln verlagerten sich, dann zogen sich sein Fell und seine Klauen zurück. Seine Pfoten verwandelten sich zu Händen und Füßen und schließlich schrumpften seine Zähne und seine Sicht änderte sich von Schwarz-Weiß zu Farbe.

Er schien sich jedoch nicht dazu bringen zu können, aufzusehen. Er keuchte heftig und schluckte wegen seiner staubtrockenen Kehle, während sein Herz versuchte, sich einen Weg aus seiner Brust zu schlagen. Er starrte auf das Gras unter sich, kämpfte damit, sich zu bewegen, aber sein Körper schien seinen Befehlen nicht zu gehorchen. Er war sich nicht sicher, dass er schon einfach so stehen könnte, auch wenn seinen menschlich geformten Beinen die Position nicht gefiel, in der er sich befand.

Offenbar wurde der Akt des Stehens von ihm nicht erwartet. Denn einen Moment später zerrte Tanner ihn hoch und umarmte ihn fester, als er jemals zuvor umarmt worden war.

»Oh mein Gott, du bist zurück. Bitte sag mir, dass du zurück bist. Ich habe dich so unglaublich doll vermisst.« Den letzten Satz murmelte Tanner beinahe, aber natürlich hörte Eric ihn.

Es gelang ihm, seine Arme um Tanner zu schlingen, und für einen Moment erwiderte er die Umarmung. Dann zog er sich zurück – auch wenn er sich mit den Händen an Tanners Armen festhielt, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren – und sah seinem besten Freund in die Augen.

Er musste sich zweimal räuspern, bevor er sprechen konnte, denn seine menschlichen Stimmbänder wollten nicht funktionieren. »Ähm, also, ja. Wenn... wenn du das möchtest.«

Tanner blinzelte ein paarmal, dann sagte er mit einem schiefen Lächeln: »Was denn sonst?«

Erleichterung durchflutete Eric. »Dann, ja, ich denke, das bin ich.«

In diesem Moment trat der fremde Gestaltwandler, der auf dem Balkon gesessen hatte, durch die Tür, wobei er von einem Ohr zum anderen grinste. Erics Nase zuckte, als er den Geruch des Mannes aufnahm, dann Tanners, dann wieder den des Mannes. Er blinzelte und sah Tanner verwirrt an. »Er ist dein... Gefährte?«

Tanner zog sich zurück, behielt jedoch eine Hand an Erics Ellenbogen, als er schwankte. Sobald er festen Stand hatte, ließ Tanner Erics Ellenbogen los und streckte seine Hand dem anderen Mann entgegen. »Ja. Das ist Finley. Er ist mein vorbestimmter Gefährte.«

Erics Augen weiteten sich und er starrte Finley an. »Vorbestimmt? Es gibt gleichgeschlechtliche vorbestimmte Gefährten?«

Tanner und Finley nickten beide und Finley lächelte. »Ja, die gibt es. Ich freue mich riesig, dich nun endlich kennenzulernen, Eric.« Er trat vor und breitete die Arme aus, als würde er Eric umarmen wollen, zögerte aber und überließ eindeutig Eric die Entscheidung.

Obwohl er ein wenig irritiert davon war, den Gefährten eines anderen zu umarmen, akzeptierte Eric die Geste und konnte nicht widerstehen, das warme, einladende Gefühl zu genießen, das sie in ihm auslöste.

Finley zog sich zurück. »Würdest du gern reinkommen? Vielleicht eine Hose anziehen? Und einen Kaffee trinken?«

Eric blinzelte. »Wie lange war ich unterwegs?«, fragte er anstelle einer Antwort. Er konnte den Gedanken noch nicht ganz fassen, dass Tanner nicht nur einen Gefährten, sondern einen männlichen vorbestimmten Gefährten und sogar ein Haus hatte! Er schob den kurzen Schmerz beiseite, dass Tanner einen Gefährten hatte, verabschiedete sich von seiner früheren Schwärmerei und konzentrierte sich darauf, sich für seinen besten Freund zu freuen.

Tanner und Finley wechselten einen Blick. Tanner räusperte sich. »Etwas über neun Jahre.«

Erics Mund klappte auf und ihm fielen beinahe die Augen aus dem Kopf. »Neun Jahre? Ich habe neun Jahre lang als Wolf gelebt?« Er wusste, dass er als Wolf nicht das gleiche Zeitgefühl hatte wie als Mensch, aber ihm war nicht klar gewesen, wie anders es war.

»Ja. Also...«

Eric schüttelte heftig den Kopf, in dem Versuch, sein Gehirn einzuschalten. Es schien, als hätte es sich irgendwie heruntergefahren. »Ja, ähm, vielleicht sollten wir doch lieber reingehen.«

Finley drehte sich um und ging wieder ins Haus. Tanner deutete mit der Hand in Richtung Tür und Eric folgte Finley, während es in seinem Kopf arbeitete. Als er in einen Raum trat, der offenbar eine Waschküche war, hielt Finley ihm eine graue Jogginghose entgegen.

Eric nahm sie, kämpfte jedoch einen Augenblick lang mit dem Hosenbund. Er schien seine Hände nicht zur Kooperation bewegen zu können. »Neun Jahre«, murmelte er, während er eine Faust öffnete und wieder schloss. »Kein Wunder, dass ich nicht mal mehr eine Hose anziehen kann.«

Tanner lachte leise. »Kumpel, ich wäre überrascht, wenn du im Moment irgendetwas hinkriegst. Das war eine lange Zeit, um als Wolf zu leben. Einen Augenblick lang hatte ich ein bisschen Sorge, dass du dich nicht zurückverwandeln könntest.«

Eric drehte sich zu Tanner. »Ich habe mir für einen Moment Sorgen gemacht, dass ich es nicht kann. Aber... tief im Inneren wusste ich, dass ich es kann. Ich... also... Hey, warum riechst du anders? Ich meine, abgesehen davon, dass du wie er riechst.« Eric deutete mit dem Kopf auf Finley. Es gelang ihm endlich, seine Hände so weit zur Kooperation zu bewegen, um die Jogginghose aufzuhalten. Aber als er versuchte hineinzusteigen, verlor er beinahe das Gleichgewicht. Wenn Finley ihn nicht festgehalten hätte, wäre er umgestürzt wie ein Stapel Bauklötze. Als er die Hose anhatte, unterdrückte er den Impuls, angesichts des kratzigen Stoffs auf seiner offenbar übersensiblen Haut, das Gesicht zu verziehen.

Tanner blinzelte. »Ah, ja. Es hat sich viel geändert, seit du weggelaufen bist. Ich bin jetzt der Alpha.«

Eric war sich sicher, dass ihm bei dem Tempo der Entwicklungen jeden Augenblick die Augen aus dem Kopf fielen. Er legte den Kopf auf die Seite, um respektvoll seinen Hals zu entblößen. »Alpha? Heilige... ähm...«

Tanner grinste, als er anerkennend eine Hand auf Erics Schulter legte. »Nee, kein Heiliger. Nur Alpha.«

Eric lachte los. »Das ist gut. Ich würde es nicht über mich bringen, dich mit Gott anzusprechen...«

Das nächste Lachen kam von Tanner. »Verdammt, ich hab dich vermisst. Lass uns hochgehen. Ich glaube, ich brauche einen Kaffee.«

Als Finley schließlich das Wort ergriff, drehte sich Eric wieder zu ihm um. »Willst du auch ein T-Shirt? Vielleicht ein Paar Socken? Ich glaube nicht, dass dir irgendwelche Unterwäsche von uns passt.« Finley runzelte die Stirn, während er Eric von oben bis unten musterte. Sowohl Finley als auch Tanner waren beide breiter als er und brachten schätzungsweise über zwanzig Kilogramm pure Muskelmasse mehr auf die Waage, daher glaubte er nicht, dass ihm viele ihrer Klamotten passten, aber er hatte keine große Wahl.

»Ähm, T-Shirt und Socken wären super.« Eric zog die Nase kraus. »Ich vermute, es ist nicht mehr viel von meinem Kram da.«

»Bezweifle sowieso, dass du in deine alten Klamotten passen würdest«, sagte Tanner leise lachend. »Du hast Muskeln bekommen. Du bist nicht mehr dieser dürre Hering.«

Erics finsterer Blick war nicht ganz ernst gemeint. »Ich war nie ein dürrer Hering.«

Tanner grinste fies und Eric verdrehte die Augen, während er Tanner in den Essbereich des Hauses folgte.

Fenster säumten die Wände und gaben den Blick auf den umgebenden Wald des Tals und den Wasserfall hinter dem Haus frei. Ein langer Tisch, der vermutlich für beinahe zwölf Personen ausreichte, nahm den Großteil des Raumes ein. Der Rest des Hauses lud ihn ebenfalls ein, sich daheim zu fühlen. Rustikal und bequem, mit gepolsterten Möbeln und im Kontrast dazu viel Technologie – wovon Eric einiges nicht mal sicher identifizieren konnte. Das Ausmaß dessen, was er alles verpasst hatte, wurde ihm langsam klar und Eric schob den Gedanken beiseite, nicht bereit, sich ihm zu stellen.

Der Essbereich ging in eine Küche über, in der offene Ziegel und Holz dominierten. Komplettiert wurde sie von Kupfertöpfen und Edelstahlelementen. Tanner beschäftigte sich mit dem Kaffee, während Finley in ein höheres Stockwerk verschwand.

Eric hatte Probleme, seinen Blick von Tanner zu lösen. Er hatte seinen besten Freund vermisst. Sie waren als Wölfe oft miteinander gelaufen und hatten zusammen gespielt, bevor er sich mit Kim eingelassen hatte. Er schob den Gedanken an sie weit weg und konzentrierte sich stattdessen auf die Gegenwart.

»Also, ähm, warum bist du der Alpha? Ist deinem Dad was passiert?«

Tanner kam mit zwei Tassen Kaffee zurück. Er stellte eine vor Eric und die andere vor dem Stuhl gegenüber ab. »Nun«, meinte Tanner, während er in die Küche zurückging. »Mein Dad musste auf gewisse Weise zurücktreten, weil...« Er nahm einen weiteren Kaffeebecher und drehte sich um, ehe er innehielt, als Eric damit kämpfte, die Tasse hochzunehmen.

Stirnrunzelnd sah er auf die Tasse hinunter. Etwas so Einfaches, wie eine verdammte Kaffeetasse zu halten, sollte nicht so schwierig sein. Er schloss und öffnete seine Faust noch mal, dann zwang er sich, langsam eine Hand um den Bauch der Tasse zu legen und den Henkel gewissenhaft mit zwei Fingern zu umfassen. »Man könnte meinen, ich wäre ein neugeborener Welpe, verdammt noch eins«, grummelte er.

»In vielerlei Hinsicht bist du das. Du hattest eine lange Zeit keine opponierbaren Daumen. Es wird eine Weile dauern, bis du dich wieder daran gewöhnt hast. Ich würde wetten, dass auch viele deiner Sinne gerade stärker ausgeprägt sind. Du musst vielleicht sogar wieder lernen, wie man Dinge filtert.«

Eric runzelte die Stirn, als er einen Schluck Kaffee trank. Der bittere Geschmack überraschte ihn sehr. »Wow.« Er sah in die Tasse hinunter, ehe er zu Tanner aufsah. »Ist der stark oder stimmt mit meinen Geschmacksknospen was nicht?«

Tanner lachte. »Finley hat tatsächlich die Angewohnheit, ihn ein bisschen zu stark aufzubrühen, aber ich vermute, dass es im Moment eher deine Geschmacksknospen sind. Du hast seit neun Jahren keinen Kaffee getrunken, Mann.«

»Stimmt.« Eric schüttelte den Kopf. Er stellte die Tasse ab und rieb sich übers Gesicht, dann sah er zu Tanner auf. »Also, ähm, dein Dad?«

»Oh ja.« Tanner lachte leise. »Er ist jetzt unser Alphaoberhaupt.«

Eric blinzelte ihn ein paarmal an, wobei seine Kinnlade vor Schreck hinunterfiel. »Dein Dad ist das Alphaoberhaupt? Aber... was ist mit dem vorherigen passiert? Und wie ist dein Dad Alphaoberhaupt geworden? Was... oh, verdammt noch mal, ich war viel zu lange weg.« Er ließ das Gesicht wieder in seine Hände fallen.

»Okay, eine Frage nach der anderen –«

»Hier, bitte schön«, sagte Finley und Eric sah auf. Finley hielt ihm ein schlichtes blaues T-Shirt und einfache weiße Tennissocken entgegen.

Eric nahm beides und zog sich dankbar das Shirt über. Trotz seiner natürlicherweise höheren Körpertemperatur fror er. Er vermutete, dass es etwas damit zu tun hatte, kein Fell mehr zu haben.

Sobald er sich die Socken angezogen hatte, setzte sich Tanner neben Finley und erzählte weiter. »Es ist eine lange Geschichte und du solltest ein paar Leute treffen, bevor wir sie dir erzählen, denn ich bin mir nicht sicher, ob du mir glauben wirst, ohne sie vorher zu sehen oder zu riechen.«

Eric hob eine Augenbraue. »Okay...«

»Wirklich«, meinte Finley nickend.

»Es genügt zu sagen, dass mein Dad jetzt tatsächlich das Alphaoberhaupt ist, was bedeutet, dass ich übernehmen musste.« Tanner zuckte mit den Schultern. »Früher, als es mir gefallen hat, aber...«

Eric nickte. »Ja. Man kann sich nicht davor drücken.« Einen Moment lang trank er schweigend seinen Kaffee, nicht sicher, was er sagen sollte. Er schien seine bruchstückhaften Gedanken nicht zusammensetzen zu können. »Ähm...«

»Willst du deine Eltern besuchen?«, wollte Tanner wissen.

Eric sah nicht sofort auf, stattdessen starrte er in die Tasse, als würde sie ihm die Antwort geben, die er suchte. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Ich bin noch nicht bereit, sie zu treffen. Ich habe sie ein paarmal gesehen, als ich in meiner Wolfsgestalt war. Meine Mom... ich weiß, dass sie mich erkannt hat.« Er schluckte und sah zu Tanner auf. »Sie hat sich umgedreht und ist gegangen. Hat nicht mal versucht, auf mich zuzukommen.«

Finley machte ein finsteres Gesicht. »Das ist aber keine Art, wie man sein Kind behandelt.«

Eric lächelte ihn schwach an. »Meine Mutter war nie eine großartig... mütterliche Frau.«

»Das ist egal. Nicht cool.« Finley schüttelte den Kopf, wobei er immer noch eine finstere Miene zog und Eric beschloss auf der Stelle, dass er Tanners Gefährten mochte.

»Er passt gut zu dir«, sagte Eric und grinste Tanner an.

»Ich glaube gern, dass Diana weiß, was sie tut«, meinte Tanner leise lachend. »Aber ja, das tut er.« Er beugte sich hinüber und küsste Finleys Schläfe.

Ein Stechen der Eifersucht, das ihm nicht gefiel, ging durch Erics Körper und er richtete seinen Blick wieder auf die Tasse. Es stimmte, er hatte vor Jahren für seinen besten Freund geschwärmt. Das war der Hauptgrund gewesen, warum er Tanner nie gesagt hatte, dass er bi war. Er hatte nicht gewollt, dass die Dinge zwischen ihnen seltsam wurden, und damals hatte er gewusst, dass Tanner hoffte, seinen vorbestimmten Gefährten zu finden – falls gleichgeschlechtliche vorbestimmte Gefährten überhaupt existierten. Während sie also beide erwachsen geworden waren und nichts zwischen ihnen gelaufen war, hatte Eric seine Schwärmerei so gut er konnte beiseitegeschoben.

Während er jedoch über das Gefühl nachdachte, war ein Teil von ihm eifersüchtiger auf die Tatsache, dass sie einander hatten und sie gut zusammenzupassen schienen. Waren alle vorbestimmten Gefährten so? Nicht, dass Eric erwartete, seinen oder seine je zu treffen und selbst wenn, war er sich nicht sicher, ob er das Risiko eingehen konnte, dass er oder sie ihn verlassen könnte, wie Kim es getan hatte. Er schob diesen Gedanken beiseite.

»Also, hm...«

»Warum bist du zurückgekommen?«, fragte Tanner.

Eric runzelte die Stirn, nicht sicher, ob er es erklären konnte. Er war sich sicher, dass ihm keiner glauben würde, wenn er ihnen sagte, dass er glaubte, ihre Göttin getroffen zu haben. »Ich... etwas hat mich dazu gedrängt – Instinkt, vermute ich –, dass es Zeit wäre, zurückzukommen. Nicht, dass ich so wirklich weiß, was ich tun werde oder wohin ich soll. Ich bin mir sicher, dass mein Apartment längst leer und mein ganzer Kram weg ist.«

»Ich glaube, deine Eltern haben einen Teil davon mitgenommen. Bilder, persönliche Sachen, solches Zeug.« Tanner runzelte die Stirn. »Bei dem Rest bin ich mir allerdings ziemlich sicher, dass sie ihn gespendet haben. Sie waren sich sicher, dass du nie wieder zurückkommen würdest.«

»Das überrascht mich nicht«, sagte Eric und schluckte gegen den Kloß in seinem Hals an, den der Gedanke heraufbeschworen hatte. »Ich bin mir sicher, dass das jeder dachte.«

»Ich habe nicht aufgehört, zu hoffen«, meinte Tanner und zog Erics Blick damit auf sich. Tanner nickte. »Ja. Ich hab dich ein paarmal oben in den Bergen gesehen. Ich wollte immer wieder hochkommen, aber ich dachte nicht wirklich, dass du mich in deine Nähe lassen wollen würdest.«

»Am Anfang... hätte ich das nicht. Wann hast du mich zuletzt gesehen?« Eric versuchte, nicht verletzt zu sein, weil Tanner auch nicht auf ihn zugekommen war.

»Gott... Vor fünf Jahren? Sechs? Irgendwie in dem Dreh. Ich habe danach natürlich immer Ausschau nach dir gehalten, konnte dich aber nicht finden. Vielleicht einfach nur Pech, dass du irgendwo anders warst.«

Eric atmete durch. »Damals hätte ich dich nicht sehen wollen, nein. Ich... na ja, wie auch immer. Hier bin ich. Aber... was jetzt?«

»Du wirst natürlich hierbleiben, wieder lernen, wie man ein Mensch ist, und den Rest entscheiden, wenn du so weit bist. Das passiert jetzt«, sagte Finley, streckte den Arm aus und nahm seine Hand.

Eric blinzelte ihn an, dann sah er zu Tanner rüber und zurück zu Finley. »Hierbleiben?«

Finley zog fassungslos die Stirn kraus. »Also, ich werd dich nicht allein versuchen lassen, wieder zu lernen, wie man ein Mensch ist. Was für ein Gefährte des Alphas wäre ich, wenn ich das zulassen würde?«

»Ich... so hab ich das gar nicht gesehen.«

Finley strahlte ihn an. »Dann ist das beschlossen. Du kannst dir irgendein Schlafzimmer aussuchen, das dir gefällt, außer unseres natürlich. Du wirst dich vielleicht in dem hier unten am wohlsten fühlen.«

Eric wollte definitiv nicht hören, wie die zwei Sex hatten. »Das... stimmt wohl.«

Tanner stand auf und ging aus dem Zimmer. Als er ein paar Minuten später zurückkam, hielt er ihm etwas entgegen.

Eric starrte es eine Weile an, bevor er die Hand ausstreckte, um es zu nehmen. »Das hast du noch?«

Tanner nickte. »Ja. Hab es aufgehoben, nur für den Fall.«

Eric hob den Deckel seines alten Skizzenbuchs an, dann blätterte er langsam durch die Seiten. Ein Design nach dem anderen, das er aufs Leder übertragen hatte, hatte das Buch über die Jahre gefüllt. Er hatte seinen Job einst geliebt, war darin aufgegangen, diese Bilder zu zeichnen und sie dann von Hand auf das Leder zu übertragen, um daraus Taschen und Handtaschen und andere Dinge herzustellen, die sie in ihrem Laden verkauften.

»Und wenn du dich besser fühlst und wieder in der Lage bist, mit den Dingen umzugehen, wartet dein Job auf dich, wenn du ihn willst.«

Kopfschüttelnd sah Eric auf. »Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt noch kann.«

Tanner lächelte nur. »Wir werden sehen. Triff noch keine Entscheidungen, okay?«

Eric nickte. »Okay, ähm, ja.«

»Cool. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir über das Abendessen nachdenken. Wir wäre es mit Burgern?«, fragte Finley und erhob sich.

Kapitel 2

Ben brauchte seine übernatürlichen Sinne nicht, um zu wissen, dass sie da war. Egal, wie leise sie versuchte zu sein – zumindest nahm er an, dass sie es versuchte – ,hörte er sie dennoch weinen. Er war sich ziemlich sicher, dass ihre menschlichen Nachbarn sie hörten.

Er konzentrierte sich darauf, die paar Dinge, die noch übrig waren, in die letzte Kiste zu packen. Er schloss sie, ignorierte das Schniefen und nahm seine Reisetasche. Nachdem er seinen Kulturbeutel kontrolliert hatte, wandte er sich um, um zurück ins Badezimmer zu gehen.

»Jesus –«

»Ben, Mamá. Warum kannst du mich nicht wenigstens bei dem Namen nennen, den ich bevorzuge?«, fragte er, wobei er absichtlich Englisch sprach.

»Ich habe dich nicht grundlos Jesus genannt!«

Ben schickte ein Stoßgebet zu Diana hinauf, dass sie ihm Geduld geben möge, auch wenn er nicht ganz davon überzeugt war, dass es sie dort oben gab. Er war nicht davon überzeugt, dass es irgendeinen Gott gab. »Du hast mich auch nicht grundlos Benjamin – Ben – genannt. Du hast mir mehr als einmal erzählt, was mi abuelo dir bedeutet hat.«

Sie sah ihn finster an. »Natürlich hat er mir viel bedeutet. Aber –«

»Mamá, ich glaube nicht daran. Nur... egal. Entschuldige mich.« Er schlüpfte an ihr vorbei in den Flur, dann ging er gefolgt von ihr zum Badezimmer und holte seine Zahnbürste. Nachdem er sie in seinen Kulturbeutel gesteckt und die Tasche in seiner Reisetasche verstaut hatte, drehte er sich noch mal zu ihr um.

»Ich weiß immer noch nicht, warum du so weit wegziehen musst. Somos familia!« Sie sprach in schnellem Spanisch weiter, das er ausblendete – es waren die gleichen Argumente, die sie ihm seit Monaten lieferte, seit er die Entscheidung getroffen hatte, in einen anderen Teil des Landes zu ziehen.

»Mamá, genau aus diesem Grund! Du konntest mich nie akzeptieren. Nichts, was ich tue, macht dich glücklich. Jedes Mal, wenn ich meinen Wolf auch nur erwähne –«

Sie bekreuzigte sich, woraufhin er die Augen verdrehte.

»– bekreuzigst du dich und erzählst mir, dass ich in die Hölle komme, weil ich ihn nicht austreiben lasse.«

»Da ist ein Dämon in dir, Jesus!«

»Ben.«

Sie ignorierte ihn.

Er seufzte. »Er ist kein Dämon. Er ist ein Teil von mir. Wir haben das schon öfter diskutiert, als ich es zählen kann. Wenn es nicht um meinen Wolf geht –«

Sie bekreuzigte sich. Erneut.

»– dann geht es darum, dass ich nicht Medizin studiert habe. Oder dass ich nicht die Frau heiraten will, die du für mich ausgesucht hast. Nicht, dass ich überhaupt bereit wäre zu heiraten, Mamá.«

»Du hättest Arzt werden können!«

»Ich wollte Gitarre spielen! Das war nicht gut genug. Ich habe studiert, aber auch BWL war nicht gut genug.«

»Ich weiß nicht, warum –«

»Vergiss es. Ich werde mich nicht mehr mit dir streiten, Mamá. Deswegen muss ich umziehen. Ich kann das nicht länger. Ich muss irgendwo anders hin, wo ich ich selbst sein kann. Selbst das Rudel hier ist nicht so offen, wie ich es gern hätte.«

»Jesus Benjamin Arellano!«, schrie sie.

»Alicia! Es reicht.«

Ben atmete durch und blickte seinen Papá dankbar an. »Papá. Ich kann nicht –« Er hob die Hände und schüttelte den Kopf.

»Lass mich die letzte Kiste nehmen. Hast du alles?«, fragte Papá.

»Ja, das war’s.«

Mamá begann wieder zu weinen. Ben ignorierte sie – erneut – und nahm seine Reisetasche, dann folgte er Papá durch das Haus zur Einfahrt. Er verstaute die Tasche neben seinem Rucksack auf dem Boden der Beifahrerseite, dann schloss er die Tür und drehte sich wieder zu Mamá um. »Te quiero, Mamá. Das weißt du. Aber ich brauche Raum, um ich zu sein.«

»Aber... so weit weg.«

»Das Rudel in Pennsylvania braucht einen Buchhalter. Sie werden mich aufnehmen – so wie ich bin.« Er zuckte mit der Schulter. »Vielleicht finde ich meinen vorbestimmten Gefährten dort.«

»Je- Benjamin...«

»Lass ihn gehen, Alicia«, sagte Papá.

Sie schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht, wie du mich so verletzen kannst!«

Ben schickte ein weiteres Geduldsgebet gen Himmel, doch selbst wenn es Diana gab, war sie offenbar beschäftigt. Er atmete tief durch, aber sein Geduldsfaden wurde dünner und dünner, je mehr sie stritt. »Es geht mir nicht darum, dich zu verletzen, Mamá. Ich bin erwachsen! Ich muss tun, was das Richtige für mich ist. Das hier ist das Richtige.«

»Hier gibt es viele gute, katholische Frauen. Du findest Arbeit –«

»Alicia –«, versuchte Papá es, aber sie ignorierte ihn und öffnete den Mund, um weiterzusprechen. Aber Ben hielt eine Hand hoch, um sie aufzuhalten.

»Nein, Mamá. Lass es bitte einfach, bevor wir irgendetwas sagen, was wir hinterher bereuen.«

Diesmal sah sie ihn böse an und stampfte sogar mit dem Fuß auf. »Du hörst mir zu! Ich bin deine Mamá! Ich weiß, was das Beste für dich ist.«

»Nein«, widersprach Ben und sah sie nun seinerseits unheilvoll an. »Du hast seit Jahren nicht das getan, was das Beste für mich ist. Seit Jahren, Mamá! Alles, was du getan hast, war, mich dafür runterzumachen, wie ich geboren wurde. Mein ganzes Leben lang hast du mir eingeredet, dass ich zur Hälfte ein Dämon sei.« Er schüttelte den Kopf und wandte sich zu seinem Auto um.

»Wenn du mich jetzt verlässt, Jesus Benjamin Arellano –«

Er wirbelte wieder herum. »Dann wirst du was? Wirst du nicht mehr mit mir reden? Du bist diejenige, die dabei verliert! Ich muss nie wieder hierher zurückkommen. Ich muss meinen Gefährten nicht mitbringen – wer immer das sein wird –, um dich kennenzulernen. Ich muss überhaupt nichts tun!«

»Alicia!«

Erneut ignorierte sie seinen Papá, wurde jedoch gefährlich ruhig. »Gefährte? Du meinst Gefährtin, nicht wahr, Jesus?«, fragte sie kaum lauter als ein Flüstern.

Er verfluchte sich innerlich. Er hatte nicht gewollt, dass ihm das rausrutschte. Er holte Luft. »Nein, Mamá, das meinte ich nicht. Ich meinte Gefährte. Ich weiß nicht, wer – oder was – mein Gefährte sein wird. Es könnte eine nette Frau sein. Oder ein netter Mann.«

Sie blinzelte ihn an und jegliche Farbe wich aus ihrem Gesicht. »Was redest du denn da, Jesus?«

Er ignorierte diesen Namen und seufzte. »Ich will damit sagen, dass ich bisexuell bin, Mamá. Das ist der andere Grund, warum ich nicht hierbleiben kann. Du bist nicht die Einzige, die diese Seite an mir nicht akzeptieren würde. Das Rudel wird es auch nicht.«

Sie bekreuzigte sich wieder, obwohl Ben sich nicht sicher war, ob die Erwähnung des Rudels oder seiner Sexualität Auslöser dafür war. »Jesus, du musst hierbleiben und mit mir zur Kirche gehen! Du kannst dem nicht nachgeben –«

»Nein.« Er sah seinen Papá an, der seufzte. »Bitte, Papá, hilf mir?«

»Alicia, es reicht. Du musst ihn gehen lassen. Seine Sexualität geht dich – oder mich – nichts an. Komm schon.« Er legte einen Arm um ihre Schultern, aber sie schüttelte ihn ab, während sie ihn anklagend ansah.

»Wusstest du davon?«

Papá sah ein paar Sekunden lang definitiv unbehaglich aus, doch dann wurde sein Ausdruck ernst und er nickte. »Ja. Deswegen habe ich ihm geholfen, das Forbes-Rudel zu finden. Dort werden sie ihn akzeptieren.«

»Er sollte nicht akzeptiert werden. Austreiben sollte er diesen bösen –«

»Alicia!«

»Auf Wiedersehen, Mamá«, sagte Ben kopfschüttelnd. Er ging ums Auto und öffnete die Fahrertür. Er sah sie noch mal lange an. Trotz ihrer Vehemenz, zu ignorieren, was er war, darüber zu streiten, was er wollte, liebte er sie. »Te quiero, Mamá. Adiós.« Er stieg ins Auto und zog die Tür zu. Ohne in den Rückspiegel zu blicken, startete er den Motor und fuhr los.

Er verließ seine Nachbarschaft im Autopilot-Modus. Knapp einen Kilometer die Hauptstraße runter, dann fuhr er bei einem Taco Bueno auf den Parkplatz und ließ seinen Kopf auf das Lenkrad fallen, wobei er ein paarmal dagegen schlug und sein Herz schmerzte. Sein Telefon klingelte und er überlegte, es zu ignorieren, sicher, dass es seine Mutter wäre, aber er zog es trotzdem hervor. Er war noch nie in der Lage gewesen, sie gänzlich zu ignorieren.

Zum Glück war es Papá. Ruf mich an oder schreib mir, wenn du heute Abend irgendwo anhältst.

Mache ich, schrieb er schnell zurück, dann stellte er den Ton aus. Er rieb sich kräftig übers Gesicht. Trotz ihrer... Probleme mit seiner Natur würde er sie vermissen.

Er seufzte und wünschte sich nicht zum ersten – oder zum tausendsten – Mal, dass sie ihn einfach akzeptieren könnte. Ihm war klar, dass es schwer war, wenn man als Katholikin aufgewachsen war. Allerdings hätte er gedacht, dass sie es nach all den Jahren akzeptiert hätte, in denen sie gesehen hatte, wie er, sein Papá und seine jüngere Schwester sich verwandelt hatten und keine Monster geworden waren. Aber offenbar war dem nicht so. Er konnte sich nicht genau daran erinnern, wann sie aufgehört hatten, sich zu Hause zu verwandeln, aber er war noch nicht so alt gewesen. Trotz allem hatte er in Wolfsgestalt nie mehr getan, als sie hin und wieder anzuknurren. Daher verstand er nicht, warum sie es nicht akzeptieren konnte.

Es verwirrte ihn immer noch, dass sie und sein Vater vorbestimmt waren. Er verstand es nicht – ganz abgesehen davon, dass sie ein Mensch war – ,wie Diana sie verkuppeln konnte – wenn das so überhaupt funktionierte. Aber er vermutete, dass es einen Grund dafür gab. Dennoch machte es das Leben für sie alle sehr schwierig. Kein Wunder, dass seine jüngere Schwester fürs Studium den weiten Weg bis nach Kalifornien gegangen war. Er wünschte, er wäre auch so früh gegangen.

Stattdessen hatte er in seiner Heimat studiert, damit den unausweichlichen Streit nur hinausgezögert, der am Ende genauso schlimm gewesen war, wie er befürchtet hatte. Mit einem weiteren Seufzen verband er sein Handy mit dem Bluetooth-System seines Autos und steckte das Telefon in die Halterung auf dem Armaturenbrett. Er wählte seine Playlist, programmierte das Navigationssystem ein, dann fuhr er aus der Parklücke.

Nach einem Blick auf die Uhr entschied er, durch den Drive-In-Schalter zu fahren und etwas für unterwegs mitzunehmen. Er hatte nicht geplant, bereits jetzt aufzubrechen, hatte noch mit ihnen zu Abend essen und am Morgen fahren wollen, aber er konnte dorthin nicht zurückgehen. Vielleicht eines Tages.

Den Streit aus seinen Gedanken verbannend, drehte er Carlos Santana leiser und steuerte die Speisekarte an.

Schwerfällig ließ sich Ben auf die Bettkante fallen, als er die Kurzwahltaste für die Nummer seines Papás wählte.

»Bueno!«

»Hola, Papá. Ich bin in Texarkana. Hab ein Hampton gefunden.«

»So früh hast du schon angehalten?«

Ben seufzte. »Ja. Ich konnte mich nicht mehr so gut konzentrieren. Mein Wolf hat mich zu sehr gedrängt und mich dadurch abgelenkt.«

»Wann hast du dich zuletzt verwandelt?«

Ben runzelte die Stirn, während er versuchte, sich zu erinnern. »Beim letzten Vollmond.«

»Kein Wunder, dass du abgelenkt bist. Du kannst nicht so lange warten.«

»Ich weiß. Aber durch Mamá ist es schwer zu laufen.«

»Na, darüber musst du dir jetzt keine Sorgen mehr machen.« Sein Vater klang nicht sonderlich glücklich.

»Bereust du es, mich weggeschickt zu haben?«, fragte Ben stirnrunzelnd.

»Ich werde dich natürlich vermissen. Aber du warst hier nicht glücklich. Und wenn du am Ende einen Mann gefunden hättest?«

Ben antwortete nicht, denn sie wussten beide, wie das abgelaufen wäre. Osttexas war nicht der richtige Ort, um offen bisexuell zu sein. »Ich denke, ich werde mich für die Nacht verwandeln. Ich werde drinnen bleiben, aber dennoch.«

»Das wird helfen«, sagte Papá. »Gib ihm einfach Zeit, selbst wenn du nicht laufen kannst.«

Ben schwieg eine Weile, während er überlegte, ob er fragen wollte, dann zwang er sich, die Worte auszusprechen. »Wie geht es ihr?«

»Ach«, sagte Papá leise lachend. »Sie ist deine Mamá. Sie grübelt jetzt, aber sie wird schon klarkommen. Gib ihr ein bisschen Zeit, um dich wirklich zu vermissen.«

»Wird das wirklich funktionieren?« Ben zupfte an einem losen Faden der Hoteldecke.

Papá seufzte. »Ich denke schon.«

»Sie wird meinen Wolf niemals akzeptieren, Papá. Sie denkt immer noch, dass er ein Dämon ist. Wie... wie hat sie dich je akzeptiert?«

»Vorbestimmt, mijo. Und sie hat sich wirklich in mich verliebt. Ich bereue es, sie markiert zu haben, ohne dass sie wusste, was ich bin, aber es ist passiert und kann nicht zurückgenommen werden. Ich bereue es nicht gänzlich, sie markiert zu haben, nur, dass ich vorher nicht mit ihr geredet habe. Ich denke, das ist der Hauptgrund, warum sie so ist, wie sie ist.«

»Das war auch ziemlich schäbig von dir, Papá.« Ben schaffte es nicht, ein leises Lachen zu unterdrücken.

»Ja, war es.« Papá lachte leise. »Sie hat mir größtenteils verziehen, aber ich denke, dass sie da immer noch etwas Groll hegt. Das tut mir leid – dass du das Schlimmste ihrer Einstellung demgegenüber abbekommen hast.«

Ben ließ die Stille einen Moment auf sich wirken, weil er nicht wusste, was er sagen sollte. »Ich... es ist nicht dein Fehler, dass sie es an uns ausgelassen hat – an Tina und mir.«

»Du hast das meiste abbekommen. Hast immer versucht, deine kleine Schwester abzuschirmen. Christina wäre damit klargekommen.«

»Aber ich wollte nicht, dass sie das muss. Sind große Brüder nicht dafür da?«

»Vielleicht.« Ein Lächeln schwang in der Stimme seines Papás mit. »Denkst du, dass du deinen Gefährten dort finden wirst?«

»Ich weiß es nicht. Ich hoffe es. Ich meine... es scheint ein ziemlicher Zufall zu sein, dass dir damals von ihnen erzählt wurde.«

»Stimmt. Na ja, fahr bitte vorsichtig. Wir heilen vielleicht schnell, aber ich möchte dennoch nicht, dass dir was passiert.«

Ben schnaubte. »Ich bin kein Fan von Schmerzen, wie du weißt. Ich hatte nicht geplant, einen Unfall zu bauen.«

Papá lachte. »Gut. Wie weit willst du morgen fahren?«

»Ähm, ich hatte eigentlich geplant, in Nashville anzuhalten, aber vermutlich fahre ich stattdessen bis nach Louisville. Am nächsten Tag dann Pittsburgh.«

»Gut, schreib mir, okay? Lass mich wissen, wo du bist, sonst mache ich mir Sorgen.«

»Natürlich, Papá.« Ben hielt inne, um durchzuatmen, als sich sein Wolf bemerkbar machte. »Ich sollte auflegen. Er wird unruhiger.«

»Alles klar. Gute Nacht, Ben.«

»Nacht.«

Ben schaltete das Telefon aus und legte es auf den Nachttisch. Er schloss das Ladekabel an, dann trat er sich die Schuhe von den Füßen und zog sich gleichzeitig das Shirt über den Kopf. Einen Augenblick später war er nackt und begrüßte seinen Wolf.

Es fühlte sich gut an, ihm die Führung zu überlassen. Nur für seine Mamá hatte er so viel Zeit damit verbracht, ihn zu ignorieren und zu versuchen, nicht der Gestaltwandler zu sein, der er war. Es hatte ihn als Wolf beeinflusst, auch wenn er versucht hatte, es nicht zu zeigen. Er hatte sich immer langsamer verwandelt als sein Papá und seine Schwester, hatte immer mit dem Jagen gehadert, obwohl sie dem in ihrem kleinen Laufgebiet sowieso nicht ausgiebig nachgehen konnten.

Trotzdem war es ihm immer richtig erschienen, ihm die Kontrolle zu übergeben. Zu erkennen, wie sein Sehvermögen sich änderte, das Gefühl zu genießen, wie seine Knochen ihre Lage änderten und sich seine Muskeln anpassten... es fühlte sich gut an. Er hoffte, dass er auf dem Rudelgebiet viel mehr Zeit in seinem Fell verbringen würde. Wenn sie ihn akzeptierten. Er machte sich immer noch ziemliche Sorgen darüber, dass sie keinen Mexikaner wollten oder ihre Akzeptanz anderen Sexualitäten gegenüber übertrieben dargestellt wurde.

Als er auf vier Pfoten landete, schüttelte er sich kräftig, dann sprang er aufs Bett. Er machte es sich auf der Decke gemütlich und seufzte. Er wollte jagen gehen, ein bisschen Zeit mit rennen verbringen, aber das traute er sich nicht, da die hiesige Gegend für ihn unbekannt war. Davon abgesehen war er sich ziemlich sicher, dass es ein örtliches Rudel gab, das es nicht gutheißen würde, wenn er ohne Ankündigung auf ihrem Gebiet jagte.

Auch ohne zu laufen, verschaffte es ihm Frieden, der ihm lange verwehrt geblieben war, seiner anderen Hälfte einfach ein wenig Zeit einzuräumen. Seit Monaten hatte er sich abgesehen vom Vollmond nicht verwandelt. Es war kein Wunder, dass er anfing, Konzentrationsprobleme zu bekommen.

Einer der Vorteile seines Wolfes war, dass er nicht an den superkomplizierten, menschlichen Sorgen festhalten konnte. Seinem Wolf gefielen viel einfachere, eher grundlegende Dinge. Fressen, schlafen, jagen, vögeln. Er konnte nicht viel davon machen, aber er konnte schlafen, seiner anderen Hälfte Zeit geben, um einfach ein bisschen mehr Kontrolle zu haben.

Seine Gedanken beruhigten sich seit langer Zeit mal wieder und Ben schlief ein.

Ben war noch nicht gänzlich überzeugt von Pittsburgh. Ihm gefiel das viele grüne Laub durchaus, aber die Stadt an sich war nicht ganz das, was er erwartet hatte. Die komplette Fahrt über die Interstate in den Westen der Stadt kam ihm... eher langweilig vor. Sie war so ziemlich wie jede andere Stadt auch: Einkaufszentren, Bürogebäude und die Vorstadt.

Die Hügel und der schiere Überfluss an Grün machten es besser als Dallas, auch ohne dass er bisher etwas anderes gesehen hatte. Und er hatte Bilder der Stadt gesehen, daher wusste er, dass sie da irgendwo war, aber bisher – er sah auf dem GPS nach – ,nur zwei Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, hatte er nicht mal die Andeutung der hohen Bürogebäude im Zentrum gesehen.

Er nahm eine Kurve, dann noch eine, dann fand er sich auf dem Gipfel eines ziemlich beeindruckenden Hügels wieder. Am Fuß wartete eine Einfahrt für den Tunnel, der durch den Berg führte, und knapp davor konnte er eine beinahe lächerlich große Anzahl an leuchtend grünen Schildern sehen. Der Verkehr, der auf den Tunnel zurollte, erschien ihm für diese Tageszeit etwas zu stark – es war Nachmittag. Dennoch warf er einen Blick auf das Navi, fand die Spur, die er nehmen musste, und trommelte auf dem Lenkrad zur Musik, während er die Straße entlangkroch.

Es ging schneller, als er erwartet hatte. Als er auf den Tunnel zufuhr, war er überrascht, dass er kaum das Ende sehen konnte. Der Verkehr floss jedoch zügiger und einen Augenblick später fuhr er auf der anderen Seite wieder hinaus.

Seine Augen weiteten sich und ihm stockte der Atem. Direkt vor ihm, kaum eine Flussbreite entfernt, ragten die hohen Gebäude des Zentrums in die Luft. Es bedurfte eines lauten Hupens, damit er realisierte, dass er langsamer geworden war und gestarrt hatte. Er beeilte sich, um auf die richtige Spur zu fahren, dann nahm er die gewünschte Ausfahrt.

Als er am Fluss entlangfuhr, konnte er sich nicht davon abhalten, mehrmals zur Stadt hinüberzusehen. Erst als sie mehr oder weniger wieder hinter den Hügeln verschwand, war er wieder in der Lage, sich auf die Straße zu konzentrieren. Er drückte den Button fürs Bluetooth und sagte seinem Handy, dass es Tanner Pearce anrufen sollte. Es klingelte nur zweimal, bevor jemand ranging.

»Hallo?«

»Hi, Mr. Pearce, hier ist Ben Arellano aus Texas?«

»Oh, nee. Tanner bitte. Oder Alpha, wenn es sein muss. Mr. Pearce ist mein Vater.«

Ben musste lachen. »Alles klar, Alpha. Ich habe gerade das Stadtzentrum von Pittsburgh passiert. Ich denke, ich hab noch ein bisschen Strecke vor mir, bis ich auf dem Rudelgebiet bin, aber ich wollte fragen, ob es Ihnen recht ist, wenn ich mich erst mit Ihnen treffe, bevor ich irgendwas anderes mache.«

»Das ist nicht nötig. Hey, Ihr Dad meinte, dass Sie gerade erst in die Gegend ziehen. Ich wollte fragen, ob Sie bereits ein Apartment in Aussicht haben.«

»Oh nein. Ich wollte mir erst mal eine Unterkunft für längere Aufenthalte suchen und mich dann umschauen. Ich bin einen Tag früher gefahren, als ich es geplant hatte.«

»In diesem Fall, ja, kommen Sie erst mal her.«

Ben war sich nicht sicher, was das damit zu tun hatte, aber er würde seinem neuen Alpha nicht widersprechen. »Alles klar. Könnten Sie mir, na ja, eine Wegbeschreibung schicken? Das Navi denkt, ich fahre in einen Fluss.«

Tanner lachte. »Ja, das funktioniert hier draußen nicht so gut. Ich schicke sie Ihnen, sobald wir auflegen.«

»Danke schön. Bis dann.«

»Bis dann.«

Tanner stand zu seinem Wort und innerhalb von ein paar Minuten kam die Beschreibung an, die beinahe zu einfach klang. Ben schaffte es, sich darauf zu konzentrieren statt auf die Umgebung – abgesehen von dem zweiten Tunnel, durch den er fuhr – und kurz darauf fuhr er von der Interstate runter und folgte den Landstraßen, dann schmalen, gepflasterten Straßen und schließlich etwas, das man nur als Holperpiste bezeichnen konnte.

Er war unglaublich dankbar dafür, dass er einen SUV hatte. Der CR-V hielt sich wacker und einen Moment später hielt er neben einem dunkelblauen Outlander. Er stellte den Motor ab, wobei sein Herz raste. Trotz des freundlichen Klangs der Stimme am Telefon gab es immer noch so viel, das schiefgehen konnte. Er hegte große Hoffnungen, in Zukunft für das Rudel zu arbeiten und ein Teil davon zu sein.

Er schloss die Augen. Trotz des Streits mit seiner Mutter hatte er die Götter nicht unbedingt so angenommen, wie er es wahrscheinlich sollte. Sie hatte ihr Bestes gegeben, um ihm ihren katholischen Glauben anzuerziehen. Und auch wenn er nicht an ihren Gott glaubte, war er sich bei denen, denen sein Vater folgte, nicht hundert Prozent sicher. Er hatte akzeptiert, dass da oben irgendwas war, aber er war sich noch nicht ganz sicher, was es war. Er atmete jedoch tief durch und sagte: »Diana, wenn du da oben bist, bitte... ich... ich weiß nicht. Sorg einfach dafür, dass sie mich akzeptieren? Bitte?«

Mit einem weiteren tiefen Atemzug stieg er aus dem Auto.

Bevor er überhaupt klopfen konnte, öffnete sich die Tür. Ein großer, recht muskulöser Mann mit dichtem, schwarzem Haar und grünen, fröhlichen Augen öffnete die Tür. Er roch nach Willkommen und Ben mochte ihn auf der Stelle.

»Du musst Ben sein!«

Ein bisschen verblüfft nickte Ben. »Ähm. Ja. Hi. Bist du... Tanner?« Er klang nicht wie der Mann am Telefon, aber Handys konnten eine Stimme schon verzerren.

Der Mann lachte. »Oh nein, das ist mein Gefährte. Ich bin Finley. Komm doch bitte rein.«

Gefährte? Also stimmt das Gerücht. Zumindest die Tatsache, dass der Alpha einen männlichen Gefährten hatte.

Seine Nervosität ließ etwas nach, während er Finley ins Haus folgte.

Er liebte die rustikale, warme Atmosphäre sofort. Der zentrale Punkt im Hauptraum, in dem sie stehen blieben, war ein riesiger Kamin aus Flusssteinen. Gepolsterte Sofas und Sessel luden ihn dazu ein, hineinzusinken und es sich gemütlich zu machen. Bevor er mehr aufnehmen konnte, umfing ihn der wundervollste Duft überhaupt. Leder, etwas Süßes und ein Geruch, den er nur als Zuhause bezeichnen konnte.

»Fin, wo kann ich die hinräumen?«

Ben fuhr herum und stand einem wunderschönen Mann gegenüber. Längeres, schwarzes Haar umrahmte ein rundes Gesicht mit hellbraunen Augen und einem wunderschönen Lächeln. Und all das wurde von einem großen, schlanken Körper gekrönt, bei dem Ben das Wasser im Mund zusammenlief.

Er sorgte auch dafür, dass seine Sicht grau wurde, seine Zähne wuchsen, seine Klauen hervortraten und sein Penis hart wurde.

Gefährte.

Er starrte den Mann an, der zurückstarrte und dabei aussah, als wäre er gerade angeschossen worden. Seine Augen waren tiefschwarz, die Zähne verlängert und neben all den anderen Düften traf Ben der Geruch seiner Erregung.

»Oh, Scheiße, nein«, sagte der Mann und ließ den Kleiderstapel fallen, den er gehalten hatte. Einen Moment später hatte er sich verwandelt, die Jeans und das Shirt, das er angehabt hatte, zerrissen und rannte auf eine Treppe zu, die nach unten führte.

Ben sah ihm blinzelnd hinterher, wobei sich sein Herz zusammenzog. Sein Gefährte war hier. Er hatte einen vorbestimmten Gefährten. Einen männlichen, vorbestimmten Gefährten.

Der ihn nicht wollte.

Plötzlich konnte er nicht mehr atmen und sein Magen tat es seinem Herzen gleich und zog sich zusammen. Er versuchte zu atmen, doch seine Lungen weigerten sich, zu kooperieren.

»Es tut mir leid, Ben«, murmelte Finley, wobei er eine Hand auf seine Schulter legte. »Er wird zurückkommen.«

»Zur Hölle, das wird er auf jeden Fall. Ich lasse ihn das kein zweites Mal machen«, sagte ein dritter Mann, der aus der anderen Richtung um eine Ecke bog. Ben war so verwirrt, dass er nicht mehr als einen ähnlich muskulösen Körper wie Finleys und einen Kopf mit dichtem, braunem Haar wahrnahm. »Vor allem nicht jetzt. Hi, Ben. Ich bin Tanner. Nett, dich kennenzulernen. Mein Gefährte wird sich um dich kümmern.«

»Komm und setz dich, Ben«, murmelte Finley, als Tanner die gleiche Treppe hinunterging, die Bens Gefährte gerade hinunter verschwunden war.

Ben folgte Finley zu einem der Sofas und setzte sich. Er starrte ins Leere und versuchte zu begreifen, was gerade passiert war. Er drehte sich zu Finley um und sah ihn an, als er schließlich seine Stimme wiederfand. »Liegt... liegt es an mir? Weil ich ein Mann bin?«

Finley runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht? Ich wusste nicht, dass er bi ist, aber es kann auch sein, dass er nicht geoutet ist. Diana macht aber keine Fehler, was vorbestimmte Gefährten betrifft. Er wird sich schon wieder einkriegen.«

Ben fragte sich dann, ob es nicht doch etwas anderes an ihm war. Vielleicht seine Erscheinung? Er fand nicht, dass er so sehr nach einem Latino aussah, dass man schon nach einem Blick auf seine familiäre Herkunft schließen konnte. Aber was konnte es sonst sein?

Als hätte er seine Gedanken gelesen, ergriff Finley wieder das Wort. »Ich bin mir sicher, dass es nicht an dir liegt. Er hat kürzlich viel durchgemacht – und nicht ganz so kürzlich. Ich habe nicht das Recht, dir davon zu erzählen. Aber vertrau mir, er wird zurückkommen. Kann ich dir einen Kaffee anbieten?«

Ben nickte abwesend und atmete noch mal tief durch. Diana, was mache ich denn jetzt?

Kapitel 3

Eric rannte. Er achtete nicht darauf, wohin er lief, interessierte sich nicht dafür, woran er vorbeikam. Er rannte einfach.

Er konnte das nicht tun, konnte das nicht noch mal durchmachen. Es war ihm egal, ob er vorbestimmt oder auserwählt war, mit einem weiteren Gefährten konnte er nicht umgehen.

Er war gezwungen, das Tempo zu drosseln, als er außer Atem geriet. Er lief weiter, bis er einen Fluss fand, dann ließ er sich an dessen Ufer fallen. Er wusste, dass seine Ruhe gestört werden und Tanner ihm auf jeden Fall folgen würde. Aber er brauchte etwas Zeit, um sich selbst in den Griff zu bekommen.

Er legte sich die Pfoten über die Augen, als Erinnerungen, die er nicht haben wollte, versuchten, an die Oberfläche zu dringen. In den letzten Jahren war er gut darin geworden, sie zu vergraben.

Aber sie weigerten sich, ihm zu gehorchen, weigerten sich, vergraben zu bleiben.

Eric war nur einer von vielen Kerlen gewesen, die hinter ihr her gewesen waren. Er hatte keine Ahnung, warum sie ihn